Alpenraum Qualitätstourismus - JKU

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Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Qualitätstourismus
Alpenraum

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Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Inhalt
Zum Projekt

Vorwort			                                                                                                3

Der Alpenraum als Untersuchungsgegenstand		                                                               4

Gelebte Nachhaltigkeit: Die Partnerregionen stellen sich vor                                              7

Nachhaltigkeit in Forschung und Praxis

Nachhaltigkeit im Tourismus			                                                                            11

Nachhaltiger Qualitätstourismus aus Gästeperspektive:
Destinations- und Zielgruppenanalyse			                                                                  16

Impulse für einen nachhaltigen Tourismus                                                                20

Ausblick

Tourismus nachhaltig entwickeln		                                                                        21

Verwendete Literatur                                                                                    30

Fact Sheet			                                                                                            31

Impressum
Herausgeber
Fachhochschule Salzburg GmbH, Tourismusforschung, Urstein Süd 1, A-5412 Puch/Salzburg

Johannes Kepler Universität Linz (JKU), Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, MBA Tourismus
Management, Altenberger Straße 69, 4040 Linz

Redaktion
Dr. Mario Jooss, Mag. Markus Müllegger (FH Salzburg), Dr.in Herta Neiß, Dr. Andreas Praher (JKU)

Sämtliche Formulierungen sind in geschlechtergerechter Sprache gehalten. Vervielfältigungen aller Art – auch
auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Herausgeber. Änderungen, Druck- und Satzfehler vor-
behalten.

Bildnachweise
Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden, Christian Fischbacher, Wagrain-Kleinarl Tourismus/Lorenz
Masser, Armin Walcher, Wolfgangsee Tourismus Gesellschaft (WTG), Shutterstock.

Grafik und Druck:
Grafik: Ingeborg Schiller, Druck: www.produktiv.at, Salzburg

2									                                                                                                     Qualitätstourismus Alpenraum
Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Vorwort
Im Interreg-Projekt Qualitätstourismus Alpenraum (AB 255) haben sich universitäre und außeruniversitäre Forschungs-
einrichtungen sowie touristische Partnerregionen in Salzburg, Oberösterreich und Bayern zusammengetan, um gemein-
sam und grenzüberschreitend Strategien für die nachhaltige Entwicklung eines Qualitätstourismus im Alpenraum zum
Erhalt natürlicher und kultureller Lebensräume zu erarbeiten. Diese Strategien sollen sowohl von der Tourismuswirt-
schaft mitgetragen werden, als auch bei der einheimischen Bevölkerung Akzeptanz finden.

Die Alpenregion verfügt aufgrund ihrer naturräumlichen Ge-           aus der Tourismusbranche wurden konkrete Maßnahmen für die
gebenheiten, der touristischen Tradition und dem reichen kul-        Modellregionen abgeleitet. Die von Salzburg Research durch-
turellen Erbe über ein enormes Potenzial. Die zukünftige Ent-        geführten Besucherstromanalysen in den drei Tourismusdesti-
wicklung des Tourismus in alpinen Destinationen hängt dabei          nationen hatten die Analyse touristischer „Hot Spots“ zum Ziel
wesentlich davon ab, wie nachhaltig tourismuswirtschaftliche         und dienen als Grundlage für nachhaltige Mobilitätsmodelle.
Strategien angelegt sind. In diesem Kontext war es Ziel des          Zur weiteren Vertiefung und Verankerung des Nachhaltigkeits-
Projektes, nicht nur den Status quo in den drei Projektregionen                                        themas in den Destinationen
Berchtesgaden, Wagrain-Kleinarl und Wolfgangsee zu erheben,          Gerade zwischen Österreich        wurden im Sinne eines akti-
sondern gleichzeitig Entwicklungsmöglichkeiten und -poten-           und Bayern besteht eine lange     ven Wissenstransfers zwei
ziale zu erarbeiten.                                                 Tradition grenzübergreifen-       Fachkongresse abgehalten.
                                                                     der Zusammenarbeit. Diese         Diese widmeten sich nicht
Das Projekt beinhaltete insgesamt fünf Arbeitspakete, die unter      Tradition konnte im Inter-        nur aktuellen Erkenntnissen
fachlicher Begleitung der Fachhochschule Salzburg, der Johan-        reg-Projekt weiter vertieft       aus der Tourismusforschung,
nes Kepler Universität Linz (JKU) und der Salzburg Research          und ausgebaut werden.             sondern auch den Projekter-
Forschungsgesellschaft in den drei Projektregionen Berchtes-                                           gebnissen und Best-Practice-
gaden, Wagrain-Kleinarl und Wolfgangsee durchgeführt wurden.         Beispielen aus anderen alpinen Regionen. Gerade zwischen
Aus diesen Arbeitspaketen wurden entsprechende Empfehlun-            Österreich und Bayern besteht eine lange Tradition grenzüber-
gen und Leitlinien für ein nachhaltiges touristisches Manage-        greifender Zusammenarbeit. Diese Tradition konnte im Inter-
ment im Alpenraum erstellt. Am Beginn des Prozesses haben die        reg-Projekt weiter vertieft und ausgebaut werden.
touristischen Projektregionen in einer SWOT-Analyse ihre Desti-
nationsmanagemntpläne untersucht und ein nachhaltiges Des-           Auf den folgenden Seiten dürfen wir Ihnen einen Einblick in
tinationsmanagement daraus abgeleitet. Die von FH Salzburg           die Ergebnisse unseres Projektes geben. Diese sollen dazu
und JKU durchgeführten Gästebefragungen und Zielgruppen-             beitragen, einen nachhaltigen Qualitätstourismus zu fördern
analysen lieferten wesentliche Erkenntnisse aus Perspektive          und ihn als langfristige Erfolgsstrategie im Alpenraum zu ver-
der Urlauber*innen. In den partizipativ angelegten Workshops         ankern.
mit Bevölkerung, Unternehmer*innen und Mitarbeiter*innen

            Dr. Mario Jooss, Mag. Markus Müllegger                                  Dr.in Herta Neiß, Dr. Andreas Praher
                         FH Salzburg                                                                 JKU

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Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Der Alpenraum als
Untersuchungsgegenstand
Die Alpen zählen zu den wichtigsten Tourismusregionen der Welt. Der geschätzte Wirtschaftsertrag
des Tourismus im Alpenraum beträgt jährlich 50 Milliarden Euro, wobei 80 % auf den Winter entfallen
und 20 % auf den Sommer. Rund 95 Millionen Mehrtagesgäste und 60 Millionen Tagesgäste zieht es
jährlich in die europäische Gebirgsregion, welche von 14 Millionen Menschen bewohnt wird. Allein
diese Daten erklären die Notwendigkeit eines nachhaltigen Tourismus im Alpenraum.

Die Alpen verbinden als grenzüberschreitender Natur- und                                           Rund 14 Millionen Menschen bewohnen derzeit den Alpenraum,
Kulturraum seit Jahrhunderten Menschen unterschiedlicher                                           der sich über acht europäische Staaten erstreckt. Hinzu kom-
Regionen und Länder. Sie bilden nicht nur einen gemeinsamen                                        men rund 155 Millionen Gäste, die Sommer wie Winter die Alpen
Arbeits- und Lebensraum, sondern für Bewohner*innen wie                                            frequentieren (Bragin & Spiegel, 2021). Allein in Österreich hat
Gäste Rückzugs- und Sehnsuchtsorte. Die Auseinandersetzun-                                         sich die Zahl der Ankünfte seit Ende der 1950er Jahre verdrei-
gen rund um einen Tourismus in alpinen Regionen waren seit                                         facht und mit den 2000er Jahren die 20-Millionen-Marke durch-
dem ausgehenden 19. Jahrhundert von Diskussionen der tou-                                          brochen (Meixner, 2006) – Tendenz, abgesehen von den letzten
ristischen Übernutzung geprägt (Sandgruber, 2003), lange be-                                                                           Krisenjahren aufgrund von
vor der Massentourismus in die Gebirgstäler und der Begriff der                                    Mit dem Ende der Agrargesell-       COVID-19, steigend. Zu den
Nachhaltigkeit (engl. sustainability) in der Tourismusforschung                                    schaften und dem Entstehen          Herausforderungen im ge-
Einzug hielten. Mit dem Ende der Agrargesellschaften und dem                                       von Dienstleistungsgesell-          genwärtigen Alpentouris-
Entstehen von Dienstleistungsgesellschaften im westlichen Eu-                                      schaften im westlichen Europa       mus gehören daher vor al-
ropa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte in den Alpen                                      nach dem Ende des Zweiten           lem ein nachhaltiges und
ein tiefgreifender Wandel ein. Neue Nutzungsformen, darunter                                       Weltkriegs setzte in den Alpen      strategisches Destinations-
die verstärkte Freizeit- und Tourismusnutzung und eine damit                                       ein tiefgreifender Wandel ein.      management, welches die
einhergehende Verstädterung, veränderten ganze Täler, hinter-                                                                          natürlichen und kulturellen
ließen massive Spuren in der Landschaft und hatten zugleich                                        Ressourcen schont, sodass diese für künftige Generationen
soziokulturelle Auswirkungen (Tappeiner et al, 2006; Hoffmann                                      erhalten bleiben. Der kommerzielle Erfolg der Tourismuswirt-
& Luger, 1997) – Auswirkungen, die bis in die Gegenwart fort-                                      schaft steht dabei der Erhaltung natürlicher und kultureller Le-
dauern und das Erwerbs- und Zusammenleben der Menschen                                             bensräume nicht kontradiktorisch gegenüber, sondern ist integ-
prägen.                                                                                            raler Bestandteil eines nachhaltigen Qualitätstourismus.

1900                                                                                          1960-70                                                          2000

                                                                                Ende der traditionellen Nutzung

                             Traditionelle Landwirtschaft                                                            Neue Nutzungsformen
                                                                                         Demographische
                                                                                           Änderungen

                    Grasland – lichter Wald – Äcker                                                 Verbuschung – lntensivkulturen – Freizeitnutzung – Verstädterung

Änderungen der Landnutzung in den Alpen im 20. Jahrhundert (nach Larinier, 2001 & Cheylan, 2003)

4                                                                                                                                             Qualitätstourismus Alpenraum
Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
1.
                                                                                               Analyse
                                                                                            Destinations-
                                                                                            management-
                                                                                              konzepte

                                                                          4.                     5.                      2.
Das Projekt und die Arbeitspakete im Detail                             Analyse              Kongresse              Gäste- und
                                                                    Besucherströme/         und Wissens-           Zielgruppen-
                                                                        Mobilität             transfer              befragung
Das EU-Interreg-Projekt „Qualitätstourismus Alpenraum“ hat sich
zum Ziel gesetzt, Antworten darauf zu finden, um eine nachhalti-
ge Entwicklung des Alpenraums voranzutreiben. Das gemeinsame
Setting ist der deutsch-österreichische Alpenraum mit unter-                                      3.
schiedlichen regionalen Ausprägungen. Dieser bildet anhand der                                Workshops
                                                                                            in den Modell-
drei Destinationen Wagrain-Kleinarl, Berchtesgaden und Wolf-                                                     Arbeitspakete
                                                                                               regionen
gangsee den konkreten Untersuchungsgegenstand im Kontext                                                         im Projekt
eines nachhaltigen Qualitätstourismus.

Die Erarbeitung von grenzüberschreitenden Modellen, begleitet
durch intensive Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern
zur Weiterentwicklung von Destinationsmanagementkonzep-            Wolfgangsee ein hochwertiges Projektkonsortium. Die Arbeits-
ten ist Kernstück des Projektes. Aus dieser Zusammenarbeit in      weise kann als klassisches Teamwork beschrieben werden,
unterschiedlichen Arbeitspaketen wurden Leitlinien abgeleitet,     zwischen Wissenschaftspartner*innen auf der einen Seite und
die Tourismusverbände unterstützen sollen, saisonale Spitzen-      Praxispartner*innen auf der anderen Seite. Neben einer umfas-
belastungen besser zu verteilen und Gästenächtigungen in           senden Literaturrecherche und Desktop Research kamen unter
Nebensaisonen zu erhöhen. Gleichzeitig sollen die Leitlinien als   Zuhilfenahme von verschiedenen Methoden auch Workshops mit
konkret formulierte Maßnahmen einen ressourcenschonenden           Tourismus-Stakeholdern sowie der Bevölkerung, quantitative
und energieeffizienten Umgang mit natürlichen und kulturellen      Gäste- und Zielgruppenbefragungen sowie Analysen von Besu-
Ressourcen von Destinationen ermöglichen. Damit leistet das        cher*innenströmen mittels Mobilfunkdaten zum Einsatz. In allen
Projekt einen wichtigen Beitrag zu den jeweiligen Tourismus-       durchgeführten Arbeitspaketen war die grenzüberschreitende
strategien und Politikbereichen der Projektregionen.               Perspektive und Kooperation, bezogen auf den deutsch-öster-
                                                                   reichischen Alpenraum, ein immanenter Bestandteil der Projekt-
Ein interdisziplinäres Team, bestehend aus wissenschaftlichen      arbeit. Dies äußerte sich auf zwei Ebenen, der inhaltlich-theo-
Mitarbeiter*innen der Fachhochschule Salzburg, der Johannes        retischen Arbeit einerseits und der praktisch-kooperativen
Kepler Universität Linz (JKU) und der Salzburg Research For-       Zusammenarbeit in Form von gemeinsamen Arbeitstreffen, par-
schungsgesellschaft, bildete gemeinsam mit Partnern aus den        tizipativen Workshops, Fachkongressen und diversen Kommuni-
Tourismusverbänden Wagrain-Kleinarl, Berchtesgaden und             kationsaktivitäten andererseits.

Zum Projekt                                                                                                                       5
Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Für die vom Tourismus geprägten Regionen in Bayern, Salzburg         identifizieren, die einen zukunftsfähigen Qualitätstourismus er-
und Oberösterreich ist es von zentraler Bedeutung, dass sie dauer-   möglichen und sowohl von der Tourismuswirtschaft mitgetragen
haft Orte eines „guten Lebens“ für Einwohner*innen bleiben und       werden, als auch bei der einheimischen Bevölkerung Akzeptanz
gleichzeitig gern bereiste Destinationen für Gäste darstellen. Da-   finden. Die inhaltlichen Arbeitspakete wurden daher anwendungs-
her war es im Rahmen des Projektes wichtig, Erfolgsfaktoren zu       bezogen gestaltet und durchgeführt.

                    1. Destinationsmanagementanalyse (SWOT-Analyse)
                    In einer klassischen SWOT-Analyse von Destinationsmanagementplänen wurden die regionsspezifischen Stär-
                    ken, Schwächen, Chancen und Risiken der drei Tourismusdestinationen Berchtesgaden, Wagrain-Kleinarl und
                    Wolfgangsee untersucht und daraus Handlungsfelder abgeleitet.

                    2. Gäste- und Zielgruppenbefragungen
                    Die für alle drei Projektregionen 2021 von der JKU durchgeführte Gästebefragung gab Aufschlüsse über die
                    Erwartungshaltungen der Urlauber*innen im Hinblick auf einen nachhaltigen Tourismus im Alpenraum. Als Pilot-
                    studie fanden schon im Sommer 2020 zwei voneinander unabhängige Zielgruppenbefragungen durch die FH
                    Salzburg und die JKU statt. Diese untersuchten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Urlaubsverhal-
                    ten. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden in der Fachzeitschrift „Tourismus Wissen Quarterly” veröffent-
                    licht (Neiß & Praher, 2020); (Müllegger, Jooss, & Brucker, 2020).

                    3. Partizipative Workshops
                    In Workshops mit Stakeholdern und Einheimischen aus den drei beteiligten Tourismusdestinationen wurden
                    konkrete Maßnahmen für die Modellregionen diskutiert und für die Entwicklung einer gemeinsamen Tourismus-
                    strategie aufgegriffen.

                    4. Analyse von Mobilitäts- und Bewegungsdaten (Besucher*innenströme)
                    Ebenso wie die Gäste- und Zielgruppenperspektive, wurden auch die Besucher*innenströme in den Projekt-
                    regionen analysiert. Die Untersuchung erfolgte mittels anonymer Auswertung von Mobilfunkdaten und wurde
                    von der Salzburg Research Forschungsgesellschaft durchgeführt. Neben der Analyse sollten auch Ansätze
                    für eine Besucher*innenstromlenkung im Sinne einer nachhaltigen touristischen Mobilität
                    entwickelt werden, die sich an Anreizmethoden (Stichwort „Nudging“) orientieren. Die Er-
                    gebnisse sind über Anfrage bei der Salzburg Research Forschungsgesellschaft erhältlich.
                    https://www.salzburgresearch.at/

                    5. Kongresse und Wissenstransfer
                    In zwei Fachkongressen (Wagrain-Kleinarl und Berchtesgaden) wurden die Ergebnisse aus den Arbeitspaketen ge-
                    meinsam mit Fachvorträgen von Expert*innen breit diskutiert und einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt.

In allen Arbeitspaketen wurde der geografische Projektraum stets     Unterschiede bezogen auf Stärken, Schwächen und Herausforde-
als eine grenzüberschreitende Region (Salzburg-Bayern-Ober-          rungen einer modernen und nachhaltigen touristischen Destina-
österreich) behandelt und analysiert. Der Mehrwert, der dadurch      tionsentwicklung. n
entstanden ist, liegt in der Erkenntnis der Gemeinsamkeiten und

6									                                                                                                       Qualitätstourismus Alpenraum
Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Gelebte
Nachhaltigkeit:
Die Partnerregionen
stellen sich vor

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Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Bewusstes Reisen:
Zeit für Berchtesgaden

Berchtesgaden im südöstlichen Zipfel Oberbayerns zählt zu den imposantesten Bergregionen Europas – und steht als Ur-
laubsziel hoch im Kurs. Dabei hat sich die Region mit dem bundesweit einzigen alpinen Nationalpark rund ums weltberühmte
Duo Watzmann und Königssee dem nachhaltigen und bewussten Reisen verschrieben. Das heißt: Zeit zum Bergaufwandern
und Innehalten, Zeit für Panoramaaufnahmen und Entdeckungen, Zeit, den Charme stolzer Gastgeber zu entdecken.

Er ist weltberühmt und erstreckt sich mit seinem glasklaren        Produzent*innen sind das Salzbergwerk, die beiden Lederho-
Wasser wie ein Fjord durch den Nationalpark Berchtesgaden:         senmacher und die Enzianbrennerei.
Seit mehr als 100 Jahren fahren am Königssee Gäste aus-
schließlich mit E-Booten hinüber zur barocken Wallfahrtskirche     Nicht nur die „Alpine Perle“ Berchtesgaden und das Bergsteiger-
mit den roten Zwiebeltürmen. Hoch über ihnen leben Steinad-        dorf Ramsau stehen für bewusstes Reisen: Tief im Berg die Luft
ler, Hirsche, Murmeltiere und unzählige Pflanzenarten, die sich    des Salzheilstollens inhalieren, mit dem Ruderboot über den Hin-
rund um König Watzmann (2.713 m) ungestört entwickeln.             tersee gleiten, mit dem (E-)Bike neue Wege entdecken und nicht
                                                                   zuletzt mit dem Rucksack geschultert aus eigener Kraft unzählige
Auch nur selten lassen sich die Kühe auf den Almen stören. Die-    Gipfel erobern. Oder nur einen einzigen. Und spüren, dass die Re-
se sind beispielhaft für den hohen Anspruch der Bergbauern         gion zu Füßen des Watzmanns weit mehr ist, als eine Foto-Kulisse.
und Bergbäuerinnen, ihre Höfe
und die jahrhundertealte Kultur-       Die Region zu Füßen des     Im historischen Markt Berchtesgaden schlendern Gäste vorbei
landschaft zu erhalten. Unter-        Watzmanns ist weit mehr      am Königlichen Schloss, gepflegten Bürgerhäusern, liebens-
stützt von der Biosphärenregion           als eine Foto-Kulisse.   werten Läden und einladenden Wirtshäusern. An kirchlichen
Berchtesgadener Land entwi-                                        Feiertagen und zu großen Festen werden sie Zeugen authen-
ckelt sich seit Jahren ein rundes Angebot regionaler Produkte:     tisch gelebter Traditionen. Übrigens: Auch Gäste willkommen
Vom Almkäse über Lammsalami und Gamsgulasch bis zu hand-           zu heißen, ist hier Tradition, ab dem Ende des 18. Jahrhunderts
geschmiedeten Messern. Besonders bekannt unter den lokalen         entdeckten die ersten Sommerfrischler Königssee & Co. n

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Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Nachhaltigkeit in Wagrain-Kleinarl
Regionalität sowie Nachhaltigkeit rücken in Wagrain-Kleinarl immer mehr in den Mittelpunkt. Daher
entwickelt die Tourismusregion in den kommenden Monaten eine mit Menschen aus der Destination abge-
stimmte Agenda zum Thema Nachhaltigkeit und verabschiedete bereits ihr Nachhaltigkeitsleitbild.

Mit diesem Leitbild will sich die gesamte Region gemeinsam den            Online „Griaß di“ sagen
Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringen wird,             Das Zwischenmenschliche, das die Gäste vor Ort sofort spüren und
stellen und Lösungen daraus ableiten, die die Balance zwischen            das ihnen vom Beginn ihres Aufenthaltes an das Gefühl gibt, „Ein-
dem notwendigen Schutz und der sinnvollen Entwicklung für das             heimische auf Zeit“ zu sein, wird von Wagrain-Kleinarl Tourismus
Tal schaffen. Nachhaltigkeit soll in Wagrain-Kleinarl ein sichtbarer      digital und ortsunabhängig erlebbar gemacht. Wie das geht? Die
und selbstverständlicher Teil des (touristischen) Lebens sein.            neue Winterkampagne bricht mit Werbeklischees. Wir haben uns
Im ersten Schritt werden sämtliche Betriebe, die sich bereits mit         entschlossen, nicht mehr zu werben, sondern Charakter zu zeigen.
Nachhaltigkeit beschäftigen, vor den Vorhang geholt, um den               Konsequent rücken wir die Menschen, die in Wagrain-Kleinarl le-
Gästen eine Orientierungshilfe zu den nachhaltigen Angeboten zu           ben, ins Bild, tauchen situativ in ihre Welt ein und lassen sie selbst
geben.                                                                    erzählen. Solche Begegnungsmomente geben einem das Gefühl,
Wagrain-Kleinarl will die erste Destination in Österreich sein, die mit   live dabei zu sein. Kommt man in Wagrain-Kleinarl an, dann kennt
der vom GSTC (global sustainable tourism council) akkreditierten          man sich schon. Die Gäste kehren in ihre „Urlaubsheimat“ zurück.
Zertifizierung von Green Destinations auditiert wird.                     Das nennen wir echte Pongauer Begegnungsqualität. n

Im Zuge dieser Zertifizierung
n bauen wir ein nachhaltiges Managementsystem auf,

n entwickeln wir ein Nachhaltigkeitsleitbild,

n kommunizieren und entwickeln wir konkrete Nachhaltigkeits-

   projekte und
n bauen wir ein responsives System auf, sodass alle Interessierten

   ihren Input geben können.                                              Wir haben uns
n Darüber hinaus unterstützen wir unsere touristischen Betriebe           entschlossen,
   dabei, sich selbst auf den Nachhaltigkeitsweg zu begeben, und          nicht mehr zu
n arbeiten mit allen Nachhaltigkeitsakteur*innen der Region zu-           werben, son-
   sammen - von den Gemeinden (mit Schulen, Kindergärten etc.)            dern Charak-
   über die touristischen Betriebe bis hin zu unseren Gästen!             ter zu zeigen.

Gelebte Nachhaltigkeit: Die Partnerregionen stellen sich vor                                                                                   9
Alpenraum Qualitätstourismus - JKU
Wolfgangsee - See der Emotionen

„Ich habe noch keinen See gesehen unter den vielen Seen, die            Qualität – nicht nur Zeichen der Zeit
ich sah, der so viel Zartes und so viel Großes in einer so glück-
                                                                        Qualität bei der Infrastruktur, aber auch im Bereich der Suprastruk-
lichen, so wahrhaft ästhetischen Harmonie in sich vereinte.“
                                                                        tur wird hier groß geschrieben – und das seit Jahrzehnten. Der Wolf-
                                                                        gangsee weist mit über zweitausend 4*S- und 4*-Betten die höchste
                                                                        Dichte an Qualitätsbetten im gesamten Salzkammergut auf.
Das schrieb der Arzt und Reiseschriftsteller Joseph August Schul-       In den Fokus des modernen Urlaubers kommen zunehmend Ange-
tes vor über 200 Jahren über den Wolfgangsee. Pilger*innen holten       bote im kulinarischen Bereich. Nicht nur die Küche ist hier gefragt,
sich bereits im Mittelalter von hier Kraft und Mut für ihr Leben. Bis   sondern auch die Produzent*innen treten verstärkt vor den Vorhang.
heute hat sich an dieser Grundeinstellung nichts geändert.              Unternehmer*innen am Wolfgangsee tragen diesem Wunsch Rech-
                                                                        nung: Europaweit prämierter Schafskäse wird hier produziert oder
Der Wolfgangsee ist in eine unvergleichliche Landschaft eingebet-       auch einzigartiges See-Sushi, natürlich mit fangfrischem Fisch aus
tet und die Menschen – sowohl die Bewohner*innen als auch die           dem Wolfgangsee. Mit Kräutern und deren Geheimnissen beschäftigt
Gäste – finden hier Kraft, Ruhe und Harmonie.                           sich das Kloster Gut Aich – und Destillerien rund um den Wolfgangsee
                                                                        produzieren prämierte hochprozentige Destillate und Gin-Produkte.
Gastfreundschaft wird hier im ursprünglichen Sinn gepflegt. Die         Lieder und Landschaften sind es, die in uns oft unbeschreibliche
Gäste sollen sich wie König*innen fühlen und dafür wird viel getan.     Hochgefühle auslösen, die der Verstand nicht erklären kann. Wir
Die Infrastruktur wird ständig verbessert, das Angebot erweitert.       leben von solchen Hochgefühlen oder Emotionen, die das Leben
Die neue Seilbahn auf das Zwölferhorn ist ein Beweis dafür und die      erst spürbar machen.
umfangreichen Investitionen bei der Schafbergbahn, der steilsten        Wir nennen den Wolfgangsee den „See der Emotionen”, weil hier an-
Zahnradbahn Österreichs, ebenfalls. Die Wellen des Wolfgangsees         dauernd dieses Gefühl angesprochen wird und der Verstand sich
warten auf ihre Gäste, um sie zu entspannen und zu beleben.             ausruhen darf. n

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Nachhaltigkeit im
Tourismus
Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren vom Nischenthema zum Trend entwickelt, der alle
gesellschaftlichen Felder umfasst und durchzieht. Im Tourismus entwickelten sich die ersten
Ideen und Konzepte parallel zu der rasanten Entwicklung, die dieser in den Jahrzehnten nach
dem Zweiten Weltkrieg durchmachte. Die Alpenländer nahmen hier eine zentrale Rolle ein.

                                                                                                11
Mit der zunehmenden touristischen Erschließung von alpinen             im Speziellen geworden. Es schafft Orientierung in schwierigen
Gebieten und der Entstehung von Destinationen als Wettbe-              Gemengelagen und ermöglicht, diese einer verantwortungsvollen
werbs- und Geschäftseinheiten (Bieger & Beritelli, 2013) trat der      Bewältigung zuzuführen. Neben dem Erhalt von Ressourcen ver-
Tourismus auch als Massenphänomen in Erscheinung. Die öko-             spricht es vor allem auch eine Verbesserung der Lebensqualität
nomischen und sozialen Impacts dieser Entwicklung sind gra-            aller. Dieser Transformation des Denkens und Handelns in Rich-
vierend: Der Tourismus brachte Arbeitsplätze, Infrastruktur und        tung einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise stellen
Wohlstand in einem nie zuvor dagewesenen Ausmaß in ländliche           sich allerdings nicht selten die sogenannten „Mühen der Ebene“
und vormals strukturschwache Gebiete. Gleichzeitig gab es aber         bei der praktischen Umsetzung in den Weg: Denn es braucht viel
von Beginn an auch kritische Stimmen, die das ökologische und          Überzeugungsarbeit und immer wieder müssen Widerstände über-
soziale Gleichgewicht in den sensiblen alpinen Lebensräumen            wunden und nicht selten auch Dinge auf den Kopf gestellt werden.
gefährdet sahen. Mittlerweile hat die internationale Tourismus-
branche ihren vorläufigen Peak im Jahr 2019 (dem Jahr vor Coro-        Doch der „Aufwand“ lohnt sich: Mittlerweile weiß man, dass jene
na) erreicht: 1,4 Milliarden internationale Ankünfte weltweit, 496     Destinationen und Betriebe, die sich nachhaltig ausgerichtet
Millionen Nächtigungen in Beherbergungsbetrieben in Deutsch-           haben, besser und resilienter durch die Corona-Krise kamen als
land und knapp 153 Millionen in Österreich waren historische           andere. Auch aufseiten der Gäste rückt Nachhaltigkeit immer
Rekordwerte (UNWTO, 2019), (Statistisches                                                    stärker ins Bewusstsein. Alle im Projekt
Bundesamt, 2020), (Statistik Austria, 2020).        Auch auf Seite der Gäste rückt           durchgeführten Befragungen zeigen, dass
Wie es mit dieser Entwicklung weitergeht            Nachhaltigkeit immer stärker             die überwiegende Mehrheit (bis zu 90 %)
bzw. ob und wo sie an Grenzen stößt, wa-            ins Bewusstsein. Alle im Projekt         der befragten Gäste mehr Nachhaltigkeit im
ren schon vor Corona drängende Fragen im            durchgeführten Befragungen               Alpentourismus wünscht und einfordert.
Tourismusdiskurs und haben seitdem zu-              zeigen, dass die überwiegende
sätzlich an Relevanz gewonnen.                      Mehrheit (bis zu 90 %) der               Der Weg dorthin ist jedoch weder vorge-
                                                    befragten Gäste mehr Nach-               geben noch strikt systematisier- oder gar
Wissenschafter*innen im Bereich der Touris-         haltigkeit im Alpentourismus             uniformierbar. Zwar bieten Leitfäden und
musforschung wie Rachel Dodds und Richard           wünscht und einfordert.                  Indikatorenhandbücher eine breite Wissens-
Butler (2019) sind der Ansicht, dass Destina-                                                basis und konkrete, auch operationalisier-
tionen zwangsläufig an einen Punkt kämen, an dem sich konven-          bare Anhaltspunkte. Doch letzten Endes braucht es einen jeweils
tionelle Strategien leerlaufen oder an ihren (unbeabsichtigten)        individuellen Schulterschluss aller relevanten Akteur*innen. Das
negativen Folgen scheitern würden. Bevor dieser Punkt eintritt,        Schlüsselwort in diesem Zusammenhang lautet „Authentizität“.
muss eine grundlegende Adaption in Richtung eines neuen, im            In allen Untersuchungen des Projektes bestätigte sich die The-
buchstäblichen Sinne nachhaltigen, Konzeptes erfolgen. Der             se, dass gemeinschaftlich geteilte, aus eigenem Antrieb heraus
Kern des touristischen Nachhaltigkeitsgedankens besteht dar-           motivierte Handlungen eine notwendige Voraussetzung sind, um
in, die ökonomischen und kulturellen Vorteile des Tourismus zu         Nachhaltigkeitsvorhaben aller Art erfolgreich umzusetzen. Ohne
maximieren und die negativen Auswirkungen, vor allem auf die           emotionale Verbundenheit der relevanten Akteur*innen und die
Umwelt – etwa durch Verkehr und Emissionen oder Übernutzung            Entschlossenheit, einen eigenständigen und authentischen Weg
von Ressourcen –, aber auch auf das soziokulturelle Gleichge-          zu gehen, bleiben touristische Nachhaltigkeitskonzepte meist
wicht möglichst zu minimieren (Global Sustainable Tourism Council,     oberflächlich und zahnlos. Mindestens genauso wichtig ist die
2021). Auch wenn die Beurteilung dieser Herausforderungen entlang      Bereitschaft, Erwartungshaltungen hinsichtlich dessen zu hin-
verschiedener Interessenslagen kontroversiell verläuft, so lässt sich  terfragen, was eine Destination repräsentieren soll. Gerade in
eines feststellen: Debatten über den Tourismus und seine               den Alpen prägen romantisierende und „retrotopische“ Klischees
Auswirkungen auf Menschen und Umwelt werden zunehmend von              (Baumann, 2017) den Vorstellungshorizont der Gäste und werden
einer breiten Öffentlichkeit geführt. Sie knüpfen immer häufiger       in den Angeboten der Tourismuswirtschaft fortlaufend adres-
an ganz grundlegende und umfassende Auseinandersetzungen               siert und stabilisiert. Damit aber ist jener Raum, für dessen Zu-
mit der Gegenwartsgesellschaft und den wirtschaftlichen, sozio-        kunft ein nachhaltiger Tourismus Entwicklungsbeiträge liefern
kulturellen, politischen und ökologischen Auswirkungen an. Dabei       sollte und könnte, in festgefügten Bildern eingefroren (Badura,
rücken vor allem auch solche Perspektiven ins Zentrum, die für         2019). Hier ist eine Öffnung des Tourismus gegenüber den viel-
den Tourismusdiskurs bis dato nicht zentral waren, wie etwa Ge-        schichtigen Anforderungen und Ansprüchen des Gemeinwesens
rechtigkeitsfragen oder Klimaschutz. Vor diesem Hintergrund ist        sowie gegenüber neuen Formen der Kollaboration zentral. Der
das Konzept der Nachhaltigkeit zu einem Leitmotiv für die gesell-      Leitgedanke sollte sein, dass Destinationen einen „multifunktio-
schaftliche Entwicklung im Allgemeinen und die des Tourismus           nalen Lebens- und Wirtschaftsraum“ (Bätzing, 2002) darstellen,

12									                                                                                                      Qualitätstourismus Alpenraum
welcher den Tourismus zwar als ökonomisches Zugpferd braucht        erhalten bzw. zu fördern. Dieses Ziel der Vernetzung des Touris-
und dementsprechend wertschätzt, der aber in enger Verbindung       mus mit anderen wirtschaftlichen Aktivitäten, natürlichen Res-
mit den anderen lokalen und regionalen Sektoren wie Landwirt-       sourcen und „menschlichen Leidenschaften“ verfolgt z. B. auch
schaft, Handwerk, Gewerbe und weiteren Dienstleistungen steht.      die EUSALP (EU Strategy for the Alpine Region, EUSALP, 2020) in
Die Alpen sollen demnach nicht bloßer Freizeitraum werden,          ihrer Mission. Mit ihr gab es einen intensiven Austausch im Zuge
sondern es braucht eine „ausgewogene Doppelnutzung“ (ebd.),         der Projektumsetzung. n
um sie auch als authentische Lebens- und Wirtschaftsräume zu

Stationen der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit steht in ihrer Entwicklung im direkten Zusammen-     Sinne so reguliert werden kann, dass der Planet auch für künf-
hang mit der wachsenden Sensibilisierung für die Umweltfolgen       tige Generationen bewohnbar bleibt. Ein für die heutige Debatte
menschlichen Handelns. Symbolische Stationen dieses Diskur-         – auch mit Blick auf den Tourismus – relevanter Entwicklungs-
ses waren 1962 das Erscheinen von Rachel Carsons „Silent Spring“    schritt war schließlich jener der Definition der „Sustainability
(Carson, 1962), der 1972 vom Club of Rome präsentierte Bericht      Development Goals“ (SDG) der Vereinten Nationen (UN) im Jahr
„Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows, 1972), der 1987 präsen-       2015, die heute weithin als normative Referenz im politischen
tierte „Brundtland-Bericht“ und die „Rio-Konferenz“ der Vereinten   und gesellschaftlichen Zukunftsdiskurs herangezogen werden
Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992 (Grober, 2010). Car-      (United Nations, 2021). Im Zuge der von den Vereinten Nationen
sons Sachbuch „Silent Spring“ wird häufig als Ausgangspunkt         formulierten Ziele der nachhaltigen Entwicklung wurde auch die
der weltweiten Umweltbewegung gesehen, die sich vor allem           soziokulturelle Dimension wichtiger und es kam zudem zu einer
in westeuropäischen Staaten und den USA in einer Protestbe-         verstärkten Verschränkung von Umwelt- und Gerechtigkeitsfra-
wegung artikulierte. In dieser Phase lag der Fokus der Debat-       gen, indem Themen wie Bildung, Demokratisierung und Wohl-
te ausschließlich auf Umweltthemen, also der Frage, wie der         standsverteilung in das Konzept der nachhaltigen Entwicklung
menschliche Umgang mit natürlichen Ressourcen im weitesten          integriert wurden. n

Nachhaltigkeit im Tourismus                                                                                                       13
Nachhaltigkeitsmodelle
Die folgenden gängigen Nachhaltigkeitsmodelle zeigen die Verschränkung der
gesellschaftlichen Bereiche auf unterschiedliche Weise:

                      Nachhaltigkeit                                                               Soziales

                                                                                                                                             Quellen: eigene Darstellung, zit. nach (Batz , 2021)
     Ökonomie

                              Ökologie

                                                      Soziales

                                                                                 Ökologie                        Ökonomie

                                                                                                       Nachhaltigkeit
3-Säulen-Modell                                                              Integratives Modell

Das 3-Säulen-Modell ist das bekannteste Nachhaltigkeitsmodell.               Im Unterschied zum 3-Säulen-Modell wird hier die
Es stellt die drei Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales als              Nachhaltigkeit als Schnittmenge von drei Kreisen dar-
jeweils gleichwertige Bereiche (Säulen) dar, sie sind in ihrer Größe         gestellt, um den zahlreichen Wechselwirkungen und Ab-
und ihrem Abstand zueinander absolut ident. Jede Säule trägt in              hängigkeiten zwischen den Bereichen Wirtschaft, Öko-
gleicher Weise zum Gleichgewicht bei. Dieses ist notwendig, um               logie und Soziales Rechnung zu tragen.
das Dach der Nachhaltigkeit zu tragen.

Vorrangmodell
                                                                                                      Ökologie
Das Vorrangmodell geht davon aus, dass der Bereich der ökologischen Nach-
haltigkeit vor den anderen kommt. Der Grundgedanke ist folgender: Ohne Natur
und ein funktionierendes Ökosystem ist keine Gesellschaft lebensfähig und kein
                                                                                                      Soziales
                                                                                                                                             Quelle: eigene Darstellung, zit. nach (Patentnr. CC BY-SA 4.0)

Wirtschaften möglich. Eingebettet in ein gesundes Ökosystem steht eine stabi-
le, demokratische und gerechte Gesellschaftsform (soziale Nachhaltigkeit) noch
vor der ökonomischen Nachhaltigkeit, denn ohne soziale Stabilität kann auch
kein Wirtschaftssystem funktionieren.
                                                                                                      Ökonomie
Wie diese Auswahl zeigt, gibt es weder ein einheitliches Begriffsverständnis,
noch eine allgemeine Definition von Nachhaltigkeit. In der Projektumsetzung
wurde hauptsächlich das 3-Säulen-Modell und die Definition der Welttourismus-
organisation UNWTO eines nachhaltigen Tourismus als gemeinsamer Referenz-
rahmen herangezogen: „Es ist ein Tourismus, der den derzeitigen und zukünftigen ökonomischen, soziokulturellen und ökologischen
Auswirkungen umfassend Rechnung trägt und dabei die Bedürfnisse der Gäste, der Tourismuswirtschaft, der Umwelt sowie der heimi-
schen Bevölkerung berücksichtigt“ (UNWTO, 2005). n

14                                                                                                            Qualitätstourismus Alpenraum
Nachhaltigkeitscheck
für Tourismusbetriebe
Um touristischen Dienstleiter*innen eine rasche und unkomplizierte Möglichkeit zur Bewertung der eigenen Nachhaltigkeitskompetenz
anzubieten, wurde im Rahmen des Projektes eine internetbasierte Anwendung entwickelt. Mithilfe dieses Online-Tools können Unter-
nehmen ihren Nachhaltigkeitsstatus ermitteln, eventuelle Problemfelder frühzeitig erkennen und geeignete Maßnahmen setzen.
Der Nachhaltigkeitscheck soll helfen, Prozesse und Abläufe in Unternehmen effektiver und effizienter zu gestalten sowie
Mitarbeiter*innen langfristig in die nachhaltige Entwicklung der Organisationen einzubinden.
Nachfolgend ein Auszug aus dem Fragenkatalog des Online-Nachhaltigkeitschecks für Tourismusbetriebe und Destinations-
managementorganisationen (DMOs). Sie finden diesen unter www.tourismus-nachhaltigkeitscheck.eu

Ökonomie
      Das Thema Nachhaltigkeit mit den drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales ist in unserer Unternehmensstruktur,
      unserem Leitbild und unserer Vision verankert.
      In unserem Betrieb gibt es eine für Nachhaltigkeitsthemen beauftragte Person mit ausreichend Kompetenz und Zeitressourcen.
      Wir kennen die verschiedenen Anspruchsgruppen (Stakeholder) in der Region und treten mit diesen regelmäßig in Kontakt, um
      ihre Interessen in den touristischen Entwicklungsprozess einzubinden.
      In unseren Kommunikationskanälen informieren wir aktiv und regelmäßig über relevante Aktivitäten, Projekte und Initiativen zur
      nachhaltigen Entwicklung unseres Betriebs.
      Wir unterstützen lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe, indem wir Produkte und Dienstleistungen lokal/regional beziehen.
      Unser Betrieb ist mit einem Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitslabel ausgezeichnet (z. B. Österreichisches Umweltzeichen für Tourismus,
      European Ecolabel etc.).
      Wir verfügen über Konzepte, um nachhaltige Mobilitätsformen für Gäste und/oder Mitarbeiter*innen zu fördern.

Ökologie
      Wir machen die biologische Vielfalt unserer Destination für Gäste erlebbar (z. B. durch entsprechende Produktbausteine und
      Kommunikationsmittel).
      In unserem Betrieb wurden Maßnahmen definiert, um Strategien zum Klimaschutz umzusetzen.
      Wir verfügen über eine Strategie, um unseren Energie- und Wasserverbrauch sowie unser Müllaufkommen zu reduzieren.
      Unsere Gebäude sind weitgehend klimaneutral (Verwendung von erneuerbarer Energie, Reduktion der CO 2-Emissionen).
      Wir achten bei Baumaßnahmen wie Sanierungen, Renovierungen, Zu- und Umbauten auf die Verwendung von nachhaltigen
      Baumaterialien (recyclebare Rohstoffe, energiearme Herstellung, möglichst lokale Bezugsquelle).

Soziales
      Unser Betrieb engagiert sich in sozialen, kulturellen oder ökologischen Projekten in der Region.
      Wir tauschen uns regelmäßig mit der ansässigen Bevölkerung aus und nehmen in unseren Entscheidungen auf ihre Interessen
      Rücksicht.
      Unser Betrieb bietet innerbetriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter*innen
      (z.B. innovative Mitarbeiterkonzepte, Optimierung der Dienstpläne, gezielte Weiterbildungs- und Mentoring-Programme).
      Wir bieten unseren Mitarbeiter*innen ein regelmäßiges Angebot an Schulungen und Weiterbildungen zu Nachhaltigkeits- und
      anderen Themen.
      Unser Betrieb bietet Chancengleichheit in Bezug auf Ausbildungs-, Weiterbildungs-, und Beschäftigungsmöglichkeiten unab-
      hängig von Herkunft, Ethnie, Alter, Glaube, sexueller Orientierung und Behinderung.
      Wir bieten familienfreundliche Arbeitsbedingungen und Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität der Beschäftigung über die
      gesetzlichen Bestimmungen hinaus.

Nachhaltigkeit im Tourismus                                                                                                          15
Nachhaltiger Qualitätstourismus aus Gästeperspektive:

     Destinations- und
     Zielgruppenanalyse

16                                                   Qualitätstourismus Alpenraum
Ein nachhaltiger, zukunftsfähiger Tourismus, welcher neben wirtschaftlichem Erfolg ebenso den Erhalt der natür-
lichen und kulturellen Ressourcen sowie soziale Gerechtigkeit im Blick hat, wird breit diskutiert und gefordert. Das
verlangt ein Umdenken und neue Herangehensweisen. Die Johannes Kepler Universität Linz (JKU) untersuchte in
diesem Kontext in einer Gästebefragung Erfahrungswerte und Erwartungshaltungen sowie das vorherrschende
Stimmungs- und Meinungsbild in den drei Projektregionen Berchtesgaden, Wagrain-Kleinarl und Wolfgangsee.

Alpine Tourismusdestinationen erlebten in den vergangenen Jahr-          Gäste betreffend eines Urlaubsaufenthaltes in den drei Tourismus-
zehnten eine gesteigerte Nachfrage, wobei ein nachhaltiges Ur-           destinationen. Um ein Stimmungs- und Meinungsbild im Kontext eines
laubserlebnis aus Gästeperspektive immer wichtiger und von einer         nachhaltigen Tourismus zu erhalten, wurden in der quantitativen Er-
wachsenden Anzahl an Menschen eingefordert wird. Nachhaltigkeit          hebung auch qualitative Fragestellungen berücksichtigt.
gewinnt damit nicht nur an gesellschaftlicher Bedeutung, sondern
wird zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor für touristische Destina-      Hoher Anteil an älteren Stammgästen aus
tionen. Diese werden in den kommenden Jahren gefordert sein, sich        touristischen Nahmärkten
den Veränderungen zu stellen, um im globalen Markt wettbewerbs-
fähig zu bleiben (Kirig, 2021). Laut einer von der JKU im Sommer 2020    Insgesamt nahmen 1.551 Personen an der Befragung teil. Die Ergeb-
durchgeführten Befragung wünschen sich 93 %, dass sich der Tou-          nisse zeigen, dass mehr als die Hälfte der befragten Urlauber*innen
rismus im deutsch-österreichischen Alpenraum vermehrt in Rich-           in den Regionen Berchtesgaden, Wagrain-Kleinarl und Wolfgang-
tung eines nachhaltigen Tourismus entwickeln sollte. Ebenso viele        see Stammgäste sind und mit 63 % mehrheitlich der Altersgruppe
gaben an, dass ein nachhaltiger Tourismus für sie bei der künftigen      50plus angehören, während die jüngere Gästeschicht unter 40 Jah-
Urlaubsplanung wichtig sei (Neiß & Praher, 2020). Für den langfristi-    ren mit 14 % anteilsmäßig wenig vertreten ist. Das Geschlechterver-
gen kommerziellen Erfolg einer alpinen Tourismusdestination wer-         hältnis ist mit 54 % männlichen und 46 % weiblichen Gästen nahezu
den demnach nicht mehr nur die Pistenkilometer ausschlaggebend           ausgeglichen. Der überwiegende Anteil der befragten Gäste kommt
sein oder die Anzahl der Wanderwege, sondern eine Tourismuskultur,       aus Deutschland und Österreich, also aus touristischen Nahmärkten.
die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und Arbeits- sowie Lebens-      Es ist daher davon auszugehen, dass diese die Destinationen sehr
bedingungen der Menschen gleichermaßen in den Blick nimmt. Der           gut kennen – nicht nur weil sie dort schon mehrmals auf Urlaub wa-
nachhaltige Umgang mit natürlichen und kulturellen Ressourcen wird       ren, sondern weil sie auch einen gewissen Bezug zu den Regionen
damit zu einem relevanten Faktor, der darüber entscheidet, wie zu-       haben. Auffallend ist, dass alle drei Regionen beim Gesamterlebnis
kunftsfähig eine Tourismusdestination ist.                               sehr gut abschneiden und über 80 % der Gäste mit dem touristischen
                                                                         Angebot zufrieden bis sehr zufrieden sind. Anders gesagt, verfügen
Die im Rahmen des Interreg-Projektes durchgeführte Gästebefragung        die drei Tourismusdestinationen über eine hohe Akzeptanz und
hat daher nachhaltige Tourismusindikatoren in den Blick genommen         werden in vielen Fällen öfter besucht. Auch bei der Frage nach dem
und diese abgefragt. Um detaillierte, regionsspezifische Informationen   generellen Nachhaltigkeitserleben werden die drei Regionen positiv
zu gewinnen, wurde eine Online-Gästebefragung in allen drei Projekt-     bewertet. Knapp zwei Drittel Gäste der Regionen Wolfgangsee (62 %)
regionen durchgeführt. Die auf diese Weise erhobenen Daten geben         und Berchtesgaden (65 %) beurteilen die Region als nachhaltig. In
Aufschluss über die Erfahrungswerte und Erwartungshaltungen der          Wagrain-Kleinarl nehmen 57 % die Region als nachhaltig wahr.

Nachhaltigkeitserlebnis nach Regionen                                       nachhaltig          wenig nachhaltig            nicht nachhaltig

Berchtesgaden                                                   64,7                                               26,0                9,3

Wagrain-Kleinarl                                                57,2                                               34,2                8,6

Wolfgangsee                                                      61,7                                              29,2                9,1

                                       0%   10 %       20 %       30 %      40 %      50 %      60 %       70 %      80 %       90 %     100 %

Destinations- und Zielgruppenanalyse                                                                                                         17
Naturnah und authentisch                                              auch die Region Wolfgangsee mit dem Landschaftsschutzgebiet
                                                                      Schafberg-Salzkammergutseen über ein Naturschutzgebiet ver-
Vor allem die Nähe zur Natur und die Authentizität erzielen mit bis   fügt. Gerade diese Schutzgebiete attestieren allen drei Regionen
zu 90 % sehr hohe Werte, wohingegen die Klimaverträglichkeit und      eine gewisse Naturnähe.
die soziale Verträglichkeit mit Werten um die 65 % weniger gut ab-
schneiden. Eine klare Mehrheit der Gäste (bis zu 90 %) nimmt die      Die Ausgewogenheit zwischen den unterschiedlichen Interessens-
Regionen als erholungsorientiert wahr. Das hat unmittelbar mit den    gruppen bei der touristischen Gestaltung und Entwicklung wird von
Naturräumen zu tun, die vielfach als intakt empfunden werden. Die-    über zwei Drittel der befragten Gäste als „sehr gut“ bis „gut“ beur-
se Ergebnisse, die auch aus einem qualitativen Teil der Befragung     teilt. Ebenso werden die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen in
gewonnen werden konnten, bei dem es um konkrete Einschätzun-          touristischen Betrieben von bis zu 84 % als „sehr gut“ bis „gut“ einge-
gen der Stärken ging, beweisen, dass der Erhalt von Naturräumen       stuft. Die hohen Werte spiegeln durchaus positive Erlebnisse wider,
im Alpenraum immanent ist für ein positives Erleben einer Touris-     die von den Gästen in Bezug auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter*in-
musdestination. Abgesehen von einer intakten Naturlandschaft,         nen gemacht worden sind.
können die drei Tourismusdestinationen bei ihren Gästen durch
die Verwendung von regionalen Produkten und Dienstleistungen          Diskrepanz beim touristischen Wachstum und Verkehr
punkten. Hier hat sich gezeigt, dass Angebote aus der Region nicht
nur von einer überwiegenden Mehrheit geschätzt, sondern diese         Eine erste Diskrepanz zeigt sich beim touristischen Wachstum.
von den Gästen mit über 80 % als äußerst positiv bewertet wer-        Hier entsprechen die Erfahrungen nicht den Erwartungen. 80 %
den. Auch die Qualität im Service und die Gastlichkeit werden mit     der Gäste in der Region Wagrain-Kleinarl erachten ein „angemes-
Werten um die 90 % als sehr hoch eingestuft. Im Zusammenhang          senes touristisches Wachstum“ für wichtig, doch nur 64 % beurtei-
mit der Servicequalität werden die allgemeinen Besucherinforma-       len dieses in der Region als tatsächlich angemessen. Ein ähnliches
tionen in den Regionen ebenfalls als äußerst positiv wahrgenom-       Bild ergibt sich in den beiden anderen Regionen Wolfgangsee und
men. Sie werden von bis zu 90 % der Gäste mit „sehr gut“ bis „gut“    Berchtesgaden. Während sich am Wolfgangsee 86 % der Gäste ein
bewertet. Das betrifft auch das Besuchermanagement an beliebten       angemessenes Wachstum wünschen würden, sehen dieses nur
oder überfüllten Orten, das in den Augen von mehr als zwei Drittel    68 % als erfüllt an. In Berchtesgaden beurteilen 60 % der Gäste
der Befragten sehr gut bis gut funktioniert.                          das touristische Wachstum als angemessen, während es für 74 %
                                                                      wichtig wäre.
Der Schutz und der Umgang mit den Naturlandschaften werden
von mehr als drei Viertel der Gäste als überaus ausreichend und       Einen gewissen Nachholbedarf gibt es bei der Erreichbarkeit der
schonend empfunden. Diese hohen Werte liegen mitunter auch            Urlaubsregionen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Mehr als ein
daran, dass sowohl Wagrain-Kleinarl als auch Berchtesgaden an         Drittel der Gäste erachtet die Öffi-Anbindung als „befriedigend“ bis
Nationalparkgebiete grenzen bzw. diese miteinschließen und dass       „nicht genügend“. Diese ist demnach noch ausbaufähig. Während

Wie naturnah ist die Region?                                                     nicht naturnah          wenig naturnah              naturnah

                                        3,0 %
Berchtesgaden                            4,8 %
                                                                                                                                       92,2 %

                                           6,5 %
Wagrain-Kleinarl                             8,0 %
                                                                                                                                85,5 %

                                         3,8 %
Wolfgangsee                               4,5 %
                                                                                                                                       91,7 %

                                 0%        10 %      20 %      30 %      40 %       50 %       60 %       70 %       80 %       90 %       100 %

18                                                                                                                  Qualitätstourismus Alpenraum
Wagrain-Kleinarl und die Wolfgangsee-Region über keine Bahnan-           Bei der Infrastruktur wird    bindung. Diese Erwartungshal-
bindungen verfügen, ist die bayerische Tourismusregion Berch-            nicht die touristische Quan-  tung ist ebenfalls für alle drei
tesgaden mit dem Zugendbahnhof an das öffentliche Bahnnetz               tität, sondern Qualität im    Regionen gleichermaßen gültig.
angeschlossen. Die Angebote an öffentlichen Verkehrsmitteln in           Alpenraum ein entscheiden-    Sowohl in Wagrain-Kleinarl als
der Region werden im Vergleich dazu von drei Viertel der Gäste als       des Erfolgskriterium sein.    auch in Berchtesgaden und am
relativ gut beurteilt, während gleichzeitig ein Viertel der Gäste die-                                 Wolfgangsee besteht der von
se als „befriedigend“ bis „nicht genügend“ einstuft. Als virulent wird   Gästen formulierte Wunsch nach einem besser funktionierenden
dahingehend das Angebot an alternativer Mobilität in der Region          öffentlichen Verkehrsangebot.
beurteilt. Über die Hälfte der Gäste vermisst zusätzliche alternative
Mobilitätsangebote.                                                      Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Regionen
                                                                         Berchtesgaden, Wagrain-Kleinarl und Wolfgangsee bereits in vie-
Besser statt mehr                                                        len Punkten als nachhaltig empfunden werden, sich aber aus den
                                                                         Bewertungen und Aussagen der Gäste sehr wohl Bereiche ergeben,
In einem qualitativen Teil der Befragung wurden nicht nur die            in denen ein gewisser Nachholbedarf besteht. So wird die Erreich-
Stärken der jeweiligen Regionen erhoben, sondern gleichzeitig,           barkeit der Tourismusdestinationen mit öffentlichen Verkehrsmit-
in welchen Bereichen die Gäste Verbesserungspotenziale sehen             teln in den nächsten Jahren darüber entscheiden, ob diese gerade
und was die Regionen konkret umsetzen sollten, um einen nach-            von einer jüngeren Gästeschicht aufgesucht werden oder nicht.
haltigen Qualitätstourismus zu gewährleisten. Die häufigsten             Gerade bei jungen Menschen im urbanen Lebensumfeld nehmen
Nennungen wurden quantitativ zusammengefasst und prozentu-               Führerscheinbesitz und Pkw-Besitz ab. Gleichzeitig steigen die
ell veranschaulicht. Die Ergebnisse lassen sich unter dem Schlag-        Rohstoff- und Treibstoffpreise. In diesem Kontext werden auch
wort „Besser statt mehr“ subsummieren. So sollte nach Meinung            alternative Mobilitätsangebote in den Regionen selbst eine Rolle
der befragten Gäste in Wagrain-Kleinarl die Hotel- und Skilift-Inf-      spielen. Dabei geht es nicht nur darum, den Gästen ausreichend
rastruktur nicht mehr weiter ausgebaut werden. Anstatt weiterer          Komfort anzubieten, um von A nach B zu kommen, sondern auch
Seilbahn- und Bettenkapazitäten besteht der Wunsch nach mo-              darum, die negativen Umweltauswirkungen zu reduzieren (Zech et
derner und ressourcenschonendender Infrastruktur. Diese wird             al., 2015). Darüber hinaus wird bei der Infrastruktur nicht die touris-
zwar von zwei Drittel der Gäste in allen Regionen als „sehr gut“ bis     tische Quantität, sondern Qualität im Alpenraum ein entscheiden-
„gut“ beurteilt, dennoch sieht ein Viertel bis ein Drittel hier Nach-    des Erfolgskriterium sein. Das ergibt sich nicht nur aus den Ergeb-
besserungsbedarf, welcher auch im qualitativen Befragungsteil            nissen dieser Befragung, wonach weiteres Wachstum in Form von
geäußert wird. Analog dazu sollte das aus Gästeperspektive oh-           Kapazitätserweiterungen von den Gästen durchaus kritisch gese-
nehin schon sehr gute Angebot an regionalen Produkten in allen           hen wird, sondern deckt sich auch mit Erkenntnissen der neueren
drei Regionen beibehalten bzw. noch weiter verbessert werden.            Tourismus- und Nachhaltigkeitsforschung. In anderen Worten: Die
Zusätzlich gefordert wird eine bessere öffentliche Verkehrsan-           Zukunft des Tourismus wird zur Qualitätsfrage. (Kirig, 2021). n

Wie authentisch ist die Region?                                             nicht authentisch          wenig authentisch          authentisch

                                            4,5 %
Berchtesgaden                                   8,2 %
                                                                                                                                      87,3 %

                                              7,5 %
Wagrain-Kleinarl                                  11,5 %
                                                                                                                             81,0 %

                                              6,4 %
Wolfgangsee                                      9,6 %
                                                                                                                                84,0 %

                                       0%     10 %       20 %     30 %      40 %       50 %       60 %       70 %       80 %      90 %         100 %

Destinations- und Zielgruppenanalyse                                                                                                            19
Impulse für einen
nachhaltigen Tourismus
In jeder der drei Partnerregionen wurden Workshops mit Tourismus-Stakeholdern und der einheimischen Bevölkerung durchgeführt, mit
dem Ziel, deren Sichtweisen in das Projekt einzubinden und Maßnahmen zu entwickeln, um die Regionen noch stärker als „lebenswerte
Destinationen“ zu positionieren. Nach einführenden Impulsvorträgen zu aktuellen Tourismusthemen wurden in durchmischten Arbeits-
gruppen Ideen zu den Themenbereichen Mobilität, Nachhaltigkeit, Lebensraum und Tourismusgesinnung erarbeitet. Ein weiteres Ziel der
Workshops war es, Personen über die eigene Region hinaus zu vernetzen und ein Bewusstsein für die gemeinsamen Herausforderungen
im grenzüberschreitenden Kontext zu schaffen. Alle in den Workshops entwickelten Ideen zeichnen sich durch eine hohe Praxisrelevanz
aus und dienen den Regionen als wertvolle Basis für die nachhaltige Weiterentwicklung Ihres Destinationsmanagements. n

                                         digitales Parkplatzmanagement

     nachhaltige Gestaltung des touristischen Angebots
Wohnmobil-
konzept                 Barrierefreiheit                                                        neue Wirtshauskultur

                                 wertschöpfungsstarke Angebote entwickeln
     Angebote für Einheimische                           neue Wegeplanung
       Einheimische als Teil touristischer Erlebnisse                                        Ortskerne stärken

             nachhaltige Kulturverankerung
                               Stärkung des Innenmarketings                                   Tourismussymposium
                                                                                              für Stakeholder
     Mikromobilität in der Region                                                Mitarbeiter*innenbenefits

20                                                                                                           Qualitätstourismus Alpenraum
Tourismus
nachhaltig
entwickeln

             21
Folgende 14 Empfehlungen für einen nachhaltigen Tourismus im Alpenraum basieren auf den Ergebnissen
des Projektes. Sie verstehen sich als Handlungsanleitungen für einen zukunftsfähigen Qualitätstourismus
unter Berücksichtigung des Natur- und Kulturerbes.

                                       Bevölkerung einbinden                       1

                             Tourismus entwickeln                       2

     Wettbewerbsvorteile nutzen                          3

                                                                                                                        Nach
                  Werte leben             4

                   Erlebnisse schaffen                   5

                                 Ökologisch handeln                     6

                                                      Identität leben              7

22                                                                                                        Qualitätstourismus Alpenraum
14   Angebote schaffen

                                            13   Arbeitsplätze attraktivieren

                                                    12   Resilienz stärken

hhaltig
                                                               11   Naturräume erfahren

                                                    10   Mobilität denken

                                            9    Vernetzen

                                      8    Ressourcen schonen

    Tourismus nachhaltig entwickeln                                                       23
1) Bevölkerung einbinden

Der Tourismus als Verbundwirtschaftssystem ist in besonderem
Maße vom Zusammenwirken verschiedener Akteure abhängig. Die
Branche erzielt durch ihren hohen Grad an systemischer Vernet-
zung nicht nur beträchtliche ökonomische Multiplikationseffekte,
der Tourismus betrifft ganz allgemein auch die Bevölkerung als
Ganzes. Unsere Projektergebnisse zeigen, dass diesem Aspekt der
soziokulturellen Verantwortung von touristischen Konzepten noch
mehr Rechnung getragen werden sollte. Alle in einer bestimmten
Region lebenden Menschen haben großes Interesse daran, wie und
in welcher Form Tourismus stattfindet, organisiert und auch ver-
marktet wird. Hier ist es wichtig, Bevölkerungsinteressen noch
stärker in den touristischen Entwicklungsprozess einzubinden.
Der Erfolg einer jeden Organisation und eines jeden Produkts kann
langfristig nur dann gesichert werden, wenn die verschiedenen
Interessenslagen aller Anspruchsgruppen (Stakeholder) sorgfältig
ausbalanciert werden. Die vermeintlich leichtgängige Plausibilität      Kulturlandschaften, eine hochwertige Infrastruktur, bestens aus-
eines sozialen Nachhaltigkeitsparadigmas in touristischen Des-          gebildete Mitarbeiter*innen, eine regionale Küche basierend auf
tinationen stellt sich in der Praxis häufig schwierig dar. Oft diffe-   hochqualitativen Lebensmitteln, die für den Alpenraum geschätzte
rieren Anliegen, Interessen und Motive zwischen den und innerhalb       Gastfreundschaft sowie eine hohe Professionalität aller im Touris-
der verschiedenen Stakeholdergruppen, wodurch eine konstruktive         mus beteiligten Akteur*innen. Doch dieser Erfolg ist nicht in Stein
Auseinandersetzung zur strategischen touristischen Ausrichtung          gemeißelt. Es gilt, sich den großen Herausforderungen und Ver-
einer Region einen komplexen und nicht selten auch langwierigen         änderungen nicht nur anzupassen, sondern diese als Chance für
Prozess darstellt.                                                      eine proaktive Weiterentwicklung des Tourismus in Richtung Zu-
                                                                        kunftsfähigkeit wahrzunehmen. Ein besonders wichtiger und meist
Dass sich dieser Weg der intensiven Verhandlung und Abstimmung          unterschätzter Baustein ist hier die Stärkung der allgemeinen
aber langfristig auch ökonomisch lohnt, zeigt sich vor allem in Kri-    Einstellung zum Tourismus, der Tourismusgesinnung. Hier sollten,
sensituationen wie in der COVID-19-Pandemie. Destinationen mit          zusätzlich zum klassischen Gäste- und Zielgruppenmarketing, Maß-
einem ausbalancierten Angebot, einer ausgewogenen Nutzung               nahmen unternommen werden, die auf Information, Aufklärung und
von Freizeit-, Lebens- und Wirtschaftsräumen, mit regionalen            Imagestärkung des Tourismus unter den in einer Region lebenden
Wirtschaftskreisläufen, kurzen Lieferketten sowie einem hohen           Menschen abzielen. Das Verständnis für die Bedeutung und die po-
Grad an Kollaboration und gemeinschaftlicher Innovation sind ver-       sitiven Effekte des Tourismus sind eine essentielle Voraussetzung
gleichsweise gut durch die Krise gekommen. Das zeigen u. a. For-        für die Identifikation mit der Region als touristische Destination.
scher*innen wie Ioannides & Gyimóthy (2020). Basierend auf den
Ergebnissen empfehlen sich Formate, die einen regelmäßigen              3) Wettbewerbsvorteile nutzen
(institutionalisierten) und zielführenden Austausch zwischen den
Stakeholdern einer Region ermöglichen, wie z. B. Workshops, Dis-        Das Thema Neo-Ökologie oder Green Economy wird in der Tourismus-
kussionsplattformen, Infoveranstaltungen oder Begegnungsräume.          branche schon länger diskutiert und in manchen Bereichen erfolg-
                                                                        reich gelebt. Viele Unternehmen setzen vor allem aus Reputations-
2) Tourismus entwickeln                                                 gründen auf nachhaltige Verfahren und Produkte. Niemand möchte
                                                                        als Umweltsünder gelten. Sobald mit nachhaltigen Konzepten Kosten
Der Tourismus ist eine treibende ökonomische Kraft im Alpenraum         gesenkt werden können, unterstützt das Management diese Be-
und sorgt vor allem in ländlichen Gebieten dafür, dass Strukturen       mühungen gerne und nimmt dafür auch Gütesiegel entgegen. Doch
erhalten und ausgebaut werden können. Die direkten und indirek-         mit Greenwashing wird es zu keiner echten Veränderung kommen.
ten Wertschöpfungseffekte des Tourismus (einschließlich Dienst-         Nachhaltigkeit wird in Zukunft mehr verlangen als das Bewahren des
und Geschäftsreisen) beliefen sich in Österreich im Jahr 2019 auf       Status quo.
29,7 Milliarden Euro. Damit leistete der Tourismus einen direkten       Touristische Unternehmen müssen auf verschiedenen Ebenen
und indirekten Beitrag von 7,5 % zum Bruttoinlandsprodukt (Statis-      nachhaltiger und ökologischer werden. Nicht nur weil Gäste das
tik Austria). Zu den Erfolgsfaktoren zählen u. a.: Intakte Natur- und   fordern, sondern weil es der Markt verlangt. Investor*innen setzen

24									                                                                                                        Qualitätstourismus Alpenraum
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