An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
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Gewerkschaft Öffentlicher Dienst / Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer; Schenkenstraße 4/5, 1010 Wien, Österreich; Tel.: +43 (0)1/534 54-435, Fax: +43 (0)1/534 52-452; kontakt@pflichtschullehrer.at; www.pflichtschullehrer.at hingesehen (Seite 8) Verdienen begabte Kinder keine Förderung? aufgedeckt (Seite 10) Lehrer/-innen Gewalt gegen Was braucht Nachgefragt (Seite 16) unsere Schule? An der Realität vorbei Die Abschaffung der Sonderschule 1/2017_Februar
Info Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, 1010 Wien, Schenkenstraße 4/V Tel.: 01/534 54-435, Fax: 01/534 54-452, E-Mail: aps@goed.at www.pflichtschullehrer.at Bürozeiten: Montag bis Donnerstag von 7.30 bis 16.30 Uhr, Freitag von 7.30 bis 13.30 Uhr xxx Kostenlose Information für Mitglieder der GÖD, Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer editorial –2– Martin Höflehner inhalt aktuell Sehr geehrte Frau Kollegin! Sehr geehrter Herr Kollege! 3 Seite des Vorsitzenden Die Forderungen, die in der Resolution zum „Autono- miepaket“ von der ARGE Lehrer/-innen in der GÖD am aktuell 18. 11. 2016 gestellt wurden, sind immer noch nicht 6 Autonomiepaket erfüllt. Daher wurde in der letzten Woche das Plakat zum Autonomiepaket als erste gewerkschaftliche Akti- 8 Verdienen begabte Kinder keine Förderung? on an die Schulen versendet (siehe Seiten 6 und 7). 10 Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer 14 Kopftuchverbot an Schulen? Der Leitartikel beschäftigt sich mit der geplanten Abschaffung der Sonderschule und einer flächen deckenden Einführung der Inklusion, ohne dafür aus- information reichend Mittel (in finanzieller, personeller, ausstat- 16 Was braucht unsere Schule? – Der Faktor Vertrauen tungsmäßiger und räumlicher Hinsicht) zur Verfügung zu stellen. 20 Junglehrer/-innen INFO-Corner 22 Eine Zeitung für die Schule Persönlich hat mir eine Pressemitteilung unserer deut- 24 Diensttausch schen Partnerorganisation VBE (Verband Bildung und Erziehung) zum Thema „Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer“ sehr zu denken gegeben. Der Pressemit- teilung ging eine Untersuchung des Institutes FORSA unter knapp 2000 Lehrerinnen und Lehrern in drei deutschen Bundesländern voraus. Ich habe einen Ausschnitt der Untersuchung im Dezem- OFFENLEGUNG GEMÄSS MEDIENGESETZ § 25 Wirtschaftsbetriebe Ges. m. b. H. der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, 1010 Wien, ber in einer Zeitung in Wien veröffentlicht. Die zahl Teinfaltstraße 7. Unternehmensgegenstand: Herstellung und Verbreitung literari- reichen Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen scher Werke aller Art. Geschäftsführung: Otto Aiglsperger. Einziger Gesellschafter: Bildungs- und Presseverein der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Sitz: Wien. Betriebs- haben meine Vermutung bestätigt, dass das Problem in gegenstand: Herstellung und Verarbeitung sowie Verlag literarischer Werke aller Art. Österreich in einer ähnlichen Dimension vorhanden ist. Die Blattlinie entspricht jenen Grundsätzen, die in den Statuten und der Geschäftsord- nung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (Fassung gemäß Beschluss durch den 17. Gewerkschaftstag der GÖD) festgehalten sind. Besonders erschreckend finde ich die vielfach ange- sprochene mangelnde Unterstützung der vorgesetz- ten Behörden. In einigen Fällen gab es nicht nur keine Unterstützung, sondern sogar den Druck auf die Kolle- Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe: 17. 2. 2017 ginnen und Kollegen, die Vorfälle nicht an die Öffent- Beiträge senden Sie bitte per E-Mail (aps@goed.at) an die Redaktion. lichkeit dringen zu lassen. Es scheint ein Tabuthema zu sein, bei dem betroffenen Kolleginnen und Kollegen, Impressum statt entsprechende Hilfestellungen zu geben, sugge- „aps“ ist die Zeitschrift der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und riert wird, dass so etwas „guten Lehrerinnen und Leh- Pflichtschullehrer in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Herausgeber: Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Medieninhaber und Verleger: rern“ nicht passiert (Artikel, Seite 10 bis 13). GÖD Wirtschaftsbetriebe GmbH., Teinfaltstraße 7, 1010 Wien. Chefredaktion und für den Inhalt verantwortlich: Martin Höflehner (Ltg.), Paul Kimberger, 1010 Wien, Schenkenstraße 4/V, Tel.: 01/534 54-435. Redaktion, Produktion, Konzeption und Anzeigenverwaltung: Modern Times Media Verlagsges.m.b.H., Martin Höflehner Lagergasse 6/2/35, 1030 Wien, Tel.: 01/513 15 50. Cover: Jamrooferpix/fotolia.com. Hersteller: Niederösterreichisches Pressehaus Druck- und Verlagsges.m.b.H., Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten. Verlagsort: Wien. Herstellungsort: St. Pölten. DVR-Nr.: 0046655. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen die Meinung des Autors dar, die sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken muss.
Paul Kimberger Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer seite des vorsitzenden – 3 –- Abschaffung der Sonderschulen „Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) will besonderen Bedürfnissen etwas zu verbessern. Das die Sonderschulen abschaffen. Kinder, die bisher in scheint allerdings weder auf Sonja Hammerschmid Sonderschulen unterrichtet wurden, sollen mit eige- noch auf ihre „Bildungsexperten“ zuzutreffen, die nicht nem Lehrplan in Mittelschulen integriert werden“ zum ersten Mal bewusst oder unbewusst mit falschen (ORF-Online am 5. Jänner 2017). Ab dem Jahr 2020 Fakten argumentieren. sollen also Sonderschulen die Ausnahme sein und „inklusive Mittelschulen“ die Normalität. Inklusion kann nicht einfach anhand einiger „Best- Practice-Modelle“ an die Schulen delegiert werden. Inklusion ist ein schönes, modernes und verführeri- Notwendig wäre zuallererst ein klarer gesellschafts- sches Wort. Wer sie fordert, sollte aber die Realität politischer Konsens, um Inklusion zu einer langfristig an unseren pädagogischen Einrichtungen genau ken- machbaren und motivierenden pädagogischen Pers- nen und von dieser ausgehen, um für Kinder mit ganz pektive zu entwickeln, die sowohl Eltern als auch Leh- rerinnen und Lehrer überzeugt und allen Kindern einen Mehrwert bringt. Fest steht aber, dass für besondere Förderung, Therapie und Beratung auch weiterhin spe- zialisierte Angebote in hoher Qualität und ausreichen- der Zahl zur Verfügung stehen müssen. Es wird nämlich immer mehr Kinder geben, die unter den gegebenen Umständen an den Schulen nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gefördert werden können oder deren Eltern das Angebot für ihr Kind nicht als angemessen erachten. Warum aber lassen wir nicht endlich unsere Sonder- pädagoginnen und Sonderpädagogen über ihre Arbeit sprechen und Eltern zu Wort kommen? Diese stehen nicht unter dem Druck unserer „Bildungsreformer“, Foto: Jupiterimages/Creatas Images/thinkstock statt eigener Überlegungen und Erfahrungen politisch korrekte Worthülsen von sich geben zu müssen. Sie haben oft jahrzehntelang verschiedenste Kinder mit unterschiedlichen Begabungen, Talenten und Defiziten gefördert und wissen auch, was diese Kinder brauchen und was aus ihnen geworden ist. Das ist aber scheinbar zu einfach, zu ehrlich und zu wenig spektakulär. Es wäre für mich jedoch ein guter Ansatz für ein Umgehen mit Problemen, die es nun einmal gibt, auf Basis von gelebter Erfahrung und pädagogischem Können.
„Noch besser wäre es aber, wenn den Schülern vermittelt würde, kritisch mit Leerformeln, Angeberei und Redensarten aus Bildungsministerien und den ihnen angeschlossenen pädagogischen Bürokratien umzugehen.“ (Dr. Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ, „Leerformeln aus Lehrplänen“, FAZ vom 19. Jänner 2017) –4– seite des vorsitzenden Wir brauchen Zeit Realität. Unser Schulsystem nämlich ständig so zu refor- Zukunftsfähigkeit heißt für mich nicht, dass man das Rad mieren, dass unsere Kinder kompetenzorientiert den der Pädagogik ständig neu erfinden muss. Wir sollten uns Anforderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zurückhalten mit der Lust, ständig an unseren Kindern entsprechen, ist eigenartig, fragwürdig und verantwor- herumzuexperimentieren. Wir sollten uns nicht länger tungslos. selbst verleugnen und Legendenbildungen um soge- nannte „PISA-Sieger“ beenden. Ihr Angesichts des derzeit geradezu absurd anmutenden Reform-Wirrwarrs, der faktenverleugnenden ministeri- ellen Bürokratie, des krakenhaft wuchernden Verwal- tungsirrsinns und der Flut an dilettantischem „Experten- geschwätz“ stellt sich die Frage, was an unseren Schulen Paul Kimberger wirklich für guten Unterricht benötigt wird. Reaktionen bitte an: paul.kimberger@goed.at Mein großer Wunsch für 2017: Wir brauchen Zeit. Zeit für die Klasse. Zeit für den Stoff. Und Zeit für das ein- Besuchen Sie auch die Website der Gewerkschaft zelne Kind. Wir müssen Schule wieder so machen, dass Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer unter die Menschenbildung und das Erkennen von Zusammen- www.pflichtschullehrer.at. hängen in einer komplexen, globalen Welt das Wesent- liche sind. Verlassen sollten wir uns dabei auf das pädagogische Können und die Expertise unserer Lehrerinnen und Leh- rer direkt vor Ort und nicht auf esoterische Bildungs gurus oder reformeifrige Bildungspolitiker – fern j eglicher Wussten Sie schon? Es ist eine Frage, die so alt ist wie das Schulsystem: Kinder auch, wie man ehrlich, pünktlich und fleißig Wo beginnt die Verantwortlichkeit der Schule, und wo ist, Freunden Mitgefühl und Erwachsenen und Lehrern endet sie? Lehrerinnen und Lehrer einer Schule in Por- gegenüber Respekt zeigt. Zu Hause lernen sie, wie tugal haben sich dazu entschlossen, diese Angelegen- man gepflegt ist, nicht mit vollem Mund spricht und heit zu klären, indem sie einen Elternbrief verschickten wie/wo man seinen Müll los wird. Zu Hause lernen sie, – dessen Botschaft verbreitet sich nun besonders in wie man ordentlich ist, gut auf seine Sachen aufpasst sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer. und andere nicht belästigt. Hier in der Schule dage- gen bringen wir den Kindern Sprachen, Mathematik, „Liebe Eltern! Wir möchten Sie daran erinnern, dass Geschichte, Geografie, Physik, Wissenschaft und Sport magische Worte wie ‚guten Morgen‘, ‚bitte‘, ‚danke‘, bei. Wir stärken nur die Erziehung, die Kinder zu Hause „gern geschehen“, „Entschuldigung“ etc. alle zuerst von ihren Eltern mitbekommen.“ zu Hause gelernt werden müssen. Zu Hause lernen
Foto: istock Auf die Pädagoginnen und Pädagogen... ...kommt es an! GESUCHT: Kreativer Unterricht AUSZEICHNUNG IN 3 KATEGORIEN: Individualität Lebenskompetenz MINT PROJEKTE EINREICHEN AUF www.iv-teachersaward.at BEWERBUNGSFRIST: 23.1.2017 bis 30.4.2017
n gen u der ch For er no llt! imm t erf h ü Resolution zum „Autonomie- nic paket“ der Bundesregierung –6– Einstimmig beschlossen in der Sitzung der ARGE Lehrer/-innen in der GÖD am 18. November 2016 in Wien. Am 18. Oktober 2016 wurde auf Vorschlag der Bundesre- „Wir wehren uns gegen zu große Klassen, zu hohe Unter- gierung ein Ministerratsvortrag beschlossen, der unter dem richtsverpflichtungen und nicht zufriedenstellende Betreu- Schlagwort „Autonomie“ Gesetzesvorschläge zur Folge ungsverhältnisse, weil wir den Bedürfnissen aller Kinder haben könnte, die negative Auswirkungen auf die Qualität und Jugendlichen gerecht werden wollen und diese Leis- der Schulen in ganz Österreich haben werden. Sobald die tung nicht auf Kosten unserer Gesundheit gehen darf.“ Gesetzesvorschläge vorliegen, werden diese natürlich noch im Detail zu bewerten sein. Zu vier geplanten Maßnahmen „Wenn die Gesellschaft der Schule zusätzliche Aufgaben hält die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD fest: überträgt, muss für deren Bewältigung auch zusätzliches Personal und ausreichende Ressourcen zur Verfügung • Die ersatzlose Streichung der Klassenschülerhöchstzahl gestellt werden.“ bzw. aller Eröffnungs- und Teilungszahlen lässt ange- sichts knapper Ressourcen größere Klassen und Gruppen „Die demokratischen Mitwirkungsrechte der Lehrerinnen und damit erhebliche pädagogische Qualitätseinbußen und Lehrer dürfen keinesfalls eingeschränkt werden und befürchten. Wie die propagierte „Individualisierung“ bei sollten bei einem allfälligen Ausbau der Schulautonomie noch größeren Klassen und Gruppen gelingen soll, bleibt entsprechend erweitert werden. Die gesetzlichen Mit natürlich unbeantwortet. bestimmungsrechte aller Schulpartnerinnen und Schulpart- • Das „kostenneutrale“ Autonomiepaket droht zu einem ner sind an jedem Standort in vollem Umfang zu wahren pädagogischen Sparpaket zu werden, wenn Schulleitungen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.“ am Standort zugunsten von übergeordneten Clusterleitun- gen eingespart oder Lehrer/-innenressourcen in Unterstüt- Die im Ministerratsvortrag angeführten Hinweise auf die zungs- und Supportkräfte umgewandelt werden. An den OECD und den Rechnungshof, aus denen die Notwendigkeit meisten Schulen wird es aber ohne zusätzliche Ressourcen des sogenannten „Autonomiepakets“ abgeleitet wird, sind gar keine Autonomiespielräume geben. Wir brauchen also für uns nicht nachvollziehbar. Aus unserer Sicht sind auch eine bedarfsgerechte und nachhaltig gesicherte Ressour- manche Maßnahmen völlig ungeeignet, einen wirklichen cenzuteilung für jeden einzelnen Standort. pädagogischen Mehrwert für Schüler/-innen, Eltern und • Schulpartnerschaft hat in den letzten Jahrzehnten viel zum Lehrer/-innen zu erzeugen, sondern lassen durch struktu- Gelingen von Schule beigetragen. Jetzt sollen Entscheidun- relle Kompetenzverlagerungen eine noch stärker zentrali- gen am Standort unter dem Schlagwort „Autonomie“ von sierte Dauerbevormundung unserer Schulen befürchten. den künftigen Schulleitungen bzw. Schulclusterleitungen alleine getroffen werden. Die vorgesehene Streichung von Die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD fordert die Bundes- Mitbestimmungsrechten widerspricht unserem demokra- regierung auf, die im Rahmen ihres „Autonomiepakets“ tischen Verständnis und der gelebten Vereinbarungskultur geplanten Maßnahmen zu überarbeiten und in sozial- an unseren Schulen. Auf Kontrollrechte durch schulpartner- partnerschaftlichen Gesprächen ein „Autonomiepaket“ schaftliche Gremien kann daher auch im Sinne der Quali- zu entwickeln, das einen pädagogisch und organisatorisch tätssicherung nicht verzichtet werden. erkennbaren Mehrwert für unsere Kinder und Jugendlichen • Die Zentralisierung der Bestellung von zukünftigen Clus- ermöglicht. ter-/Schulleitungen und das damit verbundene Zurück- drängen vorhandener Mitbestimmungsrechte der Lehrer/- Für die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD innen ist für uns ebenfalls ein Schritt in die falsche Richtung. Paul Kimberger Wir weisen auf den Leitantrag „Bildung“ hin, der erst vor Roland Gangl einem Monat am 17. Bundeskongress der Gewerkschaft Thomas Bulant Öffentlicher Dienst mit überwältigender Mehrheit aller Delegierten beschlossen wurde: Wien, 18. November 2016
AUTONOMIEPAKET: Wir haben mehr pädagogische Freiheit gefordert! Jetzt bekommen wir mehr ZENTRALISMUS! –7– Sie nennen es Autonomie. Für uns bedeutet mehr Freiheit für den Cluster weniger Freiheit für die einzelne Schule. Sie nennen es mehr Flexibilität. Für uns bedeutet das größere Klassen und Gruppen, weniger Individualisierung und ein pädagogisches Sparpaket. Sie nennen es mehr Unterstützung. Für uns bedeutet das, Lehrer/innen sollen durch Sozialarbeiter/innen ersetzt werden. Sie nennen es Qualitätssicherung und Bildungscontrolling. Für uns bedeutet das mehr Aufwand für Testungen und weniger Zeit für Unterricht. Sie nennen es eine gerechtere Verteilung der Ressourcen. Für uns bedeutet es, dass die einzelne Schule Recht und Einfluss auf die Ressourcen verliert. Wenn wir jetzt nicht aufstehen, bleibt die Schule sitzen. Paul Kimberger, Vorsitzender der APS-Gewerkschaft und der ARGE-Lehrer/innen Roland Gangl, Vorsitzender der BMHS-Gewerkschaft Dominikus Plaschg, Vorsitzender der Gewerkschaft Landwirtschaftslehrer/innen Judith Roth, Vorsitzende der Gewerkschaft Berufsschule Herbert Weiß, Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft
MMAG. DR. CLAUDIA RESCH Geschäftsführerin Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung claudia.resch@oezbf.at –8– aktuell Verdienen begabte Kinder keine Förderung? Begabtenförderung kein Thema im gik sowie Begabten- und Begabungsförderung“ sorgen soll. Zwar finden sich in Band 1 des Bildungsberichts auch Daten Nationalen Bildungsbericht. zu Spitzenschülerinnen und -schülern, diese werden aber nur in einem zahlenmäßigen Verhältnis zu den leistungs- schwachen Risikoschülerinnen und -schülern gesehen. In Im Mai 2016 veröffentlichte das Institut BIFIE den Nationa- Band 2, in dem die wesentlichen Empfehlungen für das len Bildungsbericht für Österreich, der laut BIFIE die Situ- österreichische Schulsystem festgehalten werden, kommt ation der österreichischen Schule aus unterschiedlichen das Wort „begabt“ nicht vor, obwohl es laut BIFIE in Öster- Blickwinkeln betrachtet und Daten, Fakten sowie Prob- reich ohnehin nur sehr wenige Spitzenschüler/-innen im lemstellungen in Bezug auf das Bildungswesen aufberei- Vergleich zu anderen Ländern gibt. tet. Der Bericht wird von Expertinnen und Experten der Das Potenzial für Spitzenleistungen wäre aber gegeben. österreichischen Bildungsforschungslandschaft verfasst Neuesten wissenschaftlichen Schätzungen zufolge haben und erscheint seit 2009 im Dreijahresrhythmus. Das ÖZBF zirka 20 Prozent eines jeden Jahrgangs das Potenzial zu hat sich den Nationalen Bildungsbericht in Hinsicht auf die Spitzenleistungen – wenn die Förderbedingungen passen. Begabungs- und Begabtenförderung angesehen. In Österreich entspricht das weit über 200.000 Schülerin- nen und Schülern. Diese Schüler/-innen brauchen indivi- Begabtenförderung zwar Ziel im duelle Förderung, um ihre Potenziale zu entwickeln. Daher Regierungsübereinkommen, aber nicht ist es bedenklich, dass die Autorinnen und Autoren des im Bildungsbericht Bildungsberichts, wenn sie von „individueller Förderung“ Anspruch des Bildungsberichts ist es, eine umfassende schreiben, ausschließlich die Förderung von leistungs- Grundlage für die bildungspolitische Diskussion und Steue schwächeren Schülerinnen und Schülern im Blick haben. rung des Schulwesens in Österreich zu schaffen. Umso kritischer ist zu sehen, dass die Förderung von begabten Drei Argumente für Begabtenförderung Schülerinnen und Schülern im gesamten Bericht kein The- Nun könnte man zwar argumentieren, es gebe derzeit zu ma ist, obwohl diese im Regierungsübereinkommen1 als Ziel viele Risikoschüler/-innen und man könne sich deshalb im beschrieben wird (S. 44): Schulsystem nicht auch noch auf ohnehin leistungsstar- Ziel: Begabungs- und Begabtenförderung – Entdecken und ke Schüler/-innen konzentrieren. Dahinter steht offenbar fördern aller Talente und Begabungen. die Hoffnung, dass diese ihre Begabungen von selbst ent Maßnahmen: Ausbau der Begabungserkennung und wickeln. Dies ist aber erstens rechtswidrig, zweitens fak- Begabtenförderung; Stärkung der anwendungsorientier- tisch falsch und drittens langfristig schädigend. ten Begabungsforschung und der vorhandenen Netzwerke 1. Begabte Kinder haben genauso wie alle anderen Kinder und Kooperationen; Weiterentwicklung der Aus-, Fort- und auch das gesetzliche Recht auf Förderung (siehe Paragraf Weiterbildung. 2 des Schulorganisationsgesetzes 1962). Auch die Bildungsreform hat die Förderung von Begabun- Weiters fordert der Grundsatzerlass zur Begabtenförde- gen in mehreren Bereichen als wichtiges Ziel ausgegeben2: rung (2009): „Im Sinne der Chancengerechtigkeit hat die beim Elementarpädagogikpaket, beim Schuleingangsphase- Schule die Aufgabe, auch die Lern- und Entwicklungs und Volksschulpaket und bei der Einrichtung einer Bildungs- bedürfnisse der (hoch) begabten Schüler/-innen wahr- stiftung, die „als Exzellenzprogramm für eine progressive zunehmen und ihnen mit adäquaten pädagogischen und Weiterentwicklung der (Kindergarten- und) Schulpädago- organisatorischen Maßnahmen Rechnung zu tragen.“
„Sogar die OECD bestätigt, dass Österreich am Wohlstand von morgen spart: ‚Österreich investiert einen geringeren Anteil seines Wohlstandes und seines Budgets in Bildung als andere Länder.´“ (OECD (Hrsg.), „Österreich – Ländernotiz – Bildung auf einen Blick: OECD-Indikatoren“ (2015), Seite 8) AKTUELL Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen –9– 2. Die Begabungsforscher/-innen sind sich einig, dass TIMSS 2011 begabte Schüler/-innen ihre Talente eben nicht ohne Mathematik: Verteilung der Schüler/innen auf Kompetenzstufen Förderung optimal entwickeln können. Fördert man Begabte nicht, können ihre Begabungen verküm- mern. Ihre Motivation kann in Desinteresse umschla- gen – es besteht sogar die Gefahr, dass sie zu Risiko- schülerinnen und -schülern werden. 3. Begabungen nicht zu fördern, schädigt langfristig den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Österreich. Bil- dungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) beton- te selbst bei ihrer Antrittsrede im Parlament im Mai 2016: „Österreich verfügt über nahezu keine Roh stoffe, daher brauchen wir kluge Köpfe und hervor- ragende Ideen, Produkte und Dienstleistungen, die unserer Wirtschaft helfen. Diese klugen Köpfe gilt es zu entwickeln.“ Kluge Köpfe, begabte Schüler/-innen gilt es also zu unterstützen – sie entwickeln sich nicht von alleine. Im Hinblick auf die Zukunft Österreichs scheint es also Abb. 1: Länderergebnisse von TIMMS 2011. etwas kurz gedacht, begabte Schüler/-innen im Schul- Quelle: TIMSS 2011, Darstellung: BIFIE (Suchań, system weitgehend sich selbst zu überlassen. Wallner-Paschon, Bergmüller & Schreiner, 2012) fehlen Österreich aber jene Spitzenschüler/-innen, welche Österreich hat im Vergleich sehr wenige in manch anderen Ländern, vor allem den teilnehmen- Spitzenschüler/-innen den südostasiatischen Staaten, häufiger vertreten sind“ Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, zeigen die inter- (ebd., S. 154). nationalen Studien TIMSS, PIRLS und PISA: Österreich hat im Vergleich einen sehr viel geringeren Anteil an Spitzen Der Nationale Bildungsbericht erhebt den Anspruch, schülerinnen und -schülern als andere Länder. moderne Bildungspolitik und -steuerung zu unterstützen • Die Mathematik-Vergleichsstudie TIMSS (2011) ergab und zukünftige bildungspolitische Themen für den öffent- einen Spitzenschüler/-innen-Anteil von nur zwei Pro- lichen und wissenschaftlichen Diskurs aufzubereiten. zent (Kompetenzstufe 4), im Vergleich zu acht Prozent Dazu gehört jedenfalls auch die Förderung begabter und in anderen Ländern (siehe Abb. 1). leistungsstarker Schülerinnen und Schüler. • Die Lesestudie PIRLS (2011) ergab, dass der Anteil leis- tungsstarker Volksschüler/-innen im Lesen nur fünf Pro- zent betrug (Kompetenzstufe 4), womit Österreich die Literatur Bruneforth, M., Eder, F., Krainer, K., Schreiner, C., Seel, A. & Spiel, C. (Hrsg.) Schlussposition unter den 14 Vergleichsländern einnahm (2016): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015, Band 2: Fokussierte (ebd.). Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Graz: Leykam. Bruneforth, M., Lassnigg, L., Vogtenhuber, S., Schreiner, C. & Breit, S. • Die PISA-Studie (2012) zeigte, dass der Anteil der 15-jäh- (Hrsg.) (2016): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015, Band 1: rigen österreichischen Spitzenschüler/-innen erheblich Das Schulsystem im Spiegel von Daten und Indikatoren. Graz: Leykam. geringer ist als etwa in Deutschland und der Schweiz: Suchań, B., Wallner-Paschon, C., Bergmüller, S. & Schreiner, C. (Hrsg.) (2012): PIRLS & TIMSS 2011. Schülerleistungen in Lesen, Mathematik und Österreich: 13 Prozent, Deutschland: 18 Prozent, Schweiz: Naturwissenschaft in der Grundschule. Erste Ergebnisse. Graz: Leykam. 22 Prozent (Bruneforth, Lassnigg, Vogtenhuber, Schrei- ner & Breit, 2016). 1 https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264. Die Autorinnen und Autoren des Bildungsberichts kommen 2Vortrag an den Ministerrat am 17. November 2015 hier selbst zur Schlussfolgerung: „Gerade in Mathematik (https://www.bmbf.gv.at/ministerium/vp/2015/20151117.pdf?55kaz6).
MARTIN HÖFLEHNER STELLVERTRETENDER VORSITZENDER DER GEWERKSCHAFT PFLICHTSCHULLEHRERINNEN UND PFLICHTSCHULLEHRER – 10 – aktuell Gewalt gegen LehrerInnen und Lehrer Gewalt gegen Lehrkräfte ist nicht ihr Privatproblem! (VBE-Presseaussendung vom 14. 11. 2016) Wenn zwei Drittel der befragten Lehrkräfte beim Thema Gewalt gegen Lehrkräfte mehr Engagement und Schutz von ihrem Dienstherren erwarten, ist das ein Alarm signal an die Politik! Gewalt gegen Lehrkräfte wird häu- fig als jobimmanent abgetan und kleingeredet. Es ist skandalös, so zu tun, als sei es Bestandteil des Berufes, sich beleidigen, belästigen und körperlich angreifen zu lassen“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzen- der des Verbands Bildung und Erziehung, die heute in Düsseldorf veröffentlichte repräsentative forsa-Umfra- ge „Gewalt gegen Lehrkräfte“, die der VBE in Auftrag gegeben hatte. Der Ton in der Gesellschaft werde immer rauer, die Spra- che verrohe, Konflikte eskalierten öfter, schneller und werden mit härteren Mitteln ausgetragen, Autoritäten Einige österreichische und deutsche werden nicht mehr anerkannt. Diese gesamtgesell- Zeitungsartikel („Schüler-Terror gegen Lehrer“, schaftliche Entwicklung mache auch vor der Schule nicht halt. 55 Prozent der befragten Lehrkräfte sagten, dass „Unterricht: ‚Gewalt gegen Lehrer nimmt zu‘“, es an ihrer Schule in den letzten fünf Jahren Fälle gab, in „Schüler teilen immer öfter gegen Lehrer aus“) denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, haben mich für dieses Thema in den letzten gemobbt oder belästigt wurden. Selbst von psychischer Gewalt betroffen waren ein Viertel der Befragten. Wochen sensibilisiert. Daher hat mich eine Fälle an der Schule, in denen Lehrkräfte körperlich in den Umfrage unserer deutschen Partnerorganisation letzten 5 Jahren angegriffen wurden, wussten 21 Prozent Foto: Discha-AS/istock/thinkstock Verband Bildung und Erziehung bundesweit zu berichten. Selbst Erfahrungen mit körper licher Misshandlung, zum Beispiel schlagen, schütteln, (VBE, www.vbe.de) gemeinsam mit dem Markt stoßen, treten, boxen, mit Gegenständen werfen, an den und Meinungsforschungsinstitut forsa Haaren ziehen, mit den Fäusten oder Gegenständen prü- (www.forsa.de) sehr interessiert. Ich möchte geln, haben 6 Prozent der befragten Lehrkräfte gemacht. Der Bundesvorsitzende macht deutlich: „6 Prozent von Ihnen zuerst die Presseaussendung des VBE und knapp 755.000 an allgemeinbildenden Schulen beschäf- anschließend die Umfrage näherbringen. tigten Lehrkräften sind über 45.000 Lehrerinnen und
aktuell Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen – 11 – Lehrer, die tätlich angegriffen wurden! Wir lassen uns auf einmal spielen sollen. Es besteht dringender Hand- nicht mehr erzählen, dass Gewalt gegen Lehrkräfte Ein- lungsbedarf!“ zelfälle sind. Erschütternde Gewissheit ist: Das sind sie Dass die Politik reagieren muss, zeigt sich auch an die- nicht! Und es sind 45.000 zu viel.“ sem Ergebnis: 45 Prozent der Befragten erwarten von Auch Cybermobbing wird ein immer größeres Phäno- der Schulverwaltung und 58 Prozent der Befragten von men. 77 Prozent der Befragten sehen eine Zunahme von der Landesregierung und dem Schulministerium, dass sie Formen des Mobbings über das Internet. Fast jede dritte endlich mehr unterstützt und besser geschützt werden. befragte Lehrkraft gab an, dass es Fälle an der Schu- le gab. Beckmann: „Medienkompetenz ist wichtig, um Wir fordern: Schülerinnen und Schüler ein Unrechtsbewusstsein für • Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr Cybermobbing zu vermitteln.“ sein. „Gewalt gegen Lehrkräfte“ wird von 57 Prozent der • Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu Befragten als Tabuthema angesehen. So ist es auch zu erfolgen. erklären, dass 15 Prozent der Befragten angaben, dass • Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden. sie bei psychischen Angriffen durch Schüler nichts unter- • Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienst- nommen haben. Erfolgte der psychische Angriff durch herren erhalten. Eltern, geben sogar 35 Prozent der befragten Lehrkräf- • Entwicklung klarer Strukturen, an wen sich Lehrkräfte te an, den Vorfall nicht gemeldet zu haben. Beckmann wenden können und was nach einem Übergriff zu tun kommentiert: „Gewalt gegen Lehrkräfte wird zum Pri- ist. vatproblem erklärt. Fehlende Unterstützung der Verant- • Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle wortlichen, Zweifel an der Erfolgsaussicht und die Angst Teams. vor Konsequenzen verhindern die konsequente Mel- • Ein breites Fortbildungsangebot. dung und Verfolgung von psychischen und physischen • Vermittlung von Medienkompetenz als Prävention Angriffen. Der Dienstherr muss sich schützend vor und gegen Cybermobbing. vor allem unterstützend hinter die Lehrkräfte stellen.“ Der Bundesvorsitzende stellt klar: „Viel zu oft wird das Vorbemerkung von forsa zur Umfrage Problem kleingeredet. Die schlimmste Relativierung: Im Rahmen der Untersuchung wurde neben generellen ‚Das gehört halt zu Ihrem Job.‘ Außer professionellen Einschätzungen zum Stellenwert des Themas ermittelt, Kampfsportlern ist mir keine Personengruppe bekannt, wie verbreitet Formen von psychischer oder körperli- zu deren Job es gehört, sich psychisch und physisch cher Gewalt an Schulen in Deutschland tatsächlich sind angreifen zu lassen.“ und wie seitens der Schulen und der Lehrkräfte mit die- Präventiv könnte neben Gesprächen mit den Schülern, sen Fällen umgegangen wird. Darüber hinaus wurden die einem Schulkodex und Kooperationen mit der Polizei Lehrkräfte auch zur Bedeutung und Umsetzung verschie- und externen Institutionen vor allem das Arbeiten in dener Präventionsmaßnahmen gefragt. multiprofessionellen Teams und in ausreichend großen Im Rahmen der Untersuchung wurden bundesweit insge- Räumen wirken. Allerdings werden diese Gelingens samt 1951 Lehrer/-innen (darunter jeweils 500 in Nord- bedingungen von der Politik verweigert. Während 68 rhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg) an Prozent der Befragten die Zusammenarbeit mit multipro- allgemeinbildenden Schulen in Deutschland befragt. fessionellen Teams als sinnvoll für die Gewaltpräventi- Die Erhebung wurde vom 19. September bis zum on erachten, arbeiten nur 41 Prozent der Lehrkräfte so. 25. Oktober 2016 mithilfe computergestützter Telefon- Beckmann empört: „Das ist ein vom Bildungsministerium interviews durchgeführt. Die Untersuchungsbefunde geschriebenes Drama, in dem die Lehrkräfte fünf Rollen werden im nachfolgenden Ergebnisbericht vorgestellt.
„In immer kürzerer Zeit sollen immer mehr junge Menschen aus immer unterschied licheren Milieus immer kostengünstiger immer besser ausgebildet werden. Das kann nicht gut gehen.“ (Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann vor Lehrerinnen und Lehrern am 12. Jänner 2016) – 12 – aktuell Die ermittelten Ergebnisse können lediglich mit den bei Maßnahmen ergriffen wurden, 19 Prozent begründen allen Stichprobenerhebungen möglichen Fehlertoleran- dies mit der Geringfügigkeit der Tat, 14 Prozent geben zen (im vorliegenden Fall plus/minus 3 Prozentpunkte) an, dass der Schüler bzw. die Schülerin nicht strafmündig auf die Gesamtheit der Lehrer/-innen an allgemeinbil- war, 10 Prozent nennen die Einsicht des Schülers bzw. der denden Schulen in Deutschland übertragen werden Schülerin. Rücksicht auf den Täter oder die Täterin, man- gelnde Unterstützung durch Verantwortliche, Zweifel an Ausgewählte Inhalte der Umfrage den Erfolgsaussichten einer Anzeige, ein zu hoher Auf- • Umgang mit dem Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“ wand oder dass eine Anzeige als Lehrer/-in nicht möglich Nur eine Minderheit der Befragten glaubt, dass an war, sind weitere vorgebrachte Gründe, warum auf eine Schulen in Deutschland weitgehend offen mit dem Anzeige verzichtet wurde. Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“ umgegangen wird. 57 Prozent meinen hingegen, dass dies eher ein Tabu- Besonders erschreckend finde ich: Thema ist. • Fälle physischer Gewalt an der Schule • Des Themas „Gewalt gegen Lehrkräfte“ nimmt sich (Siehe Grafik 3) ausreichend an: (Siehe Grafik 1) • Eigene Erfahrungen mit physischer Gewalt Die Hälfte der Lehrer/-innen, die selbst schon einmal • Vorfälle von Gewalt gegen Lehrkräfte an der eigenen körperlicher Gewalt an ihrer Schule ausgesetzt war, gibt Schule an, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt hat, die Psychische Gewalt an der Schule andere Hälfte, dass dies mehrfach vorgekommen ist. 55 Prozent der Lehrer/-innen geben an, dass ihnen aus Fast alle Fälle körperlicher Gewalt gingen von Schülerin- den letzten fünf Jahren Fälle an ihrer Schule bekannt nen bzw. Schülern aus (97 Prozent, 3 Prozent von Eltern). sind, in denen Lehrkräfte in irgendeiner Form psychi- Im Hinblick auf ihre Kolleg/-inn/-en haben sich fast alle scher Gewalt ausgesetzt waren. Betroffenen nach einem solchen Vorfall ausreichend 23 Prozent geben an, dass sie selbst an ihrer Schule unterstützt gefühlt, drei Viertel sagen dies von der Schul- schon einmal Ziel von Beschimpfungen, Diffamierungen, leitung. Mobbing, Drohungen oder Belästigungen waren. Auch bei Fällen körperlicher Gewalt haben die betroffe- Auch in dieser Frage ergeben sich Unterschiede in erster nen Lehrer/-innen außerhalb der Schule vor allem bei Linie in Abhängigkeit von der Schulform, an der die Partnern oder Freunden (70 Prozent) Rat und Unterstüt- Lehrer/-innen unterrichten. zung gesucht. Ein Viertel hat niemanden außerhalb der (Siehe Grafik 2) Schule zu Rate gezogen. Fast alle derjenigen, die schon einmal von einem Schü- • Persönliche Erfahrungen mit psychischer Gewalt ler oder einer Schülerin körperlich angegriffen wur- Die große Mehrheit der Lehrer/-innen, die schon ein- den, haben beim letzten Vorfall dieser Art etwas kon- mal von einem Schüler oder einer Schülerin beschimpft, kret dagegen unternommen, aber auch in diesen Fällen Foto: Hazeberry/istock/Thinkstock gemobbt, beleidigt, belästigt oder bedroht wurde, hat wurde nur sehr selten (neun Prozent) Anzeige erstattet. dagegen auch etwas unternommen und den Vorfall Als Gründe werden hier vor allem angegeben, dass der gemeldet (86 Prozent). Täter noch nicht strafmündig war, dass man aus Rück- Nur in sehr wenigen Fällen (sieben Prozent) wurde sicht auf den Schüler bzw. die Schülerin davon abge- gegen den betreffenden Schüler Anzeige erstattet. sehen hat oder weil ohnehin schulinterne Maßnahmen Die Gründe dafür sind nach Auskunft der Lehrer/-innen eingeleitet wurden. Zu den ergriffenen Maßnahmen bei sehr vielfältig. 24 Prozent nennen als Grund, keine Anzei- Fällen körperlicher Angriffe durch Schüler gehören vor ge erstattet zu haben, dass stattdessen schulinterne allem das Einschalten der Eltern oder anderer Autoritä-
AKTUELL Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen – 13 – ten. Weitere ergriffene Maßnahmen gegen den betref- fenden Schüler bzw. die betreffende Schülerin waren die Konfrontation des Schülers bzw. der Schülerin mit der Tat, ein temporärer oder dauerhafter Schulverweis, Ordnungsmaßnahmen, der Ausschluss von Aktivitäten, eine Klassenkonferenz, psychotherapeutische Maß- nahmen, die Androhung von Maßnahmen oder soziale Tätigkeiten. Sollten die Prozentsätze aus dieser Umfrage auf Öster- reich übertragbar sein, muss es eine riesige Zahl an Fällen geben, die nie über die Schule hinaus bekannt geworden sind. Sollte dies so sein, müssen wir uns den Forderungen des VBE (vor allem den ersten vier Grafik 1 Punkten) vollinhaltlich anschließen. Diese sind: • Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr sein. • Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu erfolgen. • Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden. • Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienstgebers erhalten. Grafik 2 Grafik 3
Claudia xxx Wolf-Schöffmann Mitglied der Bundesleitung 10 – 14 – aktuell Kopftuchverbot an Schulen? Integrationsexperte und Regierungsberater Heinz Faßmann schlägt ein Kopftuchverbot im Öffentlichen Dienst vor, mit der Begründung, dass Beamtinnen und Beamte gegenüber Religionen neutral auf treten sollen. Vor allem für den Schulbereich kann man sich ein solches Kopftuchverbot vorstellen, weil es dort um Vorbildwirkung und Einflussnahme auf junge Menschen geht. Das Verbot soll keine Religionslehrerinnen und keine Lehrerinnen an Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht treffen. Postwendend wurde diese Forderung von Vertretern Bedienstete haben sie lediglich darauf zu achten, dass verschiedener Glaubensgemeinschaften, vor allem von ihr Kleidungsstil nicht dem Ansehen der Berufsgruppe der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich schadet. Kleidung mit gewaltverherrlichenden, sexisti- (IGGÖ) zurückgewiesen. Diese meint, dass eine solche schen, rassistischen, antireligiösen oder faschistischen Maßnahme ein völlig falsches Signal, antiintegrativ und Symbolen und Texten mit versteckten Botschaften sind diskriminierend wäre. ausgeschlossen. Weiters ist es Pädagoginnen und Päd- agogen auch untersagt, ihre politische Zugehörigkeit Pädagogisch schick sichtbar zur Schau zu stellen, da sie im Unterricht der Es gibt keine Kleidungsvorschriften für Lehrerinnen. Ihre parteipolitischen Neutralität verpflichtet sind. Es stellt Berufskleidung ist ihre Alltagskleidung. Als öffentlich sich nun die Frage, inwiefern eindeutig zuordenbare
aktuell mit Mit leidenschaftfür Leidenschaft fürunsere unsereLehrer/-innen lehrer/innen – 15 – r eligiöse Kleidungsstücke Kinder beeinflussen (hier geht sich in Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59 es nicht um das Kreuz, den Halbmond oder den Buddha finden. Es gibt einerseits eine Mehrzahl der islamischen am Halsketterl!). Religionsgelehrten, die die Kopfverschleierung für die geschlechtsreife muslimische Frau nach wie vor für obli- Kleidung als versteckte Botschaft gatorisch hält, und andererseits theologisch kompeten- Kleidung wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr te Verfechter und Verfechterinnen, die das Gegenteil zum sozialen Mittel der Kommunikation und bestimmt behaupten. Es hängt auch oft von der Glaubensrichtung unser Denken und Handeln. Sie kann auch in vielfacher im Islam ab, ob ultrakonservativ oder liberal. Hinsicht eine Abgrenzung von Gruppen gegenüber ande- ren erwirken und kennzeichnet den eigenen Lebensstil. Es ist nicht Sache des säkularen Staates, sich für oder Wenn ich als Lehrperson einen Schleier, einen Turban, ein gegen die eine oder die andere Position und die jeweils Kopftuch oder eine Kippa trage, zeige ich meine Zugehö- zugrundeliegende Koraninterpretation zu entscheiden. rigkeit zu einer religiösen Gruppe mit einer bestimmten Aber er hat dafür Sorge zu tragen, dass das Selbstbestim- religiösen Überzeugung. Ich signalisiere auch, dass ich mungsrecht der Frau gewahrt bleibt. Und so lange das die Werte dieser Gemeinschaft teile. Ich orientiere mich nicht der Fall ist, solange es muslimischen Eltern erlaubt an den religiösen Schriften wie z. B. der Bibel, halte mich ist, ihren Mädchen schon im Kindergarten und in der an Gebote und Verbote der Mitzwot ( jüdische Vorschrif- Volksschule das Kopftuch anzulegen, und solange nicht ten) oder lebe nach den Regeln des Korans. Vielfach ist ausgeschlossen werden kann, dass muslimische Frauen es aber nicht nur eine Religion, sondern auch eine Welt- zum Kopftuch gezwungen werden, wird das Kopftuch anschauung, die ich vertrete. immer auch als Symbol für die Unterdrückung der Frau gesehen werden. Die meisten Religionen verkünden zwar die Gleichheit von Frau und Mann vor Gott, weisen aber doch Frau- „Eine Lehrerin mit Kopftuch kann im tiefsten Inneren en und Männern auf Erden unterschiedliche Rollen zu. ihres Herzens eine glühende Verfassungspatriotin sein. Sie verweigern, eine patriarchalische Kultur in Frage zu Dennoch ist allein ihr Auftreten geeignet, ein Frauenbild stellen, die die Rolle der Ehefrau, der Mutter und der zu vermitteln, welches besagt, dass Frauen sich vor den Hausfrau als das Ideal propagiert. Es gibt vielerlei Vor- Blicken der Männer schützen und verhüllen sollen. Diese schriften, die sich vor allem an Frauen richten und sie in nonverbale Aussage ist des Pudels Kern“ (Necla Kelek ihren Freiheiten beschneiden (Kleidervorschriften, Kon – Soziologin, geboren in Istanbul, lebt seit ihrer Kind- trolle der weiblichen Sexualität etc.). Wen wundert’s! heit in Deutschland, www.welt.de/debatte/kommenta- Die Lehren fast aller Religionen sind von Männern ent re/article139330251/Nicht-jedes-Kopftuch-ist-Zeichen- wickelt worden! Die meisten Religionen verdammen der-Unterdrueckung.html). auch alle sexuellen Beziehungen, die nicht in der ehe Foto: ChaNaWiT/istock/Thinkstock lichen Gemeinschaft von Mann und Frau stattfinden, und Lehrkräfte sind Autoritätspersonen mit Vorbildwirkung. dulden ausschließlich Heterosexualität. Dürfen d iese Für Schüler und Schülerinnen gibt es für die gesamte Weltanschauungen versteckt in symbolischer Kleidung Dauer des Schulbesuchs keine Möglichkeit, sich der im an unsere Kinder nonverbal weitergeben werden? Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden Lehr- person zu entziehen. Darum sollten Pädagoginnen und Oben mit oder ohne Pädagogen im Unterricht unbedingt einer sichtbaren Das Gebot des Kopftuchtragens für die Frau wird vor religiösen Neutralität verpflichtet sein! allem mit drei Textpassagen des Korans begründet, die
MMag. Dr. Thomas Bulant stellvertretender Vorsitzender der gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und PFlichtschullehrer – 16 – Information Was braucht unsere Schule? – Der Faktor Vertrauen 2017 jährt sich der Geburtstag von Maria Theresia zum 300. Mal. Ihre Reformen im Bildungswesen werden Stoff diverser historischer Betrachtungen sein. Das aktuelle Schulsystem wird hinsichtlich seiner historischen Wurzeln zum Thema gemacht werden. Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart werden aufgezeigt. Die Spielwiese für die Experten ist eröffnet. Mit dem in dieser Ausgabe des aps-Magazins veröffentlichten Beitrag soll hingegen eine Serie gestartet werden, in der nicht die Experten verschiedener Provenienz über die Schule diskutieren, sondern Rückmeldungen aus dem Schulalltag der Lehrerinnen und Lehrer Beachtung finden. Wir stellen die Fragen: Wodurch könnte die Schule unterstützt werden? Wie könnte die Schule der Zukunft gelingen? Wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler heute Informa- kompetenzorientierten Jahresplanung entsprechen, in tionen zu Maria Theresia holen möchte, wird „Dr. Google“ der Jahresziele mit dem Anspruch, der Individualisierung oder eine andere Quelle aus dem World Wide Web schnell gerecht zu werden, mit standardisierten Kompetenzbau- zur Hand sein. In der Wikipedia werden sie im Beitrag über steinen in Einklang zu bringen sind. Die Maria Theresia folgende zwei Sätze zu Beginn lesen können: Unterschiedlichkeit von Kindern, Klas- sen, Jahrgängen und hetero- Maria Theresia von Österreich (* 13. Mai 1717 in Wien; genen Erziehungssituatio- † 29. November 1780 in Wien) war eine Fürstin aus dem nen verlangt, sich auf drei Hause Habsburg. Die regierende Erzherzogin von Öster- zentrale Kompetenzen zu reich und Königin u. a. von Ungarn (mit Kroatien) und konzentrieren: Böhmen (1740–1780) zählte zu den prägenden Monar- • die Befähigung, das chen der Ära des aufgeklärten Absolutismus. Alltagsleben zu bewäl- tigen, Die Lehrerin und der Lehrer sind am Rückzug hinsichtlich • die Basis, Kulturtech- der reinen Wissensvermittlung. Die Konkurrenz wird von niken verstehend ihnen selbst immer mehr genutzt. Ins Zentrum der Lehr- und zur Reflexi- tätigkeit rückt somit die Kompetenzvermittlung. Diese on befähigt anzu- muss nicht der nach Bildungsstandards ausgerichteten wenden,
information Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen – 17 – • die Überzeugung, Bildung als Lobbying für die eigenen Zukunftschancen zu verstehen. Die Einführung von Maria Theresias Schulpflicht war nicht von Idealismus und Humanismus getragen. Der Untertan sollte aus ihren Erfahrungen der ersten Regierungsjahre heraus, in denen sie um ihr Erbe kämpfen musste, in einem funktionierenden Staat funktionieren. Die Ziele der Schu- le, die wir als das „Wahre, Gute und Schöne“ aus dem § 2 des Schulorganisationsgesetzes entnehmen, waren Maria Theresia fern. Unsere Bundesverfassung umschreibt die drei zuvor genannten Kompetenzen mit den ihr eigenen Worten im Artikel 14, Absatz 5a. In einem Verfassungstext kann sich der Staat inszenieren, 20 fest, dass ein staatliches Organ – Lehrkräfte sind Orga- ohne für den diesbezüglichen Vollzug zu sorgen. Maria ne, so eigenartig dies auch für unsere Ohren klingen mag Theresia pflegte sich als Übermutter ihrer eigenen Kin- – die Befolgung einer Weisung eines Vorgesetzten nur derschar darzustellen. Die Auftraggeber der Wiener Ring ablehnen kann, wenn diese von einem unzuständigen straße und somit auch des Denkmals für Maria Theresia Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafge- zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum haben setzliche Vorschriften verstoßen würde. In den Dienst- ihre Botschaft verstanden: Maria Theresia zeigt sich ihren rechten, zum Beispiel § 30 Absatz 3 Landeslehrerdienst- Völkern als eine Übermutter. Wenn an der Spitze der rechtsgesetz, findet sich darüber hinaus der Passus, dass Dynastie eine Frau steht, dann nützt das Establishment des auch rechtswidrige Maßnahmen aufgrund einer schrift- 19. Jahrhunderts das weibliche Rollenbild, um einen Mehr- lichen Weisung zu befolgen sind. wert für das Haus Habsburg zu erzielen. In Wirklichkeit war sie sowohl in ihrem Erziehungsverhalten als auch in ihrem Hält der Landeslehrer eine Weisung eines Vorgesetzten Verwaltungsaufbau ein „Kontrollfreak“. Abseits der öffent- aus einem anderen Grund für rechtswidrig, so hat er, lichkeitswirksamen Auftritte mit ihren Kindern überließ die wenn es sich nicht wegen Gefahr im Verzug um eine Herrscherin den Erziehern das Tageswerk, nicht ohne sie unaufschiebbare Maßnahme handelt, vor Befolgung der mit ellenlangen Vorschriften und Erziehungsanleitungen Weisung seine Bedenken dem Vorgesetzten mitzuteilen. FotoS: drubig-photo, dbrnjhrj, adam121/fotolia.com einzudecken. Der Vorgesetzte hat eine solche Weisung schriftlich zu erteilen, widrigenfalls sie als zurückgezogen gilt. Warum haben viele Lehrerinnen und Lehrer heute noch immer das Gefühl, das sich daran in der österreichischen Fazit: Der Ober sticht den Unter. Das Weisungsrecht sorgt Schule und in der dahinter dominanten Schulverwaltung dafür selbst in Bereichen, die das Schulunterrichtsgesetz kaum etwas verändert hat? Wurde aus der Übermutter ganz klar als Kompetenz den Lehrpersonen zuordnet. Maria Theresia die Schulverwaltung? Wo stehen wir am Fragen: Warum intervenieren Vorgesetzte in der Leis- Weg zwischen Anordnungs- und Verantwortungskultur? tungsbeurteilung per Weisung? Warum wird in die eigen- ständige und verantwortliche Unterrichts- und Erzie- Das Weisungsrecht hungsarbeit der Lehrkraft immer wieder per Handlungs- Artikel 18 unserer Bundesverfassung schreibt vor, dass anleitungen eingegriffen? Die Lehrerinnen und Lehrer die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der sind doch durch die Verfassung – pragmatisierte Kolle- Gesetze ausgeübt werden darf. Gleichzeitig hält Artikel ginnen und Kollegen können sich noch an die Eidesformel
– 18 – Information erinnern – in ihrer Berufsausübung sowieso an die Gesetze len über bundesweite Ziele und deren Konkretisierung gebunden. Gibt es in unserem Vollzug kein Vertrauen in unter Bedachtnahme auf regionale und standortspezifi- die Gesetze? Besteht ein Generalverdacht, dass Lehrkräfte sche Gegebenheiten auf Landes- und Schulebene sowie nicht im Sinne der Gesetze handeln? Gibt es kein Vertrau- die für deren Erreichung zu treffenden Maßnahmen und en in die Arbeitshaltung und in das Verantwortungsbe- zu erbringenden Leistungen … wusstsein von Lehrkräften? Manchmal beschleicht einem das Gefühl, dass die Qualitätssicherung nicht produktori- Der Gesetzgeber versteht unter Qualitätsmanagement entiert ausgerichtet ist, sondern fast ungeduldig Prozesse ein Vertragswerk, in dem die Schulaufsicht mit den unabhängig von den individuellen lokalen Verhältnissen zu Schulen Zielvereinbarungen abschließt. Demnach ste- gestalten versucht und daher immer wieder in das opera- hen nicht mehr die Kontrolle und das Sanktionsdenken, tive Geschehen eingreift oder es behindert. Lehrerinnen dem einst Maria Theresia gehuldigt hat, im Vordergrund, und Lehrer klagen darüber, dass ihnen die rasche Abfol- sondern das gemeinsame Streben, die Ziele mit dement- ge an angeordneten methodischen und organisatorischen sprechenden Begleitmaßnahmen zu erreichen. Aus Hie- Eingriffen in die Pädagogik kaum eine Chance für deren rarchien sollen Partner in einem Team werden, ohne ein Implementierung im Schulalltag lässt. Das Gefühl der Gän- System der Nichtverantwortlichkeit zu schaffen. gelung macht sich breit, wenn die Sinnfrage unbeantwor- tet bleibt. Unverständnis aus aktuellem Anlass: Auch jene Wird das neue Abc der Bildungspolitik dafür einen Bei- Standorte, wo Unterrichtssprache, Entwicklungsstand der trag leisten können? Wird mit Autonomie, Bildungsdirek- Kinder oder Distanz der Familien zur Schule Barrieren bil- tion und Cluster der Weg frei von der Anordnungs- zur den, werden zu KEL-Gesprächen verpflichtet. Einstudierte Verantwortungskultur an unseren Schulen? Die Kompe- Gespräche, die mit der Realität des Unterrichtsprozesses tenzen und Aufgaben einer Schulaufsicht Neu sind gera- nichts zu tun haben, sind die Folge. Das System muss sich de in Verhandlung. Ergebnisse sind für Ende Februar zu selbst betrügen und formale Anforderungen abarbeiten, erwarten. um dann wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren und die täglichen Herausforderungen anpacken zu können. Als Erlässe weitere Beispiele aus dem schulischen „Showprogramm“ Reisegebührenvorschrift, alternative Leistungsbeschrei- werden da und dort immer wieder Tage der offenen Tür, bung oder klassische Leistungsbeurteilung in der Grund- Schulbesuche politischer Prominenz und natürlich die schule, KEL-Gespräche in Volks- und Mittelschule. Wie Schulinspektion genannt. sich Lehrerinnen und Lehrer in diesen Sachmaterien orientieren können, soll durch Erlässe im Vollzug erläu- Die Inspektion tert werden. Gerade in letzter Zeit war die Kongruenz Wer inspiziert, der prüft genau, indem er besichtigt und von Gesetzen und Erlässen leider nicht immer gegeben: Kontrollen durchführt. Das Wort „Schulinspektion“ findet Weder klare Vorgaben noch autonome Gestaltungs sich in der österreichischen Schulgesetzgebung im § 18 freiheit, lediglich Mehraufwand und Verunsicherung. des Bundesschulaufsichtsgesetzes, der dem Qualitäts- management gewidmet ist. In der Grundschulreform haben weder Gesetz noch (1) … Das Qualitätsmanagement umfasst auch die Durch- Erlass im vergangenen Herbst aufgezählt, aus welchen führung der Schulinspektionen, sofern diese zur Umset- alternativen Leistungsbeschreibungen die Klassenforen zung der Zielvereinbarungen (Abs. 2 Z 3) erforderlich ist. meinungsbildend, das Schulform schlussendlich ent- scheidend auswählen können. Autonomie für die Stand- (2) … Der Nationale Qualitätsrahmen hat … zu enthalten: orte kann daraus trotzdem nicht abgeleitet werden. Über … den Dienstweg lässt manche Schulbehörde heuer noch 3. die Verpflichtung zu periodischen Zielvereinbarungen die verbale Beurteilung zu, ab dem nächsten Schuljahr auf allen Ebenen der Schulverwaltung und der Schu- soll dann die Einschränkung erfolgen, und sie wird durch
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