An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...

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An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
Gewerkschaft Öffentlicher Dienst / Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer; Schenkenstraße 4/5, 1010 Wien, Österreich; Tel.: +43 (0)1/534 54-435, Fax: +43 (0)1/534 52-452; kontakt@pflichtschullehrer.at; www.pflichtschullehrer.at

                          hingesehen (Seite 8)

Verdienen begabte
Kinder keine Förderung?
                          aufgedeckt (Seite 10)

Lehrer/-innen
Gewalt gegen
Was braucht
                           Nachgefragt (Seite 16)

unsere Schule?
                                                                                                                                                                                                  An der Realität vorbei
                                                                                                                                                                    Die Abschaffung der Sonderschule
                                                                                                                                                                                                                                               1/2017_Februar
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
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                                                                       Gewerkschaft Pf­licht­schul­leh­rerinnen und Pf­licht­schul­leh­rer in der
                                                                       Ge­werk­schaft Öf­fen­t­­licher Dienst, 1010 Wien, Schenken­straße 4/V
                                                                       Te­l.: 01/534 54-435, Fax: 01/534 54-452, E-­Ma­il: aps@goed.at
                                                                       www.pflichtschullehrer.at
                                                                       Bü­ro­zei­ten: Mon­tag bis Do­nner­s­­tag von 7.30 bis 16.30 Uhr,
                                                                       Frei­tag von 7.30 bis 13.30 Uhr
                                     xxx                               Ko­sten­lo­se In­for­ma­tion für Mitglie­der der GÖD,
                                                                       Gewerkschaft Pf­licht­schul­lehrerinnen und Pflichtschullehrer

editorial
   –2–                             Martin Höflehner
                                                                       inhalt                                                                       aktuell

             Sehr geehrte Frau Kollegin!
             Sehr geehrter Herr Kollege!
                                                                        3         Seite des Vorsitzenden

             Die Forderungen, die in der Resolution zum „Autono-
             miepaket“ von der ARGE Lehrer/-innen in der GÖD am                   aktuell
             18. 11. 2016 gestellt wurden, sind immer noch nicht        6         Autonomiepaket
             erfüllt. Daher wurde in der letzten Woche das Plakat
             zum Autonomiepaket als erste gewerkschaftliche Akti-       8         Verdienen begabte Kinder keine Förderung?
             on an die Schulen versendet (siehe Seiten 6 und 7).        10        Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer
                                                                        14        Kopftuchverbot an Schulen?
             Der Leitartikel beschäftigt sich mit der geplanten
             Abschaffung der Sonderschule und einer flächen­
             deckenden Einführung der Inklusion, ohne dafür aus-                  information
             reichend Mittel (in finanzieller, personeller, ausstat-    16        Was braucht unsere Schule? – Der Faktor Vertrauen
             tungsmäßiger und räumlicher Hinsicht) zur Verfügung
             zu stellen.                                                20        Junglehrer/-innen INFO-Corner
                                                                        22        Eine Zeitung für die Schule
             Persönlich hat mir eine Pressemitteilung unserer deut-     24        Diensttausch
             schen Partnerorganisation VBE (Verband Bildung und
             Erziehung) zum Thema „Gewalt gegen Lehrerinnen
             und Lehrer“ sehr zu denken gegeben. Der Pressemit-
             teilung ging eine Untersuchung des Institutes FORSA
             unter knapp 2000 Lehrerinnen und Lehrern in drei
             deutschen Bundesländern voraus.

             Ich habe einen Ausschnitt der Untersuchung im Dezem-       OFFENLEGUNG GEMÄSS MEDIENGESETZ § 25
                                                                        Wirtschaftsbetriebe Ges. m. b. H. der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, 1010 Wien,
             ber in einer Zeitung in Wien veröffentlicht. Die zahl­     Teinfaltstraße 7. Unternehmens­gegenstand: Herstellung und Verbreitung literari-
             reichen Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen            scher Werke aller Art. Geschäftsführung: Otto Aiglsperger. Einziger Gesellschafter:
                                                                        Bildungs- und Presseverein der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Sitz: Wien. Betriebs-
             haben meine Vermutung bestätigt, dass das Problem in       gegenstand: Herstellung und Verarbeitung sowie Verlag literarischer Werke aller Art.
             Österreich in einer ähnlichen Dimension vorhanden ist.     Die Blattlinie entspricht jenen Grundsätzen, die in den Statuten und der Geschäftsord-
                                                                        nung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (Fassung gemäß Beschluss durch den 17.
                                                                        Gewerkschaftstag der GÖD) festgehalten sind.
             Besonders erschreckend finde ich die vielfach ange-
             sprochene mangelnde Unterstützung der vorgesetz-
             ten Behörden. In einigen Fällen gab es nicht nur keine
             Unterstützung, sondern sogar den Druck auf die Kolle-      Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe: 17. 2. 2017
             ginnen und Kollegen, die Vorfälle nicht an die Öffent-     Beiträge senden Sie bitte per E-Mail (aps@goed.at) an die Redaktion.
             lichkeit dringen zu lassen. Es scheint ein Tabuthema zu
             sein, bei dem betroffenen Kolleginnen und Kollegen,
                                                                       Impressum
             statt entsprechende Hilfestellungen zu geben, sugge-      „aps“ ist die Zeitschrift der Gewerkschaft Pf­licht­schul­leh­rerinnen und
             riert wird, dass so etwas „guten Lehrerinnen und Leh-     Pf­lichtschul­leh­rer in der Ge­werk­schaft Öf­fent­licher Dienst.
                                                                       He­raus­ge­ber: Ge­werk­schaft Öf­fent­licher Dienst. Medieninha­ber und Ver­leger:
             rern“ nicht passiert (Artikel, Seite 10 bis 13).          GÖD Wirtschaftsbetriebe GmbH., Teinfaltstraße 7, 1010 Wien. Chefredaktion und
                                                                       für den Inhalt verantwortlich: Martin Höflehner (Ltg.), Paul Kimberger,
            

                                                                       1010 Wien, Schenkenstraße 4/V, Tel.: 01/534 54-435. Redaktion, Pro­duk­tion,
                                                                       Konzeption und Anzeigenverwaltung: Mo­dern Ti­mes Me­di­a Ver­lags­ges.m.b.H.,
             Martin Höflehner                                          Lagergasse 6/2/35, 1030 Wien, Tel.: 01/513 15 50.
                                                                       Cover: Jamrooferpix/fotolia.com. Hersteller: Nieder­öster­rei­chi­sches Presse­haus
                                                                       Druck- und Verlagsges.m.b.H., Gutenberg­straße 12, 3100 St. Pölten.
                                                                       Verlagsort: Wien. Herstellungsort: St. Pölten. DVR-Nr.: 0046655.
                                                                       Na­ment­lich ge­kenn­­zeich­nete Bei­trä­ge stel­len die Mei­nung des Au­tors dar,
                                                                       die sich nicht mit der Mei­nung der Re­dak­tion dec­ken muss.
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
Paul Kimberger
                                                                                            Bundesvorsitzender der Gewerkschaft
                                                                                                         Pflichtschullehrerinnen
                                                                                                          und Pflichtschullehrer

                                                seite des vorsitzenden                                                                                            – 3 –-

                                                Abschaffung der Sonderschulen
                                                „Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) will       besonderen Bedürfnissen etwas zu verbessern. Das
                                                die Sonderschulen abschaffen. Kinder, die bisher in     scheint allerdings weder auf Sonja Hammerschmid
                                                Sonderschulen unterrichtet wurden, sollen mit eige-     noch auf ihre „Bildungsexperten“ zuzutreffen, die nicht
                                                nem Lehrplan in Mittelschulen integriert werden“        zum ­ersten Mal bewusst oder unbewusst mit falschen
                                                (ORF-Online am 5. Jänner 2017). Ab dem Jahr 2020        Fakten argumentieren.
                                                sollen also Sonderschulen die Ausnahme sein und
                                                ­
                                                „inklusive Mittelschulen“ die Normalität.               Inklusion kann nicht einfach anhand einiger „Best-
                                                                                                        Practice-Modelle“ an die Schulen delegiert werden.
                                                Inklusion ist ein schönes, modernes und verführeri-     Notwendig wäre zuallererst ein klarer gesellschafts-
                                                sches Wort. Wer sie fordert, sollte aber die Realität   politischer Konsens, um Inklusion zu einer langfristig
                                                an unseren pädagogischen Einrichtungen genau ken-       machbaren und motivierenden pädagogischen Pers-
                                                nen und von dieser ausgehen, um für Kinder mit ganz     pektive zu entwickeln, die sowohl Eltern als auch Leh-
                                                                                                        rerinnen und Lehrer überzeugt und allen Kindern einen
                                                                                                        Mehrwert bringt. Fest steht aber, dass für besondere
                                                                                                        Förderung, Therapie und Beratung auch weiterhin spe-
                                                                                                        zialisierte Angebote in hoher Qualität und ausreichen-
                                                                                                        der Zahl zur Verfügung stehen müssen. Es wird nämlich
                                                                                                        immer mehr Kinder geben, die unter den gegebenen
                                                                                                        Umständen an den Schulen nicht ihren Bedürfnissen
                                                                                                        entsprechend gefördert werden können oder deren
                                                                                                        Eltern das Angebot für ihr Kind nicht als angemessen
                                                                                                        erachten.

                                                                                                        Warum aber lassen wir nicht endlich unsere Sonder-
                                                                                                        pädagoginnen und Sonderpädagogen über ihre Arbeit
                                                                                                        sprechen und Eltern zu Wort kommen? Diese stehen
                                                                                                        nicht unter dem Druck unserer „Bildungsreformer“,
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                                                                                                        statt eigener Überlegungen und Erfahrungen politisch
                                                                                                        korrekte Worthülsen von sich geben zu müssen. Sie
                                                                                                        haben oft jahrzehntelang verschiedenste Kinder mit
                                                                                                        unterschiedlichen Begabungen, Talenten und Defiziten
                                                                                                        gefördert und wissen auch, was diese Kinder brauchen
                                                                                                        und was aus ihnen geworden ist.

                                                                                                         Das ist aber scheinbar zu einfach, zu ehrlich und zu
                                                                                                         wenig spektakulär. Es wäre für mich jedoch ein guter
                                                                                                         Ansatz für ein Umgehen mit Problemen, die es nun
                                                                                                         einmal gibt, auf Basis von gelebter Erfahrung und
                                                                                                         ­
                                                                                                        ­pädagogischem Können.
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
„Noch besser wäre es aber, wenn den Schülern vermittelt würde, kritisch mit
      ­Leer­formeln, Angeberei und Redensarten aus Bildungsministerien und den ihnen
      ­angeschlossenen pädagogischen Bürokratien umzugehen.“
      (Dr. Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ, „Leerformeln aus Lehrplänen“, FAZ vom 19. Jänner 2017)

–4–                                                                                                  seite des vorsitzenden

      Wir brauchen Zeit                                               Realität. Unser Schulsystem nämlich ständig so zu refor-
      Zukunftsfähigkeit heißt für mich nicht, dass man das Rad        mieren, dass unsere Kinder kompetenzorientiert den
      der Pädagogik ständig neu erfinden muss. Wir sollten uns        Anforderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes
      zurückhalten mit der Lust, ständig an unseren Kindern           entsprechen, ist eigenartig, fragwürdig und verantwor-
      herumzuexperimentieren. Wir sollten uns nicht länger            tungslos.
      selbst verleugnen und Legendenbildungen um soge-
      nannte „PISA-Sieger“ beenden.                                   Ihr

      Angesichts des derzeit geradezu absurd anmutenden
      Reform-Wirrwarrs, der faktenverleugnenden ministeri-
      ellen Bürokratie, des krakenhaft wuchernden Verwal-
      tungsirrsinns und der Flut an dilettantischem „Experten-
      geschwätz“ stellt sich die Frage, was an unseren Schulen        Paul Kimberger
      wirklich für guten Unterricht benötigt wird.
                                                                      Reaktionen bitte an: paul.kimberger@goed.at
      Mein großer Wunsch für 2017: Wir brauchen Zeit. Zeit
      für die Klasse. Zeit für den Stoff. Und Zeit für das ein-       Besuchen Sie auch die Website der Gewerkschaft
      zelne Kind. Wir müssen Schule wieder so machen, dass            Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer unter
      die Menschenbildung und das Erkennen von Zusammen-              www.pflichtschullehrer.at.
      hängen in einer komplexen, globalen Welt das Wesent-
      liche sind.

      Verlassen sollten wir uns dabei auf das pädagogische
      Können und die Expertise unserer Lehrerinnen und Leh-
      rer direkt vor Ort und nicht auf esoterische Bildungs­
      gurus oder reformeifrige Bildungspolitiker – fern j­ eglicher

        Wussten Sie schon?
        Es ist eine Frage, die so alt ist wie das Schulsystem:        Kinder auch, wie man ehrlich, pünktlich und fleißig
        Wo beginnt die Verantwortlichkeit der Schule, und wo          ist, Freunden Mitgefühl und Erwachsenen und Lehrern
        endet sie? Lehrerinnen und Lehrer einer Schule in Por-        gegenüber Respekt zeigt. Zu Hause lernen sie, wie
        tugal haben sich dazu entschlossen, diese Angelegen-          man gepflegt ist, nicht mit vollem Mund spricht und
        heit zu klären, indem sie einen Elternbrief verschickten      wie/wo man seinen Müll los wird. Zu Hause lernen sie,
        – dessen Botschaft verbreitet sich nun besonders in           wie man ordentlich ist, gut auf seine Sachen aufpasst
        sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer.                        und andere nicht belästigt. Hier in der Schule dage-
                                                                      gen bringen wir den Kindern Sprachen, Mathematik,
        „Liebe Eltern! Wir möchten Sie daran erinnern, dass           Geschichte, Geografie, Physik, Wissenschaft und Sport
        magische Worte wie ‚guten Morgen‘, ‚bitte‘, ‚danke‘,          bei. Wir stärken nur die Erziehung, die Kinder zu Hause
        „gern geschehen“, „Entschuldigung“ etc. alle zuerst           von ihren Eltern mitbekommen.“
        zu Hause gelernt werden müssen. Zu Hause lernen
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
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     Auf die Pädagoginnen
     und Pädagogen...

                       ...kommt
                            es an!

     GESUCHT:
            Kreativer Unterricht

     AUSZEICHNUNG IN
     3 KATEGORIEN:
          Individualität
          Lebenskompetenz
          MINT

PROJEKTE EINREICHEN AUF www.iv-teachersaward.at   BEWERBUNGSFRIST: 23.1.2017 bis 30.4.2017
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
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                            Resolution zum „Autonomie-
   nic
                            paket“ der Bundesregierung
–6–
      Einstimmig beschlossen in der Sitzung der ARGE Lehrer/-innen in der GÖD
      am 18. November 2016 in Wien.

      Am 18. Oktober 2016 wurde auf Vorschlag der Bundesre-              „Wir wehren uns gegen zu große Klassen, zu hohe Unter-
      gierung ein Ministerratsvortrag beschlossen, der unter dem         richtsverpflichtungen und nicht zufriedenstellende Betreu-
      Schlagwort „Autonomie“ Gesetzesvorschläge zur F­olge               ungsverhältnisse, weil wir den Bedürfnissen aller Kinder
      haben könnte, die negative Auswirkungen auf die Qualität           und Jugendlichen gerecht werden wollen und diese Leis-
      der Schulen in ganz Österreich haben werden. Sobald die            tung nicht auf Kosten unserer Gesundheit gehen darf.“
      Gesetzesvorschläge vorliegen, werden diese natürlich noch
      im Detail zu bewerten sein. Zu vier geplanten Maßnahmen            „Wenn die Gesellschaft der Schule zusätzliche Aufgaben
      hält die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD fest:                       überträgt, muss für deren Bewältigung auch zusätzliches
                                                                         Personal und ausreichende Ressourcen zur Verfügung
      • Die ersatzlose Streichung der Klassenschülerhöchstzahl           gestellt werden.“
      bzw. aller Eröffnungs- und Teilungszahlen lässt ange-
      sichts knapper Ressourcen größere Klassen und Gruppen              „Die demokratischen Mitwirkungsrechte der Lehrerinnen
      und damit erhebliche pädagogische Qualitätseinbußen                und Lehrer dürfen keinesfalls eingeschränkt werden und
      befürchten. Wie die propagierte „Individualisierung“ bei           sollten bei einem allfälligen Ausbau der Schulautonomie
      noch größeren Klassen und Gruppen gelingen soll, bleibt            entsprechend erweitert werden. Die gesetzlichen Mit­
      natürlich unbeantwortet.                                           bestimmungsrechte aller Schulpartnerinnen und Schulpart-
      • Das „kostenneutrale“ Autonomiepaket droht zu einem               ner sind an jedem Standort in vollem Umfang zu wahren
      pädagogischen Sparpaket zu werden, wenn Schulleitungen             und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.“
      am Standort zugunsten von übergeordneten Clusterleitun-
      gen eingespart oder Lehrer/-innenressourcen in Unterstüt-          Die im Ministerratsvortrag angeführten Hinweise auf die
      zungs- und Supportkräfte umgewandelt werden. An den                OECD und den Rechnungshof, aus denen die Notwendigkeit
      meisten Schulen wird es aber ohne zusätzliche Ressourcen           des sogenannten „Autonomiepakets“ abgeleitet wird, sind
      gar keine Autonomiespielräume geben. Wir brauchen also             für uns nicht nachvollziehbar. Aus unserer Sicht sind auch
      eine bedarfsgerechte und nachhaltig gesicherte Ressour-            manche Maßnahmen völlig ungeeignet, einen wirklichen
      cenzuteilung für jeden einzelnen Standort.                         pädagogischen Mehrwert für Schüler/-innen, Eltern und
      • Schulpartnerschaft hat in den letzten Jahrzehnten viel zum       Lehrer/-innen zu erzeugen, sondern lassen durch struktu-
      Gelingen von Schule beigetragen. Jetzt sollen Entscheidun-         relle Kompetenzverlagerungen eine noch stärker zentrali-
      gen am Standort unter dem Schlagwort „Autonomie“ von               sierte Dauerbevormundung unserer Schulen befürchten.
      den künftigen Schulleitungen bzw. Schulclusterleitungen
      alleine getroffen werden. Die vorgesehene Streichung von           Die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD fordert die Bundes-
      Mitbestimmungsrechten widerspricht unserem demokra-                regierung auf, die im Rahmen ihres „Autonomiepakets“
      tischen Verständnis und der gelebten Vereinbarungskultur           geplanten Maßnahmen zu überarbeiten und in sozial-
      an unseren Schulen. Auf Kontrollrechte durch schulpartner-         partnerschaftlichen Gesprächen ein „Autonomiepaket“
      schaftliche Gremien kann daher auch im Sinne der Quali-            zu entwickeln, das einen pädagogisch und organisatorisch
      tätssicherung nicht verzichtet werden.                             erkennbaren Mehrwert für unsere Kinder und Jugendlichen
      • Die Zentralisierung der Bestellung von zukünftigen Clus-         ermöglicht.
      ter-/Schulleitungen und das damit verbundene Zurück-
      drängen vorhandener Mitbestimmungsrechte der Lehrer/-              Für die ARGE Lehrer/-innen in der GÖD	
  
      innen ist für uns ebenfalls ein Schritt in die falsche Richtung.
                                                                         Paul Kimberger
      Wir weisen auf den Leitantrag „Bildung“ hin, der erst vor          Roland Gangl
      einem Monat am 17. Bundeskongress der Gewerkschaft                 Thomas Bulant
      Öffentlicher Dienst mit überwältigender Mehrheit aller
      Delegierten beschlossen wurde:                                     Wien, 18. November 2016
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
AUTONOMIEPAKET:
                Wir haben mehr pädagogische Freiheit gefordert! Jetzt bekommen wir mehr

                ZENTRALISMUS!                                                                    –7–

                      Sie nennen es Autonomie.
                              Für uns bedeutet mehr Freiheit für den Cluster weniger Freiheit
                              für die einzelne Schule.

                      Sie nennen es mehr Flexibilität.
                              Für uns bedeutet das größere Klassen und Gruppen, weniger
                              Individualisierung und ein pädagogisches Sparpaket.

                      Sie nennen es mehr Unterstützung.
                              Für uns bedeutet das, Lehrer/innen sollen durch
                              Sozialarbeiter/innen ersetzt werden.

                      Sie nennen es Qualitätssicherung und Bildungscontrolling.
                              Für uns bedeutet das mehr Aufwand für Testungen und weniger
                              Zeit für Unterricht.

                      Sie nennen es eine gerechtere Verteilung der Ressourcen.
                              Für uns bedeutet es, dass die einzelne Schule Recht und Einfluss
                              auf die Ressourcen verliert.

                      Wenn wir jetzt nicht aufstehen,
                      bleibt die Schule sitzen.

Paul Kimberger, Vorsitzender der APS-Gewerkschaft und der ARGE-Lehrer/innen
Roland Gangl, Vorsitzender der BMHS-Gewerkschaft
Dominikus Plaschg, Vorsitzender der Gewerkschaft Landwirtschaftslehrer/innen
Judith Roth, Vorsitzende der Gewerkschaft Berufsschule
Herbert Weiß, Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
MMAG. DR. CLAUDIA RESCH
                           Geschäftsführerin Österreichisches Zentrum für
                           Begabten­förderung und Begabungsforschung
                           claudia.resch@oezbf.at

–8–                                                                                                                  aktuell

      Verdienen begabte Kinder
      keine Förderung?
                 Begabtenförderung kein Thema im                     gik sowie Begabten- und Begabungsförderung“ sorgen soll.
                                                                     Zwar finden sich in Band 1 des Bildungsberichts auch Daten
                       Nationalen Bildungsbericht.
                                                                     zu Spitzenschülerinnen und -schülern, diese werden aber
                                                                     nur in einem zahlenmäßigen Verhältnis zu den leistungs-
                                                                     schwachen Risikoschülerinnen und -schülern gesehen. In
      Im Mai 2016 veröffentlichte das Institut BIFIE den Nationa-    Band 2, in dem die wesentlichen Empfehlungen für das
      len Bildungsbericht für Österreich, der laut BIFIE die Situ-   österreichische Schulsystem festgehalten werden, kommt
      ation der österreichischen Schule aus unterschiedlichen        das Wort „begabt“ nicht vor, obwohl es laut BIFIE in Öster-
      Blickwinkeln betrachtet und Daten, Fakten sowie Prob-          reich ohnehin nur sehr wenige Spitzenschüler/-innen im
      lemstellungen in Bezug auf das Bildungswesen aufberei-         Vergleich zu anderen Ländern gibt.
      tet. Der Bericht wird von Expertinnen und Experten der         Das Potenzial für Spitzenleistungen wäre aber gegeben.
      österreichischen Bildungsforschungslandschaft verfasst         Neuesten wissenschaftlichen Schätzungen zufolge haben
      und erscheint seit 2009 im Dreijahresrhythmus. Das ÖZBF        zirka 20 Prozent eines jeden Jahrgangs das Potenzial zu
      hat sich den Nationalen Bildungsbericht in Hinsicht auf die    Spitzenleistungen – wenn die Förderbedingungen passen.
      Begabungs- und Begabtenförderung angesehen.                    In Österreich entspricht das weit über 200.000 Schülerin-
                                                                     nen und Schülern. Diese Schüler/-innen brauchen indivi-
      Begabtenförderung zwar Ziel im                                 duelle Förderung, um ihre Potenziale zu entwickeln. Daher
      Regierungsübereinkommen, aber nicht                            ist es bedenklich, dass die Autorinnen und Autoren des
      im Bildungsbericht                                             Bildungsberichts, wenn sie von „individueller Förderung“
      Anspruch des Bildungsberichts ist es, eine umfassende          schreiben, ausschließlich die Förderung von leistungs-
      Grundlage für die bildungspolitische Diskussion und Steue­     schwächeren Schülerinnen und Schülern im Blick haben.
      rung des Schulwesens in Österreich zu schaffen. Umso
      kritischer ist zu sehen, dass die Förderung von begabten       Drei Argumente für Begabtenförderung
      Schülerinnen und Schülern im gesamten Bericht kein The-        Nun könnte man zwar argumentieren, es gebe derzeit zu
      ma ist, obwohl diese im Regierungsübereinkommen1 als Ziel      viele Risikoschüler/-innen und man könne sich deshalb im
      beschrieben wird (S. 44):                                      Schulsystem nicht auch noch auf ohnehin leistungsstar-
      Ziel: Begabungs- und Begabtenförderung – Entdecken und         ke Schüler/-innen konzentrieren. Dahinter steht offenbar
      fördern aller Talente und Begabungen.                          die Hoffnung, dass diese ihre Begabungen von selbst ent­
      Maßnahmen: Ausbau der Begabungserkennung und                   wickeln. Dies ist aber erstens rechtswidrig, zweitens fak-
      Begabtenförderung; Stärkung der anwendungsorientier-           tisch falsch und drittens langfristig schädigend.
      ten Begabungsforschung und der vorhandenen Netzwerke           1. Begabte Kinder haben genauso wie alle anderen Kinder
      und Kooperationen; Weiterentwicklung der Aus-, Fort- und       auch das gesetzliche Recht auf Förderung (siehe Paragraf
      Weiterbildung.                                                 2 des Schulorganisationsgesetzes 1962).
      Auch die Bildungsreform hat die Förderung von Begabun-         Weiters fordert der Grundsatzerlass zur Begabtenförde-
      gen in mehreren Bereichen als wichtiges Ziel ausgegeben2:      rung (2009): „Im Sinne der Chancengerechtigkeit hat die
      beim Elementarpädagogikpaket, beim Schuleingangsphase-         Schule die Aufgabe, auch die Lern- und Entwicklungs­
      und Volksschulpaket und bei der Einrichtung einer Bildungs-    bedürfnisse der (hoch) begabten Schüler/-innen wahr-
      stiftung, die „als Exzellenzprogramm für eine progressive      zunehmen und ihnen mit adäquaten pädagogischen und
      Weiterentwicklung der (Kindergarten- und) Schulpädago-         organisatorischen Maßnahmen Rechnung zu tragen.“
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
„Sogar die OECD bestätigt, dass Österreich am Wohlstand von morgen spart: ‚Österreich
investiert einen geringeren Anteil seines Wohlstandes und seines Budgets in Bildung als
andere Länder.´“
(OECD (Hrsg.), „Österreich – Ländernotiz – Bildung auf einen Blick: OECD-Indikatoren“ (2015), Seite 8)

AKTUELL                                                                              Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen                       –9–

2. Die Begabungsforscher/-innen sind sich einig, dass       TIMSS 2011
begabte Schüler/-innen ihre Talente eben nicht ohne         Mathematik: Verteilung der Schüler/innen auf Kompetenzstufen
Förderung optimal entwickeln können. Fördert man
Begabte nicht, können ihre Begabungen verküm-
mern. Ihre Motivation kann in Desinteresse umschla-
gen – es besteht sogar die Gefahr, dass sie zu Risiko-
schülerinnen und -schülern werden.
3. Begabungen nicht zu fördern, schädigt langfristig
den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Österreich. Bil-
dungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) beton-
te selbst bei ihrer Antrittsrede im Parlament im Mai
2016: „Österreich verfügt über nahezu keine Roh­
stoffe, daher brauchen wir kluge Köpfe und hervor-
ragende Ideen, Produkte und Dienstleistungen, die
unserer Wirtschaft helfen. Diese klugen Köpfe gilt es
zu entwickeln.“
Kluge Köpfe, begabte Schüler/-innen gilt es also zu
unterstützen – sie entwickeln sich nicht von alleine.
Im Hinblick auf die Zukunft Österreichs scheint es also          Abb. 1: Länderergebnisse von TIMMS 2011.
etwas kurz gedacht, begabte Schüler/-innen im Schul-             Quelle: TIMSS 2011, Darstellung: BIFIE (Suchań,
system weitgehend sich selbst zu überlassen.                     Wallner-Paschon, Bergmüller & Schreiner, 2012)

                                                                 fehlen Österreich aber jene Spitzenschüler/-innen, welche
Österreich hat im Vergleich sehr wenige
                                                                 in manch anderen Ländern, vor allem den teilnehmen-
Spitzenschüler/-innen
                                                                 den südostasiatischen Staaten, häufiger vertreten sind“
Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, zeigen die inter-
                                                                 (ebd., S. 154).
nationalen Studien TIMSS, PIRLS und PISA: Österreich hat
im Vergleich einen sehr viel geringeren Anteil an Spitzen­
                                                                 Der Nationale Bildungsbericht erhebt den Anspruch,
schülerinnen und -schülern als andere Länder.
                                                                 moderne Bildungspolitik und -steuerung zu unterstützen
• Die Mathematik-Vergleichsstudie TIMSS (2011) ergab
                                                                 und zukünftige bildungspolitische Themen für den öffent-
   einen Spitzenschüler/-innen-Anteil von nur zwei Pro-
                                                                 lichen und wissenschaftlichen Diskurs aufzubereiten.
   zent (Kompetenzstufe 4), im Vergleich zu acht Prozent
                                                                 Dazu gehört jedenfalls auch die Förderung begabter und
   in anderen Ländern (siehe Abb. 1).
                                                                 ­leistungsstarker Schülerinnen und Schüler.
• Die Lesestudie PIRLS (2011) ergab, dass der Anteil leis-
   tungsstarker Volksschüler/-innen im Lesen nur fünf Pro-
   zent betrug (Kompetenzstufe 4), womit Österreich die         Literatur
                                                                Bruneforth, M., Eder, F., Krainer, K., Schreiner, C., Seel, A. & Spiel, C. (Hrsg.)
   Schlussposition unter den 14 Vergleichsländern einnahm       (2016): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015, Band 2: Fokussierte
   (ebd.).                                                      Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Graz: Leykam.
                                                                Bruneforth, M., Lassnigg, L., Vogtenhuber, S., Schreiner, C. & Breit, S.
• Die PISA-Studie (2012) zeigte, dass der Anteil der 15-jäh-
                                                                (Hrsg.) (2016): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015, Band 1:
   rigen österreichischen Spitzenschüler/-innen erheblich       Das Schulsystem im Spiegel von Daten und Indikatoren. Graz: Leykam.
   geringer ist als etwa in Deutschland und der Schweiz:        Suchań, B., Wallner-Paschon, C., Bergmüller, S. & Schreiner, C. (Hrsg.)
                                                                (2012): PIRLS & TIMSS 2011. Schülerleistungen in Lesen, Mathematik und
   Österreich: 13 Prozent, Deutschland: 18 Prozent, Schweiz:    Naturwissenschaft in der Grundschule. Erste Ergebnisse. Graz: Leykam.
   22 Prozent (Bruneforth, Lassnigg, Vogtenhuber, Schrei-
   ner & Breit, 2016).                                          1 https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264.
Die Autorinnen und Autoren des Bildungsberichts kommen          2Vortrag an den Ministerrat am 17. November 2015
hier selbst zur Schlussfolgerung: „Gerade in Mathematik         (https://www.bmbf.gv.at/ministerium/vp/2015/20151117.pdf?55kaz6).
An der realität vorbei - die abschaffung der sonderschule - Gewerkschaft der ...
MARTIN HÖFLEHNER
                                STELLVERTRETENDER VORSITZENDER DER GEWERK­SCHAFT
                                PFLICHTSCHULLEHRERINNEN UND PFLICHTSCHULLEHRER

– 10 –                                                                                                        aktuell

               Gewalt gegen LehrerInnen
               und Lehrer
                                                              Gewalt gegen Lehrkräfte ist nicht ihr
                                                              Privatproblem!
                                                              (VBE-Presseaussendung vom 14. 11. 2016)
                                                              Wenn zwei Drittel der befragten Lehrkräfte beim Thema
                                                              Gewalt gegen Lehrkräfte mehr Engagement und Schutz
                                                              von ihrem Dienstherren erwarten, ist das ein Alarm­
                                                              signal an die Politik! Gewalt gegen Lehrkräfte wird häu-
                                                              fig als jobimmanent abgetan und kleingeredet. Es ist
                                                              skandalös, so zu tun, als sei es Bestandteil des Berufes,
                                                              sich beleidigen, belästigen und körperlich angreifen zu
                                                              l­assen“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzen-
                                                              der des Verbands Bildung und Erziehung, die heute in
                                                              Düsseldorf veröffentlichte repräsentative forsa-Umfra-
                                                              ge „Gewalt gegen Lehrkräfte“, die der VBE in Auftrag
                                                              gegeben hatte.
                                                              Der Ton in der Gesellschaft werde immer rauer, die Spra-
                                                              che verrohe, Konflikte eskalierten öfter, schneller und
                                                              werden mit härteren Mitteln ausgetragen, Autoritäten
                       Einige österreichische und deutsche    werden nicht mehr anerkannt. Diese gesamtgesell-
            Zeitungsartikel („Schüler-Terror gegen Lehrer“,   schaftliche Entwicklung mache auch vor der Schule nicht
                                                              halt. 55 Prozent der befragten Lehrkräfte sagten, dass
             „Unterricht: ‚Gewalt gegen Lehrer nimmt zu‘“,
                                                              es an ihrer Schule in den letzten fünf Jahren Fälle gab, in
           „Schüler teilen immer öfter gegen Lehrer aus“)     denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt,
               haben mich für dieses Thema in den letzten     gemobbt oder belästigt wurden. Selbst von psychischer
                                                              Gewalt betroffen waren ein Viertel der Befragten.
                Wochen sensibilisiert. Daher hat mich eine
                                                              Fälle an der Schule, in denen Lehrkräfte körperlich in den
          Umfrage unserer deutschen Partnerorganisation       letzten 5 Jahren angegriffen wurden, wussten 21 Prozent
                                                                                                                            Foto: Discha-AS/istock/thinkstock

                            Verband Bildung und Erziehung     bundesweit zu berichten. Selbst Erfahrungen mit körper­
                                                              licher Misshandlung, zum Beispiel schlagen, schütteln,
          (VBE, www.vbe.de) gemeinsam mit dem Markt
                                                              stoßen, treten, boxen, mit Gegenständen werfen, an den
                     und Meinungsforschungsinstitut forsa     Haaren ziehen, mit den Fäusten oder Gegenständen prü-
              (www.forsa.de) sehr interessiert. Ich möchte    geln, haben 6 Prozent der befragten Lehrkräfte gemacht.
                                                              Der Bundesvorsitzende macht deutlich: „6 Prozent von
         Ihnen zuerst die Presseaussendung des VBE und
                                                              knapp 755.000 an allgemeinbildenden Schulen beschäf-
                  anschließend die Umfrage näherbringen.      tigten Lehrkräften sind über 45.000 Lehrerinnen und
aktuell                                                                    Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen    – 11 –

Lehrer, die tätlich angegriffen wurden! Wir lassen uns      auf einmal spielen sollen. Es besteht dringender Hand-
nicht mehr erzählen, dass Gewalt gegen Lehrkräfte Ein-      lungsbedarf!“
zelfälle sind. Erschütternde Gewissheit ist: Das sind sie   Dass die Politik reagieren muss, zeigt sich auch an die-
nicht! Und es sind 45.000 zu viel.“                         sem Ergebnis: 45 Prozent der Befragten erwarten von
Auch Cybermobbing wird ein immer größeres Phäno-            der Schulverwaltung und 58 Prozent der Befragten von
men. 77 Prozent der Befragten sehen eine Zunahme von        der Landesregierung und dem Schulministerium, dass sie
Formen des Mobbings über das Internet. Fast jede dritte     endlich mehr unterstützt und besser geschützt werden.
befragte Lehrkraft gab an, dass es Fälle an der Schu-
le gab. Beckmann: „Medienkompetenz ist wichtig, um          Wir fordern:
Schülerinnen und Schüler ein Unrechtsbewusstsein für        • Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr
Cybermobbing zu vermitteln.“                                   sein.
„Gewalt gegen Lehrkräfte“ wird von 57 Prozent der           • Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu
Befragten als Tabuthema angesehen. So ist es auch zu           erfolgen.
erklären, dass 15 Prozent der Befragten angaben, dass       • Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden.
sie bei psychischen Angriffen durch Schüler nichts unter-   • Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienst-
nommen haben. Erfolgte der psychische Angriff durch            herren erhalten.
Eltern, geben sogar 35 Prozent der befragten Lehrkräf-      • Entwicklung klarer Strukturen, an wen sich Lehr­kräfte
te an, den Vorfall nicht gemeldet zu haben. Beckmann           wenden können und was nach einem Übergriff zu tun
kommentiert: „Gewalt gegen Lehrkräfte wird zum Pri-            ist.
vatproblem erklärt. Fehlende Unterstützung der Verant-      • Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle
wortlichen, Zweifel an der Erfolgsaussicht und die Angst       Teams.
vor Konsequenzen verhindern die konsequente Mel-            • Ein breites Fortbildungsangebot.
dung und Verfolgung von psychischen und physischen          • Vermittlung von Medienkompetenz als Prävention
Angriffen. Der Dienstherr muss sich schützend vor und          gegen Cybermobbing.
vor allem unterstützend hinter die Lehrkräfte stellen.“
Der Bundesvorsitzende stellt klar: „Viel zu oft wird das    Vorbemerkung von forsa zur Umfrage
Problem kleingeredet. Die schlimmste Relativierung:         Im Rahmen der Untersuchung wurde neben generellen
‚Das gehört halt zu Ihrem Job.‘ Außer professionellen       Einschätzungen zum Stellenwert des Themas ermittelt,
Kampfsportlern ist mir keine Personengruppe bekannt,        wie verbreitet Formen von psychischer oder körperli-
zu deren Job es gehört, sich psychisch und physisch         cher Gewalt an Schulen in Deutschland tatsächlich sind
angreifen zu lassen.“                                       und wie seitens der Schulen und der Lehrkräfte mit die-
Präventiv könnte neben Gesprächen mit den Schülern,         sen Fällen umgegangen wird. Darüber hinaus wurden die
einem Schulkodex und Kooperationen mit der Polizei          Lehrkräfte auch zur Bedeutung und Umsetzung verschie-
und externen Institutionen vor allem das Arbeiten in        dener Präventionsmaßnahmen gefragt.
multiprofessionellen Teams und in ausreichend großen        Im Rahmen der Untersuchung wurden bundesweit insge-
Räumen wirken. Allerdings werden diese Gelingens­           samt 1951 Lehrer/-innen (darunter jeweils 500 in Nord-
bedingungen von der Politik verweigert. Während 68          rhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg) an
Prozent der Befragten die Zusammenarbeit mit multipro-      allgemeinbildenden Schulen in Deutschland befragt.
fessionellen Teams als sinnvoll für die Gewaltpräventi-     Die Erhebung wurde vom 19. September bis zum
on erachten, arbeiten nur 41 Prozent der Lehrkräfte so.     25. Oktober 2016 mithilfe computergestützter Telefon-
Beckmann empört: „Das ist ein vom Bildungsministerium       interviews durchgeführt. Die Untersuchungsbefunde
geschriebenes Drama, in dem die Lehrkräfte fünf Rollen      werden im nachfolgenden Ergebnisbericht vorgestellt.
„In immer kürzerer Zeit sollen immer mehr junge Menschen aus immer unterschied­
         licheren Milieus immer kostengünstiger immer besser ausgebildet werden. Das kann
         nicht gut gehen.“
         (Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann vor Lehrerinnen und Lehrern am 12. Jänner 2016)

– 12 –                                                                                                                aktuell

         Die ermittelten Ergebnisse können lediglich mit den bei      Maßnahmen ergriffen wurden, 19 Prozent begründen
         allen Stichprobenerhebungen möglichen Fehlertoleran-         dies mit der Geringfügigkeit der Tat, 14 Prozent geben
         zen (im vorliegenden Fall plus/minus 3 Prozentpunkte)        an, dass der Schüler bzw. die Schülerin nicht strafmündig
         auf die Gesamtheit der Lehrer/-innen an allgemeinbil-        war, 10 Prozent nennen die Einsicht des Schülers bzw. der
         denden Schulen in Deutschland übertragen werden              Schülerin. Rücksicht auf den Täter oder die Täterin, man-
                                                                      gelnde Unterstützung durch Verantwortliche, Zweifel an
         Ausgewählte Inhalte der Umfrage                              den Erfolgsaussichten einer Anzeige, ein zu hoher Auf-
         • Umgang mit dem Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“             wand oder dass eine Anzeige als Lehrer/-in nicht möglich
         Nur eine Minderheit der Befragten glaubt, dass an            war, sind weitere vorgebrachte Gründe, warum auf eine
         Schulen in Deutschland weitgehend offen mit dem
         ­                                                            Anzeige verzichtet wurde.
         Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“ umgegangen wird.
         57 Prozent meinen hingegen, dass dies eher ein Tabu-         Besonders erschreckend finde ich:
         Thema ist.
                                                                      • Fälle physischer Gewalt an der Schule
         • Des Themas „Gewalt gegen Lehrkräfte“ nimmt sich            (Siehe Grafik 3)
         ausreichend an:
         (Siehe Grafik 1)                                             • Eigene Erfahrungen mit physischer Gewalt
                                                                      Die Hälfte der Lehrer/-innen, die selbst schon einmal
         • Vorfälle von Gewalt gegen Lehrkräfte an der ­eigenen       körperlicher Gewalt an ihrer Schule ausgesetzt war, gibt
         Schule                                                       an, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt hat, die
         Psychische Gewalt an der Schule                              andere Hälfte, dass dies mehrfach vorgekommen ist.
         55 Prozent der Lehrer/-innen geben an, dass ihnen aus        Fast alle Fälle körperlicher Gewalt gingen von Schülerin-
         den letzten fünf Jahren Fälle an ihrer Schule bekannt        nen bzw. Schülern aus (97 Prozent, 3 Prozent von Eltern).
         sind, in denen Lehrkräfte in irgendeiner Form psychi-        Im Hinblick auf ihre Kolleg/-inn/-en haben sich fast alle
         scher Gewalt ausgesetzt waren.                               Betroffenen nach einem solchen Vorfall ausreichend
         23 Prozent geben an, dass sie selbst an ihrer Schule         unterstützt gefühlt, drei Viertel sagen dies von der Schul-
         schon einmal Ziel von Beschimpfungen, Diffamierungen,        leitung.
         Mobbing, Drohungen oder Belästigungen waren.                 Auch bei Fällen körperlicher Gewalt haben die betroffe-
         Auch in dieser Frage ergeben sich Unterschiede in ­erster    nen Lehrer/-innen außerhalb der Schule vor allem bei
         Linie in Abhängigkeit von der Schulform, an der die          Partnern oder Freunden (70 Prozent) Rat und Unterstüt-
         Lehrer/-innen unterrichten.                                  zung gesucht. Ein Viertel hat niemanden außerhalb der
         (Siehe Grafik 2)                                             Schule zu Rate gezogen.
                                                                      Fast alle derjenigen, die schon einmal von einem Schü-
         • Persönliche Erfahrungen mit psychischer Gewalt             ler oder einer Schülerin körperlich angegriffen wur-
         Die große Mehrheit der Lehrer/-innen, die schon ein-         den, haben beim letzten Vorfall dieser Art etwas kon-
         mal von einem Schüler oder einer Schülerin beschimpft,       kret dagegen unternommen, aber auch in diesen Fällen
                                                                                                                                    Foto: Hazeberry/istock/Thinkstock

         gemobbt, beleidigt, belästigt oder bedroht wurde, hat        wurde nur sehr selten (neun Prozent) Anzeige erstattet.
         dagegen auch etwas unternommen und den Vorfall               Als Gründe werden hier vor allem angegeben, dass der
         gemeldet (86 Prozent).                                       Täter noch nicht strafmündig war, dass man aus Rück-
         Nur in sehr wenigen Fällen (sieben Prozent) wurde            sicht auf den Schüler bzw. die Schülerin davon abge-
         gegen den betreffenden Schüler Anzeige erstattet.            sehen hat oder weil ohnehin schulinterne Maßnahmen
         Die Gründe dafür sind nach Auskunft der Lehrer/-innen        eingeleitet wurden. Zu den ergriffenen Maßnahmen bei
         sehr vielfältig. 24 Prozent nennen als Grund, keine Anzei-   Fällen körperlicher Angriffe durch Schüler gehören vor
         ge erstattet zu haben, dass stattdessen schulinterne         allem das Einschalten der Eltern oder anderer Autoritä-
AKTUELL                                                              Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen   – 13 –

ten. Weitere ergriffene Maßnahmen gegen den betref-
fenden Schüler bzw. die betreffende Schülerin waren
die Konfrontation des Schülers bzw. der Schülerin mit
der Tat, ein temporärer oder dauerhafter Schulverweis,
Ordnungsmaßnahmen, der Ausschluss von Aktivitäten,
eine Klassenkonferenz, psychotherapeutische Maß-
nahmen, die Androhung von Maßnahmen oder soziale
Tätigkeiten.

Sollten die Prozentsätze aus dieser Umfrage auf Öster-
reich übertragbar sein, muss es eine riesige Zahl an
Fällen geben, die nie über die Schule hinaus bekannt
geworden sind. Sollte dies so sein, müssen wir uns
den Forderungen des VBE (vor allem den ersten vier        Grafik 1
Punkten) vollinhaltlich anschließen. Diese sind:

• Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr
   sein.
• Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu
   erfolgen.
• Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden.
• Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des
  ­Dienstgebers erhalten.

                                                          Grafik 2

                                                          Grafik 3
Claudia
                                xxx     Wolf-Schöffmann
                                Mitglied der Bundesleitung 10

– 14 –                                                                                                               aktuell

                                                    Kopftuchverbot
                                                    an Schulen?
                                                           Integrationsexperte und Regierungsberater Heinz
                                                        Faßmann schlägt ein Kopftuchverbot im Öffentlichen
                                                           Dienst vor, mit der Begründung, dass Beamtinnen
                                                              und Beamte gegenüber Religionen neutral auf­
                                                          treten sollen. Vor allem für den Schulbereich kann
                                                             man sich ein solches Kopftuchverbot vorstellen,
                                                          weil es dort um Vorbildwirkung und Einflussnahme
                                                             auf junge Menschen geht. Das Verbot soll keine
                                                              Religionslehrerinnen und keine Lehrerinnen an
                                                                Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht treffen.

         Postwendend wurde diese Forderung von Vertretern            Bedienstete haben sie lediglich darauf zu achten, dass
         verschiedener Glaubensgemeinschaften, vor allem von         ihr Kleidungsstil nicht dem Ansehen der Berufsgruppe
         der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich          schadet. Kleidung mit gewaltverherrlichenden, sexisti-
         (IGGÖ) zurückgewiesen. Diese meint, dass eine solche        schen, rassistischen, antireligiösen oder faschistischen
         Maßnahme ein völlig falsches Signal, antiintegrativ und     Symbolen und Texten mit versteckten Botschaften sind
         diskriminierend wäre.                                       ausgeschlossen. Weiters ist es Pädagoginnen und Päd-
                                                                     agogen auch untersagt, ihre politische Zugehörigkeit
         Pädagogisch schick                                          sichtbar zur Schau zu stellen, da sie im Unterricht der
         Es gibt keine Kleidungsvorschriften für Lehrerinnen. Ihre   parteipolitischen Neutralität verpflichtet sind. Es stellt
         Berufskleidung ist ihre Alltagskleidung. Als öffentlich     sich nun die Frage, inwiefern eindeutig zuordenbare
aktuell                                                                     mit
                                                                                                              Mit  leidenschaftfür
                                                                                                                  Leidenschaft  fürunsere
                                                                                                                                    unsereLehrer/-innen
                                                                                                                                           lehrer/innen       – 15 –

                                   r­ eligiöse Kleidungsstücke Kinder beeinflussen (hier geht    sich in Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59
                                    es nicht um das Kreuz, den Halbmond oder den Buddha          finden. Es gibt einerseits eine Mehrzahl der islamischen
                                    am Halsketterl!).                                            Religionsgelehrten, die die Kopfverschleierung für die
                                                                                                 geschlechtsreife muslimische Frau nach wie vor für obli-
                                   Kleidung als versteckte Botschaft                             gatorisch hält, und andererseits theologisch kompeten-
                                   Kleidung wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr           te Verfechter und Verfechterinnen, die das Gegenteil
                                   zum sozialen Mittel der Kommunikation und bestimmt            behaupten. Es hängt auch oft von der Glaubensrichtung
                                   unser Denken und Handeln. Sie kann auch in vielfacher         im Islam ab, ob ultrakonservativ oder liberal.
                                   Hinsicht eine Abgrenzung von Gruppen gegenüber ande-
                                   ren erwirken und kennzeichnet den eigenen Lebensstil.         Es ist nicht Sache des säkularen Staates, sich für oder
                                   Wenn ich als Lehrperson einen Schleier, einen Turban, ein     gegen die eine oder die andere Position und die jeweils
                                   Kopftuch oder eine Kippa trage, zeige ich meine Zugehö-       zugrundeliegende Koraninterpretation zu entscheiden.
                                   rigkeit zu einer religiösen Gruppe mit einer bestimmten       Aber er hat dafür Sorge zu tragen, dass das Selbstbestim-
                                   religiösen Überzeugung. Ich signalisiere auch, dass ich       mungsrecht der Frau gewahrt bleibt. Und so lange das
                                   die Werte dieser Gemeinschaft teile. Ich orientiere mich      nicht der Fall ist, solange es muslimischen Eltern erlaubt
                                   an den religiösen Schriften wie z. B. der Bibel, halte mich   ist, ihren Mädchen schon im Kindergarten und in der
                                   an Gebote und Verbote der Mitzwot ( jüdische Vorschrif-       Volksschule das Kopftuch anzulegen, und solange nicht
                                   ten) oder lebe nach den Regeln des Korans. Vielfach ist       ausgeschlossen werden kann, dass muslimische Frauen
                                   es aber nicht nur eine Religion, sondern auch eine Welt-      zum Kopftuch gezwungen werden, wird das Kopftuch
                                   anschauung, die ich vertrete.                                 immer auch als Symbol für die Unterdrückung der Frau
                                                                                                 gesehen werden.
                                   Die meisten Religionen verkünden zwar die Gleichheit
                                   von Frau und Mann vor Gott, weisen aber doch Frau-            „Eine Lehrerin mit Kopftuch kann im tiefsten Inneren
                                   en und Männern auf Erden unterschiedliche Rollen zu.          ihres Herzens eine glühende Verfassungspatriotin sein.
                                   Sie verweigern, eine patriarchalische Kultur in Frage zu      Dennoch ist allein ihr Auftreten geeignet, ein Frauenbild
                                   stellen, die die Rolle der Ehefrau, der Mutter und der        zu vermitteln, welches besagt, dass Frauen sich vor den
                                   Hausfrau als das Ideal propagiert. Es gibt vielerlei Vor-     Blicken der Männer schützen und verhüllen sollen. Diese
                                   schriften, die sich vor allem an Frauen richten und sie in    nonverbale Aussage ist des Pudels Kern“ (Necla Kelek
                                   ihren Freiheiten beschneiden (Kleidervorschriften, Kon­       – Soziologin, geboren in Istanbul, lebt seit ihrer Kind-
                                   trolle der weiblichen Sexualität etc.). Wen wundert’s!        heit in Deutschland, www.welt.de/debatte/kommenta-
                                   Die Lehren fast aller Religionen sind von Männern ent­        re/article139330251/Nicht-jedes-Kopftuch-ist-Zeichen-
                                   wickelt worden! Die meisten Religionen verdammen              der-Unterdrueckung.html).
                                   auch alle sexuellen Beziehungen, die nicht in der ehe­
Foto: ChaNaWiT/istock/Thinkstock

                                   lichen Ge­mein­schaft von Mann und Frau stattfinden, und      Lehrkräfte sind Autoritätspersonen mit Vorbildwirkung.
                                   dulden ausschließlich Heterosexualität. Dürfen d
                                   ­                                                   ­iese     Für Schüler und Schülerinnen gibt es für die gesamte
                                   Weltanschauungen versteckt in symbolischer Kleidung           Dauer des Schulbesuchs keine Möglichkeit, sich der im
                                   an unsere Kinder nonverbal weitergeben werden?                Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden Lehr-
                                                                                                 person zu entziehen. Darum sollten Pädagoginnen und
                                   Oben mit oder ohne                                            Pädagogen im Unterricht unbedingt einer sichtbaren
                                   Das Gebot des Kopftuchtragens für die Frau wird vor           ­religiösen Neutralität verpflichtet sein!
                                   allem mit drei Textpassagen des Korans begründet, die
MMag. Dr. Thomas Bulant
                                stellvertretender Vorsitzender der gewerkschaft
                                Pflichtschullehrerinnen und PFlichtschullehrer

– 16 –                                                                                                          Information

                 Was braucht unsere Schule? –
                 Der Faktor Vertrauen

               2017 jährt sich der Geburtstag von Maria Theresia zum 300. Mal. Ihre Reformen im
               Bildungswesen werden Stoff diverser historischer Betrachtungen sein. Das aktuelle
                   Schulsystem wird hinsichtlich seiner historischen Wurzeln zum Thema gemacht
             werden. Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart werden aufgezeigt.
                                                        Die Spielwiese für die Experten ist eröffnet.
         Mit dem in dieser Ausgabe des aps-Magazins veröffentlichten Beitrag soll hingegen eine
              Serie gestartet werden, in der nicht die Experten verschiedener Provenienz über die
            Schule diskutieren, sondern Rückmeldungen aus dem Schulalltag der Lehrerinnen und
          Lehrer Beachtung finden. Wir stellen die Fragen: Wodurch könnte die Schule unterstützt
                                            werden? Wie könnte die Schule der Zukunft gelingen?

          Wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler heute Informa-     kompetenzorientierten Jahresplanung entsprechen, in
          tionen zu Maria Theresia holen möchte, wird „Dr. Google“     der Jahresziele mit dem Anspruch, der Individualisierung
          oder eine andere Quelle aus dem World Wide Web schnell       gerecht zu werden, mit standardisierten Kompetenzbau-
          zur Hand sein. In der Wikipedia werden sie im Beitrag über   steinen in Einklang zu bringen sind. Die
          Maria Theresia folgende zwei Sätze zu Beginn lesen können:   Unterschiedlichkeit von Kindern, Klas-
                                                                       sen, Jahrgängen und hetero-
          Maria Theresia von Österreich (* 13. Mai 1717 in Wien;       genen Erziehungssituatio-
          † 29. November 1780 in Wien) war eine Fürstin aus dem        nen verlangt, sich auf drei
          Hause Habsburg. Die regierende Erzherzogin von Öster-        zentrale Kompetenzen zu
          reich und Königin u. a. von Ungarn (mit Kroatien) und        konzentrieren:
          Böhmen (1740–1780) zählte zu den prägenden Monar-            • die Befähigung, das
          chen der Ära des aufgeklärten Absolutismus.                     Alltagsleben zu bewäl-
                                                                          tigen,
          Die Lehrerin und der Lehrer sind am Rückzug hinsichtlich     • die Basis, Kulturtech-
          der reinen Wissensvermittlung. Die Konkurrenz wird von          niken verstehend
          ihnen selbst immer mehr genutzt. Ins Zentrum der Lehr-          und zur Reflexi-
          tätigkeit rückt somit die Kompetenzvermittlung. Diese           on befähigt anzu-
          muss nicht der nach Bildungsstandards ausgerichteten            wenden,
information                                                                 Mit Leidenschaft für unsere Lehrer/-innen       – 17 –

                                                     • die Überzeugung, Bildung als Lobbying für die eigenen
                                                        Zukunftschancen zu verstehen.

                                                     Die Einführung von Maria Theresias Schulpflicht war nicht
                                                     von Idealismus und Humanismus getragen. Der Untertan
                                                     sollte aus ihren Erfahrungen der ersten Regierungsjahre
                                                     heraus, in denen sie um ihr Erbe kämpfen musste, in einem
                                                     funktionierenden Staat funktionieren. Die Ziele der Schu-
                                                     le, die wir als das „Wahre, Gute und Schöne“ aus dem § 2
                                                     des Schulorganisationsgesetzes entnehmen, waren Maria
                                                     Theresia fern. Unsere Bundesverfassung umschreibt die
                                                     drei zuvor genannten Kompetenzen mit den ihr eigenen
                                                     Worten im Artikel 14, Absatz 5a.

                                                     In einem Verfassungstext kann sich der Staat inszenieren,     20 fest, dass ein staatliches Organ – Lehrkräfte sind Orga-
                                                     ohne für den diesbezüglichen Vollzug zu sorgen. Maria         ne, so eigenartig dies auch für unsere Ohren klingen mag
                                                     Theresia pflegte sich als Übermutter ihrer eigenen Kin-       – die Befolgung einer Weisung eines Vorgesetzten nur
                                                     derschar darzustellen. Die Auftraggeber der Wiener Ring­      ablehnen kann, wenn diese von einem unzuständigen
                                                     straße und somit auch des Denkmals für Maria Theresia         Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafge-
                                                     zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum haben            setzliche Vorschriften verstoßen würde. In den Dienst-
                                                     ihre Botschaft verstanden: Maria Theresia zeigt sich ihren    rechten, zum Beispiel § 30 Absatz 3 Landeslehrerdienst-
                                                     Völkern als eine Übermutter. Wenn an der Spitze der           rechtsgesetz, findet sich darüber hinaus der Passus, dass
                                                     Dynastie eine Frau steht, dann nützt das Establishment des    auch rechtswidrige Maßnahmen aufgrund einer schrift-
                                                     19. Jahrhunderts das weibliche Rollenbild, um einen Mehr-     lichen Weisung zu befolgen sind.
                                                     wert für das Haus Habsburg zu erzielen. In Wirklichkeit war
                                                     sie sowohl in ihrem Erziehungsverhalten als auch in ihrem     Hält der Landeslehrer eine Weisung eines Vorgesetzten
                                                     Verwaltungsaufbau ein „Kontrollfreak“. Abseits der öffent-    aus einem anderen Grund für rechtswidrig, so hat er,
                                                     lichkeitswirksamen Auftritte mit ihren Kindern überließ die   wenn es sich nicht wegen Gefahr im Verzug um eine
                                                     Herrscherin den Erziehern das Tageswerk, nicht ohne sie       unaufschiebbare Maßnahme handelt, vor Befolgung der
                                                     mit ellenlangen Vorschriften und Erziehungsanleitungen        Weisung seine Bedenken dem Vorgesetzten mitzuteilen.
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                                                     einzudecken.                                                  Der Vorgesetzte hat eine solche Weisung schriftlich zu
                                                                                                                   erteilen, widrigenfalls sie als zurückgezogen gilt.
                                                     Warum haben viele Lehrerinnen und Lehrer heute noch
                                                     immer das Gefühl, das sich daran in der österreichischen      Fazit: Der Ober sticht den Unter. Das Weisungsrecht sorgt
                                                     Schule und in der dahinter dominanten Schulverwaltung         dafür selbst in Bereichen, die das Schulunterrichtsgesetz
                                                     kaum etwas verändert hat? Wurde aus der Übermutter            ganz klar als Kompetenz den Lehrpersonen zuordnet.
                                                     Maria Theresia die Schulverwaltung? Wo stehen wir am          Fragen: Warum intervenieren Vorgesetzte in der Leis-
                                                     Weg zwischen Anordnungs- und Verantwortungskultur?            tungsbeurteilung per Weisung? Warum wird in die eigen-
                                                                                                                   ständige und verantwortliche Unterrichts- und Erzie-
                                                     Das Weisungsrecht                                             hungsarbeit der Lehrkraft immer wieder per Handlungs-
                                                     Artikel 18 unserer Bundesverfassung schreibt vor, dass        anleitungen eingegriffen? Die Lehrerinnen und Lehrer
                                                     die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der            sind doch durch die Verfassung – pragmatisierte Kolle-
                                                     Gesetze ausgeübt werden darf. Gleichzeitig hält Artikel       ginnen und Kollegen können sich noch an die Eidesformel
– 18 –                                                                                                         Information

         erinnern – in ihrer Berufsausübung sowieso an die Gesetze    len über bundesweite Ziele und deren Konkretisierung
         gebunden. Gibt es in unserem Vollzug kein Vertrauen in       unter Bedachtnahme auf regionale und standortspezifi-
         die Gesetze? Besteht ein Generalverdacht, dass Lehrkräfte    sche Gegebenheiten auf Landes- und Schulebene sowie
         nicht im Sinne der Gesetze handeln? Gibt es kein Vertrau-    die für deren Erreichung zu treffenden Maßnahmen und
         en in die Arbeitshaltung und in das Verantwortungsbe-        zu erbringenden Leistungen …
         wusstsein von Lehrkräften? Manchmal beschleicht einem
         das Gefühl, dass die Qualitätssicherung nicht produktori-    Der Gesetzgeber versteht unter Qualitätsmanagement
         entiert ausgerichtet ist, sondern fast ungeduldig Prozesse   ein Vertragswerk, in dem die Schulaufsicht mit den
         unabhängig von den individuellen lokalen Verhältnissen zu    Schulen Zielvereinbarungen abschließt. Demnach ste-
         gestalten versucht und daher immer wieder in das opera-      hen nicht mehr die Kontrolle und das Sanktionsdenken,
         tive Geschehen eingreift oder es behindert. Lehrerinnen      dem einst Maria Theresia gehuldigt hat, im Vordergrund,
         und Lehrer klagen darüber, dass ihnen die rasche Abfol-      sondern das gemeinsame Streben, die Ziele mit dement-
         ge an angeordneten methodischen und organisatorischen        sprechenden Begleitmaßnahmen zu erreichen. Aus Hie-
         Eingriffen in die Pädagogik kaum eine Chance für deren       rarchien sollen Partner in einem Team werden, ohne ein
         Implementierung im Schulalltag lässt. Das Gefühl der Gän-    System der Nichtverantwortlichkeit zu schaffen.
         gelung macht sich breit, wenn die Sinnfrage unbeantwor-
         tet bleibt. Unverständnis aus aktuellem Anlass: Auch jene    Wird das neue Abc der Bildungspolitik dafür einen Bei-
         Standorte, wo Unterrichtssprache, Entwicklungsstand der      trag leisten können? Wird mit Autonomie, Bildungsdirek-
         Kinder oder Distanz der Familien zur Schule Barrieren bil-   tion und Cluster der Weg frei von der Anordnungs- zur
         den, werden zu KEL-Gesprächen verpflichtet. Einstudierte     Verantwortungskultur an unseren Schulen? Die Kompe-
         Gespräche, die mit der Realität des Unterrichtsprozesses     tenzen und Aufgaben einer Schulaufsicht Neu sind gera-
         nichts zu tun haben, sind die Folge. Das System muss sich    de in Verhandlung. Ergebnisse sind für Ende Februar zu
         selbst betrügen und formale Anforderungen abarbeiten,        erwarten.
         um dann wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren und
         die täglichen Herausforderungen anpacken zu können. Als      Erlässe
         weitere Beispiele aus dem schulischen „Showprogramm“         Reisegebührenvorschrift, alternative Leistungsbeschrei-
         werden da und dort immer wieder Tage der offenen Tür,        bung oder klassische Leistungsbeurteilung in der Grund-
         Schulbesuche politischer Prominenz und natürlich die         schule, KEL-Gespräche in Volks- und Mittelschule. Wie
         Schulinspektion genannt.                                     sich Lehrerinnen und Lehrer in diesen Sachmaterien
                                                                      orientieren können, soll durch Erlässe im Vollzug erläu-
         Die Inspektion                                               tert werden. Gerade in letzter Zeit war die Kongruenz
         Wer inspiziert, der prüft genau, indem er besichtigt und     von Gesetzen und Erlässen leider nicht immer gegeben:
         Kontrollen durchführt. Das Wort „Schulinspektion“ findet     Weder klare Vorgaben noch autonome Gestaltungs­
         sich in der österreichischen Schulgesetzgebung im § 18       freiheit, lediglich Mehraufwand und Verunsicherung.
         des Bundesschulaufsichtsgesetzes, der dem Qualitäts-
         management gewidmet ist.                                     In der Grundschulreform haben weder Gesetz noch
         (1) … Das Qualitätsmanagement umfasst auch die Durch-        Erlass im vergangenen Herbst aufgezählt, aus welchen
         führung der Schulinspektionen, sofern diese zur Umset-       alternativen Leistungsbeschreibungen die Klassenforen
         zung der Zielvereinbarungen (Abs. 2 Z 3) erforderlich ist.   meinungsbildend, das Schulform schlussendlich ent-
                                                                      scheidend auswählen können. Autonomie für die Stand-
         (2) … Der Nationale Qualitätsrahmen hat … zu ent­halten:     orte kann daraus trotzdem nicht abgeleitet werden. Über
         …                                                            den Dienstweg lässt manche Schulbehörde heuer noch
         3. die Verpflichtung zu periodischen Zielvereinbarungen      die verbale Beurteilung zu, ab dem nächsten Schuljahr
         auf allen Ebenen der Schulverwaltung und der Schu-           soll dann die Einschränkung erfolgen, und sie wird durch
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