Angelpunkte Evangelische Gemeinde zu Beirut Jahrbuch 2020 2021 - Wsimg.com
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Angelpunkte Evangelische Gemeinde zu Beirut Jahrbuch 2020 - 2021 Besinnung Rückblick: Ein Gang durch das Jahr Berichte und Bilder: Die Lage im Lande und die Not der Maids Die Explosion und die Folgen Einsatz der Spenden Ein Stück Normalität - Tripoli und Broumanna, unser Kindertreff Nachrufe Auf Lilo und Edel Engagement für andere: Die Flüchtlingsschule in Naàme BorderLess Lebanon Zum guten Schluss: Pfingsten in der Gemeinde und Pfingsten für den Libanon „Er ist der lebendige Gott; er lebt in Ewigkeit. Sein Reich geht niemals unter; seine Herrschaft hat kein Ende“. Daniel 6,27 1
Inhalt Besinnung 3 Rückblick: Ein Gang durch das Jahr 4 Berichte und Bilder: Lieber von Corona sterben als vor Hunger Die Lage im Lande und die Not der Maids 10 Beirut nach der Explosion 11 Einsatz der Spenden nach der Explosion 13 Immer noch ein Stück Normalität Tripoli und Broumanna 17 Advent und Weihnachten bei uns - Corona zum Trotz 18 Unser Kindertreff in Coronazeiten 19 Nachruf Abschied von Lilo 21 Trauer um unsere Edel 22 Engagement für andere: Projekte, die wir unterstützen Unser Hilfsprojekt: Die Flüchtlingsschule von Naàme 24 BorderLess Lebanon 25 Zum guten Schluss: Rückblick auf das Pfingstfest Impressum: in der Evangelischen Gemeinde Beirut Redaktion, layout und V.i.S.d.P. Pfarrer Jürgen Henning und Gedanken zur Relevanz von Pfingsten Ev. Gemeinde Beirut für die Menschen im Libanon 27 Pierre Aboukhater Bldg. Rue Mansour Jurdak 429 Manara- Beirut 2036 – 8041 / Lebanon Tel. 00961-1-740 318 (mobil Pfr. 00961-3-839196) Email: info@evangelische-gemeinde-beirut.org pfarrer@evangelische-gemeinde-beirut.org Homepage: www.evangelische-gemeinde-beirut.org Youtube-Kanal: www.youtube.com „Evangelische Gemeinde zu Beirut“ Bankkonten: Evangelische Gemeinde zu Beirut Deutschland: Evangelische Bank eG, IBAN: DE92 5206 0410 0006 4286 73, BIC: GENODEF1EK1 Für Spendenquittung Name und Anschrift angeben Libanon: BLOM Bank (Beirut, Bliss Branch) LBP: IBAN: LB32 0014 0000 3301 3000 8804 9113 USD: IBAN: LB67 0014 0000 3302 3000 8804 9112 Redaktionsschluss: 20.06.2021 2
Liebe Freundinnen Gott, mächtiger als die vermeintliche Unentrinn- und Freunde in Christus. barkeit jedweder Gesetze! Einer meiner theologischen Lehrer, nach der „Der alte Gott lebet Vorsehung Gottes befragt, erklärte uns einmal: Den noch!“ - so habe ich hin und Lauf der Welt und ihrer Geschichte müssen wir uns wieder die Worte einer alten vorstellen wie einen Webteppich, der im Entstehen Frau im Ohr, die ich in meiner ist. Wir schauen darauf und sehen Fäden, Muster, ersten Gemeinde oft besuchte. vielleicht nur Flecken. Wir sehen das Ganze noch Sie war, wie man so sagt, „ein nicht, begreifen vielleicht das Einzelne vor uns nur ganz besonderes Kaliber“, et- ansatzweise. Auch der Künstler selbst geht mit dem was ruppig vielleicht, ein we- Werden des Werkes mit, nimmt dieses und jenes nig sonderbar und vor allem: sie nahm kein Blatt Material dazu, folgt Eingebungen und Anregungen, vor den Mund. Sie hatte wohl auch schon viel webt dieses und jenes noch mit hinein, das zu- Schweres mitgemacht im Leben und manche un- nächst nicht einmal sehr passend erscheint. Das liebsame Erfahrung mit Menschen gemacht, sogar Entstehen des Teppichs ist ein lebendiger Prozess. mit den engsten Angehörigen. So konnte sie mir Fast scheint es so, als hätte er sogar ein Eigenleben. bei meinen Besuchen auch tüchtig die Ohren voll Doch der Webkünstler weiß gewiss, dass es am schimpfen. Und ihre Themenkreise wurden weiter Ende ein wunderbares Kunstwerk geworden sein und weiter. Am Ende war oft ein Rundumschlag wird, in dem jeder Faden, jedes Stück Stoff, jede getan, bei dem an kaum etwas in der Welt ein gutes Farbe, auch die dunklen, genau den rechten Ort hat. Haar gelassen schien. Selbst Gott musste sich da Er ist es ja, der webt, auch einwebt, was irgendwie manche harsche Kritik gefallen lassen. Doch am hinzukommt, und korrigiert, was einen unguten Ende folgte stets ihr Ausspruch, in den sie ihre Lauf zu nehmen droht. Sein Werk wird ihm nicht ganze Hoffnung und ihr großes Dennoch packte, misslingen. Dafür ist er zu gut. Er ist der Beste sei- ihre Zuversicht noch in den aussichtslosesten Stun- ner Art. Darauf kann man sich verlassen. den: „Aber der alte Gott lebet noch!“ Gott hat Wie sehr brauchen wir doch solches Vertrauen nicht abgedankt. Er sitzt im Regiment, auch wenn in unseren Tagen, zumal hier im Libanon! Ange- es manchmal auf dieser Welt noch so drunter und sichts der uns alle so sehr bedrückenden politischen drüber zu gehen scheint, in den Turbulenzen des und wirtschaftlichen Situation, die kein Anzeichen persönlichen Lebens wie in den Ungereimtheiten einer Veränderung zum Positiven zeigt, geht vielen des großen Ganzen. Gott behält die Herrschaft! die Geduld aus und die Hoffnung. Sie verlassen das Das ist auch die Botschaft des Danielbuches. Land, suchen sich anderswo ein neues Leben auf- Viele kennen die Geschichte von Daniel in der Lö- zubauen. Andere wollen bewusst bleiben, nicht wengrube seit Kindertagen. Da ist ein Herrscher, kapitulieren vor einer korrupten Klasse, suchen hier der sich durch seine Eitelkeit in eine Falle locken neu anzufangen gegen alle Widerstände. lässt und per Gesetz für sich allein göttliche Vereh- „Er ist der lebendige Gott; er lebt in Ewigkeit. rung beansprucht. Er wird zum Gefangenen seiner Sein Reich geht niemals unter; seine Herrschaft hat eigenen Regeln, als er meint, es hilflos geschehen kein Ende“. - Für viele Menschen wurde die Ret- lassen zu müssen, dass dieses Gesetz seinen fähigs- tung Daniels aus der Löwengrube zum Hoffnungs- ten Minister vernichtet: Daniel, der dem Gott Isra- zeichen und hat sie in schwierigen Situationen er- els folgt und ihn allein anbetet. Doch in der Lö- mutigt, sich auf Gott zu verlassen, auch wenn in wengrube wird Daniel aus der Todesgefahr errettet. ihrem Leben von seiner helfenden und befreienden In höchster Gefährdung hat sich Daniel im Glauben Kraft noch gar nichts zu spüren war. Und es ist Gott ganz anvertraut. Und nicht nur er erfährt Be- dann erstaunlich, was Menschen darüber berichten freiung aus der Not, auch der König wird von sei- können, wie Gott schließlich geholfen, bewahrt, ner Angst um den geliebten Mitarbeiter und von weitergeführt und gerettet hat. Wir vergessen diese der Verstrickung im eigenen Gesetz erlöst. „Er ist Erfahrungen nur oft so schnell in all den anderen der lebendige Gott; er lebt in Ewigkeit. Sein Reich Nachrichten, die täglich neu auf uns eindringen und geht niemals unter; seine Herrschaft hat kein En- bewältigt werden wollen. Gegen dieses Vergessen de“, lässt ihn das Danielbuch über Gott am Ende steht uns solch ein Wort der heiligen Schrift. Gott ausrufen. Und darum geht es - zu erkennen: Wir bleibt Herr! - Oder wie die alte Frau es immer sag- haben einen Gott, der hilft! Und dieser Gott, dessen te: „Aber der alte Gott lebet noch!“ Herrschaft kein Ende hat, ist kein unabänderliches Gesetz, nach dem das Räderwerk der Geschichte Ihr / Euer Pfarrer Jürgen Henning abläuft. Es ist vielmehr der lebendige, der rettende 3
Ein die nach dem Rücktritt des Kabinetts Hariris als Folge der Proteste vom Herbst 2019 gebildet worden Gang war und im Grunde nur noch das Land in seinen durch finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Ruin hinein begleitete. Am 10. August trat sie nach hefti- das gen Protestdemonstrationen und gewaltsamen Aus- zurück- einandersetzungen in der Folge der Explosion zu- rück. Was sollte nun werden? – liegende Ein „Witz“ machte die Runde, der den Seelen- Jahr zustand der Menschen bestens zum Ausdruck brach- te: „Sitzt ein Mann in seinem fensterlosen Büro in in Beirut. Kommt einer und fragt: „Was machen Sie unserer denn noch hier?“ Antwortet der: „Ich weiß, mein Büro ist hin, es riecht nach Rauch, meine Firma ist Gemeinde Pleite, es gibt keine Pads für die Kaffeemaschine mehr zu kaufen ... Der einzige Grund, warum ich hier noch sitze, ist: Ich möchte wissen, was als Nächstes kommt.“ - Aber da waren auch die vielen Das „alte Gemeindejahr“ hatten wir mit Ab- jungen Leute, die sofort Besen in die Hand nahmen, standsfest und Gemeindeversammlung hoffnungs- und die Scherben zusammenkehrten, die nicht auf froh abgeschlossen. Nach der langen Zeit des ersten die Regierung warteten, die noch meinten, etwas Lockdowns war alles wieder offen, vieles unter Ein- zum Positiven verändern, etwas wiederaufbauen, haltung der Vorsichtsmaßnahmen wieder möglich. etwas neu aufbauen zu können. Und da war die Die Infektionszahlen waren auf sehr niedrigem Ni- Spendenbereitschaft in aller Welt: Auch wir erhiel- veau. Fast konnte man meinen, die Covid 19 Pan- ten als Gemeinde Spenden aus Deutschland für den demie sei überstanden. Und solche positive Stim- Wiederaufbau und zur Linderung der Not der Men- mung stärkte auch die Hoffnung darauf, dass die schen, die wir in den folgenden Monaten zum Ein- Wirtschafts- und Finanzkrise bald überwunden wer- satz bringen konnten. Vor allem unterstützten wir den könnte. So gestimmt begaben sich viele in die libanesische Hilfsorganisationen, denen der Wieder- Sommerferien, reisten zu Besuchen nach Deutsch- aufbau vollkommen überlassen, wurde in von der land, in die Schweiz, dorthin, wo immer ihre Kinder Armee zugeteilten Bezirken – Bezirke einteilen: ansässig geworden waren. Und ich freute mich, end- darauf beschränkte sich das Engagement des Staates! lich auch die meinen und meine Während weder der Staatsprä- Frau nach so langer Zeit in Deutsch- sident noch der Premierminister land wiedersehen zu können. nach der Explosion die betroffe- Dann kam der Tag, den wir nen Gebiete aufsuchten und sich alle nicht mehr vergessen und den Menschen in ihrer Not zu- der wie zu einem Gedenktag für wendeten, um ein wenig Mitge- die Misere dieses Landes wurde: fühl und Betroffenheit zu zeigen, Der 4. August mit der Explosion tat das der französische (!!) Präsi- im Hafen! Wie manche ereilte dent Macron am 7. August: Er mich die unglaubliche Nachricht besucht den krisengeschüttelten in Deutschland. Bei meiner Libanon, geht in die betroffenen Rückkehr wenig später konnte Gebiete zu den Menschen, ver- ich das Ausmaß der Zerstörung spricht internationale Hilfe zu mit eigenen Augen sehen und die koordinieren, mahnt, die Regie- Not wahrnehmen: der vollkom- rung, die versprochenen Refor- men zerstörte Hafen, eingestürz- men durchzuführen und bringt te Häuser, verwüstete Wohnun- unmissverständlich zum Aus- gen, ganze Stadtteile in Trümmern wie nach einem druck, dass die Auszahlung der Hilfe davon abhängt. Bombenangriff im Krieg – über 200 Tote, 6000 Ver- Nach dem Rücktritt der erfolglosen Regierung stellte letzte, 300.000 Menschen, die ihr Zuhause verloren Macron ein Ultimatum, bis zu seinem erneuten Be- hatten. Die Explosion war wie ein „I-Tüpfelchen“ such am 1. September einen neuen Premierminister auf die erfolglosen Bemühungen einer Regierung, zu bestimmen. Am Tag vor Ablauf, am 31. August 4
einigte man sich auf Mustafa Adib, Botschafter des Kraft getreten waren. Wie es schien, alles halbherzi- Libanon in Deutschland, als neuem Premierminister ge unkoordinierte Panikreaktionen der Caretaker- und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. - Regierung bzw. zuständigen Behörden! - 24stündige Wer ist Mustafa Adib?“ fragte sich damals jeder. - Ausgangssperren in den betroffenen Gebieten, ganze Macron verlängerte sein „Ultimatum“ bis zum 15. Dörfer wurden abgesperrt, während in anderen wei- September und leitete damit ein Jahr der „Verschie- ter fröhlich Hochzeiten mit 1000 Gästen gefeiert bungen“ ein: Die Regierungsbildung wird verscho- wurden. Kann der Erntedankgottesdienst in Broum- ben, die Hilfen werden verschoben, mana stattfinden? So fragten wir uns, als die Dörfer die Reformen werden verscho- um Broummana in den wöchent- ben, Lösungen werden verscho- lich herausgegebenen „Schließlis- ben, das Regieren wird verscho- ten“ erwähnt wurden. Aber am ben, jedes Tun überhaupt wird Sonntag d. 4. Oktober konnten wir verschoben. Anderes als Ver- wieder unseren Familiengottes- schieben und Laufenlassen pas- dienst zum Erntedankfest im Gar- sierte bis heute nicht! Selbstver- ten des Hotels Rüssli nach alter ständlich konnte Adib sich nicht Tradition feiern, mit weit ausei- durchsetzen mit dem Plan, ein nander gestellten Stühlen, Masken verkleinertes Kabinett aus 14 … und doch dem gewohnten Buf- „Technokraten“ unabhängig vom fet, auf dem all die leckeren Spei- religiösen Proporz und den be- sen standen, die wir jeweils mit- stehenden Parteien zu bilden und gebracht hatten wie in jedem Jahr. trat am 26. September zurück. Es war richtig schön!! Ein biss- Derweil verschärfte sich die chen Normalität, ein schwebender Finanzkrise, die Inflation stiegt Festtag im sonst bleiernen Alltag. weiter, die Geldentwertung nahm Ich hab noch das milde Sonnen- ungebremst zu. Und dann war da doch noch etwas: licht vor Augen, in dem wir am Nachmittag wieder „Corona“! - „I don’t believe in Corona“, sagte mir runter nach Beirut fuhren, spüre das beglückende mein Barbier. Aber das Virus interessierte sich nicht Gefühl, das mich an diesem Nachmittag erfüllte. für unseren Glauben und schuf Tatsachen: Die In- Am nächsten Tag erlitt ich einen Herzinfarkt. fektionen gerieten außer Kontrolle, täglich gab es im Ich bin froh und dankbar, überlebt zu haben, Gott September durchschnittlich über 1000 Neuinfizierte, dankbar und meiner Frau, die, als mittags eigenarti- mehr als 10 Tote. Wir blieben in ge Krämpfe in der Brust auftraten, der Gemeinde vorsichtig aktiv: darauf bestand, in die Notauf- Zwar fanden Veranstaltungen nahme des AUH zu fahren. Ali statt, aber stets auf Abstand, mit brachte uns hin. Noch im Auto Maske, unter Einhaltung der kam ein so heftiger Krampf, dass Hygieneregeln. In der Kirche ich dachte: „So sieht also der Ab- waren 25 besetzbare Plätze ge- schied aus!“ Der finale Verschluss kennzeichnet, vor und nach den ereignete sich in der Emergency: Gottesdiensten ging Omar durch, „Sie haben jetzt einen Infarkt, putzte und desinfizierte alles. aber seien Sie beruhigt: Sie sind Klimaanlage und geöffnete Fens- hier, und wir können alles für Sie ter im Altarraum sorgten für tun“, hörte ich noch den Arzt … ständige Durchluftbewegung. Ein libanesischer Amtsbruder Die Gottesdienste feierten wir in hatte zur selben Zeit ebenfalls einer verkürzten Form, damit einen Herzinfarkt und starb auf man nicht zu lange im geschlos- dem Weg ins Krankenhaus. Nicht senen Raum beieinander blieb. erst seitdem ist mir bewusst, dass Das sollte für lange Zeit die neue „Normalliturgie“ unser Leben nur an einem seidenen Faden hängt. werden. Der Kindertreff fand im Freien statt. Beim Gehalten sind wir allein von den unsichtbaren Hän- Frauentreff standen die Stühle mit 1,5 Meter Abstand. den Gottes. Am 15.10. flog ich auch auf dringendes Mit Beginn des Oktobers wurden lokale totale Anraten der EKD, meiner Hausärztin und des hinzu- Lockdowns verhängt, nachdem schon am 23. Sep- gezogenen deutschen Kardiologen nach Deutschland tember neue Bestimmungen zur Eindämmung in zur Reha, musste meine Gemeinde ihren eigenen 5
Kräften überlassen. Eine Vertretung aus Deutsch- Ich blieb auch nach Beendigung meines Klini- land wurde von der EKD erwogen, konnte aber nicht kaufenthalts Mitte November weiter in Deutschland. entsandt werden: Durch die Covid19-Bestimmungen Ich sollte mich nicht vorzeitig einer im Libanon war dies nicht möglich. - Wir sind kriegserprobt“, stärker als in Deutschland gegebenen Gefährdung hieß es von den Frauen. Damals hatten sie die Ge- aussetzen. Zumal ich in Beirut auch nur in unserer meinde erhalten, als der Pfarrer jenseits der Grenze Wohnung hätte bleiben müssen. Gottesdienste und im christlichen Teil bleiben musste andere Versammlungen waren und oft über längere Zeit nicht untersagt. Schon während meines nach Ras Beirut kommen konnte. Klinikaufenthalts habe ich über Am 22. Oktober wurde der WhatsApp-Nachrichten Kontakt genau vor einem Jahr zurückge- zu den Gemeindegliedern gehal- tretene Premierminister Hariri als ten. Und schließlich - obwohl wei- neuer designierter Premierminis- ter „krankgeschrieben“ - begann ter mit der Regierungsbildung ich damit, Onlinegottesdienste aus beauftragt. Alles auf Anfang der in unserem umgebauten Stall also! Er versprach eine Experten- eingerichteten Kapelle in Esch- regierung – und blieb selbstver- wege zu senden, die über unseren ständlich erfolglos in seinem Youtube-Kanal am Bildschirm Bemühen bis zum heutigen Ta- mitgefeiert werden konnten. Diese ge! Es herrschen wieder die alten Praxis hatten wir ja schon im ers- Verhältnisse wie vor der „Revo- ten großen Lockdown über Mona- lution“, nur verschlechtert durch te geübt. Im übrigen aber hatte das die Finanz- und Wirtschaftskrise, Virus unser Gemeindeleben wie- die Explosion, Corona … Die Konstellationen blei- der in einen Dornröschenschlaf versetzt. Auch unser ben unter den 18 Konfessionen, die Gier, möglichst Weihnachtsbasar musste zum ersten Mal ausfallen. viel vom Kuchen abzubekommen, das Misstrauen Der Lockdown im Libanon wurde nach dem 30. gegeneinander und gegenüber jeder Veränderung, November nicht, wie die weiterhin hohen Infekti- und die Furcht vor Verlust des persönlichen Reich- onszahlen es erwarten ließen, verlängert, sondern tums natürlich. Mit steter Regelmäßigkeit konnte gegen alle Vernunft aufgehoben - damit die 80.000 man die nichtssagenden Berichte von den Treffen libanesischen Expats heimkommen und ausländi- Hariris mit Aoun lesen: Hariri auf dem Weg, Hariri sches Geld vor Weihnachten ins Land spülen und im Präsidentenpalast angekommen, sie trinken Kaf- kräftig ausgeben konnten. Das sollte sich rächen mit fee, Gespräche in ange- unwahrscheinlich rapide nehmer Atmosphäre, Har- steigenden Infektions- iri unterbreitet Vorschläge und Todeszahlen und zur Kabinettsbildung, einer bis dahin nicht ge- die Aoun ablehnt, Ge- kannten Überlastung des genvorschläge… Man ging Gesundheitssystems. Als ergebnislos auseinander! die Zahlen nach Weih- Derweil „wurschtelte“ nachten explodierten auf die – wie Google transla- täglich bis zu fast 7000 te so schön übersetzt – Neuinfektionen und 70 die „Hausmeisterregie- Toten, die Krankenhäuser rung“ weiter orientie- keine Patienten mehr auf- rungs- und planlos vor nehmen konnten, Sauer- sich hin, versuchte vor stoff in Autos hinein ver- allem Corona konzeptlos in den Griff zu bekommen. abreicht wurde, Cafeterien zu Notlazaretten umfunk- Mal wurden lokale Lockdowns verhängt, mal lan- tioniert wurden, wurde ab 14. Januar ein absoluter desweite Teillockdowns mit blödsinnigen Aus- Lockdown in nun beispielloser Strenge mit 24 stün- gangssperren etwa zwischen 3 und 5 Uhr nachts, mal diger Ausgangssperre verhängt. Notwendige Gänge strenger, dann wieder mit Lockerungen, schließlich zur Apotheke oder zum Supermarkt etwa mussten gab es doch einen landesweiten totalen Lockdown per SMS angemeldet und die Genehmigung musste vom 4. bis zum 30. November. abgewartet werden. 6
Selbstverständlich hatte keiner mehr irgendeinen brachte mich stets auf den Boden der Tatsachen zu- „Nerv“ für eine wie auch immer geartete „Revoluti- rück: Selbst wenn ich vollkommen „gesund“ und on“. Keiner erwartete ernsthaft mehr eine Einigung ohne besondere Gefährdung gewesen wäre, hätte ich bei der Kabinettsbildung, die die Voraussetzung für bis mindesten Ende März die Tage in Beirut in mei- den Erhalt von internationalen Hilfsgeldern wäre. ner Wohnung zugebracht, keine Präsenzgottesdiens- Keiner erhoffte sich mehr etwas im Hinblick auf ein te feiern können, die bis nach den Osterfeiertagen Gelingen der Macron-Initiative zur Überwindung nicht erlaubt waren, keine Gemeindeveranstaltungen der Wirtschaftskrise oder zum durchführen, niemanden besu- Wiederaufbau Beiruts, der in- chen, keinem begegnen können. zwischen allein durch NGOs Ich hätte auch hier allein das tun mit Spendenmitteln weiterging können, was ich von Deutschland - Covid19 bestimmte alles! Man aus tat, wo ich mich zudem ja schätzte, dass sich bereits über nicht freiwillig und zu meinem 30 Prozent der Bevölkerung infi- Vergnügen aufgehalten habe. Das ziert hatten. Im Februar wurde musste ich mir selbst immer wie- mit Impfungen begonnen. Etwa der sagen - wir leben in unge- 3 Mio. Bürgerinnen und Bürger wöhnlichen Zeiten! Dieses Virus könnten bis Sommer geimpft hat weltweit das Leben auf den werden, hieß es. Auch wenn das Kopf gestellt. Und wir sind immer natürlich zu positiv geschätzt noch nicht davon befreit. schien (was der Blick auf die Am 14. Februar mussten wir gegenwärtigen Zahlen im Juni das Totengedenken für Lilo bestätigt) – es machte Hoffnung! Maasri im Onlinegottesdienst zum Ich selbst sollte meine Impfung Valentinstag halten, die am in Deutschland abwarten: Eine Rückkehr in das Dienstag zuvor gestorben war. Pünktlich zum Valen- Hochrisikogebiet des Libanon, von der die EKD wie tinstag wurde im Libanon mit dem Impfen begon- auch der Kardiologe dringend abgeraten hatten, hätte nen. Und sehr bald waren fast alle unserer Gemein- für mich in meinem Gesundheitszustand eine zu deglieder geimpft. Die Zahlen der Neuinfektionen große Gefährdung dargestellt. So habe ich mit Zu- gingen nach Aufnahme der Impfungen leicht zurück. stimmung des GKR weiter online gearbeitet, auch Lagen sie bis Anfang Februar bei bis über 8000 täg- Onlinegottesdienste über unseren Youtube-Kanal lich mit hunderten Toten, waren es jetzt täglich zwi- vom „Henningschen Stall in Eschwege“ aus in den schen 2500 und 3800 bei um die 60 Todesfällen, Libanon geschickt, zu dem sich sonntäglich eine also immer noch auf sehr hohem und vom Gesund- Gemeinde von durchschnittlich 40 Menschen sam- heitssystem nicht zu bewältigenden Niveau. So wur- melte. Erstaunlich ist de der Lockdown fortge- die Bewahrung der setzt, jedoch trotz der Gemeindeglieder: Kei- immer noch hohen Zah- ne Infektion, kein Ster- len ab März stufenweise befall waren zu bekla- gelockert. Ebenfalls zum gen bis Februar. Ledig- Valentinstag gab der lich einige Infektionsfä- designierte Premiermi- lle im Umkreis / Freun- nister Hariri bekannt, deskreis der Gemeinde dass nach Gesprächen wurden bekannt. Alle mit Präsident Aoun auch waren sehr vorsichtig, diesmal keine neue Re- haben die Hygienere- gierung gebildet werden geln beherzigt, den konnte und sein Vor- Lockdown befolgt, schlag erneut abgelehnt auch wenn es vielen sehr schwer gefallen ist, allein wurde. Somit tat sich bei den internationalen Hilfen zuhause zu bleiben, Kontakte nur über Telefon und sowohl zum Wiederaufbau der zerstörten Beiruter Computer zu halten. Natürlich hat es mir immer Stadtteile als auch im Hinblick auf die Wirtschafts- wieder sehr zugesetzt, nicht bei meiner Gemeinde und Finanzkrise nichts. Während in aller Ruhe aus- sein zu können an dem Ort, wohin ich berufen war. gangslose Gespräche geführt werden, verarmen und Doch ein nüchterner Blick auf die Gegebenheiten hungern immer mehr Menschen im Libanon. Ver- 7
zweifelte Proteste flammten trotz Ausgangsperren anderenorts ein neues Leben aufzubauen. Wer dazu immer wieder auf, vor allem in Tripoli. in der Lage ist, tut das, wer irgend kann, geht. Das Am 22. Februar verstarb wieder ein Gemeinde- Land blutet aus, gerade in der gebildeten und einst glied: Monika Lipinski im Alter von 57 Jahren. Wir im Blick auf den Fortschritt und Wohlstand des gedachten ihrer im Online-Gottesdienst am 28.2., Landes hoch motivierten Mittelschicht, die immer zündeten zu ihrem Foto eine Kerze an. Vielen war weiter abrutscht und im Libanon keine Lebensper- ihr Gesicht auch vom Kuchenstand beim Weih- spektive mehr für sich sieht. Dazu gehören mehr- nachtsbasar bekannt. heitlich Christen. Immer Als am 2. März das wieder erreichen uns Libanesische Pfund Grüße von Ausgewan- gegenüber dem Dollar derten aus der Schweiz, wieder auf einen Re- aus Italien, Frankreich, kordwert von über Kanada … von Men- 10.000 LBP für einen schen, die einst gern im Dollar gefallen ist, Libanon als ihrer Heimat kommt es ungeachtet lebten. Am 16.3. erreicht der Ausgangssperre die Inflation einen wieder überall zu De- Höchststand: Für einen monstrationen und hef- Dollar sind nun 15.000 tigen Protesten. Wie Lira zu bezahlen. (statt schon am Samstag zu- 1.500 wie der offizielle vor vor der Residenz des Maronitischen Patriarchen Kurs immer noch lautet.) Viele Supermärkte wurde die Menschen, Christen und auch Muslime, mit dem geschlossen wegen der Preisveränderungen, die auf Patriarchen gegen die Zustände im Land standen, den Wertverlust folgten – die Supermärkte kamen gegen die mächtigen und nur mit sich selbst beschäf- mit der Neuauspreisung nicht mehr hinterher. tigten Eliten, gegen die Verschleppung einer Kabi- Pünktlich zum Palmsonntag am 27.3. wurde von nettsbildung, wodurch alle Hilfen zur Stabilisierung der „Hausmeisterregierung“ bekanntgegeben, dass der Währung und Wirtschaft, zum Wiederaufbau der zu den Osterfeiertagen nach westlichem Termin und zerstörten Bezirke in Beirut, zum Kampf gegen Co- später auch zu den orthodoxen Osterfeiertagen kei- vid 19 verhindert werden. Es wurde auch eine De- nerlei Präsenzgottesdienste, Prozessionen und Ver- monstration gegen den Einfluss sammlungen erlaubt sind. Der der Hisbollah, an der Schiiten Ausnahmezustand wurde bis Juni neben Muslimen und Christen verlängert, was bedeutet, dass teilnahmen. Der folgende Mon- immer wieder und kurzfristig die tag wurde vom Patriarchen und Bestimmungen angepasst, Aus- der Protestbewegung zum „Day gangssperren und Schließungen of Anger“ ausgerufen. Es kam angeordnet werden können. Ich darauf vermehrt zu landesweiten erhielt überglücklich am 7. April Massenprotesten wie schon in meine Erstimpfung und konnte der Woche zuvor weiter. Stra- nach der zweiten Impfung ßen, Plätze, der Costal Highway schließlich am 15. Mai nach Bei- … wurden mit Straßensperren rut zurückkehren. Vom „Aus- u.a. aus brennenden Reifen blo- nahmezustand“ allerdings konnte ckiert, der Verkehr lahmgelegt ich nichts mehr spüren. Auf mich … Bilder vom Oktober 2019 wirkte das Leben im Libanon, in wiederholten sich. Seit nunmehr das ich zurückgekehrt war, so, als 7 Monaten kam es zu keiner hätte man einfach beschlossen, Regierungsbildung. Die politi- die Pandemie sei beendet. Was sche Klasse zeigt sich offen- mir allerdings sehr schwer fiel, sichtlich von der Not der Bevöl- war das Einkaufen: Ich hatte im- kerung weiter ungerührt, selbst die französische Re- mer zu wenig Geld da bei, war es nicht gewöhnt, gierung äußert sich inzwischen resigniert. Derweil Millionen mit mir herumzutragen. Und ich musste verlassen weiter viele Familien – auch aus unserem stets überschlagen, wie lange meine Lira noch aus- persönlichen Bekanntenkreis - das Land, um sich reichen würden bis zum Ende des 8
Monats. – Wenn es mir schon so geht, der ich doch ergottesdienst in ihrer Kirche und der anschließen- eigentlich sehr gut situiert bin, wie schlimm sind den Beisetzung auf unserem franz.-dt. protestant. diejenigen dran, die vor der Krise bereits mit nur Friedhof von ihr Abschied genommen. 100 Dollar auskommen mussten! Nach dem Trinitatisfest be- Über 60 Prozent der Bevölke- gann ich eine Predigtreihe, in der rung eines Landes unter der Ar- ich bis zum letzten Sonntag vor mutsgrenze (und zwar nicht un- der Sommerpause am 25. Juli die ter der Deutschlands oder der einzelnen Abschnitte des Vater- Schweiz!!!) unsers auslegte. Wir haben die – wie lange geht das „gut“? Gottesdienste weiter in einer ver- Den ersten Präsenzgottes- kürzten Form gefeiert – wir dür- dienst feierten wir bereits am fen nicht vergessen: trotz deutlich Tag nach meiner Rückkehr mit- zurückgehender Infektionszahlen, einander in unserer Kirche: am trotz Impfungen der meisten un- Sonntag Exaudi zum Fest Christi serer Gemeindeglieder - noch ist Himmelfahrt. Und ich war so die Pandemie nicht überwunden. von dankbarer Freude erfüllt! Vorsicht und Rücksicht sind wei- Schnell fand ich mich in meinen terhin geboten, freimütig dürfen Dienst wieder ein, genoss die wir schon sein, aber nicht über- Begegnungen auch am Dienstag mütig! im Frauentreff, die Friedensan- Ein zweites „Highlight“ im dacht, eine Woche später luden Leben unserer Gemeinde in die- wir wieder zum Kinder- und Jugendtreff ein – Alltag sem Sommer soll die Gemeindeversammlung am 11. kann so wunderbar sein, vor allem nach einem so Juli sein. „Soll“ schreibe ich. Denn sie fällt bereits lange währenden Ausnahmezustand, wie ihn Co- hinter den Redaktionsschluss unserer Angelpunkte. vid19 uns beschert hat. Aber auch ein erstes kleines Der schon Ende Juni angesetzt sein muss, damit sie Fest wagten wir zu Pfingsten. Da war ich auch wie- noch rechtzeitig gedruckt und couvertiert werden der „in meinem Element“ als Hobbykoch: einen können. So können sie von den en, die wie der Pfar- kräftigen Rindfleischeintopf konnte ich auftischen, rer in die übliche „Sommerfrische“ nach Deutsch- den alle – ohne mich selbst rühmen zu wollen – land reisen, mitgenommen und verschickt werden. doch sichtlich genossen nach dem Festgottesdienst Die Versammlung konnte wegen des Lockdowns, in der Kirche. Und einige hatten auch noch leckeren wie schon im vergangenen Jahr, nicht in der ge- Kuchen zum Nachtisch beige- wohnten Zeit im März abgehalten steuert. werden. In diesem Jahr stand Leider mussten wir diesmal turnusgemäß die Wahl zum Ge- unsere liebe Edel, treues und meindekirchenrat an. Das Ergeb- engagiertes Gemeindeglied und nis wird dann in den Monats- langjährige Vorsitzende des nachrichten September, die sich Gemeindekirchenrates, dabei auch auf unserer Website finden, vermissen, die längere Zeit bekanntgegeben und gewiss in schon krank daniederlag und den nächsten Angelpunkten Er- deren körperliche und geistige wähnung finden, die es hoffent- Kräfte mit zunehmendem Alter lich im nächsten Jahr in besseren und vor allem sehr stark im zu- Zeiten wieder geben wird. rückliegenden Jahr zusehends abnahmen. Das machte uns alle Jürgen Henning traurig. Andererseits baute uns ihre dabei doch stets spürbare Fröhlichkeit auf. Sie lachte über Scherze und sie konnte über sich selbst lachen – und ent- schwand dabei mehr und mehr in eine Welt, die uns immer weniger zugänglich war. Am 10. Juni ist sie verstorben und am 12. Juni haben wir mit dem Trau- 9
Lieber von bleibt uns fern, auch weil unsere Hilflosigkeit den Blick von ihnen rasch wieder fortzieht. Eines Mor- Corona sterben gens las ich im Daily Star von den „Maids“, den als vor Hunger! Hausangestellten aus Asien und Afrika, die sich jede libanesische Familie „hielt“, die etwas auf sich hielt. Sie konnten sie nicht mehr bezahlen, setzten sie vor Die Lage im Lande den Botschaften ihrer Heimatländer aus. Selbst wenn und die Not sie das Geld gehabt hätten, um heimfliegen zu kön- der Maids nen - der Flughafen blieb ja bis in den Juli hinein geschlossen! Wir beteiligten uns Dann erreichte mich der Anruf von Damien, an der Hilfsaktion dem KV-Vorsitzenden unserer französischsprachi- unserer französisch- gen Schwesterge- sprachigen Schwes- meinde. „Unsere tergemeinde Leute hungern. Seit Samstag verteilen wir Beutel mit Grundnahrungsmit- Es war gerade Pfingsten vorbei. Der Libanon lag teln. Könnt ihr am Boden. Und doch konnten wir uns noch nicht so nicht mitmachen? recht vorstellen, dass es noch tiefer gehen könnte. Könnt ihr uns hel- Seit Oktober 2019 legt sich eine Krise auf die ande- fen?“ Und plötzlich re. Die Menschen gingen voll Hoffnung auf die war all das ganz Straßen, um gegen Korruption, Misswirtschaft und nah an meiner soziale Ungerechtigkeit zu demonstrieren. Die Zeit Haut. Der über- ging darüber hinweg, die neue Regierung auch, die wiegende Teil der Straßen leerten sich, die Hoffnung verblasste. Dann Gemeindeglieder gingen sie wieder auf die Straßen, verzweifelt, der französisch-protestantischen Gemeinde besteht scherten sich nicht um die Ausgangssperre. Anita aus afrikanischen Gastarbeitern und „Maids“ aus aus Tripoli erzählte mir, was sich dort allabendlich Madagaskar. 2019 haben wir noch zusammen Him- abspielte: Straßenschlachten, Polizei und Armee melfahrt auf der Wiese hinter unserem Friedhof ge- griffen hart durch. „Corona ist den Leuten egal. Die feiert: Gottesdienst und Barbecue, madagassische haben Plakate, darauf steht, was sie auch rufen: Lie- Köstlichkeiten und deutsche Kuchen. Eine fröhliche ber von Corona sterben als vor Hunger!“ Gemeinschaft. Und die hungerten nun. Ich musste es Die Inflation mir mehrfach vorsprechen, um es zu begreifen: Sie war da bereits hungern! enorm. Das spür- Dann begannen auch wir zu packen, erbaten ten auch wir in Gottesdienstkollekten etwa vom „Abstandsfest“ oder der Gemeinde. zur Gemeindeversammlung, der VDFL gab einen Unsere Einkom- ansehnlichen Betrag, manche spendeten in den men waren nur nächsten Wochen regelmäßig den Wert einer Le- noch ein Drittel bensmitteltüte, 25.000 – 30.000 LBP: Öl, Reis, Nu- wert. – Jetzt, ein deln, ein paar Dosen Tomatenmark und Ölsardinen. Jahr später aller- Gemüse holten sie von dem, was Händler wegwar- dings, wo es 90 fen. Und wo schliefen sie? Bei irgendwem, der noch Prozent an Wert Raum hatte. Und Corona, die Ansteckungsgefahr? – verloren hat, „Lieber von Corona sterben als vor Hunger!“ würden wir sa- Inzwischen konnten sehr viele in ihre Heimatländer gen: immerhin zurückkehren. Unsere Schwestergemeinde ist kleiner noch ein Drittel! - geworden, leider. Dass Menschen bereits nicht mehr das Nötigste kau- fen konnten, lasen wir. Auch wir ließen immer öfter Jürgen Henning Waren im Regal liegen. Doch uns ging es ver- gleichsweise gut. Die Not ist die Not der andern. Sie 10
Beirut Hände – nie habe ich gehört und erlebt, dass so schnell Reparaturen durchgeführt, Fenster ersetzt nach wurden, wiederaufgebaut wurde!!! der Wir - auf Heimaturlaub in Deutschland - waren Explosion gerade mit meinem Sohn Max auf dem Weg nach Berlin, wo er studiert, als uns eine Whatsapp- Nachricht von der ungeheuren Explosion im Hafen erreichte. Und dann immer mehr, dazu die Eilmel- dungen und schließlich ausführlichen Berichte in den Medien. Wir waren total geschockt! Das wirkli- che Ausmaß zeigte sich in den Tagen danach. Die Gemeinde war glimpflich davongekommen. Von unseren direkten Gemeindegliedern war niemand verletzt worden. Doch die deutsche Diplomatin Gab- riele Kühnle-Radtke war ums Leben gekommen. Einige hatten Schäden an ihren Wohnungen zu be- klagen, zum Teil erhebliche: kaputte Scheiben und Der 4. August 2020 wird als einer der schwär- herausgerissen Fenster und Türen, die dann wiede- zesten Tage in die Geschichte Beiruts und des Liba- rum Schäden an den Einrichtungen verursachten. non eingehen: Der zerstörte Hafen, eingestürzte Die Kirche, die geschützt im Hof liegt, umge- Häuser, verwüstete Wohnungen, Hochhäuser, die ben von hohen Häusern, war vollkommen bewahrt wieder wie glaslose Rohbauten dastehen, zerbroche- geblieben. Sie hatte nicht einen Kratzer abbekom- nes Glas überall, vor allem in Gemmayzeh, Mar men. Am Haus, in der Gemeindeetage und in ver- Michael, Karantina und dann weiter hinauf nach schiedenen Wohnungen waren insgesamt 15 Schei- Achrafieh und über Downtown bis nach Hamra. Vor ben zerbrochen, sie waren mit den Terrassentüren allem aber die betroffenen Menschen: am Ende über durch die Druckwelle nach innen gedrückt worden. 200 Tote, 6000 Verletzte und 300.000 die vorüber- Dazu wurden einige Styropordeckenplatten herun- gehend, einige wohl dauerhaft, ihr Obdach verloren tergeschlagen. Die Pfarrwohnung war weitgehend haben. Und Politiker, die jede Verantwortung von verschont geblieben, weil Fenster und Terrassentü- sich wiesen, hin und her nach Schuldigen suchten, ren geöffnet waren, damit unsere Katzen rein und wie ehedem seit Jahrzehnten – am 10. August trat raus konnten. So war die Druckwelle durchgegan- die jüngste Regierung nach den sofort nach der Ex- gen. Dank des sofortigen unermüdlichen Einsatzes plosion einsetzenden Massenprotesten zurück. Doch von Frederic und Ali, die umgehend Handwerker auf eine Regierung nach besorgten, war wenige dem hergebrachten Sys- Tage nach der Explosion tem, auf „den Staat“ ver- alles aufgeräumt und repa- lässt sich im Libanon riert worden. Was mich ohnehin kein Mensch wunderte. Ich dachte, nun mehr. Statt Resignation gäbe es in ganz Beirut kein allerdings hatte Mitge- einziges Fenster mehr zu fühl, Solidarität, glühen- kaufen. Jedenfalls mussten der Eifer eines trotzigen wir für alles zusammen nur „Jetzt erst recht“ und gut 2.000 Dollar bezahlen. „Wir, wir selbst werden Glücklicherweise hatten das wieder hinbekom- wir noch eine kurz zuvor men“ die Menschen er- erhaltene Euro- bzw. Dol- griffen. So viele nahmen larreserve. Sonst hätten wir einfach einen Besen, gin- den achtfachen Preis in gen hin und begannen aufzuräumen, Aufbauhilfen, LBP bezahlen müssen – heute, ein dreiviertel Jahr Essensausgaben wurden organisiert, Privatinitiati- später, wäre es bereits das 14fache!. Die Handwer- ven, Pfadfinder, auch die palästinische Jugend von ker rechneten bereits wie alle mit dem jeweiligen JCC aus dem Camp von Dbaye etwa - und dann Or- Parallelmarktwert statt nach dem immer noch offizi- ganisationen wie das Rote Kreuz oder Caritas. ellen Kurs von 1.500 LBP zu 1 Dollar, was heute Schließlich spuckten Arbeiter, Handwerker in die selbstverständlich ist. Die Wirtschafts- und Finanz- 11
krise wurde ja durch diese schlimme Katastrophe nau dafür nahmen wir nun Gelder entgegen, verteil- nicht abgelöst. Sie wurde allerdings verschärft. So wa- ten und setzten sie ein nach bestem Wissen und Ge- ren wir als Gemeinde dankbar für die Bewahrung. wissen. „Wer also spenden und helfen will und nicht Andere hatten viel Schlimmeres zu beklagen. allein an die akute Notlage denkt, sondern auch spä- Wir wurden recht bald angefragt, ob man uns ter noch weiterhelfen will, dessen Spenden sind uns als Gemeinde vor Ort Geld spenden könnte, um ir- herzlich willkommen. Soforthilfe aber werden wir gendwie zu helfen. Das war nicht einfach zu ent- nicht leisten können“ – so hatte ich in einem Inter- scheiden. Obschon das Vertrauen der Menschen in view in Deutschland betont. „Kirche“ uns ehrte und unsere Und dann kam ich an einem Verantwortung zu helfen neu Sonntag aus Deutschland zurück, weckte. Wir als Gemeinde direkt musste mich orientieren, möglichst brauchten, wie dargestellt, kaum schnell wieder in das tatsächlich Geld. Möglicherweise würden ein- andere Leben in Beirut zurückge- zelne Gemeindeglieder auf uns wöhnen – und ging am Dienstag- zukommen und um Unterstützung nachmittag „auf Tour“. Nach mei- bitten, was dann ja auch vereinzelt nem Hausbesuch bei Helga Habib in geschah. Nun allgemeine Soforthil- Achrafieh, deren durch die Explosi- fe an irgend Betroffene zu leisten, on arg getroffene Wohnung ich in überstieg unsere Möglichkeiten Augenschein nahm, bin ich durch - rein schon in logistischer Hinsicht. die betroffenen Gebiete von Achra- Wer sofort in Not geratenen Men- fieh, Gemmayzeh und Mar Michael schen helfen mochte, sollte etwa an zum Hafen runter gelaufen. Einer- die Diakonie-Katastrophenhilfe seits war ich erstaunt, wie sehr oder das Rote Kreuz spenden – so schon alles aufgeräumt war. Nur sagte ich stets, wenn mich entsprechende Spenden- ganz wenige Glashaufen waren noch zu sehen, die angebote erreichten. Längerfristig können wir Spen- Wege und Straßen vielfach blitzsauber gekehrt. Alle den allerdings mehr als gut gebrauchen: Die Schule hatten selbst Hand angelegt. Staatliche Aufräumhil- für syrische Flüchtlingskinder in Naame etwa exis- fe hatte es überhaupt keine gegeben. Einzig Wach- tiert inzwischen ausschließlich von Spendengeldern, posten standen vor zerstörten Geschäften, um wohl um die unsere Gemeinde in Deutschland bittet. Sie Plünderungen zu verhindern. Private Hilfsvereine, durfte und darf nicht vergessen werden. Dazu blieb Rotes Kreuz etc. hatten in Abständen immer wieder und bleibt unser Gemeindesozialdienst weiter ge- Zelte aufgebaut, „Erste Hilfe“-Stellen, Essensausga- fragt in Bezug auf unsere regelmäßigen Klientinnen ben... Allerdings schienen sie mir auf ihren Portio- und Klienten, die ohne unsere Unterstützung nicht nen eher sitzen zu bleiben. Am meisten sah ich die klarkommen könnten und von denen fast alle nun üblichen Straßenbettler davon essen. Eine Mitarbei- doch auch durch die Explosion terin von MISEREOR sagte dass es betroffen waren. Und da erwarteten inzwischen an einigen Plätzen zu wir in den folgenden Wochen und viel „Soforthilfe“ gab. Überall hörte Monaten verstärkte Anfragen bzw. man es aber hämmern, sägen und Bitten um finanzielle Unterstüt- bohren. So rasch war man dabei, zung, auch von Menschen, die wir wiederaufzubauen - vor allem Fens- bis dahin nicht im Blick hatten. ter zu ersetzen. Auch Helga Habib Schon im Zuge der fortschreiten- sollte am Nachmittag schon ihre den Wirtschaftskrise fanden ver- Fenster bekommen. Und ich dachte mehrt Bedürftige den Weg zu uns. nur: woher kriegen die jetzt so Mit Sicherheit würden wir auch, schnell das Material? Aber auch die wie schon in der Vergangenheit, beschädigten historischen Gebäude von verschiedenen einheimischen wurden bereits wieder repariert und Organisationen gebeten, nach restauriert - unglaublich flott ging Möglichkeit ihren Dienst finanziell das, die Handwerker mit sichtbarem zu unterstützen. Einige hatten wir Eifer glühend bei der Sache! Irre! bereits im Sinn, denen wir anbieten wollten, ihre Doch auf der anderen Seite war ich schockiert Arbeit für die durch die Explosion getroffenen Men- zu sehen, was und wie da alles getroffen war. Es schen mit Spendengeldern zu unterstützen. Und ge- erinnerte mich an Bilder vom Krieg. Die glaslosen 12
Hochhäuser, die dann doch zwischendrin einge- Einsatz stürzten Gebäude und schließlich der Hafen: dort stand absolut nichts mehr. Aber der Verkehr floss der ungerührt vorbei. Betroffen stand ich vor Gebäuden, Spenden mit denen mich etwas verband: die vollkommen nach der zerstörte Pizzeria etwa, in der wir ein paarmal geses- sen hatten und es uns gut gehen ließen, mit den Hei- Explosion ligen davor in ihrem Glasschrein, von denen ein Fo- to mit mir aus besseren Tagen existiert. Der war seltsamerweise vollkommen unversehrt geblieben. Oder der orthodoxe Laden mit den Ikonen und Ker- zen gegenüber der nun mit Brettern zugenagelten Kirchentür - alles dahin! Es war schon wirklich übel! Und noch schlimmer hatte es in den sozial schwächeren Wohngebieten von Karantina und Auch zwei Monate nach der verheerenden Ex- Bourj Hammoud ausgesehen. Alle wollten im histo- plosion im Hafen standen wir alle immer noch sehr rischen, bekannten und beliebten Gemmayzeh und betroffen unter dem Eindruck der Folgen. Zwar ging Mar Michael helfen; an die anderen Gebiete wurde das Aufräumen und Beseitigen der Glastrümmer erst später gedacht. Aber auch da sollte es bald auf- dank des freiwilligen Einsatzes der Libanesischen wärtsgehen. Die Menschen hatten einen zähen Wil- Jugend recht schnell vonstatten, die Straßen waren len zum Wiederaufbau. „Unser Raum ist zerstört - wieder befahrbar, die Fußwege begehbar. Aber erst wir nicht!“ war über der Tür eines Restaurantein- langsam hatte der eigentliche Wiederaufbau begon- gangs zu lesen. nen. Am ehesten konnten die reinen Glasschäden beseitigt werden, Fenster und Türen ersetzt. Doch viele Wohnungen und Häuser in den direkt in Ha- fennähe gelegenen Gebieten waren nach wie vor unbewohnbar. Erfreulicherweise gab es Initiativen Es geht voran: Reparaturarbeiten in Gemmayzeh wie „Green Lebanon“ „Basma“ oder „Stough Bei- rut“, die mit Hilfe von Spendenmitteln Wohnungen und Häuser wiederherstellten, Schäden reparierten und Wohnraum renovierten von Menschen, die das selbst nicht bezahlen konnten. Und genau solche Menschen hatten doch die vielen in Deutschland im Blick, als sie Herzen und Geldbeutel öffneten und spendeten, um zu helfen. Wir hatten viele Spenden erhalten in Deutsch- land, mit denen wir zu helfen bemüht waren. Wie setzten wir die Spenden nun ein? 1. Zum einen leisteten wir Einzelunterstützung bei Gemeindegliedern und anderen Geschädigten aus dem Umfeld der Gemeinde, von denen wir erfuhren. In der Gemeinde selbst hielten sich die Schäden, wie schon erwähnt, gering. 2. Zum anderen unterstützten wir in hohem Umfang jene Organisationen - „Green Lebanon“, „Basma“ und Stough Beirut“ -, die Wohnungen und Häuser von Geschädigten reparierten und wiederaufbauten, die die Kosten nicht selbst tragen konnten. Es hatte ja viele Arme hart getroffen. 3. Und schließlich unterstützten wir kleine, oft sehr effektiv arbeitende Einzelinitiativen. Es gab Schä- den, auf die kam keiner. So auch etwa, dass Schul- kinder ihre Schulsachen in den Trümmern gelassen hatten. Wir konnten umgehend 100 Schultaschen 13
mit Ausstattung stiften und 12 Laptops. Weitere on in Verbindung gebracht werden konnte, halfen folgten. Oder auch Küchenausstattungen: wir auch mit Mitteln aus dem allgemeinen „Explosi- Die Leute bekamen z.T. schnell einen Kühlschrank onstopf“. Und noch etwas: Obwohl die Verwaltung und einen Herd von Hilfsorganisationen, damit sie der Gelder bis hin zur Ausgabe nicht unerhebliche sich wieder versorgen zusätzliche Arbeit verur- konnten. Aber keiner sachte, hatten wir uns dachte damals an Tas- entschlossen, KEINE sen, Teller, Töpfe, Be- Verwaltungskostengebühr steck .... Wir sammelten zu erheben. Wir gaben in der Gemeinde, und das Geld direkt weiter, die Leute gaben von entweder in Euro, bei dem, was sie überzählig Überweisung an Organi- daheim in den Schrän- sationen wie „Green Le- ken hatten. Bedarfsweise banon“ oder „Basma“ und kauften wir dazu. Wir „Stough Beirut“ in Dollar, gaben es weiter an Pfar- oder es erfolgte eine Di- rerin Dr. Rima Nasralla rektauszahlung in Lira zu von der National Church, die diese Aktion wie auch dem von der Zentralbank für die Wechselstuben die Versorgung mit Schulmaterial von ihrer Kirche festgesetzten Kurs. aus initiiert hatte. Es fanden sich immer wieder neue Bis Weihnachten hatten wir bereits den Großteil Möglichkeiten zu helfen in Bereichen, die nicht auf der Spenden einsetzen können. Es erreichten uns Anhieb im Blick waren. Und manchmal war solche aber auch danach weiter Spenden, allgemein unter Unterstützung auch „Friedensarbeit“: So unterstütz- dem Stichwort „Explosion“ und auch zweckgebun- ten wir die Jugendlichen von JCC („Joint Christian den für bestimmte Projekte wie etwa die Schule für Committee“) aus dem Palästinensercamp Dbaye, die syrische Flüchtlingskinder in Naame, die wir fortlau- kostenlos Wohnungen von Geschädigten renovierten fend unterstützen konnten. Noch im Juni 2020 konn- – und damit nicht nur Mittellosen halfen, sondern ten wir – um ein konkretes Beispiel zu nennen - zugleich auf eine wunderbare Weise dazu beitrugen, wieder einen großen Betrag an „Green Lebanon“ die immer noch bestehenden Vorbehalte vieler Li- geben, deren Aufbauarbeit in diesem Sommer als banesen Palästinensern abgeschlossen betrachtet gegenüber zu überwinden. werden kann: 52 beschä- 4. Darüber hinaus unter- digte Gebäude in der stützten wir weiter unse- Green Lebanon von der re Klientinnen und Kli- Armee zugeteilten Rmeil enten in der Sozialarbeit, Area (Zone 40) sind voll- von denen manche direkt kommen wiederherge- von der Explosion be- stellt, 150 Familien wurde troffen waren, andere ihr Obdach wiedergege- nicht unmittelbar. Aber ben. Dafür hat Green Le- die Not war und ist groß banon von uns weiterge- und hat sich seit Herbst leitete Spenden in Höhe 2019 in enormem Tempo von 40.000 Dollar, 7.000 verstärkt. Es mag zwar seltsam klingen, aber Euro und 1.200.000 Libanesische Pfund erhalten. schlimmer und anhaltender als die Folgen der Ex- Noch einmal sei betont: Der Wiederaufbau wurde im plosion sind die Folgen der Wirtschafts- und Fi- Wesentlichen durch Spenden finanziert! Allen nanzkrise. So haben wir eben auch die Schule für Spenderinnen und Spendern sei an dieser Stelle noch syrische Flüchtlingskinder in Naame am Laufen zu einmal ganz herzlich gedankt! halten. Jedem empfehle ich jetzt einmal einen Spazier- Manche Spenderinnen und Spender hatten als gang durch Gemmayzeh und Mar Michael. Es lässt Zweck „Sozialarbeit“ oder „für die Gemeinde“ an- die Seele aufblühen zu sehen, was da wiedererstan- gegeben oder, die von dem Schulprojekt erfahren den ist. „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft haben, „Schule Naame“ - dann verwendeten wir zugewand“, heißt es in der einstigen Nationalhymne solche Gelder direkt für unsere Sozialarbeit oder die der DDR. Irgendwie kam die mir in den Sinn bei Schule. Sahen wir, dass ein Bedarf mit der Explosi- meinem Spaziergang an einem sonnigen Samstag im 14
Mai. Hier begann wieder das Herz Beiruts zu schla- Unwesen treiben? Ich habe in den Städten dieser gen – während Downtown abgeriegelt und von einer Welt – und es waren schon einige, die ich in meinen unüberwindlichen Betonmauer umgeben bleibt, die 61 Jahren zu sehen bekam – noch nirgends eine der- stark an die Berliner Mauer erinnert, errichtet von artige Ansammlung architektonischer Entsetzlich- den politischen Kräften des Libanon, die sich und keiten erblicken müssen, die zudem jedes städtebau- die Regierungsgebäude auf diese Weise vor der de- liche Konzept vermissen lassen und von einer egois- monstrierenden Bevölkerung zu schützen suchen, tischen Mentalität zeugen, in der dem eigenen flüch- für die sie schützend und fürsorgend da zu sein und tigen Blick auf das Meer oder auch nur dem beton- unermüdlich selbstlos zu arbeiten gelobten. vergoldeten Geldbeutel den anderen die Schönheit, Einzig störend wirken die skelettierten Hoch- das Licht und die Frischluftzufuhr genommen wer- häuser, wenn man an den restaurierten Häusern den. Gemeinwohl weit, weit hinter Eigennutz! – Es Gemmayzehs und Mar Michaels emporblickt und ist solche Mentalität, die grundlegende soziale Prin- ihrer gewahr wird, wo man allein blauen Himmel zipien einer menschlichen Gesellschaft auf den Kopf erwarten möchte. Sie stehen immer noch fensterlos stellt und ein Land zugrunde gehen lässt, das so da, und die Zerstörungen unterstreichen ihre Häss- schön sein könnte und vielleicht einmal schön war – lichkeit. Ob sie uns wohl als Ruinen erhalten bleiben, once upon a time! während ihre Besitzer anderenorts ihr spekulatives und ihre Schöpfer ihr architektonisches Jürgen Henning 15
„Unsere“ Pizzeria nach der Zerstörung im August 2020 und heute im Mai 2021 für mich ein Symbol für das Widererstehen einer zerstörten Stadt und die Zukunftshoffnung der Menschen! „Green Lebanon“ „Grüner Libanon“ ist eine Organisation, die im Jahr 1995 gegründet wurde. Bestehend aus Expert*innen unterschiedlicher Berufsgruppen haben sie sich zum Ziel gesetzt, den Libanon durch Projekte in den Bereichen Ökologie und sozialer Gerechtigkeit zu unterstützen. Im Rahmen des Wiederaufbaus nach der Explosion wurde Green Lebanon „Sektor 40“ in Geitawi zugeteilt, bei dem die Sanierung von 52 Gebäuden notwendig war. Darüber hinaus wurden auch bereits 30 Gebäude außerhalb des Sektors repariert. Es floss kein Bargeld an die Opfer der Katastrophe. Die Schäden wurden von den Expert*innen der Organisation selbstständig behoben. Abschließend wurden auch Spenden in Form von Nahrungsmitteln und Medikamenten verteilt. Die Notwendigkeit koordinierte ein/e Sozialarbeiter*in. Weitere Informationen finden Sie auf www.green-lebanon.org. „Bassma Lebanon“ „Libanons Lächeln“ wurde im Jahr 2002 gegründet. Hauptsächlich arbeitet diese NGO mit Familien, die sich in Armut befinden und hilft ihnen beim Weg in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein weiterer Aspekt in die Bildungsarbeit im Rahmen von Nachmittagsunterricht, um lernschwächere Kinder beim Erlangen der Schulabschlüsse zu unterstützen. Zusätzlich werden monatlich ca. 5.000 Rationen an Essen ausgeteilt. Bereits früher waren sie mit der Renovierung betraut gewesen. Im Rahmen der Aufteilung durch die Armee wurden ihnen die Sektoren 61 und 62 im unteren Mar Mikhael mit insgesamt 75 beschädigten Gebäuden zugeteilt und weitere 100 Gebäude in den Sektoren 11-23 in Karantina, die wieder hergerichtet wurden. Weitere Informationen finden Sie auf www.bassma.org. „Stouh Beirut Association“ „Die Decken Beiruts“ ist eine Non-Profit Organisation, welche 2017 aufgrund der erfolgreichen TV-Spendensendung zu Weihnachten ins Leben gerufen wurde. Der Fokus liegt auf der Unterstützung von nicht-privilegierten Menschen und Familien, Stärkung der Frauenrechte und Jugendarbeit im Hinblick auf Berufsperspektiven. Im Rahmen des Wiederaufbaus war Stouh Beirut für 63 Gebäude in Mar Mikhail und Achrafieh zuständig, die fast alle bereits wiederhergerichtet wurden. Hierbei ging es nicht nur um die bauliche Herrichtung, sondern auch um die Einrichtung der Wohnungen. Stouh Beirut arbeitete mit 10 Architekten zusammen, welche ihren Dienst freiwillig taten und die Herrichtung mit den Firmen koordinieren. Weitere Informationen finden Sie auf www.stouhbeirut.org 16
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