QUARZKostenfrei - Angst ist der Freiheit - Waldorfschule ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Quarz 37 Inhalt: Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Angst ist der Schwindel der Freiheit 2 Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen 6 Angst vor der Angst 12 Über die heilende Wirkung eines einzigartigen Kunstwerks in heutiger Zeit 15 Fundstücke einer Gedankenreise zwischen Islam und Christentum 18 Über die Kindliche Angst 24 UTOPIA TOOLBOX – Anstiftung zur radikalen Kreativität 28 Wutbürger und Angstbürger 31 Die Welt auf der Haut erfahren 35 Rubrik «Netzwerk aktuell» Von substanzbildendem Vergangenem und hoffnungsfrohem Zukünftigem… 36 Etablierung eines Handlungspädagogikkonzept für die „Honhardter Demeterhöfe“ 38 Polizei im Haus 39 Ein Waldorfkindergarten im Hohenlohekreis – (k)eine Selbstverständlichkeit! 40 Zeitungsserie im Hohenloher Tagblatt zum unterWEGs-Symposium am Quellhof 42 „Natur der Medien – Medien der Natur“ 46 „Surprise, Surprise...“ Überraschungsveranstaltung der Freien Waldorfschule Schwäbisch Hall 49 Rubrik «Kultur» Tipps und Termine / Impressum 50 Netzwerk Waldorfpädagogik 52
Quarz 37 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Angst – ist der Schwindel der Freiheit. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Macht er uns neugierig? Wovor haben wir Angst? Es gibt viele Gelegenheiten, wo man Angst verspüren kann. Was kann uns helfen, die Angst zu überwinden? Was gibt uns Kraft? Können wir etwas lernen aus der Angst? Dein Ort Solche und ähnliche Fragen haben wir uns ist wo Augen dich ansehen. bei unserer ersten Redaktionssitzung zu Wo sich Augen treffen diesem Heft gestellt. Wir haben selber eine entstehst du. Bildbetrachtung zu einer Schutzmantelma- donna gemacht zum Einstieg und noch so Von einem Ruf gehalten, manche interessante Redaktionssitzungen immer die gleiche Stimme, gehabt. es scheint nur eine zu geben mit der alle rufen. Und nun ist, zu meinem eigenen Erstau- nen, dieses umfangreiche Heft daraus geworden. Wir übergeben es in Ihre Du fielest, Hände und hoffen, dass sie den einen oder aber du fällst nicht. anderen Artikel darin anregend finden. Es Augen fangen dich auf. sind mehr philosophische Texte darin, sehr persönliches, Fachartikel, auch politisches, Es gibt dich eine ganze Vielfalt. weil Augen dich wollen, dich ansehen und sagen Ich selber bin gerade noch unter dem dass es dich gibt. Eindruck eines Seminars am Quellhof, das im Gesamtrahmen einer Weiterbildung Hilde Domin zur Arbeit mit Geflüchteten steht: „Inter- kulturalität-Den Wandel wollen“. Auch dort begegnete mir das Thema mit der Angst. Immer wieder stießen wir darauf, wenn wir uns auf das Fremde, das Andere, den Anderen einlassen, wir ihn wahrnehmen, ihn kennenlernen, nimmt uns das immer mehr die Angst. Dazu passt das Gedicht von Hilde Domin. Nun wünsche ich allen viel Freude beim Le- sen und gern nehmen wir Rückmeldungen und Kritik zum Heft entgegen. Hannelore Nawroth 1
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Angst ist der Schwindel der Freiheit Von Fabian Stoermer Soeren Kierkegaard hat von 1813 bis Kierkegaards Biographie ist durch zwei 1855 in Dänemark gelebt. Er studierte Erfahrungen geprägt, die er selbst „das Theologie und betätigte sich als Erdbeben“ und „den Pfahl im Fleisch“ genannt philosophischer Schriftsteller. Die hat. Was damit gemeint ist, hat man nicht Verbindung der Philosophie mit genau herausfinden können. Das „Erdbeben“ der Theologie war prägend für die erlebte Kierkegaard wohl, als er zu entdecken Geistesgeschichte seiner Zeit, mit glaubte, „dass auf seiner Familie ein Fluch der er in einer tiefen, den Widerstreit liege“. Man weiß nicht, ob sich das darauf einschließenden, Verbindung stand. bezog, dass der Vater sich nach dem Tod Auch die Philosophie des Deutschen der Mutter schon vor Ablauf des Trauerjahrs Idealismus, an der Kierkegaard in eine sexuelle Beziehung mit dem sich abgearbeitet hat, war aus dem Dienstmädchen einließ, das dann seine Milieu protestantischer Religiosität zweite Frau und Kiergekaards Mutter wurde; hervorgegangen. Seine Protagonisten, oder darauf, dass der Vater als Junge einmal Hegel, Schelling und Hölderlin, waren in Gott verflucht hatte, oder auch darauf, dass der Jugend gemeinsam Studenten an der der Vater sich beim dänischen Staatsbankrott theologischen Lehranstalt des Tübinger 1813 bereicherte. Vielleicht war mit dem Stifts. „Erdbeben“ auch in erster Linie der Tod des Vaters gemeint, der selbst auch schon Die Philosophie ist die Magd der Theologie geglaubt hatte, durch den frühen Tod seiner ersten Frau und seiner drei Töchter für Ein lateinischer Ausspruch aus der eigene Sünden bestraft zu werden. mittelalterlichen Kirchenlehre sagt: Ob der „Pfahl im Fleische“ auch diesen „Philosophia ancialla theologiae.“ – Die „Familienfluch“ meinte oder einen Philosophie ist die Magd der Theologie. Bordellbesuch Kierkegaards oder seine So verhielt es sich aber weder in der obsessive Neigung zur Onanie, weiß man Philosophie des Deutschen Idealismus ebenfalls nicht. noch bei Kierkegaard. Die Philosophie stand hier nicht im Dienst kirchlicher Auch wenn wir dies nicht genau wissen, Lehrmeinungen, sondern die Theologie im können wir uns aber denken, dass Dienst einer Erkundung des menschlichen Kierkegaard eine Abhandlung „in bezug auf Geistes. In seinen letzten Lebensjahren hat das dogmatische Problem der Erbsünde“ Kierkegaard die Amtskirche und das von durchaus persönlich nahm. Und wir dürfen dieser organisierte bürgerliche Christentum, vermuten, dass die Entwicklungsstufen in sehr scharfer Polemik und im Namen menschlicher Existenz, von denen er sprach, eines wahren, an der Nachfolge auf Christi Phasen seiner persönlichen Entwicklung Leidensweg orientierten Christentums, waren. Nach einer Zeit freizügigen angegriffen. Studentenlebens, motivierte ihn der Tod des Vaters dazu, das Studium der Theologie Bei Kierkegaard treten persönliche und ernsthaft zuende zu bringen. Mit 27 Jahren psychologische Motive des Denkens verlobte er sich mit der Kopenhagener besonders deutlich hervor. Bürgerstochter Regine Olsen, löste dieses Seine philosophischen Texte haben Züge Verlöbnis aber wegen innerer Zweifel nach einer literarischen Autobiographie. kurzer Zeit wieder auf. Dieser Vorgang hat 2
Quarz 37 ihn sehr stark beschäftigt. Er hat sich später und meinem Anderen gesetzt, im Schlaf keiner Frau mehr genähert und empfand ist er suspendiert, im Traum ist er ein es als Untreue, dass die 10 Jahre jüngere angedeutetes Nichts.“ (50) Regine Olsen zwei Jahre nach der Auflösung Für das Kind ist der Geist also als ein des Verlöbnisses einen anderen Mann „angedeutetes Nichts“ gegenwärtig. Und geheiratet hat. die Wirkung dieses „angedeuteten Nichts“ ist es, dass es Angst macht. So besteht Das Gefühl der Angst als Teil der kindlichen für Kierkegaard das „tiefe Geheimnis der Entwicklung Unschuld“ darin, „dass sie gleichzeitig Angst ist.“ Diese Angst ist keineswegs nur eine 1844 veröffentlicht Kierkegaard unter negative Empfindung, sie zieht das Kind dem Pseudonym Vigilius Haufeniensis auch an: „Diese Angst gehört so wesentlich seine Abhandlung „Der Begriff Angst. zum Kind, dass es nicht darauf verzichten Eine einfache psychologisch-hinweisende will; auch wenn es sich ängstigt, fesselt sie es Überlegung in bezug auf das dogmatische doch in süßer Beängstigung.“ (51) Problem der Erbsünde.“ Zwei Merkmale der Angst lassen sich „Einfach“ sind die Überlegungen hervorheben: Kierkegaards eigentlich in kaum einer Hinsicht. Sie nachzuvollziehen, erfordert 1. Es gibt Angst nur da, wo es Geist – nicht nur die Bereitschaft, sich sehr genau mögliches Selbstbewusstsein, mögliche auf einen Weg logischen Reflektierens und Wahlfreiheit gibt. „Daher wird man beim Argumentierens einzulassen, sondern auch Tier, eben weil es in seiner Natürlichkeit einige Vertrautheit mit theologischen Fragen nicht als Geist bestimmt ist, keine Angst und vor allem mit der Philosophie Hegels, finden.“ (50) – „je weniger Geist, umso die Kierkegaard als beständiger Widerpart weniger Angst.“ (51) der eigenen Gedankenentwicklung dient. Ich lasse dies beiseite und greife nur einen 2. Angst ist etwas anderes als Furcht. Gedanken heraus, in dem Kierkegaard das Furcht hat ein konkretes Objekt, sie ist Gefühl der Angst als Teil der kindlichen eine situationsgebundene Emotion, die Entwicklung erklärt und in einen direkten als Reaktion auf eine Bedrohung erklärt Zusammenhang mit der menschlichen werden kann und eine biologische Wahlfreiheit stellt. Funktion hat, sofern sie Lebewesen in Wir sehen also nicht auf Adam und das erhöhte Abwehr- oder Fluchtbereitschaft Problem der Erbsünde, nicht auf die versetzt. Angst hat kein konkretes Objekt, Geschichte und die moralische Stellung sie ist eher eine Stimmung als eine der Menschheit, sondern auf den einzelnen Emotion. Menschen und seine Entwicklung. Kierkegaards Ausgangsgedanke ist: das Kind Bei Kindern findet man die Angst als ist unschuldig, weil es noch in unmittelbarer „ein Suchen nach dem Abenteuerlich- Einheit mit der Natur steht. Es grenzt sich Märchenhaften, dem Ungeheuren, dem selbst noch nicht als Bewusstsein, als „Ich“ Rätselhaften“ angedeutet. (51) Was sich darin von der Welt ab. Es weiß noch nichts vom andeutet, ist die „Wirklichkeit der Freiheit Unterschied von „Gut“ und „Böse“. „Die als Möglichkeit für die Möglichkeit“. (50) Unschuld ist Unwissenheit.“1 Es ist aber nicht so, dass der „Geist“, das was Menschen sind endliche Wesen, eingespannt später einmal im Selbstbewusstsein sich in den Naturzusammenhang ursächlicher der Welt gegenübersetzt, im Kind noch gar Notwendigkeiten, in das Werden und nicht vorhanden ist. Vielmehr ist der Geist Vergehen in der Zeit, gebunden in „träumend“ im Kind. Situationen der Herkunft und des jeweiligen Für den Erwachsenen ist im „Wachsein Lebensumkreises. Aber Menschen können [...] der Unterschied zwischen mir selbst sich zu diesen Situationen auch verhalten, 1 Soeren Kierkegaard: Der Begriff Angst. Stuttgart 1992, S. 50. [Im Folgenden nur die Seitenzahlen in Klammern] 3
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» sie können sich auf Möglichkeiten, die alles verändert, und wenn sich die Freiheit gegebenen Situationen zu verändern wieder erhebt, sieht sie, dass sie schuldig oder zu verlassen, beziehen und haben ist.“ (72) prinzipiell die Freiheit der Wahl, wie sie sich zu einer Situation verhalten wollen, Wie die Freiheit als Wahlfreiheit für das auch wenn ihre äußeren physischen erwachsene Individuum greifbar wird, Wahlmöglichkeiten oft eingeschränkt sind so wird auch die Angst reflektierter, und in extremen Fällen die Wahlfreiheit bestimmter, ohne doch, wie die Furcht auf sich äußerlich nur noch in der Wahl der ein konkretes Objekt bezogen zu sein. Selbsttötung manifestieren kann. Kierkegaard hat vier Lebensweisen Obwohl sich in der Angst des Kindes die unterschieden, zwischen denen der Mensch Fähigkeit zur freien Wahl ankündigt, ist die im Hinblick auf seine Freiheit und die mit Angst dem bewussten Ergreifen der Freiheit ihr zusammenhängende Verantwortung nicht unbedingt günstig und wer seiner wählen kann. Man kann diese auch als Freiheit nicht ausweichen will, kann es bei Entwicklungsstadien betrachten: der süßen Beängstigung des träumenden Geistes nicht belassen. Er kommt um den 1. Das ästhetische Leben, in dem das „Sündenfall“ nicht herum. Leben bloß eine Ereignisfolge ist, der ich mich hingebe, ohne Verantwortung Man kann die Angst mit einem Schwindel für mein eigenes Leben zu übernehmen. vergleichen. Diese Lebensweise findet sich beim angepassten Spießer ebenso wie beim „Man kann die Angst mit einem Schwindel verfeinerten „Ästheten“ und vergleichen. Wer in eine gähnende Intellektuellen, der nach erlesenen Tiefe hinunterschauen muss, dem wird Genüssen sucht. schwindlig. Doch was ist die Ursache dafür? Es ist in gleicher Weise sein Auge wie der 2. Die ethische Lebensform, in der ich Abgrund – denn was wäre, wenn er nicht mein Leben als Aufgabe sehe, für die ich hinuntergestarrt hätte? Demgemäß ist die Verantwortung übernehme. Angst jener Schwindel der Freiheit, der aufkommt, wenn der Geist die Synthese 3. Die ironische Lebensweise, in der ich die setzen will und die Freiheit nun hinunter Belanglosigkeit des bloß ästhetischen in ihre eigene Möglichkeit schaut und dann Lebens einsehe, aber an die Möglichkeit, die Endlichkeit ergreift, um sich daran das Leben mit den Idealen der ethischen zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Lebensform in Einklang zu bringen, Freiheit nieder. [...] Im selben Moment ist nicht glaube. 2 Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen (16. Aufl.) 1986, S. 186. 4
Quarz 37 4. Die religiöse Lebensweise, in der Angst „ ‚weiß nicht’, was es ist, davor sie sich ich, anders als der ethische Mensch, der ängstet. [...] Das Drohende kann sich deshalb glaubt, mit seiner Schuld selbst zurande auch nicht aus einer bestimmten Richtung zu kommen, an die Gnade göttlicher her innerhalb der Nähe nähern, es ist schon Vergebung glaube. ‚da’ – und doch nirgends, es ist so nah, dass es beengt und einem den Atem verschlägt – Nur geistlose Menschen haben keine Angst und doch nirgends.“2 In der Angst sind wir allein, verlieren den Halt an den alltäglichen Nur geistlose Menschen haben keine Angst. Dingen und Sorgen, an den Sicherheiten des Angst gehört zur menschlichen Möglichkeit konventionellen Lebens. Damit verschwinden der freien Wahl. Wer wir sind, zeigt sich alle Sinngebungen und Rechtfertigungen des daran, wie wir von dieser Freiheit gebrauch eigenen Handelns und Lebens, die wir bloß machen. Wählen wir die Freiheit, unfrei zu daraus beziehen, dass „man“ eben so lebt sein? Übernehmen wir die Verantwortung und handelt, dass viele oder alle so handeln für unser Leben? Erkennen wir in der und leben. Dadurch offenbart uns die Angst Übernahme der Verantwortung unsere zugleich unser eigenes „Seinkönnen“ unsere Grenzen unser Angewiesensein auf Gnade „Freiheit des Sich-selbst-wählens und – und Vergebung? ergreifens. Die Angst bringt [den Menschen] vor sein Freisein“. (188) Kierkegaards Denken ist von seinen Zeitgenossen nicht sehr intensiv Wer unter chronischen Angstzuständen wahrgenommen worden. Es hat aber in leidet, wird im existenzialistischen Begriff der Philosophie des 20. Jahrhunderts der Angst kaum Trost finden, denn selbst stark nachgewirkt, bei Heidegger, Jaspers, wenn der Bezug der Angst zur Freiheit Sartre, also in einem Denken, das oft als anerkannt wird, ist der Zugang zur Freiheit Existenzphilosophie oder Existenzialismus im Erleben der Angst selbst eben gerade bezeichnet wird. verbaut. In der Betonung der Verantwortung, die Auch das Kind, dessen süße Beängstigung dem Menschen mit seiner Wahlfreiheit im Umgang mit dem Unheimlichen, gegeben ist, ist Sartre am weitesten Märchenhaften und Fantastischen gegangen. Er wollte uns auf keinen Fall in unversehens in albtraumhafte Ängste die Gemütlichkeit einer Welt alternativloser übergeht, wird man nicht damit trösten Sachzwänge entlassen und hat noch die können, dass man ihm dies als Vorzeichen scheinbar unüberwindbarsten physischen seiner kommenden Willensfreiheit erklärt. Zwänge nicht ohne Bezug zu unserer Aber wenn wir als nicht ganz in der Angst inneren Haltung und unserer Interpretation befangene unsere Angst als etwas verstehen, des Gegebenen gesehen. das uns auf die Möglichkeit hinweist, unser Leben frei zu gestalten, wenn wir die Die Angst „ ‚weiß nicht’, was es ist, davor sie Angst dann eher zulassen können, statt sie sich ängstet. zu verdrängen, dann kann das vielleicht hilfreich sein. Die Bedeutung der Angst als einer Und vor allem wird es gut sein, wenn Grundstimmung der menschlichen wir die enorme seelische Energie der Existenz hat am deutlichsten Heidegger „existenziellen“ Angst nicht umleiten in aufgegriffen. Er bezieht sich ausdrücklich Abwehr und Hass gegen vermeintliche auf Kierkegaard und übernimmt auch Bedrohungen unserer gewohnten dessen Unterscheidung von Angst und Lebensweise. Furcht. In „Sein und Zeit“ schreibt er: die 5
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen Immanuel Velikovsky und sein Werk Von Andreas Becker Menschen tun immer Ein kleiner Test wieder schreckliche Ich selber habe I. Velikovsky erst vor etwa Dinge: sie bekriegen sieben Jahren entdeckt und seine Bücher sich oder vernichten haben mich tief beeindruckt. Velikovsky ihre Lebensgrundla- entwirft eine Kosmologie, die der herr- gen. Wir fragen uns, schenden Lehre von der allmählichen was sie antreibt. Be- Veränderung der Erde und des Lebens sonders rätselhaft er- widerspricht. scheint uns, wenn die Bevor Sie jetzt weiterlesen, erst ein kleiner Völker einander wie Test: Wenn Sie der Anthroposophie nahe- von Sinnen bekämp- stehen, können Sie dann die folgende Be- fen und selbst der schreibung akzeptieren: „Ein Anthroposoph drohende Untergang ist jemand, der zunächst Alles für möglich sie nicht von ihrem hält?“ Wenn ja, fällt es Ihnen leichter, Veli- Tun abbringen kann. kovsky zu folgen. Wenn Sie nichts mit der Immanuel Velikovsky Manchmal scheint es Anthroposophie verbindet, lesen Sie bitte fast, als würden sie ihre eigene Vernichtung die folgenden Feststellungen und versuchen anstreben. Bei der Nutzung der Kernener- Sie zu entscheiden, ob es sich jeweils um gie wird in einem müden Fatalismus die eine Tatsache oder eine Theorie handelt. mögliche Zerstörung unseres Lebens- – Mensch und Schimpanse ähneln sich raumes hingenommen, oder wer glaubt – Die DNA von Mensch und Schimpanse seit Tschernobyl und Fukushima wirklich stimmt weitgehend überein noch an ein erträgliches „Restrisiko“ der – Mensch und Schimpanse haben Kernenergie? Warum tun wir das und gemeinsame Vorfahren warum fallen die Menschen immer wieder – Früher gab es Mammuts übereinander her? – Die Mammuts sind am Ende der Eiszeit ausgestorben Mit diese Frage beschäftigte sich fast sein – Greifvögel fangen bevorzugt langsame ganzes Leben Immanuel Velikovsky (1895- und unaufmerksame Tauben 1979). Er wurde wie kaum ein anderer – Die Tauben wurden durch die natürliche Wissenschaftler des letzten Jahrhunderts Auslese durch die Greifvögel allmählich abgelehnt, ignoriert und diffamiert. Seine immer aufmerksamer und schneller Antwort ist gleichzeitig der Titel seines – Neues entsteht in der Natur nur durch letzten Buches: Menschheit im Gedächt- Zufall nisschwund; wenn wir unsere Geschichte – Die Planeten bewegen sich auf vergessen, sind wir gezwungen , sie zu berechenbaren Bahnen um die Sonne wiederholen. – Die Planetenbahnen haben sich seit Menschengedenken nicht wesentlich geändert 6
Quarz 37 Wenn Sie unter diesen 10 Aussagen keine Vier-Planeten-System mit Saturn, Jupiter, Theorien sondern nur Tatsachenfeststel- Mars und Merkur. „Die Sagen aller Völker lungen finden, werden Ihnen Velikovskys befassen sich ausschließlich mit der Geburt Bücher schwerfallen. I.Velikovsky war Alt- der Venus und nicht mit der des Jupiter, des philologe und Psychoanalytiker. Drei seiner Mars oder des Saturns.... In Griechenland Bücher wurden mir besonders wichtig: war die Göttin, die plötzlich am Himmel 1. Welten im Zusammenstoß (1950), auftauchte, Pallas Athene. Sie entsprang 2. Erde im Aufruhr (1956) und dem Haupte des Zeus-Jupiter. Nach einer 3. Menschheit im Gedächtnisschwund anderen Sage war sie die Tochter eines (p.h.1982). Ungeheuers Pallas-Typhon, welches sie anfiel und das Er pflegt sie daraufhin eine schöne besiegte und Sprache tötete. Er pflegt Die Tötung eine schöne des Unge- Sprache. Im heuers durch ersten Buch einen Plane- entwickelt er tengott ist die die Hypothe- Form, in der se, dass unse- die Völker re Vorfahren die wallende im alten Bewegung der Testament Rauchsäule und ande- Athene Minerva deuteten, als ren Schriften die Erde und wiederholt von erdumspannenden Katast- der Komet Venus sich begegneten und Kopf rophen berichten. Er versteht diese Berichte und Schweif des Kometen unter heftigen als Tatsachenbeschreibungen und vermutet, elektrischen Entladungen aufeinander ein- dass es um 1500 v.Chr. und um 750 v.Chr. stürmten. Die Geburt des Planten Athene wiederholt zu (Beinah-) Zusammenstößen wird in einem an sie gerichteten home- der Erde mit anderen Planeten (erst Venus, rischen Liede besungen. Als sie geboren dann Mars) kam, in deren Folge die Lage wurde, begann das Himmelsgewölbe – der der Erdachse gravierend verändert wurde, große Olymp – „schrecklich zu taumeln“, Meteoritenhagel niedergingen, ein gewalti- „die Erde ringsherum schrie fürchterlich“, ger Vulkanismus und tektonische Bewegun- „das Meer war bewegt und warf dunkle gen ausgelöst wurden, die ihrerseits dazu Wellen, während plötzlich Schaum her- führten, dass Land und Meer ihre Plätze vorbrach“ und dann stand die Sonne „eine tauschten. Außerdem ereigneten sich dras- lange Weile“ still. … Im babylonischen Ka- tische Klimastürze mit schlagartigen Verei- lender ist der neunzehnte Tag des Monats sungen und sintflutartigen Regenfällen. als Tag des Zorns der Göttin Ishtar (Venus) gekennzeichnet. Alle Arbeit ruhte. Weinen Er ist sich sicher, dass die Venus zunächst und Klagen erfüllte das Land. ... Der 19. als Komet erschien. Sie hatte in den alten März entspricht dem qinquatrus des römi- Kulturen verschiedene Bezeichnungen: schen Bauernkalenders. Ovid sagt, dass an Bartstern bei den Chaldäern, rauchender diesem Tag Minerva geboren sei, die ja doch Stern in Mexico und in Indien, Feuerstern die Pallas Athene der Griechen ist. Athene im Talmud. Die Brahmanen der Früh- Minerva trat zum ersten Mal an dem Tag in zeit kannten wie die Babylonier nur ein Erscheinung, als das Volk Israel durch das 7
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Rote Meer zog. Die Nacht vom dreizehnten „Blutbefleckter Mauerstürmer“ lautet der auf den vierzehnten Tag des ersten Monats dauernd wiederholte Beiname des Ares bei nach der Frühjahrstages- und Nachtgleiche Homer. Auch Hesiod nennt Ares den „Ver- war die Nacht des großen Erdstoßes; sechs heerer von Städten“. „Siehe“, sagt Amos. Tage später, nach der hebräischen Überlie- „der Herr befiehlt und er wird Breschen in ferung am letzten Tage der Passah-Woche, die großen Häuser schlagen“. Dann kam türmten sich die Wasser zu Bergen und die die Naturkatastrophe aus den Tagen Usias, Flüchtlinge zogen durch das trockene Bett Ahas´und Hiskias, als die „Mauersteine des Meeres. Die Geburt der Pallas Athene herabfielen“ (Jesaja8,10) und „ nur ein ganz oder ihr erster Besuch auf Erden war die kleiner Rest“ des Volkes übrigblieb (Jesaja Ursache einer kosmischen Umwälzung, 1,9). … Plato schrieb auf Grund der Anga- und das Andenken an diese Katastrophe ben der ägyptischen Weisen Sintflut und war „ein Tag des Zorns in allen Kalendern Weltenbrand der Einwirkung eines Him- des alten Chaldäa.“... Das Gewicht zahl- melskörpers zu, der seine Bahn geändert reicher Argumente brachte mich zu dem hatte und nahe an der Erde vorbeizog, und Schluss, dass der Planet Venus, zu jener bezeichnete sogar die Planeten selbst als die Zeit noch ein Komet, die Katastrophe in den Urheber wiederholt eintretender Welt- Tagen des Exodus verursachte.“ katastrophen. … Erdbeben in Kleinasien, Griechenland und Rom werden von vielen „Blutbefleckter Mauerstürmer“ klassischen Schriftstellern erwähnt und be- schrieben. Zum Vergleich mit der heutigen Velikovsky stellt die Erzählungen der Bebentätigkeit genügt es darauf hinzuwei- verschiedenen Völker nebeneinander und sen, dass in Rom in einem einzigen Jahr schält in geduldiger Kleinarbeit den wahr- während der punischen Kriege (217 v. Chr.) scheinlichen Tatsachenkern heraus. Dazu 57 Erdbeben verzeichnet wurden. … Plinius hat er über viele Jahre die auf uns über- schrieb: „Eine Theorie der Babylonier kommenen Schriften und Aufzeichnungen besagt, dass Erdbeben und Risse im Boden der alten Kulturen studiert. Weitere Zitate: durch die Kraft der Planeten hervorgerufen „Im Gefolge der Umwälzungen, bei denen werden, denen sie auch die Herkunft von Mars-Nergal nach den Worten der Babyloni- Blitzschlägen zuschreiben.“ er die Erde aus ihren Angeln hob“ und nach den Worten Jesaias „die Erde gewaltig ruck- „Wenn Dr.Velikovsky Recht hat, sind wir te“ und „von ihrem Platz gedrängt“ wurde, anderen alle verrückt.“ verwüsteten mehrfache gewaltige Erdbeben weite Länder, zerstörten Städte und brach- Im ganzen deutschsprachigen Raum ist die- ten auch Festungsmauern zum Einsturz. ses Buch trotz guter Verkaufszahlen nach Erscheinen in den fünfziger Jahren aus den Buchläden wieder verschwunden, und die Folgewerke erschienen zunächst überhaupt nicht mehr. Amerikas führender Astronom Harlow Shapley meinte: „Wenn Dr.Velikovsky Recht hat, sind wir anderen alle verrückt.“ Es gab heftige Auseinander- setzungen zwischen dem Verlag und den verschiedenen Universitäten. Der Verlag „Die Sintflut“ von Francis Danby 8
Quarz 37 wurde erpresst und genötigt, vor einem Die Frage hat mich gepeinigt wichtigen Wissenschaftsgremium die Entschuldigung vorzutragen, „im Sinne der Nichts von dem, was wir heute beobachten Förderung der Wissenschaften sei freiwillig können, kann solche Massen an Muscheln auf die Rechte an einem Buch der Irrlehre versteinern und Tierknochen anhäufen, verzichtet worden.“ wie wir sie in vielen Weltregionen finden. Velikovsky hat sehr unter dieser Erniedri- Cuviers Suche nach den Ursachen der „un- gung gelitten. Albert Einstein war durch ermesslichen Kataklysmen“ blieb erfolglos. sein Buch tief beeindruckt worden und traf „Diese Frage hat mich verfolgt, fast möchte sich in seinen letzten beiden Lebensjahren ich sagen gepeinigt, während ich die fossi- Georges Cuvier - 1769-1832 regelmäßig zu Diskussionen mit Velikovsky. len Knochen untersuchte.“ In „Erde im Aufruhr“ stellt Velikovsky geo- Von dem Geologen Buckland findet man logische und archäologische Belege für sei- über Fossilien in Norditalien: „Die Umstän- ne Katastrophentheorie zusammen. Dabei de, unter welchen die fossilen Fische am stützt er sich auf Berichte von zahlreichen Monte Bolca gefunden werden, scheinen Geologen und anderen Wissenschaftlern darauf hinzudeuten, dass sie plötzlich und gibt einen Überblick über die Wissen- umkamen. Ihre Skelette liegen parallel schaftsgeschichte der Geologie und der mit den Schichten des sie einschließenden Evolutionslehre. Vor 15 Jahren musste man Schiefers; sie sind immer ganz und liegen für das Biologieabitur außer Darwin und so dicht beisammen, dass oft viele Indivi- Lamarck auch noch die Ideen von Georges duen in einem einzigen Block enthalten Cuvier kennen, dem berühmtesten Natur- sind. Alle müssen plötzlich umgekommen forscher aus der Zeit der französischen und sogleich in die damals sich absetzende Revolution und der napoleonischen Kriege. Kalkmasse eingehüllt worden sein, denn Er schrieb: „Die Zerstörungen, Umbiegun- der Umstand, dass gewisse Individuen noch gen und Umstürzungen der älteren Lager Spuren von ihrer Hautfarbe behalten ha- der Erde lassen uns nicht bezweifeln, dass ben, beweist hinlänglich, dass sie begraben plötzlich und heftig einwirkende Ursachen wurden, ehe eine Zersetzung der weichen sie in die Lage versetzt haben, worin wir sie Teile eintreten konnte.“ Die Geschichte jetzt erblicken; ja es zeugen von der Heftig- des plötzlichen Todes und der sofortigen keit und Gewalt der Bewegung, welche die Einhüllung wird auch erzählt vom un- Masse der Gewässer erlitten haben muss, teren Buntsandstein in Schottland, dem die Anhäufungen von Trümmern und bituminösen Schiefer in Thüringen, von Geschieben, die an verschiedenen Orten den Kohleschichten bei Saarbrücken, vom zwischen den festen Lagern sich vorfinden. Plattenkalk von Solnhofen, vom Blauschie- Das Leben ward aber auf dieser Erde häufig fer von Glaris, vom Mergel von Önsingen durch schreckliche Ereignisse gestört. Zahl- in der Schweiz und von Aix-en-Provence, lose Lebewesen waren das Opfer dieser Ka- um nur einige der bekannten Fundort in tastrophen. Die Festlandbewohner wurden Europa aufzuzählen. Ähnliche Schichten von Fluten verschlungen, während die Was- findet man in Nordamerika, vollgepackt mit serfauna mit dem Meeresgrund plötzlich großartig erhaltenen Fischen im schwarzen emporgehoben und aufs Trockene gesetzt Kalkstein von Ohio und Michigan, im Bett wurde. … Wir haben keinen Beweis dafür, des Green River in Arizona, in den Kiesel- dass das Meer solche Muscheln noch heute lagen in Kalifornien und in vielen anderen mit einer Masse inkrustieren könnte.“ Formationen. Fossilrest Priscacara (Gattung Wolfsbarsch), Krebs aus dem Solnhofener Plattenkalk FundstätteUS-Bundesstaaten Wyoming 9
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Gefrorener Schlamm aus Alaska, der fast ganz aus unzähligen Überresten von Tieren und Bäumen besteht; ganze Inseln im Nördlichen Eismeer, in deren Boden haufenweise nichtversteinerte Mammut-, Rhinozeros- und Pferdeknochen liegen; unvergletscherte Polarländer und verglet- scherte tropische Länder, Korallenablage- rungen und Kohlenlager nahe den Polen; Besterhaltenes mumifiziertes Mammutbaby. Knochen von Tieren aus der Tundra, Prärie Lag nach seinem Tod 40 000 Jahre im ewigen Eis. und tropischen Regenwäldern bunt zusam- mengewürfelt wie in einem Massengrab; das erstaunlich niedrige Alter der großen wenn sie es nicht wollen. Das Unterbewuss- Gebirgsketten auf der Erde; Pole, die sich te drängt an die Oberfläche, wenn es uns verlagert haben; magnetische Polaritä- schlecht geht. Wir verlieren dann die Kon- ten, die sich umgekehrt haben; plötzliche trolle und verhalten uns scheinbar unbere- Änderungen in der Höhe des Meeresspie- chenbar oder selbstschädigend. Velikovsky gels, Gräben auf der Erde und auf dem bringt als Beispiel eine Stadt, die in einem Meeresboden, riesige Felder in der arabi- durch Tornados gefährdeten Gebiet liegt. Es schen Wüste übersät mit versengten und gibt einen vernünftigen Katastrophenplan zerbrochenen Steinen und so dicht gepackt, und regelmäßige Vorwarnungen, wenn dass eine Durchquerung fast unmöglich sich eine gefährliche Wetterlage entwickelt. ist: Spuren gigantischer Katastrophen und Einmal wurde die Stadt von einem Tornado Verwerfungen. heimgesucht. Danach wurde beobachtet, Die Ruinen aller Ausgrabungsstätten dass durch diesen Vorfall offensichtlich überall im Alten Orient zeigen Anzeichen traumatisierte Menschen sich bei späteren von Zerstörungen, deren Ursachen nur Na- Alarmen völlig gleichgültig zeigten und turgewalten gewesen sein konnten. Claude nicht die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen Schaeffer, ein französischer Archäologe, befolgten. Traumatisierte verhalten sich unterschied in seinem Werk sechs ver- häufig irrational. Wenn ich mit einem schiedene Umstürze. Alle diese Erdbeben- „schwierigen“ Menschen zu tun habe, hilft und Feuerkatastrophen waren von derart es mir manchmal, ihm einfach die Mög- umfassendem Ausmaß, dass Kleinasien, lichkeit einer alten Verletzung einzuräu- Mesopotamien, der Kaukasus, das Hoch- men, die ich gar nicht zu kennen brauche. land von Iran, Syrien, Palästina, Zypern und Velikovsky interpretiert viele der alten Ägypten gleichzeitig betroffen waren. Und Mythen und Erzählungen als mehr oder einige dieser Katastrophen waren zudem wenig gestammelte Berichte von zutiefst von solcher Gewalt, dass sie großartige Zeit- geschockten Überlebenden und unterstellt alter in der Geschichte der alten Kulturen den nachfolgenden Generationen, den beendeten. Realitätsgehalt der Zeugnisse nicht mehr zu begreifen oder wahrhaben zu wollen. Ein kollektives Unterbewusstsein Sie werden interpretiert und relativiert. Speziell Aristoteles hält er für einen der In „Menschheit im Gedächtnisschwund“ am nachhaltigsten wirkenden Relativierer, betrachtet Velikovsky uns mit den Augen dessen Epigonen über viele Jahrhunderte des Psychoanalytikers als Nachkommen von die Menschen von ihrer eigenen Geschichte Überlebenden. Er glaubt (ähnlich C.G.Jung) entfremdet hätten. Velikovsky ist überzeugt, an die Existenz eines kollektiven Unterbe- dass die Menschheit aufhören würde, sich wusstseins. Eltern schlagen ihre Kinder, zu bekriegen, wenn wir uns wirklich unse- weil sie selbst geschlagen wurden, selbst rer gemeinsam überstandenen unvorstell- 10
Quarz 37 bar grausamen Vergangenheit erinnerten Aber das ist eine andere Geschichte... und unsere Angst wirklich zulassen, so dass sie uns nicht aus dem Unterbewußtsein Man kann in allen seinen Schriften einen beherrschen kann. ganz tiefen Humanismus spüren. Er ist bei aller Verbitterung von einer großen „Nach der Lektüre hatte ich plötzlich Menschenliebe erfüllt und glaubt an unsere Wärme im Herzen für Leute die ich vorher Heilung. Jesaja, einer der Zeitzeugen der nicht verstanden habe.“ Katastrophen im 8.Jahrhundert vor Chris- tus, konnte trotz allem diese vertrauensvolle Ein Leser schrieb: „Nach der Lektüre hatte Zusage geben: ich plötzlich Wärme im Herzen für Leute die ich vorher nicht verstanden habe.“ Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfal- Ein anderer: „Die ersten Seiten waren für len; aber meine Gnade soll nicht von Dir wei- mich ein unglaublicher Schock. Es ist kein chen, und der Bund meines Friedens soll nicht Wunder, dass er so umstritten ist. Trotzdem hinfallen, spricht der Herr, Dein Erbarmer. musste ich einfach weiterlesen und bin heute fasziniert und im besten Sinne über- Fast nebenbei wird durch Velikovskys Ar- wältigt von dem für mich neuen Wissen. beit dem Grundgedanken einer Höherent- Das Leben ist seitdem anders. Es fühlt sich wicklung der Natur durch Konkurrenz und an wie eine Einweihung mit Erstverschlim- Selektion in einer sich über märchenhaft merung und anschließender sprunghafter (es war einmal...) lange Zeiträume hin- Entwicklung hin zu Heilung. Heute bin ich ziehenden Evolution der Organismen der zutiefst erfüllt von Dankbarkeit, Lebens- Boden entzogen. Aber das ist eine andere freude sowie Demut vor der Schöpfung und Geschichte... Liebe zur Natur.“ Wir sind eine kleine, familiäre Pflegeeinrichtung im Hohenlohe- kreis. Liebevoll und intensiv be- treuen wir bis zu zehn Bewohner in sehr wohnlicher Atmosphäre. Tiefe menschliche Zuwendung und eine anthroposophische, christlich- humanitäre Überzeugung, verbunden mit hoher Pflegekompetenz, bilden die Basis unserer Arbeit. Suchen Sie individuelle Pflege für einen älteren Menschen in heimeliger Umgebung wie in einer großen Familie, unter Achtung der Persönlichkeit und mit größter Wertschätzung? oder eine Ausbildung als Altenpfleger/in in der Gesundheits- und Krankenpflege, mit in- tensiver und qualifizierter Begleitung (auch freiwilliges soziales Jahr oder Praktikum)? Dann nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf: Haus Arche e. V. Oberweiler 6, 74670 Forchtenberg-Wohlmuthausen Ansprechpartner: Peter Dangel Telefon: (0 79 47) 79 52 E-Mail: hausarche@web.de Ausführliche Beschreibung unter www.forchtenberg.de > Leben & Wohnen > Pflege & Altenbetreu- ung > Haus Arche e. V. 11
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» ANGST VOR DER ANGST Von Myriam Courrèges, Schülerin der 13. Klasse, der Freien Waldorfschule Schwäbisch Hall 13. November, Paris: 130 Tote und 352 Verletzte. 22. März, Brüssel: 31 Tote und rund 300 Verletzte. Die Angst vor der mir bevorstehende Zeit, von mit bis an die vermeintlichen Zähne bewaffnetes Militär umgeben zu sein Islamisierung, der – und das an gefühlt jeder Straßenecke, an Radikalisierung jedem Bahnhof, vor jeder öffentlichen Ein- und dem Terror richtung, Kirche, Moschee und Synagoge. wächst. Eine ver- schleierte Frau wird Es scheint ein Schleier der Gefahr und der misstrauisch, her- Angst über den Köpfen zu schweben ablassend, fragend, Myriam Courrèges unsicher beäugt, Durch die verstärkten Sicherheitskont- ein herrenloser rollen und Militäreinsätze drängt sich die Koffer am Bahnhof scheint Massen in Panik Situation drastisch in mein Bewusstsein. zu versetzen. Es scheint ein Schleier der Gefahr und der Woher kommt die Angst, was macht sie Angst über den Köpfen zu schweben und mit uns, unseren Mitmenschen und einer sich um die Herzen zu legen. Jeden Augen- ganzen Nation? Wann wird aus Angst Pa- blick könnte etwas passieren, das Militär nik, aus Panik Wut, aus Wut Bereitschaft zu läuft angespannt auf und ab, allzeit bereit Begehung von Straftaten? Kann man auch zu intervenieren. Ich frage mich, ob es nur Angst vor diesen Ängsten unserer Mitbür- mir so geht, ob nur ich so empfinde, und sich ger haben? Fragen über Fragen, die jeder die Franzosen schon längst daran gewöhnt für sich selbst herausfinden und sicher haben, als sei es das Selbstverständlichste und bestimmt mit seiner Einstellung und auf dieser Welt. Lange hatte ich während der Haltung bei sich bleiben muss. Zugfahrt Zeit gehabt, darüber nachzudenken – über die Angst vor der Angst. Ich möchte von meinem Erlebnis berichten, und erzählen, wie ich mit der Angst vor der Nach so viel Zeit des Nachdenkens beschlie- Angst umgehe und wie ich, Tag ein Tag aus, ße ich noch am selben Abend, der Moschee mit ihr umgehe. in Bordeaux einen Besuch abzustatten. Ich Es ist der 23. März, ein Tag nach dem Atten- verlaufe mich, frage deshalb in der nächs- tat, als ich in Bordeaux ankomme. Die Stim- ten arabischen Bäckerei nach, ob sie mir mung erlebe ich als angespannt, ängstlich, weiterhelfen könnten. Die zwei Herren wütend, von Trauer gefüllt; die Gedanken schauen mich aus einer Mischung Verwirrt- sind in Anteilnahme bei den Nachbarn, den heit und Staunen an, sie fragen mich, was Belgiern. ich dort suchen würde. Schließlich bietet Die Vorfreude wurde bereits durch Unwohl- sich einer an mich zur Moschee zu beglei- sein am Straßburger Bahnhof gedämpft. ten. Dort angekommen werde ich von einer Mit sinkender Reiselaune blicke ich auf die sehr netten, sympathischen Frau begrüßt Fotos von Jakub Bak 12
Quarz 37 und durch verschiedene Räume des Gebäu- des geführt. Es ist meine persönliche Pre- miere, ich bin etwas aufgeregt, aber meine anfänglichen Zweifel – Was mache ich hier? Und was, wenn ich nicht willkommen bin? – sind verschwunden. Ich nehme die vielen Eindrücke in mich auf, stelle viele Fragen. Der Gebetsraum ist mit einem schönen Teppich ausgelegt und fühlt sich ganz weich unter meinen sockigen Füßen an. Es herrscht entspannte Stille, jeder ist für sich. Ich verabschiede mich, bedanke mich bei der netten Frau für ihre Zeit und teile ihr mein Vorhaben mit, in zwei Tagen zum gro- ßen Freitagsgebet wieder zu kommen. In diesen zwei Tagen habe ich das Vorhaben in meinem Kopf hin und her geschoben, überdacht. Letztendlich habe ich meinen Entschluss gefasst, mit einem großen Tuch in der Tasche mache ich mich dann um kurz vor 13 Uhr auf den Weg. Dort ange- kommen, ziehe ich meine Schuhe aus und frage eine Frau neben mir, ob sie mir beim Umlegen des Schals helfen könnte, was sie gerne macht. Der Imam hat bereits angefangen auf Arabisch zu sprechen, ich setze mich neben die Frauen in die Reihe. Irgendwie fühle ich mich fehl am Platz, bestimmt merkt man mir meine Nervosität an. Ich lausche der nicht, wen oder was die Soldaten schützen schönen Sprachmelodie und beobachte die wollen, warum sie überhaupt anwesend Frauen neben mir und die Männer, die wei- sind. Erst langsam dämmert es mir, es ter vorne vor mir Platz genommen haben. tauchen schreckliche Bilder und Szenarien Es herrscht reges Treiben, die Menschen ge- in meinem Kopf auf – von islamfeindli- hen während der ganzen Veranstaltung ein chen, gewaltbereiten Attentätern, die einen und aus, während andere in ihrem Gebet Gegenanschlag planen. Was ist, wenn ein versunken und in Gedanken bei Allah sind. verrücktgewordener Psychopath einen Diese lockere Atmosphäre bin ich von der Racheakt ausüben möchte? Kirche nicht gewohnt, es ist eine ganz neue Ich konzentriere mich wieder auf die Ge- Erfahrung. schehnisse und auf die Worte des Imams, schaue durch die bewaffneten Männer Mein Puls geht schneller, ich habe das hindurch, die eigentlich nur Schutz – so dringende Bedürfnis aufzustehen und hoffe ich – für die Besucher gewährleis- rauszurennen. ten möchten. Nun beginnt der Imam auf Französisch zu sprechen, er wiederholt und Plötzlich treten zwei Soldaten ein und übersetzt das bereits Gesagte. Er spricht von nehmen zwischen dem Männer- und Frau- Frieden und Terror, von Vertrauen, Gott und enabteil Platz. Mein Puls geht schneller, ich vom Islam. habe das dringende Bedürfnis aufzustehen und rauszurennen. Zuerst verstehe ich gar 13
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Frieden ist in uns und bedeutet Vertrauen man jedoch die lähmende Starre der Angst und eine Bindung zu Gott und zu den ande- überwindet, öffnen sich neue Türen. Ich ren Menschen. spüre, sobald das Unbekannte und Fremde ein Gesicht bekommt und in dem ich es „Frieden ist kein Zustand, der sich automa- kennenlerne, mich damit vertraut mache, tisch in Abwesenheit von Krieg ergibt oder wird es mir weniger unbekannt und fremd. erlebbar ist. Frieden ist in uns und bedeutet Deshalb suche ich Begegnung und nehme Vertrauen und eine Bindung zu Gott und Kontakt auf, um die Angst nicht aufkom- zu den anderen Menschen, egal welcher men zu lassen. Es ist ein bisschen so wie Herkunft und welchen Glaubens. Immer im Kleinen Prinzen von Antoine de Saint- wieder müsse man sich selbst herausfor- Exupéry, als der Fuchs möchte, dass ihn der dern und einen inneren Kampf zwischen Kleine Prinz zähmt. dem Guten und dem Schlechten austragen – nur so kann der Frieden von unserem „Was bedeutet ‚zähmen‘?“ Herzen nach außen getragen werden, was Willenskraft bedarf.“ „Zähmen, das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Es bedeutet, ‚sich Anschließend spreche ich nochmals mit der vertraut machen‘. Bitte … zähme mich!“ Frau, die ich bereits vor zwei Tagen kennen- „ich möchte wohl“, antwortete der kleine Prinz, gelernt hatte, sie beantwortete mir meine „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freun- vielen Fragen. Ich verabschiede mich und de finden und viele Dinge kennenlernen.“ bedanke mich herzlichst. Mein Ausflug in „Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, eine andere Welt klingt noch nach, es gibt sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine viele Situationen, in denen ich mich gerne Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie an diesen besonderen Besuch erinnere. kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben Seit einiger Zeit lässt sich in Deutschland, die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen aber auch in vielen anderen Ländern der Freund willst, so zähme mich!“ Welt beobachten, wie bei vielen Menschen „Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz. die Angst vor dem Unbekannten und „Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fremden aufkommt und wächst. Wenn Fuchs. Rhythmische Massage nach Hauschka - Wegmann Beraterin der Hormonselbsthilfe Praxis im Gesundheitsforum SHA Neustetter Strasse 1 • Schwäbisch Hall-Steinbach Tel: 07 91-5 91 61 • mobil: 01 72-62 61 61 8 14
Quarz 37 Warum hängt die Sixtinische Madonna von Raffael Santi in jedem Waldorfkindergarten? Über die heilende Wirkung eines einzigartigen Kunstwerks in heutiger Zeit Von Heike- A. Schmidt, langjährige Kindergärtnerin des Crailsheimer Kindergartens p Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt, Doch keins von allen kann dich schildern, Wie meine Seele dich erblickt. p (Novalis) Dieses Bild der Sixtinischen Madonna seiner besonderen Kunstsammlung, das finden wir in den Waldorfeinrichtungen, Bild für Dresden im Jahre 1753 erwarb. Das in der Krippe, im Kindergarten und der Bild war ihm 70Kg Gold wert. ersten Klasse der Schule. Es geht zurück auf die Empfehlung von Rudolf Steiner, Heute kennt wohl jeder aus diesem Bild dem Entwickler der freien Waldorfschulen, die zwei Puttchen am unteren Rand auf welche inzwischen sich weltweit ausge- einem Balken sich abstützend durch den breitet haben und somit auch wohl dieses Kommerz. Jedoch das vollständige Bild, aus Marienbild Einzug hielt auf dem gesamten welchem sie entnommen? Erdball. Auch in Dostojewskis Arbeitszim- mer (Foto von ca. 1881) oder Altert Brendel Versenkung und inneres Erleben (Zeitgenosse), Kunstprofessor in Weimar, Joh. Brahms, um nur wenige zu nennen, Kollegen aus der Krippe erzählen, dass die hing dieses Bild. Jüngsten, selbst im Alter der zwei kleinen Engel und des Kindes auf dem Arm der Raffaels Sixtinische Madonna blieb 200 Jah- Maria, immer wieder auf das Bild zeigen: re lang in der kleinen Stadt in Oberitalien „Das ist die Mutter und sie trägt ihr Kind im Kloster unerkannt und wurde allmählich auf dem Arm und das ist der Vater (Papst).“ vergessen, bis 1753 August der III., Kurfürst Auch im Kindergarten konnte ich wieder- von Sachsen und König von Polen, im Zuge holt wahrnehmen, wie ein Kind kurz oder 15
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Die „Sixtinische Madonna“ von Raffael länger oder auch mit anderen Kindern sich Die Sixtinische Madonna wurde von Raffael unterhaltend in dieses Bild vertieften. Man Santi, geboren 1483 in Urbino, gestorben spürte ihre Versenkung und inneres Erle- 37jährig in Rom, Anfang des 16 Jahrhun- ben. Hier schauen sie ein vertrauensvolles derts 1512/1513) für das Benediktinerkloster Urbild: Vater, Mutter, Kind, ein Wahrbild in zu Piacenza im Auftrag von Papst Julius II., reinster, tiefernster und freudiger Stim- gemalt. mung. Die Schönheit ist vollkommen. Wir schauen hier eine Geistgemeinschaft, eine Konzipiert wurde das Bild mit den drei Geistfamilie von jung und alt, von männlich Hauptfiguren: Maria mit dem Jesus(Christus) und weiblich, von diesseits und jenseits der knaben, die heilige Barbara, Märtyrerin, irdischen und der himmlischen Welt. vom eigenen heidnischen Vater in einen Turm gesperrt, 306 oder 316 durch Kaiser 16
Quarz 37 Maximinus Daja in Nikomedia als Christin Die Frauengestalt zur Linken von Maria hingerichtet (am 4. Dez. werden Barbara- kniend hat in ihren Kleidern eine starke zweige geschnitten, welche dann zum Weih- Vielfarbigkeit, die Gewänder umschließen nachtsfeste erblühen) und ein früher Papst: vollkommen. Dagegen macht die Gestalt Sixtus II., welcher unter römischer Herrschaft zur Rechten mit dem ornamentreichen, 258 starb. goldenen Umhang und dem weißen Un- tergewand eine geöffnete Gebärde, betont Schon im frühen Kindesalter veranlasste durch das leuchtende Rot der Innenseite der Vater, dass sein Sohn Raffael im Malen des Chormantels, aufgeschlagen sichtbar. unterrichtet wurde. Früh schon starb Auch diese Gestalt kniet. (ungefähr im 11. Lebensjahr seines Sohnes) Man studiere auch die verschiedenen der Vater. Rudolf Steiner äußert sich hierzu, Blickrichtungen, ein wahres Geflecht! Die dass der Vater eine starke Beziehung zur beiden unteren Engelskinder, diese sieht Malerei hatte, diese jedoch nicht ausführen der Betrachter nur bis zum Oberkörper, konnte, nun von jenseits diese Gabe dem blicken nach oben in zwei Richtungen. Die Raffael zur Verfügung stellen konnte, was hl. Barbara schaut nach innen gekehrt, aber in seines Sohnes Schaffen dann auch in auch zu den Kindern. Der Papst schaut ganz besonderer Weise zum Wirken kam. zum Jesuskind, weist mit der Hand zum Betrachter. Das Kind schaut mit seinem Eine anfängliche Bildbetrachtung: starken, überreifen und doch kindlichen Blick nach vorn, die Mutter hat einen Blick, Maria mit dem Kind auf dem Arm schreitet der nach außen, wie nach innen gerichtet kraftvoll auf Wolken, so selbstverständlich, ist. Und aus dem Wolkensein sehen wir vie- ohne festen Boden unter ihren Füßen le Münder – geöffnete, erstaunte Kinderant- aus der großen Himmelsweite durch den litze, jedes individuell, um nur Weniges, war geöffneten Vorhang auf einen zukommend, auf diesem Bild zu entdecken ist, aufzuzäh- das rechte Bein als Stand-, das linke als len. Die Attribute, wie die drei-gekrönte Spielbein. Bloßes Antlitz, Hals, Hände und Bischofshaube am unteren linken Bildrand Füße. Ihr rotes Kleid schaut man am oberen und der teilweise sichtbare Turm oberhalb linken Körper und rechten Bein. Ihr blaues, der rechten Schulter von der hl. Barbara wehendes Gewand ist hierfür unten aufge- sind Hinweise dieser Persönlichkeiten. schlagen. Das Gewand in lockeren Falten umhüllen Mutter und noch einmal mehr Das Bild hat heilende Wirkung, gibt man das nackte Kind; dieses sitzt entspannt auf sich ihm hin. So einfach und so vollkom- einem braungelben, golddurchwirkten Tuch men im Aufbau, so wunderbar in seinem der Mutter, welches sie über ihrem Haupt künstlerischen Aufbau. Nicht nur für und braunen, streng gescheitelten Haaren unsere Jüngsten. herunter bis zum Arm, um das Kind unten herum und weiter über Brust, dann umge- schlagen über ihrer linken Schulter trägt. ZukunftsWerk Teurershof e.V. Wir schaffen PersPektiven Vermietung von Räumlichkeiten Förderverein der Freien Waldorfschule s s s s s Organisation von Veranstaltungen Ehemaligenarbeit Fördern und Unterstützen von überschulischen Projekten ZukunftsWerk Teurershof e.V. • Teurerweg 2 • 74523 Schwäbisch Hall • Tel. 0791/97061-0 • Fax 0791/97061-22 zwt@waldorfschule-hall.de • www.zukunftswerk-hall.de 17
Quarz 37 Rubrik «Angst ist der Schwindel der Freiheit» Gottes ist der Orient! Gottes ist der Occident! Nord- und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände! Johann Wolfgang von Goethe aus: „West-östlicher Divan“ Auf der Suche nach dem Raum zwischen Angst und Freiheit Fundstücke einer Gedankenreise zwischen Islam und Christentum Von Markus Stettner-Ruff Navid Kermani und sein „Ungläubiges Stau- versenkt sich Navid Kermani in die christli- nen über das Christentum“, meine Weih- che Bildwelt. Und es wird zum Geschenk: nachtslektüre, die mich verzaubert hat wie Denn seine berückend geschriebenen selten ein Buch, fällt mir sofort ein, als in der Meditationen geben dem Christentum den Redaktionssitzung sich im Gespräch über Schrecken und die Schönheit zurück. Ker- die Auswirkungen der Flüchtlingsproblema- mani hadert mit dem Kreuz, verliebt sich in tik das Schwerpunktthema „ANGST....ist der den Blick der Maria...“ Schwindel der Freiheit“ herausschält. Schrecken und Schönheit, kindliche Neugier und eingestandene Zweifel, das Kreuz und Etwas findet in diesem Buch statt, wo- Maria – Polaritäten die uns in den Raum vor viele Europäer, viele Deutsche, auch zwischen Angst und Freiheit „schwindeln“. viele Anthroposophen Angst haben: „Die Ein besonderer Raum. Islamisierung des Abendlandes“. Christian Florin im Deutschlandfunk findet: „...sie ist In den nächsten Tagen und Wochen gehe wunderbar“, diese wundersame Islamisie- ich auf Suche nach diesem Raum voll rung, denn gleichzeitig „versöhnt das Buch „Schwindel“. das Christentum mit Deutschland.“ Ich kann ihm nur vollen Herzens beipflichten. Was haben wir den zu uns kommenden Florin hat recht wenn er von einem „Ge- Menschen „geistig“ zu geben schenk“, welches uns Kermani macht, spricht: „Es ist ein Wagnis: Offenen Herzens, Ein Erlebnis Anfang Dezember des letzten mit einer geradezu kindlichen Neugier, aber Jahres tritt als Erinnerung unmittelbar in auch mit all seinen eingestanden Zweifeln diesen Raum ein: eine Begegnung mit mei- 18
Quarz 37 nem „Lehrer“ und Freund Peter Guttenhöfer in Kassel. Im Mittelpunkt unseres Gesprächs natürlich die Flüchtlingsfrage und was sich darin, geisteswissenschaftlich betrachtet, aus- spricht. Peter berichtet von seinem inneren Umgehen mit der Frage, was er als Anthro- posoph und Christ den zu uns kommenden Menschen „geistig“ zu geben habe? Er sei völlig ratlos gewesen. Dann hatte er eine be- sondere Begegnung und zieht die Titelseite der TAZ (siehe Foto) aus der Tasche. Ein unglaubliches Foto – moderne Ikonenkunst. Als er dieses Foto sah, kannte er schlagartig die Antwort auf seine Frage: Die Madonna, das weibliche Element des Geistigen, sei es, das wir den muslimischen Menschen, die zu uns kommen, zu geben haben, das sie vielleicht sogar tief im inneren ihrer Herzen suchen, weil es in ihrer Religion weniger lebt. Warum besteht die Kunstgeschichte des christlichen Europas im wesentlichen aus Madonnenbildern, am stärksten im Osten, in der Ikonenmalerei? ihn aus dem Gitterbettchen, nimmt ihn in „Jungfräulichkeit bedeutet für mich nichts ihre Arme und tröstet ihn. anderes: rein – und damit immanent gespro- Später kommt sein Vater dazu. chen: gereinigt – von Erfahrung.“ „Ja, das war Rettung, das war Rettung, wie jeder Mensch sie einmal erlebt hat – erlebt Schon in seinem ersten Kapitel „Mutter und haben sollte – und im Gedächtnis bewahrt. Sohn“, beschäftigt sich Kermani mit Maria. Der Koran lehrt, daß das Bedürfnis nach In seinem Schlusssatz der Betrachtung von Gott den Menschen mit der Geburt einge- Maria Advocata, einer spätantiken Holztafel geben ist, die sie als Schock, als Schmerz, im Kloster Santa Maria del Rosario in Rom, aber wohl auch als ein Aufgefangenwerden kommt er zu einem bemerkenswerten erleben, sonst würden sie sich, von Mutter Urteil: „Jungfräulichkeit bedeutet für mich geherzt, kaum so schnell beruhigen. Und nichts anderes: rein – und damit immanent seltsam genug, erkennt der Koran, obwohl gesprochen: gereinigt – von Erfahrung.“ der die Sohnschaft Jesu strikt ablehnt, die Am intensivsten und eindrücklichsten setzt Mutterschaft Mariens dennoch an, und er sich mit dem weiblichen Element des bereitet die jungfräuliche Geburt orthodo- Göttlichen in Christentum und Islam in xen Muslimen weniger Kopfzerbrechen als seiner Bildbetrachtung von Stefan Lochners aufgeklärten Christen.“ Am Schluss seiner (um 1400 – 1451) Werk, „Die Mutter Gottes Bildbetrachtung nimmt Kermani nochmals in der Rosenlaube“, auseinander. Bezug auf seine persönliche Erfahrung als Er erzählt zunächst von seiner frühsten kleines Kind: „Auch uns soll sie (Maria) Erinnerung als Kind überhaupt, die ihm Schwester und Freundin und ein wenig einfiel, als ihn jemand fragte, was für ihn sogar Geliebte sein. Erst später trat der Vater Rettung bedeute: Er schreit von den ersten, an mich heran und sprach beruhigend auf schockierenden Ohrenschmerzen geplagt mich ein.“ erbärmlich. Seine Mutter kommt und hebt 19
Sie können auch lesen