AUSDEHNUNG DER KOSTENTRAGUNGSPFLICHT DES 25A STVG AUF DEN FLIEßENDEN VERKEHR
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Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr Heft M 250 Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 250 ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-114-1 20141001_Umschlag M 250.indd 1 01.10.14 10:49
Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr von Dieter Müller Institut für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 250 20141001_Umschlag M 250.indd 2 01.10.14 10:49
Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs- ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe besteht aus folgenden Unterreihen: A - Allgemeines B - Brücken- und Ingenieurbau F - Fahrzeugtechnik M - Mensch und Sicherheit S - Straßenbau V - Verkehrstechnik Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichten Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des Herausgebers wiedergeben. Nachdruck und photomechanische Wieder- gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi- gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen können direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH, Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen, Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden. Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im Informationsdienst Forschung kompakt berichtet. Dieser Dienst wird kostenlos angeboten; Interessenten wenden sich bitte an die Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen BASt-Archiv ELBA zur Verfügung. http://bast.opus.hbz-nrw.de Impressum Bericht zum Forschungsprojekt FE 82.0499/2011/: Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr Fachbetreuung: Susanne Schönebeck Herausgeber Bundesanstalt für Straßenwesen Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach Telefon: (0 22 04) 43 - 0 Telefax: (0 22 04) 43 - 674 Redaktion Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Druck und Verlag Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53 Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48 www.schuenemann-verlag.de ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-114-1 Bergisch Gladbach, September 2014 20141001_Impressum M 250.indd 1 01.10.14 11:09
3 Kurzfassung – Abstract Ausdehnung der Kostentragungspflicht des Prolongation of the obligation to pay the costs § 25a StVG auf den fließenden Verkehr of § 25a German Road Traffic Act on the moving traffic Die Untersuchung zum Forschungsprojekt FE 82.0499/2011 „Ausdehnung der Kostentragungs- The present study of the research project FE pflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr“ 82.0499/2011 “Prolongation of the obligation to pay befasst sich mit der Thematik einer möglichen Aus- the costs of the § 25a German Road Traffic Act on dehnung der bislang ausschließlich für den ruhen- the moving traffic” deals with the possibility of a den Verkehrs geltenden Kostentragungspflicht des prolongation of the obligation to pay the costs of the § 25a StVG auf Verkehrsverstöße im fließenden § 25a German Road Traffic Act, which now only Verkehr. applies to parking traffic, on the moving traffic. Dieses Forschungsprojekt hatte die Aufgabenstel- This research project has the task to gather lung zu erfüllen, aus der Arbeitspraxis der Buß- information of the legal practise of the local geldbehörden in den Bundesländern eine für die authorities towards their dealing with road traffic Ansprüche wissenschaftlicher Auswertungen quali- offences, which were committed in the field of tativ und quantitativ ausreichende Datenmenge zur speeding, falling below the safety distance and Bearbeitung digital erfasster Geschwindigkeits-, failing to stop at a red light. Rotlicht- und Abstandsverstöße zu erheben. Dieser Gesamtdatenbestand sollte gesammelt, thema- The essential finding of this study is: tisch geordnet und hinsichtlich der einschlägigen • A number of 2,5 % of the proceedings in traffic Tatbestände sowie der Verfahrenseinstellungen offences has to be closed within a total of aufbereitet werden. 10,7 % of closed proceedings, because the Hauptergebnis der Studie ist: traffic offender could not be found during the legally period of limitation. • Bei einer Gesamtanzahl von 10,7 % eingestell- ter Bußgeldverfahren wird eine Anzahl von 2,5 % Bußgeldverfahren eingestellt, weil bei einem mittels digitaler Messtechnik beweis- sicher festgestellten Verkehrsverstoß und zwei- felsfrei dokumentiertem Kfz-Kennzeichen der Fahrzeugführer trotz mindestens einer Ermitt- lungsmaßnahme nicht vor Eintritt der Verfol- gungsverjährung ermittelt werden konnte.
5 Inhalt Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Projektdaten und Auswertung . . . . . 29 3.1 Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1 Forschungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 30 1.1 Die mögliche Halterhaftung in den 3.1.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Arbeitskreisen der Verkehrsgerichts- tage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2 Die Kostentragungspflicht des 3.2 Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 § 25a StVG und ihre mögliche 3.2.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 33 Erweiterung auf Verstöße im fließenden Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3.2.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2.1 Beschluss des Bundesverfassungs- 3.2.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 gerichts zu § 25a StVG . . . . . . . . . . . . 11 3.3 Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.2 Rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . . 12 3.3.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 34 1.2.3 Reformvorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.3.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.3 Erforderliche Daten und Projektziel . . . 18 3.3.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.4 Weitere Projektaufgaben . . . . . . . . . . . 18 3.4 Chemnitz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 18 3.4.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 36 2.1 Forschungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3.4.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.2 Betreuergruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.4.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.3 Projektteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.5 Düsseldorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.3.1 Zentrale Bußgeldbehörden. . . . . . . . . . 20 3.5.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 37 2.3.2 Landkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.5.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3.3 Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.5.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.3.4 Statistische Wertigkeit der Daten . . . . . 22 3.6 Frankfurt/Main. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4 Projektdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.6.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4.1 Delikte und Verkehrsüberwachung. . . . 23 3.6.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.4.2 Digitale Messdaten . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.6.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.4.3 Gruppen von Betroffenen . . . . . . . . . . . 25 3.7 Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.4.4 Fahrzeugtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.7.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 39 2.5 Fahrerermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.7.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.5.1 Prozessablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.7.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.5.2 Fahrerermittlung bei 3.8 Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.8.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 40 2.5.3 Fahrerermittlung bei Firmenwagen und Fuhrparks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.8.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.6 Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . 29 3.8.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
6 3.9 Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4 Gesamtauswertung . . . . . . . . . . . . . . 51 3.9.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 42 4.1 Deliktarten digital erfasster Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.9.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.2 Fahrzeugarten digital erfasster 3.9.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.10 Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.3 Deliktarten digital erfasster 3.10.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 43 Rotlichtverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.10.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.4 Verfahrensarten digital erfasster Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.10.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.5 Projektrelevante Einstellungen . . . . . . . 53 3.11 Köln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.6 Beantragte Fahrtenbuchauflagen . . . . . 54 3.11.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 44 4.7 Sondererhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.11.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.7.1 Ausländische Fahrzeugführer 3.11.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 als Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.12 Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4.7.2 Kradfahrer als Betroffene . . . . . . . . . . . 56 3.12.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 45 5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.12.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.12.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.13 Mettmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.13.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 46 3.13.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.13.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.14 Rostock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.14.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 48 3.14.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.14.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.15 Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.15.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 49 3.15.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.15.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.16 Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.16.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 50 3.16.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.16.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.17 Viersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.17.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 51 3.17.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.17.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
7 Abkürzungen ABl. Amtsblatt NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport AG VPA Arbeitsgemeinschaft verkehrspolizei- liche Aufgaben der Bundesländer NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht BASt Bundesanstalt für Straßenwesen OLG Oberlandesgericht BG Bußgeld OVG Oberverwaltungsgericht BGBl. Bundesgesetzblatt OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz BGH Bundesgerichtshof RiL Richtlinie BKat Bußgeldkatalog StPO Strafprozess-Ordnung BKatV Bußgeldkatalog-Verordnung StVG Straßenverkehrsgesetz BMJ Bundesministerium der Justiz VerfGH Verfassungsgerichtshof BMVBS Bundesministerium für Verkehr, Bau VG Verwaltungsgericht bzw. Verwar- und Stadtentwicklung nungsgeld BR-Drs. Drucksache des Bundesrates VGT Verkehrsgerichtstag BT-Drs. Drucksache des Bundestages VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz BTKat Bundeseinheitlicher Tatbestandskata- ZBB Zentrale Bußgeldbehörde log für Verkehrsordnungswidrigkeiten BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht DAR Deutsches Autorecht Drs. Drucksache EGMR Europäischer Gerichtshof für Men- schenrechte EMA Einwohnermeldeamt EMRK Europäische Menschenrechtskonven- tion EUCARIS European Car and Driving Licence Information System GG Grundgesetz h. M. herrschende Meinung IRG Internationale Rechtshilfe-Gesetz MRK Menschenrechtskonvention NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht
9 1 Forschungsauftrag verifizierbarer Zahlen unbewiesene Vermutung, dass ein Großteil der Verkehrsverstöße im fließen- Das Forschungsprojekt befasst sich mit der The- den Verkehr durch Fahrzeughalter mit ihren eige- matik einer möglichen Ausdehnung der Kostentra- nen Fahrzeugen begangen wird. Diese Vermutung gungspflicht des § 25a StVG auf Verkehrsverstöße wird allerdings durch die Tatsache gestützt, dass im fließenden Verkehr. die überwiegende Mehrzahl aller an die Fahrzeug- halter als Betroffene ergehenden Verwarnungs- Im Folgenden wird in den Begrifflichkeiten unter- geldangebote und Bußgeldbescheide von den schieden zwischen einer „echten Halterhaftung“ Fahrzeughaltern fristgerecht bezahlt werden. Wie – wie sie in einigen europäischen Mitgliedstaaten hoch die Zahl der in diesem Sinne „erfolgreich“ ab- gilt – und der Kostentragungspflicht für die Verfah- geschlossenen Verwarnungs- und Bußgeldverfah- renskosten. Diese beruht auf der gesetzlichen Re- ren im Durchschnitt der am Projekt teilnehmenden gelung des § 25a Abs. 1 StVG, wonach folgende Bußgeldbehörden ist, ergibt sich aus dieser Studie. tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sein müs- sen: • Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Park- 1.1 Die mögliche Halterhaftung in den verstoßes, Arbeitskreisen der Verkehrs- gerichtstage a) die das Kfz zum Zeitpunkt der Tat führende Person kann nicht vor Eintritt der Verfol- Das Forschungsprojekt hat eine lange verkehrspo- gungsverjährung ermittelt werden oder litische Vorgeschichte. b) die Ermittlung dieser Person würde einen un- Der 31. Deutsche Verkehrsgerichtstag widmete angemessenen Aufwand erfordern. sich im Jahr 1993 im Rahmen seines Arbeitskreises III. unter dem Generalthema „Polizeiliche Verkehrs- Liegen diese Voraussetzungen vor, tritt die Rechts- überwachung und Verkehrssicherheit“ explizit auch folge des Abs. 1 ein und dem Halter des Kfz oder der Halterhaftung für Verstöße im fließenden Ver- seinem Beauftragten können die Kosten des Ver- kehr und empfahl: fahrens auferlegt werden. „Erweiterung der Halterhaftung nach § 25a StVG Im Gegensatz dazu erscheint in der Studie auch auf geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitun- der Begriff der so genannten „echten Halterhaf- gen (entsprechend § 56 OWiG) (mit knapper Mehr- tung“. Diese in einigen Staaten Europas praktizier- heit).“2 te Gestaltung des Bußgeldverfahrens erlaubt eine Ahndung von Verkehrsverstößen im fließenden Auch der 39. Verkehrsgerichtstag thematisierte Verkehr, wobei im Rahmen einer Durchfahrtskon- 2001 in seinem Arbeitskreis IV. unter dem General- trolle ohne Anhaltevorgang lediglich der Verkehrs- thema „Strategien und Maßnahmen gegen Tempo- verstoß mittels Messtechnik und eines Beweisfotos sünder“ nochmals die Halterhaftung für Verstöße im aus der Heckrichtung dokumentiert wird. Das Recht fließenden Verkehr. Er traf allerdings die zum Er- dieser Staaten gestattet eine Ahndung dieser Ver- gebnis der 31. VGT gegensätzliche Feststellung: stöße auch gegenüber einem Fahrzeughalter, der das Tatfahrzeug nicht selbst gefahren hat, d. h. „Die Ausdehnung der ,Halterhaftung’ auf Verstöße ohne Nachweis von dessen Schuld am konkreten im fließenden Verkehr wird mit Blick auf die verfas- Verkehrsverstoß allein auf der Grundlage von des- sungsrechtliche Problematik und wegen der man- sen Verantwortlichkeit für das auf ihn zugelassene Fahrzeug.1 Den folgenden inhaltlichen Erwägungen voranzu- 1 Vgl. dazu näher die Darstellung des vollständig automa- stellen ist die Tatsache, dass bis heute in der Krimi- tisierten Verfahrens im niederländischen Recht bei de nologie keine Dunkelfeld-Untersuchung zu Ver- VRIES, C., S. 255 und BLINDENBACHER, KUIJTEN, kehrsverstößen im fließenden Verkehr unternom- S. 17 ff.; ein Überblick über die Regelungen in ganz Europa gibt HERING, S. 17 ff. men wurde, die den Forschungsgegenstand der 2 Beschluss II. 2. des Arbeitskreises III. des 31. VGT unter der von Fahrzeughaltern in ihrer Eigenschaft als Fahr- Internetadresse http://www.deutscher-verkehrsgerichts zeugführer begangenen Verkehrsdelikte untersucht tag.de/index.php/der-deutsche-verkehrsgerichtstag/emp hätte. So existiert bis heute lediglich die mangels fehlungen
10 gelnden Eignung zur Bekämpfung von Geschwin- wird gebeten, zu prüfen, ob angesichts der digkeitsverstößen abgelehnt.“3 Dimension der relevanten Fälle gesetzlicher Handlungsbedarf besteht. Vier Jahre nach diesem negativen Votum befasste sich der 43. Deutsche Verkehrsgerichtstag im Jahr 5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, europäi- 2005 in seinem Arbeitskreis VI. unter dem Thema schen Initiativen, die den oben aufgeführten „Verkehrsüberwachung in Deutschland und Grundsätzen widersprechen, entgegenzutreten Europa“ wiederum mit der echten Halterhaftung für und gebeten, darauf hinzuwirken, dass zukünf- Verstöße im fließenden Verkehr und empfahl inhalt- tige europäische Rechtsakte in enger Abstim- lich genau entgegengesetzt zum Beschluss des 39. mung mit den Mitgliedstaaten entwickelt wer- VGT: den.“6 „2. Dabei sind auch verfassungsrechtliche Beden- Genau die vom Verkehrsgerichtstag in seinem vor- ken zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere genannten dritten Beschlusspunkt gegenüber der für eine umfassende Halterhaftung im fließen- Bundesregierung geäußerte Bitte um Überprüfung den Verkehr. Die große Mehrheit fordert jedoch, „der Dimension der relevanten Fälle“ bildet die die Kostentragungspflicht des Halters nach Grundlage dieses Forschungsprojektes. § 25a StVG auf den Bereich der geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen (Verwar- Der Deutsche Verkehrsgerichtstag befasst sich seit nungsgeldbereich) auszudehnen.“4 dem Jahr 1975 in regelmäßigen Abständen mit den Problemen um die Verantwortung von Fahrzeug- Drei Jahre danach beschäftigte sich der Arbeits- haltern für Verstöße, die im ruhenden und im flie- kreis III. des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages ßenden Verkehr mit ihren Fahrzeugen begangen nur am Rande mit der Thematik der Halterhaftung worden sind. Die fachliche Diskussion begann mit für Verstöße im fließenden Verkehr, indem er mit- dem Problemkreis der Halt- und Parkverstöße im tels eines vorbeugenden Beschlusses empfahl: ruhenden Verkehr. Im Zuge der zunehmenden Ein- flüsse durch Verfahrensvorschriften im benachbar- „Die Verpflichtung zur Einführung einer Halterhaf- ten europäischen Ausland entfachte sich auch in tung im fließenden Verkehr durch den europäi- Deutschland eine Diskussion um eine mögliche schen Gesetzgeber ist abzulehnen.“5 Übertragbarkeit ausländischer Regelungen zur Der 48. Deutsche Verkehrsgerichtstages hatte im Kostentragungspflicht für Verstöße im fließenden Januar 2010 den Arbeitskreis I. ausführlich unter Verkehr auf deutsches Recht. der Thematik „Halterhaftung in Europa“ mit der Hal- Nachdem der Verkehrsgerichtstag lange Jahre zwi- terhaftung für Verstöße im fließenden Verkehr be- schen den beiden Polen der Ablehnung und Befür- fasst. Drei der insgesamt fünf Beschlüsse des Ar- wortung einer echten Halterhaftung respektive beitskreises behandelten diese Thematik: einer Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen- „2. Im Hinblick auf die Halterhaftung für Verstöße im den Verkehr schwankte, kristallisierte sich über die fließenden Verkehr stellt der Arbeitskreis fest, Jahre eine vermittelnde Auffassung heraus, die gro- dass deren Einführung verfassungsrechtliche ßen Wert darauf legte, zunächst einmal das Einho- Grenzen aufgezeigt sind. So verbietet der unab- len einer empirischen Datenbasis der Wirklichkeit änderliche verfassungsrechtliche Grundsatz im Bußgeldverfahren zu empfehlen, um auf einer „Keine Strafe ohne Schuld“ die strafrechtliche oder auch nur strafrechtsähnliche Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters. Dies gilt auch für Bußgeldverfahren wegen Verstößen im Stra- 3 Beschluss 4. des Arbeitskreises IV. des 39. VGT unter der ßenverkehr. Diese Grenzen gelten nach der o. g. Internetadresse Lissabon-Entscheidung des Bundesverfas- 4 Beschluss 2. des Arbeitskreises VI. des 43. VGT unter der sungsgerichts auch im Hinblick auf Rechtsakte o. g. Internetadresse; wenn im ersten Satz von „Halterhaf- tung“ gesprochen wird, ist damit die echte Halterhaftung ge- der Europäischen Union. meint 5 Beschluss 6. des Arbeitskreises III. des 46. VGT unter der 3. Nach Ansicht des Arbeitskreises wäre eine Aus- o. g. Internetadresse; gemeint ist eine echte Halterhaftung dehnung der Kostentragungspflicht nach § 25a 6 Beschlüsse 2., 3. und 5. des Arbeitskreises I. des 48. VGT StVG unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit unter der o. g. Internetadresse; der Beschluss Nr. 5 meint grundsätzlich möglich. Die Bundesregierung die echte Halterhaftung
11 gesicherten Datengrundlage über einen gesetz- sungsgericht im Rahmen seines Beschlusses deut- lichen Handlungsbedarf zu einer Änderung der be- lich die verfahrensrechtliche Notlage der Bußgeld- stehenden Rechtsvorschriften zu entscheiden. behörden heraus, indem es deren tatsächliche Grundlagen ausführlich und wie folgt schilderte: 1.2 Die Kostentragungspflicht des „Seit Beginn der 70er Jahre wurde beobachtet, daß Halter in zunehmendem Maße ihre Mitwirkung bei § 25a StVG und ihre mögliche der Ermittlung des Fahrzeugführers versagten. Hal- Erweiterung auf Verstöße im ter lehnten entweder jede Aufklärung darüber ab, fließenden Verkehr wem sie ihren Wagen überlassen hatten und übli- Die ausschließlich für den ruhenden Verkehr gel- cherweise zur Verfügung stellten, oder sie beriefen tende Kostentragungspflicht ist vor dem Hinter- sich darauf, sich nicht mehr an den für den Tatzeit- grund der langjährigen Diskussionen des Deut- punkt in Betracht kommenden Fahrer erinnern zu schen Verkehrsgerichtstages im § 25a StVG ge- können. In erheblichem Umfang machten Halter setzlich verankert worden und am 01.04.1987 in auch geltend, daß ihr Fahrzeug von einem nahen Kraft getreten. Die gesetzgeberische Vorgeschichte Familienangehörigen gefahren werde, dessen dieser Vorschrift sah allerdings noch eine gebüh- Namen sie wegen Ausnutzung ihres Schweige- renrechtliche Kostentragungspflicht für sämtliche oder Aussageverweigerungsrechts nicht preisge- Verstöße des ruhenden und des fließenden Ver- ben müßten. Andere Halter verwiesen auf Fahrer, kehrs vor. Der erst im Vermittlungsausschuss aus die für die Behörden nicht erreichbar sein konnten, heute nicht mehr ableitbaren Gründen abgelehnte wie etwa ein angeblich wieder in das Ausland zu- erste Gesetzentwurf lautete:7 rückgekehrter Freund oder ein angeblich unter vie- len anderen in Betracht kommender Kaufinteres- „(1) Ist eine nach § 24 mit Geldbuße bedrohte sent.“9 Handlung begangen worden und kann in einem deswegen eingeleiteten Verfahren der Führer des Der beschließende Senat des BVerfG konstatierte Kraftfahrzeugs, der die Zuwiderhandlung begangen zwar mittels der neuen Regelung des § 25a StVG hat, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung er- eine Abweichung von der im Ordnungswidrigkeiten- mittelt werden oder würde seine Ermittlung einen recht geltenden Regelung, die Verfahrenskosten unangemessenen Aufwand erfordern, so werden nur demjenigen aufzuerlegen, der die Kosten aus- dem Halter des Kraftfahrzeugs oder seinem Beauf- lösende Tat begangen oder deren Verfahrens- tragten die Kosten des Verfahrens auferlegt; er hat kosten vorwerfbar verursacht hat. Aber diese Ab- dann auch seine Auslagen zu tragen.“ weichung sei durch „das auch sonst im Straßenver- kehrsrecht geläufige Zurechnungsprinzip“ gerecht- fertigt, dass „der Halter neben dem in erster Linie 1.2.1 Beschluss des Bundesverfassungs- verantwortlichen Fahrer für die nachteiligen Folgen gerichts zu § 25a StVG einzustehen hat, die durch den Betrieb eines Kfz verursacht werden.“10 Auch verstoße die Regelung Das Bundesverfassungsgericht hat durch Be- nicht gegen den Schuldgrundsatz, weil die Kosten- schluss vom 01.06.1989 (2 BvR 239/88) entschie- regelung des § 25a StVG keine „Sanktion im Sinne den, dass die neue Vorschrift des § 25a StVG ver- einer strafähnlichen Maßnahme“11 sei, sondern fassungsgemäß ist, insbesondere mit dem Rechts- erst nach Abschluss des Bußgeldverfahrens und staatsprinzip sowie den Grundrechten Art. 2 Abs. 1 ohne eine Zuweisung von Schuld eingreife. Zudem und Art. 3 Abs. 1 GG im Einklang steht.8 Vor allen habe die Kostenregelung auch im Vergleich mit juristischen Bewertungen stellte das Bundesverfas- einer Verwarnung keinen Strafcharakter, weil diese als „rein präventive Maßnahme“ einzustufen sei und überdies „keinen ethischen Schuldvorwurf“ in 7 BR-Drs. 371/82 sich trage und aus den vorgenannten Gründen 8 BVerfG, Beschl. v. 01.06.1989 – 2 BvR 239/88, 1205, 1533 „nicht mit einer Kriminalstrafe oder einer vergleich- u. 1095/87, NZV 1989, S. 398 ff. baren Sanktion gleichgesetzt werden“12 könne. 9 BVerfG, a. a. O., S. 398 Schließlich beeinträchtige die Kostentragungs- 10 BVerfG, a. a. O., ebd. pflicht auch weder das Zeugnisverweigerungsrecht, 11 BVerfG, a. a. O., S. 399 noch das Schweigerecht eines Halters und wirke 12 BVerfG, a. a. O., ebd., auch zum Folgenden auch nicht als „Zwang zur Selbstbezichtigung“.
12 Das Gericht erwog im Verlauf des Verfahrens unter 1.2.2 Rechtspolitische Diskussion dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes auch eine gesetzlich mögliche generelle Kostentra- Soweit ersichtlich begann die rechtswissenschaft- gungspflicht der Fahrzeughalter für Verstöße nicht liche Diskussion um eine mögliche Übertragbarkeit nur im ruhenden, sondern auch im fließenden Ver- der Kostentragungspflicht des ruhenden Verkehrs kehr. Das BVerfG hielt die Haltung des Gesetzge- auf den fließenden Verkehr im Zuge der Vorberei- bers für sachlich richtig, aus pragmatischen Grün- tungen des 31. Deutschen Verkehrsgerichtstages den auf eine generelle Kostentragungspflicht zu im Jahr 1992. Erster Protagonist einer Übertragbar- verzichten, weil dieser mit Rücksicht auf verbesser- keit war der Ministerialrat BOUSKA. Er hielt es „aus te ermittlungstechnische Einrichtungen davon aus- verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Sicht“ gehe, bei Verstößen im fließenden Verkehr hätten für vertretbar, „die sog. Halterhaftung nach § 25a die Behörden und Gerichte bessere Möglichkeiten StVG auch auf Verstöße im fließenden Verkehr zu zur Aufklärung und damit auch zur Überbürdung erstrecken“.16 Diese Ansicht wurde, insoweit ergeb- der Kosten auf den in erster Linie verantwortlichen nisorientiert und undogmatisch, damit begründet, Fahrer. Diese Prämisse des BVerfG beruht auf dem dass eine Übertragung der Kostentragungspflicht Gedanken, dass die technischen Möglichkeiten der eine Effektivitätssteigerung der polizeilichen Ver- Feststellung von Verkehrsverstößen regelmäßig kehrsüberwachung bewirken würde. Allerdings be- auch zur Feststellung des Fahrers zum Zeitpunkt ruhte diese Ansicht BOUSKAS auf einer bloßen der Tat führen und muss auf deren Gültigkeit im Wunschvorstellung, die nicht mittels Daten belegt Rahmen dieser Studie überprüft werden. werden konnte. In den folgenden Jahren war die Regelung des Die gegnerische Ansicht wurde in demselben Ar- § 25a StVG Gegenstand verfassungsgerichtlicher beitskreis durch HÖRL, eines Vertreters der An- Rechtsprechung in den Bundesländern, wobei sich waltschaft, vorgetragen und lehnte eine Übertrag- die Verfassungsgerichtshöfe regelmäßig der Recht- barkeit der Kostentragungspflicht auf den fließen- sprechung des BVerfG anschlossen.13 Der Verfas- den Verkehr deswegen ab, weil für im fließenden sungsgerichtshof Berlin betonte das verwaltungs- Verkehr begangene Verstöße „keinesfalls von re- praktische Argument, dass die dem Halter auferleg- gelmäßig geringfügigen Verstößen mit Bagatellcha- te Kostenlast dem Ziel diene, die Rechtspflege rakter ausgegangen werden“17 kann und eine Kos- nicht mit den Kosten eines sachlichen und perso- tenregelung daher „als Zwang zur Selbstbezichti- nellen Aufwandes für ein leerlaufendes Verfahren gung“ (Nemo-tenetur-Grundsatz) wirke, der „die zu belasten.14 Die Inanspruchnahme des Fahr- durch Art. 6 Abs. 2 MRK gewährleistete Unschulds- zeughalters für die Kosten des Verfahrens bezwe- vermutung“ aushöhle. Diese Ansicht ordnet aller- cke weder die Ahndung rechtswidrigen Verhaltens, dings die Verstöße im fließenden Verkehr, insoweit noch komme sie in tatsächlicher Hinsicht einer sol- pauschalisierend, jenseits des „Bagatellcharakters“ chen Sanktion gleich. Dem Halter solle der durch ein, ohne diese Grenze allerdings zu verifizieren eine ordnungswidrige Kraftfahrzeugbenutzung ver- oder gar Belege dafür zu erbringen, welche der ursachte Aufwand in den Fällen auferlegt werden, zahlreichen Delikte des fließenden Verkehrs mit in denen Verkehrsverstöße gegen seinen Willen mit dieser Klassifizierung gemeint sind. vertretbarem Aufwand typischerweise nicht aufge- Die in den folgenden Jahren der Diskussion dog- klärt werden können. Die Vorschrift des § 25a StVG matisch am weisteten von HÖRL entfernte Gegen- greife auch erst zu einem Zeitpunkt ein, wenn das position wird von dem Ordinarius für Öffentliches Bußgeldverfahren durch Einstellung oder durch Freispruch abgeschlossen sei. Eine Entscheidung, wer für den Verkehrsverstoß verantwortlich sei, werde nicht mehr getroffen, eine Zuweisung von 13 Vgl. dazu näher MÜLLER, in: BACHMEIER, MÜLLER, Schuld finde nicht statt. STARKGRAFF, § 25a StVG Rn. 2 14 VerfGH Berlin, Beschl. v. 13.04.2005 – 37/02, juris; mit der- Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sach- selben Argumentation Bayerischer VerfGH, Beschl. vom sen betonte zudem, dass die Mitverantwortlichkeit 21.06.2010 – Vf. 69-VI-08, juris des Halters für den Betrieb seines Fahrzeugs und 15 VerfGH Sachsen, Beschl. v. 29.03.2010 – Vf. 133-IV-09, für die dadurch verursachten Verkehrsverstöße der http://www.verfassungsgerichtshof.sachsen.de/index.php ausschließliche Grund dieser Kostenbelastung 16 BOUSKA, S. 132 sei.15 17 HÖRL, S. 143, auch zum Folgenden
13 Recht und Verfassungsrecht MANSSEN vertreten, Der zweite Argumentationsstrang HÖRLS, ein der darlegt, dass das Schuldprinzip, die Unschulds- möglicher Verstoß einer Kostentragungspflicht für vermutung und der Nemo-tenetur-Grundsatz im Verstöße im fließenden Verkehr gegen die Un- Ordnungswidrigkeitenrecht nur in „sehr abge- schuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK nahm schwächter Weise“ gelten.18 Aufgrund dieser dog- eine Anleihe im Europarecht, darf aber aus heutiger matischen Basis gelangt er zu dem Schluss, dass Sicht als widerlegt betrachtet werden, nachdem der die Sanktionierung von Verkehrsverstößen im Ord- Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im nungswidrigkeitenverfahren „außerhalb des An- Verfahren Krumpholz/Österreich über die Rechts- wendungsbereichs des Schuldprinzips“ erfolge.19 lage in Österreich zu entscheiden hatte.22 Der Vor diesem Hintergrund sei sogar eine echte Hal- EGMR entschied in dem vorliegenden Verfahren terhaftung verfassungsrechtlich zulässig, weil diese über die beiden in einem engen sachlichen Zusam- im Bußgeldbereich keinen Strafcharakter in sich menhang stehenden Prozessgrundrechte Art. 6 trage, sondern dem Polizeirecht näher stehe als Abs. 1 (Recht zu schweigen und sich nicht selbst dem Strafrecht. Die im Vergleich zu MANSSEN völ- bezichtigen zu müssen) sowie Art. 6 Abs. 2 (Un- lig konträre und insoweit singulär gebliebene Ge- schuldsvermutung) gemeinsam. Der EGMR ent- genposition wurde von dem damaligen Rechtsan- schied zu der Vorschrift des § 103 Abs. 2 ÖstKraft- walt NOTTHOFF vertreten, der dem Ordnungswid- fahrzeugG mit dessen Verpflichtung des Halters, zu rigkeitenrecht sogar einen strafenden Rechtscha- einem polizeilich festgestellten Verkehrsverstoß im rakter beimaß und vor diesem Hintergrund in einer fließenden Verkehr den Fahrer anzugeben, „dass Kostentragungspflicht eine Ahndung sah.20 es nicht notwendig Art. 6 EMRK verletzt, wenn aus dem Schweigen eines Angeklagten nachteilige Der erste öffentliche Streit zwischen BOUSKA und Schlüsse gezogen werden“.23 Wenn aber eine Ver- HÖRL zu Beginn der 90er Jahre war eher grund- fahrensvorschrift des österreichischen Ordnungs- sätzlicher Natur und lotete die vorangegangene rechts, in deren Auslegung ein der Aussagever- Entscheidung des BVerfG aus Sicht beider Prota- pflichtung nachfolgendes Schweigen eines Fahr- gonisten nicht in ihrem gesamten Umfang und in zeughalters nachteilig ausgelegt werden darf, als ihrer dogmatischen Tiefe aus, insbesondere nicht europarechtsgemäß eingeschätzt wird, kann auch deren verfassungsrechtliche Klassifizierung der das Auferlegen von Verfahrenskosten im Rahmen Verstöße des fließenden Verkehrs im Bereich des einer etwaigen deutschen Kostentragungspflicht für Verwarnungsgeldes als Kategorie jenseits des Verstöße im fließenden Verkehr und die damit di- Schuldprinzips. Diese das Schuldprinzip nicht rekt verbundene Möglichkeit, die Kostentragungs- tangierende Einordnung des Verwarnungsverfah- pflicht durch vorangehende Aussage über den tat- rens geht zurück auf eine Grundsatzentscheidung sächlichen Fahrer abzuwenden, nicht als potenziel- des Bundesverwaltungsgerichts, das die Bedeu- ler Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK ange- tung des Verwarnungsverfahrens sowie der „dem sehen werden. Diese europarechtliche Einschät- Verwarnungsverfahren zugänglichen Verkehrsord- zung wird bestätigt durch eine weitere zeitlich vor- nungswidrigkeiten“ in den „äußersten Bagatell- angegangene Entscheidung des EGMR, die in der bereich“ einordnete.21 Sache O'Halloran und Francis/Vereinigtes König- reich erging.24 In diesem Fall wandten sich die Klä- ger gegen die Regelung des britischen Verkehrs- rechts aus § 172 Road Traffic Act mit seiner Mög- 18 MANSSEN, S. 30 lichkeit, den Halter eines Fahrzeugs nach dem Fah- 19 MANSSEN, ebd., auch zum Folgenden rer zu einem bestimmten Tatzeitpunkt eines Ver- 20 NOTTHOFF, S. 100 kehrsverstoßes zu befragen und seine Antwort im 21 BVerwG Urt. v. 18.05.1973 – VII C 12.71, BVerwGE 42, 206 Gerichtsverfahren zu seinen Lasten zu verwenden. (208) Auch in diesem Fall sah der EGMR keinen Verstoß 22 EGMR Urt. v. 18.03.2010 – 13201/05, NZV 2011, S. 147 ff. der britischen Verfahrensvorschrift gegen Art. 6 23 EGMR, a. a. O., S. 148 Abs. 1 EMRK.25 24 EGMR Urt. v. 29.06.2007 – 15809/02 und 25624/02, NJW 2008, S. 3549 ff. Beide neueren und in der Sache bei zwei verschie- 25 EGMR, a. a. O., S. 3553; diese Entscheidung wird aus an- denen Regelungen aus zwei Vertragsstaaten der waltlicher Sicht lediglich in ihrem Ergebnis beklagt, ohne juristische Gegenargumente zu benennen, von NISSEN, EU inhaltlich übereinstimmenden Entscheidungen S. 25 f. des EGMR legen den Schluss nahe, die Idee der
14 Aufnahme einer Auskunftsverpflichtung in das deut- Als Gegenpart begründete REDEKER aus polizei- sche Verfahrensrecht des StVG oder in das OWiG licher Sicht sein Eintreten für eine Ausweitung der nochmals inhaltlich zu prüfen.26 Diese Regelung Kostentragungspflicht insbesondere mit einem auf- könnte als Alternative oder kumulativ verstärkende wändigen Personal- und Kosteneinsatz, der in zahl- Regelung mit einer Kostentragungspflicht geschaf- reichen Fällen einen forensisch sicheren „Nachweis fen werden, bedarf aber noch einer näheren Abwä- der Fahrerverantwortung“ nicht erbringe.30 gung mit den geltenden Regelungen des Verfah- rensrechts im Bußgeldverfahren, insbesondere der Der Vertreter der Anwaltschaft FELTZ konstatierte, Erwägung zwischen Verstößen im Bereich des Ver- dass eine Kostentragungspflicht zumindest nicht warnungsgeldes und Verstößen im Bereich des gegen den Grundsatz „nulla poena sine culpa“ ver- Bußgeldes zu differenzieren. Eine präventive Wir- stoße und daher keine verfassungsrechtlichen Be- kung könnte einer solchen Auskunftsverpflichtung denken zum Tragen kämen.31 Dennoch lehnte jedoch nicht von vornherein abgesprochen werden, auch FELTZ eine Ausweitung des § 25a StVG auf weil es sich um eine für den Fahrzeughalter unbe- Verstöße im fließenden Verkehr ab, weil dies nach queme Verpflichtung handeln würde, die ihn zu seiner Auffassung gegen den aus §§ 105 OWiG, einer bewussten Vergabe der Verfügungsgewalt 467, 467a StPO ableitbaren Grundsatz verstoße, über sein Fahrzeug an verantwortungsbewusst einem Betroffenen, der als unschuldig anzusehen handelnde Fahrer veranlassen könnte. sei, die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zudem befürchtete der Rechtsanwalt, dass die Mitte der 90er Jahre griff die Ständige Konferenz Bußgeldbehörden angesichts einer Kostentra- der Innenminister und Innensenatoren der Länder gungspflicht auf Versuche verzichten würden, einen und des Bundesministers des Innern (IMK) das Fahrer mittels Überwachungstechnik und Folge- Thema der Halterhaftung im Rahmen der Fort- maßnahmen zu ermitteln und lieber gleich einen schreibung des Programms Innere Sicherheit auf Kostenbescheid erlassen würden.32 Dieses verwal- und empfahl die Einführung einer echten Halterhaf- tungspraktische Argument berührt die bereits ge- tung nach dem österreichischen Vorbild.27 genüber der tatsächlichen Handhabung des gelten- den § 25a StVG von SUHREN, einem Rechtsan- Im Rahmen der Diskussionen des 39. Deutschen walt, aufgeworfene Frage des angemessenen Auf- Verkehrsgerichtstages lehnte der Ministerialbeamte klärungsaufwandes.33 Der Autor beantwortet diese ALBRECHT die Übertragbarkeit der Kostentra- Frage zu einem vertretbaren Ermittlungsaufwand gungspflicht auf den fließenden Verkehr ab, weil allerdings nur für Verstöße im ruhenden Verkehr, nach seiner Auffassung im fließenden Verkehr fest- indem er nach einer Übersendung des Anhörungs- gestellte Verstöße lediglich „mit einer Einstellungs- bogens innerhalb einer Frist von zwei Wochen wei- quote zwischen 1 % und höchstens 5 %“ zu Buche tere Ermittlungsmaßnahmen der Bußgeldbehörde schlagen würden und daher diese Situation „nicht für verzichtbar hält, wenn die Anhörungsfrist frucht- annähernd vergleichbar“ sei mit der tatsächlichen los verstreicht. Ebenfalls beschränkt auf das Situation vor Einführung des § 25a StVG.28 Zudem Thema der Verstöße im ruhenden Verkehr geht der trage eine solche Ausweitung der Kostentragungs- Richter ROGOSCH davon aus, dass der behörd- pflicht nicht zu einer Verbesserung der Prävention licherseits einzusetzende Ermittlungsaufwand nicht bei.29 Die in den Raum gestellte Einstellungsquote mit dem von § 31a StVZO geforderten Ermittlungs- wird allerdings vom Autor nicht mit statistischen aufwand für das Auferlegen einer Fahrtenbuchauf- Daten von Bußgeldbehörden belegt und auch seine weitere These einer die Prävention nicht steigern- den Wirkung der Kostentragungspflicht wird argu- mentativ nicht durch die Evaluationsergebnisse von 26 Ebenfalls empfohlen von MANSSEN, S. 30 Befragungen betroffener Fahrzeugführer belegt. Da 27 IMK, S. 32 der Autor in seiner Funktion als Mitarbeiter des 28 ALBRECHT, Strategien, S. 135, auch zum Folgenden Bundesministeriums für Verkehr zum VGT eingela- 29 A. A. NOTTHOFF, S. 99, der sich von einer Verschärfung den wurde und keine verfassungsrechtlichen Argu- der Halterhaftung eine „starke Abschreckungswirkung“ ver- mente mehr gegen eine Kostentragungspflicht be- spricht nennt, darf die Frage der Verfassungsmäßigkeit 30 REDEKER, S. 158 einer Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen- 31 FELTZ, S. 164, auch zum Folgenden den Verkehr seitens des BMV seit diesem Zeitpunkt 32 FELTZ, S. 166, im Anschluss an REDIGER, K., S. 96 als positiv geklärt betrachtet werden. 33 SUHREN, S. 54, auch zum Folgenden
15 lage verglichen werden könne.34 Die Fahrtenbuch- konstruktiv beizutragen, wenn er allein durch ab- auflage sei zum Einen gegenüber einem einmali- wartende Untätigkeit die kostengünstige Alternative gen Kostenbescheid eine wesentlich tiefer ein- einer geringen Verwaltungsgebühr ergreifen schneidende Maßnahme und beziehe sich zum An- könne.36 Dies dürfte in der Tat zahlreiche Fahr- deren sowohl auf Verstöße des ruhenden wie auch zeughalter von einer Mitwirkung an der Ermittlung des fließenden Verkehrs. des Fahrers abhalten, jedoch ist diese Taktik be- reits unter der heutigen Gesetzeslage bei zahlrei- Die Argumente beider Autoren sind vor dem Hinter- chen Adressaten von Anhörungsbögen und Zeu- grund vielfältiger Maßnahmen zur Steigerung der genbefragungen bewährt, ohne allerdings das Auf- Arbeitseffektivität im Verwaltungsbereich nicht von erlegen von Verfahrenskosten für die im fließenden der Hand zu weisen und müssten im Rahmen einer Verkehr begangenen Verstöße befürchten zu müs- Gesetzesreform berücksichtigt werden. Dies könn- sen. Insoweit wäre eine Kostentragungspflicht ent- te geschehen, indem z. B. vor dem Erlass eines gegen dieser Ansicht dennoch als, wenn auch ge- Kostenbescheides in jedem von der Qualität des ringer Fortschritt zu bewerten, weil der Fahrzeug- Beweisfotos her geeigneten Fall die im Ergebnis er- halter mittels des Leistungsbescheides zumindest folglose Ermittlungsmaßnahme eines Lichtbildab- eine staatliche Reaktion erfährt, die das Potenzial gleichs zu fordern wäre. Auf diese Weise bestünde in sich trägt, nochmals über den zugrunde liegen- die von REDIGER beschworene Gefahr, „den Ver- den Verkehrsverstoß nachdenken zu müssen und folgungsorganen praktisch eine Wahl zwischen sich erst mit dem praktischen Vorgang der Zahlung Ahndung oder Kostenhaftung zu ermöglichen“ nicht der Verfahrenskosten endgültig dieses Verfahrens mehr.35 entledigen zu können. Damit wäre ein grundlegen- des Ziel der Präventionsarbeit erreicht. Gerade die Argumentation von ROGOSCH mit der wichtigen Parallele des einzusetzenden Ermitt- Als letztes und seiner Ansicht nach durchschlagen- lungsaufwandes bei der Anwendung des § 31a des Argument befürchtet FELTZ als Folge einer StVZO im Vergleich zur Regelung des § 25a StVG, Ausweitung der Kostentragungspflicht eine Beein- bevor es zu einem Kostenbescheid kommt, ist für trächtigung von Schweige- und Zeugnisverweige- diese Studie bestens verwertbar, weil der im Rah- rungsrecht der Fahrzeughalter, wobei er die Gefahr men einer Fahrtenbuchauflage einzusetzende Er- umso größer einschätzt, je höher die Verwaltungs- mittlungsaufwand potenziell auch für die Behörden- gebühr im Bereich des für den festgestellten Ver- praxis einer denkbaren Kostentragungspflicht für kehrsverstoß festzusetzenden Bußgeldes ausfallen Verstöße im fließenden Verkehr gefordert werden würde.37 Auch dieses Argument ist – jenseits der könnte. Mit guten Gründen könnte man diesem Ar- verfassungsrechtlich geklärten Fragen um Schwei- gument aber auch entgegnen, dass bei Verstößen ge- und Zeugnisverweigerungsrecht – bedenkens- im fließenden Verkehr, die sich im Bereich eines wert. Dieser Gefahr einer den Charakter einer Verwarnungsgeldes bewegen und damit den Ver- Sanktion einnehmenden Verwaltungsgebühr kann stößen im ruhenden Verkehr vergleichbar eingeord- jedoch begegnet werden, indem die mögliche Ge- net sind, ein Ermittlungsaufwand wie bei einer bühr durch den Gesetzgeber auf bestimmte Ober- Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig hoch wäre. grenzen gedeckelt wird und für Verfahren mit dem Gegenstand einer Ordnungswidrigkeit im Bereich Auch ein weiteres Argument bedarf einer kritischen des Verwarnungsgeldes den Bereich des jeweils Erörterung, wenn FELTZ aus dem Blickwinkel eines untersten Bußgeldbetrages des Bußgeldkataloges potenziellen Adressaten eines Leistungsbeschei- nicht erreichen darf. des zu bedenken gibt, ein Halter sähe sich nicht veranlasst, zur Ermittlung des betreffenden Fahrers Wenn der Rechtsanwalt SCHÄPE, ebenfalls unter Hinweis auf ein Aushebeln des Zeugnisverweige- rungsrechts und einem „Zwang zur Selbstbezichti- gung“, generell feststellt, dass geltendes Verfas- 34 ROGOSCH, S. 219, auch zum Folgenden sungsrecht eine Ausdehnung der Kostentragung 35 REDIGER, ebd. auf den fließenden Verkehr verbiete, so kann dem 36 FELTZ, S. 167, das Argument wird auch aufgegriffen durch nicht beigepflichtet werden.38 Das Argument pau- SCHÄPE, S. 239 schalisiert auf unzulässige Weise und verwischt die 37 FELTZ, S. 168 vom OWiG in dessen §§ 56 ff. sowie in § 4 StVG 38 SCHÄPE, S. 239 durch das Eingreifen des Punktsystems trennscharf
16 gestalteten Grenzen zwischen dem Verwarnungs- berücksichtigt werden. Bemerkenswert ist es, dass verfahren und dem Bußgeldverfahren.39 Es nivel- BRENNER eine derart gestaltete Kostentragungs- liert zudem die differenzierende Betrachtungswiese pflicht inhaltlich für das gesamte Bußgeldverfahren, von BVerfG und BVerwG, die im Verwarnungsver- also auch für Beträge im Bereich des über das fahren ein Verfahren eigener Art sehen, das „Ver- Punktsystem des StVG im VZR eintragungspflichti- stöße dieser Art im Einverständnis mit dem Betrof- gen Bußgeldes für vereinbar mit den verfassungs- fenen ohne genaue Aufklärung des Sachverhalts in rechtlichen Vorgaben hält.45 Er hegt lediglich, aller- einem vereinfachten Verfahren erledigt, ohne dass dings auf bloßen Vermutungen beruhende, Zweifel dabei eine Entscheidung über das Vorliegen einer an der Praktikabilität einer Kostenregelung im Lich- Ordnungswidrigkeit getroffen wird“40, sodass eine te des Präventionsgedankens.46 Verwarnung keine Vergeltung bezweckt und „sich vor allem dadurch wesensmäßig von der Strafe“41 Diese verfassungsrechtliche Bewertung von unterscheidet. Vor diesem Hintergrund kann es BRENNER erging angesichts eines vergeblichen nicht um dogmatische Begriffe wie Zeugnisverwei- Versuches der Europäischen Kommission, die echte gerungsrecht und Selbstbezichtigung gehen, die Halterhaftung mittels des Rechtsaktes einer „Richt- eng mit dem Schuldprinzip verbunden sind.42 linie des Europäischen Parlaments und des Rates Ebenfalls berücksichtigt SCHÄPE nicht die ein- zur Erleichterung der grenzübergreifenden Durch- schlägige Rechtsprechung des EGMR sowie des setzung von Verkehrssicherheitsvorschriften“ in der BVerfG. gesamten Europäischen Union zu verankern.47 Tat- sächliche Grundlage dieses aus Gründen mangeln- Auch der Ordinarius für Öffentliches Recht und Ver- der Zuständigkeit gescheiterten Rechtsaktes waren fassungsrecht BRENNER vermag in einer Kosten- die mit statistischem Datenmaterial aus Frankreich tragungspflicht im Lichte der Lissabon-Entschei- und den Niederlanden belegten hohen Zahlen von dung des Bundesverfassungsgerichts keinen Ver- Verkehrsverstößen ausländischer Fahrer in diesen stoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 79 beiden Staaten, die aus Sicht der Europäischen Abs. 3 i. V. m. Art. 20 GG zu sehen, wenn eine Kos- Kommission den Schluss nahe legten, dass auslän- tentragungspflicht nicht mit einer Zuweisung von dische Fahrer allein aus dem Grund häufiger Ge- Schuld verbunden ist.43 Dazu bedürfe es einer schwindigkeitsverstöße begehen als Inländer, weil Kostenregelung, die zwei Voraussetzungen erfüllen diese nur dann geahndet werden, wenn die Ge- müsse, nämlich nicht als strafähnliche Maßnahme schwindigkeitsmessung mit einer polizeilichen An- ausgestaltet zu sein und einer Strafe auch nicht haltekontrolle verbunden ist. Diese These der Euro- gleichzukommen.44 Diese beiden beachtlichen Vor- päischen Kommission kann auf der Grundlage der gaben könnten jedoch durch eine moderate Höhe folgenden Studie teilweise überprüft werden. der anzusetzenden Verfahrenskosten angemessen Aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist aus der jüngsten Zeit noch der Beitrag des Staats- anwalts MILKE zu benennen, der die beiden zitier- 39 Das Argument wird aus denselben Gründen ebenfalls abge- ten Entscheidungen des EGMR sowie diejenigen lehnt von BLINDENBACHER/KUIJTEN, S. 15 des BVerfG im Zusammenhang mit den Ergebnis- 40 BVerwG Urt. v. 18.05.1973 – VII C 12.71, juris sen einer vom ADAC im Juni 2009 veranstalteten 41 BVerfG Beschl. v. 04.07.1967 – 2 BvL 10/62, NJW 1967, Rechtskonferenz bewertet. Er kommt dabei in S. 1748 (1749) Übereinstimmung mit BRENNER zu dem Ergebnis, 42 Mit ähnlicher Argumentation ablehnend gegenüber der dass eine Kostentragungspflicht im deutschen Argumentation von SCHÄPE vgl. de VRIES, S. 256; eine bloße Wiederholung der Argumente von SCHÄPE bringt Recht verfassungsgemäß wäre.48 NISSEN, S. 28 „aus Sicht des ADAC“ 43 BRENNER, S. 7; BVerfG Urt. v. 30.06.2009 – 2 BvE 2/08, NJW 2009, S. 2267 ff. 1.2.3 Reformvorschläge 44 BRENNER, ebd. Vor dem Hintergrund dieser langjährigen Diskus- 45 Ebenso MANSSEN, S. 30 sion darf es angesichts höchstrichterlicher Recht- 46 BRENNER, ebd., gegen ihn BLINDENBACHER/KUIJTEN, sprechung und deren zustimmende Kommentie- S. 20 mit positiven praktischen Auswirkungen der echten Halterhaftung auf das Verkehrsverhalten in den Niederlan- rung bzw. Auslegung durch MILKE, BRENNER und den MANSSEN als geklärt angesehen werden, dass 47 KOM (2008) 151 endgültig (sog. „Enforcement-Richtlinie“) eine Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen- 48 MILKE, S. 20 den Verkehr hinsichtlich Schuldprinzip, Unschulds-
17 vermutung und Nemotenetur-Grundsatz keine Als in Grundzügen geklärt darf die Frage der juris- ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken tischen Gestaltung einer Kostentragungspflicht an- mehr erfährt. Voraussetzung dieser h. M. in Recht- gesehen werden. Da mit der Vorschrift des § 25a sprechung und Literatur ist, dass mit der Regelung StVG bereits eine einschlägige Regelung für den der Kostentragungspflicht keine Schuldzuweisung ruhenden Verkehr existiert, könnte diese Vorschrift verbunden ist. um eine Regelung für den fließenden Verkehr er- gänzt oder erweitert werden. Eine darüber hinausgehende Ansicht vertritt ledig- lich MANSSEN, der sogar eine echte Halterhaftung Einig ist sich die Literatur in dem Punkt, dass eine nach dem Modell der Niederlande für verfassungs- solche Regelung in jedem Fall – und insoweit an- gemäß hält. Nach dieser Auffassung wäre sogar gelehnt an die Auslegung des § 31a StVZO durch eine europaweite Vollstreckung von in anderen die Verwaltungsgerichtsbarkeit – vor dem Erlass EU-Staaten begangenen und nach den Grundsät- eines Leistungsbescheides gegenüber dem Fahr- zen der echten Halterhaftung ermittelten Verstößen zeughalter konkrete Ermittlungsbemühungen der in Deutschland verfassungsgemäß.49 Tatsächlich Bußgeldbehörde vorsehen sollte. Ein mehrstufiges darf eine gewisse indizielle Wechselwirkung einer Ermittlungsverfahren ist bereits heute üblich, wobei etwaigen Kostentragungspflicht für Verstöße im flie- geklärt werden müsste, welche gesetzlich zu for- ßenden Verkehr für die europaweite Vollstreckung dernden Ermittlungsbemühungen vor dem Hinter- nach dem Gesetz über die internationale Rechts- grund knapper Personalressourcen in der Verwal- hilfe in Strafsachen (IRG) nicht abgesprochen wer- tung und des damit verbundenen Einsatzes von öf- den, wenn die Vollstreckungsersuchen aufgrund fentlichen Haushaltsmitteln schlechterdings verant- der echten Halterhaftung erfolgen. Im Übrigen hal- wortbar sind. ten bereits zwei Oberlandesgerichte die Vollstre- ckung einer Geldsanktion, die in einem Mitglied- Für die mögliche Höhe der festzusetzenden Ge- staat der EU aufgrund einer echten Halterhaftung bühr ergibt sich derzeit nach der für die Kostentra- gegen eine juristische Person verhängt worden ist, gungspflicht im ruhenden Verkehr einschlägigen auf der Grundlage des § 87b Abs. 3 IRG für verfas- Regelung des § 107 Abs. 2 OWiG ein Betrag i. H. v. sungsgemäß.50 Dabei stützt sich das OLG Köln auf 20 Euro. Diese vergleichsweise geringe Gebühr die Argumentation, dass die Bundesrepublik wäre selbst bei dem höchstmöglichen Abstandsver- Deutschland für die Fälle verschuldensunabhängi- stoß (nach lfd. Nr. 12.6.5 BKat beträgt das Bußgeld ger Haftung den verfassungsrechtlichen Bedenken bei weniger als 1/10 des halben Tachowertes ausreichend dadurch Rechnung getragen hat, dass genau 400 Euro) anzusetzen. Hinzu treten bei der in § 87b Abs. 3 Ziff. 9 IRG für den Fall ein Zulässig- obligatorischen Zustellung des Leistungsbeschei- keitshindernis geschaffen worden ist, dass ein Be- des noch die Auslagen für die Zustellung i. H. v. troffener gegenüber dem Bundesamt für Justiz gel- derzeit 3,50 Euro (§ 107 Abs. 3 Nr. 2 OWiG), mithin tend macht, er habe im ausländischen Verfahren ergäbe sich im Regelfall ein Gesamtbetrag i. H. v. nicht einwenden können, für die Handlung nicht 23,50 Euro. Wenn man die etwas höhere Gebühr verantwortlich zu sein. für den Erlass eines Bußgeldbescheides gem. § 107 Abs. 1 OWiG ansetzen wollte, die derzeit mit Zusätzlich kann von einem Betroffenen auch noch 25 Euro zu Buche schlägt, käme man zu einem Ge- gegenüber einer stattgebenden Vollstreckungsent- samtbetrag i. H. v. 28,50 Euro für einen Leistungs- scheidung des Bundesamtes für Justiz (dem Bewil- bescheid für die Verfahrenseinstellung. Erst bei ligungsbescheid) als nationaler Vollstreckungsbe- hörde gem. § 87 f. Abs. 4 IRG Einspruch eingelegt werden.51 Falls ein Betroffener jedoch im Aus- 49 A. A. FUNKE, S. 363 unter Darstellung des Meinungsstreits gangsverfahren beim Bundesamt für Justiz trotz zwischen den EU-Vertragsstaaten mit echter Halterhaftung seiner Möglichkeit, rechtliches Gehör zu erhalten, auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite geschwiegen hatte, kann er Einwände gegenüber 50 OLG Köln Beschl. v. 21.05.2012 – 2 SsRs 2/12, JurionRS einer Halterhaftung in dem Rechtsbehelfsverfahren 2012, 34766 (= NZV 2012, S. 450 ff.); OLG Düsseldorf gegenüber dem Bewilligungsbescheid nicht mehr Beschl. v. 09.02.2012 – III – 3 AR 6/11, JurionRS 2012, 12011 (= BeckRS 2012, 07346); zustimmend geltend machen. Der Kernbereich des Rechts- JOHNSON/LOROCH, S. 255, RIEDMEYER, S. 21 staatsprinzips wird durch die nachfolgende Voll- 51 Vgl. zu dieser Rechtsschutzmöglichkeit ausführlich streckung gegenüber einem solcherart handelnden KRUMM, Geldsanktionen, S. 1 ff. Betroffenen jedenfalls nicht verletzt.52 52 OLG Köln, a. a. O., ebd.
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