AUSDEHNUNG DER KOSTENTRAGUNGSPFLICHT DES 25A STVG AUF DEN FLIEßENDEN VERKEHR

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Ausdehnung der
                                                                                               Kostentragungspflicht
                                                                                              des § 25a StVG auf den
                                                                                                  fließenden Verkehr

                                                Heft M 250
                                                Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                                                                                  Berichte der
                                                                                              Bundesanstalt für Straßenwesen
                                                                                                      Mensch und Sicherheit   Heft M 250
                       ISSN 0943-9315
                       ISBN 978-3-95606-114-1

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Ausdehnung der
                                  Kostentragungspflicht
                                 des § 25a StVG auf den
                                     fließenden Verkehr

                                                                                    von

                                                                           Dieter Müller

                                        Institut für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten
                                                                                Bautzen

                                                     Berichte der
                                 Bundesanstalt für Straßenwesen
                                         Mensch und Sicherheit          Heft M 250

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Die Bundesanstalt für Straßenwesen
                   veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-
                   ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
                   besteht aus folgenden Unterreihen:
                   A - Allgemeines
                   B - Brücken- und Ingenieurbau
                   F - Fahrzeugtechnik
                   M - Mensch und Sicherheit
                   S - Straßenbau
                   V - Verkehrstechnik
                   Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
                   dem Namen der Verfasser veröffentlichten
                   Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
                   Herausgebers wiedergeben.
                   Nachdruck und photomechanische Wieder-
                   gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-
                   gung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
                   Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen können
                   direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH,
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
                   Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
                   Über die Forschungsergebnisse und ihre
                   Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
                   Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
                   Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
                   Interessenten wenden sich bitte an die
                   Bundesanstalt für Straßenwesen,
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
                   Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
                   zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
                   BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
                   http://bast.opus.hbz-nrw.de

                   Impressum

                   Bericht zum Forschungsprojekt FE 82.0499/2011/:
                   Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG
                   auf den fließenden Verkehr
                   Fachbetreuung:
                   Susanne Schönebeck
                   Herausgeber
                   Bundesanstalt für Straßenwesen
                   Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
                   Telefon: (0 22 04) 43 - 0
                   Telefax: (0 22 04) 43 - 674
                   Redaktion
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit
                   Druck und Verlag
                   Fachverlag NW in der
                   Carl Schünemann Verlag GmbH
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
                   Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
                   Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
                   www.schuenemann-verlag.de
                   ISSN 0943-9315
                   ISBN 978-3-95606-114-1
                   Bergisch Gladbach, September 2014

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Kurzfassung – Abstract

Ausdehnung der Kostentragungspflicht des              Prolongation of the obligation to pay the costs
§ 25a StVG auf den fließenden Verkehr                 of § 25a German Road Traffic Act on the
                                                      moving traffic
Die Untersuchung zum Forschungsprojekt FE
82.0499/2011 „Ausdehnung der Kostentragungs-          The present study of the research project FE
pflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr“    82.0499/2011 “Prolongation of the obligation to pay
befasst sich mit der Thematik einer möglichen Aus-    the costs of the § 25a German Road Traffic Act on
dehnung der bislang ausschließlich für den ruhen-     the moving traffic” deals with the possibility of a
den Verkehrs geltenden Kostentragungspflicht des      prolongation of the obligation to pay the costs of the
§ 25a StVG auf Verkehrsverstöße im fließenden         § 25a German Road Traffic Act, which now only
Verkehr.                                              applies to parking traffic, on the moving traffic.

Dieses Forschungsprojekt hatte die Aufgabenstel-      This research project has the task to gather
lung zu erfüllen, aus der Arbeitspraxis der Buß-      information of the legal practise of the local
geldbehörden in den Bundesländern eine für die        authorities towards their dealing with road traffic
Ansprüche wissenschaftlicher Auswertungen quali-      offences, which were committed in the field of
tativ und quantitativ ausreichende Datenmenge zur     speeding, falling below the safety distance and
Bearbeitung digital erfasster Geschwindigkeits-,      failing to stop at a red light.
Rotlicht- und Abstandsverstöße zu erheben. Dieser
Gesamtdatenbestand sollte gesammelt, thema-           The essential finding of this study is:
tisch geordnet und hinsichtlich der einschlägigen     •   A number of 2,5 % of the proceedings in traffic
Tatbestände sowie der Verfahrenseinstellungen             offences has to be closed within a total of
aufbereitet werden.                                       10,7 % of closed proceedings, because the
Hauptergebnis der Studie ist:                             traffic offender could not be found during the
                                                          legally period of limitation.
•   Bei einer Gesamtanzahl von 10,7 % eingestell-
    ter Bußgeldverfahren wird eine Anzahl von
    2,5 % Bußgeldverfahren eingestellt, weil bei
    einem mittels digitaler Messtechnik beweis-
    sicher festgestellten Verkehrsverstoß und zwei-
    felsfrei dokumentiertem Kfz-Kennzeichen der
    Fahrzeugführer trotz mindestens einer Ermitt-
    lungsmaßnahme nicht vor Eintritt der Verfol-
    gungsverjährung ermittelt werden konnte.
5

Inhalt

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           7   3       Projektdaten und Auswertung . . . . .                         29
                                                                            3.1     Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      30
1        Forschungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . .                9
                                                                            3.1.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   30
1.1      Die mögliche Halterhaftung in den
                                                                            3.1.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           31
         Arbeitskreisen der Verkehrsgerichts-
         tage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    9   3.1.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             33

1.2      Die Kostentragungspflicht des                                      3.2     Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   33
         § 25a StVG und ihre mögliche
                                                                            3.2.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   33
         Erweiterung auf Verstöße im
         fließenden Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . .            11   3.2.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           33
1.2.1 Beschluss des Bundesverfassungs-                                      3.2.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             34
      gerichts zu § 25a StVG . . . . . . . . . . . .                   11
                                                                            3.3     Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         34
1.2.2 Rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . .                    12
                                                                            3.3.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   34
1.2.3 Reformvorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . .                16
                                                                            3.3.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           35
1.3      Erforderliche Daten und Projektziel . . .                     18
                                                                            3.3.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             36
1.4      Weitere Projektaufgaben . . . . . . . . . . .                 18
                                                                            3.4     Chemnitz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       36

2        Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . .                     18   3.4.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   36

2.1      Forschungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . .             18   3.4.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           36

2.2      Betreuergruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . .           19   3.4.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             36

2.3      Projektteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . .           19   3.5     Düsseldorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       37
2.3.1 Zentrale Bußgeldbehörden. . . . . . . . . .                      20   3.5.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   37
2.3.2 Landkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           20   3.5.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           38
2.3.3 Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       21   3.5.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             38
2.3.4 Statistische Wertigkeit der Daten . . . . .                      22   3.6     Frankfurt/Main. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         38
2.4      Projektdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        23   3.6.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   38
2.4.1 Delikte und Verkehrsüberwachung. . . .                           23   3.6.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           39
2.4.2 Digitale Messdaten . . . . . . . . . . . . . . . .               24   3.6.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             39
2.4.3 Gruppen von Betroffenen . . . . . . . . . . .                    25
                                                                            3.7     Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      39
2.4.4 Fahrzeugtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              25
                                                                            3.7.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   39
2.5      Fahrerermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .          26
                                                                            3.7.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           40
2.5.1 Prozessablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            26
                                                                            3.7.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             40
2.5.2 Fahrerermittlung bei
                                                                            3.8     Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       40
      Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             27
                                                                            3.8.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . .                   40
2.5.3 Fahrerermittlung bei Firmenwagen
      und Fuhrparks . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              28   3.8.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           41
2.6      Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . .                   29   3.8.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             42
6

3.9      Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      42   4       Gesamtauswertung . . . . . . . . . . . . . .                  51
3.9.1    Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                 42   4.1     Deliktarten digital erfasster
                                                                                  Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      52
3.9.2    Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         43
                                                                          4.2     Fahrzeugarten digital erfasster
3.9.3    Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           43
                                                                                  Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      52
3.10     Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       43   4.3     Deliktarten digital erfasster
3.10.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   43           Rotlichtverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . .          52
3.10.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           44   4.4     Verfahrensarten digital erfasster
                                                                                  Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      53
3.10.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             44
                                                                          4.5     Projektrelevante Einstellungen . . . . . . .                  53
3.11     Köln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   44
                                                                          4.6     Beantragte Fahrtenbuchauflagen . . . . .                      54
3.11.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   44
                                                                          4.7     Sondererhebungen . . . . . . . . . . . . . . . .              55
3.11.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           44
                                                                          4.7.1 Ausländische Fahrzeugführer
3.11.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             45         als Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          55
3.12     Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     45   4.7.2 Kradfahrer als Betroffene . . . . . . . . . . .                 56
3.12.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   45
                                                                          5       Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   57
3.12.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           46
3.12.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             46
                                                                          6       Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     59
3.13     Mettmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        46
3.13.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   46
3.13.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           47
3.13.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             48

3.14     Rostock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      48
3.14.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   48
3.14.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           48
3.14.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             49

3.15     Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      49
3.15.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   49
3.15.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           49
3.15.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             50

3.16     Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       50
3.16.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   50
3.16.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           50
3.16.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             50

3.17     Viersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     51
3.17.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . .                   51
3.17.2 Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           51
3.17.3 Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             51
7

Abkürzungen

ABl.      Amtsblatt                              NVwZ-RR   Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
                                                           Rechtsprechungsreport
AG VPA    Arbeitsgemeinschaft verkehrspolizei-
          liche Aufgaben der Bundesländer        NZV       Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

BASt      Bundesanstalt für Straßenwesen         OLG       Oberlandesgericht

BG        Bußgeld                                OVG       Oberverwaltungsgericht

BGBl.     Bundesgesetzblatt                      OWiG      Ordnungswidrigkeitengesetz

BGH       Bundesgerichtshof                      RiL       Richtlinie

BKat      Bußgeldkatalog                         StPO      Strafprozess-Ordnung

BKatV     Bußgeldkatalog-Verordnung              StVG      Straßenverkehrsgesetz

BMJ       Bundesministerium der Justiz           VerfGH    Verfassungsgerichtshof

BMVBS     Bundesministerium für Verkehr, Bau     VG        Verwaltungsgericht     bzw.   Verwar-
          und Stadtentwicklung                             nungsgeld

BR-Drs.   Drucksache des Bundesrates             VGT       Verkehrsgerichtstag

BT-Drs.   Drucksache des Bundestages             VwVfG     Verwaltungsverfahrensgesetz

BTKat     Bundeseinheitlicher Tatbestandskata-   ZBB       Zentrale Bußgeldbehörde
          log für Verkehrsordnungswidrigkeiten

BVerfG    Bundesverfassungsgericht

BVerwG    Bundesverwaltungsgericht

DAR       Deutsches Autorecht

Drs.      Drucksache

EGMR      Europäischer Gerichtshof für Men-
          schenrechte

EMA       Einwohnermeldeamt

EMRK      Europäische Menschenrechtskonven-
          tion

EUCARIS   European Car and Driving Licence
          Information System

GG        Grundgesetz

h. M.     herrschende Meinung

IRG       Internationale Rechtshilfe-Gesetz

MRK       Menschenrechtskonvention

NJW       Neue Juristische Wochenschrift

NStZ      Neue Zeitschrift für Strafrecht
9

1    Forschungsauftrag                                   verifizierbarer Zahlen unbewiesene Vermutung,
                                                         dass ein Großteil der Verkehrsverstöße im fließen-
Das Forschungsprojekt befasst sich mit der The-          den Verkehr durch Fahrzeughalter mit ihren eige-
matik einer möglichen Ausdehnung der Kostentra-          nen Fahrzeugen begangen wird. Diese Vermutung
gungspflicht des § 25a StVG auf Verkehrsverstöße         wird allerdings durch die Tatsache gestützt, dass
im fließenden Verkehr.                                   die überwiegende Mehrzahl aller an die Fahrzeug-
                                                         halter als Betroffene ergehenden Verwarnungs-
Im Folgenden wird in den Begrifflichkeiten unter-        geldangebote und Bußgeldbescheide von den
schieden zwischen einer „echten Halterhaftung“           Fahrzeughaltern fristgerecht bezahlt werden. Wie
– wie sie in einigen europäischen Mitgliedstaaten        hoch die Zahl der in diesem Sinne „erfolgreich“ ab-
gilt – und der Kostentragungspflicht für die Verfah-     geschlossenen Verwarnungs- und Bußgeldverfah-
renskosten. Diese beruht auf der gesetzlichen Re-        ren im Durchschnitt der am Projekt teilnehmenden
gelung des § 25a Abs. 1 StVG, wonach folgende            Bußgeldbehörden ist, ergibt sich aus dieser Studie.
tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sein müs-
sen:

•   Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Park-        1.1 Die mögliche Halterhaftung in den
    verstoßes,                                               Arbeitskreisen der Verkehrs-
                                                             gerichtstage
    a) die das Kfz zum Zeitpunkt der Tat führende
       Person kann nicht vor Eintritt der Verfol-        Das Forschungsprojekt hat eine lange verkehrspo-
       gungsverjährung ermittelt werden oder             litische Vorgeschichte.
    b) die Ermittlung dieser Person würde einen un-      Der 31. Deutsche Verkehrsgerichtstag widmete
       angemessenen Aufwand erfordern.                   sich im Jahr 1993 im Rahmen seines Arbeitskreises
                                                         III. unter dem Generalthema „Polizeiliche Verkehrs-
Liegen diese Voraussetzungen vor, tritt die Rechts-
                                                         überwachung und Verkehrssicherheit“ explizit auch
folge des Abs. 1 ein und dem Halter des Kfz oder
                                                         der Halterhaftung für Verstöße im fließenden Ver-
seinem Beauftragten können die Kosten des Ver-
                                                         kehr und empfahl:
fahrens auferlegt werden.
                                                         „Erweiterung der Halterhaftung nach § 25a StVG
Im Gegensatz dazu erscheint in der Studie auch
                                                         auf geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitun-
der Begriff der so genannten „echten Halterhaf-
                                                         gen (entsprechend § 56 OWiG) (mit knapper Mehr-
tung“. Diese in einigen Staaten Europas praktizier-
                                                         heit).“2
te Gestaltung des Bußgeldverfahrens erlaubt eine
Ahndung von Verkehrsverstößen im fließenden              Auch der 39. Verkehrsgerichtstag thematisierte
Verkehr, wobei im Rahmen einer Durchfahrtskon-           2001 in seinem Arbeitskreis IV. unter dem General-
trolle ohne Anhaltevorgang lediglich der Verkehrs-       thema „Strategien und Maßnahmen gegen Tempo-
verstoß mittels Messtechnik und eines Beweisfotos        sünder“ nochmals die Halterhaftung für Verstöße im
aus der Heckrichtung dokumentiert wird. Das Recht        fließenden Verkehr. Er traf allerdings die zum Er-
dieser Staaten gestattet eine Ahndung dieser Ver-        gebnis der 31. VGT gegensätzliche Feststellung:
stöße auch gegenüber einem Fahrzeughalter, der
das Tatfahrzeug nicht selbst gefahren hat, d. h.         „Die Ausdehnung der ,Halterhaftung’ auf Verstöße
ohne Nachweis von dessen Schuld am konkreten             im fließenden Verkehr wird mit Blick auf die verfas-
Verkehrsverstoß allein auf der Grundlage von des-        sungsrechtliche Problematik und wegen der man-
sen Verantwortlichkeit für das auf ihn zugelassene
Fahrzeug.1

Den folgenden inhaltlichen Erwägungen voranzu-
                                                         1   Vgl. dazu näher die Darstellung des vollständig automa-
stellen ist die Tatsache, dass bis heute in der Krimi-       tisierten Verfahrens im niederländischen Recht bei de
nologie keine Dunkelfeld-Untersuchung zu Ver-                VRIES, C., S. 255 und BLINDENBACHER, KUIJTEN,
kehrsverstößen im fließenden Verkehr unternom-               S. 17 ff.; ein Überblick über die Regelungen in ganz Europa
                                                             gibt HERING, S. 17 ff.
men wurde, die den Forschungsgegenstand der
                                                         2   Beschluss II. 2. des Arbeitskreises III. des 31. VGT unter der
von Fahrzeughaltern in ihrer Eigenschaft als Fahr-
                                                             Internetadresse http://www.deutscher-verkehrsgerichts
zeugführer begangenen Verkehrsdelikte untersucht             tag.de/index.php/der-deutsche-verkehrsgerichtstag/emp
hätte. So existiert bis heute lediglich die mangels          fehlungen
10

gelnden Eignung zur Bekämpfung von Geschwin-                wird gebeten, zu prüfen, ob angesichts der
digkeitsverstößen abgelehnt.“3                              Dimension der relevanten Fälle gesetzlicher
                                                            Handlungsbedarf besteht.
Vier Jahre nach diesem negativen Votum befasste
sich der 43. Deutsche Verkehrsgerichtstag im Jahr       5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, europäi-
2005 in seinem Arbeitskreis VI. unter dem Thema            schen Initiativen, die den oben aufgeführten
„Verkehrsüberwachung in Deutschland und                    Grundsätzen widersprechen, entgegenzutreten
Europa“ wiederum mit der echten Halterhaftung für          und gebeten, darauf hinzuwirken, dass zukünf-
Verstöße im fließenden Verkehr und empfahl inhalt-         tige europäische Rechtsakte in enger Abstim-
lich genau entgegengesetzt zum Beschluss des 39.           mung mit den Mitgliedstaaten entwickelt wer-
VGT:                                                       den.“6

„2. Dabei sind auch verfassungsrechtliche Beden-        Genau die vom Verkehrsgerichtstag in seinem vor-
    ken zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere      genannten dritten Beschlusspunkt gegenüber der
    für eine umfassende Halterhaftung im fließen-       Bundesregierung geäußerte Bitte um Überprüfung
    den Verkehr. Die große Mehrheit fordert jedoch,     „der Dimension der relevanten Fälle“ bildet die
    die Kostentragungspflicht des Halters nach          Grundlage dieses Forschungsprojektes.
    § 25a StVG auf den Bereich der geringfügigen
    Geschwindigkeitsüberschreitungen (Verwar-           Der Deutsche Verkehrsgerichtstag befasst sich seit
    nungsgeldbereich) auszudehnen.“4                    dem Jahr 1975 in regelmäßigen Abständen mit den
                                                        Problemen um die Verantwortung von Fahrzeug-
Drei Jahre danach beschäftigte sich der Arbeits-        haltern für Verstöße, die im ruhenden und im flie-
kreis III. des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages      ßenden Verkehr mit ihren Fahrzeugen begangen
nur am Rande mit der Thematik der Halterhaftung         worden sind. Die fachliche Diskussion begann mit
für Verstöße im fließenden Verkehr, indem er mit-       dem Problemkreis der Halt- und Parkverstöße im
tels eines vorbeugenden Beschlusses empfahl:            ruhenden Verkehr. Im Zuge der zunehmenden Ein-
                                                        flüsse durch Verfahrensvorschriften im benachbar-
„Die Verpflichtung zur Einführung einer Halterhaf-
                                                        ten europäischen Ausland entfachte sich auch in
tung im fließenden Verkehr durch den europäi-
                                                        Deutschland eine Diskussion um eine mögliche
schen Gesetzgeber ist abzulehnen.“5
                                                        Übertragbarkeit ausländischer Regelungen zur
Der 48. Deutsche Verkehrsgerichtstages hatte im         Kostentragungspflicht für Verstöße im fließenden
Januar 2010 den Arbeitskreis I. ausführlich unter       Verkehr auf deutsches Recht.
der Thematik „Halterhaftung in Europa“ mit der Hal-
                                                        Nachdem der Verkehrsgerichtstag lange Jahre zwi-
terhaftung für Verstöße im fließenden Verkehr be-
                                                        schen den beiden Polen der Ablehnung und Befür-
fasst. Drei der insgesamt fünf Beschlüsse des Ar-
                                                        wortung einer echten Halterhaftung respektive
beitskreises behandelten diese Thematik:
                                                        einer Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen-
„2. Im Hinblick auf die Halterhaftung für Verstöße im   den Verkehr schwankte, kristallisierte sich über die
    fließenden Verkehr stellt der Arbeitskreis fest,    Jahre eine vermittelnde Auffassung heraus, die gro-
    dass deren Einführung verfassungsrechtliche         ßen Wert darauf legte, zunächst einmal das Einho-
    Grenzen aufgezeigt sind. So verbietet der unab-     len einer empirischen Datenbasis der Wirklichkeit
    änderliche verfassungsrechtliche Grundsatz          im Bußgeldverfahren zu empfehlen, um auf einer
    „Keine Strafe ohne Schuld“ die strafrechtliche
    oder auch nur strafrechtsähnliche Ahndung
    einer Tat ohne Schuld des Täters. Dies gilt auch
    für Bußgeldverfahren wegen Verstößen im Stra-       3   Beschluss 4. des Arbeitskreises IV. des 39. VGT unter der
    ßenverkehr. Diese Grenzen gelten nach der               o. g. Internetadresse
    Lissabon-Entscheidung des Bundesverfas-             4   Beschluss 2. des Arbeitskreises VI. des 43. VGT unter der
    sungsgerichts auch im Hinblick auf Rechtsakte           o. g. Internetadresse; wenn im ersten Satz von „Halterhaf-
                                                            tung“ gesprochen wird, ist damit die echte Halterhaftung ge-
    der Europäischen Union.                                 meint
                                                        5   Beschluss 6. des Arbeitskreises III. des 46. VGT unter der
3. Nach Ansicht des Arbeitskreises wäre eine Aus-
                                                            o. g. Internetadresse; gemeint ist eine echte Halterhaftung
   dehnung der Kostentragungspflicht nach § 25a         6   Beschlüsse 2., 3. und 5. des Arbeitskreises I. des 48. VGT
   StVG unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit               unter der o. g. Internetadresse; der Beschluss Nr. 5 meint
   grundsätzlich möglich. Die Bundesregierung               die echte Halterhaftung
11

gesicherten Datengrundlage über einen gesetz-                  sungsgericht im Rahmen seines Beschlusses deut-
lichen Handlungsbedarf zu einer Änderung der be-               lich die verfahrensrechtliche Notlage der Bußgeld-
stehenden Rechtsvorschriften zu entscheiden.                   behörden heraus, indem es deren tatsächliche
                                                               Grundlagen ausführlich und wie folgt schilderte:

1.2 Die Kostentragungspflicht des                              „Seit Beginn der 70er Jahre wurde beobachtet, daß
                                                               Halter in zunehmendem Maße ihre Mitwirkung bei
    § 25a StVG und ihre mögliche
                                                               der Ermittlung des Fahrzeugführers versagten. Hal-
    Erweiterung auf Verstöße im                                ter lehnten entweder jede Aufklärung darüber ab,
    fließenden Verkehr                                         wem sie ihren Wagen überlassen hatten und übli-
Die ausschließlich für den ruhenden Verkehr gel-               cherweise zur Verfügung stellten, oder sie beriefen
tende Kostentragungspflicht ist vor dem Hinter-                sich darauf, sich nicht mehr an den für den Tatzeit-
grund der langjährigen Diskussionen des Deut-                  punkt in Betracht kommenden Fahrer erinnern zu
schen Verkehrsgerichtstages im § 25a StVG ge-                  können. In erheblichem Umfang machten Halter
setzlich verankert worden und am 01.04.1987 in                 auch geltend, daß ihr Fahrzeug von einem nahen
Kraft getreten. Die gesetzgeberische Vorgeschichte             Familienangehörigen gefahren werde, dessen
dieser Vorschrift sah allerdings noch eine gebüh-              Namen sie wegen Ausnutzung ihres Schweige-
renrechtliche Kostentragungspflicht für sämtliche              oder Aussageverweigerungsrechts nicht preisge-
Verstöße des ruhenden und des fließenden Ver-                  ben müßten. Andere Halter verwiesen auf Fahrer,
kehrs vor. Der erst im Vermittlungsausschuss aus               die für die Behörden nicht erreichbar sein konnten,
heute nicht mehr ableitbaren Gründen abgelehnte                wie etwa ein angeblich wieder in das Ausland zu-
erste Gesetzentwurf lautete:7                                  rückgekehrter Freund oder ein angeblich unter vie-
                                                               len anderen in Betracht kommender Kaufinteres-
„(1) Ist eine nach § 24 mit Geldbuße bedrohte                  sent.“9
Handlung begangen worden und kann in einem
deswegen eingeleiteten Verfahren der Führer des                Der beschließende Senat des BVerfG konstatierte
Kraftfahrzeugs, der die Zuwiderhandlung begangen               zwar mittels der neuen Regelung des § 25a StVG
hat, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung er-          eine Abweichung von der im Ordnungswidrigkeiten-
mittelt werden oder würde seine Ermittlung einen               recht geltenden Regelung, die Verfahrenskosten
unangemessenen Aufwand erfordern, so werden                    nur demjenigen aufzuerlegen, der die Kosten aus-
dem Halter des Kraftfahrzeugs oder seinem Beauf-               lösende Tat begangen oder deren Verfahrens-
tragten die Kosten des Verfahrens auferlegt; er hat            kosten vorwerfbar verursacht hat. Aber diese Ab-
dann auch seine Auslagen zu tragen.“                           weichung sei durch „das auch sonst im Straßenver-
                                                               kehrsrecht geläufige Zurechnungsprinzip“ gerecht-
                                                               fertigt, dass „der Halter neben dem in erster Linie
1.2.1 Beschluss des Bundesverfassungs-                         verantwortlichen Fahrer für die nachteiligen Folgen
      gerichts zu § 25a StVG                                   einzustehen hat, die durch den Betrieb eines Kfz
                                                               verursacht werden.“10 Auch verstoße die Regelung
Das Bundesverfassungsgericht hat durch Be-
                                                               nicht gegen den Schuldgrundsatz, weil die Kosten-
schluss vom 01.06.1989 (2 BvR 239/88) entschie-
                                                               regelung des § 25a StVG keine „Sanktion im Sinne
den, dass die neue Vorschrift des § 25a StVG ver-
                                                               einer strafähnlichen Maßnahme“11 sei, sondern
fassungsgemäß ist, insbesondere mit dem Rechts-
                                                               erst nach Abschluss des Bußgeldverfahrens und
staatsprinzip sowie den Grundrechten Art. 2 Abs. 1
                                                               ohne eine Zuweisung von Schuld eingreife. Zudem
und Art. 3 Abs. 1 GG im Einklang steht.8 Vor allen
                                                               habe die Kostenregelung auch im Vergleich mit
juristischen Bewertungen stellte das Bundesverfas-
                                                               einer Verwarnung keinen Strafcharakter, weil diese
                                                               als „rein präventive Maßnahme“ einzustufen sei
                                                               und überdies „keinen ethischen Schuldvorwurf“ in
7   BR-Drs. 371/82
                                                               sich trage und aus den vorgenannten Gründen
8   BVerfG, Beschl. v. 01.06.1989 – 2 BvR 239/88, 1205, 1533   „nicht mit einer Kriminalstrafe oder einer vergleich-
    u. 1095/87, NZV 1989, S. 398 ff.                           baren Sanktion gleichgesetzt werden“12 könne.
9  BVerfG, a. a. O.,   S. 398                                  Schließlich beeinträchtige die Kostentragungs-
10 BVerfG, a. a. O.,   ebd.                                    pflicht auch weder das Zeugnisverweigerungsrecht,
11 BVerfG, a. a. O.,   S. 399                                  noch das Schweigerecht eines Halters und wirke
12 BVerfG, a. a. O.,   ebd., auch zum Folgenden                auch nicht als „Zwang zur Selbstbezichtigung“.
12

Das Gericht erwog im Verlauf des Verfahrens unter      1.2.2 Rechtspolitische Diskussion
dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes auch
eine gesetzlich mögliche generelle Kostentra-          Soweit ersichtlich begann die rechtswissenschaft-
gungspflicht der Fahrzeughalter für Verstöße nicht     liche Diskussion um eine mögliche Übertragbarkeit
nur im ruhenden, sondern auch im fließenden Ver-       der Kostentragungspflicht des ruhenden Verkehrs
kehr. Das BVerfG hielt die Haltung des Gesetzge-       auf den fließenden Verkehr im Zuge der Vorberei-
bers für sachlich richtig, aus pragmatischen Grün-     tungen des 31. Deutschen Verkehrsgerichtstages
den auf eine generelle Kostentragungspflicht zu        im Jahr 1992. Erster Protagonist einer Übertragbar-
verzichten, weil dieser mit Rücksicht auf verbesser-   keit war der Ministerialrat BOUSKA. Er hielt es „aus
te ermittlungstechnische Einrichtungen davon aus-      verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Sicht“
gehe, bei Verstößen im fließenden Verkehr hätten       für vertretbar, „die sog. Halterhaftung nach § 25a
die Behörden und Gerichte bessere Möglichkeiten        StVG auch auf Verstöße im fließenden Verkehr zu
zur Aufklärung und damit auch zur Überbürdung          erstrecken“.16 Diese Ansicht wurde, insoweit ergeb-
der Kosten auf den in erster Linie verantwortlichen    nisorientiert und undogmatisch, damit begründet,
Fahrer. Diese Prämisse des BVerfG beruht auf dem       dass eine Übertragung der Kostentragungspflicht
Gedanken, dass die technischen Möglichkeiten der       eine Effektivitätssteigerung der polizeilichen Ver-
Feststellung von Verkehrsverstößen regelmäßig          kehrsüberwachung bewirken würde. Allerdings be-
auch zur Feststellung des Fahrers zum Zeitpunkt        ruhte diese Ansicht BOUSKAS auf einer bloßen
der Tat führen und muss auf deren Gültigkeit im        Wunschvorstellung, die nicht mittels Daten belegt
Rahmen dieser Studie überprüft werden.                 werden konnte.

In den folgenden Jahren war die Regelung des           Die gegnerische Ansicht wurde in demselben Ar-
§ 25a StVG Gegenstand verfassungsgerichtlicher         beitskreis durch HÖRL, eines Vertreters der An-
Rechtsprechung in den Bundesländern, wobei sich        waltschaft, vorgetragen und lehnte eine Übertrag-
die Verfassungsgerichtshöfe regelmäßig der Recht-      barkeit der Kostentragungspflicht auf den fließen-
sprechung des BVerfG anschlossen.13 Der Verfas-        den Verkehr deswegen ab, weil für im fließenden
sungsgerichtshof Berlin betonte das verwaltungs-       Verkehr begangene Verstöße „keinesfalls von re-
praktische Argument, dass die dem Halter auferleg-     gelmäßig geringfügigen Verstößen mit Bagatellcha-
te Kostenlast dem Ziel diene, die Rechtspflege         rakter ausgegangen werden“17 kann und eine Kos-
nicht mit den Kosten eines sachlichen und perso-       tenregelung daher „als Zwang zur Selbstbezichti-
nellen Aufwandes für ein leerlaufendes Verfahren       gung“ (Nemo-tenetur-Grundsatz) wirke, der „die
zu belasten.14 Die Inanspruchnahme des Fahr-           durch Art. 6 Abs. 2 MRK gewährleistete Unschulds-
zeughalters für die Kosten des Verfahrens bezwe-       vermutung“ aushöhle. Diese Ansicht ordnet aller-
cke weder die Ahndung rechtswidrigen Verhaltens,       dings die Verstöße im fließenden Verkehr, insoweit
noch komme sie in tatsächlicher Hinsicht einer sol-    pauschalisierend, jenseits des „Bagatellcharakters“
chen Sanktion gleich. Dem Halter solle der durch       ein, ohne diese Grenze allerdings zu verifizieren
eine ordnungswidrige Kraftfahrzeugbenutzung ver-       oder gar Belege dafür zu erbringen, welche der
ursachte Aufwand in den Fällen auferlegt werden,       zahlreichen Delikte des fließenden Verkehrs mit
in denen Verkehrsverstöße gegen seinen Willen mit      dieser Klassifizierung gemeint sind.
vertretbarem Aufwand typischerweise nicht aufge-
                                                       Die in den folgenden Jahren der Diskussion dog-
klärt werden können. Die Vorschrift des § 25a StVG
                                                       matisch am weisteten von HÖRL entfernte Gegen-
greife auch erst zu einem Zeitpunkt ein, wenn das
                                                       position wird von dem Ordinarius für Öffentliches
Bußgeldverfahren durch Einstellung oder durch
Freispruch abgeschlossen sei. Eine Entscheidung,
wer für den Verkehrsverstoß verantwortlich sei,
werde nicht mehr getroffen, eine Zuweisung von
                                                       13 Vgl. dazu näher MÜLLER, in: BACHMEIER, MÜLLER,
Schuld finde nicht statt.
                                                          STARKGRAFF, § 25a StVG Rn. 2
                                                       14 VerfGH Berlin, Beschl. v. 13.04.2005 – 37/02, juris; mit der-
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sach-
                                                           selben Argumentation Bayerischer VerfGH, Beschl. vom
sen betonte zudem, dass die Mitverantwortlichkeit          21.06.2010 – Vf. 69-VI-08, juris
des Halters für den Betrieb seines Fahrzeugs und       15 VerfGH Sachsen, Beschl. v. 29.03.2010 – Vf. 133-IV-09,
für die dadurch verursachten Verkehrsverstöße der         http://www.verfassungsgerichtshof.sachsen.de/index.php
ausschließliche Grund dieser Kostenbelastung           16 BOUSKA, S. 132
sei.15                                                 17 HÖRL, S. 143, auch zum Folgenden
13

Recht und Verfassungsrecht MANSSEN vertreten,                   Der zweite Argumentationsstrang HÖRLS, ein
der darlegt, dass das Schuldprinzip, die Unschulds-             möglicher Verstoß einer Kostentragungspflicht für
vermutung und der Nemo-tenetur-Grundsatz im                     Verstöße im fließenden Verkehr gegen die Un-
Ordnungswidrigkeitenrecht nur in „sehr abge-                    schuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK nahm
schwächter Weise“ gelten.18 Aufgrund dieser dog-                eine Anleihe im Europarecht, darf aber aus heutiger
matischen Basis gelangt er zu dem Schluss, dass                 Sicht als widerlegt betrachtet werden, nachdem der
die Sanktionierung von Verkehrsverstößen im Ord-                Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im
nungswidrigkeitenverfahren „außerhalb des An-                   Verfahren Krumpholz/Österreich über die Rechts-
wendungsbereichs des Schuldprinzips“ erfolge.19                 lage in Österreich zu entscheiden hatte.22 Der
Vor diesem Hintergrund sei sogar eine echte Hal-                EGMR entschied in dem vorliegenden Verfahren
terhaftung verfassungsrechtlich zulässig, weil diese            über die beiden in einem engen sachlichen Zusam-
im Bußgeldbereich keinen Strafcharakter in sich                 menhang stehenden Prozessgrundrechte Art. 6
trage, sondern dem Polizeirecht näher stehe als                 Abs. 1 (Recht zu schweigen und sich nicht selbst
dem Strafrecht. Die im Vergleich zu MANSSEN völ-                bezichtigen zu müssen) sowie Art. 6 Abs. 2 (Un-
lig konträre und insoweit singulär gebliebene Ge-               schuldsvermutung) gemeinsam. Der EGMR ent-
genposition wurde von dem damaligen Rechtsan-                   schied zu der Vorschrift des § 103 Abs. 2 ÖstKraft-
walt NOTTHOFF vertreten, der dem Ordnungswid-                   fahrzeugG mit dessen Verpflichtung des Halters, zu
rigkeitenrecht sogar einen strafenden Rechtscha-                einem polizeilich festgestellten Verkehrsverstoß im
rakter beimaß und vor diesem Hintergrund in einer               fließenden Verkehr den Fahrer anzugeben, „dass
Kostentragungspflicht eine Ahndung sah.20                       es nicht notwendig Art. 6 EMRK verletzt, wenn aus
                                                                dem Schweigen eines Angeklagten nachteilige
Der erste öffentliche Streit zwischen BOUSKA und                Schlüsse gezogen werden“.23 Wenn aber eine Ver-
HÖRL zu Beginn der 90er Jahre war eher grund-                   fahrensvorschrift des österreichischen Ordnungs-
sätzlicher Natur und lotete die vorangegangene                  rechts, in deren Auslegung ein der Aussagever-
Entscheidung des BVerfG aus Sicht beider Prota-                 pflichtung nachfolgendes Schweigen eines Fahr-
gonisten nicht in ihrem gesamten Umfang und in                  zeughalters nachteilig ausgelegt werden darf, als
ihrer dogmatischen Tiefe aus, insbesondere nicht                europarechtsgemäß eingeschätzt wird, kann auch
deren verfassungsrechtliche Klassifizierung der                 das Auferlegen von Verfahrenskosten im Rahmen
Verstöße des fließenden Verkehrs im Bereich des                 einer etwaigen deutschen Kostentragungspflicht für
Verwarnungsgeldes als Kategorie jenseits des                    Verstöße im fließenden Verkehr und die damit di-
Schuldprinzips. Diese das Schuldprinzip nicht                   rekt verbundene Möglichkeit, die Kostentragungs-
tangierende Einordnung des Verwarnungsverfah-                   pflicht durch vorangehende Aussage über den tat-
rens geht zurück auf eine Grundsatzentscheidung                 sächlichen Fahrer abzuwenden, nicht als potenziel-
des Bundesverwaltungsgerichts, das die Bedeu-                   ler Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK ange-
tung des Verwarnungsverfahrens sowie der „dem                   sehen werden. Diese europarechtliche Einschät-
Verwarnungsverfahren zugänglichen Verkehrsord-                  zung wird bestätigt durch eine weitere zeitlich vor-
nungswidrigkeiten“ in den „äußersten Bagatell-                  angegangene Entscheidung des EGMR, die in der
bereich“ einordnete.21                                          Sache O'Halloran und Francis/Vereinigtes König-
                                                                reich erging.24 In diesem Fall wandten sich die Klä-
                                                                ger gegen die Regelung des britischen Verkehrs-
                                                                rechts aus § 172 Road Traffic Act mit seiner Mög-
18 MANSSEN, S. 30                                               lichkeit, den Halter eines Fahrzeugs nach dem Fah-
19 MANSSEN, ebd., auch zum Folgenden                            rer zu einem bestimmten Tatzeitpunkt eines Ver-
20 NOTTHOFF, S. 100                                             kehrsverstoßes zu befragen und seine Antwort im
21 BVerwG Urt. v. 18.05.1973 – VII C 12.71, BVerwGE 42, 206     Gerichtsverfahren zu seinen Lasten zu verwenden.
   (208)                                                        Auch in diesem Fall sah der EGMR keinen Verstoß
22 EGMR Urt. v. 18.03.2010 – 13201/05, NZV 2011, S. 147 ff.
                                                                der britischen Verfahrensvorschrift gegen Art. 6
23 EGMR, a. a. O., S. 148
                                                                Abs. 1 EMRK.25
24 EGMR Urt. v. 29.06.2007 – 15809/02 und 25624/02, NJW
   2008, S. 3549 ff.                                            Beide neueren und in der Sache bei zwei verschie-
25 EGMR, a. a. O., S. 3553; diese Entscheidung wird aus an-
                                                                denen Regelungen aus zwei Vertragsstaaten der
   waltlicher Sicht lediglich in ihrem Ergebnis beklagt, ohne
   juristische Gegenargumente zu benennen, von NISSEN,          EU inhaltlich übereinstimmenden Entscheidungen
   S. 25 f.                                                     des EGMR legen den Schluss nahe, die Idee der
14

Aufnahme einer Auskunftsverpflichtung in das deut-      Als Gegenpart begründete REDEKER aus polizei-
sche Verfahrensrecht des StVG oder in das OWiG          licher Sicht sein Eintreten für eine Ausweitung der
nochmals inhaltlich zu prüfen.26 Diese Regelung         Kostentragungspflicht insbesondere mit einem auf-
könnte als Alternative oder kumulativ verstärkende      wändigen Personal- und Kosteneinsatz, der in zahl-
Regelung mit einer Kostentragungspflicht geschaf-       reichen Fällen einen forensisch sicheren „Nachweis
fen werden, bedarf aber noch einer näheren Abwä-        der Fahrerverantwortung“ nicht erbringe.30
gung mit den geltenden Regelungen des Verfah-
rensrechts im Bußgeldverfahren, insbesondere der        Der Vertreter der Anwaltschaft FELTZ konstatierte,
Erwägung zwischen Verstößen im Bereich des Ver-         dass eine Kostentragungspflicht zumindest nicht
warnungsgeldes und Verstößen im Bereich des             gegen den Grundsatz „nulla poena sine culpa“ ver-
Bußgeldes zu differenzieren. Eine präventive Wir-       stoße und daher keine verfassungsrechtlichen Be-
kung könnte einer solchen Auskunftsverpflichtung        denken zum Tragen kämen.31 Dennoch lehnte
jedoch nicht von vornherein abgesprochen werden,        auch FELTZ eine Ausweitung des § 25a StVG auf
weil es sich um eine für den Fahrzeughalter unbe-       Verstöße im fließenden Verkehr ab, weil dies nach
queme Verpflichtung handeln würde, die ihn zu           seiner Auffassung gegen den aus §§ 105 OWiG,
einer bewussten Vergabe der Verfügungsgewalt            467, 467a StPO ableitbaren Grundsatz verstoße,
über sein Fahrzeug an verantwortungsbewusst             einem Betroffenen, der als unschuldig anzusehen
handelnde Fahrer veranlassen könnte.                    sei, die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
                                                        Zudem befürchtete der Rechtsanwalt, dass die
Mitte der 90er Jahre griff die Ständige Konferenz       Bußgeldbehörden angesichts einer Kostentra-
der Innenminister und Innensenatoren der Länder         gungspflicht auf Versuche verzichten würden, einen
und des Bundesministers des Innern (IMK) das            Fahrer mittels Überwachungstechnik und Folge-
Thema der Halterhaftung im Rahmen der Fort-             maßnahmen zu ermitteln und lieber gleich einen
schreibung des Programms Innere Sicherheit auf          Kostenbescheid erlassen würden.32 Dieses verwal-
und empfahl die Einführung einer echten Halterhaf-      tungspraktische Argument berührt die bereits ge-
tung nach dem österreichischen Vorbild.27               genüber der tatsächlichen Handhabung des gelten-
                                                        den § 25a StVG von SUHREN, einem Rechtsan-
Im Rahmen der Diskussionen des 39. Deutschen            walt, aufgeworfene Frage des angemessenen Auf-
Verkehrsgerichtstages lehnte der Ministerialbeamte      klärungsaufwandes.33 Der Autor beantwortet diese
ALBRECHT die Übertragbarkeit der Kostentra-             Frage zu einem vertretbaren Ermittlungsaufwand
gungspflicht auf den fließenden Verkehr ab, weil        allerdings nur für Verstöße im ruhenden Verkehr,
nach seiner Auffassung im fließenden Verkehr fest-      indem er nach einer Übersendung des Anhörungs-
gestellte Verstöße lediglich „mit einer Einstellungs-   bogens innerhalb einer Frist von zwei Wochen wei-
quote zwischen 1 % und höchstens 5 %“ zu Buche          tere Ermittlungsmaßnahmen der Bußgeldbehörde
schlagen würden und daher diese Situation „nicht        für verzichtbar hält, wenn die Anhörungsfrist frucht-
annähernd vergleichbar“ sei mit der tatsächlichen       los verstreicht. Ebenfalls beschränkt auf das
Situation vor Einführung des § 25a StVG.28 Zudem        Thema der Verstöße im ruhenden Verkehr geht der
trage eine solche Ausweitung der Kostentragungs-
                                                        Richter ROGOSCH davon aus, dass der behörd-
pflicht nicht zu einer Verbesserung der Prävention
                                                        licherseits einzusetzende Ermittlungsaufwand nicht
bei.29 Die in den Raum gestellte Einstellungsquote
                                                        mit dem von § 31a StVZO geforderten Ermittlungs-
wird allerdings vom Autor nicht mit statistischen
                                                        aufwand für das Auferlegen einer Fahrtenbuchauf-
Daten von Bußgeldbehörden belegt und auch seine
weitere These einer die Prävention nicht steigern-
den Wirkung der Kostentragungspflicht wird argu-
mentativ nicht durch die Evaluationsergebnisse von      26 Ebenfalls empfohlen von MANSSEN, S. 30
Befragungen betroffener Fahrzeugführer belegt. Da       27 IMK, S. 32
der Autor in seiner Funktion als Mitarbeiter des        28 ALBRECHT, Strategien, S. 135, auch zum Folgenden
Bundesministeriums für Verkehr zum VGT eingela-         29 A. A. NOTTHOFF, S. 99, der sich von einer Verschärfung
den wurde und keine verfassungsrechtlichen Argu-           der Halterhaftung eine „starke Abschreckungswirkung“ ver-
mente mehr gegen eine Kostentragungspflicht be-            spricht
nennt, darf die Frage der Verfassungsmäßigkeit          30 REDEKER, S. 158
einer Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen-    31 FELTZ, S. 164, auch zum Folgenden
den Verkehr seitens des BMV seit diesem Zeitpunkt       32 FELTZ, S. 166, im Anschluss an REDIGER, K., S. 96
als positiv geklärt betrachtet werden.                  33 SUHREN, S. 54, auch zum Folgenden
15

lage verglichen werden könne.34 Die Fahrtenbuch-              konstruktiv beizutragen, wenn er allein durch ab-
auflage sei zum Einen gegenüber einem einmali-                wartende Untätigkeit die kostengünstige Alternative
gen Kostenbescheid eine wesentlich tiefer ein-                einer geringen Verwaltungsgebühr ergreifen
schneidende Maßnahme und beziehe sich zum An-                 könne.36 Dies dürfte in der Tat zahlreiche Fahr-
deren sowohl auf Verstöße des ruhenden wie auch               zeughalter von einer Mitwirkung an der Ermittlung
des fließenden Verkehrs.                                      des Fahrers abhalten, jedoch ist diese Taktik be-
                                                              reits unter der heutigen Gesetzeslage bei zahlrei-
Die Argumente beider Autoren sind vor dem Hinter-             chen Adressaten von Anhörungsbögen und Zeu-
grund vielfältiger Maßnahmen zur Steigerung der               genbefragungen bewährt, ohne allerdings das Auf-
Arbeitseffektivität im Verwaltungsbereich nicht von           erlegen von Verfahrenskosten für die im fließenden
der Hand zu weisen und müssten im Rahmen einer                Verkehr begangenen Verstöße befürchten zu müs-
Gesetzesreform berücksichtigt werden. Dies könn-              sen. Insoweit wäre eine Kostentragungspflicht ent-
te geschehen, indem z. B. vor dem Erlass eines                gegen dieser Ansicht dennoch als, wenn auch ge-
Kostenbescheides in jedem von der Qualität des                ringer Fortschritt zu bewerten, weil der Fahrzeug-
Beweisfotos her geeigneten Fall die im Ergebnis er-           halter mittels des Leistungsbescheides zumindest
folglose Ermittlungsmaßnahme eines Lichtbildab-               eine staatliche Reaktion erfährt, die das Potenzial
gleichs zu fordern wäre. Auf diese Weise bestünde             in sich trägt, nochmals über den zugrunde liegen-
die von REDIGER beschworene Gefahr, „den Ver-                 den Verkehrsverstoß nachdenken zu müssen und
folgungsorganen praktisch eine Wahl zwischen                  sich erst mit dem praktischen Vorgang der Zahlung
Ahndung oder Kostenhaftung zu ermöglichen“ nicht              der Verfahrenskosten endgültig dieses Verfahrens
mehr.35                                                       entledigen zu können. Damit wäre ein grundlegen-
                                                              des Ziel der Präventionsarbeit erreicht.
Gerade die Argumentation von ROGOSCH mit der
wichtigen Parallele des einzusetzenden Ermitt-                Als letztes und seiner Ansicht nach durchschlagen-
lungsaufwandes bei der Anwendung des § 31a                    des Argument befürchtet FELTZ als Folge einer
StVZO im Vergleich zur Regelung des § 25a StVG,               Ausweitung der Kostentragungspflicht eine Beein-
bevor es zu einem Kostenbescheid kommt, ist für               trächtigung von Schweige- und Zeugnisverweige-
diese Studie bestens verwertbar, weil der im Rah-             rungsrecht der Fahrzeughalter, wobei er die Gefahr
men einer Fahrtenbuchauflage einzusetzende Er-                umso größer einschätzt, je höher die Verwaltungs-
mittlungsaufwand potenziell auch für die Behörden-            gebühr im Bereich des für den festgestellten Ver-
praxis einer denkbaren Kostentragungspflicht für              kehrsverstoß festzusetzenden Bußgeldes ausfallen
Verstöße im fließenden Verkehr gefordert werden               würde.37 Auch dieses Argument ist – jenseits der
könnte. Mit guten Gründen könnte man diesem Ar-               verfassungsrechtlich geklärten Fragen um Schwei-
gument aber auch entgegnen, dass bei Verstößen                ge- und Zeugnisverweigerungsrecht – bedenkens-
im fließenden Verkehr, die sich im Bereich eines              wert. Dieser Gefahr einer den Charakter einer
Verwarnungsgeldes bewegen und damit den Ver-                  Sanktion einnehmenden Verwaltungsgebühr kann
stößen im ruhenden Verkehr vergleichbar eingeord-             jedoch begegnet werden, indem die mögliche Ge-
net sind, ein Ermittlungsaufwand wie bei einer                bühr durch den Gesetzgeber auf bestimmte Ober-
Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig hoch wäre.               grenzen gedeckelt wird und für Verfahren mit dem
                                                              Gegenstand einer Ordnungswidrigkeit im Bereich
Auch ein weiteres Argument bedarf einer kritischen
                                                              des Verwarnungsgeldes den Bereich des jeweils
Erörterung, wenn FELTZ aus dem Blickwinkel eines
                                                              untersten Bußgeldbetrages des Bußgeldkataloges
potenziellen Adressaten eines Leistungsbeschei-
                                                              nicht erreichen darf.
des zu bedenken gibt, ein Halter sähe sich nicht
veranlasst, zur Ermittlung des betreffenden Fahrers           Wenn der Rechtsanwalt SCHÄPE, ebenfalls unter
                                                              Hinweis auf ein Aushebeln des Zeugnisverweige-
                                                              rungsrechts und einem „Zwang zur Selbstbezichti-
                                                              gung“, generell feststellt, dass geltendes Verfas-
34 ROGOSCH, S. 219, auch zum Folgenden                        sungsrecht eine Ausdehnung der Kostentragung
35 REDIGER, ebd.                                              auf den fließenden Verkehr verbiete, so kann dem
36 FELTZ, S. 167, das Argument wird auch aufgegriffen durch   nicht beigepflichtet werden.38 Das Argument pau-
   SCHÄPE, S. 239                                             schalisiert auf unzulässige Weise und verwischt die
37 FELTZ, S. 168                                              vom OWiG in dessen §§ 56 ff. sowie in § 4 StVG
38 SCHÄPE, S. 239                                             durch das Eingreifen des Punktsystems trennscharf
16

gestalteten Grenzen zwischen dem Verwarnungs-                  berücksichtigt werden. Bemerkenswert ist es, dass
verfahren und dem Bußgeldverfahren.39 Es nivel-                BRENNER eine derart gestaltete Kostentragungs-
liert zudem die differenzierende Betrachtungswiese             pflicht inhaltlich für das gesamte Bußgeldverfahren,
von BVerfG und BVerwG, die im Verwarnungsver-                  also auch für Beträge im Bereich des über das
fahren ein Verfahren eigener Art sehen, das „Ver-              Punktsystem des StVG im VZR eintragungspflichti-
stöße dieser Art im Einverständnis mit dem Betrof-             gen Bußgeldes für vereinbar mit den verfassungs-
fenen ohne genaue Aufklärung des Sachverhalts in               rechtlichen Vorgaben hält.45 Er hegt lediglich, aller-
einem vereinfachten Verfahren erledigt, ohne dass              dings auf bloßen Vermutungen beruhende, Zweifel
dabei eine Entscheidung über das Vorliegen einer               an der Praktikabilität einer Kostenregelung im Lich-
Ordnungswidrigkeit getroffen wird“40, sodass eine              te des Präventionsgedankens.46
Verwarnung keine Vergeltung bezweckt und „sich
vor allem dadurch wesensmäßig von der Strafe“41                Diese verfassungsrechtliche Bewertung von
unterscheidet. Vor diesem Hintergrund kann es                  BRENNER erging angesichts eines vergeblichen
nicht um dogmatische Begriffe wie Zeugnisverwei-               Versuches der Europäischen Kommission, die echte
gerungsrecht und Selbstbezichtigung gehen, die                 Halterhaftung mittels des Rechtsaktes einer „Richt-
eng mit dem Schuldprinzip verbunden sind.42                    linie des Europäischen Parlaments und des Rates
Ebenfalls berücksichtigt SCHÄPE nicht die ein-                 zur Erleichterung der grenzübergreifenden Durch-
schlägige Rechtsprechung des EGMR sowie des                    setzung von Verkehrssicherheitsvorschriften“ in der
BVerfG.                                                        gesamten Europäischen Union zu verankern.47 Tat-
                                                               sächliche Grundlage dieses aus Gründen mangeln-
Auch der Ordinarius für Öffentliches Recht und Ver-            der Zuständigkeit gescheiterten Rechtsaktes waren
fassungsrecht BRENNER vermag in einer Kosten-                  die mit statistischem Datenmaterial aus Frankreich
tragungspflicht im Lichte der Lissabon-Entschei-               und den Niederlanden belegten hohen Zahlen von
dung des Bundesverfassungsgerichts keinen Ver-                 Verkehrsverstößen ausländischer Fahrer in diesen
stoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 79                 beiden Staaten, die aus Sicht der Europäischen
Abs. 3 i. V. m. Art. 20 GG zu sehen, wenn eine Kos-            Kommission den Schluss nahe legten, dass auslän-
tentragungspflicht nicht mit einer Zuweisung von               dische Fahrer allein aus dem Grund häufiger Ge-
Schuld verbunden ist.43 Dazu bedürfe es einer                  schwindigkeitsverstöße begehen als Inländer, weil
Kostenregelung, die zwei Voraussetzungen erfüllen              diese nur dann geahndet werden, wenn die Ge-
müsse, nämlich nicht als strafähnliche Maßnahme                schwindigkeitsmessung mit einer polizeilichen An-
ausgestaltet zu sein und einer Strafe auch nicht               haltekontrolle verbunden ist. Diese These der Euro-
gleichzukommen.44 Diese beiden beachtlichen Vor-               päischen Kommission kann auf der Grundlage der
gaben könnten jedoch durch eine moderate Höhe                  folgenden Studie teilweise überprüft werden.
der anzusetzenden Verfahrenskosten angemessen
                                                               Aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist
                                                               aus der jüngsten Zeit noch der Beitrag des Staats-
                                                               anwalts MILKE zu benennen, der die beiden zitier-
39 Das Argument wird aus denselben Gründen ebenfalls abge-     ten Entscheidungen des EGMR sowie diejenigen
   lehnt von BLINDENBACHER/KUIJTEN, S. 15                      des BVerfG im Zusammenhang mit den Ergebnis-
40 BVerwG Urt. v. 18.05.1973 – VII C 12.71, juris              sen einer vom ADAC im Juni 2009 veranstalteten
41 BVerfG Beschl. v. 04.07.1967 – 2 BvL 10/62, NJW 1967,       Rechtskonferenz bewertet. Er kommt dabei in
   S. 1748 (1749)                                              Übereinstimmung mit BRENNER zu dem Ergebnis,
42 Mit ähnlicher Argumentation ablehnend gegenüber der
                                                               dass eine Kostentragungspflicht im deutschen
   Argumentation von SCHÄPE vgl. de VRIES, S. 256; eine
   bloße Wiederholung der Argumente von SCHÄPE bringt          Recht verfassungsgemäß wäre.48
   NISSEN, S. 28 „aus Sicht des ADAC“
43 BRENNER, S. 7; BVerfG Urt. v. 30.06.2009 – 2 BvE 2/08,
     NJW 2009, S. 2267 ff.
                                                               1.2.3 Reformvorschläge
44 BRENNER, ebd.
                                                               Vor dem Hintergrund dieser langjährigen Diskus-
45 Ebenso MANSSEN, S. 30
                                                               sion darf es angesichts höchstrichterlicher Recht-
46 BRENNER, ebd., gegen ihn BLINDENBACHER/KUIJTEN,
                                                               sprechung und deren zustimmende Kommentie-
   S. 20 mit positiven praktischen Auswirkungen der echten
   Halterhaftung auf das Verkehrsverhalten in den Niederlan-   rung bzw. Auslegung durch MILKE, BRENNER und
   den                                                         MANSSEN als geklärt angesehen werden, dass
47 KOM (2008) 151 endgültig (sog. „Enforcement-Richtlinie“)    eine Kostentragungspflicht für Verstöße im fließen-
48 MILKE, S. 20                                                den Verkehr hinsichtlich Schuldprinzip, Unschulds-
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vermutung und Nemotenetur-Grundsatz keine                Als in Grundzügen geklärt darf die Frage der juris-
ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken              tischen Gestaltung einer Kostentragungspflicht an-
mehr erfährt. Voraussetzung dieser h. M. in Recht-       gesehen werden. Da mit der Vorschrift des § 25a
sprechung und Literatur ist, dass mit der Regelung       StVG bereits eine einschlägige Regelung für den
der Kostentragungspflicht keine Schuldzuweisung          ruhenden Verkehr existiert, könnte diese Vorschrift
verbunden ist.                                           um eine Regelung für den fließenden Verkehr er-
                                                         gänzt oder erweitert werden.
Eine darüber hinausgehende Ansicht vertritt ledig-
lich MANSSEN, der sogar eine echte Halterhaftung         Einig ist sich die Literatur in dem Punkt, dass eine
nach dem Modell der Niederlande für verfassungs-         solche Regelung in jedem Fall – und insoweit an-
gemäß hält. Nach dieser Auffassung wäre sogar            gelehnt an die Auslegung des § 31a StVZO durch
eine europaweite Vollstreckung von in anderen            die Verwaltungsgerichtsbarkeit – vor dem Erlass
EU-Staaten begangenen und nach den Grundsät-             eines Leistungsbescheides gegenüber dem Fahr-
zen der echten Halterhaftung ermittelten Verstößen       zeughalter konkrete Ermittlungsbemühungen der
in Deutschland verfassungsgemäß.49 Tatsächlich           Bußgeldbehörde vorsehen sollte. Ein mehrstufiges
darf eine gewisse indizielle Wechselwirkung einer        Ermittlungsverfahren ist bereits heute üblich, wobei
etwaigen Kostentragungspflicht für Verstöße im flie-     geklärt werden müsste, welche gesetzlich zu for-
ßenden Verkehr für die europaweite Vollstreckung         dernden Ermittlungsbemühungen vor dem Hinter-
nach dem Gesetz über die internationale Rechts-          grund knapper Personalressourcen in der Verwal-
hilfe in Strafsachen (IRG) nicht abgesprochen wer-       tung und des damit verbundenen Einsatzes von öf-
den, wenn die Vollstreckungsersuchen aufgrund            fentlichen Haushaltsmitteln schlechterdings verant-
der echten Halterhaftung erfolgen. Im Übrigen hal-       wortbar sind.
ten bereits zwei Oberlandesgerichte die Vollstre-
ckung einer Geldsanktion, die in einem Mitglied-         Für die mögliche Höhe der festzusetzenden Ge-
staat der EU aufgrund einer echten Halterhaftung         bühr ergibt sich derzeit nach der für die Kostentra-
gegen eine juristische Person verhängt worden ist,       gungspflicht im ruhenden Verkehr einschlägigen
auf der Grundlage des § 87b Abs. 3 IRG für verfas-       Regelung des § 107 Abs. 2 OWiG ein Betrag i. H. v.
sungsgemäß.50 Dabei stützt sich das OLG Köln auf         20 Euro. Diese vergleichsweise geringe Gebühr
die Argumentation, dass die Bundesrepublik               wäre selbst bei dem höchstmöglichen Abstandsver-
Deutschland für die Fälle verschuldensunabhängi-         stoß (nach lfd. Nr. 12.6.5 BKat beträgt das Bußgeld
ger Haftung den verfassungsrechtlichen Bedenken          bei weniger als 1/10 des halben Tachowertes
ausreichend dadurch Rechnung getragen hat, dass          genau 400 Euro) anzusetzen. Hinzu treten bei der
in § 87b Abs. 3 Ziff. 9 IRG für den Fall ein Zulässig-   obligatorischen Zustellung des Leistungsbeschei-
keitshindernis geschaffen worden ist, dass ein Be-       des noch die Auslagen für die Zustellung i. H. v.
troffener gegenüber dem Bundesamt für Justiz gel-        derzeit 3,50 Euro (§ 107 Abs. 3 Nr. 2 OWiG), mithin
tend macht, er habe im ausländischen Verfahren           ergäbe sich im Regelfall ein Gesamtbetrag i. H. v.
nicht einwenden können, für die Handlung nicht           23,50 Euro. Wenn man die etwas höhere Gebühr
verantwortlich zu sein.                                  für den Erlass eines Bußgeldbescheides gem.
                                                         § 107 Abs. 1 OWiG ansetzen wollte, die derzeit mit
Zusätzlich kann von einem Betroffenen auch noch          25 Euro zu Buche schlägt, käme man zu einem Ge-
gegenüber einer stattgebenden Vollstreckungsent-         samtbetrag i. H. v. 28,50 Euro für einen Leistungs-
scheidung des Bundesamtes für Justiz (dem Bewil-         bescheid für die Verfahrenseinstellung. Erst bei
ligungsbescheid) als nationaler Vollstreckungsbe-
hörde gem. § 87 f. Abs. 4 IRG Einspruch eingelegt
werden.51 Falls ein Betroffener jedoch im Aus-
                                                         49 A. A. FUNKE, S. 363 unter Darstellung des Meinungsstreits
gangsverfahren beim Bundesamt für Justiz trotz
                                                            zwischen den EU-Vertragsstaaten mit echter Halterhaftung
seiner Möglichkeit, rechtliches Gehör zu erhalten,          auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite
geschwiegen hatte, kann er Einwände gegenüber            50 OLG Köln Beschl. v. 21.05.2012 – 2 SsRs 2/12, JurionRS
einer Halterhaftung in dem Rechtsbehelfsverfahren           2012, 34766 (= NZV 2012, S. 450 ff.); OLG Düsseldorf
gegenüber dem Bewilligungsbescheid nicht mehr               Beschl. v. 09.02.2012 – III – 3 AR 6/11, JurionRS 2012,
                                                            12011 (= BeckRS 2012, 07346); zustimmend
geltend machen. Der Kernbereich des Rechts-                 JOHNSON/LOROCH, S. 255, RIEDMEYER, S. 21
staatsprinzips wird durch die nachfolgende Voll-         51 Vgl. zu dieser Rechtsschutzmöglichkeit        ausführlich
streckung gegenüber einem solcherart handelnden             KRUMM, Geldsanktionen, S. 1 ff.
Betroffenen jedenfalls nicht verletzt.52                 52 OLG Köln, a. a. O., ebd.
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