Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges
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Impressum Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Bestellungen Schriftlich an den Herausgeber Postfach 30 02 35 53182 Bonn Tel.: 01805 - 262 302 Fax: 01805 - 262 303 (0,14 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz) E-Mail: books@bmbf.bund.de Internet: http://www.bmbf.de oder http://www.biotechnologie.de Redaktion und Gestaltung biotechnologie.de, Berlin Druckerei DruckVogt GmbH, Berlin Bonn, Berlin 2007 Bildnachweise Umschlag: Getty Images Industrielle Biotechnologie: BRAIN AG, GSF, Fotolia, MWG Biotech AG Anwendungsbeispiele: Fotolia, Henkel KGaA, Grafiker Heinz Fehling, Hanspeter Helfer und Peter Philippsen (Basel, CH), MWG Biotech AG, Fotolia, Kim Langille (New Brunswick, Canada), Fotolia, MWG Biotech AG Grundlagen: Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, Fonds der Chemischen Industrie, Rolf Müller (Saarbrücken), Combinature Biotech AG, BAYER AG Technologien: Matthias Peter ETH (Zürich), BRAIN AG, Nedeljko Budisa (München), GSF, transkript Bioreaktoren: BASF AG, Greenovation, Industrielle Produktion: BASF AG, Canola Views Image Library, DASGIP, Fotolia
2 VORWORT Vorwort Wir nutzen die Chancen und das hohe Innovationspotenzial der Weißen Biotechnologie. Wir vergessen dabei aber nicht, mögliche Risiken durch intensive Forschung erkennen und besser bewerten zu können. Deshalb werden wir die Förderung der Weißen Biotechnologie in den nächsten Jahren ausbauen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat dafür zwei neue Förderinitiativen ins Leben gerufen: Die Initiative BioIndustrie 2021 ist eine erste Maßnahme, mit der zukünftig Ideen aus Hochschulen und Forschungsins- tituten mit Beteiligung der Wirtschaft schneller in Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen einfließen werden. Wir werden in den nächsten Jahren aber auch die Genom- forschung und die Systembiologie an Mikroorganismen weiter ausbauen. Sie sind die Basis für Entwicklungen von neuen Forschungsansätzen in der industriellen Biotechnologie. Mit der Förderinitiative Geno-Mik Plus sollen Mikroorganismen mit Relevanz für industrielle Anwendungen mit den Methoden der Genomforschung untersucht und für Produktionsprozesse optimiert werden. Die Weiße Biotechnologie gewinnt zunehmend an Bedeutung Mit den Förderinitiativen BioIndustrie 2021 und Geno- für unser Leben: Chemische Prozesse werden durch den Einsatz Mik Plus setzt das BMBF im Sinne der Hightech-Strategie eine von Mikroorganismen, Enzymen oder anderen Produktions- Innovationspolitik aus einem Guss um. Unser Ziel muss es sein, systemen optimiert oder ersetzt. Das Zukunftsfeld Biotechno- die deutsche Bioindustrie auch bei Beschäftigung und Umsatz logie beeinflusst schon heute Produkte und Prozesse in vielen zum Spitzenreiter in Europa zu machen. Branchen substanziell. Diese Broschüre bietet einen Streifzug durch die faszinie- Die Weiße Biotechnologie birgt viel versprechende Wachs- rende Welt der Weißen Biotechnologie. Informieren Sie sich tumspotenziale für ökonomisch bedeutende Industriezweige. über laufende Fördermaßnahmen und Projekte und bekom- Wir versprechen uns von ihr aber auch Lösungswege für viele men Sie eine Vorgeschmack auf das, was die Weiße Biotechno- drängende Fragen unserer Zeit. Die Bundesregierung setzt logie möglich machen wird. deshalb auf den Ausbau dieser zukunftsweisenden Techno- logie. Im Rahmen der Hightech-Strategie für Deutschland stellen wir in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 Millionen Euro an Fördermitteln allein für die Weiße Biotechnologie zur Verfügung. Mit zusätzlichen Mitteln aus der Wirtschaft sollen Forschungs- und Entwicklungsprojekte in einem Gesamtvolu- Dr. Annette Schavan, MdB men von mehr als 250 Millionen Euro finanziert werden. Bundesministerin für Bildung und Forschung
INHALT 3 Inhalt Vorwort........................................................................................02 Technologien zur Optimierung von Mikroorganismen und Enzymen .................................. 27 Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie ......................................................04 Designer Bugs ............................................................................. 27 Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie ..04 Metabolic Pathway Engineering .............................................. 28 Weiße Biotechnologie in Deutschland....................................05 Gelenkte Evolution..................................................................... 29 Weiße Biotechnologie ........................................................06 Enzymoptimierung – Protein Engineering ............................. 29 Biotechnologie – Begriffsdefinition ......................................... 07 Bioprospektion ........................................................................... 29 Entstehung der Weißen Biotechnologie ................................ 07 Genome und Metagenome .......................................................30 Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie .. 10 Synthetische Biologie .................................................................31 Wasch- und Reinigungsmittel ................................................. 10 Bioreaktoren und Prozess-Design ............................... 33 Antibiotika ...................................................................................12 Industrielle Produktion ..................................................... 35 Vitamine .......................................................................................13 Technische Enzyme .................................................................... 35 Hormone ......................................................................................14 Biotechnologische Feinchemikalien- und Spezialchemikalienproduktion ...............................................36 Enzyme als Therapeutika und Diagnostika ............................ 15 Bulkprodukte .............................................................................. 37 Lebensmittelindustrie ............................................................... 15 Bioraffinerie ............................................................................... 38 Nutraceuticals, Prä- und Probiotika .........................................17 Weiterführende Literatur.................................................40 Enzyme als Futtermittelzusätze ............................................... 18 Glossar ...........................................................................................41 Textil-, Leder- und Papierindustrie........................................... 18 Agrochemikalien ....................................................................... 19 Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff .......................21 Biopolymere .................................................................................21 Grundlagen der Weißen Biotechnologie ................ 23 Mikroorganismen ...................................................................... 23 Biokatalyse und Fermentation: Enzyme ................................. 24 Molecular Pharming .................................................................. 25
4 Entwicklung der Weißen Biotechnologie WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie Die Fortschritte auf wissenschaftlich-technischem Gebiet • Es werden weniger Rohstoffe, Materialien und Energie verbraucht, außerdem sind geringere Investitionskosten treiben derzeit die Entwicklung der Weißen Biotechnologie nötig. • Komplexe Moleküle wie z. B. Zucker oder Aminosäuren voran, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit biotechnolog- können mit einfachen, aus wenigen Teilschritten beste- henden Produktionsprozessen hergestellt werden. Dabei scher Verfahren und Produkte kontinuierlich erhöhen. können mildere Prozessbedingungen genutzt werden (z. B. niedrige Temperaturen und Normaldruck). • Es fallen geringere Entsorgungskosten durch umwelt- Die Weiße Biotechnologie hat das Potenzial, einen substan- freundlichere Reststoffe und Emissionen an. tiellen Beitrag zu den Herausforderungen der industriellen • Es können erneuerbare, einheimische Ressourcen genutzt Gesellschaft zu leisten: werden. • Sie wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der • Neue, innovative Produkte mit hohem Wertschöpfungs- Industrie zu verbessern, insbesondere der chemischen potenzial können entwickelt werden. Industrie, die sich in einer Phase der Neu- und Umorien- tierung befindet. Die Weiße Biotechnologie birgt aus heutiger Sicht große • Die Nachhaltigkeit der industriellen Produktion wird Chancen: Aufgrund der rasanten Fortschritte in Forschung und verbessert. Entwicklung besitzt sie ein hohes Innovationspotenzial. • Nachwachsende Rohstoffe als Basis der industriellen Pro- Zur Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität der Men- duktion und der Energiewirtschaft werden erschlossen. schen könnten vielfältige innovative Produkte und Dienst- leistungen beitragen, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse Die Anwendungsmöglichkeiten der Weißen Biotechnologie sind besser befriedigen können. Die Entwicklung neuer Märkte und durch die Vielfalt der Synthesemöglichkeiten der Natur fast unbe- Beschäftigungschancen wären die positiven Folgen. grenzt. Sowohl neue nachhaltige Produktionsmöglichkeiten be- Neben den Anwendungspotenzialen sind es vor allem stehender Produkte als auch vollkommen neue Produktgruppen gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Entsorgungskos- können mit den Methoden der Weißen Biotechnologie entwickelt ten, die das Interesse an den Möglichkeiten und Ansätzen der werden. Das wirtschaftliche Potenzial, das sich aus der Nutzung Industriellen Biotechnologie in den letzten Jahren stark haben geeigneter Mikroorganismen und ihrer Enzyme ergeben kann, steigen lassen. Mikrobiologisch produzierte und abbaubare Bi- ist unabsehbar. Die gegenwärtige revolutionäre Entwicklung opolymere könnten zukünftig teilweise die Kunststoffindustrie auf dem Gebiet der Weißen Biotechnologie lässt die Vermutung von der Erdölabhängigkeit befreien. zu, dass bisher erst die „Spitze des Eisberges“ des Innovationspo- Durch den Einsatz erneuerbarer Rohstoffe und Energien tenzials biotechnologischer Anwendungen erschlossen wurde. besitzt die Weiße Biotechnologie das Potenzial, zur Ressour- Insbesondere Energie, Informations- und Kommunikationstech- ceneffizienz beizutragen und Stoffkreisläufe zu schließen. So nologien, Gesundheit, Lebensqualität, Transport und Sicherheit werden klimaneutralere und weniger toxische Verfahren der oder Verbraucherschutz zählen zu den möglichen Anwendungs- Weißen Biotechnologie gegenwärtig schon für verschiedene gebieten und Geschäftsfeldern der Industriellen Biotechnologie. Produkte verwendet. Schon heute wird der weltweite Umsatz der Weißen Bio- Wirtschaftliche Entwicklung der technologie auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Er ist damit Weißen Biotechnologie vergleichbar mit dem gegenwärtigen Umsatz, den Biopharma- ka weltweit erzielen und der mit 55 Milliarden Euro angegeben Nachdem die Weiße Biotechnologie in der Pharmaindustrie wird. und Lebensmitteltechnologie in Form von Prozessen und Der Anteil biotechnologischer Verfahren am Umsatz der Produkten längst fest etabliert ist, wird sie nun immer häufiger chemischen Industrie wird auf 5 % geschätzt. In den nächsten in der chemischen Industrie angewendet. Feinchemikalien, Me- fünf Jahren soll er auf 10 bis 20 % steigen. In verschiedenen Be- dikamente oder Polymere werden zunehmend mit Methoden reichen der chemischen Industrie gibt es keine ökonomischen der Weißen Biotechnologie hergestellt. Da viele der biotech- Alternativen zu biotechnologischen Produktionsverfahren, nologischen Verfahren auf erneuerbaren Rohstoffen beruhen Beispiele hierfür sind die enantiomerenreinen Spezialchemi- und mildere Reaktionsbedingungen erfordern, sind die Herstel- kalien. lungsprozesse oft umweltfreundlicher, kostengünstiger und Von einer wissenschaftlichen Entdeckung bis zu deren nachhaltiger als herkömmliche Syntheseverfahren: Umsetzung in einem kommerziellen Produkt ist es jedoch oft
WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL Weiße Biotechnologie in Deutschland 5 ein weiter Weg. Für eine gezielte wirtschaftliche Nutzung koärmer. Da es sich bei den Produkten und Verfahren oft um industrieller biotechnologischer Verfahren müssen Grundla- Grundchemikalien und Zwischenprodukte der chemischen genforschung und anwendungsorientierte Forschung weiter bzw. der Prozessindustrie handelt, ist die Umsetzung von der vorangetrieben werden. Forschung zur Anwendung vergleichsweise kurz. Neue indus- Die Weiße Biotechnologie steht daher vor großen He- trielle Prozesse und Produkte können in Entwicklungszeiten rausforderungen: Die bisherigen Forschungsansätze und von zwei bis fünf Jahren bis zur kommerziellen Anwendung Anwendungen stellen vielfach nur erste Schritte in Richtung gebracht werden. einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft dar. Sie zeigen Erfolgreiche Forschung und Entwicklung können in der jedoch, dass sich durch ständige Entwicklung und Ergänzung Weißen Biotechnologie wegen der hohen Komplexität der vom Know-how unterschiedlicher Technologien innovative Einzeldisziplinen nur im Forschungsverbund durchgeführt Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen. Entschei- werden. Biologen, Chemiker, Verfahrenstechniker und andere dend für deren weitere Umsetzung und Kommerzialisierung Wissenschaftler müssen das verfügbare und sich entwickeln- wird sein, ob und inwieweit sie die Kundenbedürfnisse besser de Know-how gemeinsam nutzen. befriedigen können. Status quo der Weißen Biotechnologie Weiße Biotechnologie in Deutschland in Deutschland Deutschland hat eine starke Position in der biotechnolo- Produktion und Beschäftigung wachsen besonders in den gischen Grundlagenforschung sowie der Verfahrens- und Industriezweigen, die in hohem Maße in Forschung und Prozesstechnik und verfügt damit über die potenziellen Entwicklung investieren. Knapp 40 % des Wertschöpfungs- Ressourcen für eine erfolgreiche Kommerzialisierung.Von den anteils der deutschen Wirtschaft entfielen z. B. im Jahr 2002 480 Biotech-Unternehmen in Deutschland (biotechnologie. auf forschungs- und entwicklungsintensive Industrien und de) arbeiten rund 12 % auf dem Gebiet der Industriellen Bio- wissens-intensive Dienstleistungen (BMBF 2005). In einer technologie. Dies entspricht einer Zahl von 57 Unternehmen wissensbasierten Wirtschaft sind Innovation, Forschung und (Mehrfachnennungen waren in der Erhebung möglich). Know-how für das erfolgreiche Bestehen im internationalen Das Beschäftigungspotenzial der Biotech-Branche sah Wettbewerb besonders wichtig. im Jahr 2005 folgendermaßen aus: In der kommerziellen In Deutschland ist die Hochtechnologie Weiße Biotechno- deutschen Biotechnologie waren insgesamt knapp 24.000 Mit- logie seit vielen Jahren etabliert und wird ständig weiterent- arbeiter beschäftigt. In den 480 Biotech-Unternehmen waren wickelt. Deutschland konnte seine starke Position in der bio- 12.973 Mitarbeiter tätig, hinzu kamen 10.856 Beschäftigte, die technologischen Grundlagenforschung, der Verfahrens- und in innovativ biotechnologisch-aktiven Unternehmen direkt in Prozesstechnik sowie in den Produktionskapazitäten in den der Biotechnologie tätig waren. Von den 24.000 Mitarbeitern vergangenen Jahren ausbauen. Begonnen hat die industrielle waren in der Industriellen oder Weißen Biotechnologie rund Verwendung biotechnologischer Verfahren in Deutschland 2.500 Beschäftigte tätig. mit der Produktion von OROPON® durch Röhm und Haas Die meisten der deutschen Biotech-Unternehmen beschäf- in Darmstadt 1909 (siehe S. 7), wenige Jahre später folgten tigen sich mit Auftragsforschung und Entwicklung, wobei sie Enzymprodukte für die Waschmittelherstellung und für die größtenteils über eigene Plattformtechnologien verfügen. Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die deutsche Industrie Zunehmend stellen die Biotech-Unternehmen selbst oder in stellt heute eine stetig wachsende Anzahl von Produkten mit Zusammenarbeit mit industriellen Partnern eigene Produkte Hilfe biotechnologischer Verfahren her, zu ihnen gehören her. Aminosäuren, Vitamine, optisch aktive Substanzen, Feinche- Das vielversprechende Potenzial der Industriellen oder mikalien und zahlreiche Bulkprodukte. Weißen Biotechnologie ist bei weitem noch nicht ausge- Neben zahlreichen Forschungseinrichtungen beschäf- schöpft. Es ist absehbar, dass der Einfluß der Biotechnologie tigen sich in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen auf die industriellen Produktionsverfahren in Zukunft weiter (KMU) und verschiede globale Chemiekonzerne (beispielswei- wachsen wird. Die Fortschritte in der biotechnologischen se Bayer AG, BASF AG, Degussa AG, Henkel KGaA) mit Weißer Forschung erweitern kontinuierlich die Möglichkeiten, indus- Biotechnologie. Die enge Zusammenarbeit von Großunter- trielle Produktionsprozesse durch neue biotechnologische nehmen, KMU oder neu gegründeten Start-up-Firmen sowie Verfahren zu ersetzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die den zahlreichen Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet neuen Verfahren durchsetzen werden, ist dabei abhängig von der Weißen Biotechnologie bildet eine gute Basis für weitere unterschiedlichen Faktoren. Die Produktionskosten werden Forschung und Entwicklung. neben der Kundenakzeptanz die entscheidende Triebkraft Im Gegensatz zu den Unternehmen, die sich mit der so für den Wechsel von konventionellen zu biotechnologischen genannten Roten Biotechnologie beschäftigen, fallen für die Produktionsverfahren sein. Firmen der Weißen Biotechnologie nicht die langen Testzeiten und Zulassungsverfahren für Produkte und Verfahren an. Der Weg zum Markt ist schneller, einfacher und vor allem risi-
6 Begriffsdefinition WEISSE BIOTECHNOLOGIE Weiße Biotechnologie Weiße oder Industrielle Biotechnologie umfasst die in der tion vieler anderer täglich benutzter Gegenstände sind Metho- den der Weißen Biotechnologie zu einem festen Bestandteil industriellen Produktion etablierten Verfahren, um die der Produktionsverfahren geworden. Werkzeuge der Natur zu nutzen. Gegenwärtig erfährt die Was versteht man unter Weißer Biotechnologie? Die Weiße Biotechnologie – auch Industrielle Biotechnologie Weiße Biotechnologie durch technologische Durchbrüche genannt – ist nach einer Definition der europäischen Industrie- vereinigung EuropaBio die Verwendung der Werkzeuge der eine rasante Entwicklung. Die industrielle Produktion, zum Natur in der industriellen Produktion. In der Weißen Biotechnologie werden demnach Organis- Beispiel in der chemischen Industrie, bedient sich immer men oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle Produktion verwendet. Dies grenzt sie von der Roten Biotech- häufiger biotechnologischer Verfahren. nologie (medizinisch-pharmazeutische Biotechnologie) und der Grünen Biotechnologie (landwirtschaftlich-pflanzliche Biotechnologie) ab. Die moderne Biotechnologie gewinnt für unser tägliches Le- Durch die wissenschaftlichen Erfolge der jüngsten Zeit, die zu ben zunehmend an Bedeutung. Viele Verbesserungen – auch der Aufklärung biologischer Systeme und ihrer Steuerungs- und wenn wir dies nicht immer wahrnehmen – beruhen heute Regelungsmechanismen führten, erfährt die Weiße Biotechno- schon auf biotechnologischen Methoden. Neben den rasanten logie gegenwärtig eine rasante Entwicklung. Sie umfasst eine Fortschritten der so genannten Roten Biotechnologie, die für Vielzahl von Produkten, Methoden und Anwendungsmöglichkei- die Entwicklung neuer Arzneimittel zu einer unverzichtbaren ten. Zu den Produkten der Industriellen Biotechnologie gehören Technologie geworden ist, ist es vor allem die Weiße Biotech- Spezial- und Feinchemikalien, Lebensmittel oder Lebensmit- nologie, die unser Leben verändert und bereichert. Brot, Käse, telzusatzstoffe, Agrar- und Pharmavorprodukte und zahlreiche Bier und Wein sind Produkte, für deren Herstellung biotech- Hilfsstoffe für die verarbeitende Industrie. Die Methoden der nologische Verfahren verwendet werden. Doch nicht nur in modernen Weißen Biotechnologie können sowohl für die Etablie- der Lebensmittelindustrie ist Biotechnologie von Bedeutung, rung neuer biotechnischer Produktionsverfahren für bestehende auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, Arznei- Produkte genutzt werden als auch für die Entwicklung neuartiger mittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmittel, bei der Ver- Produkte mit hohem Wertschöpfungspotenzial. edelung von Textilien, Leder und Papier und bei der Produk- Weiße Biotechnologie heute Derzeit erlebt die Weiße Biotechnologie einen starken Auf- schwung, zum einen wegen der Etablierung erfolgreicher Projekte, zum anderen wegen der Erfolge in der molekular- biologischen und biotechnologischen Forschung: Genomik, Proteomik, Metabolomik, Screening-Methoden und Bioinfor- matik haben den Weg zu immer besseren Verfahren geebnet. Der Zeitbedarf für die Entwicklung und Etablierung neuer biotechnologischer Verfahren und Produkte konnte deutlich verkürzt werden. Die Standardisierung und Miniaturisierung der biotechnologischen Produktionsprozesse trieb die Entwick- lung weiter voran. Sowohl Wissenschaft als auch Wirtschaft haben sich in jüngster Zeit wieder verstärkt mit der industriel- len Anwendung der Biotechnologie beschäftigt. Ein verschärfter globaler Wettbewerb und daraus resul- tierende steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie die Bemühungen, industrielle Prozesse insgesamt nachhaltiger zu gestalten, haben diese Entwicklung weiter beschleunigt. Dabei kann die Weiße Biotechnologie einen substantiellen Beitrag zur Bewältigung von Zukunftsherausforderungen leis- ten. Sie kann dazu beitragen:
WEISSE BIOTECHNOLOGIE Begriffsdefinition 7 • einfachere, umweltfreundlichere und sauberere Produkti- onsverfahren zu etablieren, • die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren, • die Investitionskosten zu verringern, • die Energie- und Entsorgungskosten zu reduzieren, • neue Produkte und Systemlösungen mit hohem Wert- schöpfungspotenzial zu entwickeln, • die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Industriezweige zu verbessern. Biotechnologie – Begriffsdefinition Die Biotechnologie ist in hohem Maße interdisziplinär und um- fasst Gebiete der Molekulargenetik, Zellbiologie, Humangene- tik, Medizin, Mikrobiologie, Virologie sowie der Bioinformatik und Systembiologie. Als eine typische Querschnittstechnologie nutzt die Biotechnologie neben den Methoden der Bio- und Lebenswissenschaften auch die anderer Disziplinen, wie Me- dizin, Chemie, Physik, Robotik, Informationstechnologie oder Materialwissenschaften. In einer aktuellen Definition erklärt die OECD Expression zu bringen. Dies bedeutete, dass die in den Genen (Organization for Economic Cooperation and gespeicherte Information in einem Wirtsorganismus in ein Development) Biotechnologie als die Anwen- Merkmal „übersetzt“ werden konnte. Der Wirtsorganismus dung von Naturwissenschaft und Technologie hatte damit neue Eigenschaften. Etwa 10 Jahre später wurde das an lebenden Organismen, deren Teilen sowie erste gentechnisch hergestellte Medikament zugelassen, weni- Produkten und Modellen von ihnen. ge Jahre später die ersten gentechnisch veränderten, transge- nen Pflanzen angebaut. Unter Biotechnologie versteht man die Umsetzung von Er- Inzwischen sind weltweit mehr als 250 gentechnisch herge- kenntnissen aus der Biologie und der Biochemie in technische stellte Medikamente und Therapeutika auf dem Markt. Auch in oder technisch nutzbare Elemente. der Landwirtschaft wächst der Anteil der Biotechnologie: Die Die moderne Biotechnologie zeichnet sich vor allem Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen betrug im Jahr dadurch aus, dass sie die Methoden der Molekularbiologie 2005 weltweit rund 90 Millionen Hektar. nutzt. Die theoretischen Grundlagen dieser Methoden wur- den erst durch die Entwicklung der Gentechnik, der Genom- Entstehung der Weißen Biotechnologie forschung und der modernen Mikrobiologie erschlossen. Die Gentechnik entspricht dabei der Anwendung moderner Die Weiße Biotechnologie ist im Grunde keine neue Disziplin, molekularbiologischer Methoden zur Änderung der geneti- sondern entspricht einem „Griff in die Werkzeugkiste der schen Eigenschaften von Organismen. Man sagt dazu auch Natur“. Methoden der Weißen Biotechnologie werden bereits „rekombinante DNA-Technologie“, weil damit die Erbinfor- seit Jahrtausenden genutzt. In zahlreichen Kulturen waren mation und Gene, die in der DNA (Desoxyribonukleinsäure) Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu festgelegt sind, gezielt neu kombiniert also „re“-kombiniert Alkohol mit Hilfe von Hefen, Milchsäuregärung unter Verwen- werden können. Die Gentechnik erweitert das methodische dung von Lactobacillus-Stämmen oder die Essigherstellung mit Spektrum der Forscher gewaltig und erlaubt es, völlig neue Hilfe spezieller Acetobacter-Spezies lange vor der Entdeckung Fragestellungen zu bearbeiten. Die Methoden, die zunächst von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrunde nur bei Mikroorganismen angewendet werden konnten, wur- liegenden Prozesse etabliert. den im Laufe der Jahre auch auf höhere Organismen, Tiere und Pflanzen, erfolgreich übertragen. Der Wissensschub, Historische Entwicklung der Mikrobiologie der daraus resultiert, hat die dynamische Entwicklung der Die Entdeckung der Mikroorganismen oder das Verständnis der modernen Biotechnologie erst möglich gemacht. biochemischen Grundlagen fermentativer Prozesse erfolgte erst Im Jahr 1973 wurde die moderne Biotechnologie begründet, im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. Antonie van als es Stanley Cohen und Herbert Boyer in San Francisco zum Leeuwenhoek (1632-1723) beobachtete erstmals Mikroorganis- ersten Mal gelang, ein fremdes Gen in einen Wirtsorganismus men mit Hilfe eines einlinsigen Mikroskops und fand in einer zu übertragen und dieses Gen in dem neuen Organismus zur Bierprobe gelbe Hefekügelchen.
8 Entstehung WEISSE BIOTECHNOLOGIE nach an der Reaktion aber nicht beteiligt war. Beob-achtungen dieser Art häuften sich und zogen zu Beginn des 19. Jahrhun- derts die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich. Der schwedische Wissenschaftler Jöns Jakob Berzelius (1779- 1848), der als Begründer der modernen Chemie gilt, schrieb im Jahre 1836 hierüber eine Abhandlung und schlug den Namen „Katalyse“ für die Erscheinung vor. Dieser ist aus dem Griechi- schen abgeleitet und bedeutet soviel wie „Abbau“. Durch Beobachtungen gelang es, zu postulieren, dass che- mische Prozesse in lebendem Gewebe nur deshalb unter sehr milden Bedingungen ablaufen, weil dort gewisse Katalysatoren vorhanden sind, die in der unbelebten Natur fehlen. Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen Geweben extrahiert werden, die mit den beobachteten Reaktionen in Beispiele für die jahrtausendelange Nutzung Verbindung gebracht und „Fermente“ genannt wurden. Eines von Methoden der Weißen Biotechnologie sind der ersten beschriebenen Fermente war das von dem deutschen die Produktion von Wein, Bier, Sauerteigbrot, Physiologen Theodor Schwann 1835 aus dem Magensaft extra- Käse oder Joghurt durch Fermentation. Unter hierte „Pepsin“, benannt nach einem griechischen Wort, das Fermentation versteht man die Umsetzung von „verdauen“ bedeutet. Substanzen unter Mithilfe von Mikroorganismen Immer weitere Fermente wurden entdeckt, und in der zwei- oder Enzymen. ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass In allen Kulturen der Welt wurden Lebensmit- diese Fermente die Katalysatoren der lebenden Gewebe waren, tel durch mikrobielle Fermentation verändert: die im Organismus Reaktionen ermöglichten, die Chemiker Erste Anwendungen der Prinzipien der Weißen nicht zuwege brachten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er- Biotechnologie begannen ca. 6000 v. Chr., als kannte man vor allem durch Versuche des deutschen Forschers die Sumerer in Mesopotamien aus gekeimter Eduard Buchner, dass Fermente nicht-lebende Substanzen Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk waren, die man aus Zellen gewinnen konnte und die ihre Arbeit brauten. auch im Reagenzglas verrichteten. Der Name „Enzyme“ (aus dem Griechischen „in der Hefe“) wurde von nun an auf alle Louis Pasteur (1822-1895) entdeckte 1856 in verunreinigten Fermente angewandt. Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem Heute wird ein Enzym (veraltet Ferment), definiert als ein griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Die ent- Eiweiß (Protein), das eine chemische Reaktion katalysieren deckten Milchsäurebakterien (Lactobazillen) produzierten aus kann (siehe Seite 22). Enzyme sind essentiell für den Stoff- Zucker durch Gärung Milchsäure, während in den Weinfässern Hefepilze den Zucker zu Alkohol vergären sollten. Pasteur legte mit diesen Entdeckungen die Grundlage für das Verständnis von Fermentation beziehungsweise Gärung und begründete die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass „die Rolle des unendlich Kleinen in der Natur () unendlich groß“ ist, war der Weg für die moderne Biotechnologie bereitet. Die Bedeutung der Mikroorganismen als Krankheitser- reger erkannte Robert Koch (1843-1910) als einer der ersten Wissenschaftler. Im Jahr 1876 gelang Koch die Entdeckung des Milzbrandbakteriums und 1882 die Identifizierung des Tuber- kuloseerregers. Zuvor galten nicht Mikroorganismen, sondern so genannte Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als Krankheitsursachen. Die Entdeckungen von Nutzen und Gefahr durch Mikroorganismen gelangen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast parallel zueinander. Enzyme Die Aufklärung der chemischen Grundlagen von Stoffwechsel- reaktionen begann im 18. Jahrhundert als Chemiker beobach- teten, dass eine Reaktion manchmal durch Einführung eines Stoffes beschleunigt werden konnte, dieser allem Anschein
WEISSE BIOTECHNOLOGIE Entstehung 9 wechsel aller lebenden Organismen. Der überwiegende Teil biochemischer Reaktionen, von der Verdauung (Beispiel: Pepsin) über den Energiestoffwechsel der Zellen, die Bewe- gung oder die Informationsübertragung bis hin zum Kopieren der Erbinformation (DNA-Polymerase), wird von Enzymen katalysiert und gesteuert. Biotechnologie in der industriellen Anwendung Biotechnologische Anwendungen in der industriellen Produk- tion wurden erstmals in der Ledergerbung genutzt: Röhm und Haas in Darmstadt produzierten bereits 1909 das erste industri- ell verwendete Enzymprodukt OROPON®. Dieses Produkt bestand aus Enzymen, die Proteine abbauen, den so genann- ten Proteasen, und konnte entscheidend die Ledergerbung verbessern: Bisher waren zur Behandlung der Felle und Häute Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet worden, die jetzt durch das wesentlich umweltfreundlichere und sauberere in systematischer Form möglich geworden – die revolutionäre Produkt ersetzt werden konnten. Entwicklung dieser Technologie steht damit in unmittelbarem Im Jahre 1928 entdeckte Sir Alexander Fleming (1881-1955) Zusammenhang. Die produktiven Fähigkeiten von Mikroorga- die keimtötende Wirkung, die von Schimmelpilzen der Spezies nismen scheinen fast unbegrenzt: Eine unübersehbare Vielfalt Penicillium notatum ausging. Die Erkenntnis führte zur Isolie- organischer und anorganischer Moleküle können in mikrobiel- rung des ersten Antibiotikums, Penicillin. Penicillin wurde len Stoffwechselwegen meisterlich synthetisiert werden. 1941 erstmals an einem Menschen getestet und bereits wenige Das Gebet eines Chemikers (Zitat von Leslie D. Pettit anläss- Jahre später gelang es, einen Stamm der Spezies Penicillium lich des X. internationalen Symposiums 2005 über Bioorgani- chrysogenum aus einer verschimmelten Melone zu kultivieren, sche Chemie, Szklarska Poreba, Polen) wird angesichts dieser der „submers“ wuchs. Das bedeutet, der Stamm wuchs nicht Fähigkeiten verständlich: nur auf Oberflächen, wie dies für Schimmelpilze sonst typisch „Dear Lord, I fall upon my knees and pray that all my ist, sondern er war in einem flüssigen Medium kultivierbar. syntheses may cease to be inferior to those conducted by Mit diesem Stamm war es möglich, großvolumige Fermenta- bacteria.“ tionstechniken zu entwickeln, um das Penicillin in industri- ellem Maßstab herzustellen. 1944 wurde die erste Großanlage Die Methoden der modernen Biotechnologie unterscheiden sich mit Submerskultur zur Penicillin-Produktion in Brooklyn, USA, dabei von den klassischen Methoden durch die Verwendung eröffnet. von Enzymen oder ganzen Zellen, die in ihren Eigenschaften Die eigentliche wissenschaftliche Revolution begann mit mit Hilfe molekularbiologischer Techniken verbessert werden den Entdeckungen der Molekularbiologie und Genetik in der konnten. Damit eröffnen sich immer neue Möglichkeiten für die zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die dynamische Ent- Entwicklung maßgeschneiderter Synthesen. wicklung der modernen Weißen Biotechnologie vorantrieben. Die moderne Weiße Biotechnologie hat ein enormes Po- Heute wird unter Weißer oder Industrieller Biotechno- tenzial für die Zukunft und bietet ökologische, ökonomische logie weitgehend der Einsatz biotechnologischer Methoden und funktionelle Vorteile: Biokatalysatoren sind biologisch innerhalb industrieller Prozesse verstanden. Die OECD identi- abbaubar, bei Biokatalysen entstehen weniger Abfall- und fiziert hierbei zwei Schwerpunkte: Nebenprodukte, die Produktion ist mit einer verbesserten 1. Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch nachwachsen- Umweltbilanz unter milderen Bedingungen möglich. Der de Ausgangsstoffe, also Biomasse, und Energiebedarf und der Rohstoffeinsatz sinken. Die biotechno- 2. Ersatz konventioneller, nicht auf biologischen Prozessen logische Synthese ist in weniger Schritten möglich, aufwändi- beruhender Methoden der industriellen Produktion durch ge Herstellungsverfahren werden überflüssig, die Reaktionen solche, denen biologische Systeme zugrunde liegen. sind darüber hinaus hochspezifisch. Unternehmen haben auf diese Weise die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und neue Die Weiße Biotechnologie bedient sich gewissermaßen der bi- Absatzmärkte zu erschließen, bei gleichzeitig verbessertem ologischen, evolutionär geschaffenen biosynthetischen Kreati- Schutz der Umwelt. Die beschriebenen Möglichkeiten der vität der belebten Natur. Neue Enzyme müssen nicht erst erfun- Weißen Biotechnologie sind auch in ihrer Multidisziplinari- den werden. Vielmehr produzieren Millionen unterschiedlicher tät begründet. Die Konvergenz der Weißen Biotechnologie Mikroorganismen eine fast unendliche Zahl von Enzymvarian- und anderer Technologiefelder führt zu Synergien, so dass ten, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Die Erschließung die Grenzen zu Verfahrenstechnik, Informationstechnik, dieser biosynthetischen Möglichkeiten ist mit den Methoden Nanotechnologie, Molekularbiologie, Chemie oder Biophysik der modernen Molekularbiologie erst seit wenigen Jahrzehnten zunehmend verwischen.
10 Wasch- und Reinigungsmittel ANWENDUNGSBEISPIELE Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie In vielen Bereichen industrieller Produktion und Verar- Enzymhaltige Waschmittel werden seit dem frühen 20. Jahr- hundert eingesetzt. Enzyme verbessern Waschmittel durch die beitung werden Verfahren und Produkte der Weißen Spaltung verschiedener Schmutzpartikel in lösliche Verbin- dungen. Besonders eiweißhaltige Verschmutzungen wie zum Biotechnologie bereits heute mit großem Erfolg eingesetzt. Beispiel Ei, Blut und Kakao konnten durch Enzyme immer besser gespalten und beseitigt werden. Zunächst wurden die Die verschiedenen Anwendungsgebiete zeigen die in Waschmitteln verwendeten Enzyme aus den Bauchspeichel- drüsen von Schlachttieren gewonnen. Seit den 60er Jahren große Bedeutung, die diese Technologie in unserem konnten sie durch Enzyme aus biotechnologischer Produktion ersetzt werden. täglichen Leben hat. Durch die Verwendung von Enzymen in Waschmitteln konnte nicht nur das Waschergebnis verbessert werden, son- dern vor allem konnten die Kosten und der Energieverbrauch In verschiedenen Bereichen der industriellen Produktion und durch Herabsetzen der Waschtemperaturen, Waschdauer, des Verarbeitung sind die Methoden der modernen Biotechnolo- Wasser- und Waschmittelverbrauchs deutlich reduziert wer- gie zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden. Zu ihnen den. Der Waschprozess wird also effektiver, kostengünstiger gehören die Herstellung von enzymhaltigen Wasch- und und umweltfreundlicher. Reinigungsmitteln oder die Verwendung von Enzymen als Am Beispiel der Proteasen, die in etwa 80 % aller Waschmit- Medikamente, Diagnostika, Lebensmittel- oder Futtermittel- tel enthalten sind, wird die Bedeutung dieser Biokatalysatoren zusätze. Bei der Produktion verschiedener Arzneimittelvor- deutlich: Proteasen sind Enzyme, die Eiweiße (Proteine) spalten. stufen, Antibiotika, Vitamine, Hormone oder bei der Verar- Eiweißhaltige Verschmutzungen machen einen großen Teil der beitung zahlreicher Lebensmittel werden biotechnologische Wäscheverunreinigungen aus. Enzyme werden bei der Prote- Verfahren eingesetzt. Sie unterliegen gerade in jüngster Zeit inspaltung nicht verbraucht, es ist daher möglich, sie auch in durch die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der kleinen Mengen sehr wirkungsvoll einzusetzen. Bei ausreichend Molekularbiologie einer dynamischen Optimierung. langer Einwirkungszeit kann theoretisch eine sehr kleine Menge Proteasen eine unbegrenzte Menge Eiweiß abbauen. Wasch- und Reinigungsmittel Enzyme haben ein Temperaturoptimum. Sie sind grund- sätzlich nur in einem begrenzten Temperaturbereich wirksam, Eine der klassischen Anwendungen Weißer Biotechnologie ist der meist zwischen 20 °C und 65 °C liegt. Eine Protease, deren die Verwendung optimierter Biokatalysatoren, so genannter Wirkungsoptimum bei etwa 60 °C liegt, hat bei 30 °C nur noch Enzyme, in Waschmitteln. 5 bis 10 % ihrer optimalen Wirkung. Umgekehrt kann das Enzym bei 95 °C schon nach einigen Minuten völlig unwirksam sein. Da Waschprozesse bei unterschiedlichen Temperaturen ablau- fen, müssen Enzyme temperaturabhängig verwendet werden. Sie werden auch industriell aus dementsprechend angepaßten Mikroorganismen hergestellt. Um die Energiekosten möglichst gering zu halten, ist es ein Forschungsziel, Enzyme zu finden, die bei immer geringeren Temperaturen optimal wirken. Die Alkalität des Waschwassers macht man sich seit Jahrtau- senden zunutze, um Schmutz zu entfernen. Die Haltbarkeit der gewaschenen Fasern ist jedoch bei höherer Alkalität geringer. Um die Fasern zu schonen, aber auch, um die Produkte für den Verbraucher sicherer zu machen, ist eine Herabsetzung der Alkalität also von Vorteil. Damit die Waschleistung auch in we- niger alkalischem Waschwasser gewährleistet bleibt, müssen Enzyme gefunden werden, die in dem entsprechenden Milieu optimal arbeiten. Die Enzymaktivität ist pH-abhängig. Die meisten Waschmittelenzyme haben daher ein pH-Optimum, das dem alkalischen pH-Wert des Waschwassers angepasst ist. Ein Beispiel für Enzyme, die im alkalischen Milieu – also in dem
ANWENDUNGSBEISPIELE Wasch- und Reinigungsmittel 11 vorherrschenden Milieu von Waschwasser – arbeiten, sind die Enzymherstellung erfolgt biotechnologisch, also mit Hilfe von Subtilisine. Sie gehören zu den Proteasen, das heißt zu den Mikroorganismen in sogenannten Fermentern. eiweißspaltenden Enzymen, sind bakterieller Herkunft und In Wasch- und Reinigungsmitteln werden neben Proteasen verdanken ihre Benennung dem Ursprungsorganismus Bacillus folgende weitere Enzyme verwendet: subtilis. Subtilisine spalten eiweißhaltige Verschmutzungen wie • Amylasen für den Abbau von Stärke, Ei, Blut oder Kakao im alkalischen Milieu so stark auf, dass diese • Cellulasen für den Abbau von Cellulose, ausgespült werden können. • Lipasen für den Fettabbau auch bei Temperaturen um 20°C. Da Enzyme trotz zum Teil hoher Temperatur- und Alkali- stabilität leicht denaturierbare Proteine sind, reagieren sie Amylasen bauen Stärke ab, die z. B. in Soßen, Verdickungsmit- empfindlich auf andere Waschmittelbestandteile, beispielswei- teln und prozessierten Lebensmitteln, aber auch in Appretur se gegenüber oxidierenden Bleichmitteln, aber auch gegen- enthalten ist. Die Stärke wird dabei in lösliche Zweifachzucker über Tensiden und Enthärtern. Dies muß bei der Entwicklung (Maltose) gespalten. Cellulasen sind dagegen nicht in erster von Wasch- und Reinigungsmitteln beachtet werden. Linie für den Schmutzabbau zuständig, sondern wirken auf Die Verwendung von Enzymen ist unter dem Gesichts- die Gewebe selbst. So entfernen Cellulasen auf Baumwollge- punkt der Waschmittelwirksamkeit und des Umweltschutzes weben die winzigen Knötchen (Pilling), die das Gewebe rauh zu befürworten. Enzyme sind bereits in kleinsten Mengen machen, oder bauen abstehende Mikrofibrillen ab, die den hoch wirksam, so dass eine größere Menge anderer wasch- Farbeindruck schwächen. Sie sind auch für die Entfernung von aktiver Substanzen eingespart werden kann. Außerdem sind Pigmentflecken verantwortlich. Lipasen spalten Fette in die Enzyme biologisch vollständig abbaubar und ungiftig. Die leichter löslichen Bestandteile Fettsäuren und Glycerin. Fett- BMBF-Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen Temperaturen – Tieftemperaturprotease“ Die zunehmende Notwendigkeit zur Einsparung von Energie werden die neu identifizierten Tieftemperaturproteasen und Ressourcen stellt die Industrie vor die Herausforderung, charakterisiert, in ihrer Waschleistung geprüft und auf die dem Verbraucher neue Produkte zur Verfügung zu stellen, Produktionseignung (Herstellbarkeit) hin bewertet. Ziel des die diesen Erfordernissen entsprechen. Mit dem vom BMBF Projekts sind energie- und materialsparende und somit nach- geförderten Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen haltigere Waschprozesse, die auf neuen waschaktiven und Temperaturen – Tieftemperaturproteasen“ sollen unter Pro- effizient herstellbaren Tieftemperaturproteasen basieren. jektleitung der Henkel KGaA in Düsseldorf in Zusammenar- beit mit Forschungseinrichtungen neue Proteasen gefunden werden, die für die Anwendung in Waschmitteln bei niedri- gen Temperaturen optimiert sind. Sie sollen erstmalig den Anforderungen von so genannten Kaltwasserwaschprozessen gerecht werden. Um neue und geeignete Proteasen zu finden, werden zwei unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Zum einen wer- den kultivierbare Mikroorganismen aus der Natur isoliert und auf ihre Fähigkeit getestet, kälteaktive Proteasen zu bilden. In einem zweiten Ansatz werden auch die Gene von Mikro- organismen untersucht, die nicht kultivierbar sind. Hierfür werden in Kooperation mit dem Biotechnologie-Unternehmen BRAIN AG in Zwingenberg so genannte Metagenom-Banken angelegt. Dabei wird die Erbinformation aller Mikroorga- nismen eines bestimmten Lebensraums (Habitats) geklont, sowohl die Gene der kultivierbaren Mikroorganismen als auch die Gene der nichtkultivierbaren Arten. Diese gesamte gene- tische Information eines Habitats nennt man Metagenom. Die In den Vertiefungen der Platten befinden sich kleine Läppchen genetische Information wird auf die gesuchten Proteaseakti- mit unterschiedlichen Anschmutzungen. vitäten durchgemustert. Es ist auf diese Weise möglich, eine Die neuen Enzyme werden hier dazugegeben und nach dem sehr große Menge der synthetischen Vielfalt der Natur auf „Waschen“ wird die Leistung der Enzyme anhand von Messungen geeignete Enzyme hin zu untersuchen. Im geförderten Projekt der Farbänderung bzw. Aufhellung beurteilt.
12 Antibiotika ANWENDUNGSBEISPIELE schmutz wie Lippenstift oder Kragenschmutz können dann Patienten damit behandeln zu können. Auch nach dem Krieg auch bei niedrigen Waschtemperaturen entfernt werden. Der reichte die Produktion nicht für alle Patienten. Die Not der Pa- Bereich Wasch- und Reinigungsmittel macht den größten tienten führte zu Schmuggel und Schwarzhandel, was in dem Marktanteil industrieller Enzyme aus (ca. 40 % VDI). Nicht nur berühmten Roman von Graham Greene „Der dritte Mann“ und in Waschmitteln, sondern zum Beispiel auch in Reinigungs- in dem gleichnamigen Film thematisiert wird. mitteln für Geschirrspülmaschinen oder in der Reinigungs- Die große Bedeutung der Entdeckung der Antibiotika für flüssigkeit von Kontaktlinsen sind Enzyme unverzichtbare die moderne Medizin zeigt die Sterblichkeitsrate bei Infekti- Bestandteile. Der riesige Markt macht die ständige Entwick- onskrankheiten, die 1910 bei 35 Prozent lag und bis 1990 auf lung neuer bedarfsangepasster, gentechnisch verbesserter vier Prozent gesunken ist. Enzyme erforderlich. Ein weiteres bekanntes Breitband-Antibiotikum, das wie das Penicillin zu den β-Lactam-Antibiotika gehört, ist das Antibiotika Cephalosporin. β-Lactam-Antibiotika töten die sich teilenden Bakterien, indem sie ihre Zellwandsynthese stören. Die Ce- Antibiotika dienen der Behandlung von Infektionskrankhei- phalosporin-Produktion ist ein anschauliches Beispiel für die ten und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medi- Verbesserung der Antibiotika-Produktion mit Hilfe biotechno- kamenten. Das erste bekannte Antibiotikum, das Penicillin, logischer Verfahren: war auch eines der ersten biotechnologisch hergestellten Cepholosporin wurde erstmals 1948 von dem italienischen Produkte. Seit 1944 konnte Penicillin in industriellem Maßstab Wissenschaftler Giuseppe Brotzu isoliert, der beobachtete, aus Submerskulturen (Kulturen von Mikroorganismen in dass Kulturen des Schimmelpilzes Cephalosporium acremoni- Nährlösungen) des Pilzes Penicillium chrysogenum gewonnen um eine Substanz produzierten, die den Erreger des Typhus, werden. Als Nährmedium in den Fermentern diente dabei in Salmonella typhii, abtöteten. Wasser eingeweichter Mais (corn steep liquor). Bis zum Ende Einer der wichtigsten Hauptausgangsstoffe für Cephalos- des Zweiten Weltkrieges boten 12 US-amerikanische und zwei phorin ist die so genannte 7-Amino-Cephalosporansäure. Im kanadische Firmen Penicillin an. Es blieb zunächst hauptsäch- konventionellen Verfahren wird in chemischen Prozessen der lich verwundeten Soldaten vorbehalten, denn die Produk- Hauptausgangsstoff Cephalosporin C in mehreren Schritten tionsmenge reichte noch nicht aus, um auch alle zivilen zu 7-Amino-Cephalosporansäure umgewandelt. Dabei werden toxische und gefährliche Stoffe wie Trimethylchlorosilan und Pentachlorid, chlorhaltige Lösungsmittel und schwermetall- haltige Substanzen eingesetzt. Außerdem muss der Prozess unter großem Energieaufwand gekühlt werden, was zu hohen Kosten führt. Das entstehende Abgas muss aufwändig gereinigt werden. Anfallendes Abwasser kann mit normalen biologischen Abwasserreinigungsverfahren nicht gereinigt werden, die entstehenden Klärschlämme müssen daher ver- brannt werden. Biotechnologisches Verfahren zur Cephalosporinherstellung Im biotechnologischen Herstellungsverfahren der 7-Amino- Cephalosporansäure wird die Ausgangssubstanz Cephalospo- rin C in zwei Reaktionsschritten durch zwei Enzyme („D- Amino Acid Oxidase“ und „Glutaryl Amidase“) umgewandelt. Beide Enzyme wurden aus natürlich vorkommenden Mikroor- ganismen gewonnen. Die Mikroorganismen wurden dabei so optimiert, dass eine sehr hohe Ausbeute bei der Gewinnung der Enzyme erreicht werden konnte. Die gewonnenen Enzyme wurden isoliert, gereinigt, auf Trägersubstanzen aufgebracht und dann in einem Bioreaktor verwendet. In dem biotech- nologischen Verfahren zur 7-Amino-Cephalosporansäure- Produktion kann so bei Zimmertemperatur mit Wasser als Lösungsmittel und ohne toxische Stoffe oder Schwermetalle gearbeitet werden. Das Abwasser kann danach im Wesent- lichen biologisch gereinigt werden. Dadurch muss weniger Klärschlamm in der Müllverbrennung entsorgt werden und die Abgasemissionen fallen geringer aus. Allerdings
ANWENDUNGSBEISPIELE Vitamine 13 erhöht sich die Abwasserfracht geringfügig. Das biotechnolo- gische Verfahren ist erheblich kostengünstiger, Energie- und Materialkosten können deutlich eingespart werden. Vitamine Ein weiteres Beispiel Weißer Biotechnologie ist die Produktion von Vitaminen. Vitamine müssen mit der Nahrung aufgenom- men werden, da sie vom körpereigenen Stoffwechsel zum größ- ten Teil nicht synthetisiert werden können. Es sind organische Verbindungen, die vom Organismus nicht als Energieträger, sondern für andere lebenswichtige Funktionen benötigt wer- den. Einige Vitamine werden dem Körper als Vorstufen (Pro- vitamine) zugeführt, die dann erst im Körper in die Wirkform umgewandelt werden. Man unterteilt Vitamine in fettlösliche (lipophile) und wasserlösliche (hydrophile) Vitamine. Die meis- ten Vitamine werden chemisch synthetisiert, die Vitamine C, B12 und B2 werden jedoch überwiegend mit biotechnologischen Verfahren hergestellt. Vitamin C wird durch Kombination von chemischer und bi- otechnologischer Synthese mit Hilfe eines gentechnisch verän- derten Bakterienstammes der Gattung Erwinia gewonnen, der ein Enzymgen (Reduktase) aus einem anderen Bakterium, dem Corynebakterium, enthält. Bei der Herstellung des Vitamins B12 konnte die aufwändige chemische Synthese des Cobalamins, der Vorstufe des Cyanocobalamins (Vitamin B12), durch einen einstufigen Fermentationsprozess mit Hilfe des Mikroorganis- mus Pseudomonas denitrifans ersetzt werden. Ashbya gossypii, Zellwand (rot) und Zellkerne (grün) Herstellung von Vitamin B2 Prozessschritte. Hierzu wurden einige umweltschädliche Die Vitamin B2-Produktion zeigt deutlich die Vorteile biotech- Chemikalien eingesetzt: z. B. musste das entstehende Produkt nologischer Produktionsverfahren in der Vitaminherstellung: aufwändig unter Verwendung von Säure gereinigt werden, Der biotechnologische Herstellungsprozess von Vitamin B2 wird um schließlich zu 96 % aus Vitamin B2 zu bestehen. unter anderem von der BASF AG in Ludwigshafen eingesetzt und hat inzwischen den chemisch-technischen Syntheseweg Biotechnologische B 2-Produktion nahezu komplett ersetzt: Vitamin B2 wird für den Energiehaus- Wesentlicher Ausgangsstoff für die biotechnologische halt der Zellen benötigt und kommt vor allem in Milch, Käse, Herstellung von Vitamin B 2 ist ebenfalls Glukose. In einem Bio- Eiern, Fleisch, Nüssen und Leber vor. Es unterstützt den Organis- reaktor wird dabei ein auf die Produktion von Vitamin B2 opti- mus beim Aufbau bestimmter chemischer Verbindungen und mierter Stamm des Pilzes Ashbya gossypii oder ein verwandter beim Abbau von Kohlenhydraten, Fettsäuren und Aminosäu- Pilz der Spezies Eremothecium ashbyii verwendet. Verwendung ren. Ein Mangel von Vitamin B2 kann u. a. zu Wachstumsstörun- finden auch Vitamin-überproduzierende Stämme des Bakte- gen führen. riums Bacillus subtilis, die das Vitamin nicht natürlich bilden, Vitamin B2 dient auch als gelber Farbstoff. Bei dieser Ver- sondern gentechnisch verändert wurden. Pflanzenöl auf Soja- wendung gilt Vitamin B2 als Zusatzstoff und muss unter der basis, das Glukose enthält, wird als Ausgangsstoff genutzt. Bezeichnung Riboflavin (E 101) in der Zutatenliste aufgeführt In der Fermentation entsteht in einem einzigen Prozess- werden. Riboflavin (auch: Lactoflavin) ist ohne Höchstmengen- schritt Vitamin B 2 in Form gelber Kristalle. beschränkung zur Färbung von Lebensmitteln und in Futter- Beim biotechnologischen Verfahren kann gegenüber dem mitteln zugelassen. chemischen Verfahren eine Verringerung der Umweltbelas- tung um 40 % erreicht werden: So können die CO2-Emissionen Chemisches Verfahren um 30 %, der Stoffverbrauch um 60 % und die entstehenden Ab- Noch in den 90er Jahren wurde Vitamin B 2 bei der BASF in fälle um 95 % verringert werden. Es werden weniger umwelt- einem achtstufigen Syntheseprozess hergestellt. Wichtigster gefährdende Chemikalien verwendet und weniger Nebenpro- Ausgangsstoff war dabei Zucker (Glukose), der zuerst in einem dukte entstehen, so dass auf einige der aufwändigen und zum biotechnologischen Verfahrensschritt zu Ribose fermentiert Teil umweltrelevanten Prozessschritte zur Aufreinigung des wurde. Danach folgten jedoch rein chemisch-technische Endprodukts verzichtet werden kann.
14 Hormone ANWENDUNGSBEISPIELE Hormone Syntheseschritte. In den frühen 30er Jahren wurde das Ne- bennierenrindenhormon Cortison von den Forschern Edward Auch bei der Hormonsynthese spielen biotechnologische C. Kendall und Tadeusz Reichenstein erstmals isoliert. Die Verfahren eine zunehmende Rolle. Hormone sind körpereige- schmerz- und entzündungslindernde Wirkung des Steroidhor- ne Informationsübermittler. Nach ihrem chemischen Aufbau mons machte Cortison als Medikament interessant. Die aufwän- unterscheidet man zwischen Hormonen, die vor allem aus dige chemische Synthese war zunächst nur in 37 Schritten unter Eiweiß bestehen, und solchen, die sich überwiegend aus Fetten extremen Reaktionsbedingungen möglich. Die Biotechnologie zusammensetzen. Erstere heißen Peptidhormone, zu letzteren ermöglicht die Verkürzung der Synthese auf 11 Schritte, für die gehören vor allem Steroidhormone. Peptidhormone sind u. a. man industriell ddie Stoffwechselleistung des Pilzes Rhizopus Insulin, Glucagon und die Hypophysen- und Zwischenhirn-Hor- arrhizus verwendet. Durch biotechnologische Verfahren konn- mone. Zu den Steroidhormonen zählen die Geschlechts- und ten Druck und Temperatur der Syntheseschritte reduziert und Nebennierenrindenhormone. Viele Krankheiten beruhen auf damit die Herstellungskosten gesenkt werden. Fehlleistungen verschiedener Hormonsysteme. Die Gabe von Mit Hilfe weiterer biotechnologischer Prozesse konnte der Hormonen ist in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten Ausgangsstoff für die Cortison-Synthese, Diosgenin, der aus der erforderlich (z. B. Wachstums- oder Wechseljahrsbeschwerden, mexikanischen Yams-Wurzel gewonnen wurde, ersetzt werden. Krebstherapie u. a.). In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stiegen die Die Synthese des Steroidhormons Cortison ist ein Beispiel Preise für den Ausgangsstoff Diosgenin so stark an, dass alterna- für die Kombination biotechnologischer und chemischer tive Methoden mit Hilfe der Biotechnologie entwickelt wurden: BMBF-Fördermaßnahme „GenoMik-Plus – Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“ Das BMBF führt mit der Fördermaßnahme „GenoMik-Plus Das Bielefelder GenoMik-Plus Netzwerk mit dem Forschungs- – Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für vorhaben „Funktionelle Genomforschung an Bakterien für Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“ den Umweltschutz, die Landwirtschaft und die Biotechnolo- die erfolgreichen Projekte der GenoMik-Förderung (2001-2006) gie“ setzt sich aus insgesamt 26 Forschergruppen zusammen, fort. Unterstützt wird es dabei aktiv vom „Industrieverbund die an 15 Universitäten, drei Forschungszentren sowie in drei Mikrobielle Genomforschung“, zu dem sich 16 Unternehmen aus Industrieunternehmen arbeiten. Es baut auf die Arbeiten der der chemischen Industrie, der Pharmaindustrie, der Nahrungs- GenoMik-Fördermaßnahme auf und unterteilt sich in die drei güterwirtschaft und der Biotechnologie zusammengeschlossen Forschungscluster „Pflanzenassoziierte Bakterien“, „Primärme- haben. Dieser Industrieverbund begleitet die Förderaktivität tabolitproduzenten“ und „Sekundärmetabolitproduzenten“. Im mit dem Ziel, einen Ansprechpartner auf Seiten der Wirtschaft Mittelpunkt dieser Analysen steht die Entzifferung der Genomse- zu schaffen, der die Interessen und Aktivitäten der beteiligten quenzen von sechs verschiedenen Bakterienspezies mit Relevanz Unternehmen bündelt, den Technologietransfer optimiert und in den Bereichen Umweltschutz (Alcanivorax borkumensis), Land- die Koordination der Forschung auf europäischer Ebene leitet. wirtschaft (Azoarcus sp., Xanthomonas campestris, Clavibacter michiganensis) und Biotechnologie (Sorangium cellulosum) sowie die Herstellung von genomweiten Microarrays (DNA-Chips). Die zukünftigen Arbeiten betreffen vorwiegend Postgenom- analysen, d. h. Analysen, die über die Entzifferung der DNA hinaus gehen und sich mit der Genaktivität und Proteinsynthese (Transkriptom und Proteom) und dem Stoffwechsel (Metabolom) der verschiedenen Bakterienspezies beschäftigen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung kombinatorischer Biosynthese von neuartigen Antibiotika durch Streptomyceten („Sekundärmetabolitproduzenten“). In das Bielefelder Netzwerk wurden vier Arbeitsgruppen neu integriert, die sich der Analyse von antibiotisch wirksamen Sekundarmetaboliten der Bakterien- spezies Bacillus amyloliquefaciens widmen. Das an der Universität Bielefeld angesiedelte Netzwerkzentrum wird das Projektma- nagement übernehmen sowie den Netzwerkpartnern seine Sorangium cellulosum Infrastruktur und Plattformtechnologien zur Verfügung stellen.
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