Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges

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Weiße Biotechnologie
Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse
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Impressum

Herausgeber
Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF)

Bestellungen
Schriftlich an den Herausgeber
Postfach 30 02 35
53182 Bonn

Tel.: 01805 - 262 302
Fax: 01805 - 262 303
(0,14 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz)

E-Mail: books@bmbf.bund.de
Internet: http://www.bmbf.de oder http://www.biotechnologie.de

Redaktion und Gestaltung
biotechnologie.de, Berlin

Druckerei
DruckVogt GmbH, Berlin

Bonn, Berlin 2007

Bildnachweise
Umschlag: Getty Images
Industrielle Biotechnologie: BRAIN AG, GSF, Fotolia, MWG Biotech AG
Anwendungsbeispiele: Fotolia, Henkel KGaA, Grafiker Heinz Fehling,
Hanspeter Helfer und Peter Philippsen (Basel, CH), MWG Biotech AG, Fotolia,
Kim Langille (New Brunswick, Canada), Fotolia, MWG Biotech AG
Grundlagen: Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, Fonds der Chemischen
Industrie, Rolf Müller (Saarbrücken), Combinature Biotech AG, BAYER AG
Technologien: Matthias Peter ETH (Zürich), BRAIN AG, Nedeljko Budisa (München),
GSF, transkript
Bioreaktoren: BASF AG, Greenovation,
Industrielle Produktion: BASF AG, Canola Views Image Library, DASGIP, Fotolia
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Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse
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Vorwort

                                                                Wir nutzen die Chancen und das hohe Innovationspotenzial
                                                                der Weißen Biotechnologie. Wir vergessen dabei aber nicht,
                                                                mögliche Risiken durch intensive Forschung erkennen und
                                                                besser bewerten zu können. Deshalb werden wir die Förderung
                                                                der Weißen Biotechnologie in den nächsten Jahren ausbauen:
                                                                Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat
                                                                dafür zwei neue Förderinitiativen ins Leben gerufen:
                                                                    Die Initiative BioIndustrie 2021 ist eine erste Maßnahme,
                                                                mit der zukünftig Ideen aus Hochschulen und Forschungsins-
                                                                tituten mit Beteiligung der Wirtschaft schneller in Produkte,
                                                                Verfahren oder Dienstleistungen einfließen werden.
                                                                    Wir werden in den nächsten Jahren aber auch die Genom-
                                                                forschung und die Systembiologie an Mikroorganismen weiter
                                                                ausbauen. Sie sind die Basis für Entwicklungen von neuen
                                                                Forschungsansätzen in der industriellen Biotechnologie.
                                                                Mit der Förderinitiative Geno-Mik Plus sollen Mikroorganismen
                                                                mit Relevanz für industrielle Anwendungen mit den Methoden
                                                                der Genomforschung untersucht und für Produktionsprozesse
                                                                optimiert werden.
Die Weiße Biotechnologie gewinnt zunehmend an Bedeutung             Mit den Förderinitiativen BioIndustrie 2021 und Geno-
für unser Leben: Chemische Prozesse werden durch den Einsatz    Mik Plus setzt das BMBF im Sinne der Hightech-Strategie eine
von Mikroorganismen, Enzymen oder anderen Produktions-          Innovationspolitik aus einem Guss um. Unser Ziel muss es sein,
systemen optimiert oder ersetzt. Das Zukunftsfeld Biotechno-    die deutsche Bioindustrie auch bei Beschäftigung und Umsatz
logie beeinflusst schon heute Produkte und Prozesse in vielen   zum Spitzenreiter in Europa zu machen.
Branchen substanziell.                                              Diese Broschüre bietet einen Streifzug durch die faszinie-
    Die Weiße Biotechnologie birgt viel versprechende Wachs-    rende Welt der Weißen Biotechnologie. Informieren Sie sich
tumspotenziale für ökonomisch bedeutende Industriezweige.       über laufende Fördermaßnahmen und Projekte und bekom-
Wir versprechen uns von ihr aber auch Lösungswege für viele     men Sie eine Vorgeschmack auf das, was die Weiße Biotechno-
drängende Fragen unserer Zeit. Die Bundesregierung setzt        logie möglich machen wird.
deshalb auf den Ausbau dieser zukunftsweisenden Techno-
logie. Im Rahmen der Hightech-Strategie für Deutschland
stellen wir in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 Millionen
Euro an Fördermitteln allein für die Weiße Biotechnologie zur
Verfügung. Mit zusätzlichen Mitteln aus der Wirtschaft sollen
Forschungs- und Entwicklungsprojekte in einem Gesamtvolu-       Dr. Annette Schavan, MdB
men von mehr als 250 Millionen Euro finanziert werden.          Bundesministerin für Bildung und Forschung
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INHALT                                                                                                                                                                                                     3

Inhalt

Vorwort........................................................................................02       Technologien zur Optimierung von
                                                                                                        Mikroorganismen und Enzymen .................................. 27
Wirtschaftliches Potenzial
Weißer Biotechnologie ......................................................04                             Designer Bugs ............................................................................. 27

   Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie ..04                                              Metabolic Pathway Engineering .............................................. 28

   Weiße Biotechnologie in Deutschland....................................05                               Gelenkte Evolution..................................................................... 29

Weiße Biotechnologie ........................................................06                            Enzymoptimierung – Protein Engineering ............................. 29

   Biotechnologie – Begriffsdefinition ......................................... 07                        Bioprospektion ........................................................................... 29

   Entstehung der Weißen Biotechnologie ................................ 07                                Genome und Metagenome .......................................................30

Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie .. 10                                                            Synthetische Biologie .................................................................31

   Wasch- und Reinigungsmittel ................................................. 10                     Bioreaktoren und Prozess-Design ............................... 33

   Antibiotika ...................................................................................12    Industrielle Produktion ..................................................... 35

   Vitamine .......................................................................................13      Technische Enzyme .................................................................... 35

   Hormone ......................................................................................14        Biotechnologische Feinchemikalien- und
                                                                                                           Spezialchemikalienproduktion ...............................................36
   Enzyme als Therapeutika und Diagnostika ............................ 15
                                                                                                           Bulkprodukte .............................................................................. 37
   Lebensmittelindustrie ............................................................... 15
                                                                                                           Bioraffinerie ............................................................................... 38
   Nutraceuticals, Prä- und Probiotika .........................................17
                                                                                                        Weiterführende Literatur.................................................40
   Enzyme als Futtermittelzusätze ............................................... 18
                                                                                                        Glossar ...........................................................................................41
   Textil-, Leder- und Papierindustrie........................................... 18

   Agrochemikalien ....................................................................... 19

   Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff .......................21

   Biopolymere .................................................................................21

Grundlagen der Weißen Biotechnologie ................ 23

   Mikroorganismen ...................................................................... 23

   Biokatalyse und Fermentation: Enzyme ................................. 24

   Molecular Pharming .................................................................. 25
Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges
4                                                               Entwicklung der Weißen Biotechnologie WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL

Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie

Die Fortschritte auf wissenschaftlich-technischem Gebiet                •   Es werden weniger Rohstoffe, Materialien und Energie
                                                                            verbraucht, außerdem sind geringere Investitionskosten
treiben derzeit die Entwicklung der Weißen Biotechnologie                   nötig.
                                                                        •   Komplexe Moleküle wie z. B. Zucker oder Aminosäuren
voran, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit biotechnolog-                     können mit einfachen, aus wenigen Teilschritten beste-
                                                                            henden Produktionsprozessen hergestellt werden. Dabei
scher Verfahren und Produkte kontinuierlich erhöhen.                        können mildere Prozessbedingungen genutzt werden
                                                                            (z. B. niedrige Temperaturen und Normaldruck).
                                                                        •   Es fallen geringere Entsorgungskosten durch umwelt-
Die Weiße Biotechnologie hat das Potenzial, einen substan-                  freundlichere Reststoffe und Emissionen an.
tiellen Beitrag zu den Herausforderungen der industriellen              •   Es können erneuerbare, einheimische Ressourcen genutzt
Gesellschaft zu leisten:                                                    werden.
• Sie wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der                 •   Neue, innovative Produkte mit hohem Wertschöpfungs-
    Industrie zu verbessern, insbesondere der chemischen                    potenzial können entwickelt werden.
    Industrie, die sich in einer Phase der Neu- und Umorien-
    tierung befindet.                                                    Die Weiße Biotechnologie birgt aus heutiger Sicht große
•   Die Nachhaltigkeit der industriellen Produktion wird                Chancen: Aufgrund der rasanten Fortschritte in Forschung und
    verbessert.                                                         Entwicklung besitzt sie ein hohes Innovationspotenzial.
•   Nachwachsende Rohstoffe als Basis der industriellen Pro-            Zur Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität der Men-
    duktion und der Energiewirtschaft werden erschlossen.               schen könnten vielfältige innovative Produkte und Dienst-
                                                                        leistungen beitragen, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse
Die Anwendungsmöglichkeiten der Weißen Biotechnologie sind              besser befriedigen können. Die Entwicklung neuer Märkte und
durch die Vielfalt der Synthesemöglichkeiten der Natur fast unbe-       Beschäftigungschancen wären die positiven Folgen.
grenzt. Sowohl neue nachhaltige Produktionsmöglichkeiten be-                 Neben den Anwendungspotenzialen sind es vor allem
stehender Produkte als auch vollkommen neue Produktgruppen              gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Entsorgungskos-
können mit den Methoden der Weißen Biotechnologie entwickelt            ten, die das Interesse an den Möglichkeiten und Ansätzen der
werden. Das wirtschaftliche Potenzial, das sich aus der Nutzung         Industriellen Biotechnologie in den letzten Jahren stark haben
geeigneter Mikroorganismen und ihrer Enzyme ergeben kann,               steigen lassen. Mikrobiologisch produzierte und abbaubare Bi-
ist unabsehbar. Die gegenwärtige revolutionäre Entwicklung              opolymere könnten zukünftig teilweise die Kunststoffindustrie
auf dem Gebiet der Weißen Biotechnologie lässt die Vermutung            von der Erdölabhängigkeit befreien.
zu, dass bisher erst die „Spitze des Eisberges“ des Innovationspo-           Durch den Einsatz erneuerbarer Rohstoffe und Energien
tenzials biotechnologischer Anwendungen erschlossen wurde.              besitzt die Weiße Biotechnologie das Potenzial, zur Ressour-
Insbesondere Energie, Informations- und Kommunikationstech-             ceneffizienz beizutragen und Stoffkreisläufe zu schließen. So
nologien, Gesundheit, Lebensqualität, Transport und Sicherheit          werden klimaneutralere und weniger toxische Verfahren der
oder Verbraucherschutz zählen zu den möglichen Anwendungs-              Weißen Biotechnologie gegenwärtig schon für verschiedene
gebieten und Geschäftsfeldern der Industriellen Biotechnologie.         Produkte verwendet.
                                                                             Schon heute wird der weltweite Umsatz der Weißen Bio-
Wirtschaftliche Entwicklung der                                         technologie auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Er ist damit
Weißen Biotechnologie                                                   vergleichbar mit dem gegenwärtigen Umsatz, den Biopharma-
                                                                        ka weltweit erzielen und der mit 55 Milliarden Euro angegeben
Nachdem die Weiße Biotechnologie in der Pharmaindustrie                 wird.
und Lebensmitteltechnologie in Form von Prozessen und                        Der Anteil biotechnologischer Verfahren am Umsatz der
Produkten längst fest etabliert ist, wird sie nun immer häufiger        chemischen Industrie wird auf 5 % geschätzt. In den nächsten
in der chemischen Industrie angewendet. Feinchemikalien, Me-            fünf Jahren soll er auf 10 bis 20 % steigen. In verschiedenen Be-
dikamente oder Polymere werden zunehmend mit Methoden                   reichen der chemischen Industrie gibt es keine ökonomischen
der Weißen Biotechnologie hergestellt. Da viele der biotech-            Alternativen zu biotechnologischen Produktionsverfahren,
nologischen Verfahren auf erneuerbaren Rohstoffen beruhen               Beispiele hierfür sind die enantiomerenreinen Spezialchemi-
und mildere Reaktionsbedingungen erfordern, sind die Herstel-           kalien.
lungsprozesse oft umweltfreundlicher, kostengünstiger und                    Von einer wissenschaftlichen Entdeckung bis zu deren
nachhaltiger als herkömmliche Syntheseverfahren:                        Umsetzung in einem kommerziellen Produkt ist es jedoch oft
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WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL Weiße Biotechnologie in Deutschland                                                                5

ein weiter Weg. Für eine gezielte wirtschaftliche Nutzung        koärmer. Da es sich bei den Produkten und Verfahren oft um
industrieller biotechnologischer Verfahren müssen Grundla-       Grundchemikalien und Zwischenprodukte der chemischen
genforschung und anwendungsorientierte Forschung weiter          bzw. der Prozessindustrie handelt, ist die Umsetzung von der
vorangetrieben werden.                                           Forschung zur Anwendung vergleichsweise kurz. Neue indus-
    Die Weiße Biotechnologie steht daher vor großen He-          trielle Prozesse und Produkte können in Entwicklungszeiten
rausforderungen: Die bisherigen Forschungsansätze und            von zwei bis fünf Jahren bis zur kommerziellen Anwendung
Anwendungen stellen vielfach nur erste Schritte in Richtung      gebracht werden.
einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft dar. Sie zeigen          Erfolgreiche Forschung und Entwicklung können in der
jedoch, dass sich durch ständige Entwicklung und Ergänzung       Weißen Biotechnologie wegen der hohen Komplexität der
vom Know-how unterschiedlicher Technologien innovative           Einzeldisziplinen nur im Forschungsverbund durchgeführt
Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen. Entschei-       werden. Biologen, Chemiker, Verfahrenstechniker und andere
dend für deren weitere Umsetzung und Kommerzialisierung          Wissenschaftler müssen das verfügbare und sich entwickeln-
wird sein, ob und inwieweit sie die Kundenbedürfnisse besser     de Know-how gemeinsam nutzen.
befriedigen können.
                                                                 Status quo der Weißen Biotechnologie
Weiße Biotechnologie in Deutschland                              in Deutschland
                                                                 Deutschland hat eine starke Position in der biotechnolo-
Produktion und Beschäftigung wachsen besonders in den            gischen Grundlagenforschung sowie der Verfahrens- und
Industriezweigen, die in hohem Maße in Forschung und             Prozesstechnik und verfügt damit über die potenziellen
Entwicklung investieren. Knapp 40 % des Wertschöpfungs-          Ressourcen für eine erfolgreiche Kommerzialisierung.Von den
anteils der deutschen Wirtschaft entfielen z. B. im Jahr 2002    480 Biotech-Unternehmen in Deutschland (biotechnologie.
auf forschungs- und entwicklungsintensive Industrien und         de) arbeiten rund 12 % auf dem Gebiet der Industriellen Bio-
wissens-intensive Dienstleistungen (BMBF 2005). In einer         technologie. Dies entspricht einer Zahl von 57 Unternehmen
wissensbasierten Wirtschaft sind Innovation, Forschung und       (Mehrfachnennungen waren in der Erhebung möglich).
Know-how für das erfolgreiche Bestehen im internationalen            Das Beschäftigungspotenzial der Biotech-Branche sah
Wettbewerb besonders wichtig.                                    im Jahr 2005 folgendermaßen aus: In der kommerziellen
    In Deutschland ist die Hochtechnologie Weiße Biotechno-      deutschen Biotechnologie waren insgesamt knapp 24.000 Mit-
logie seit vielen Jahren etabliert und wird ständig weiterent-   arbeiter beschäftigt. In den 480 Biotech-Unternehmen waren
wickelt. Deutschland konnte seine starke Position in der bio-    12.973 Mitarbeiter tätig, hinzu kamen 10.856 Beschäftigte, die
technologischen Grundlagenforschung, der Verfahrens- und         in innovativ biotechnologisch-aktiven Unternehmen direkt in
Prozesstechnik sowie in den Produktionskapazitäten in den        der Biotechnologie tätig waren. Von den 24.000 Mitarbeitern
vergangenen Jahren ausbauen. Begonnen hat die industrielle       waren in der Industriellen oder Weißen Biotechnologie rund
Verwendung biotechnologischer Verfahren in Deutschland           2.500 Beschäftigte tätig.
mit der Produktion von OROPON® durch Röhm und Haas                   Die meisten der deutschen Biotech-Unternehmen beschäf-
in Darmstadt 1909 (siehe S. 7), wenige Jahre später folgten      tigen sich mit Auftragsforschung und Entwicklung, wobei sie
Enzymprodukte für die Waschmittelherstellung und für die         größtenteils über eigene Plattformtechnologien verfügen.
Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die deutsche Industrie        Zunehmend stellen die Biotech-Unternehmen selbst oder in
stellt heute eine stetig wachsende Anzahl von Produkten mit      Zusammenarbeit mit industriellen Partnern eigene Produkte
Hilfe biotechnologischer Verfahren her, zu ihnen gehören         her.
Aminosäuren, Vitamine, optisch aktive Substanzen, Feinche-           Das vielversprechende Potenzial der Industriellen oder
mikalien und zahlreiche Bulkprodukte.                            Weißen Biotechnologie ist bei weitem noch nicht ausge-
    Neben zahlreichen Forschungseinrichtungen beschäf-           schöpft. Es ist absehbar, dass der Einfluß der Biotechnologie
tigen sich in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen        auf die industriellen Produktionsverfahren in Zukunft weiter
(KMU) und verschiede globale Chemiekonzerne (beispielswei-       wachsen wird. Die Fortschritte in der biotechnologischen
se Bayer AG, BASF AG, Degussa AG, Henkel KGaA) mit Weißer        Forschung erweitern kontinuierlich die Möglichkeiten, indus-
Biotechnologie. Die enge Zusammenarbeit von Großunter-           trielle Produktionsprozesse durch neue biotechnologische
nehmen, KMU oder neu gegründeten Start-up-Firmen sowie           Verfahren zu ersetzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die
den zahlreichen Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet           neuen Verfahren durchsetzen werden, ist dabei abhängig von
der Weißen Biotechnologie bildet eine gute Basis für weitere     unterschiedlichen Faktoren. Die Produktionskosten werden
Forschung und Entwicklung.                                       neben der Kundenakzeptanz die entscheidende Triebkraft
    Im Gegensatz zu den Unternehmen, die sich mit der so         für den Wechsel von konventionellen zu biotechnologischen
genannten Roten Biotechnologie beschäftigen, fallen für die      Produktionsverfahren sein.
Firmen der Weißen Biotechnologie nicht die langen Testzeiten
und Zulassungsverfahren für Produkte und Verfahren an.
Der Weg zum Markt ist schneller, einfacher und vor allem risi-
Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges
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Weiße Biotechnologie

Weiße oder Industrielle Biotechnologie umfasst die in der        tion vieler anderer täglich benutzter Gegenstände sind Metho-
                                                                 den der Weißen Biotechnologie zu einem festen Bestandteil
industriellen Produktion etablierten Verfahren, um die           der Produktionsverfahren geworden.

Werkzeuge der Natur zu nutzen. Gegenwärtig erfährt die           Was versteht man unter Weißer Biotechnologie?
                                                                 Die Weiße Biotechnologie – auch Industrielle Biotechnologie
Weiße Biotechnologie durch technologische Durchbrüche            genannt – ist nach einer Definition der europäischen Industrie-
                                                                 vereinigung EuropaBio die Verwendung der Werkzeuge der
eine rasante Entwicklung. Die industrielle Produktion, zum       Natur in der industriellen Produktion.
                                                                     In der Weißen Biotechnologie werden demnach Organis-
Beispiel in der chemischen Industrie, bedient sich immer         men oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle
                                                                 Produktion verwendet. Dies grenzt sie von der Roten Biotech-
häufiger biotechnologischer Verfahren.                           nologie (medizinisch-pharmazeutische Biotechnologie) und
                                                                 der Grünen Biotechnologie (landwirtschaftlich-pflanzliche
                                                                 Biotechnologie) ab.
Die moderne Biotechnologie gewinnt für unser tägliches Le-           Durch die wissenschaftlichen Erfolge der jüngsten Zeit, die zu
ben zunehmend an Bedeutung. Viele Verbesserungen – auch          der Aufklärung biologischer Systeme und ihrer Steuerungs- und
wenn wir dies nicht immer wahrnehmen – beruhen heute             Regelungsmechanismen führten, erfährt die Weiße Biotechno-
schon auf biotechnologischen Methoden. Neben den rasanten        logie gegenwärtig eine rasante Entwicklung. Sie umfasst eine
Fortschritten der so genannten Roten Biotechnologie, die für     Vielzahl von Produkten, Methoden und Anwendungsmöglichkei-
die Entwicklung neuer Arzneimittel zu einer unverzichtbaren      ten. Zu den Produkten der Industriellen Biotechnologie gehören
Technologie geworden ist, ist es vor allem die Weiße Biotech-    Spezial- und Feinchemikalien, Lebensmittel oder Lebensmit-
nologie, die unser Leben verändert und bereichert. Brot, Käse,   telzusatzstoffe, Agrar- und Pharmavorprodukte und zahlreiche
Bier und Wein sind Produkte, für deren Herstellung biotech-      Hilfsstoffe für die verarbeitende Industrie. Die Methoden der
nologische Verfahren verwendet werden. Doch nicht nur in         modernen Weißen Biotechnologie können sowohl für die Etablie-
der Lebensmittelindustrie ist Biotechnologie von Bedeutung,      rung neuer biotechnischer Produktionsverfahren für bestehende
auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, Arznei-       Produkte genutzt werden als auch für die Entwicklung neuartiger
mittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmittel, bei der Ver-      Produkte mit hohem Wertschöpfungspotenzial.
edelung von Textilien, Leder und Papier und bei der Produk-
                                                                 Weiße Biotechnologie heute
                                                                 Derzeit erlebt die Weiße Biotechnologie einen starken Auf-
                                                                 schwung, zum einen wegen der Etablierung erfolgreicher
                                                                 Projekte, zum anderen wegen der Erfolge in der molekular-
                                                                 biologischen und biotechnologischen Forschung: Genomik,
                                                                 Proteomik, Metabolomik, Screening-Methoden und Bioinfor-
                                                                 matik haben den Weg zu immer besseren Verfahren geebnet.
                                                                 Der Zeitbedarf für die Entwicklung und Etablierung neuer
                                                                 biotechnologischer Verfahren und Produkte konnte deutlich
                                                                 verkürzt werden. Die Standardisierung und Miniaturisierung
                                                                 der biotechnologischen Produktionsprozesse trieb die Entwick-
                                                                 lung weiter voran. Sowohl Wissenschaft als auch Wirtschaft
                                                                 haben sich in jüngster Zeit wieder verstärkt mit der industriel-
                                                                 len Anwendung der Biotechnologie beschäftigt.
                                                                     Ein verschärfter globaler Wettbewerb und daraus resul-
                                                                 tierende steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie die
                                                                 Bemühungen, industrielle Prozesse insgesamt nachhaltiger zu
                                                                 gestalten, haben diese Entwicklung weiter beschleunigt.
                                                                     Dabei kann die Weiße Biotechnologie einen substantiellen
                                                                 Beitrag zur Bewältigung von Zukunftsherausforderungen leis-
                                                                 ten. Sie kann dazu beitragen:
Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges
WEISSE BIOTECHNOLOGIE Begriffsdefinition                                                                                      7

•   einfachere, umweltfreundlichere und sauberere Produkti-
    onsverfahren zu etablieren,
•   die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren,
•   die Investitionskosten zu verringern,
•   die Energie- und Entsorgungskosten zu reduzieren,
•   neue Produkte und Systemlösungen mit hohem Wert-
    schöpfungspotenzial zu entwickeln,
•   die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Industriezweige zu
    verbessern.

Biotechnologie – Begriffsdefinition

Die Biotechnologie ist in hohem Maße interdisziplinär und um-
fasst Gebiete der Molekulargenetik, Zellbiologie, Humangene-
tik, Medizin, Mikrobiologie, Virologie sowie der Bioinformatik
und Systembiologie. Als eine typische Querschnittstechnologie
nutzt die Biotechnologie neben den Methoden der Bio- und
Lebenswissenschaften auch die anderer Disziplinen, wie Me-
dizin, Chemie, Physik, Robotik, Informationstechnologie oder
Materialwissenschaften.

    In einer aktuellen Definition erklärt die OECD
                                                                 Expression zu bringen. Dies bedeutete, dass die in den Genen
    (Organization for Economic Cooperation and
                                                                 gespeicherte Information in einem Wirtsorganismus in ein
    Development) Biotechnologie als die Anwen-
                                                                 Merkmal „übersetzt“ werden konnte. Der Wirtsorganismus
    dung von Naturwissenschaft und Technologie
                                                                 hatte damit neue Eigenschaften. Etwa 10 Jahre später wurde das
    an lebenden Organismen, deren Teilen sowie
                                                                 erste gentechnisch hergestellte Medikament zugelassen, weni-
    Produkten und Modellen von ihnen.
                                                                 ge Jahre später die ersten gentechnisch veränderten, transge-
                                                                 nen Pflanzen angebaut.
Unter Biotechnologie versteht man die Umsetzung von Er-               Inzwischen sind weltweit mehr als 250 gentechnisch herge-
kenntnissen aus der Biologie und der Biochemie in technische     stellte Medikamente und Therapeutika auf dem Markt. Auch in
oder technisch nutzbare Elemente.                                der Landwirtschaft wächst der Anteil der Biotechnologie: Die
     Die moderne Biotechnologie zeichnet sich vor allem          Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen betrug im Jahr
dadurch aus, dass sie die Methoden der Molekularbiologie         2005 weltweit rund 90 Millionen Hektar.
nutzt. Die theoretischen Grundlagen dieser Methoden wur-
den erst durch die Entwicklung der Gentechnik, der Genom-        Entstehung der Weißen Biotechnologie
forschung und der modernen Mikrobiologie erschlossen.
Die Gentechnik entspricht dabei der Anwendung moderner           Die Weiße Biotechnologie ist im Grunde keine neue Disziplin,
molekularbiologischer Methoden zur Änderung der geneti-          sondern entspricht einem „Griff in die Werkzeugkiste der
schen Eigenschaften von Organismen. Man sagt dazu auch           Natur“. Methoden der Weißen Biotechnologie werden bereits
„rekombinante DNA-Technologie“, weil damit die Erbinfor-         seit Jahrtausenden genutzt. In zahlreichen Kulturen waren
mation und Gene, die in der DNA (Desoxyribonukleinsäure)         Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu
festgelegt sind, gezielt neu kombiniert also „re“-kombiniert     Alkohol mit Hilfe von Hefen, Milchsäuregärung unter Verwen-
werden können. Die Gentechnik erweitert das methodische          dung von Lactobacillus-Stämmen oder die Essigherstellung mit
Spektrum der Forscher gewaltig und erlaubt es, völlig neue       Hilfe spezieller Acetobacter-Spezies lange vor der Entdeckung
Fragestellungen zu bearbeiten. Die Methoden, die zunächst        von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrunde
nur bei Mikroorganismen angewendet werden konnten, wur-          liegenden Prozesse etabliert.
den im Laufe der Jahre auch auf höhere Organismen, Tiere
und Pflanzen, erfolgreich übertragen. Der Wissensschub,          Historische Entwicklung der Mikrobiologie
der daraus resultiert, hat die dynamische Entwicklung der        Die Entdeckung der Mikroorganismen oder das Verständnis der
modernen Biotechnologie erst möglich gemacht.                    biochemischen Grundlagen fermentativer Prozesse erfolgte erst
     Im Jahr 1973 wurde die moderne Biotechnologie begründet,    im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. Antonie van
als es Stanley Cohen und Herbert Boyer in San Francisco zum      Leeuwenhoek (1632-1723) beobachtete erstmals Mikroorganis-
ersten Mal gelang, ein fremdes Gen in einen Wirtsorganismus      men mit Hilfe eines einlinsigen Mikroskops und fand in einer
zu übertragen und dieses Gen in dem neuen Organismus zur         Bierprobe gelbe Hefekügelchen.
Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse - Visual Bridges
8                                                                                           Entstehung WEISSE BIOTECHNOLOGIE

                                                                   nach an der Reaktion aber nicht beteiligt war. Beob-achtungen
                                                                   dieser Art häuften sich und zogen zu Beginn des 19. Jahrhun-
                                                                   derts die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich.
                                                                       Der schwedische Wissenschaftler Jöns Jakob Berzelius (1779-
                                                                   1848), der als Begründer der modernen Chemie gilt, schrieb im
                                                                   Jahre 1836 hierüber eine Abhandlung und schlug den Namen
                                                                   „Katalyse“ für die Erscheinung vor. Dieser ist aus dem Griechi-
                                                                   schen abgeleitet und bedeutet soviel wie „Abbau“.
                                                                       Durch Beobachtungen gelang es, zu postulieren, dass che-
                                                                   mische Prozesse in lebendem Gewebe nur deshalb unter sehr
                                                                   milden Bedingungen ablaufen, weil dort gewisse Katalysatoren
                                                                   vorhanden sind, die in der unbelebten Natur fehlen.
                                                                       Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen Geweben
                                                                   extrahiert werden, die mit den beobachteten Reaktionen in
    Beispiele für die jahrtausendelange Nutzung
                                                                   Verbindung gebracht und „Fermente“ genannt wurden. Eines
    von Methoden der Weißen Biotechnologie sind
                                                                   der ersten beschriebenen Fermente war das von dem deutschen
    die Produktion von Wein, Bier, Sauerteigbrot,
                                                                   Physiologen Theodor Schwann 1835 aus dem Magensaft extra-
    Käse oder Joghurt durch Fermentation. Unter
                                                                   hierte „Pepsin“, benannt nach einem griechischen Wort, das
    Fermentation versteht man die Umsetzung von
                                                                   „verdauen“ bedeutet.
    Substanzen unter Mithilfe von Mikroorganismen
                                                                       Immer weitere Fermente wurden entdeckt, und in der zwei-
    oder Enzymen.
                                                                   ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass
        In allen Kulturen der Welt wurden Lebensmit-
                                                                   diese Fermente die Katalysatoren der lebenden Gewebe waren,
    tel durch mikrobielle Fermentation verändert:
                                                                   die im Organismus Reaktionen ermöglichten, die Chemiker
    Erste Anwendungen der Prinzipien der Weißen
                                                                   nicht zuwege brachten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-
    Biotechnologie begannen ca. 6000 v. Chr., als
                                                                   kannte man vor allem durch Versuche des deutschen Forschers
    die Sumerer in Mesopotamien aus gekeimter
                                                                   Eduard Buchner, dass Fermente nicht-lebende Substanzen
    Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk
                                                                   waren, die man aus Zellen gewinnen konnte und die ihre Arbeit
    brauten.
                                                                   auch im Reagenzglas verrichteten. Der Name „Enzyme“ (aus
                                                                   dem Griechischen „in der Hefe“) wurde von nun an auf alle
Louis Pasteur (1822-1895) entdeckte 1856 in verunreinigten         Fermente angewandt.
Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem            Heute wird ein Enzym (veraltet Ferment), definiert als ein
griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Die ent-        Eiweiß (Protein), das eine chemische Reaktion katalysieren
deckten Milchsäurebakterien (Lactobazillen) produzierten aus       kann (siehe Seite 22). Enzyme sind essentiell für den Stoff-
Zucker durch Gärung Milchsäure, während in den Weinfässern
Hefepilze den Zucker zu Alkohol vergären sollten. Pasteur legte
mit diesen Entdeckungen die Grundlage für das Verständnis
von Fermentation beziehungsweise Gärung und begründete
die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass „die
Rolle des unendlich Kleinen in der Natur () unendlich groß“ ist,
war der Weg für die moderne Biotechnologie bereitet.
    Die Bedeutung der Mikroorganismen als Krankheitser-
reger erkannte Robert Koch (1843-1910) als einer der ersten
Wissenschaftler. Im Jahr 1876 gelang Koch die Entdeckung des
Milzbrandbakteriums und 1882 die Identifizierung des Tuber-
kuloseerregers. Zuvor galten nicht Mikroorganismen, sondern
so genannte Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als
Krankheitsursachen. Die Entdeckungen von Nutzen und Gefahr
durch Mikroorganismen gelangen in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts fast parallel zueinander.

Enzyme
Die Aufklärung der chemischen Grundlagen von Stoffwechsel-
reaktionen begann im 18. Jahrhundert als Chemiker beobach-
teten, dass eine Reaktion manchmal durch Einführung eines
Stoffes beschleunigt werden konnte, dieser allem Anschein
WEISSE BIOTECHNOLOGIE Entstehung                                                                                                   9

wechsel aller lebenden Organismen. Der überwiegende Teil
biochemischer Reaktionen, von der Verdauung (Beispiel:
Pepsin) über den Energiestoffwechsel der Zellen, die Bewe-
gung oder die Informationsübertragung bis hin zum Kopieren
der Erbinformation (DNA-Polymerase), wird von Enzymen
katalysiert und gesteuert.

Biotechnologie in der industriellen Anwendung
Biotechnologische Anwendungen in der industriellen Produk-
tion wurden erstmals in der Ledergerbung genutzt: Röhm und
Haas in Darmstadt produzierten bereits 1909 das erste industri-
ell verwendete Enzymprodukt OROPON®. Dieses Produkt
bestand aus Enzymen, die Proteine abbauen, den so genann-
ten Proteasen, und konnte entscheidend die Ledergerbung
verbessern: Bisher waren zur Behandlung der Felle und Häute
Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet worden, die
jetzt durch das wesentlich umweltfreundlichere und sauberere      in systematischer Form möglich geworden – die revolutionäre
Produkt ersetzt werden konnten.                                   Entwicklung dieser Technologie steht damit in unmittelbarem
      Im Jahre 1928 entdeckte Sir Alexander Fleming (1881-1955)   Zusammenhang. Die produktiven Fähigkeiten von Mikroorga-
die keimtötende Wirkung, die von Schimmelpilzen der Spezies       nismen scheinen fast unbegrenzt: Eine unübersehbare Vielfalt
Penicillium notatum ausging. Die Erkenntnis führte zur Isolie-    organischer und anorganischer Moleküle können in mikrobiel-
rung des ersten Antibiotikums, Penicillin. Penicillin wurde       len Stoffwechselwegen meisterlich synthetisiert werden.
1941 erstmals an einem Menschen getestet und bereits wenige            Das Gebet eines Chemikers (Zitat von Leslie D. Pettit anläss-
Jahre später gelang es, einen Stamm der Spezies Penicillium       lich des X. internationalen Symposiums 2005 über Bioorgani-
chrysogenum aus einer verschimmelten Melone zu kultivieren,       sche Chemie, Szklarska Poreba, Polen) wird angesichts dieser
der „submers“ wuchs. Das bedeutet, der Stamm wuchs nicht          Fähigkeiten verständlich:
nur auf Oberflächen, wie dies für Schimmelpilze sonst typisch          „Dear Lord, I fall upon my knees and pray that all my
ist, sondern er war in einem flüssigen Medium kultivierbar.            syntheses may cease to be inferior to those conducted by
Mit diesem Stamm war es möglich, großvolumige Fermenta-               bacteria.“
tionstechniken zu entwickeln, um das Penicillin in industri-
ellem Maßstab herzustellen. 1944 wurde die erste Großanlage       Die Methoden der modernen Biotechnologie unterscheiden sich
mit Submerskultur zur Penicillin-Produktion in Brooklyn, USA,     dabei von den klassischen Methoden durch die Verwendung
eröffnet.                                                         von Enzymen oder ganzen Zellen, die in ihren Eigenschaften
      Die eigentliche wissenschaftliche Revolution begann mit     mit Hilfe molekularbiologischer Techniken verbessert werden
den Entdeckungen der Molekularbiologie und Genetik in der         konnten. Damit eröffnen sich immer neue Möglichkeiten für die
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die dynamische Ent-      Entwicklung maßgeschneiderter Synthesen.
wicklung der modernen Weißen Biotechnologie vorantrieben.             Die moderne Weiße Biotechnologie hat ein enormes Po-
      Heute wird unter Weißer oder Industrieller Biotechno-       tenzial für die Zukunft und bietet ökologische, ökonomische
logie weitgehend der Einsatz biotechnologischer Methoden          und funktionelle Vorteile: Biokatalysatoren sind biologisch
innerhalb industrieller Prozesse verstanden. Die OECD identi-     abbaubar, bei Biokatalysen entstehen weniger Abfall- und
fiziert hierbei zwei Schwerpunkte:                                Nebenprodukte, die Produktion ist mit einer verbesserten
1. Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch nachwachsen-       Umweltbilanz unter milderen Bedingungen möglich. Der
     de Ausgangsstoffe, also Biomasse, und                        Energiebedarf und der Rohstoffeinsatz sinken. Die biotechno-
2. Ersatz konventioneller, nicht auf biologischen Prozessen       logische Synthese ist in weniger Schritten möglich, aufwändi-
     beruhender Methoden der industriellen Produktion durch       ge Herstellungsverfahren werden überflüssig, die Reaktionen
     solche, denen biologische Systeme zugrunde liegen.           sind darüber hinaus hochspezifisch. Unternehmen haben auf
                                                                  diese Weise die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und neue
Die Weiße Biotechnologie bedient sich gewissermaßen der bi-       Absatzmärkte zu erschließen, bei gleichzeitig verbessertem
ologischen, evolutionär geschaffenen biosynthetischen Kreati-     Schutz der Umwelt. Die beschriebenen Möglichkeiten der
vität der belebten Natur. Neue Enzyme müssen nicht erst erfun-    Weißen Biotechnologie sind auch in ihrer Multidisziplinari-
den werden. Vielmehr produzieren Millionen unterschiedlicher      tät begründet. Die Konvergenz der Weißen Biotechnologie
Mikroorganismen eine fast unendliche Zahl von Enzymvarian-        und anderer Technologiefelder führt zu Synergien, so dass
ten, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Die Erschließung     die Grenzen zu Verfahrenstechnik, Informationstechnik,
dieser biosynthetischen Möglichkeiten ist mit den Methoden        Nanotechnologie, Molekularbiologie, Chemie oder Biophysik
der modernen Molekularbiologie erst seit wenigen Jahrzehnten      zunehmend verwischen.
10                                                                      Wasch- und Reinigungsmittel ANWENDUNGSBEISPIELE

Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie

In vielen Bereichen industrieller Produktion und Verar-         Enzymhaltige Waschmittel werden seit dem frühen 20. Jahr-
                                                                hundert eingesetzt. Enzyme verbessern Waschmittel durch die
beitung werden Verfahren und Produkte der Weißen                Spaltung verschiedener Schmutzpartikel in lösliche Verbin-
                                                                dungen. Besonders eiweißhaltige Verschmutzungen wie zum
Biotechnologie bereits heute mit großem Erfolg eingesetzt.      Beispiel Ei, Blut und Kakao konnten durch Enzyme immer
                                                                besser gespalten und beseitigt werden. Zunächst wurden die
Die verschiedenen Anwendungsgebiete zeigen die                  in Waschmitteln verwendeten Enzyme aus den Bauchspeichel-
                                                                drüsen von Schlachttieren gewonnen. Seit den 60er Jahren
große Bedeutung, die diese Technologie in unserem               konnten sie durch Enzyme aus biotechnologischer Produktion
                                                                ersetzt werden.
täglichen Leben hat.                                                Durch die Verwendung von Enzymen in Waschmitteln
                                                                konnte nicht nur das Waschergebnis verbessert werden, son-
                                                                dern vor allem konnten die Kosten und der Energieverbrauch
In verschiedenen Bereichen der industriellen Produktion und     durch Herabsetzen der Waschtemperaturen, Waschdauer, des
Verarbeitung sind die Methoden der modernen Biotechnolo-        Wasser- und Waschmittelverbrauchs deutlich reduziert wer-
gie zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden. Zu ihnen        den. Der Waschprozess wird also effektiver, kostengünstiger
gehören die Herstellung von enzymhaltigen Wasch- und            und umweltfreundlicher.
Reinigungsmitteln oder die Verwendung von Enzymen als                Am Beispiel der Proteasen, die in etwa 80 % aller Waschmit-
Medikamente, Diagnostika, Lebensmittel- oder Futtermittel-      tel enthalten sind, wird die Bedeutung dieser Biokatalysatoren
zusätze. Bei der Produktion verschiedener Arzneimittelvor-      deutlich: Proteasen sind Enzyme, die Eiweiße (Proteine) spalten.
stufen, Antibiotika, Vitamine, Hormone oder bei der Verar-      Eiweißhaltige Verschmutzungen machen einen großen Teil der
beitung zahlreicher Lebensmittel werden biotechnologische       Wäscheverunreinigungen aus. Enzyme werden bei der Prote-
Verfahren eingesetzt. Sie unterliegen gerade in jüngster Zeit   inspaltung nicht verbraucht, es ist daher möglich, sie auch in
durch die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der        kleinen Mengen sehr wirkungsvoll einzusetzen. Bei ausreichend
Molekularbiologie einer dynamischen Optimierung.                langer Einwirkungszeit kann theoretisch eine sehr kleine Menge
                                                                Proteasen eine unbegrenzte Menge Eiweiß abbauen.
Wasch- und Reinigungsmittel                                          Enzyme haben ein Temperaturoptimum. Sie sind grund-
                                                                sätzlich nur in einem begrenzten Temperaturbereich wirksam,
Eine der klassischen Anwendungen Weißer Biotechnologie ist      der meist zwischen 20 °C und 65 °C liegt. Eine Protease, deren
die Verwendung optimierter Biokatalysatoren, so genannter       Wirkungsoptimum bei etwa 60 °C liegt, hat bei 30 °C nur noch
Enzyme, in Waschmitteln.                                        5 bis 10 % ihrer optimalen Wirkung. Umgekehrt kann das Enzym
                                                                bei 95 °C schon nach einigen Minuten völlig unwirksam sein.
                                                                Da Waschprozesse bei unterschiedlichen Temperaturen ablau-
                                                                fen, müssen Enzyme temperaturabhängig verwendet werden.
                                                                Sie werden auch industriell aus dementsprechend angepaßten
                                                                Mikroorganismen hergestellt. Um die Energiekosten möglichst
                                                                gering zu halten, ist es ein Forschungsziel, Enzyme zu finden,
                                                                die bei immer geringeren Temperaturen optimal wirken.
                                                                     Die Alkalität des Waschwassers macht man sich seit Jahrtau-
                                                                senden zunutze, um Schmutz zu entfernen. Die Haltbarkeit der
                                                                gewaschenen Fasern ist jedoch bei höherer Alkalität geringer.
                                                                Um die Fasern zu schonen, aber auch, um die Produkte für den
                                                                Verbraucher sicherer zu machen, ist eine Herabsetzung der
                                                                Alkalität also von Vorteil. Damit die Waschleistung auch in we-
                                                                niger alkalischem Waschwasser gewährleistet bleibt, müssen
                                                                Enzyme gefunden werden, die in dem entsprechenden Milieu
                                                                optimal arbeiten. Die Enzymaktivität ist pH-abhängig. Die
                                                                meisten Waschmittelenzyme haben daher ein pH-Optimum,
                                                                das dem alkalischen pH-Wert des Waschwassers angepasst ist.
                                                                Ein Beispiel für Enzyme, die im alkalischen Milieu – also in dem
ANWENDUNGSBEISPIELE Wasch- und Reinigungsmittel                                                                                       11

vorherrschenden Milieu von Waschwasser – arbeiten, sind die          Enzymherstellung erfolgt biotechnologisch, also mit Hilfe von
Subtilisine. Sie gehören zu den Proteasen, das heißt zu den          Mikroorganismen in sogenannten Fermentern.
eiweißspaltenden Enzymen, sind bakterieller Herkunft und                 In Wasch- und Reinigungsmitteln werden neben Proteasen
verdanken ihre Benennung dem Ursprungsorganismus Bacillus            folgende weitere Enzyme verwendet:
subtilis. Subtilisine spalten eiweißhaltige Verschmutzungen wie      • Amylasen für den Abbau von Stärke,
Ei, Blut oder Kakao im alkalischen Milieu so stark auf, dass diese   • Cellulasen für den Abbau von Cellulose,
ausgespült werden können.                                            • Lipasen für den Fettabbau auch bei Temperaturen um 20°C.
     Da Enzyme trotz zum Teil hoher Temperatur- und Alkali-
stabilität leicht denaturierbare Proteine sind, reagieren sie        Amylasen bauen Stärke ab, die z. B. in Soßen, Verdickungsmit-
empfindlich auf andere Waschmittelbestandteile, beispielswei-        teln und prozessierten Lebensmitteln, aber auch in Appretur
se gegenüber oxidierenden Bleichmitteln, aber auch gegen-            enthalten ist. Die Stärke wird dabei in lösliche Zweifachzucker
über Tensiden und Enthärtern. Dies muß bei der Entwicklung           (Maltose) gespalten. Cellulasen sind dagegen nicht in erster
von Wasch- und Reinigungsmitteln beachtet werden.                    Linie für den Schmutzabbau zuständig, sondern wirken auf
     Die Verwendung von Enzymen ist unter dem Gesichts-              die Gewebe selbst. So entfernen Cellulasen auf Baumwollge-
punkt der Waschmittelwirksamkeit und des Umweltschutzes              weben die winzigen Knötchen (Pilling), die das Gewebe rauh
zu befürworten. Enzyme sind bereits in kleinsten Mengen              machen, oder bauen abstehende Mikrofibrillen ab, die den
hoch wirksam, so dass eine größere Menge anderer wasch-              Farbeindruck schwächen. Sie sind auch für die Entfernung von
aktiver Substanzen eingespart werden kann. Außerdem sind             Pigmentflecken verantwortlich. Lipasen spalten Fette in die
Enzyme biologisch vollständig abbaubar und ungiftig. Die             leichter löslichen Bestandteile Fettsäuren und Glycerin. Fett-

BMBF-Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen Temperaturen – Tieftemperaturprotease“

Die zunehmende Notwendigkeit zur Einsparung von Energie              werden die neu identifizierten Tieftemperaturproteasen
und Ressourcen stellt die Industrie vor die Herausforderung,         charakterisiert, in ihrer Waschleistung geprüft und auf die
dem Verbraucher neue Produkte zur Verfügung zu stellen,              Produktionseignung (Herstellbarkeit) hin bewertet. Ziel des
die diesen Erfordernissen entsprechen. Mit dem vom BMBF              Projekts sind energie- und materialsparende und somit nach-
geförderten Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen        haltigere Waschprozesse, die auf neuen waschaktiven und
Temperaturen – Tieftemperaturproteasen“ sollen unter Pro-            effizient herstellbaren Tieftemperaturproteasen basieren.
jektleitung der Henkel KGaA in Düsseldorf in Zusammenar-
beit mit Forschungseinrichtungen neue Proteasen gefunden
werden, die für die Anwendung in Waschmitteln bei niedri-
gen Temperaturen optimiert sind. Sie sollen erstmalig den
Anforderungen von so genannten Kaltwasserwaschprozessen
gerecht werden.
    Um neue und geeignete Proteasen zu finden, werden zwei
unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Zum einen wer-
den kultivierbare Mikroorganismen aus der Natur isoliert und
auf ihre Fähigkeit getestet, kälteaktive Proteasen zu bilden.
In einem zweiten Ansatz werden auch die Gene von Mikro-
organismen untersucht, die nicht kultivierbar sind. Hierfür
werden in Kooperation mit dem Biotechnologie-Unternehmen
BRAIN AG in Zwingenberg so genannte Metagenom-Banken
angelegt. Dabei wird die Erbinformation aller Mikroorga-
nismen eines bestimmten Lebensraums (Habitats) geklont,
sowohl die Gene der kultivierbaren Mikroorganismen als auch
die Gene der nichtkultivierbaren Arten. Diese gesamte gene-
tische Information eines Habitats nennt man Metagenom. Die           In den Vertiefungen der Platten befinden sich kleine Läppchen
genetische Information wird auf die gesuchten Proteaseakti-          mit unterschiedlichen Anschmutzungen.
vitäten durchgemustert. Es ist auf diese Weise möglich, eine         Die neuen Enzyme werden hier dazugegeben und nach dem
sehr große Menge der synthetischen Vielfalt der Natur auf            „Waschen“ wird die Leistung der Enzyme anhand von Messungen
geeignete Enzyme hin zu untersuchen. Im geförderten Projekt          der Farbänderung bzw. Aufhellung beurteilt.
12                                                                                          Antibiotika ANWENDUNGSBEISPIELE

schmutz wie Lippenstift oder Kragenschmutz können dann           Patienten damit behandeln zu können. Auch nach dem Krieg
auch bei niedrigen Waschtemperaturen entfernt werden. Der        reichte die Produktion nicht für alle Patienten. Die Not der Pa-
Bereich Wasch- und Reinigungsmittel macht den größten            tienten führte zu Schmuggel und Schwarzhandel, was in dem
Marktanteil industrieller Enzyme aus (ca. 40 % VDI). Nicht nur   berühmten Roman von Graham Greene „Der dritte Mann“ und
in Waschmitteln, sondern zum Beispiel auch in Reinigungs-        in dem gleichnamigen Film thematisiert wird.
mitteln für Geschirrspülmaschinen oder in der Reinigungs-            Die große Bedeutung der Entdeckung der Antibiotika für
flüssigkeit von Kontaktlinsen sind Enzyme unverzichtbare         die moderne Medizin zeigt die Sterblichkeitsrate bei Infekti-
Bestandteile. Der riesige Markt macht die ständige Entwick-      onskrankheiten, die 1910 bei 35 Prozent lag und bis 1990 auf
lung neuer bedarfsangepasster, gentechnisch verbesserter         vier Prozent gesunken ist.
Enzyme erforderlich.                                                 Ein weiteres bekanntes Breitband-Antibiotikum, das wie
                                                                 das Penicillin zu den β-Lactam-Antibiotika gehört, ist das
Antibiotika                                                      Cephalosporin. β-Lactam-Antibiotika töten die sich teilenden
                                                                 Bakterien, indem sie ihre Zellwandsynthese stören. Die Ce-
Antibiotika dienen der Behandlung von Infektionskrankhei-        phalosporin-Produktion ist ein anschauliches Beispiel für die
ten und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medi-         Verbesserung der Antibiotika-Produktion mit Hilfe biotechno-
kamenten. Das erste bekannte Antibiotikum, das Penicillin,       logischer Verfahren:
war auch eines der ersten biotechnologisch hergestellten             Cepholosporin wurde erstmals 1948 von dem italienischen
Produkte. Seit 1944 konnte Penicillin in industriellem Maßstab   Wissenschaftler Giuseppe Brotzu isoliert, der beobachtete,
aus Submerskulturen (Kulturen von Mikroorganismen in             dass Kulturen des Schimmelpilzes Cephalosporium acremoni-
Nährlösungen) des Pilzes Penicillium chrysogenum gewonnen        um eine Substanz produzierten, die den Erreger des Typhus,
werden. Als Nährmedium in den Fermentern diente dabei in         Salmonella typhii, abtöteten.
Wasser eingeweichter Mais (corn steep liquor). Bis zum Ende          Einer der wichtigsten Hauptausgangsstoffe für Cephalos-
des Zweiten Weltkrieges boten 12 US-amerikanische und zwei       phorin ist die so genannte 7-Amino-Cephalosporansäure. Im
kanadische Firmen Penicillin an. Es blieb zunächst hauptsäch-    konventionellen Verfahren wird in chemischen Prozessen der
lich verwundeten Soldaten vorbehalten, denn die Produk-          Hauptausgangsstoff Cephalosporin C in mehreren Schritten
tionsmenge reichte noch nicht aus, um auch alle zivilen          zu 7-Amino-Cephalosporansäure umgewandelt. Dabei werden
                                                                 toxische und gefährliche Stoffe wie Trimethylchlorosilan und
                                                                 Pentachlorid, chlorhaltige Lösungsmittel und schwermetall-
                                                                 haltige Substanzen eingesetzt. Außerdem muss der Prozess
                                                                 unter großem Energieaufwand gekühlt werden, was zu
                                                                 hohen Kosten führt. Das entstehende Abgas muss aufwändig
                                                                 gereinigt werden. Anfallendes Abwasser kann mit normalen
                                                                 biologischen Abwasserreinigungsverfahren nicht gereinigt
                                                                 werden, die entstehenden Klärschlämme müssen daher ver-
                                                                 brannt werden.

                                                                 Biotechnologisches Verfahren zur
                                                                 Cephalosporinherstellung
                                                                 Im biotechnologischen Herstellungsverfahren der 7-Amino-
                                                                 Cephalosporansäure wird die Ausgangssubstanz Cephalospo-
                                                                 rin C in zwei Reaktionsschritten durch zwei Enzyme („D-
                                                                 Amino Acid Oxidase“ und „Glutaryl Amidase“) umgewandelt.
                                                                 Beide Enzyme wurden aus natürlich vorkommenden Mikroor-
                                                                 ganismen gewonnen. Die Mikroorganismen wurden dabei so
                                                                 optimiert, dass eine sehr hohe Ausbeute bei der Gewinnung
                                                                 der Enzyme erreicht werden konnte. Die gewonnenen Enzyme
                                                                 wurden isoliert, gereinigt, auf Trägersubstanzen aufgebracht
                                                                 und dann in einem Bioreaktor verwendet. In dem biotech-
                                                                 nologischen Verfahren zur 7-Amino-Cephalosporansäure-
                                                                 Produktion kann so bei Zimmertemperatur mit Wasser als
                                                                 Lösungsmittel und ohne toxische Stoffe oder Schwermetalle
                                                                 gearbeitet werden. Das Abwasser kann danach im Wesent-
                                                                 lichen biologisch gereinigt werden. Dadurch muss weniger
                                                                 Klärschlamm in der Müllverbrennung entsorgt werden
                                                                 und die Abgasemissionen fallen geringer aus. Allerdings
ANWENDUNGSBEISPIELE Vitamine                                                                                                      13

erhöht sich die Abwasserfracht geringfügig. Das biotechnolo-
gische Verfahren ist erheblich kostengünstiger, Energie- und
Materialkosten können deutlich eingespart werden.

Vitamine

Ein weiteres Beispiel Weißer Biotechnologie ist die Produktion
von Vitaminen. Vitamine müssen mit der Nahrung aufgenom-
men werden, da sie vom körpereigenen Stoffwechsel zum größ-
ten Teil nicht synthetisiert werden können. Es sind organische
Verbindungen, die vom Organismus nicht als Energieträger,
sondern für andere lebenswichtige Funktionen benötigt wer-
den. Einige Vitamine werden dem Körper als Vorstufen (Pro-
vitamine) zugeführt, die dann erst im Körper in die Wirkform
umgewandelt werden. Man unterteilt Vitamine in fettlösliche
(lipophile) und wasserlösliche (hydrophile) Vitamine. Die meis-
ten Vitamine werden chemisch synthetisiert, die Vitamine C,
B12 und B2 werden jedoch überwiegend mit biotechnologischen
Verfahren hergestellt.
    Vitamin C wird durch Kombination von chemischer und bi-
otechnologischer Synthese mit Hilfe eines gentechnisch verän-
derten Bakterienstammes der Gattung Erwinia gewonnen, der
ein Enzymgen (Reduktase) aus einem anderen Bakterium, dem
Corynebakterium, enthält. Bei der Herstellung des Vitamins B12
konnte die aufwändige chemische Synthese des Cobalamins,
der Vorstufe des Cyanocobalamins (Vitamin B12), durch einen
einstufigen Fermentationsprozess mit Hilfe des Mikroorganis-
mus Pseudomonas denitrifans ersetzt werden.                         Ashbya gossypii, Zellwand (rot) und Zellkerne (grün)

Herstellung von Vitamin B2                                          Prozessschritte. Hierzu wurden einige umweltschädliche
Die Vitamin B2-Produktion zeigt deutlich die Vorteile biotech-      Chemikalien eingesetzt: z. B. musste das entstehende Produkt
nologischer Produktionsverfahren in der Vitaminherstellung:         aufwändig unter Verwendung von Säure gereinigt werden,
Der biotechnologische Herstellungsprozess von Vitamin B2 wird       um schließlich zu 96 % aus Vitamin B2 zu bestehen.
unter anderem von der BASF AG in Ludwigshafen eingesetzt
und hat inzwischen den chemisch-technischen Syntheseweg             Biotechnologische B 2-Produktion
nahezu komplett ersetzt: Vitamin B2 wird für den Energiehaus-       Wesentlicher Ausgangsstoff für die biotechnologische
halt der Zellen benötigt und kommt vor allem in Milch, Käse,        Herstellung von Vitamin B 2 ist ebenfalls Glukose. In einem Bio-
Eiern, Fleisch, Nüssen und Leber vor. Es unterstützt den Organis-   reaktor wird dabei ein auf die Produktion von Vitamin B2 opti-
mus beim Aufbau bestimmter chemischer Verbindungen und              mierter Stamm des Pilzes Ashbya gossypii oder ein verwandter
beim Abbau von Kohlenhydraten, Fettsäuren und Aminosäu-             Pilz der Spezies Eremothecium ashbyii verwendet. Verwendung
ren. Ein Mangel von Vitamin B2 kann u. a. zu Wachstumsstörun-       finden auch Vitamin-überproduzierende Stämme des Bakte-
gen führen.                                                         riums Bacillus subtilis, die das Vitamin nicht natürlich bilden,
    Vitamin B2 dient auch als gelber Farbstoff. Bei dieser Ver-     sondern gentechnisch verändert wurden. Pflanzenöl auf Soja-
wendung gilt Vitamin B2 als Zusatzstoff und muss unter der          basis, das Glukose enthält, wird als Ausgangsstoff genutzt.
Bezeichnung Riboflavin (E 101) in der Zutatenliste aufgeführt           In der Fermentation entsteht in einem einzigen Prozess-
werden. Riboflavin (auch: Lactoflavin) ist ohne Höchstmengen-       schritt Vitamin B 2 in Form gelber Kristalle.
beschränkung zur Färbung von Lebensmitteln und in Futter-               Beim biotechnologischen Verfahren kann gegenüber dem
mitteln zugelassen.                                                 chemischen Verfahren eine Verringerung der Umweltbelas-
                                                                    tung um 40 % erreicht werden: So können die CO2-Emissionen
Chemisches Verfahren                                                um 30 %, der Stoffverbrauch um 60 % und die entstehenden Ab-
Noch in den 90er Jahren wurde Vitamin B 2 bei der BASF in           fälle um 95 % verringert werden. Es werden weniger umwelt-
einem achtstufigen Syntheseprozess hergestellt. Wichtigster         gefährdende Chemikalien verwendet und weniger Nebenpro-
Ausgangsstoff war dabei Zucker (Glukose), der zuerst in einem       dukte entstehen, so dass auf einige der aufwändigen und zum
biotechnologischen Verfahrensschritt zu Ribose fermentiert          Teil umweltrelevanten Prozessschritte zur Aufreinigung des
wurde. Danach folgten jedoch rein chemisch-technische               Endprodukts verzichtet werden kann.
14                                                                                             Hormone ANWENDUNGSBEISPIELE

Hormone                                                           Syntheseschritte. In den frühen 30er Jahren wurde das Ne-
                                                                  bennierenrindenhormon Cortison von den Forschern Edward
Auch bei der Hormonsynthese spielen biotechnologische             C. Kendall und Tadeusz Reichenstein erstmals isoliert. Die
Verfahren eine zunehmende Rolle. Hormone sind körpereige-         schmerz- und entzündungslindernde Wirkung des Steroidhor-
ne Informationsübermittler. Nach ihrem chemischen Aufbau          mons machte Cortison als Medikament interessant. Die aufwän-
unterscheidet man zwischen Hormonen, die vor allem aus            dige chemische Synthese war zunächst nur in 37 Schritten unter
Eiweiß bestehen, und solchen, die sich überwiegend aus Fetten     extremen Reaktionsbedingungen möglich. Die Biotechnologie
zusammensetzen. Erstere heißen Peptidhormone, zu letzteren        ermöglicht die Verkürzung der Synthese auf 11 Schritte, für die
gehören vor allem Steroidhormone. Peptidhormone sind u. a.        man industriell ddie Stoffwechselleistung des Pilzes Rhizopus
Insulin, Glucagon und die Hypophysen- und Zwischenhirn-Hor-       arrhizus verwendet. Durch biotechnologische Verfahren konn-
mone. Zu den Steroidhormonen zählen die Geschlechts- und          ten Druck und Temperatur der Syntheseschritte reduziert und
Nebennierenrindenhormone. Viele Krankheiten beruhen auf           damit die Herstellungskosten gesenkt werden.
Fehlleistungen verschiedener Hormonsysteme. Die Gabe von              Mit Hilfe weiterer biotechnologischer Prozesse konnte der
Hormonen ist in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten         Ausgangsstoff für die Cortison-Synthese, Diosgenin, der aus der
erforderlich (z. B. Wachstums- oder Wechseljahrsbeschwerden,      mexikanischen Yams-Wurzel gewonnen wurde, ersetzt werden.
Krebstherapie u. a.).                                             In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stiegen die
    Die Synthese des Steroidhormons Cortison ist ein Beispiel     Preise für den Ausgangsstoff Diosgenin so stark an, dass alterna-
für die Kombination biotechnologischer und chemischer             tive Methoden mit Hilfe der Biotechnologie entwickelt wurden:

BMBF-Fördermaßnahme „GenoMik-Plus – Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen
für Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“

Das BMBF führt mit der Fördermaßnahme „GenoMik-Plus               Das Bielefelder GenoMik-Plus Netzwerk mit dem Forschungs-
– Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für              vorhaben „Funktionelle Genomforschung an Bakterien für
Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“        den Umweltschutz, die Landwirtschaft und die Biotechnolo-
die erfolgreichen Projekte der GenoMik-Förderung (2001-2006)      gie“ setzt sich aus insgesamt 26 Forschergruppen zusammen,
fort. Unterstützt wird es dabei aktiv vom „Industrieverbund       die an 15 Universitäten, drei Forschungszentren sowie in drei
Mikrobielle Genomforschung“, zu dem sich 16 Unternehmen aus       Industrieunternehmen arbeiten. Es baut auf die Arbeiten der
der chemischen Industrie, der Pharmaindustrie, der Nahrungs-      GenoMik-Fördermaßnahme auf und unterteilt sich in die drei
güterwirtschaft und der Biotechnologie zusammengeschlossen        Forschungscluster „Pflanzenassoziierte Bakterien“, „Primärme-
haben. Dieser Industrieverbund begleitet die Förderaktivität      tabolitproduzenten“ und „Sekundärmetabolitproduzenten“. Im
mit dem Ziel, einen Ansprechpartner auf Seiten der Wirtschaft     Mittelpunkt dieser Analysen steht die Entzifferung der Genomse-
zu schaffen, der die Interessen und Aktivitäten der beteiligten   quenzen von sechs verschiedenen Bakterienspezies mit Relevanz
Unternehmen bündelt, den Technologietransfer optimiert und        in den Bereichen Umweltschutz (Alcanivorax borkumensis), Land-
die Koordination der Forschung auf europäischer Ebene leitet.     wirtschaft (Azoarcus sp., Xanthomonas campestris, Clavibacter
                                                                  michiganensis) und Biotechnologie (Sorangium cellulosum) sowie
                                                                  die Herstellung von genomweiten Microarrays (DNA-Chips).
                                                                  Die zukünftigen Arbeiten betreffen vorwiegend Postgenom-
                                                                  analysen, d. h. Analysen, die über die Entzifferung der DNA
                                                                  hinaus gehen und sich mit der Genaktivität und Proteinsynthese
                                                                  (Transkriptom und Proteom) und dem Stoffwechsel (Metabolom)
                                                                  der verschiedenen Bakterienspezies beschäftigen. Ein weiterer
                                                                  Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung kombinatorischer
                                                                  Biosynthese von neuartigen Antibiotika durch Streptomyceten
                                                                  („Sekundärmetabolitproduzenten“). In das Bielefelder Netzwerk
                                                                  wurden vier Arbeitsgruppen neu integriert, die sich der Analyse
                                                                  von antibiotisch wirksamen Sekundarmetaboliten der Bakterien-
                                                                  spezies Bacillus amyloliquefaciens widmen. Das an der Universität
                                                                  Bielefeld angesiedelte Netzwerkzentrum wird das Projektma-
                                                                  nagement übernehmen sowie den Netzwerkpartnern seine
Sorangium cellulosum                                              Infrastruktur und Plattformtechnologien zur Verfügung stellen.
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