Baumbrüter, Wald- oder Niederungswanderfalken? - Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus

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Baumbrüter, Wald- oder Niederungswanderfalken? - Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus
Greifvögel und Falknerei 2020

Wolfgang Baumgart

Baumbrüter, Wald- oder
Niederungswanderfalken?
Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors
für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus

1. Problemstellung                                       Die daraus für die ökologische Bewertung
Bei der weltweiten Verbreitung des Wander-           und Namensgebung ableitbaren Aspekte wurden
falken in recht unterschiedlichen Regionen           in Greifvögel und Falknerei 2019 (S. 50 – 61) von
und Lebensräumen fällt es oft schwer, sich auf       Bednarek (2019) in Würdigung der Verdienste
grundlegende Kriterien zu seiner ökologischen        von Professor Christian Saar um den Wander-
Differenzierung und Einbindung ins Umwelt-           falken zu dessen 90. Geburtstag unter teilweise
gefüge festzulegen. Meist definieren wir ihn als     neuen Aspekten eingehend erörtert. In Verbin-
hochspezialisierten Vogeljäger, was aber, da er      dung damit erscheint mir eine vertiefende Be-
regional auch in hohem Grade von Flattertieren       trachtung zur Rolle des Waldfaktors für mittel-
und Großinsekten leben kann, ebenso zu kurz          europäische Wanderfalken in einigen Punkten
greift wie Fords (1999) Feststellung, er sei bei     jedoch geboten, denn grundlegende Kausalbe-
der Vielfalt der von ihm bewohnten Lebensräu-        züge, die für die Herausbildung der von Saar als
me ein ausgesprochener Universalist. Es ist da-      „Waldwanderfalken“ bezeichneten Populations-
her treffender, ihn als Verfolgungsjäger im freien   gruppe maßgeblich sein dürften, bleiben bisher
Luftraum einzustufen, was auch seine nahezu          weitgehend unberücksichtigt.
kosmopolitische Verbreitung erklärt, denn die
Atmosphäre, der freie Luftraum schließt unse-        2. Für den Wanderfalken jagdbegünstigend
re Erde ja universell ein.                           wirkende Strukturierungen
    Obwohl Wanderfalken somit überall vor-           Bezüglich der für ihn jagdbegünstigenden
kommen könnten und in Höhen von einigen              Strukturen sind die Verhältnisse in den Mittel-
tausend Metern jagen können, unterliegt ihre         gebirgslagen am besten bekannt, wo die Falken
Verbreitung doch in Abhängigkeit von Beute-          auch, in mäßiger Höhe agierend, gut beobach-
angebot und Landschaftsstrukturierung bemer-         tet werden können. Frei anzufliegende, oft hoch
kenswerten Regulativen. Beutetiere, insbeson-        aufragende Felsgruppierungen bieten hier zu-
dere Vögel sind für sie nur bedeutsam, wenn          meist sowohl Horstgelegenheiten als auch Start-
sie regelmäßig im gesamten Jahreszyklus den          positionen für die Jagd im freien Luftraum. In
freien Luftraum fliegend frequentieren. Darüber      Abhängigkeit von der Oberflächen-Strukturie-
hinaus ist eine Reihe von Landschaftsstruktu-        rung sind potentielle Beutevögel vielfach ge-
ren für sie besonders attraktiv, weil ihnen eine     zwungen, Täler, insbesondere weite Haupttäler,
jagdbegünstigende Rolle zukommt, einerseits          in großer Höhe zu überfliegen, und auch nach
weil sie vor allem Vögel zum längerem Ver-           dem Überqueren der Hochlagen setzen sie ihren
weilen im Luftraum zwingen, andererseits aber        Flug oft auf gleichem Niveau fort oder streben
auch, weil sie zu einer Verdichtung der Flugfor-     abgleitend erst allmählich tiefere Lagen an. Das
mationen führen.                                     ist die Chance für den Falken, der von einem

                                                                                                  159
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An den 426 m hohen Felsen von Gibraltar orientieren sich zahlreiche aus Afrika zurückkehrende Zugvögel. Dieser
Verdichtungseffekt bedingt ein reiches Nahrungsangebot für Küsten-Wanderfalken. Hier brüten bis zu fünf Paare
auf 6,25 km², was aber auch anderenorts von Küsten- und Inselwanderfalken erreicht werden kann. Foto: Verfasser

exponierten Ansitz oder aus dem hohen Anwar-             hohe Siedlungsdichte von fünf Wanderfalken-
ten heraus, der Beute an Fluggeschwindigkeit             Paaren auf 6,5 km² an diesem Felsmassiv (Mebs
um ein Mehrfaches überlegen, nachsetzt und sie           & Schmidt 2006).
dann, oft ehe diese das gewahr wird, vor Errei-              Im Hochgebirge brütende, ernährungsmäßig
chen einer schützenden Deckung schlagen kann.            hochgradig vom Vogelzug abhängige Wander-
    Täler entlang ziehende Vogelscharen rüc-             falken finden sich bis in Höhen um 2000 m üNN
ken zudem dort enger zusammen, wo diese sich             (Jenny 2011). Die Falken entgehen den Beobach-
verengen oder einer Richtungsänderung unter-             tern aber oft, weshalb ihr Vorkommen teilweise
liegen, was die Chance auf erfolgreiche Jagd-            sogar in Frage gestellt wurde. Meist werden sie
flüge erhöht. Das erlebte ich am Iskurpaß im             erst entdeckt, wenn sie hier bei Steinadler- und
Westbalkan bei Lakatnik während des Früh-                Bartgeier-Horstkontrollen als Nachnutzer fest-
jahrszuges in den 1960er Jahren bei einem hier           gestellt werden. Ich erlebte sie in Hochlagen
ansässigen Falkenpaar. Auch ins Meer auslau-             jagend bei meiner Geiersuche in den Balkan-
fenden Landzungen wie am Kap Arcona auf                  gebirgen, im Kaukasus und auch in den Alpen.
Rügen folgende oder herausragende – etwa nach                In Mittelgebirgslagen erlangt dann auch der
Überqueren des Mittelmeeres Orientierung bie-            Bewaldungsgrad zunehmende Bedeutung.
tende – Erhebungen, wie der Felsen von Gibral-               Schon Vogt (1978) wies in ihren Untersu-
tar (426 m üNN), bewirken Verdichtungseffek-             chungen nach, daß von ausgedehnten Waldgür-
te bei Migranten. Das erklärt auch die extrem            teln eingeschlossene Mittelgebirgs-Brutplätze

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während der Rückgangsperi-
ode Mitte des vorigen Jahr-
hunderts länger als freistehen-
de besetzt blieben, was sie aber
unter anderem auf einen gerin-
geren Pestizideinsatz in Wald-
gebieten zurückführte.
     Doch, wenn man sich aus-
giebig Zeit zur Beobachtung
des erweiterten Horstumfel-
des nimmt, wird bald klar, daß
auch hier der Wald als jagdbe-
günstigende Umweltstruktur
wirkt. Vor allem Haustauben
vermeiden es, vor dem sie at-
tackierenden Falken im Wald
Schutz zu suchen. Sie bleiben
so für diesen länger und damit
auch erfolgreich bejagbar. Das
trifft auch für Enten, Limiko-
len, Möwen und Seeschwalben,
Taucher und Rallen sowie si-        Von Wanderfalken 2007 bezogener ehemaliger Steinadlerhorst im Hochge-
cher auch andere Vogelarten,        birge (Alpines Hochengadin, Schweiz) in 2030 m üNN. Im folgenden Jahr
die den Wald gleichfalls scheu-     wurde er vom Bartgeier genutzt. Hier spielt der Waldfaktor kaum eine Rolle.
en, zu.                                                                                          Foto: D. Jenny
     Eigene Beobachtungen von
langdauernden Verfolgungsflü-
gen auf Haustauben über ausge-
dehnten Waldflächen verzeich-
nete ich beispielsweise in den
dem Kleinen Winterberg nörd-
lich vorgelagerten weiträumi-
gen Waldgebieten im Elbsand-
steingebirge und im Thüringer
Wald (Baumgart 1985/86,
Baumgart & Weick 2011).
Am erstgenannten Platz erleb-
te ich obendrein das diesbezüg-
lich abweichende Fluchtverhal-
ten von Ringeltauben, die im
Oktober 1959 hier geradezu in
Massen durchzogen.
                                    Dem Kleinen Winterberg in der Sächsichen Schweiz sind nach Norden hin
     Vom Falken attackiert stürz-   ausgedehnte Waldflächen vorgelagert. Hier hielten sich die Wanderfalken
ten sie in der Regel aus großer     mit am längsten und kehrten im Rahmen des Wiederansiedlungsprojek-
Höhe sofort in den Wald, so daß     tes früh zurück. Das Foto belegt die Bedeutung des Waldfaktors auch an
drei hier aktiv jagende Falken      Mittelgebirgsplätzen des Wanderfalken.    Foto: A. Steinhoff, gemeinfrei.

                                                                                                          161
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                                                                        überwiegend geschlossen be-
                                                                        waldet und anfangs wahr-
                                                                        scheinlich nur in den Randzo-
                                                                        nen und erst später gebietsweise
                                                                        flächendeckend von Wanderfal-
                                                                        ken besiedelt (Fischer 1977).
                                                                        Denn erst ab dem ausgehenden
                                                                        Mittelalter wurden diese Ge-
                                                                        biete durch Menschen erschlos-
                                                                        sen. Zeitweilig stagnierten die
                                                                        Prozesse, da Pestausbrüche und
                                                                        Kriege die Bevölkerung im
                                                                        Mittelalter stark reduzierten.
                                                                        In die Wälder eingebettet fan-
                                                                        den sich hier im Spätmittelal-
Jagdstrategie eines Wanderfalken am 8.10.1959 im Norden des Kleinen
Winterberges. Von seinem Ansitz (x) an der Felsoberkante vermochte der ter oft nur verstreut Weiler und
Falke anfliegende Ringeltaubenschwärme über 3-4 km auszumachen. Dann Kleinsiedlungen.
schwang er sich ab, umflog das Felsmassiv, an dessen Rückseite sich ein     Erst ab dem 18. Jh. mit dem
Windkanal befand, der ihn in Sekundenschnelle mehrere hundert Meter Beginn der Industrialisierung
in die Höhe trug. Erst dann stürmte er den Tauben entgegen, ohne über kam es dann zu einer zügigen
mehrere Stunden zu einem Jagderfolg zu kommen, obwohl manchmal Erschließung und Urbarma-
die Federn stoben, weil sich die Tauben bei seiner Annäherung sofort in chung weiter Gebiete und zur
die schützenden Wälder der Quenwiesen stürzten.   Foto: J. Hennersdorf
                                                                        Umwandlung der Wälder in
                                                                        großflächige Siedlungsgebiete
über Stunden erfolglos blieben. Ringeltauben und moderne Agrarlandschaften (Dix 2003). Mit
werden nur unter besonderen Umständen in hö- der Gründung des Deutschen Reiches von 1871
herer Zahl von Wanderfalken erbeutet, wenn sie setzte zudem eine stürmische wirtschaftliche
wie etwa als Überwinterer im südenglischen Es- Entwicklung ein und die Bevölkerung wuchs
sex (Baker 1967) unter beständigem Beschuß von 41 Mio. in diesem Jahr über 56 Mio um
von Jägern stehend, immer wieder zum Aufflie- 1900, trotz des Weltkrieges I auf 69 Mio im
gen gezwungen werden. Auf den Beutelisten Jahre 1935.
mitteleuropäischer Wanderfalken rücken sie da-              Diese Öffnung der einst geschlossenen Wäl-
gegen, wie auch andere Wildtauben gegenüber der mit ihren Randzoneneffekten führte schon
der Haustaube meist deutlich in den Hintergrund. ausgangs des Mittelalters zu einem beachtli-
                                                        chen Anstieg der Vogelzahl und der Artenviel-
3. Die Besonderheiten der von                           falt (Schnurre 1921). Das reflektiert auch die
baumbrütenden „Waldwanderfalken“                        Entwicklung der Wanderfalken-Bestände, die
bewohnten Niederungsreviere                             in der Mark Brandenburg schon relativ früh er-
Das sich von der norddeutschen Tiefebene mit faßt wurden. Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jh.
Ausläufern nach Südskandinavien über die galt er noch als selten. Dann folgte eine Zunah-
Baltische Platte bis zum Ural erstreckende, ge- me und Stabilisierung trotz Bejagung und Eier-
schlossene Brutareal der bisher als „Baumbrü- sammelns sowie der oft intensiven Nachstellung
ter“ bezeichneten Wanderfalken erweist sich durch Taubenhalter. Und Anfang des 20. Jh. gab
als ausgesprochen nivelliert. Meist deutlich un- es in der Mark Brandenburg die meisten brüten-
ter 200 m üNN liegend und nur punktuell dar- den Wanderfalken in Europa. Das hielt bis in die
über hinausgehend war dieser Raum dereinst 1930er Jahre an. Dann setzte noch Jahrzehnte

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Luftaufnahme der Schorfheide. In deren ausgedehnten ebenen Forsten gibt es für mehrere Waldwanderfalken-
Paare Jagdreviere und Horstplätze. Das α-Revier befindet sich im Osten (rechter Bildteil).
                                                                                 Foto: R. Roletschek, GFDL 1.2

vor Beginn des Pestizid-Desasters ein allmäh-               In den ausgedehnten Wäldern lassen sich
licher Rückgang ein (Schnurre 1950, Fischer             die dortigen Wanderfalken nur schwer beobach-
1983).                                                  ten, und vieles blieb bis zu ihrem Verschwin-
    Bedeutsam für diese Entwicklung war ne-             den weitgehend unklar. Otto Schnurre, der Pio-
ben der ökologischen Umgestaltung und Öff-              nierarbeit bei ihrer Erforschung leistete, war
nung der Kulturlandschaft aber vor allem, daß           der Meinung, daß sie zwar tief in den Wäldern
die Landbevölkerung die Haustaube mitbrachte,           brüten, doch über den anliegenden freien Flä-
die die dereinst (und heute noch in vielen Teilen       chen jagten. Er ermittelte so sogar über Beu-
Skandinaviens) im Beutespektrum dominieren-             tevögel Revierausdehnungen. Kiebitze sowie
den Wasservögel (Limikolen, Enten, Möwen,               Bekassine und Grünschenkel holten die Falken
Kleinvögel etc.) von ihren Spitzenpositionen            der Mönchsheide bei Eberswalde nach seinem
verdrängte. Auf den Beutelisten mitteleuropä-           Dafürhalten beispielsweise aus dem sieben km
ischer Wanderfalken kamen dereinst Tauben,              entfernten Oderbruch (Schnurre 1973). Diese
womit überwiegend Haustauben gemeint sind,              Feststellungen wurden nicht nur von Utten-
auf 32 %, gefolgt von Star, Kiebitz, Feldlerche         dörfer (1939) übernommen. Sie finden sich
und Lachmöwe (Uttendörfer 1939). Heute                  auch im Handbuch (Glutz et al. 1971). Und
dürften Kiebitze und Feldlerchen eine geringe-          als ich begann, mich über die jagdbegünstigen-
re Rolle spielen. Diese Niederungsgebiete waren         de Rolle des Waldfaktors und die daraus resul-
für Wanderfalken in wenigen Jahrzehnten zu-             tierende vertikale, ja trichterförmige Ausdeh-
nehmend attraktiv geworden. Es sind dieselben           nung der Jagdräume dieser Wanderfalken zu
Prinzipien wie sie Elton (1958) beschreibt, wo-         äußern (Baumgart 1985/86), stieß das vielfach
nach Arealerweiterungen von Vögeln durch den            auf Vorbehalte.
Sog ungenutzter Ressourcen induziert werden,                Da es im gesamten Areal dieser baumbrü-
die auch in der Funktionalevolution eine ent-           tenden Waldwanderfalken keine nennenswerte
scheidende Rolle bei der Überwindung der als            vertikale Oberflächengliederung gibt, ist hier
Arealgrenze wirkenden Leistungsgrenze sowie             der Waldfaktor die einzige seine Jagd begün-
bei der Erlangung der für die Artbildung wich-          stigende Umweltstruktur, die aber auch eini-
tigen geographischen Isolation spielen (Baum-           gen Differenzierungen unterliegt. Weiträumig
gart 2010, 2015).                                       geschlossene Wälder, wie sie beispielsweise

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zumeist östlich des Ural vorliegen, meidet er. Sie   erlosch bereits 1952. Trotzdem suchte ich das
müssen erschlossen sein und für seine Belange        Gebiet über Jahre, ja Jahrzehnte immer wieder
einen Wechsel von relativ weiträumigen Forsten,      auf und konnte mir ein noch recht gutes Bild von
über die Vögel regelmäßig pendeln, und einge-        den Existenzbedingungen der dortigen Wander-
streuten, gleichfalls ausgedehnten Siedlungs-        falken machen, die ja anfangs noch so waren wie
einheiten im Wechsel mit Feuchtgebieten, Seen        zur Zeit ihres Brutvorkommens.
und Flüssen aufweisen. Bei Nachtflügen über              Das engere Horstgebiet bestand aus ei-
die Taiga fällt die geringe Zahl an beleuchteten     nem ziemlich geschlossenen Waldgebiet von
Siedlungsschwerpunkten, die sich meist nur an        ca. 4,0 x 3,5 km Ausdehnung, eingerahmt von
den großen Strömen finden, auf.                      den Schloßteichen im Süden, den beiden Teilen
    Diese Verhältnisse ließen sich bei mehrjäh-      des Großteiches im Osten bis Südosten sowie
rigen Besuchen einer Reihe von Wanderfalken-         dem Frauen- und Mittelteich im Norden bzw.
Waldrevieren immer wieder bestätigen, obwohl         Westen. Nach Westen hin schlossen sich wei-
es im jeweiligen Einzelfall anfangs durchaus         tere ausgedehnte Waldgebiete (Friedewald) an.
Abweichungen geben konnte. Nachfolgend sol-          Überliefert ist das Brüten in Bussard- und Mi-
len daher die besonderen Gegebenheiten in vier       lanhorsten im Umfeld der auf einer kleinen An-
ausgewählten, mir vertrauten Niederungsrevie-        höhe stehenden Ruine des Hellhauses im Ostteil
ren: Moritzburg bei Dresden, Mönchsheide nahe        des Waldes (Kurt Burk pers. Mitt.).
Eberswalde, Schorfheide bei Joachimsthal und             Entscheidend für die Lokalisierung war
Stubnitz auf Rügen betrachtet werden, bezüglich      wohl, daß die Lachmöwen der Hunderte von
derer ich über umfassendere,
teilweise weit zurückreichen-
de, vor allem auch durch Otto
Schnurre persönlich vermittel-
te Informationen verfüge. An
einigen Plätzen konnte ich teil-
weise noch selbst beobachten.
Und manche bisher offene Frage
ließe sich im Gefolge der inzwi-
schen erfolgten Wiederbesied-
lung sogar nachträglich klären.

3.1 Moritzburg
Als ich mich 1953 den Dres-
dener Ornithologen unter Lei-
tung von Rudolf Pätzold (1921–
2006) anschloß und mit meinen
Beobachtungen überwintern-
der Wanderfalken im Elbtal bei
Niederwartha begann (s. Baum-
gart 1985/86), erfuhr ich auch,
daß der Falke in den Wäldern       Das einstige relativ kleine Wanderfalkenrevier von Moritzburg. Es wies
von Moritzburg, rund 15 km         aber zwischen Seen, Wiesen, Sumpf- und landwirtschaftlichen Nutzflächen
von dort seit 1941 brüte (Bern-    eingebettet, im Umfeld eine hohe Biodiversität auf. Lachmöwen einer Ko-
hardt 1941). Doch leider kam       lonie am Ostteil des Frauenteiches überflogen es regelmäßig und wurden
ich zu spät. Das Vorkommen         so zur wichtigsten Beute. Karte von: hot.map.com

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Abwechslungsreiche Landschaft am Westende des Frauenteiches. Die Lachmöwenkolonie befand sich westlich
(links) der baumbestandenen Insel. Foto: Verfasser

Brutpaaren umfassenden Kolonie am Westende           Kolonie bei Neschwitz spielten dagegen für die
des Frauenteiches hier den Wald auf einer relativ    Ernährung der in der Nähe horstenden Wander-
kurzen Strecke von knapp 4 km auf ihrem Weg          falken keine wesentliche Rolle (Kramer 1950),
zum Elbtal überqueren mußten. Im Gebiet gab          wohl weil sie den Horstwald auf dem Weg zu ih-
es damals zudem zwei weitere Kolonien. Die           ren Nahrungsgründen nicht überquerten.
Möwen sicherten, da über die gesamte Brutzeit            Dieses Niederungs-Wanderfalkenrevier bei
präsent, in erheblichem Maße die Ernährung der       Moritzburg ist zwar relativ klein, doch gerade-
Falken ab, denn sie waren, wie mir zahlreiche        zu modellhaft typisch. Die mehrere Kilometer
Beobachtungen an überwinternden Wanderfal-           messende geschlossene Waldfläche wird von
ken am Staubecken Niederwartha zeigten, für          Teichen, und ins angrenzende Kulturland über-
diese in größerer Höhe relativ leicht zu schlagen.   leitenden Feuchtgebieten eingeschlossen. Die
Daneben gehörten noch zwei Krickenten sowie          abwechslungsreiche Landschaftsstrukturierung
je eine Stockente, Wildtaube und ein junger          förderte eine hohe Artenvielfalt und Individu-
Turmfalke zu den Beute-Nachweisen.                   endichte, was wohl auch zu einer hohen Über-
    Die Kolonie am Frauenteich bestand noch          flugfrequenz von Vögeln über das Horstgebiet
in beachtlicher Stärke mit allerdings rückläu-       führte.
figer Tendenz über viele Jahre, ist inzwischen           Fotos aus dieser Zeit existieren offenbar
aber seit langem erloschen. Die Lachmöwen der        nicht. Doch Fritz Bäuerle (1949) bekam aus

                                                                                                  165
Baumbrüter, Wald- oder Niederungswanderfalken? - Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus
Greifvögel und Falknerei 2020

                                                                             diesem Horst 1948 den neben-
                                                                             stehend abgebildeten Jung-
                                                                             falken für die Falknerei. Er
                                                                             charakterisiert diesen schmal-
                                                                             und langflügeligen Terzel als
                                                                             schnellen und ausdauernden
                                                                             Verfolgungsjäger.

                                                                             3.2. Mönchsheide bei Ebers-
                                                                             walde
                                                                             Hier handelt es sich wohl um
                                                                             eines der am längsten kon-
                                                                             trollierten märkischen Wan-
                                                                             derfalken-Reviere in der wei-
                                                                             teren Umgebung Berlins, das
                                                                             Schnurre (1973b) seit 1930
                                                                             bekannt war und an dem er
                                                                             langjährige Rupfungskontrol-
                                                                             len durchführte. Damals gab es
                                                                             die Reiher-Kolonie noch nicht
                                                                             und die Falken brüteten mit
                                                                             mäßigem Erfolg in den Hor-
                                                                             sten von Bussarden, Milanen
                                                                             u. a. Das änderte sich erst, als
                                                                             die entstehende Reiherkolonie
Aus Moritzburg stammender Beizfalke im Besitz von Fritz Bäuerle. Er          sichere Horstplätze bot. Dieses
beschreibt diesen Terzel als schmal- und langflügeligen, schnellen und
                                                                             Wanderfalken-Paar liefert zu-
ausdauernden Verfolgungsjäger.                  Aus Bäuerle 1949
                                                                             dem damit einen Beleg dafür,
                                                                             daß die Revier- vor der Horst-
                                                                             platzqualität rangiert. Zu letz-
                                                                             ten erfolgreichen Bruten kam es
                                                                             1968. Das eigentliche Mönchs-
                                                                             heide-Revier lag, durchsetzt
                                                                             von Moorgebieten und kleine-
                                                                             ren Wasserflächen sowie im
                                                                             Süden abgegrenzt durch den
                                                                             Finow-Kanal inmitten eines ge-
                                                                             schlossenen Waldgebietes von
                                                                             rund 10 km², dessen Ausläufer
                                                                             jedoch weit ins waldreiche Um-
                                                                             land reichten. Im engeren Hor-
                                                                             strevier mit einem Radius von
In den Waldbestand der Mönchsheide waren an einigen Stellen Lichtun-
gen und Schonungen eingestreut, in deren Umfeld die Falken vor allem im      1 km dominierten, durch Lich-
zeitigen Frühjahr, wenn hochfliegende Zugvögel noch rar waren, im nied-      tungen aufgelockerte Kiefern-
rigen Pirschflug und vom Ansitz jagten. Zudem bildeten sich hier schnell     bestände, die dann stellenweise
Thermik-Aufwinde, die die Falken zügig in die Höhe trugen. Foto: Verfasser   in Buchenwälder übergingen.

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Baumbrüter, Wald- oder Niederungswanderfalken? - Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus
Greifvögel und Falknerei 2020

Wanderfalke über dem Kiefernforst kreisend.                                                  Foto: Verfasser

In der Fischreiher-Kolonie der Mönchsheide boten sich
für den Wanderfalken günstige Horstgelegenheiten.       Der in der Mönchsheide ausgehorstete Wanderfalken-
                                      Foto: Verfasser   terzel „Mönch“.			                    Foto: J. Ebert

                                                                                                       167
Baumbrüter, Wald- oder Niederungswanderfalken? - Betrachtungen zur Bedeutung des Waldfaktors für Mitteleuropas Wanderfalken Falco peregrinus
Greifvögel und Falknerei 2020

Wanderfalke mit Beute aus großer Höhe herabgleitend.                    Foto: T. Pröhl, www.fokus-natur.de

    Von 1971 bis 1980 (danach weilte ich länge-            Die verbliebenen Einzelfalken hielten sich
re Zeit als Entwicklungshelfer in Syrien) suchte       zumeist auf Überhälter-Kiefern im westlichen
ich, anfangs unter Führung von Otto Schnurre           Umfeld der Reiherkolonie auf. Hier rupften sie
das Gebiet im Frühjahr regelmäßig in der Hoff-         auch ihre Beute. Die Nähe einer großen Lich-
nung auf, daß es doch noch zu einer Brutan-            tung war wichtig, weil die sich hier meist nach
siedlung kommen würde. Im erstgenannten Jahr           9 Uhr bildenden Aufwinde sie zur Jagd in gro-
war, was ein breites Beutespektrum belegte,            ßer Höhe trugen. Die Rückkehr nach bis zu ei-
noch ein Paar anwesend, danach nur noch Ein-           ner Stunde blieb meist unbemerkt, es sei denn
zelvögel, mal Terzel mal Weibchen (Einzelhei-          beim Herabgleiten mit der Beute fühlten sie sich
ten s. Baumgart 1985/86). Meine letzte Beob-           etwa durch die Rotmilane belästigt. Dann mach-
achtung eines Terzels datiert vom 05.04.1980           ten sie ärgerlich lahnend auf sich aufmerksam.
(1979 war kein Falke zu finden gewesen).                   Pirschflüge über Brachflächen, entlang der
    Die Falken stellten sich üblicherweise mit         Waldränder oder des Finow-Kanals sowie Jag-
Beginn des Durchzuges nordischer Rot-, Sing-           den aus Ansitzpositionen, wie sie wohl im zei-
und Wachholderdrosseln ab Mitte März ein, die          tigen Frühjahr zur Zeit des Drosseldurchzuges
sich als ideale Beute für den Terzel im Balzver-       üblich sind, konnte ich nur selten, so während
lauf erwiesen. Um diese Zeit waren oft auch            meiner letzten Beobachtung am 05.04.1980
noch zahlreiche Eichelhäher, wohl Durchzügler,         beobachten. Später wurden fast alle Jagdflü-
unterwegs. Die Anwesenheit der hier nur schwer         ge durch Hochschweimen über dem Horstwald
auffindbaren Falken verrieten dann zuerst Tau-         eingeleitet und erfolgten vertikal ausgerichtet in
benfedern am Horst eines Rotmilans, der sich           großer Höhe in einem trichterfömig erweiterten
als Beuteschmarotzer betätigte.                        Einzugsbereich. Wenn erfolgreich, glitten die

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Greifvögel und Falknerei 2020

Mit Dr. Otto Schnurre im Wanderfalken-Revier in der   Beuteliste der Wanderfalken aus der Mönchsheide. Er-
Mönchsheide.		      Archiv Verfasser                  läuterungen s. Text.		   Aus Schnurre 1973b

Falken zügig ohne nennenswerten Transportauf-         brütenden Falken würden auf anliegenden Frei-
wand zurück zu ihren Einständen an der Trich-         flächen jagen.
terbasis. Da sie nur für sich selbst sorgen muß-          Besonders auffällig war der alljährliche Über-
ten, genügte in der Regel ein täglicher Jagdflug.     flug großer Kiebitz-Schwärme nach Abschluß ih-
    Diese Abläufe waren vordem wohl den               res Brutgeschäftes ab Anfang Juni, die sie wohl
meisten Beobachtern, so auch Otto Schnurre            zu ihren Übersommerungsplätzen im Watten-
entgangen. Sein Augenmerk galt vor allem in           meer führten. Sie überquerten die Mönchshei-
Utten­dörferscher Tradition der Rupfungssuche.        de in wenigen hundert Metern Höhe in Rich-
Wo ich einzelne Federn fand, sammelte er oft          tung NW und konnten so die Jungenaufzucht der
eine volle Tasche. Zum Himmel blickte er kaum,        Falken dereinst in der Endphase wohl in hohem
und ging daher von einer überwiegend horizon-         Maße absichern. Haustauben waren (s. nebenste-
talen Jagdorientierung im Umfeld von wenig-           hende Liste) jedoch die mit Abstand wichtigsten
stens 7 km aus. So kam es (Baumgart 2015)             Beutevögel, gefolgt von Star und Kiebitz. Die
zu der bereits erwähnten, auf ihn zurückge-           Drosseln gehen wie die Feldlerche und Turtel-
henden, danach auch in die Standard-Literatur         tauben auf Frühjahrsdurchzügler zurück, wur-
übernommenen Fehleinschätzung, die im Wald            den danach kaum noch nachgewiesen. Bei in

                                                                                                     169
Greifvögel und Falknerei 2020

Blick von einem Feuerwachtturm auf das Wanderfalken-Revier in der Schorfheide bei Joachimsthal. Im Hinter-
grund erkennt man den Werbellinsee.                                                        Foto: Verfasser

einstelliger Zahl dazukommenden Gefiederten,          die Terzel, diesen anzuschließen, wurden aber
darunter Eichelhäher, Lachmöwe, Ringeltaube           ignoriert. Als sich im Frühjahr 1980 Habichte
sowie einige Spechte und die Waldschnepfen            ansiedelten und rufend ihr Revier markierten,
dürfte es sich um im Falkenrevier ansässige, zu-      verschwand zumindest eines der beiden Paare.
fällig erbeutete Arten gehandelt haben.
    Während der teilweise ganztägigen Revier-         3.3. Schorfheide bei Joachimsthal
Aufenthalte glückten viele bemerkenswerte             Dieses wegen seiner Abgelegenheit für mich
Zusatzbeobachtungen. Während die Rotmila-             ohne PKW nur schwer erreichbare Revier
ne die Falken immer im Auge hatten, fiel der          konnte ich erst nach dessen völliger Aufga-
in der Reiher-Kolonie brütende Schwarzmi-             be durch die Falken ab Ende der 1970er Jahre
lan kaum auf. Er profitierte von dem, was die         mehrfach unter Führung von Otto Manowsky
Reiher an Fischen zu Boden fallen ließen. Ein         besuchen. Es lag im östlichen Teil der Schorf-
das Revier mit den Wanderfalken in manchen            heide, deren Fläche zumeist mit etwa 400 km²
Jahren teilender Wespenbussard zeigte sich ge-        angegeben wird. Prinzipiell wies es, obwohl
genüber den Falken äußerst aggressiv. Hatte er        wesentlich ausgedehnter, die gleiche Stuktu-
einen ausgemacht, attackierte er ihn so lange,        rierung wie das in der Möchsheide auf. 1956
bis dieser seinen Einstand wechselte.                 waren noch zwei Wanderfalken-Paare ansässig
    Im Umfeld der Reiher-Kolonie waren auch           (Rieck 1959). Die letzte erfolgreiche Brut fand
zwei Baumfalken-Paare ansässig. Wenn diese            auch hier 1968 statt und den einzigen Jung-
nach ihrer Rückkehr aus dem Winterquartier            vogel übernahm man in das Zuchtprojekt zur
über der Mönchsheide mit ihren Balzflügen             späteren Wiedereinbürgerung. Das letzte Paar
begannen, versuchten sich vor allem allein-           wurde 1970 verzeichnet. Wanderfalken habe
stehende Wanderfalken-Weibchen, nicht aber            ich hier zu dieser Zeit daher nie gesehen. Die

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Greifvögel und Falknerei 2020

Wanderfalken als Baumbrüter in einem Seeadlerhorst in der Schorfheide.   Fotos: T. Pröhl, www.fokus-natur.de

                                                                                                       171
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Wanderfalken als Baumbrüter in einem Seeadlerhorst in der Schorfheide.   Fotos: T. Pröhl, www.fokus-natur.de

Fischadler, mit denen sie dereinst im Wechsel          die insgesamt zwölf Jungfalken zum Ausflie-
deren Horste bezogen, waren jedoch immer               gen brachten und ein nicht zur Brut schreiten-
präsent. Da auch Otto Schnurre dieses Gebiet           des Paar (Manowsky et al. 2008). 2014 wurden
nie besucht hat (er war durchweg auf öffentliche       sieben Paare gezählt (Kirmse, pers. Mitt. 2015).
Verkehrsmittel angewiesen), ist über die dama-         Damit dürfte die Schorfheide wieder nahezu flä-
lige Ernährung dieser Schorfheide-Falken wohl          chendeckend in einer bisher nicht dokumentier-
kaum etwas bekannt.                                    ten Dichte besiedelt sein.
    Mit der projektbedingten Rückkehr der                  Nach der Wiederbesiedlung habe ich das
Wanderfalken in die Wälder der Mark Bran-              nahe Joachimsthal gelegene Revier einige we-
denburg wurde genau dieses Revier bereits              nige Male, so auch am 21.06.2006 besucht. Be-
2002 selektiv zuerst wieder besiedelt, obwohl          obachtet wurde von einem wenige hundert Me-
in unmittelbarer Umgebung keine Freilassun-            ter vom Horst entfernten Feuerwachtturm. Die
gen erfolgten. Das ist als eine Bestätigung der        seit mehreren Tagen flüggen Jungfalken flogen
Regressions-Expansionsregel zu werten (vgl.            nach unserer Ankunft verspielt etwas im Horst-
Schwertfeger 1968), wonach die geeignet-               bereich umher und nutzten dann die schnell auf-
sten Plätze (-Reviere) im Falle rückläufiger Be-       kommende Thermik um in weniger als einer Mi-
standsentwicklungen am längsten besetzt blei-          nute aufschweimend in die Höhe zu streben und
ben und bei Bestandserholungen zuerst wieder           aus unserem Blickfeld zu entschwinden. Danach
besetzt werden.                                        war von ihnen über zwei Stunden bis zu unse-
    Im Jahre 2008 umfaßte hier die Baumbrü-            rem Weggang nichts mehr zu bemerken – ein in
terpopulation bereits wieder vier Brutpaare,           den Waldrevieren nicht unübliches Geschehen.

                                                                                                       173
Greifvögel und Falknerei 2020

   Die besondere Qualität dieses im Osten der           Felsbrüter-Population handelte. Doch das wich-
Schorf heide gelegenen Reviers beruht wohl              tigste Element dieses Wanderfalkenplatzes ist
nicht nur darauf, daß hier durch Fischadler re-         der rund 24 km² einnehmende Buchenwald der
gelmäßig Hostplätze bereitgestellt werden. Hin-         Stubnitz mit einer Fläche von etwa 5 x 5 km.
zu kommt auch, daß es – weiträumig von Seen                 Die Beuteliste von Schnurre (1973a) zeigt
(Werbellinsee, Grimnitzsee und den Döllnseen)           weitgehende Übereinstimmung mit den wesent-
eingeschlossen – auch an Sumpfgebiete und die           lichen Positionen anderer „Waldwanderfalken“
Feldfluren grenzt, was eine hohe Überflugfre-           der Niederungen. An der Spitze rangiert klar
quenz potentieller Beutevögel wahrscheinlich            die Haustaube gefolgt von Star, Lachmöwe und
macht, die dabei zudem auf einer Strecke von            Kiebitz. Bemerkenswert der relativ hohe Rin-
etwa sechs km den Wald überqueren müssen.               geltauben-Anteil. Eigentliche Seevögel, d. h.
Die anderen Schorfheide-Reviere sind diesbe-            Meerenten und Möwen zeigen keine klare Do-
züglich offenbar, vor allem was die Überflugge-         minanz, tendieren eher zu Gelegenheits-Beute.
schehen anbelangt, weniger optimal.                     In diese Position rücken über 30 andere Vogel-
                                                        arten, darunter auch eine Türkentaube, die mei-
3.4 Stubnitz auf Rügen                                  sten von ihnen ohne Bezug zur Küstenzone.
Das Wesen dieses Reviers wurde bisher meist             Im Vergleich zu den Wanderfalken des Darß
verkannt. Da die Falken in den zum Meer ab-             (Schnurre 1956, 1958) fehlen Seeschwalben,
stürzenden Kreidefelsen der Stubnitz brüteten,          die dort offenbar beim Pendeln zwischen Küste
drängte sich bei manchen die Frage auf, ob es           und Boddengewässern über dem Darß-Wald ge-
sich hier vielleicht um Vögel der skandinavischen       schlagen wurden. Haustauben sind, gegenüber

Der geschlossene Buchenwald der Stubnitz an der Ostküste der Halbinsel Jasmund auf Rügen aus der Sicht eines
hoch anwartenden Wanderfalken. Er reicht rund 5 km ins Landesinnere. Hier wird der Falke trotz Felshorst-Bezug
zum „Waldwanderfalken“.					                                               Foto: Klugschnacker, CC BY-SA 3.0.

174
Greifvögel und Falknerei 2020

Die glatten Kreidefelsen der Stubnitz (Rügen) weisen kaum Nischen und Erker auf. Hier bieten sich für den Wan-
derfalken nur wenige Horstgelegenheiten, so daß teilweise in Höhlungen im Wurzelgeflecht hangnaher Buchen
gebrütet wurde.								                                                                          Foto: Verfasser

Rügen, wo sie mit 34,2 % an der
Spitze standen, nur mit 16,5 %
vertreten und rangieren noch
hinter dem Star. Hier sind un-
terschiedliche Zug- und Über-
fluggewohnheiten potentieller
Beutevögel wohl von Bedeu-
tung, was aber hier nicht nä-
her erörtert werden kann. Für
eine Jagd der Falken entlang des
Küstensaumes, die Schnur-
re (1973a) vermutete, bietet
die Beuteliste kaum Hinwei-
se. Vielmehr spricht alles da-
für, daß die meisten Beutetiere
beim Überfliegen des Stubnitz-
Waldes geschlagen wurden und
über diesen eine Zugstraße von
und nach Skandinavien führt. Auf der Beuteliste der Stubnitz-Wanderfalken rangieren Seevögel nur mehr
Dafür spricht auch, daß die Fal- oder weniger als Zufallsbeute. Sie weist ihn eher als Waldwanderfalken
ken nach dem Flüggewerden der aus. Erläuterungen s. Text.			  Aus Schnurre 1973a

                                                                                                           175
Greifvögel und Falknerei 2020

Jungvögel landeinwärts in den Wäldern der          beziehen. Das weltweit einmalige an dieser Le-
Stubnitz verschwanden. Sie hier aufzufinden        bensform ist, daß sie in einem Lebensraum ohne
war Sache des Zufalls.                             vertikale Gliederung eine multifaktorielle Ein-
    Die schroffen, glatten Kreidefelsen boten      heit bildet. Der Waldfaktor bietet zwar auch in
nur in geringem Umfang Horstplätze, für die        gebirgigen Landschaften jagdtaktische Vortei-
Jagdausübung hatten sie wohl kaum Bedeutung.       le. Doch, wie bereits aufgezeigt, stellt er in den
Und so versetzte es Schnurre (pers. Mitt.) bei     hier betrachteten bewaldeten Niederungen die
einer gemeinsamen Begehung des Gebietes mit        einzige jagdbegünstigende Umweltstruktur dar.
Helmut Dost (1914–1971), dem damaligen Na-             Nachfolgend soll das zusammenfassend
turschutzbeauftragten des Rügen-Kreises, in        nochmals betrachtet werden:
Erstaunen, als dieser sich an der Hangoberkan-
te auf den Bauch legte, unter diese griff und      – Horstgebiet und sein Umfeld
das Wanderfalken-Gelege in der Hand hielt.         Wanderfalken der Niederungen beziehen in der
In Ermangelung besserer Möglichkeiten brü-         Regel größere Waldgebiete mit einem Radi-
teten die Falken in einem Hohlraum zwischen        us von 2–4 km inmitten möglichst vielfältig
den Wurzeln der Buchen unmittelbar unter der       gestalteter Landschaften (Wasserflächen und
Hangoberkante.                                     Feuchtgebiete sowie landwirtschaftlich genutz-
                                                   te Flächen und Brachländereien), was eine hohe
4. Weitere Folgerungen                             Artenvielfalt und Bestandsdichte absichert. In
Die Einführung des Begriffsbildes „Waldwan-        ausgedehnteren Wäldern, wie der Schorfheide
derfalken“ setzt gegenüber der bisherigen Ka-      mit rund 400 km² werden Reviere dieser Grö-
tegorisierung nach bezogenen Horstplätzen ver-     ße unter mehreren Paaren aufgeteilt. Geringere
änderte Prioritäten und trägt damit zugleich       Reviergrößen, wie etwa bei Moritzburg bilden
auch zu einem neuen Verständnis des Verhält-       die Ausnahme. Dieses war aber deshalb für die
nisses zwischen Lebensraum und Horstweise          Falken attraktiv, weil es in hoher Frequenz von
bei. Denn wie an vorstehenden Beispielen auf-      Lachmöwen, seiner hier mit Abstand wichtig-
gezeigt, sind die von der norddeutschen Tief-      sten Beuteart, überflogen wurde.
ebene über die Baltische Platte möglicherwei-          Die Horste standen, weil das für den Beu-
se bis zum Ural dereinst nahezu ausschließlich     tetransport bedeutsam war, meist im Zentrum
in Horsten anderer Großvogelarten brütenden        dieser Waldbereiche. Zudem war hier auch das
Wanderfalken nicht nur diesbezüglich, sondern      Horstplatzangebot hoch, weil Fisch- und See-
auch in anderen Grundzügen ihrer Existenz an       adler sowie Reiher gleichfalls zentrale Lokali-
das Leben in den Wäldern angepaßt. Sie formen      sierungen bevorzugten, von denen aus sie eine
so systemisch in sich geschlossen einen eigenen    Vielzahl im Umfeld placierter Gewässer errei-
Funktional-, Leistungs- bzw. Ökotyp.               chen konnten. Heute, da Kolkraben wichtige
    Für ein Brüten an Felsen, ihre wohl ur-        Horstlieferanten sind, mag das bisweilen anders
sprüngliche Nistweise (Cade 2013), fehlen hier     sein. Der Horst in der Stubnitz war randständig,
entsprechende Voraussetzungen zumeist völ-         da Felsstrukturen für die Falken immer attrak-
lig. Sie stellen damit zugleich aber auch an die   tiv sind und es hier auch zentral an geeigneten
Strukturierung des unmittelbaren und erwei-        Baumhorsten möglicherweise fehlte. Die das
terten Horstumfeldes, das Beuteangebot, die        Horsten auf Bäumen begründenden und festi-
Jagdbedingungen u. a. spezifische Anforderun-      genden Traditionen und Prägungsprozesse sind
gen. Es sind keineswegs nur Wanderfalken, die      vor allem im Rahmen des Wiederansiedlungs-
irgendwo in einem Wald in Ermangelung al-          Projektes weitgehen abgeklärt worden (Kirmse
ternativer Möglichkeiten einen von anderen         & Sömmer 2015), worauf noch zurückzukom-
Großvögeln auf einem Baum errichteten Horst        men ist.

176
Greifvögel und Falknerei 2020

    Bedeutsam sind auch Frei-
flächen im engeren Horstum-
feld (Schonungen, Lichtungen
u.a.) für die Jagd im Pirschflug
und vom Ansitz während des
zeitigen Frühjahrs vor Einset-
zen des Zuges. Über ihnen ent-
wickelt sich zudem bei Sonnen-
einstrahlung schnell Thermik,
die die Falken nahezu ohne
Aufwand zur Jagd in die Höhe
trägt. Sie ist eine oft überse- Schema des jagdlichen Aktionsraumes der Waldwanderfalken (übernom-
hene Komponente der kom- men aus Kirmse 1987). Dieser erstreckt sich trichterförmig über den zentral
plexen, insgesamt meist nur in einem ausgedehnten Waldgebiet gelegenen Horst bis auf wenigstens
schwer erfaßbaren Revierqua- 3-4000 m Höhe. Hier können die anwartenden Falken ein Gebiet von bis
lität, die primär von der Ernäh- zu 100km² kontrollieren und hochfliegende potentielle Beutevögel im
rungssituation in Abhängigkeit Distanz-Verfolgungsflug (s. Baumgart 2011) in Sekundenschnelle stellen
vom Beuteangebot in der Über- und schlagen. Auch schwere Beutevögel sind ohne größeren Aufwand
flugsequenz und jagdbegünsti- herabgleitend in den Horstbereich zu transportieren.
genden Umweltstrukturen so-
wie vom Horstplatzangebot bestimmt wird Falken von ausgedehnten Waldgebieten. Der
(Baumgart 1987).                                  geringste Abstand zwischen Horst und Wald-
                                                  rand belief sich auf 1,6 km. Dabei bediente er
– Revierstrukturierung und Jagdweise              sich Unterlagen des AKSAT (Arbeitskreis zum
Der mit der Öffnung der vordem geschlossenen Schutz vom Aussterben bedrohter Tierarten).
Wälder einhergehende Anstieg der Artenvielfalt        Doch die in 3–4000 m Höhe, teilweise in
und Bestandsdichte machte die nunmehr noch den Wolken anwartenden Falken dürften ein
waldreiche Kulturlandschaft erst zum attrakti- Umfeld von 100 km² (10 x 10 km) kontrollieren.
ven Lebens-und Jagdraum nicht nur für Wander- Hier ist es ihnen möglich, im Distanz-Verfol-
falken (Schnurre 1921, Fischer 1977). Da die gungsflug mit bis zu 500 km/h jeden beliebi-
Falken in einem sich trichterförmig nach oben gen Punkt in Sekundenschnelle zu erreichen,
öffnenden Aktionsraum oft außerhalb unseres potentielle Beutevögel, von denen sie vordem
Sichtbereiches jagen, wird die Erfassung ihrer oft kaum bemerkt wurden, zu stellen und nach
diesbezüglichen Reviere in ihrer Flächenaus- zermürbenden Attacken bei dann allerdings re-
dehnung deutlich erschwert.                       duzierter Geschwindigkeit (bis um 300 km/h)
    Erschlossen hatte sich mir das während einer zu schlagen (Baumgart 2011). Diese Szenari-
Reihe von Beobachtungsgängen, zu denen mich en sind für Beobachter, die oft lediglich das en-
Otto Schnurre in den 1970er Jahren zum letzten gere Horstumfeld im Auge haben, nur in Aus-
seiner Wanderfalken-Plätze in die Mönchshei- nahmefällen zu erfassen, weshalb man diese
de mitnahm. Kirmse (1987), der schon vorher Falken zumeist für Ansitz- und Pirschflugjäger
von Jagdflügen über dem Horstbereich berichtet hält. Daß sich diese Jagden über weite Entfer-
hatte (Kirmse 1970), griff diese Idee auf und be- nungen hinziehen können, ist auch daran zu er-
legte anhand von 44 kartierten Wanderfalken- kennen, daß die Falken mit Beute oft aus völlig
brutplätzen im Baumbrüterareal die gegenüber anderer Richtung zurückkommen, als sie ab-
anderen Greifvögeln (Habicht, Wespen- und geflogen sind. Selbst schwere Beute, in größe-
Mäusebussard) hochgradige Abhängigkeit des rer Höhe geschlagen, kann zügig herabgleitend

                                                                                                 177
Greifvögel und Falknerei 2020

ohne Probleme in den unmittelbaren Horstbe-        Feldlerchen und teilweise auch einigen Enten-
reich transportiert werden. Das verringert auch    arten. Die meisten anderen lassen sich als Zu-
die Zugriffsmöglichkeiten für Beuteschmarotzer     fallsbeute einstufen, sind aber für Terzel zu Be-
(Milane, Bussarde u.a.).                           ginn des Brutgeschäftes als „Brautgeschenke“
    Diese Verhältnisse auf den Bodenbereich        zur Paarungseinleitung trotzdem sehr wichtig,
zu übertragen ist schwierig und nur orientie-      besonders wenn das Angebot an durchziehen-
rend möglich. Siedlungsdichte-Untersuchungen       den Drosseln gering ausfällt.
ergaben teilweise Entfernungen zwischen be-            Als lokal kontinuierlich präsente Arten bil-
nachbarten Horsten von nur etwa 1 km (Glutz        den Haustauben, Stare und teilweise auch Lach-
et al. 1971). Für das zur Jagd benutzte Umfeld     möwen meist den Grundstock. Wichtig ist aber,
sind Entfernungen von 5–6 km (Bernhard             daß Migranten, die zudem oft sehr hoch (und
1941), 7 km (Schnurre 1973), 10–12 km (Fi-         damit gut erjagbar) fliegen, zusätzlich erwach-
scher 1977) sowie 15 km und mehr (Glutz et         sende Engpässe überbrücken. Den Abschluß
al. 1971) angegeben. Dabei werden im niederen      bildet im Juni der Zwischenzug der Kiebitze.
Pirschflug oder von Ansitzwarten meist nur         Damit dürfte das Beuteangebot der Waldfal-
Kleinvögel oder größere Arten zum Kröpfen am       ken-Population dereinst sowohl quantitativ und
Ort des Erbeutens geschlagen, vor allem dann,      größenmäßig ausgeglichen sowie auch kontinu-
wenn im Revier hoch überfliegende Vögel vor-       ierlich abgesichert gewesen sein. Reduziert sich
übergehend rar sind.                               die Überflugfrequenz im Horstgebiet, kann die
    Bei in größerer Entfernung vom Horst ge-       Jagd im bodennahen Raum auf Dauer wohl nur
schlagenen Beutevögeln ergeben sich in Ab-         unter besonderen Bedingungen das Auskommen
hängigkeit von deren Gewicht oft Probleme.         absichern. So verwunderte es Langgemach et
Nicht alle Terzel können erbeutete Tauben (300–    al. (1997), daß die Falken in den vogelarm er-
400 g) im Horizontalflug über größere Strecken     scheinenden Kiefernwaldungen trotzdem ein
transportieren. Der Terzel am Berliner Alexan-     reichhaltiges Nahrungsangebot fanden, was Be-
derplatz vermochte nicht einmal einen im Park-     obachtungsdefizite nahelegt.
bereich frisch geschlagenen Eichelhäher (160 g)        Die Ursache für die Aufgabe einer Reihe von
im Aufwärtsflug zum Horst auf dem Turm der         Wanderfalken-Brutplätzen im Berliner Raum
Marienkirche zu tragen, mußte ihn vom Weib-        nach dem 1. Weltkrieg sah Schnurre (1950) in
chen abholen lassen. Weibchen transportieren       der rückläufigen Haltung von Haustauben, was
Haustauben wie auch Rebhühner (360 g) über         er an deren abnehmender Präsenz bei Rupfungs-
größere Entfernungen mühelos. Hilfreich ist es     kontrollen belegen konnte. Davon war anfangs
für beutetragende Wanderfalken, wenn sie in        auch der Habicht betroffen, der aber eher Kom-
Aufwinde geraten, sich aufschweimend in die        pensationsmöglichkeiten fand. Die unveränderte
Höhe tragen lassen und dann über oft größere       Bedeutung der Haustauben für die Ernährung
Entfernungen mit der Beute zum Horst hinab-        märkischer Wanderfalken ist auch daran zu erse-
gleiten können.                                    hen, daß ihr Anteil auf der Beuteliste des ersten
                                                   1996 erfolgreich brütenden Wanderfalkenpaares
– Beutevögel und Leistungsprofil der               nach Langgemach (1998) bei 49 % (Biomasse-
   Waldfalken                                      Anteil 84 %) und damit sogar deutlich über dem
Obwohl das Beutespektrum der Waldfalken sehr       früherer Untersuchungen lag.
weit gefächert ist, erlangt nur eine kleine Zahl       Rebhühner, nach dem 2. Weltkrieg in den
von Vogelarten für ihre Existenz essentielle Be-   Feldfluren der Niederungen noch nahezu all-
deutung. Dabei rangiert die Haustaube zumeist      gegenwärtig, bildeten im Winter für die Fal-
mit Abstand an der Spitze, gefolgt von Star,       ken eine wichtige Nahrungskomponente (vgl.
Möwen und Seeschwalben sowie Kiebitzen,            Baumgart 1985/86). Die Kollektivierung der

178
Greifvögel und Falknerei 2020

                                                          Aufgescheuchte, geradlinig flüchtende Rebhühner ver-
Prahlerisch auftretenden Falknern sagte man nach, sie     mag der Wanderfalke in der offenen Feldflur von ex-
beizten Kiebitze, weil diese auf Grund ihrer Wendigkeit   ponierten Ansitzwarten startend im drei- bis viermal
in Bodennähe vom Wanderfalken kaum geschlagen             schnelleren Verfolgungsflug mit ca. 150-240 km/h
werden können. Während des Zuges sind sie ihm aber        leicht zu erbeuten. Dereinst im Winterhalbjahr eine
über Waldgebieten geradezu hilflos ausgeliefert und       wichtige Beute, sind die Vorkommen unseres Rebhuh-
wurden so dereinst zu einem wichtigen Posten auf sei-     nes heute nahezu erloschen und diesbezüglich bedeu-
ner Beuteliste. Zeichnung aus Bäuerle 1950                tungslos. Zeichnung aus Bäuerle 1949

Landwirtschaft der DDR mit ihren fortschrei-              Waldbereich ins Freiland oder auf Wasserflä-
tenden industriellen Anbaumethoden nahm                   chen zu entkommen. Hier stellt sich die Frage,
ihnen ab Beginn der 1960er Jahre im Osten                 ob sich das gegenüber den im Mittelgebirgsraum
Deutschlands zunehmend die Existenzgrundla-               eher vertikal jagenden Falken auch morpholo-
ge. Das hatte gravierende Folgen für die „Win-            gisch niederschlägt.
terfalken“, ohne daß das bisher thematisiert wor-             Gesicherte Angaben hierfür gibt es aber
den wäre. Vor allem stellt sich die Frage, ob und         nicht und an den letzten von mir beobachteten
wie die Falken den Wegfall dieser wichtigen               Falken stellte ich diesbezüglich nichts Auffäl-
Winterbeute zu kompensieren vermochten.                   liges fest, was mit den Ausführungen Bedna-
    Die Jagdweise der Waldwanderfalken weist              reks (2019) konform geht. Daß Künstler hier
gewisse Besonderheiten auf: hohes Anwarten,               mit ihrem Sinn für Formen und Proportionen
Steilstoß, dann in die Horizontale übergehende            oft mehr sehen, zeigt Kleinschmidt (1933/37)
Verfolgung der nicht vertikal entweichenden an-           auf, der das osteologisch schlankere Format sei-
gejagten Beutevögel, die bestrebt sind, aus dem           ner Unterart F. p. rhenanus durch Renz Waller

                                                                                                         179
Greifvögel und Falknerei 2020

Äußerlich variieren unsere Wanderfalken zwischen im Phänotyp kurzen und langen, mehr gestreckten Exemplaren,
was auch Unterschiede in den Flugeigenschaften nahelegt (s. Text). Ob diesbezüglich aber eine Differenzierung
zwischen den Falken der Mittel- und Hochgebirge einerseits und den Waldwanderfalken andererseits bestand,
ist heute aber nicht mehr ermittelbar.				  Zeichnung aus Bäuerle 1949

bestätigt bekam. Und Bäuerle (1949) bildet ei-          – Der historische Rahmen der
nen aus Moritzburg stammenden schmal- und                   Waldfalken-Entwicklung
langflügeligen, als Verfolgungsjäger schnellen          Allgemein akzeptiert scheint, daß das Vordrin-
und ausdauernden Falkenterzel ab. Das verdient          gen des Wanderfalken in die Wälder jüngeren
Interesse, ohne denkbare, zu weitgehende Ver-           Datums ist. Doch nacheiszeitlich erscheint zu
allgemeinerungen zu stützen. Er bildet zudem            weit gespannt. Vielmehr muß an einen Zeitraum
auch einen aus Münster stammenden Falken                im Anschluß an den Spätfeudalismus gedacht
vom Langen Typ ab. Doch Belege dafür, daß               werden, in dem die menschliche Siedlungsdich-
die „Langen“, in Analogie zu altweltlichen Tun-         te, vor allem nach dem katastrophalen Bevölke-
drafalken (calidus) gegenüber den „Kurzen“ in           rungsschwund im 30jährigen Krieg (1618–1648)
Waldrevieren stärker vertreten gewesen wären,           in Mitteleuropa wieder anstieg. Die Wälder wur-
lassen sich nicht erbringen, obwohl das für sie,        den zunehmend zur land- und forstwirtschaft-
beim anschließenden flachen Nachsetzen über             lichen Nutzung erschlossen, was auch zu einer
dem Baumkronendach von Vorteil sein könnte.             Bereicherung der Avifauna (s. o.) und zugleich,

180
Greifvögel und Falknerei 2020

insbesondere durch Haustauben, des Beute­             Brutareals ab und nutzt Felsen, wohl ihre
angebotes führte. Daß diese Entwicklung, wie          urspüngliche Horstweise (Cade 2013), und
teilweise betont, von Bodenbrütern ausging, ist       Gebäude als Brutplätze. Der umgekehrte Fall
denkbar, die ja bisweilen nach langen Wintern         ist äußerst selten.
spontan auf Baumhorste von Großvögeln aus-          – Der zur Erstbrut gewählte Horst-Typ wird
weichen (Cade 2013), deren Angebot gleich-            dann zumeist lebenslang beibehalten.
falls stieg. Mit dieser Horstweise konnten sie
sich, einmal dazu übergegangen in dem riesi-        Letzteres führte bei dem neu angesiedelten
gen Wald­areal gut abgeschottet, mit tausenden      Wanderfalkenpaar am Berliner Alexanderplatz
Paaren als eigenständige Population und Le-         zu Komplikationen. Anfangs wurde ein Krä-
bensform etablieren.                                hennest auf der Marienkirche bezogen, wo ein
    Obwohl außerhalb der Grenzen dieses Are-        Bruterfolg ausblieb. Doch auch im Folgejahr
als zu den Ausnahmen gehörend, kommen               wurde wieder ein Krähennest auf dem Dom
Baumbruten wohl, induziert durch ein reichli-       bezogen, obwohl an der Marienkirche komfor-
ches lokales Nahrungsangebot hin und wieder         table Brutkästen hingen (Müller 1989). Einer
spontan vor, ohne daß das, wie auch im Welt-        davon wurde erst bezogen, nachdem es offenbar
maßstab (vgl. Cade 2013), grundlegende Fol-         zu einem Wechsel des Weibchen gekommen war
gen hätte. In den ausgedehnten Forsten waren        (Baumgart 1990).
sie dagegen weitgehend von Falken mit anderen
Bruttraditionen isoliert unter sich.
    Durch die Erfahrungen des Wiederansied-
lungs-Projektes zwischen 1990 und 2010 ge-
wann man nun auch plausible Vorstellungen für
die Entwicklung der sich von der norddeutschen
Tiefebene weit nach Osten ausdehnenden Baum-
brüterpopulation. Dabei wurden 355 Falken in-
dividuell beringt und konnten so über Jahre in
ihrer Entwicklung verfolgt werden (Kleinstäu-
ber et al. 2009, Kleinstäuber 2013). Zu den da-
bei gewonnenen grundlegenden Erkenntnissen
zählten (vgl. Kirmse 2008, Sömmer, P. & W.
Kirmse 2013, Kirmse & Sömmer 2015):
– Die Entscheidung über die spätere Horst-
    platz-Präferenz fällt in einer Prägungsphase,
    die mit der aktiven Orientierung nach dem
    14. Lebenstag einsetzt und sich bis nach dem
    Ausfliegen festigt.
– Rund 60 % der aus Baumhorsten ausgefloge-
    nen Falken brüten wieder auf Baumhorsten.
– Dadurch, daß Terzel sich in geringerem Ab-
    stand (im Mittel 26,5 km) vom Ort ihres Aus-
    fliegens ansiedeln als Weibchen (114 km), ist
    der Zusammenhalt der Population gewähr-         An der Marienkirche im Berliner Stadtzentrum (Müller
    leistet.                                        1989) kam es Ende der 1980er Jahre im Prozeß der zu-
– Trotzdem wandert ein nicht unerhebli-             nehmenden Verstädterung des Wanderfalken zu ersten
    cher Teil an Falken trotz der Isolation ihres   erfolgreichen Bruten. Foto: Verfasser

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Greifvögel und Falknerei 2020

    Australische Ornithologen sehen es teil-      – Die Falken brüten nicht nur an Gebäuden,
weise als normal an, wenn im gleichen Revier        sondern wählen exponierte unter ihnen
zwischen Baum- und Felshorsten gewechselt           auch als Ansitzwarten zur Jagd für ihre eher
wird, sind aber nicht sicher, ob das nicht doch     flach-horizontal als vertikal ausgerichteten
mit einem Wechsel eines Brutpartners in Ver-        Jagdflüge über oft mehr als einen Kilome-
bindung steht. Baumhorste bzw. Kunsthorste          ter. Sie nutzen dabei geschickt Deckun-
auf Bäumen werden in vielen Teilen Australi-        gen und das Überraschungsmoment. Die
ens vom Falken angenommen (Birks 1996). In-         Grundzüge dieser Jagdweise stellt Sömmer
dem heute auch bei uns in ausgehnten Wäldern        (1989) am Beispiel Berliner Wanderfalken
oft hohe Bauwerke (Feuerwachttürme, Maste,          überzeugend dar. Mir sind sie aus San Fran-
Schornsteine etc.) errichtet werden, die Alter-     cisco (Golden Gate), New York und Boston
nativen zu Baumhorsten bieten können, er-           sowie von Florida (San Antonio und Saraso-
scheinen die Möglichkeiten für den Erhalt der       ta) und den Niagara-Wasserfällen bekannt.
in „Reinkultur“ auf Bäumen horstenden Fal-        – Als jagdbegünstigende Umweltstruktur
ken lokal ohnehin eingeschränkt. Zudem wird         fungieren nicht mehr Wälder, sondern aus-
dadurch die Isolation zwischen beiden Horst-        gedehnte Stadtzonen und Urbanbereiche.
weisen verwischt, indem es in der vordem von      – Von diesen, aber auch Hochbauten aus-
Wanderfalken-Bruten freien streifenförmigen         gehende Beleuchtungseffekte ermöglichen
Zone zu Bauwerksansiedlungen kommt.                 den Falken sogar die Jagd auf Nachtzieher,
    Wenn die Herausbildung der in Wäldern der       was bei den Falken am Berliner Fernseh-
Niederungen auf Bäumen brütenden Wander-            turm überzeugend belegt wurde. Auch die
falken, deren Vorkommen zeitweise erloschen,        Jungen können nachts gefüttert werden.
durch ein aufwändig spektakuläres Projekt um      – Da im Urbanbereich zumeist zu allen Jah-
die Jahrtausendwende wiederbelebt, auf wohl         reszeiten ein ausgewogenes Beuteangebot
nicht länger als gut 300 Jahre zurückdatiert        vorliegt, sind die City-Wanderfalken in der
wird, mag das manchem zu kurz erscheinen.           Regel Standvögel.
Doch hier hilft ein Hinweis auf die Entwick-
lung des Wanderfalken als zumeist urbaner         Wald- und City-Wanderfalken durchlaufen da-
Gebäudebrüter weiter. Mebs (1969) stellte erst-   bei, bei ihrer Ableitung von Felsbrütern, keine
mals die bis dahin bekannten Gebäudebruten        grundlegende evolutive Sonderanpassung. Al-
des Wanderfalken zusammen. Er kam auf rund        les, was sie zeigen, ist in ihrem Leistungspo-
ein Dutzend. Um die Jahrtausendwende mel-         tential bereits angelegt, erfährt lediglich eine
dete man dann schon vielerorts, daß die Zahl      andere Akzentuierung. Weitere relativ klar
der Gebäudebrüter die der Felsbrüter überstie-    umrissene Lebensformen zeigen die Falken
gen habe und die „City-Wanderfalken“ inzwi-       im Hochgebirge, an Küsten und auf Inseln, in
schen zu den fest integrierten Teilen urbaner     der Tundra sowie in Halbwüsten oder gar Wü-
Avifaunen gehören. Und Mebs (2015) bringt         sten, sofern sich hier nicht andere Arten wie
wiederum eine Übersicht darüber, welch viel-      Wüsten-und Silberfalke ( pelegrinoides oder
fältige Horststandorte hier inzwischen gewählt    hypoleucos) etabliert haben. Insgesamt zeigt
wurden.                                           sich, daß Wanderfalken dort, wo für sie neue
    Damit entwickelten die Falken in gerade       Nahrungsangebote erwachsen, zur dauerhaf-
einmal einem halben Jahrhundert eine eigene       ten Etablierung zumindest ansatzweise neue
Lebensform, deren Charakteristik über den         Horstweisen entwickeln können.
Bezug von Nistplätzen an Gebäuden und an-             Abschließend nochmals auf die Namens-
deren Technik-Konstrukten wie folgt weit hin-     gebung zurückkommend, läßt sich feststel-
ausgeht:                                          len, daß nicht die Horstweise, sondern die

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