Bauwirtschaft: Droht ein Absturz in der Baubranche? - ifo Institut

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ZUR DISKUSSION GESTELLT

Bauwirtschaft: Droht ein Absturz
in der Baubranche?
Die Baubranche steht unter Druck. Vom Wohnungs- über den Wirtschaftsbau bis hin
zum öffentlichen Bau ist für die Jahre 2022 und 2023 mit einem realen Minus zu rech-
nen. Zinssteigerung, Baukostenexplosion und Förderkürzung dürften vor allem im
Wohnungsbau zu einem Abwärtstrend führen. Die Nachfrage nach bezahlbaren Woh-
nungen, der Bedarf an einer verlässlichen Verkehrsinfrastruktur und die Aufgaben
bei der Umsetzung der Energie- und Klimawende bleiben aber mittel- und langfris-
tig hoch. Ist die Stimmung schlechter als die tatsächliche wirtschaftliche Lage?

Christian Schmidt
Deutlicher Rückgang ja, Absturz nein

Nach derzeit allgemeiner medialer Auffassung steht        genehmigt, waren es 2021 rund 193 500 Wohnungen
die Wirtschaft und mit ihr auch die Baubranche vor        (Statistisches Bundesamt 2022). Das verausgabte Volu-
einer tiefgreifenden Rezession. Die Stimmung er-          men im Geschosswohnungsbau hat sich in nominaler
scheint jedoch deutlich schlechter, als die allgemeine    Rechnung mehr als vervierfacht, von 8,4 Mrd. Euro auf
wirtschaftliche Lage tatsächlich ist. Diese Situation     37,7 Mrd. Euro (Gornig et al. 2022). Insgesamt zeigte
gilt gleichermaßen für die Baubranche. Ein Blick auf      die Bautätigkeit eine sehr positive Entwicklung und
unterschiedliche Indikatoren – soweit sie bis an den      stützte die Gesamtwirtschaft, nicht zuletzt auch in
aktuellen Rand vorliegen – lässt hingegen einen posi-     der Corona-Pandemie, da die Baustellen in dieser Zeit
tiveren Schluss zu. Eingangs steht ein kurzer Rückblick   offengehalten werden konnten.
auf die vergangene Entwicklung der Bautätigkeit und            In der aktuellen Situation stellt sich angesichts
die Bedeutung für die Gesamtwirtschaft.                   steigender Hypothekenzinsen, stark gestiegener Bau-
     Die Baubranche hat in den zurückliegenden            und Materialpreise und hoher Inflation die Frage, ob
Jahren infolge der regen Bautätigkeit wieder an           die Baubranche diese positive gesamtwirtschaftliche
Bedeutung gewonnen. Von 2009 bis 2021 legten              Rolle weiterhin ausfüllen kann oder ob im Jahr 2023
die Bauinvestitionen um durchschnittlich 1,9% pro         und gegebenenfalls 2024 ein deutlicher Rückgang
Jahr zu, während die gesamte Wirtschaftsleistung          droht und folglich auch für die Gesamtwirtschaft ein
gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,5%            zusätzlicher Einschnitt?
wuchs. Dementsprechend erhöhte sich der Anteil
der Bauinvestitionen am BIP im gleichen Zeitraum          SIND DIE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR
von 9,3% auf 11,5%. Ebenso konnte der Anteil der          DEN WOHNUNGSBAU »TOXISCH«?
Bauinvestitionen an den Anlageinvestitionen deutlich
zunehmen. 2021 erreichte der Anteil 52%, nach 48%         Die höheren Zinsen treffen insbe-
im Jahr 2009. Der Anteil der Bruttowertschöpfung          sondere den Wohnungsbau. Im
des Baugewerbes stieg ebenfalls von gut 4% im Jahr        Zusammenspiel mit den ge-
2009 auf 5,5% im Jahr 2021. Die Bauunternehmen            stiegenen und teilweise weiter
erhöhten im gleichen Zeitraum ihre Belegschaft um         steigenden Bau- und Material-
339 000 auf rund 2,6 Mio. Beschäftigte. Wesentlicher      preisen stellt das zunehmende
Treiber dieser positiven Entwicklung war der Woh-         Zinsniveau das größte Risiko für                               Christian Schmidt
nungsbau. Dieser stand zuletzt für 62% der gesamten       den Wohnungsbau dar. Anfang De-                              ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
Bauinvestitionen nach 56% im Jahr 2009 (Statistisches     zember 2022 lag der Zins für Woh-                            im Referat »Wohnen und Klima-
Bundesamt 2022).                                          nungsbaukredite im Durchschnitt                              schutz, Bauwirtschaft«, am Bun-
                                                                                                                       desinstitut für Bau-, Stadt- und
     Vor allem das Segment des Geschosswohnungs-          bei 3,3% und somit um 2 Prozent-                             Raumforschung im Bundesamt
baus verzeichnete ein deutliches Wachstum. Wurden         punkte höher als im Oktober 2021                             für Bauwesen und Raumordnung.
in diesem Segment 2009 noch 61 400 Wohnungen              (Deutsche Bundesbank 2022). Die

                                                                      ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023   3
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Abb. 1                                                                                                                   ferengpässen betroffen zu sein. Im Mai berichteten
Erzeugerpreise für Bauholz, Betonstahl und Betonstahlmatten                                                              noch 52% der Bauunternehmen, mit Lieferengpässen
                                                                Bauholz       Betonstahl       Betonstahlmatten          zu kämpfen. Hinzu kommt am aktuellen Rand eine
       Index = 2015                                                                                                      nachlassende Dynamik bei den Energiepreisen. So
300
                                                                                                                         sank im November der Gaspreis um 30% gegenüber
                                                                                                                         dem Vormonat Oktober. Das Niveau liegt aber immer
200
                                                                                                                         noch deutlich über dem des Vorjahres.
                                                                                                                              Die nachlassende Preisdynamik trifft jedoch nicht
                                                                                                                         für die energieintensive Produktion von Keramikpro-
100
                                                                                                                         dukten, Dachziegeln und ähnlichen Materialien zu.
                                                                                                                         Hier zeigt sich am aktuellen Rand eine deutliche Zu-
                                                                                                                         nahme der Dynamik infolge des höheren Preises für
   0
                                                                                                                         den Einkauf von Gas. Die Preise für keramische Wand-,
         2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022                                                Bodenfliesen und -platten sind von November 2021
Quelle: Statistisches Bundesamt.                                                                        © ifo Institut   bis November 2022 um 30% gestiegen. Auch Zement
                                                                                                                         hat sich um 25% verteuert, Dachziegel um 18% (Sta-
Abb. 2                                                                                                                   tistisches Bundesamt).
Erzeugerpreise für keramische Produkte, Zement und Dachziegel                                                                 Die Dynamik der Baupreise für die Erstellung
                                                    Keramische Wand-, Bodenfliesen und -platten (ab 1995)                neuer Wohnungen hat infolge der vorgenannten Ent-
         Index = 2015                               Zement (ab 2010)                                                     wicklungen bis zum Mai ebenfalls angezogen (+17,6%
160                                                 Dachziegel (ab 1995)
                                                                                                                         im Vergleich zum Vorjahresquartal), zeigte aber im
                                                                                                                         3. Quartal mit 16,5% einen leichten Rückgang (Sta-
120
                                                                                                                         tistisches Bundesamt 2022). Generell ist davon aus-
                                                                                                                         zugehen, dass das höhere Preisniveau bleiben wird,
 80                                                                                                                      ein deutlicher Rückgang der Bau- und Materialpreise
                                                                                                                         auf breiter Front ist eher nicht zu erwarten.
 40                                                                                                                           Diese Faktoren – höhere Zinsen in Kombination
                                                                                                                         mit den gestiegenen Bau- und Materialpreisen – könn-
   0                                                                                                                     ten eine »toxische« Mischung für den Wohnungsbau
         2010   2011    2012       2013   2014   2015      2016     2017   2018    2019    2020 2021 2022                sein. Zudem dürfte die hohe Inflationsrate die verfüg-
Quelle: Statistisches Bundesamt.                                                                        © ifo Institut   baren Haushaltseinkommen deutlich schmälern, so
                                                                                                                         dass den Haushalten weniger finanzielle Mittel für die
Abb. 3                                                                                                                   Bildung von Eigenkapital zum Kauf von Wohneigentum
Erzeugerpreise für Erdöl und Erdgas                                                                                      zur Verfügung stehen. Entsprechend ist bei den Bau-
                                                        Erdöl       Erdgas, verflüssigt oder gasförmig (ab 2000)         genehmigungen für neu zu errichtende Wohngebäude
       Index = 2015                                                                                                      im Verlauf der ersten zehn Monate des Jahres 2022
800
                                                                                                                         im Vergleich zu 2021 ein Rückgang zu verzeichnen.
                                                                                                                         Insgesamt wurden 4,9% weniger Wohnungen geneh-
600
                                                                                                                         migt, absolut ist das ein Rückgang von 13 300 Woh-
                                                                                                                         nungen. Dies dürfte nicht nur auf die oben genannten
400                                                                                                                      verschlechterten Rahmenbedingungen zurückzuführen
                                                                                                                         sein, sondern auch auf das Auslaufen des Baukinder-
200                                                                                                                      geldes Ende März 2021. Folglich sind vor allem die
                                                                                                                         Genehmigungen für neu zu errichtende Einfamilien-
                                                                                                                         häuser um 12,4% bzw. 12 600 Wohnungen gesunken.
   0
         2010   2011    2012       2013   2014    2015     2016     2017   2018     2019   2020      2021 2022           Im Zeitraum Januar bis März 2021 lag die Zahl der
Quelle: Statistisches Bundesamt.                                                                        © ifo Institut   genehmigten Einfamilienhäuser um 7 400 über dem
                                                                                                                         Schnitt der Jahre 2018 bis 2020 (Statistisches Bun-
                                    extrem hohe Dynamik bei den Baumaterialpreisen                                       desamt 2022). Dagegen sind die Genehmigungszahlen
                                    hat dagegen nachgelassen. Seit Frühsommer zeich-                                     im Geschosswohnungsbau stabil und liegen sogar mit
                                    net sich eine Beruhigung bei vielen Produkten ab.                                    einer Zunahme um 2% leicht im Plus. Insbesondere
                                    Die Preise für Bauholz liegen rund ein Fünftel unter                                 im Geschosswohnungsbau dürften weit fortgeschrit-
                                    dem Niveau vom November 2021. Auch bei Betonstahl                                    tene Planungen von Bauprojekten weiterverfolgt
                                    und Betonstahlmatten zeichnet sich eine Beruhigung                                   werden bzw. sind lediglich aufgeschoben und nicht
                                    ab, gleichwohl liegen die Preise noch über dem Vor-                                  vollständig gestrichen. Die Kosten für bereits erfolgte
                                    jahresniveau. Ein Grund für den Rückgang der Ma-                                     Grundstückskäufe, Planungen und Bauvorbereitungen
                                    terialpreise dürften die sich allmählich auflösenden                                 dürften bei den Investoren stärker ins Gewicht fallen
                                    Lieferengpässe sein. Im November meldeten lauf ifo                                   als die höheren Fremdfinanzierungskosten durch ge-
                                    Konjunkturumfrage 24% der Unternehmen, von Lie-                                      stiegene Zinsen. Zudem besteht weiterhin vor allem in

                           4        ifo Schnelldienst    1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Ballungsräumen ein hoher Bedarf an Wohnraum, der         schenderweise zeigt sich im Dezember eine deutli-
in diesen Regionen vorwiegend durch den Geschoss-        che Erholung (ifo Institut 2022). Ob dies schon eine
wohnungsbau gedeckt wird.                                Trendwende hin zu einer wirtschaftlichen Erholung
      Dennoch ist der Auftragseingang im Bauhauptge-     ist, bleibt abzuwarten. Das alte Niveau von Mitte 2021
werbe in den ersten zehn Monaten des Jahres 2022         ist zumindest noch nicht wieder erreicht.
rückläufig. Das reale Minus liegt im Wohnungsneu-              Die Bereitschaft der Unternehmen, in Bauten
bau bei 13,8% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum         zu investieren, hängt vor allem auch vom internati-
(Hauptverband der deutschen Bauindustrie 2022a).         onalen Umfeld ab. Anhaltende Probleme durch die
Auch Auftragsstornierungen für neue Wohnbauten           Corona-Pandemie – hier ist insbesondere China zu
bleiben nach der aktuellen ifo Konjunkturumfrage         nennen – bergen ein nicht unerhebliches Risiko für
auf hohem Niveau. Im Dezember meldeten wiede-            die Verfügbarkeit von Vorprodukten. Die weiterhin
rum 16% der Unternehmen des Bauhauptgewerbes,            bestehende Unsicherheit des Energiebezuges aus dem
davon betroffen zu sein. Dem gegenüber hatten die        Ausland birgt vor dem Hintergrund der Situation in der
Unternehmen des Bauhauptgewerbes zum Ende des            Ukraine ein weiteres Risiko. Die enorm gestiegenen
3. Quartals einen Auftragsbestand von rund 13 Mrd.       Energiepreise stellen viele Unternehmen mittlerweile
Euro in den Büchern. Das entspricht dem Niveau des       vor existenzielle Probleme. Setzen sich diese Entwick-
Vorjahres und lag geringfügig unter dem Höchstwert       lungen fort, stellt dies eine Gefahr für die Investitions-
von 13,5 Mrd. Euro, der im 2. Quartal 2022 erreicht      pläne der Unternehmen dar.
wurde. Dementsprechend ist auch die Auftragsreich-             Aufgrund der aktuellen negativen Rahmenbedin-
weite mit gut 4,5 Monaten noch recht hoch. Gleicher-     gungen ist die Zahl der genehmigten Baumaßnahmen
maßen sorgt der Bauüberhang noch für ein gewisses        von nichtöffentlichen Bauherren von Januar bis Ok-
Auftragspolster. Ende 2021 waren 730 000 Wohnungen       tober 2022 um insgesamt 10% gesunken. Gleichzei-
noch nicht fertiggestellt, von denen sich mittlerweile   tig nahm das Volumen der veranschlagten Baukos-
der Großteil in der Umsetzung befinden dürfte.           ten um 7,5% zu (Statistisches Bundesamt 2022). Hier
      Stabilisierend wirken zudem die Bestandsmaß-       zeigen sich die Auswirkungen der Baupreisdynamik.
nahmen im Wohnungsbau. Durch die Rückgänge im            Im August 2022 lag der Preisindex für den Neubau
Neubau dürften hier vermehrt Handwerkskapazitä-          von Nichtwohngebäuden 18% höher als im Vorjahr
ten zur Verfügung stehen. Die erheblich gestiegenen      (Statistisches Bundesamt 2022).
Energiepreise sind eine zusätzliche Motivation für die         Gleichzeitig ist das Volumen des Auftragseingangs
Eigentümer zur energetischen Sanierung von Wohnge-       im Bauhauptgewerbe in den Bereichen des Hochbaus
bäuden. Das DIW Berlin rechnet in seiner Prognose mit    (–9,9%) und Tiefbaus (–2,4%) gesunken (Hauptverband
einem Zuwachs der nominalen Bestandsmaßnahmen            der deutschen Bauindustrie 2022a). Im Gegensatz
im Wohnungsbau um fast 14%. Die Preissteigerungen        dazu profitieren die Bauunternehmen derzeit noch
lassen daraus aber in realer Rechnung ein Minus von      von einem hohen Auftragsüberhang (Projektgruppe
1,6% werden (Gornig et al. 2023).                        Gemeinschaftsdiagnose 2022) und einer relativ gu-
      Alles in allem haben sich die Rahmenbedingun-      ten Auftragsreichweite von rund vier Monaten. Vom
gen zwar verschlechtert, aber viele der jetzt nicht      Wirtschaftstiefbau könnten in diesem Jahr positive
realisierten Bauprojekte, insbesondere im Ein- und       Signale kommen. Im Bundeshaushalt sind Investitions-
Zweifamilienhausbau, dürften bei verbesserten wirt-      zuschüsse an die Deutsche Bahn in Höhe von 8,2 Mrd.
schaftlichen Rahmenbedingungen im Laufe des Jahres       Euro vorgesehen. Des Weiteren soll das Schienennetz
2023 angegangen werden. Produktionswirksam dürf-         erweitert und stillgelegte Strecken wieder reaktiviert
ten diese dann aber zum überwiegenden Teil erst im       werden. Das dürfte zu entsprechenden Investitionen
Laufe des Jahres 2024 werden, so dass für 2022 und       im Wirtschaftstiefbau führen. Gleichwohl ist davon
2023 beim Wohnungsbau ein Minus steht, ein Absturz       auszugehen, dass die geplanten Investitionen erst im
ist jedoch nicht zu erwarten.                            Laufe der folgenden Jahre vollumfänglich produkti-
                                                         onswirksam werden (Hauptverband der deutschen
IM WIRTSCHAFTSBAU IST DIE STIMMUNG                       Bauindustrie 2022b).
ENTSCHEIDEND                                                   Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich
                                                         für den Wirtschaftsbau 2022 und 2023 eine negative
Für den Wirtschaftsbau gelten im Prinzip die gleichen    Entwicklung abzeichnet. Unter normalen Umständen
Begleitumstände wie für den Wohnungsbau. Allerdings      ohne exogene Schocks ist aber auch in diesem Seg-
dürften die gestiegenen Zinsen weniger Bedeutung         ment ein Absturz der Bautätigkeit unwahrscheinlich.
für die Investitionsentscheidungen der gewerblichen
Wirtschaft haben. Eine weitaus größere Rolle spielen     HÖHERE PREISE UND ZINSEN BELASTEN
hier die deutlich verschlechterten Geschäftserwartun-    ÖFFENTLICHEN BAU
gen im Verarbeiteten Gewerbe, was ursächlich auf die
Entwicklung der Energiepreise zurückgeführt werden       Analog zum Wohnungs- und Wirtschaftsbau sind auch
kann. Seit dem Sommer haben sich Geschäftsklima,         im öffentlichen Bau die gestiegenen Baupreise hoch-
-lage und -erwartung deutlich eingetrübt. Überra-        problematisch. Die zumeist fixen Budgets für Inves-

                                                                      ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023   5
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    titionen, darunter fallen auch Baumaßnahmen für                 Minus von 2,2% für 2022 und 2023. Für 2024 rechnet
    Neubauten und Sanierungen, können bei unvorher-                 das DIW Berlin hingegen einem realen Plus von 2%. Im
    gesehenen steigenden Kosten nicht beliebig erhöht               Wirtschaftsbau wird mit einem realen Minus von 2,3%
    werden, da die Planung auf Basis nominaler Werte                und 0,6% gerechnet, bevor auch in diesem Segment
    erfolgt. Auf Preissteigerungen kann kurzfristig kaum            im Jahr 2024 wieder ein Plus von 2,7% erwartet wird.
    reagiert werden. Folglich müssen die laufenden Pro-             Der öffentliche Bau soll 2024 prognosegemäß wieder
    jekte unter Verzicht auf etwaig geplante Projekte ab-           ein reales Plus erreichen (2,4%), nach einem Rückgang
    geschlossen werden. Allerdings dürften die Projekte             der öffentlichen Bautätigkeit von 1% im Jahr 2022 und
    zumeist lediglich verschoben und zu einem späteren              2,5% im Jahr 2023.
    Zeitpunkt umgesetzt werden. Zudem trifft die Zins-
    wende auch den öffentlichen Bau. Mittelfristig sind             REFERENZEN
    für neu emittierte Anleihen höhere Zinsen zu leisten.           Deutsche Bundesbank (2022), »Wohnungsbaukredite an private Haus-
    Das dürfte das Investitionsbudget der öffentlichen              halte/Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke«, 19. Dezember, verfüg-
                                                                    bar unter: https://www.bundesbank.de/de/statistiken/geld-und-kapital-
    Hand schmälern. Besonders davon betroffen dürften               maerkte/zinssaetze-und-renditen/wohnungsbaukredite-an-private-haus-
    die Kommunen sein, die immerhin rund 57% des öf-                halte-hypothekarkredite-auf-wohngrundstuecke-615036.

    fentlichen Bauvolumens tätigen (Gornig, Pagenhardt              Gornig, M. und H. L. Pagenhardt (2023), »Bauboom geht zu Ende – politi-
                                                                    scher Strategie-wechsel erforderlich«, DIW Wochenbericht 90(1/2), 4–13.
    und Révész 2022).
                                                                    Gornig, M., H. L. Pagenhardt und H. Révész (2022), Strukturdaten zur
         Zuletzt ist der Auftragseingang im Segment Stra-           Produktion und Beschäftigung - Berechnungen für das Jahr 2021,
    ßenbau – dies betrifft überwiegend öffentliche Auf-             BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Berlin.

    traggeber – von Januar bis Oktober um real 5,8% ge-             Hauptverband der deutschen Bauindustrie (2022a), »Bauindustrie.
                                                                    Umsatz und Auftragseingang im Bauhautpgewerbe«, 22. Dezember,
    sunken (Hauptverband der deutschen Bauindustrie                 verfügbar unter: https://www.bauindustrie.de/zahlen-fakten/aktuelles/
    2022a). Ähnliches dürfte zeitnah auch in den Hoch-              umsatz-und-auftragseinganng.

    baumaßnahmen sichtbar werden. Die Baugenehmi-                   Hauptverband der deutschen Bauindustrie (2022b), »Baukonjunkturelle
                                                                    Lage: Krieg in der Ukraine bringt Baujahr 2022 ins Minus«,
    gungen von öffentlichen Bauherren sind in den ersten            28. November, verfügbar unter: https://www.bauindustrie.de/zahlen-fak-
    zehn Monaten des Jahres 2022 rückläufig. Insgesamt              ten/auf-den-punkt-gebracht/baukonjunkturelle-lage-krieg-in-der-uk-
                                                                    raine-bringt-baujahr-2022-ins-minus#:~:text=Die%20Konjunktu-
    wurden 9% weniger Baumaßnahmen genehmigt (Sta-                  rindikatoren%20am%20Bau%20haben,real%20um%205%2C6%20
    tistisches Bundesamt 2022).                                     %25.

         Positiv hervorzuheben sind für die öffentliche             ifo Institut (2022), »ifo Geschäftsklimaindex gestiegen«, Pressemitteilung,
                                                                    19. Dezember, verfügbar unter: https://www.ifo.de/fakten/2022-12-19/
    Bautätigkeit die geplanten Investitionspakete für den           ifo-geschaeftsklimaindex-gestiegen-dezember-2022.
    weiteren Breitbandausbau, den Bau von Kindertages-              Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022), Gemeinschaftsdiagnose
    stätten sowie für die Förderung des Klimaschutzes               Herbst 2022, Energiekrise: Inflation, Reszession, Wohlstandsverlust, Essen.
    (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2022). Zudem               Statistisches Bundesamt (2022a), »Baupreise für Wohngebäude im
                                                                    August 2022: +16,5% gegenüber August 2021«, Pressemitteilung,
    haben die Bauunternehmen weiterhin ein hohes Auf-               6. Oktober, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Presse-
    tragsbestandsvolumen von rund 26,5 Mrd. Euro, das               mitteilungen/2022/10/PD22_422_61261.html.
    nominal sogar ein leicht höheres Niveau als im Vor-             Statistisches Bundesamt (2022b), »Baugenehmigungen für Wohnungen
                                                                    im Oktober 2022: –14,2% gegenüber Vorjahresmonat«, Pressemitteilung,
    jahresquartal erreicht. Einschränkend wirken sich die           16. Dezember, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pres-
    Preissteigerungen aus, so dass im identischen Budget            semitteilungen/2022/12/PD22_541_3111.html.
    weniger Bauleistung abgerufen werden kann.                      Statistisches Bundesamt (2022c), »Datenbank Genesis, Statistik der Bau-
                                                                    genehmigungen, Tabelle 31111-0001«, verfügbar unter: https://www-ge-
                                                                    nesis.destatis.de/genesis/online?operation=previous&levelindex=0&s-
    ES DROHT KEIN ABSTURZ                                           tep=0&titel=Statistik+%28Tabellen%29&levelid=1672933756455&accepts-
                                                                    cookies=false#abreadcrumb.
                                                                    Statistisches Bundesamt (2022d), »Datenbank Genesis, Tabelle 61261-
    Resümierend ist festzustellen, dass segmentübergrei-            0002«, https://www-genesis.destatis.de/genesis/online#astructure.
    fend vom Wohnungs- über den Wirtschaftsbau bis hin              Statistisches Bundesamt (2022e), »Statistik der Erzeugerpreise,
    zum öffentlichen Bau in den Jahren 2022 und 2023 mit            Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte«, verfügbar unter:
                                                                    https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Erzeugerpreisin-
    einem realen Minus zu rechnen ist. Von einem regel-             dex-gewerbliche-Produkte/Publikationen/erzeugerpreise-artikel.html.
    rechten Absturz der Baubranche ist gleichwohl unter
                                                                    Statistisches Bundesamt (2022f), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
    normalen Umständen nicht auszugehen. Der aktuel-                – Inlandsproduktberechnung Vierteljahrsergebnisse – Fachserie 18 Reihe
    len Prognose des DIW Berlin folgend (Gornig und Pa-             1.2, Wiesbaden.

    genhardt 2023), erreicht der Wohnungsbau ein reales

6   ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Beate Wiemann
Quo vadis Bau? Die Bauwirtschaft in herausfordernden Zeiten

Die Baubranche ist eine der Schlüsselbranchen für         Bauarbeitsmarkt bemerkbar. So
Deutschland: Ob bei der Schaffung von qualitativem        ging die Zahl der Beschäftigten
und bezahlbarem Wohnraum oder Gewerbeflächen,             im Bauhauptgewerbe im Zeit-
dem Bau und Erhalt einer hochwertigen, leistungs-         raum von 1995 bis 2005 um fast
und funktionsfähigen Infrastruktur oder den Mega-         die Hälfte zurück.
themen Klimaschutz, Klimaanpassung und Digitali-                                                                               Prof. Beate Wiemann
sierung: Die Bauwirtschaft ist verlässlicher Partner      AKTUELLE SITUATION
von Politik sowie öffentlichen und privaten Auftrag-                                                                         ist Hauptgeschäftsführerin des
                                                                                                                             Bauindustrieverbands Nord-
gebern. Gleichzeitig ist die Bauwirtschaft wichtiger      Im Anschluss an die zehnjährige                                    rhein-Westfalen e.V.
Konjunkturmotor für unser Land: Bauinvestitionen in       Baukrise fand eine Konsolidie-
Höhe von 1 Mrd. Euro erzeugen laut RWI – Leibniz-In-      rung statt. Kapazitäten wurden
stitut für Wirtschaftsforschung – gesamtwirtschaftli-     von den Firmen neu aufgebaut. Seit 2009 nehmen
che Produktionswirkungen von 2,44 Mrd. Euro. Jeder        die Bauinvestitionen zu und lagen 2021 preisbereinigt
in den Bau investierte Euro stärkt und stützt so die      um 25% über dem Niveau von 2009. Auch die Umsatz-
gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung.       entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass sich
Mit 920 000 Beschäftigten ist das Bauhauptgewerbe         die Baukonjunktur nach dem Tiefpunkt im Jahr 2005
zudem wichtiger Arbeitgeber.                              erholt hat. Der Blick auf die unterschiedlichen Bau-
     War die Branche noch mit gut gefüllten Auftrags-     sparten zeigt jedoch kein einheitliches Bild. Während
büchern und in der Hoffnung, trotz der andauernden        der Wohnungsbau in den letzten Jahren die domi-
Corona-Pandemie als Konjunkturlokomotive weiterhin        nierende Bausparte war, konnte der Wirtschaftsbau
die Gesamtwirtschaft stützen zu können, in das ver-       2021 fast gleichziehen. Der öffentliche Bau (inklusive
gangene Jahr gestartet, hat sich die Baukonjunktur        Straßenbau) hat ebenfalls zulegen können.
seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Uk-          Während des langen konjunkturellen Aufschwungs
raine spürbar abgekühlt. Der anhaltende Angriffskrieg     nahm die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe
in der Ukraine, die Probleme bei den internationalen      um 30% auf 911 000 zu. Bestärkt wurde dieser positive
Lieferketten, die Zinswende sowie die inflationäre Ent-   Trend durch das dauerhaft niedrige Zinsniveau sowie
wicklung – auch beim Baumaterial – haben vielfältige      die zuwanderungsbedingt gestiegene Nachfrage nach
Auswirkungen auf die Baukonjunktur in Deutschland.        Wohnraum. Auch seit Beginn der Corona-Pandemie
Droht nun ein Absturz der Baubranche?                     im Jahr 2020 konnte die Bauindustrie Wachstumspo-
     Zur Beantwortung dieser Frage lohnt zum einen        tenziale generieren und damit die Gesamtwirtschaft
die Einordnung der aktuellen Entwicklung der Bau-         stützen. In den vergangenen Monaten belasteten
wirtschaft in eine etwas längere zeitliche Perspektive    zwar der Krieg in der Ukraine, coronabedingte Lie-
und vor allem ein Blick auf die aktuellen und künftigen   ferengpässe, Zinswende sowie hohe Rohstoffpreise
Bauaufgaben und Herausforderungen für die Branche.        die Firmen, dennoch war die Kapazitätsauslastung
                                                          im Bauhauptgewerbe weiterhin hoch.
BESTANDSAUFNAHME – WOHER KOMMEN WIR?                           Die Frage, die sich stellt, ist: Zeigt sich im An-
                                                          schluss an diesen mehr als 15-jährigen Bauauf-
Vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereini-          schwung nun ein Absturz der Bauwirtschaft? Wäh-
gung ergaben sich starke Impulse aus dem Aufbau
Ostdeutschlands – insbesondere in den Wohnungs-           Abb. 1
bestand sowie die Infrastruktur. Während sich die Ge-     Beschäftigte im Bauhauptgewerbe in Deutschland
samtwirtschaft ebenfalls positiv entwickelte, kam es               Anzahl, Jahresdurchschnitt in 1 000
                                                          1 600
ab 1995 jedoch zu deutlichen Nachfragerückgängen
bei Bauten. In der Folge stürzten die Bauleistungen       1 400
stark ab. Zum Ende der zehnjährigen Baurezession          1 200
wurde in Deutschland preisbereinigt ein Viertel we-       1 000
niger in Bauten investiert als zum Höchststand Mitte
                                                            800
der 1990er Jahre. Diese Entwicklung führte dazu, dass
                                                            600
einige der traditionsreichen großen Bauunternehmen
zur Aufgabe oder ausländischen Übernahme sowie              400
zur Neuaufstellung ihres Geschäftsmodells gezwun-           200
gen waren. Denn viele Bauunternehmen schätzten                0
das Ausmaß sowie die Dauer des Abschwungs falsch                   1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021
                                                          Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der
ein. Diese Strukturkrise machte sich auch stark am        Deutschen Bauindustrie e.V..                                                              © ifo Institut

                                                                           ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Abb. 2                                                                                                                      KEIN ABSTURZ, ABER KONJUNKTURDELLE
Umsatz im Bauhauptgewerbe in Deutschland nach Bausparten
                                                         Wohnungsbau              Wirtschaftsbau     Öffentlicher Bau       Der Neubau-, Ausbau- und auch Sanierungsbedarf in
        Mrd. Euro                                                                                                           allen Bausparten bleibt mittel- und langfristig hoch,
160
                                                                                                                            auch wenn derzeit Projekte durch die Folgen des
140
                                                                                                                            Kriegs in der Ukraine zurückgestellt werden.
120
                                                                                                                                 Nach wie vor gibt es einen hohen Bedarf an
100
                                                                                                                            Wohnraum, und die Politik hält an ihren hohen Neu-
 80                                                                                                                         bauzielen von 400 000 Wohnungen pro Jahr fest. In
 60                                                                                                                         den letzten Jahren lagen die Wohnraumfertigstellun-
 40                                                                                                                         gen deutlich unter dem Bedarf, um dem bestehen-
 20                                                                                                                         den Wohnraummangel effektiv entgegenzuwirken.
   0                                                                                                                        Für 2023 darf zumindest befürchtet werden, dass die
       1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021                                      Zahl der fertiggestellten Wohnungen im Vergleich zum
Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der
Deutschen Bauindustrie e.V..                                                                               © ifo Institut   Vorjahr sogar rückläufig sein könnte. Zentral wird im
                                                                                                                            Wohnungssektor zudem die energetische Sanierung
Abb. 3                                                                                                                      im Bestand sein: Um die Klimaziele zu erreichen, ist
Auftragseingang und Umsatz Januar bis Oktober 2022                                                                          eine Steigerung der jährlichen Sanierungsrate um min-
                                                                    Auftragseingang          Baugewerblicher Umsatz         destens den Faktor 3 erforderlich.
       Veränderung gegenüber Januar bis Oktober 2021 in %                                                                        Auch die Investitionsbedarfe im Verkehrswege-
   0
                                                                                                       –0,2
                                                                                                                            bau werden hoch bleiben und perspektivisch größer
                                                                   –2,0                                                     werden. Prognosen zeigen, dass die Waren- und Per-
 –4                                –2,8
                                                                                              –4,1                          sonenverkehrsaufkommen insgesamt weiter steigen
                –5,3                                                       –5,4       –5,2                                  werden: Bis 2030 könnte der Güterverkehr auf der
                                                                                                              –6,1
 –8
         –7,9                                          –7,4                                                                 Straße um 39% und auf der Schiene um 43% zuneh-
                                                                                                                            men. Für die Bahn gibt es ein prognostiziertes Wachs-
–12
                                              –12                                                                           tum von 19% beim Personenverkehr, beim Pkw eine
                           –13,8                                                                                            Verkehrssteigerung von 10%, und die Wasserwege
–16
          Insgesamt       Wohnungsbau        Hochbau ohne            Tiefbau          Straßenbau       Tiefbau ohne         werden in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Im-
                                             Wohnungsbau                                                Straßenbau
                                                                                                                            mer mehr Menschen, Waren und Güter sind auf un-
Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der
Deutschen Bauindustrie e.V..                                                                               © ifo Institut   seren Verkehrswegen unterwegs, die entsprechend
                                                                                                                            ausgebaut und ertüchtigt werden müssen, um für die
                                   rend sich die Konjunkturindikatoren im ersten Quartal                                    Mobilität der Zukunft gerüstet zu sein. Als Stichworte
                                   2022 noch positiv entwickelten, kam es ab April zu                                       seien hier autonomes Fahren, induktives Laden oder
                                   einem Umschwung. Dies führte dazu, dass sowohl Auf-                                      aber auch Verkehrswege mit Nachhaltigkeitsmehr-
                                   tragseingang als auch Umsatz des Bauhauptgewerbes                                        werten genannt.
                                   (Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten) in den ers-                                          Die Erfahrungen aus dem Corona-Jahr 2020 haben
                                   ten zehn Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjah-                                     gezeigt, dass die deutsche gewerbliche Wirtschaft eine
                                   reszeitraum deutlich sanken (real: –7,9% bzw. –5,3%).                                    erstaunliche Krisenfestigkeit aufweist und mit einem
                                   Zwar nehmen derzeit die Lieferengpässe bei vielen                                        großen Investitionseinbruch im Wirtschaftsbau 2023
                                   Baumaterialien wieder ab, doch laut ifo Konjunktur-                                      nicht zu rechnen ist, was auch durch einen Bauüber-
                                   umfrage gab im Dezember noch jede fünfte befragte                                        hang aus dem Vorjahr gestützt wird. Die BAUINDUST-
                                   Baufirma eine Behinderung der Produktion durch Ma-                                       RIE geht daher davon aus, dass die baugewerblichen
                                   terialknappheit an. Zudem liegen die Erzeugerpreise                                      Umsätze in dieser Sparte 2023 real um 4% zurückge-
                                   – trotz einer leichten Preisberuhigung seit Juli 2022                                    hen werden, allerdings schaffen die stark gestiegenen
                                   – weiterhin auf einem hohen Niveau. Dies führte dazu,                                    Energiepreise und Versorgungsunsicherheiten in Folge
                                   dass die BAUINDUSTRIE nun davon ausgeht, dass der                                        des Ukraine-Krieges auf Auftraggeberseite zusätzliche
                                   reale Umsatz 2022 um 5% zurückgehen wird (nomi-                                          Anreize, in bauliche Optimierungen zur Reduzierung
                                   nal: +11%). Für den Wohnungsbau deutet der reale                                         des Energiebedarfs zu investieren. Auch die Anpas-
                                   Rückgang der Baugenehmigungen für neue Bauten im                                         sung an das sich verändernde Klima mit mehr Stark-
                                   Nichtwohnungs(-hoch-)bau ein rückläufiges Interesse                                      regenereignissen oder Hitzeperioden wird zunehmend
                                   der Investoren an. Insbesondere die hohen Kosten                                         bauliche Maßnahmen erforderlich machen.
                                   der Baumaterialien sowie die steigenden Kosten der                                            Dies gilt gerade auch für die öffentliche Hand, die
                                   Kreditfinanzierung haben eine negative Auswirkung                                        nicht nur im Rahmen der Daseinsvorsorge, sondern
                                   auf den Wohnungsbau. In den ersten zehn Monaten                                          auch durch die ihr zukommende Vorbildfunktion einen
                                   des Jahres sank der Umsatz im Wohnungsbau real um                                        besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz
                                   2,8%. Auch der Hochbau ohne Wohnungsbau sowie                                            und Klimaanpassung setzen muss und gleichzeitig den
                                   der Straßenbau verzeichneten preisbereinigt rück-                                        bedarfsgerechten Ausbau und Erhalt von Verkehrs-
                                   läufige Umsätze (–7,4% bzw. –4,1%).                                                      und Versorgungsinfrastrukturen genauso sicherstellen

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muss wie den Bau von Bildungs- und Kultureinrichtun-        mehr die Vorteile dieses Ansatzes: weniger Fehlpla-
gen, Kliniken oder Sportstätten. Erschwert wird dies        nungen durch digitale Simulation des Bauvorha-
– bei Bund, Ländern und Kommunen gleichermaßen              bens vor Baubeginn oder Zeit- und Kostenreduktion
– durch schrumpfende Spielräume in den Haushalten.          durch optimierte Personal-, Material-, Geräte- und
Trotz unabweisbar hoher Investitionsbedarfe in na-          Maschineneinsätze.
hezu allen Baubereichen und auf allen Gebietskörper-             Hinzu kommt, dass aufgrund des demografischen
schaftsebenen ist im öffentlichen Bau im laufenden          Wandels und der künftigen Verfügbarkeit von Arbeits-
Jahr mit einem Rückgang des realen Bauumsatzes              kräften ein weiterer Ausbau von Kapazitäten nicht die
von etwa 5% zu rechnen.                                     Lösung sein kann, um die großen Herausforderun-
     Auch das Gelingen der Energiewende erfordert           gen für die Branche, wie Infrastrukturmodernisierung,
– zumal unter den nochmals veränderten Rahmen-              Wohnungsneubau und energetische Sanierung im Be-
bedingungen nach dem russischen Angriffskrieg ge-           stand zu meistern. Die Produktivität am Bau muss
gen die Ukraine – erhebliche zusätzliche Investitionen      erhöht werden, und der vermutlich wirksamste Hebel
in regenerative Energien. Der Ausbau der Windkraft          zur Produktivitätssteigerung liegt in der konsequenten
und Photovoltaik muss massiv ausgeweitet und be-            Digitalisierung des Planen und Bauens. Das bedeutet
schleunigt werden, damit einhergehend der Bau von           eine konsequente Anwendung von BIM, die Standar-
Speichern sowie der Netzausbau und -umbau, bei-             disierung von Schnittstellen, die Durchgängigkeit der
spielsweise auch für den Transport von Wasserstoff.         Datennutzung sowie die vollständige Digitalisierung
                                                            öffentlicher und privater Bauaufträge.
DIE KRISE BIETET CHANCEN FÜR DIE                                 Auch beim Thema Fachkräfte kann die Digi-
BAUBRANCHE                                                  talisierung für einen zusätzlichen Schub sorgen.
                                                            Die Bauwirtschaft hat in den letzten 15 Jahren
Als Schlüsselbranche für die zuvor genannten Berei-         200 000 Menschen eingestellt – mehr als die meisten
che befindet sich die Baubranche nicht erst seit der        anderen Branchen, und dies sicherlich auch dank der
Corona-Pandemie in einem Transformationsprozess             sehr guten Zukunftsaussichten für Mitarbeiter. Diese
hin zu mehr Innovationen, Digitalisierung, Nachhal-         Perspektiven einer innovativen Branche gilt es, noch
tigkeit und einer höheren Produktivität am Bau. Sie         stärker herauszustellen – auch, um künftig mehr neue
ist nun besonders gefordert, strategische Weichen zu        Mitarbeiter zu gewinnen und die wachsende Zahl von
stellen und ihre Geschäftsmodelle zu justieren: Dabei       bis zu 20 000 jährlichen Altersabgängen in den nächs-
sind die Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und         ten 15 Jahren zu kompensieren. Der Fokus auf digitale
Arbeitskräftemangel drei der Top-Themen für die Un-         Arbeitsmethoden und innovative Produkte kann dabei
ternehmen, die zunehmend ineinandergreifen.                 helfen, neben der Produktivität auch die Branchenat-
     In Zeiten hoher Materialpreise und brüchiger Lie-      traktivität für Arbeitskräfte zu steigern.
ferketten bekommt beispielsweise das ressourcenef-
fiziente Bauen als Nachhaltigkeitsaspekt zusätzliche        FAZIT
Bedeutung und wird ein Wettbewerbsvorteil sein. In
den letzten Jahren hat sich deutlich gezeigt, wie eng       Einen Absturz in der Baubranche wird es nicht geben,
Lieferketten und Abhängigkeiten heute sind. Es muss         erst recht nicht in dem Ausmaß der Baurezession in
deshalb gelingen, unabhängiger von Importrohstoffen         den späten 1990er und frühen 2000er Jahren. Aller-
zu werden, z. B. durch den verstärkten Einsatz von          dings dürfte es im Jahr 2023 und 2024 in den meisten
Recyclingbaustoffen. Das gelingt jedoch nur gemein-         Bausparten zu rückläufigen Auftragszahlen kommen,
sam mit der auftraggebenden Seite, die dafür offen          eine deutliche baukonjunkturelle Delle wird sich nicht
sein muss und eine entsprechende Auftrags- und Ver-         vermeiden lassen. Aktuell erwartet die BAUINDUS-
gabephilosophie verfolgt. Nachhaltige und recycelte         TRIE für das deutsche Bauhauptgewerbe im Jahr
Baumaterialien, die bislang für Auftraggeber zu teuer       2023 einen realen Umsatzrückgang von 6%. Bei ei-
oder weniger qualitativ schienen, können eine sehr          ner Preisentwicklung in gleicher Höhe bedeutet dies
wirtschaftliche – und qualitativ gute – Alternative sein.   für die nominalen Umsätze eine Stagnation auf dem
Insbesondere dem öffentlichen Auftraggeber kommt            Vorjahresniveau.
eine Vorbildfunktion für den Transformationsprozess              Doch auch wenn aktuell Projekte durch den Krieg
der Nachhaltigkeitswende zu.                                in der Ukraine zurückgestellt werden, ist perspekti-
     Zudem wird sich mehr Nachhaltigkeit am Bau nur         visch mit Nachholinvestitionen zu rechnen. Denn die
durch mehr Digitalisierung erreichen lassen: Building       Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen, der Bedarf
Information Modeling (BIM) spielt neben Technologien        für eine funktionierenden und verlässliche Verkehrsin-
wie Robotik, der intelligenten Nutzung von Daten, der       frastruktur sowie die Aufgaben bei der Umsetzung der
industriellen Vorfertigung und innovativen Formen           Energie- und Klimawende werden mittel- und lang-
der Zusammenarbeit der Projektpartner bereits heute         fristig hoch bleiben oder sogar noch wachsen. Die
eine entscheidende Rolle, um Bauwerke ganzheitlich          Branche hat im Vertrauen auf diesen von Politik und
zu planen und Bauabläufe zu verbessern. Unterneh-           Auftraggebern betonten, hohen Baubedarf ihre Kapa-
men, Planer und Auftraggeber erkennen mehr und              zitäten in den vergangenen Jahren – auch während

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                      der Corona-Pandemie – kontinuierlich aufgebaut. Nun                  Gleichzeitig muss alles vermieden werden, was
                      sind Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die             das Bauen unnötig verteuert: Langwierige Genehmi-
                      Branche unabdingbar. Um die aktuelle baukonjunk-                gungsverfahren und eine hohe Regelungsdichte führen
                      turelle Delle möglichst abzufedern, braucht es eine             bei vielen Bauvorhaben zu unnötigen Kostensteigerun-
                      gemeinsame Kraftanstrengung aller handelnden Ak-                gen und binden sowohl auf Auftraggeber- als auch auf
                      teure – von der Politik als Rahmengestalterin über die          Auftragnehmerseite Personalkapazitäten. Die Politik
                      Planer, öffentlich und private Auftraggeber bis zu den          muss endlich die angekündigten Vereinfachungen und
                      ausführenden Unternehmen.                                       Beschleunigungen bei Planungs-, Genehmigungs- und
                            Zielgerichtete, bedarfsorientierte und kontinuier-        Beschaffungsverfahren zeitnah umsetzen.
                      liche Investitionen in den Erhalt und die Sanierung,                 Dies muss Hand in Hand gehen mit einer Stabi-
                      in die Instandsetzung sowie in den Neu- und Ausbau              lisierung der kommunalen Haushalte, um die konse-
                      von Straßen, Brücken, Schienen- und Wasserwegen                 quente Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur,
                      sind dringend geboten, um den jahrzehntelangen In-              die umfassende Digitalisierung und personelle Aufsto-
                      vestitionsstau abzubauen. Gleiches gilt für die Aus-            ckung der öffentlichen Verwaltung, die Entbürokrati-
                      gestaltung von positiven Rahmenbedingungen und                  sierung von Wirtschaft und Verwaltung gerade jetzt
                      Förderkulissen im Wohnungsbau, um die politischen               mit dem nötigen Nachdruck voranzubringen.
                      Wohnungsbauziele zu erreichen. Da Bauen aber mit-                    Nicht zuletzt gilt es nun, auch die Synergien und
                      telfristig teuer bleiben wird, muss die öffentliche Hand        Vorteile zu heben, die sich aus einer engeren und part-
                      dies bei ihren Finanzplanungen berücksichtigen. Sonst           nerschaftlichen Zusammenarbeit der handelnden Ak-
                      wird bei gleichen Budgets deutlich weniger gebaut               teure entlang der gesamten Wertschöpfungskette Bau
                      werden. Die derzeit vorgesehenen Preisanpassungs-               ergeben können: mehr Produktivität, schnelleres und
                      regelungen der öffentlichen Finanzplanungen von                 nachhaltigeres Bauen und eine Steigerung der Attrak-
                      etwa 3% müssen daher an die neue Realität angepasst             tivität der Branche.
                      werden. Helfen könnte die Politik mit einem Investi-                 Auch wenn die Baubranche in einem schwierigen
                      tions-»Doppelwumms«, wie ihn Mitte Januar Peter                 Umfeld mit neuen Herausforderungen konfrontiert
                      Hübner, der Präsident des Hauptverbands der Deut-               ist – ein Absturz droht ihr sicherlich nicht. Die Unter-
                      schen Bauindustrie, gefordert hat: Für die Neubauför-           nehmen sind gut und solide aufgestellt und werden
                      derung bei Wohnungen seien jährlich 15 Mrd. Euro                den Herausforderungen innovativ, flexibel, mit neuen
                      erforderlich, für die Verkehrsinfrastruktur müssten             Geschäftsmodellen und einer Steigerung ihrer Pro-
                      weitere 25 Mrd. Euro bereitgestellt werden.                     duktivität begegnen.

                      Tobias Just

                      Alle Hochbausegmente unter Druck – einige auch
                      längerfristig

                         Der Anteil der Bauinvestitionen an der gesamten              chen und gewerblichen Tiefbau und seit 2015 auch
                         Wirtschaftsleistung in Deutschland belief sich in            durch den gewerblichen und öffentlichen Hochbau.
                         den ersten drei Quartalen 2022 auf 12,5%. Dieser                  Die Analyse des Bausektors resultiert also aus der
                                         Anteil fiel um 1 Prozentpunkt hö-            Bedeutung des Sektors für die gesamtwirtschaftliche
                                            her aus als 2021 und auch um              Entwicklung. Hinzu kommt, dass mit Neubauaktivi-
                                             knapp 1 Prozentpunkt höher               täten sehr wichtige Bedürfnisse adressiert werden;
                                             als im langjährigen Mittel seit          gerade der Wohnungsneubau folgte in den letzten
                                             1991 (Statistisches Bundesamt            Jahren dem Diktat der Knappheit. Die marktaktiven
                                             2022). Tatsächlich konnte die            Leerstandsquoten sanken in den kreisfreien Städten
  Prof. Dr. Tobias Just                     Bauwirtschaft in den Jahren von           seit 2006 von durchschnittlich 3,9% auf zuletzt deut-
                                           2010 bis 2021 jedes Jahr etwa              lich unter 2% (empirica regio 2023), die Neuvertrags-
ist Inhaber des Lehrstuhls für             0,2 Prozentpunkte an Wachs-                wohnungsmieten stiegen in Folge dieser Verknappung
Immobilienwirtschaft an der
Universität Regensburg und Wis-            tumsbeiträgen für das Bruttoin-            seit 2009 um über 50% für Deutschland insgesamt, in
senschaftlicher Leiter der IREBS           landsprodukt beisteuern, und dies          den Ballungsräumen fiel der Anstieg zum Teil sogar
Immobilienakademie, eines                  wurde durch alle Bausegmente ge-           deutlich stärker aus (Verband deutscher Pfandbrief-
An-Instituts der Universität Re-
gensburg für Weiterbildung in der          tragen, am stärksten durch das             banken 2022), so dass »die neue Wohnungsfrage« (Bal-
Immobilienwirtschaft.                      größte Segment, den Wohnungs-              denius et al. 2020) gerade auch eine soziale Frage ist.
                                           bau, danach durch den öffentli-            Diese soziale Herausforderung würde im Zuge einer

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Abschwächung im Wohnungsbau an Dringlichkeit             und weil die eingeschränkten Konsummöglichkeiten
gewinnen.                                                die Sparquote insbesondere von einkommensstarken
     Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil Bauinves-    Privaten erhöhten (Eisfeld und Just 2021). Auch die
titionen immanent starken Schwankungen unterwor-         Flächen- und Investitionsnachfrage nach Logistik- und
fen sind – die Standardabweichung der realen Wachs-      ausgewählten Büroimmobilien blieb bis Ende 2021
tumsraten der deutschen Bauinvestitionen fiel für die    hoch, die Preise stiegen schneller als die Miete, so
letzten 30 Jahren fast doppelt so hoch aus wie jene      dass die Mietrenditen sanken.
für das Bruttoinlandsprodukt und über dreimal so              Doch Investoren und Banken und damit auch Pro-
hoch wie jene für die gesamten Konsumausgaben.           jektentwickler und Bauunternehmen sahen sich 2022
Dem jüngsten Aufschwung in der Bauwirtschaft ging        mit einer grundlegend veränderten Marktlage konfron-
ein zehn Jahre anhaltender Abschwung zwischen            tiert, die zu massiver Neubewertung der Geschäftstä-
1995 und 2005 voraus. Während dieser Zeit beliefen       tigkeit zwang, denn steigende Bau- und Bodenpreise
sich die mittleren jährlichen Wachstumsbeiträge der      ließen sich nicht mehr an Käufer weiterreichen, deren
Bauinvestitionen zum Bruttoinlandsprodukt auf –0,3%      Finanzierungsumfeld durch steigende Zinsen begrenzt
(Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-        wurde. Der Anstieg der Immobilienfinanzierungszin-
wirtschaftlichen Entwicklung 2022).                      sen um 300 Basispunkte innerhalb eines Jahres un-
     In diesem Beitrag geht es um drei Dinge, erstens    terschätzt die Anpassungslast für Projektentwickler
wird argumentiert, dass eine Baurezession sehr wahr-     sogar, weil Banken grundsätzlich zurückhaltender bei
scheinlich geworden ist, dass zweitens zusätzliche       der Vergabe von Darlehen für Neubaumaßnahmen
Risiken durch Verschiebungen bei der Flächennutzung      wurden. Teilweise schränkten Banken ihre Kredit-
sowie in der Immobilienfinanzierung entstehen wer-       vergabe für Projektentwickler grundsätzlich ein, for-
den und dass diese Verschiebungen noch nicht hin-        derten zusätzliche Covenants insbesondere für Neu-
reichend in aktuellen Frühindikatoren berücksichtigt     kunden ein oder reduzierten ihre Beleihungsobergren-
sind. Drittens wird argumentiert, dass es zwar drin-     zen, was dazu führte, dass viele Projekte storniert
genden mittel- und langfristigen Bedarf an weiteren      wurden oder nur durch Aufnahme teureren Mezza-
Baumaßnahmen gibt, dass hierfür aber institutionelle     nine-Kapitals fortgesetzt werden können (Just und
Rahmen neu gesteckt werden müssen und dass folg-         Wiersma 2022).
lich ‒ im Falle des Unterlassens ‒ einige dieser wich-        Der spürbare Rückgang bei Auftragseingängen
tigen baulichen Tätigkeiten unterbleiben, mindestens     und den Baugenehmigungen im Laufe des Jahres
aber (zu) spät umgesetzt werden.                         2022 spiegelt diese verschlechterten Geschäftsbedin-
                                                         gungen sowohl im gewerblichen Hochbau als auch
KURZFRISTIGE LASTEN                                      im Wohnungsbau. Und für die nächsten Quartale ist
                                                         mit anhaltendem Abwärtssog zu rechnen, weil die
Die Bau- und Immobilienbranchen profitierten in den      entscheidenden Belastungsfaktoren gerade für den
letzten zwölf Jahren davon, dass drei zentrale Bestim-   Wohnungsbau weiterhin bestehen. Die Erschwinglich-
mungsfaktoren gleichzeitig für Rückenwind sorgten:       keit von Wohnungen und Häusern hat sich bereits in
Seit dem Zensus 2011 hat sich die Zahl der Einwoh-       den letzten Jahren stetig verschlechtert (Deutsche
ner in Deutschland um fast 3 Millionen Personen er-      Bundesbank 2020), und dies hat sich angesichts der
höht, die Zahl der Haushalte um rund 1,7 Millionen.      stark gestiegenen Hypothekenzinsen bei bislang nur
Die Zahl der Erwerbstätigen stieg sogar noch stärker,    geringfügig nachgebenden Wohnungspreisen geradezu
weil das anhaltend hohe Wirtschaftswachstum neue         sprunghaft verstärkt. Private Kauf- und Bauinteressen-
Jobs in nahezu allen Wirtschaftsbereichen entstehen      ten ziehen sich zurück, weil sie die Finanzierungslü-
ließ. Die Flächennachfrage legte sowohl im Wohn- als     cke nicht durch Eigenkapital schließen können. Nach
auch in den meisten Gewerbeimmobiliensegmenten           aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts (2023)
zu; Leerstände gingen zurück, und Mieten legten zu.      wurden in den letzten Wochen des Jahres 2022 rund
Weil gleichzeitig die Zinsen immer neue Tiefststände     ein Drittel weniger Hypothekenverträge abgeschlossen
erreichten, stiegen die Immobilienpreise sogar deut-     als im Vorjahreszeitraum, in dem die Zahl der abge-
lich schneller als die Mieten – auch dies galt sowohl    schlossenen Verträge bereits im Minus lag. Und auch
für Wohnungs- als auch für die meisten gewerbli-         bei Transaktionen institutioneller Käufer verbleiben
chen Immobilienmärkte. Stark steigende Immobili-         eigenkapitalstarke Akteure, und dies sind eben nicht
enpreise signalisierten, dass sich Neubau lohnt. Bau-    Projektentwickler.
und Grundstückskosten stiegen, weil das Bauangebot            Schließlich weisen auch die Google-Trends-In-
nicht hinreichend schnell ausgeweitet werden konnte      dikatoren – hier die Google-Suchanfragen nach den
und weil nicht ausreichend viel Bauland zur Verfügung    Wortpaaren »Haus bauen« bzw. »Wohnung kaufen«,
stand. Neubauten verteuerten sich in den letzten zehn    die dem Indikator der abgeschlossenen Kreditverträge
Jahren noch schneller als Bestandsimmobilien.            noch vorauslaufen dürften – bis zum aktuellen Rand
     Die Pandemie hat diese Dynamik für die Woh-         deutlich nach unten. Unter anderem Hohenstatt et al.
nungsmärkte sogar verstärkt, weil für institutionelle    (2011) sowie Beracha und Wintoki (2012) konnten zei-
Anleger die Anlagealternative eingeschränkt blieben      gen, dass ähnlich konzipierte Suchanfrageindikatoren

                                                                     ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023   11
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Abb. 1                                                                                                                geringeren regulatorischen Anforderungen unterlie-
Google-Trends Suchanfrage nach: »Haus bauen«                                                                          gen, lässt sich dieses Risiko zudem schwer bewerten.
                                            Suchanfragen          Trend         95-%-Intervall   Signifikanz
                                                                                            Lockdown-Phase            LANGFRISTIGE HERAUSFORDERUNGEN
100

 80
                                                                                                                      Die starken konjunkturellen Abschwungssignale wie-
                                                                                                                      gen auch deswegen schwer, weil der gesellschaftliche
 60                                                                                                                   Bedarf an Baumaßnahmen in den nächsten Jahren
                                                                                                                      hoch bleibt. Dies betrifft nicht nur, wie eingangs er-
 40                                                                                                                   wähnt, den Wohnungsbau. Hier konnte die Bedarfslü-
                                                                                                                      cke in den letzten Jahren nicht geschlossen werden,
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                                                                                                                      angesichts anhaltend hoher Nettozuwanderung und
  0
                                                                                                                      rückläufiger Genehmigungszahlen wird sich diese Lü-
              2018                2019                2020                 2021                   2022                cke weiterhin nicht schließen, der Aufwärtsdruck auf
Quelle: Google Trends; Berechnungen des Autors.                                                      © ifo Institut   die Wohnungsmieten wird folglich nicht nachlassen.
                                                                                                                      Wenn die Wohnungspreise sinken, Wohnungsmieten
Abb. 2                                                                                                                jedoch steigen, werden die Miet-renditen, also die
Google-Trends Suchanfrage nach: »Wohnung kaufen«                                                                      Auszahlungsrenditen, zulegen, und dies wird wieder
                                            Suchanfragen          Trend         95-%-Intervall   Signifikanz          mehr finanzielle Anreize für Investoren und Projekt-
                                                                                            Lockdown-Phase            entwickler ermöglichen. Die Knappheit auf den Woh-
120
                                                                                                                      nungsmärkten ist somit die wichtigste Gewähr, dass es
100                                                                                                                   keine jahrelange Wohnungsbaurezession geben wird.
                                                                                                                            Doch richtig ist auch, dass diese Gemengelage
 80
                                                                                                                      weitere Unsicherheiten beinhaltet, denn so sehr In-
 60                                                                                                                   vestoren in steigenden Wohnungsmieten eine Chance
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                                                                                                                      sehen können, so stark wird die Sorge der Mieter und
                                                                                                                      folglich der Wohnungspolitiker vor dieser Entwick-
 20                                                                                                                   lung sein. Zusätzliche Mietpreisregulierung könnte
  0                                                                                                                   sich in einer Phase rückläufiger Wohnungsfertigstel-
               2018                2019                 2020                   2021               2022                lungen dann als noch weniger geeignetes Instrument
Quelle: Google Trends; Berechnungen des Autors.                                                      © ifo Institut   erweisen, um Knappheit zu reduzieren, als während
                                                                                                                      der Jahre des Aufschwungs. Maßnahmen, die helfen,
                                 Immobilienpreis- und Transaktionsdaten vorauslaufen,                                 die Kostenseite der Bauunternehmen und Entwick-
                                 weil sie Teil der Informationsbeschaffung sind, die vor                              ler zu entspannen, würden mehr helfen. Dies gilt
                                 einer Transaktion oder einer Hypothekenvereinbarung                                  insbesondere deswegen, weil der Klimawandel eine
                                 erfolgt. Abbildung 1 und Abbildung 2 illustrieren zu-                                umfangreiche energetische Ertüchtigung des Immo-
                                 sätzlich, dass die Beruhigung des Bau- und Kaufinte-                                 bilienbestands notwendig macht und dies in vielen
                                 resses auf den Wohnungsmärkten bereits im Laufe des                                  Fällen zusätzliche Kosten verursacht. Allerdings gibt
                                 Jahres 2021 einsetzte, damals wohl noch überwiegend                                  es empirische Hinweise, dass solche Sanierungen bis-
                                 als Gegenbewegung auf die heftigen Ausschläge, die                                   her häufig unterbleiben, weil die finanziellen Anreize
                                 im Zuge der Lockdowns in Deutschland entstanden.                                     (green premium) nicht ausreichen, die Zusatzkosten
                                 Diese Abwärtsdynamik hat sich zuletzt durch die Zins-                                zu rechtfertigen. Die ökologisch sinnvollsten Baumaß-
                                 und Rezessionsrisiken des Jahres 2022 verstärkt.                                     nahmen unterbleiben dann (Groh et al. 2022).
                                      Daraus lässt sich auch folgern, dass zu den erheb-                                    Für den gewerblichen Hochbau sind die länger-
                                 lichen Risiken für die Baukonjunktur also Immobilien-                                fristigen Unsicherheiten größer als für den Wohnungs-
                                 preisrisiken hinzukommen. Dies kann die Kreditver-                                   bau, denn nicht nur für den Einzelhandel, auch für
                                 gabe der Banken und den privaten Konsum dämpfen.                                     viele Büroimmobilien stellt sich die Frage nach einem
                                 Immerhin, eine ähnlich heftige preisliche Abwärtsdy-                                 dauerhaften Nutzungskonzept im Zuge digitaler Han-
                                 namik wie in den USA, Spanien oder Irland im Zuge                                    delsplattformen und neuer Arbeitsorganisationsfor-
                                 der Finanz- und Wirtschaftskrise ist unwahrscheinlich,                               men neu. Der Übergang traditioneller Büroarbeit ver-
                                 weil in Deutschland kaum spekulativ gebaut wurde                                     ändert nicht nur geeignete Büroformen und günstige
                                 und überwiegend Darlehen mit langer Laufzeit ver-                                    Bürolagen, sondern dürfte auch die quantitative Flä-
                                 geben wurden.                                                                        chennachfrage und damit den Neubau von Bürohäu-
                                      Für Projektentwickler und Bauunternehmer                                        sern dämpfen (Bloom et al. 2022 sowie die Beiträge
                                 könnte jedoch ein Finanzierungsrisiko aus der wach-                                  in Just und Plößl 2021). Insofern wächst neben der
                                 senden Bedeutung der Mezzanine-Finanzierungen                                        energetischen Ertüchtigung auch die Notwendigkeit
                                 entstehen. Gerade weil es für diesen Markt schlech-                                  zum strukturellen, auch infrastrukturellen, Stadtum-
                                 tere Markttransparenz gibt als für klassische Banken-                                bau. Dies ist jedoch viel einfacher niedergeschrieben
                                 finanzierungen und weil diese Finanzierungsakteure                                   als in Städten umgesetzt, weil potenzielle neue Flä-

                         12      ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang    18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT

chennutzungen nicht zwingend dieselbe Zahlungsbe-                           Empirica regio (2023), »Empirica regio Marktstudio - marktative Leer-
                                                                            standsquote«, verfügbar unter: https://studio.empirica-regio.de/stu-
reitschaft aufbringen wie obsolet gewordene Nutzun-                         dio-live/, aufgerufen am 5. Januar 2023.
gen im Handel und durch Bürodienstleistungen. Diese                         Groh A., H. Kuhlwein und S. Bienert (2022), »Does Retrofitting Pay Off?
strukturellen Herausforderungen könnten sich als gra-                       An Analysis of German Multifamily Building Data«, Journal of Sustain-
                                                                            able Real Estate 14(1), 95–112.
vierender erweisen als die aktuellen konjunkturellen
                                                                            Hohenstatt, R., M. Käsbauer und W. Schäfers (2011), »»Geco« and its
Belastungen, da für ein Auflösen mitunter langwierige                       Potential for Real Estate Research: Evidence from the U.S. Housing Mar-
planungsrechtliche Anpassungen erforderlich sind.                           ket«, Journal of Real Estate Research 33(4), 471–506.
                                                                            Just, T. und F. Plößl (Hrsg., 2021), Die Europäische Stadt nach Co-
                                                                            rona: Strategien für resiliente Städte und Immobilien, Springer Gabler,
REFERENZEN                                                                 Wiesbaden.
Baldenius, T., S. Kohl und M. Schularick (2020), »Die neue Wohnungs-        Just, T. und S. Wiersma (2022), Das Ende eines langen Aufschwungs: Ein-
frage. Gewinner und Verlierer des deutschen Immobilienbooms«, Leviat-       blicke in die gewerbliche Immobilienfinanzierung in Deutschland, IREBS
han 48(2), 195–236.                                                         Standpunkt 116, verfügbar unter: https://www.irebs-immobilienaka-
Beracha, E. und M. B. Wintoki (2013), »Forecasting Residential Real         de-mie.de/aktuelles-bei-irebs/irebs-standpunkt/irebs-standpunkt-nr-116,
Estate Price Changes from Online Search Activity«, Journal of Real Estate   aufgerufen am 2. Januar 2023.
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Bloom, N., R. Han und J. Liang (2022), »How Hybrid Working from Home        Entwicklung (2022), Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität
Works Out«, NBER Working Paper 30292, Cambridge, verfügbar unter:           gestalten, Jahresgutachten 2022/2023, Wiesbaden.
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fügbar unter: https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/          Statistisches Bundesamt (2023), »Kreditvergaben in der Kreditwirtschaft
monatsberichte/monatsbericht-oktober-2020-848808, aufgerufen am 2.          und Auskünfte für Online-Transaktionen«, verfügbar unter:
Januar 2023.                                                                https://www.destatis.de/DE/Service/EXDAT/Datensaetze/kredite-onlinet-
Eisfeld, R. K. und T. Just (2021), Die Auswirkungen der Covid-19-Pan-       ransaktionen.html, aufgerufen am 5. Januar 2023.
demie auf die deutschen Wohnungsmärkte, Studie im Auftrag der               Verband deutscher Pfandbriefbanken (2022), »Jahrelanger Aufschwung
Hans-Böckler-Stiftung. IREBS Beiträge zur Immobilienwirtschaft Heft 26,     am deutschen Immobilienmarkt endet. vdp Immobilienpreisindex
Regensburg.                                                                 Q3 2022«, verfügbar unter: https://www.vdpresearch.de/jahrelanger-auf-
                                                                            schwung-am-deutschen-immobilienmarkt-endet/, aufgerufen am 4. Ja-
                                                                            nuar 2023.

Thomas Beyerle
Die Bauwirtschaft im Triple Trouble – zwischen Kapital-
marktumfeld, Pandemiewirkungen und Dekarbonisierung
Das Jahr 2022 war geprägt durch polykrisenartige                            lienmarkt und somit auch auf die deutsche Bauindust-
Effekte. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine                        rie. Nach zurückliegenden Jahren, die vor allem durch
sorgte für eine humanitäre Katastrophe und für eine                         Wachstum geprägt waren (Wachstum der Mieten, der
deutliche Anspannung der ökonomischen und politi-                           Preise, der Investitionsvolumina), macht sich aktuell
schen Rahmenbedingungen der deutschen Volkswirt-                            eine deutliche Unsicherheit und Zurückhaltung unter
schaft. Die Reduktion bzw. der Stopp russischer Gas-                        den Akteuren des Immobilienmarktes breit. Vor allem
lieferungen, in Kombination mit weiter anhaltenden                          innerhalb des Baugewerbes spiegeln sich die aktuellen
Unterbrechungen globaler Lieferketten, resultierte                          Unsicherheiten wider. In den Jahren 2010 bis 2020
in historisch hohen Inflationsraten. Aber nicht nur in                      stieg nach Daten des Statischen Bundesamtes die An-
Deutschland verlor der Euro deutlich an Kaufkraft,                          zahl jährlich fertiggestellter Wohnungen kontinuierlich
in der gesamten Eurozone waren im Jahr 2022 Teue-                           von rund 160 000 auf rund 306 000 an. Im Jahr 2021
rungsraten zu bilanzieren, die deutlich oberhalb der                        zeigte sich eine erste Abkühlung der Entwicklung der
angestrebten Inflationsrate der Europäischen Zentral-                       Anzahl fertiggestellter Wohnungen. So lag ihre Anzahl
bank (EZB) von 2% lagen. Als Folge reagierte die EZB                        im Jahr 2021 mit rund 293 000 leicht unterhalb des
mit einer Anpassung ihrer geldpolitischen Strategie                         Vorjahreswertes. Der Anstieg der Baukosten sowie
und hob im Laufe des Jahres 2022 in vier Zinsschrit-                        die aufgrund der Zinswende der EZB
ten den Zins für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um                           deutlich gestiegenen Finanzie-
250 Basispunkte von 0% auf 2,50%. Für die Bau- und                          rungskosten für Bauprojekte sor-
Immobilienwirtschaft verschlechterte sich damit, seit                       gen für eine hemmende Wirkung
der Null-Zins-Entscheidung der EZB 2016, eine quasi                         auf die deutsche Bauindustrie.
historisch positive Situation einer alternativlosen An-                     Für 2023 ist davon auszugehen,
lagenposition »pro Immobilie«.                                              dass die Anzahl an fertiggestell-                Prof. Dr. Thomas Beyerle
                                                                            ten Wohnungen in Deutschland
DAS ENDE DES BAUZYKLUS?                                                     weiter abnimmt und sich auf rund               lehrt an der HBC Hochschule
                                                                                                                           Biberach Immobilienwirtschaft/
                                                                            245 000 belaufen wird. Die Entwick-            Immobilienresearch
Die turbulenten ökonomischen Rahmenbedingungen                              lung der Anzahl an genehmigten
haben deutlichen Einfluss auf den deutschen Immobi-                         Wohnungen in Deutschland im

                                                                                             ifo Schnelldienst   1 / 2023   76. Jahrgang   18. Januar 2023   13
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