Bauwirtschaft: Droht ein Absturz in der Baubranche? - ifo Institut
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ZUR DISKUSSION GESTELLT Bauwirtschaft: Droht ein Absturz in der Baubranche? Die Baubranche steht unter Druck. Vom Wohnungs- über den Wirtschaftsbau bis hin zum öffentlichen Bau ist für die Jahre 2022 und 2023 mit einem realen Minus zu rech- nen. Zinssteigerung, Baukostenexplosion und Förderkürzung dürften vor allem im Wohnungsbau zu einem Abwärtstrend führen. Die Nachfrage nach bezahlbaren Woh- nungen, der Bedarf an einer verlässlichen Verkehrsinfrastruktur und die Aufgaben bei der Umsetzung der Energie- und Klimawende bleiben aber mittel- und langfris- tig hoch. Ist die Stimmung schlechter als die tatsächliche wirtschaftliche Lage? Christian Schmidt Deutlicher Rückgang ja, Absturz nein Nach derzeit allgemeiner medialer Auffassung steht genehmigt, waren es 2021 rund 193 500 Wohnungen die Wirtschaft und mit ihr auch die Baubranche vor (Statistisches Bundesamt 2022). Das verausgabte Volu- einer tiefgreifenden Rezession. Die Stimmung er- men im Geschosswohnungsbau hat sich in nominaler scheint jedoch deutlich schlechter, als die allgemeine Rechnung mehr als vervierfacht, von 8,4 Mrd. Euro auf wirtschaftliche Lage tatsächlich ist. Diese Situation 37,7 Mrd. Euro (Gornig et al. 2022). Insgesamt zeigte gilt gleichermaßen für die Baubranche. Ein Blick auf die Bautätigkeit eine sehr positive Entwicklung und unterschiedliche Indikatoren – soweit sie bis an den stützte die Gesamtwirtschaft, nicht zuletzt auch in aktuellen Rand vorliegen – lässt hingegen einen posi- der Corona-Pandemie, da die Baustellen in dieser Zeit tiveren Schluss zu. Eingangs steht ein kurzer Rückblick offengehalten werden konnten. auf die vergangene Entwicklung der Bautätigkeit und In der aktuellen Situation stellt sich angesichts die Bedeutung für die Gesamtwirtschaft. steigender Hypothekenzinsen, stark gestiegener Bau- Die Baubranche hat in den zurückliegenden und Materialpreise und hoher Inflation die Frage, ob Jahren infolge der regen Bautätigkeit wieder an die Baubranche diese positive gesamtwirtschaftliche Bedeutung gewonnen. Von 2009 bis 2021 legten Rolle weiterhin ausfüllen kann oder ob im Jahr 2023 die Bauinvestitionen um durchschnittlich 1,9% pro und gegebenenfalls 2024 ein deutlicher Rückgang Jahr zu, während die gesamte Wirtschaftsleistung droht und folglich auch für die Gesamtwirtschaft ein gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,5% zusätzlicher Einschnitt? wuchs. Dementsprechend erhöhte sich der Anteil der Bauinvestitionen am BIP im gleichen Zeitraum SIND DIE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR von 9,3% auf 11,5%. Ebenso konnte der Anteil der DEN WOHNUNGSBAU »TOXISCH«? Bauinvestitionen an den Anlageinvestitionen deutlich zunehmen. 2021 erreichte der Anteil 52%, nach 48% Die höheren Zinsen treffen insbe- im Jahr 2009. Der Anteil der Bruttowertschöpfung sondere den Wohnungsbau. Im des Baugewerbes stieg ebenfalls von gut 4% im Jahr Zusammenspiel mit den ge- 2009 auf 5,5% im Jahr 2021. Die Bauunternehmen stiegenen und teilweise weiter erhöhten im gleichen Zeitraum ihre Belegschaft um steigenden Bau- und Material- 339 000 auf rund 2,6 Mio. Beschäftigte. Wesentlicher preisen stellt das zunehmende Treiber dieser positiven Entwicklung war der Woh- Zinsniveau das größte Risiko für Christian Schmidt nungsbau. Dieser stand zuletzt für 62% der gesamten den Wohnungsbau dar. Anfang De- ist wissenschaftlicher Mitarbeiter Bauinvestitionen nach 56% im Jahr 2009 (Statistisches zember 2022 lag der Zins für Woh- im Referat »Wohnen und Klima- Bundesamt 2022). nungsbaukredite im Durchschnitt schutz, Bauwirtschaft«, am Bun- desinstitut für Bau-, Stadt- und Vor allem das Segment des Geschosswohnungs- bei 3,3% und somit um 2 Prozent- Raumforschung im Bundesamt baus verzeichnete ein deutliches Wachstum. Wurden punkte höher als im Oktober 2021 für Bauwesen und Raumordnung. in diesem Segment 2009 noch 61 400 Wohnungen (Deutsche Bundesbank 2022). Die ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 1 ferengpässen betroffen zu sein. Im Mai berichteten Erzeugerpreise für Bauholz, Betonstahl und Betonstahlmatten noch 52% der Bauunternehmen, mit Lieferengpässen Bauholz Betonstahl Betonstahlmatten zu kämpfen. Hinzu kommt am aktuellen Rand eine Index = 2015 nachlassende Dynamik bei den Energiepreisen. So 300 sank im November der Gaspreis um 30% gegenüber dem Vormonat Oktober. Das Niveau liegt aber immer 200 noch deutlich über dem des Vorjahres. Die nachlassende Preisdynamik trifft jedoch nicht für die energieintensive Produktion von Keramikpro- 100 dukten, Dachziegeln und ähnlichen Materialien zu. Hier zeigt sich am aktuellen Rand eine deutliche Zu- nahme der Dynamik infolge des höheren Preises für 0 den Einkauf von Gas. Die Preise für keramische Wand-, 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Bodenfliesen und -platten sind von November 2021 Quelle: Statistisches Bundesamt. © ifo Institut bis November 2022 um 30% gestiegen. Auch Zement hat sich um 25% verteuert, Dachziegel um 18% (Sta- Abb. 2 tistisches Bundesamt). Erzeugerpreise für keramische Produkte, Zement und Dachziegel Die Dynamik der Baupreise für die Erstellung Keramische Wand-, Bodenfliesen und -platten (ab 1995) neuer Wohnungen hat infolge der vorgenannten Ent- Index = 2015 Zement (ab 2010) wicklungen bis zum Mai ebenfalls angezogen (+17,6% 160 Dachziegel (ab 1995) im Vergleich zum Vorjahresquartal), zeigte aber im 3. Quartal mit 16,5% einen leichten Rückgang (Sta- 120 tistisches Bundesamt 2022). Generell ist davon aus- zugehen, dass das höhere Preisniveau bleiben wird, 80 ein deutlicher Rückgang der Bau- und Materialpreise auf breiter Front ist eher nicht zu erwarten. 40 Diese Faktoren – höhere Zinsen in Kombination mit den gestiegenen Bau- und Materialpreisen – könn- 0 ten eine »toxische« Mischung für den Wohnungsbau 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 sein. Zudem dürfte die hohe Inflationsrate die verfüg- Quelle: Statistisches Bundesamt. © ifo Institut baren Haushaltseinkommen deutlich schmälern, so dass den Haushalten weniger finanzielle Mittel für die Abb. 3 Bildung von Eigenkapital zum Kauf von Wohneigentum Erzeugerpreise für Erdöl und Erdgas zur Verfügung stehen. Entsprechend ist bei den Bau- Erdöl Erdgas, verflüssigt oder gasförmig (ab 2000) genehmigungen für neu zu errichtende Wohngebäude Index = 2015 im Verlauf der ersten zehn Monate des Jahres 2022 800 im Vergleich zu 2021 ein Rückgang zu verzeichnen. Insgesamt wurden 4,9% weniger Wohnungen geneh- 600 migt, absolut ist das ein Rückgang von 13 300 Woh- nungen. Dies dürfte nicht nur auf die oben genannten 400 verschlechterten Rahmenbedingungen zurückzuführen sein, sondern auch auf das Auslaufen des Baukinder- 200 geldes Ende März 2021. Folglich sind vor allem die Genehmigungen für neu zu errichtende Einfamilien- häuser um 12,4% bzw. 12 600 Wohnungen gesunken. 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Im Zeitraum Januar bis März 2021 lag die Zahl der Quelle: Statistisches Bundesamt. © ifo Institut genehmigten Einfamilienhäuser um 7 400 über dem Schnitt der Jahre 2018 bis 2020 (Statistisches Bun- extrem hohe Dynamik bei den Baumaterialpreisen desamt 2022). Dagegen sind die Genehmigungszahlen hat dagegen nachgelassen. Seit Frühsommer zeich- im Geschosswohnungsbau stabil und liegen sogar mit net sich eine Beruhigung bei vielen Produkten ab. einer Zunahme um 2% leicht im Plus. Insbesondere Die Preise für Bauholz liegen rund ein Fünftel unter im Geschosswohnungsbau dürften weit fortgeschrit- dem Niveau vom November 2021. Auch bei Betonstahl tene Planungen von Bauprojekten weiterverfolgt und Betonstahlmatten zeichnet sich eine Beruhigung werden bzw. sind lediglich aufgeschoben und nicht ab, gleichwohl liegen die Preise noch über dem Vor- vollständig gestrichen. Die Kosten für bereits erfolgte jahresniveau. Ein Grund für den Rückgang der Ma- Grundstückskäufe, Planungen und Bauvorbereitungen terialpreise dürften die sich allmählich auflösenden dürften bei den Investoren stärker ins Gewicht fallen Lieferengpässe sein. Im November meldeten lauf ifo als die höheren Fremdfinanzierungskosten durch ge- Konjunkturumfrage 24% der Unternehmen, von Lie- stiegene Zinsen. Zudem besteht weiterhin vor allem in 4 ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT Ballungsräumen ein hoher Bedarf an Wohnraum, der schenderweise zeigt sich im Dezember eine deutli- in diesen Regionen vorwiegend durch den Geschoss- che Erholung (ifo Institut 2022). Ob dies schon eine wohnungsbau gedeckt wird. Trendwende hin zu einer wirtschaftlichen Erholung Dennoch ist der Auftragseingang im Bauhauptge- ist, bleibt abzuwarten. Das alte Niveau von Mitte 2021 werbe in den ersten zehn Monaten des Jahres 2022 ist zumindest noch nicht wieder erreicht. rückläufig. Das reale Minus liegt im Wohnungsneu- Die Bereitschaft der Unternehmen, in Bauten bau bei 13,8% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu investieren, hängt vor allem auch vom internati- (Hauptverband der deutschen Bauindustrie 2022a). onalen Umfeld ab. Anhaltende Probleme durch die Auch Auftragsstornierungen für neue Wohnbauten Corona-Pandemie – hier ist insbesondere China zu bleiben nach der aktuellen ifo Konjunkturumfrage nennen – bergen ein nicht unerhebliches Risiko für auf hohem Niveau. Im Dezember meldeten wiede- die Verfügbarkeit von Vorprodukten. Die weiterhin rum 16% der Unternehmen des Bauhauptgewerbes, bestehende Unsicherheit des Energiebezuges aus dem davon betroffen zu sein. Dem gegenüber hatten die Ausland birgt vor dem Hintergrund der Situation in der Unternehmen des Bauhauptgewerbes zum Ende des Ukraine ein weiteres Risiko. Die enorm gestiegenen 3. Quartals einen Auftragsbestand von rund 13 Mrd. Energiepreise stellen viele Unternehmen mittlerweile Euro in den Büchern. Das entspricht dem Niveau des vor existenzielle Probleme. Setzen sich diese Entwick- Vorjahres und lag geringfügig unter dem Höchstwert lungen fort, stellt dies eine Gefahr für die Investitions- von 13,5 Mrd. Euro, der im 2. Quartal 2022 erreicht pläne der Unternehmen dar. wurde. Dementsprechend ist auch die Auftragsreich- Aufgrund der aktuellen negativen Rahmenbedin- weite mit gut 4,5 Monaten noch recht hoch. Gleicher- gungen ist die Zahl der genehmigten Baumaßnahmen maßen sorgt der Bauüberhang noch für ein gewisses von nichtöffentlichen Bauherren von Januar bis Ok- Auftragspolster. Ende 2021 waren 730 000 Wohnungen tober 2022 um insgesamt 10% gesunken. Gleichzei- noch nicht fertiggestellt, von denen sich mittlerweile tig nahm das Volumen der veranschlagten Baukos- der Großteil in der Umsetzung befinden dürfte. ten um 7,5% zu (Statistisches Bundesamt 2022). Hier Stabilisierend wirken zudem die Bestandsmaß- zeigen sich die Auswirkungen der Baupreisdynamik. nahmen im Wohnungsbau. Durch die Rückgänge im Im August 2022 lag der Preisindex für den Neubau Neubau dürften hier vermehrt Handwerkskapazitä- von Nichtwohngebäuden 18% höher als im Vorjahr ten zur Verfügung stehen. Die erheblich gestiegenen (Statistisches Bundesamt 2022). Energiepreise sind eine zusätzliche Motivation für die Gleichzeitig ist das Volumen des Auftragseingangs Eigentümer zur energetischen Sanierung von Wohnge- im Bauhauptgewerbe in den Bereichen des Hochbaus bäuden. Das DIW Berlin rechnet in seiner Prognose mit (–9,9%) und Tiefbaus (–2,4%) gesunken (Hauptverband einem Zuwachs der nominalen Bestandsmaßnahmen der deutschen Bauindustrie 2022a). Im Gegensatz im Wohnungsbau um fast 14%. Die Preissteigerungen dazu profitieren die Bauunternehmen derzeit noch lassen daraus aber in realer Rechnung ein Minus von von einem hohen Auftragsüberhang (Projektgruppe 1,6% werden (Gornig et al. 2023). Gemeinschaftsdiagnose 2022) und einer relativ gu- Alles in allem haben sich die Rahmenbedingun- ten Auftragsreichweite von rund vier Monaten. Vom gen zwar verschlechtert, aber viele der jetzt nicht Wirtschaftstiefbau könnten in diesem Jahr positive realisierten Bauprojekte, insbesondere im Ein- und Signale kommen. Im Bundeshaushalt sind Investitions- Zweifamilienhausbau, dürften bei verbesserten wirt- zuschüsse an die Deutsche Bahn in Höhe von 8,2 Mrd. schaftlichen Rahmenbedingungen im Laufe des Jahres Euro vorgesehen. Des Weiteren soll das Schienennetz 2023 angegangen werden. Produktionswirksam dürf- erweitert und stillgelegte Strecken wieder reaktiviert ten diese dann aber zum überwiegenden Teil erst im werden. Das dürfte zu entsprechenden Investitionen Laufe des Jahres 2024 werden, so dass für 2022 und im Wirtschaftstiefbau führen. Gleichwohl ist davon 2023 beim Wohnungsbau ein Minus steht, ein Absturz auszugehen, dass die geplanten Investitionen erst im ist jedoch nicht zu erwarten. Laufe der folgenden Jahre vollumfänglich produkti- onswirksam werden (Hauptverband der deutschen IM WIRTSCHAFTSBAU IST DIE STIMMUNG Bauindustrie 2022b). ENTSCHEIDEND Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich für den Wirtschaftsbau 2022 und 2023 eine negative Für den Wirtschaftsbau gelten im Prinzip die gleichen Entwicklung abzeichnet. Unter normalen Umständen Begleitumstände wie für den Wohnungsbau. Allerdings ohne exogene Schocks ist aber auch in diesem Seg- dürften die gestiegenen Zinsen weniger Bedeutung ment ein Absturz der Bautätigkeit unwahrscheinlich. für die Investitionsentscheidungen der gewerblichen Wirtschaft haben. Eine weitaus größere Rolle spielen HÖHERE PREISE UND ZINSEN BELASTEN hier die deutlich verschlechterten Geschäftserwartun- ÖFFENTLICHEN BAU gen im Verarbeiteten Gewerbe, was ursächlich auf die Entwicklung der Energiepreise zurückgeführt werden Analog zum Wohnungs- und Wirtschaftsbau sind auch kann. Seit dem Sommer haben sich Geschäftsklima, im öffentlichen Bau die gestiegenen Baupreise hoch- -lage und -erwartung deutlich eingetrübt. Überra- problematisch. Die zumeist fixen Budgets für Inves- ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 5
ZUR DISKUSSION GESTELLT titionen, darunter fallen auch Baumaßnahmen für Minus von 2,2% für 2022 und 2023. Für 2024 rechnet Neubauten und Sanierungen, können bei unvorher- das DIW Berlin hingegen einem realen Plus von 2%. Im gesehenen steigenden Kosten nicht beliebig erhöht Wirtschaftsbau wird mit einem realen Minus von 2,3% werden, da die Planung auf Basis nominaler Werte und 0,6% gerechnet, bevor auch in diesem Segment erfolgt. Auf Preissteigerungen kann kurzfristig kaum im Jahr 2024 wieder ein Plus von 2,7% erwartet wird. reagiert werden. Folglich müssen die laufenden Pro- Der öffentliche Bau soll 2024 prognosegemäß wieder jekte unter Verzicht auf etwaig geplante Projekte ab- ein reales Plus erreichen (2,4%), nach einem Rückgang geschlossen werden. Allerdings dürften die Projekte der öffentlichen Bautätigkeit von 1% im Jahr 2022 und zumeist lediglich verschoben und zu einem späteren 2,5% im Jahr 2023. Zeitpunkt umgesetzt werden. Zudem trifft die Zins- wende auch den öffentlichen Bau. Mittelfristig sind REFERENZEN für neu emittierte Anleihen höhere Zinsen zu leisten. Deutsche Bundesbank (2022), »Wohnungsbaukredite an private Haus- Das dürfte das Investitionsbudget der öffentlichen halte/Hypothekarkredite auf Wohngrundstücke«, 19. Dezember, verfüg- bar unter: https://www.bundesbank.de/de/statistiken/geld-und-kapital- Hand schmälern. Besonders davon betroffen dürften maerkte/zinssaetze-und-renditen/wohnungsbaukredite-an-private-haus- die Kommunen sein, die immerhin rund 57% des öf- halte-hypothekarkredite-auf-wohngrundstuecke-615036. fentlichen Bauvolumens tätigen (Gornig, Pagenhardt Gornig, M. und H. L. Pagenhardt (2023), »Bauboom geht zu Ende – politi- scher Strategie-wechsel erforderlich«, DIW Wochenbericht 90(1/2), 4–13. und Révész 2022). Gornig, M., H. L. Pagenhardt und H. Révész (2022), Strukturdaten zur Zuletzt ist der Auftragseingang im Segment Stra- Produktion und Beschäftigung - Berechnungen für das Jahr 2021, ßenbau – dies betrifft überwiegend öffentliche Auf- BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Berlin. traggeber – von Januar bis Oktober um real 5,8% ge- Hauptverband der deutschen Bauindustrie (2022a), »Bauindustrie. Umsatz und Auftragseingang im Bauhautpgewerbe«, 22. Dezember, sunken (Hauptverband der deutschen Bauindustrie verfügbar unter: https://www.bauindustrie.de/zahlen-fakten/aktuelles/ 2022a). Ähnliches dürfte zeitnah auch in den Hoch- umsatz-und-auftragseinganng. baumaßnahmen sichtbar werden. Die Baugenehmi- Hauptverband der deutschen Bauindustrie (2022b), »Baukonjunkturelle Lage: Krieg in der Ukraine bringt Baujahr 2022 ins Minus«, gungen von öffentlichen Bauherren sind in den ersten 28. November, verfügbar unter: https://www.bauindustrie.de/zahlen-fak- zehn Monaten des Jahres 2022 rückläufig. Insgesamt ten/auf-den-punkt-gebracht/baukonjunkturelle-lage-krieg-in-der-uk- raine-bringt-baujahr-2022-ins-minus#:~:text=Die%20Konjunktu- wurden 9% weniger Baumaßnahmen genehmigt (Sta- rindikatoren%20am%20Bau%20haben,real%20um%205%2C6%20 tistisches Bundesamt 2022). %25. Positiv hervorzuheben sind für die öffentliche ifo Institut (2022), »ifo Geschäftsklimaindex gestiegen«, Pressemitteilung, 19. Dezember, verfügbar unter: https://www.ifo.de/fakten/2022-12-19/ Bautätigkeit die geplanten Investitionspakete für den ifo-geschaeftsklimaindex-gestiegen-dezember-2022. weiteren Breitbandausbau, den Bau von Kindertages- Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022), Gemeinschaftsdiagnose stätten sowie für die Förderung des Klimaschutzes Herbst 2022, Energiekrise: Inflation, Reszession, Wohlstandsverlust, Essen. (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2022). Zudem Statistisches Bundesamt (2022a), »Baupreise für Wohngebäude im August 2022: +16,5% gegenüber August 2021«, Pressemitteilung, haben die Bauunternehmen weiterhin ein hohes Auf- 6. Oktober, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Presse- tragsbestandsvolumen von rund 26,5 Mrd. Euro, das mitteilungen/2022/10/PD22_422_61261.html. nominal sogar ein leicht höheres Niveau als im Vor- Statistisches Bundesamt (2022b), »Baugenehmigungen für Wohnungen im Oktober 2022: –14,2% gegenüber Vorjahresmonat«, Pressemitteilung, jahresquartal erreicht. Einschränkend wirken sich die 16. Dezember, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pres- Preissteigerungen aus, so dass im identischen Budget semitteilungen/2022/12/PD22_541_3111.html. weniger Bauleistung abgerufen werden kann. Statistisches Bundesamt (2022c), »Datenbank Genesis, Statistik der Bau- genehmigungen, Tabelle 31111-0001«, verfügbar unter: https://www-ge- nesis.destatis.de/genesis/online?operation=previous&levelindex=0&s- ES DROHT KEIN ABSTURZ tep=0&titel=Statistik+%28Tabellen%29&levelid=1672933756455&accepts- cookies=false#abreadcrumb. Statistisches Bundesamt (2022d), »Datenbank Genesis, Tabelle 61261- Resümierend ist festzustellen, dass segmentübergrei- 0002«, https://www-genesis.destatis.de/genesis/online#astructure. fend vom Wohnungs- über den Wirtschaftsbau bis hin Statistisches Bundesamt (2022e), »Statistik der Erzeugerpreise, zum öffentlichen Bau in den Jahren 2022 und 2023 mit Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte«, verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Erzeugerpreisin- einem realen Minus zu rechnen ist. Von einem regel- dex-gewerbliche-Produkte/Publikationen/erzeugerpreise-artikel.html. rechten Absturz der Baubranche ist gleichwohl unter Statistisches Bundesamt (2022f), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung normalen Umständen nicht auszugehen. Der aktuel- – Inlandsproduktberechnung Vierteljahrsergebnisse – Fachserie 18 Reihe len Prognose des DIW Berlin folgend (Gornig und Pa- 1.2, Wiesbaden. genhardt 2023), erreicht der Wohnungsbau ein reales 6 ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT Beate Wiemann Quo vadis Bau? Die Bauwirtschaft in herausfordernden Zeiten Die Baubranche ist eine der Schlüsselbranchen für Bauarbeitsmarkt bemerkbar. So Deutschland: Ob bei der Schaffung von qualitativem ging die Zahl der Beschäftigten und bezahlbarem Wohnraum oder Gewerbeflächen, im Bauhauptgewerbe im Zeit- dem Bau und Erhalt einer hochwertigen, leistungs- raum von 1995 bis 2005 um fast und funktionsfähigen Infrastruktur oder den Mega- die Hälfte zurück. themen Klimaschutz, Klimaanpassung und Digitali- Prof. Beate Wiemann sierung: Die Bauwirtschaft ist verlässlicher Partner AKTUELLE SITUATION von Politik sowie öffentlichen und privaten Auftrag- ist Hauptgeschäftsführerin des Bauindustrieverbands Nord- gebern. Gleichzeitig ist die Bauwirtschaft wichtiger Im Anschluss an die zehnjährige rhein-Westfalen e.V. Konjunkturmotor für unser Land: Bauinvestitionen in Baukrise fand eine Konsolidie- Höhe von 1 Mrd. Euro erzeugen laut RWI – Leibniz-In- rung statt. Kapazitäten wurden stitut für Wirtschaftsforschung – gesamtwirtschaftli- von den Firmen neu aufgebaut. Seit 2009 nehmen che Produktionswirkungen von 2,44 Mrd. Euro. Jeder die Bauinvestitionen zu und lagen 2021 preisbereinigt in den Bau investierte Euro stärkt und stützt so die um 25% über dem Niveau von 2009. Auch die Umsatz- gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung. entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass sich Mit 920 000 Beschäftigten ist das Bauhauptgewerbe die Baukonjunktur nach dem Tiefpunkt im Jahr 2005 zudem wichtiger Arbeitgeber. erholt hat. Der Blick auf die unterschiedlichen Bau- War die Branche noch mit gut gefüllten Auftrags- sparten zeigt jedoch kein einheitliches Bild. Während büchern und in der Hoffnung, trotz der andauernden der Wohnungsbau in den letzten Jahren die domi- Corona-Pandemie als Konjunkturlokomotive weiterhin nierende Bausparte war, konnte der Wirtschaftsbau die Gesamtwirtschaft stützen zu können, in das ver- 2021 fast gleichziehen. Der öffentliche Bau (inklusive gangene Jahr gestartet, hat sich die Baukonjunktur Straßenbau) hat ebenfalls zulegen können. seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Uk- Während des langen konjunkturellen Aufschwungs raine spürbar abgekühlt. Der anhaltende Angriffskrieg nahm die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe in der Ukraine, die Probleme bei den internationalen um 30% auf 911 000 zu. Bestärkt wurde dieser positive Lieferketten, die Zinswende sowie die inflationäre Ent- Trend durch das dauerhaft niedrige Zinsniveau sowie wicklung – auch beim Baumaterial – haben vielfältige die zuwanderungsbedingt gestiegene Nachfrage nach Auswirkungen auf die Baukonjunktur in Deutschland. Wohnraum. Auch seit Beginn der Corona-Pandemie Droht nun ein Absturz der Baubranche? im Jahr 2020 konnte die Bauindustrie Wachstumspo- Zur Beantwortung dieser Frage lohnt zum einen tenziale generieren und damit die Gesamtwirtschaft die Einordnung der aktuellen Entwicklung der Bau- stützen. In den vergangenen Monaten belasteten wirtschaft in eine etwas längere zeitliche Perspektive zwar der Krieg in der Ukraine, coronabedingte Lie- und vor allem ein Blick auf die aktuellen und künftigen ferengpässe, Zinswende sowie hohe Rohstoffpreise Bauaufgaben und Herausforderungen für die Branche. die Firmen, dennoch war die Kapazitätsauslastung im Bauhauptgewerbe weiterhin hoch. BESTANDSAUFNAHME – WOHER KOMMEN WIR? Die Frage, die sich stellt, ist: Zeigt sich im An- schluss an diesen mehr als 15-jährigen Bauauf- Vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereini- schwung nun ein Absturz der Bauwirtschaft? Wäh- gung ergaben sich starke Impulse aus dem Aufbau Ostdeutschlands – insbesondere in den Wohnungs- Abb. 1 bestand sowie die Infrastruktur. Während sich die Ge- Beschäftigte im Bauhauptgewerbe in Deutschland samtwirtschaft ebenfalls positiv entwickelte, kam es Anzahl, Jahresdurchschnitt in 1 000 1 600 ab 1995 jedoch zu deutlichen Nachfragerückgängen bei Bauten. In der Folge stürzten die Bauleistungen 1 400 stark ab. Zum Ende der zehnjährigen Baurezession 1 200 wurde in Deutschland preisbereinigt ein Viertel we- 1 000 niger in Bauten investiert als zum Höchststand Mitte 800 der 1990er Jahre. Diese Entwicklung führte dazu, dass 600 einige der traditionsreichen großen Bauunternehmen zur Aufgabe oder ausländischen Übernahme sowie 400 zur Neuaufstellung ihres Geschäftsmodells gezwun- 200 gen waren. Denn viele Bauunternehmen schätzten 0 das Ausmaß sowie die Dauer des Abschwungs falsch 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der ein. Diese Strukturkrise machte sich auch stark am Deutschen Bauindustrie e.V.. © ifo Institut ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 2 KEIN ABSTURZ, ABER KONJUNKTURDELLE Umsatz im Bauhauptgewerbe in Deutschland nach Bausparten Wohnungsbau Wirtschaftsbau Öffentlicher Bau Der Neubau-, Ausbau- und auch Sanierungsbedarf in Mrd. Euro allen Bausparten bleibt mittel- und langfristig hoch, 160 auch wenn derzeit Projekte durch die Folgen des 140 Kriegs in der Ukraine zurückgestellt werden. 120 Nach wie vor gibt es einen hohen Bedarf an 100 Wohnraum, und die Politik hält an ihren hohen Neu- 80 bauzielen von 400 000 Wohnungen pro Jahr fest. In 60 den letzten Jahren lagen die Wohnraumfertigstellun- 40 gen deutlich unter dem Bedarf, um dem bestehen- 20 den Wohnraummangel effektiv entgegenzuwirken. 0 Für 2023 darf zumindest befürchtet werden, dass die 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Zahl der fertiggestellten Wohnungen im Vergleich zum Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e.V.. © ifo Institut Vorjahr sogar rückläufig sein könnte. Zentral wird im Wohnungssektor zudem die energetische Sanierung Abb. 3 im Bestand sein: Um die Klimaziele zu erreichen, ist Auftragseingang und Umsatz Januar bis Oktober 2022 eine Steigerung der jährlichen Sanierungsrate um min- Auftragseingang Baugewerblicher Umsatz destens den Faktor 3 erforderlich. Veränderung gegenüber Januar bis Oktober 2021 in % Auch die Investitionsbedarfe im Verkehrswege- 0 –0,2 bau werden hoch bleiben und perspektivisch größer –2,0 werden. Prognosen zeigen, dass die Waren- und Per- –4 –2,8 –4,1 sonenverkehrsaufkommen insgesamt weiter steigen –5,3 –5,4 –5,2 werden: Bis 2030 könnte der Güterverkehr auf der –6,1 –8 –7,9 –7,4 Straße um 39% und auf der Schiene um 43% zuneh- men. Für die Bahn gibt es ein prognostiziertes Wachs- –12 –12 tum von 19% beim Personenverkehr, beim Pkw eine –13,8 Verkehrssteigerung von 10%, und die Wasserwege –16 Insgesamt Wohnungsbau Hochbau ohne Tiefbau Straßenbau Tiefbau ohne werden in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Im- Wohnungsbau Straßenbau mer mehr Menschen, Waren und Güter sind auf un- Quelle: Statistisches Bundesamt; Datenbank ELVIRA des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e.V.. © ifo Institut seren Verkehrswegen unterwegs, die entsprechend ausgebaut und ertüchtigt werden müssen, um für die rend sich die Konjunkturindikatoren im ersten Quartal Mobilität der Zukunft gerüstet zu sein. Als Stichworte 2022 noch positiv entwickelten, kam es ab April zu seien hier autonomes Fahren, induktives Laden oder einem Umschwung. Dies führte dazu, dass sowohl Auf- aber auch Verkehrswege mit Nachhaltigkeitsmehr- tragseingang als auch Umsatz des Bauhauptgewerbes werten genannt. (Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten) in den ers- Die Erfahrungen aus dem Corona-Jahr 2020 haben ten zehn Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjah- gezeigt, dass die deutsche gewerbliche Wirtschaft eine reszeitraum deutlich sanken (real: –7,9% bzw. –5,3%). erstaunliche Krisenfestigkeit aufweist und mit einem Zwar nehmen derzeit die Lieferengpässe bei vielen großen Investitionseinbruch im Wirtschaftsbau 2023 Baumaterialien wieder ab, doch laut ifo Konjunktur- nicht zu rechnen ist, was auch durch einen Bauüber- umfrage gab im Dezember noch jede fünfte befragte hang aus dem Vorjahr gestützt wird. Die BAUINDUST- Baufirma eine Behinderung der Produktion durch Ma- RIE geht daher davon aus, dass die baugewerblichen terialknappheit an. Zudem liegen die Erzeugerpreise Umsätze in dieser Sparte 2023 real um 4% zurückge- – trotz einer leichten Preisberuhigung seit Juli 2022 hen werden, allerdings schaffen die stark gestiegenen – weiterhin auf einem hohen Niveau. Dies führte dazu, Energiepreise und Versorgungsunsicherheiten in Folge dass die BAUINDUSTRIE nun davon ausgeht, dass der des Ukraine-Krieges auf Auftraggeberseite zusätzliche reale Umsatz 2022 um 5% zurückgehen wird (nomi- Anreize, in bauliche Optimierungen zur Reduzierung nal: +11%). Für den Wohnungsbau deutet der reale des Energiebedarfs zu investieren. Auch die Anpas- Rückgang der Baugenehmigungen für neue Bauten im sung an das sich verändernde Klima mit mehr Stark- Nichtwohnungs(-hoch-)bau ein rückläufiges Interesse regenereignissen oder Hitzeperioden wird zunehmend der Investoren an. Insbesondere die hohen Kosten bauliche Maßnahmen erforderlich machen. der Baumaterialien sowie die steigenden Kosten der Dies gilt gerade auch für die öffentliche Hand, die Kreditfinanzierung haben eine negative Auswirkung nicht nur im Rahmen der Daseinsvorsorge, sondern auf den Wohnungsbau. In den ersten zehn Monaten auch durch die ihr zukommende Vorbildfunktion einen des Jahres sank der Umsatz im Wohnungsbau real um besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz 2,8%. Auch der Hochbau ohne Wohnungsbau sowie und Klimaanpassung setzen muss und gleichzeitig den der Straßenbau verzeichneten preisbereinigt rück- bedarfsgerechten Ausbau und Erhalt von Verkehrs- läufige Umsätze (–7,4% bzw. –4,1%). und Versorgungsinfrastrukturen genauso sicherstellen 8 ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT muss wie den Bau von Bildungs- und Kultureinrichtun- mehr die Vorteile dieses Ansatzes: weniger Fehlpla- gen, Kliniken oder Sportstätten. Erschwert wird dies nungen durch digitale Simulation des Bauvorha- – bei Bund, Ländern und Kommunen gleichermaßen bens vor Baubeginn oder Zeit- und Kostenreduktion – durch schrumpfende Spielräume in den Haushalten. durch optimierte Personal-, Material-, Geräte- und Trotz unabweisbar hoher Investitionsbedarfe in na- Maschineneinsätze. hezu allen Baubereichen und auf allen Gebietskörper- Hinzu kommt, dass aufgrund des demografischen schaftsebenen ist im öffentlichen Bau im laufenden Wandels und der künftigen Verfügbarkeit von Arbeits- Jahr mit einem Rückgang des realen Bauumsatzes kräften ein weiterer Ausbau von Kapazitäten nicht die von etwa 5% zu rechnen. Lösung sein kann, um die großen Herausforderun- Auch das Gelingen der Energiewende erfordert gen für die Branche, wie Infrastrukturmodernisierung, – zumal unter den nochmals veränderten Rahmen- Wohnungsneubau und energetische Sanierung im Be- bedingungen nach dem russischen Angriffskrieg ge- stand zu meistern. Die Produktivität am Bau muss gen die Ukraine – erhebliche zusätzliche Investitionen erhöht werden, und der vermutlich wirksamste Hebel in regenerative Energien. Der Ausbau der Windkraft zur Produktivitätssteigerung liegt in der konsequenten und Photovoltaik muss massiv ausgeweitet und be- Digitalisierung des Planen und Bauens. Das bedeutet schleunigt werden, damit einhergehend der Bau von eine konsequente Anwendung von BIM, die Standar- Speichern sowie der Netzausbau und -umbau, bei- disierung von Schnittstellen, die Durchgängigkeit der spielsweise auch für den Transport von Wasserstoff. Datennutzung sowie die vollständige Digitalisierung öffentlicher und privater Bauaufträge. DIE KRISE BIETET CHANCEN FÜR DIE Auch beim Thema Fachkräfte kann die Digi- BAUBRANCHE talisierung für einen zusätzlichen Schub sorgen. Die Bauwirtschaft hat in den letzten 15 Jahren Als Schlüsselbranche für die zuvor genannten Berei- 200 000 Menschen eingestellt – mehr als die meisten che befindet sich die Baubranche nicht erst seit der anderen Branchen, und dies sicherlich auch dank der Corona-Pandemie in einem Transformationsprozess sehr guten Zukunftsaussichten für Mitarbeiter. Diese hin zu mehr Innovationen, Digitalisierung, Nachhal- Perspektiven einer innovativen Branche gilt es, noch tigkeit und einer höheren Produktivität am Bau. Sie stärker herauszustellen – auch, um künftig mehr neue ist nun besonders gefordert, strategische Weichen zu Mitarbeiter zu gewinnen und die wachsende Zahl von stellen und ihre Geschäftsmodelle zu justieren: Dabei bis zu 20 000 jährlichen Altersabgängen in den nächs- sind die Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und ten 15 Jahren zu kompensieren. Der Fokus auf digitale Arbeitskräftemangel drei der Top-Themen für die Un- Arbeitsmethoden und innovative Produkte kann dabei ternehmen, die zunehmend ineinandergreifen. helfen, neben der Produktivität auch die Branchenat- In Zeiten hoher Materialpreise und brüchiger Lie- traktivität für Arbeitskräfte zu steigern. ferketten bekommt beispielsweise das ressourcenef- fiziente Bauen als Nachhaltigkeitsaspekt zusätzliche FAZIT Bedeutung und wird ein Wettbewerbsvorteil sein. In den letzten Jahren hat sich deutlich gezeigt, wie eng Einen Absturz in der Baubranche wird es nicht geben, Lieferketten und Abhängigkeiten heute sind. Es muss erst recht nicht in dem Ausmaß der Baurezession in deshalb gelingen, unabhängiger von Importrohstoffen den späten 1990er und frühen 2000er Jahren. Aller- zu werden, z. B. durch den verstärkten Einsatz von dings dürfte es im Jahr 2023 und 2024 in den meisten Recyclingbaustoffen. Das gelingt jedoch nur gemein- Bausparten zu rückläufigen Auftragszahlen kommen, sam mit der auftraggebenden Seite, die dafür offen eine deutliche baukonjunkturelle Delle wird sich nicht sein muss und eine entsprechende Auftrags- und Ver- vermeiden lassen. Aktuell erwartet die BAUINDUS- gabephilosophie verfolgt. Nachhaltige und recycelte TRIE für das deutsche Bauhauptgewerbe im Jahr Baumaterialien, die bislang für Auftraggeber zu teuer 2023 einen realen Umsatzrückgang von 6%. Bei ei- oder weniger qualitativ schienen, können eine sehr ner Preisentwicklung in gleicher Höhe bedeutet dies wirtschaftliche – und qualitativ gute – Alternative sein. für die nominalen Umsätze eine Stagnation auf dem Insbesondere dem öffentlichen Auftraggeber kommt Vorjahresniveau. eine Vorbildfunktion für den Transformationsprozess Doch auch wenn aktuell Projekte durch den Krieg der Nachhaltigkeitswende zu. in der Ukraine zurückgestellt werden, ist perspekti- Zudem wird sich mehr Nachhaltigkeit am Bau nur visch mit Nachholinvestitionen zu rechnen. Denn die durch mehr Digitalisierung erreichen lassen: Building Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen, der Bedarf Information Modeling (BIM) spielt neben Technologien für eine funktionierenden und verlässliche Verkehrsin- wie Robotik, der intelligenten Nutzung von Daten, der frastruktur sowie die Aufgaben bei der Umsetzung der industriellen Vorfertigung und innovativen Formen Energie- und Klimawende werden mittel- und lang- der Zusammenarbeit der Projektpartner bereits heute fristig hoch bleiben oder sogar noch wachsen. Die eine entscheidende Rolle, um Bauwerke ganzheitlich Branche hat im Vertrauen auf diesen von Politik und zu planen und Bauabläufe zu verbessern. Unterneh- Auftraggebern betonten, hohen Baubedarf ihre Kapa- men, Planer und Auftraggeber erkennen mehr und zitäten in den vergangenen Jahren – auch während ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT der Corona-Pandemie – kontinuierlich aufgebaut. Nun Gleichzeitig muss alles vermieden werden, was sind Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die das Bauen unnötig verteuert: Langwierige Genehmi- Branche unabdingbar. Um die aktuelle baukonjunk- gungsverfahren und eine hohe Regelungsdichte führen turelle Delle möglichst abzufedern, braucht es eine bei vielen Bauvorhaben zu unnötigen Kostensteigerun- gemeinsame Kraftanstrengung aller handelnden Ak- gen und binden sowohl auf Auftraggeber- als auch auf teure – von der Politik als Rahmengestalterin über die Auftragnehmerseite Personalkapazitäten. Die Politik Planer, öffentlich und private Auftraggeber bis zu den muss endlich die angekündigten Vereinfachungen und ausführenden Unternehmen. Beschleunigungen bei Planungs-, Genehmigungs- und Zielgerichtete, bedarfsorientierte und kontinuier- Beschaffungsverfahren zeitnah umsetzen. liche Investitionen in den Erhalt und die Sanierung, Dies muss Hand in Hand gehen mit einer Stabi- in die Instandsetzung sowie in den Neu- und Ausbau lisierung der kommunalen Haushalte, um die konse- von Straßen, Brücken, Schienen- und Wasserwegen quente Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur, sind dringend geboten, um den jahrzehntelangen In- die umfassende Digitalisierung und personelle Aufsto- vestitionsstau abzubauen. Gleiches gilt für die Aus- ckung der öffentlichen Verwaltung, die Entbürokrati- gestaltung von positiven Rahmenbedingungen und sierung von Wirtschaft und Verwaltung gerade jetzt Förderkulissen im Wohnungsbau, um die politischen mit dem nötigen Nachdruck voranzubringen. Wohnungsbauziele zu erreichen. Da Bauen aber mit- Nicht zuletzt gilt es nun, auch die Synergien und telfristig teuer bleiben wird, muss die öffentliche Hand Vorteile zu heben, die sich aus einer engeren und part- dies bei ihren Finanzplanungen berücksichtigen. Sonst nerschaftlichen Zusammenarbeit der handelnden Ak- wird bei gleichen Budgets deutlich weniger gebaut teure entlang der gesamten Wertschöpfungskette Bau werden. Die derzeit vorgesehenen Preisanpassungs- ergeben können: mehr Produktivität, schnelleres und regelungen der öffentlichen Finanzplanungen von nachhaltigeres Bauen und eine Steigerung der Attrak- etwa 3% müssen daher an die neue Realität angepasst tivität der Branche. werden. Helfen könnte die Politik mit einem Investi- Auch wenn die Baubranche in einem schwierigen tions-»Doppelwumms«, wie ihn Mitte Januar Peter Umfeld mit neuen Herausforderungen konfrontiert Hübner, der Präsident des Hauptverbands der Deut- ist – ein Absturz droht ihr sicherlich nicht. Die Unter- schen Bauindustrie, gefordert hat: Für die Neubauför- nehmen sind gut und solide aufgestellt und werden derung bei Wohnungen seien jährlich 15 Mrd. Euro den Herausforderungen innovativ, flexibel, mit neuen erforderlich, für die Verkehrsinfrastruktur müssten Geschäftsmodellen und einer Steigerung ihrer Pro- weitere 25 Mrd. Euro bereitgestellt werden. duktivität begegnen. Tobias Just Alle Hochbausegmente unter Druck – einige auch längerfristig Der Anteil der Bauinvestitionen an der gesamten chen und gewerblichen Tiefbau und seit 2015 auch Wirtschaftsleistung in Deutschland belief sich in durch den gewerblichen und öffentlichen Hochbau. den ersten drei Quartalen 2022 auf 12,5%. Dieser Die Analyse des Bausektors resultiert also aus der Anteil fiel um 1 Prozentpunkt hö- Bedeutung des Sektors für die gesamtwirtschaftliche her aus als 2021 und auch um Entwicklung. Hinzu kommt, dass mit Neubauaktivi- knapp 1 Prozentpunkt höher täten sehr wichtige Bedürfnisse adressiert werden; als im langjährigen Mittel seit gerade der Wohnungsneubau folgte in den letzten 1991 (Statistisches Bundesamt Jahren dem Diktat der Knappheit. Die marktaktiven 2022). Tatsächlich konnte die Leerstandsquoten sanken in den kreisfreien Städten Prof. Dr. Tobias Just Bauwirtschaft in den Jahren von seit 2006 von durchschnittlich 3,9% auf zuletzt deut- 2010 bis 2021 jedes Jahr etwa lich unter 2% (empirica regio 2023), die Neuvertrags- ist Inhaber des Lehrstuhls für 0,2 Prozentpunkte an Wachs- wohnungsmieten stiegen in Folge dieser Verknappung Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg und Wis- tumsbeiträgen für das Bruttoin- seit 2009 um über 50% für Deutschland insgesamt, in senschaftlicher Leiter der IREBS landsprodukt beisteuern, und dies den Ballungsräumen fiel der Anstieg zum Teil sogar Immobilienakademie, eines wurde durch alle Bausegmente ge- deutlich stärker aus (Verband deutscher Pfandbrief- An-Instituts der Universität Re- gensburg für Weiterbildung in der tragen, am stärksten durch das banken 2022), so dass »die neue Wohnungsfrage« (Bal- Immobilienwirtschaft. größte Segment, den Wohnungs- denius et al. 2020) gerade auch eine soziale Frage ist. bau, danach durch den öffentli- Diese soziale Herausforderung würde im Zuge einer 10 ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abschwächung im Wohnungsbau an Dringlichkeit und weil die eingeschränkten Konsummöglichkeiten gewinnen. die Sparquote insbesondere von einkommensstarken Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil Bauinves- Privaten erhöhten (Eisfeld und Just 2021). Auch die titionen immanent starken Schwankungen unterwor- Flächen- und Investitionsnachfrage nach Logistik- und fen sind – die Standardabweichung der realen Wachs- ausgewählten Büroimmobilien blieb bis Ende 2021 tumsraten der deutschen Bauinvestitionen fiel für die hoch, die Preise stiegen schneller als die Miete, so letzten 30 Jahren fast doppelt so hoch aus wie jene dass die Mietrenditen sanken. für das Bruttoinlandsprodukt und über dreimal so Doch Investoren und Banken und damit auch Pro- hoch wie jene für die gesamten Konsumausgaben. jektentwickler und Bauunternehmen sahen sich 2022 Dem jüngsten Aufschwung in der Bauwirtschaft ging mit einer grundlegend veränderten Marktlage konfron- ein zehn Jahre anhaltender Abschwung zwischen tiert, die zu massiver Neubewertung der Geschäftstä- 1995 und 2005 voraus. Während dieser Zeit beliefen tigkeit zwang, denn steigende Bau- und Bodenpreise sich die mittleren jährlichen Wachstumsbeiträge der ließen sich nicht mehr an Käufer weiterreichen, deren Bauinvestitionen zum Bruttoinlandsprodukt auf –0,3% Finanzierungsumfeld durch steigende Zinsen begrenzt (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt- wurde. Der Anstieg der Immobilienfinanzierungszin- wirtschaftlichen Entwicklung 2022). sen um 300 Basispunkte innerhalb eines Jahres un- In diesem Beitrag geht es um drei Dinge, erstens terschätzt die Anpassungslast für Projektentwickler wird argumentiert, dass eine Baurezession sehr wahr- sogar, weil Banken grundsätzlich zurückhaltender bei scheinlich geworden ist, dass zweitens zusätzliche der Vergabe von Darlehen für Neubaumaßnahmen Risiken durch Verschiebungen bei der Flächennutzung wurden. Teilweise schränkten Banken ihre Kredit- sowie in der Immobilienfinanzierung entstehen wer- vergabe für Projektentwickler grundsätzlich ein, for- den und dass diese Verschiebungen noch nicht hin- derten zusätzliche Covenants insbesondere für Neu- reichend in aktuellen Frühindikatoren berücksichtigt kunden ein oder reduzierten ihre Beleihungsobergren- sind. Drittens wird argumentiert, dass es zwar drin- zen, was dazu führte, dass viele Projekte storniert genden mittel- und langfristigen Bedarf an weiteren wurden oder nur durch Aufnahme teureren Mezza- Baumaßnahmen gibt, dass hierfür aber institutionelle nine-Kapitals fortgesetzt werden können (Just und Rahmen neu gesteckt werden müssen und dass folg- Wiersma 2022). lich ‒ im Falle des Unterlassens ‒ einige dieser wich- Der spürbare Rückgang bei Auftragseingängen tigen baulichen Tätigkeiten unterbleiben, mindestens und den Baugenehmigungen im Laufe des Jahres aber (zu) spät umgesetzt werden. 2022 spiegelt diese verschlechterten Geschäftsbedin- gungen sowohl im gewerblichen Hochbau als auch KURZFRISTIGE LASTEN im Wohnungsbau. Und für die nächsten Quartale ist mit anhaltendem Abwärtssog zu rechnen, weil die Die Bau- und Immobilienbranchen profitierten in den entscheidenden Belastungsfaktoren gerade für den letzten zwölf Jahren davon, dass drei zentrale Bestim- Wohnungsbau weiterhin bestehen. Die Erschwinglich- mungsfaktoren gleichzeitig für Rückenwind sorgten: keit von Wohnungen und Häusern hat sich bereits in Seit dem Zensus 2011 hat sich die Zahl der Einwoh- den letzten Jahren stetig verschlechtert (Deutsche ner in Deutschland um fast 3 Millionen Personen er- Bundesbank 2020), und dies hat sich angesichts der höht, die Zahl der Haushalte um rund 1,7 Millionen. stark gestiegenen Hypothekenzinsen bei bislang nur Die Zahl der Erwerbstätigen stieg sogar noch stärker, geringfügig nachgebenden Wohnungspreisen geradezu weil das anhaltend hohe Wirtschaftswachstum neue sprunghaft verstärkt. Private Kauf- und Bauinteressen- Jobs in nahezu allen Wirtschaftsbereichen entstehen ten ziehen sich zurück, weil sie die Finanzierungslü- ließ. Die Flächennachfrage legte sowohl im Wohn- als cke nicht durch Eigenkapital schließen können. Nach auch in den meisten Gewerbeimmobiliensegmenten aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts (2023) zu; Leerstände gingen zurück, und Mieten legten zu. wurden in den letzten Wochen des Jahres 2022 rund Weil gleichzeitig die Zinsen immer neue Tiefststände ein Drittel weniger Hypothekenverträge abgeschlossen erreichten, stiegen die Immobilienpreise sogar deut- als im Vorjahreszeitraum, in dem die Zahl der abge- lich schneller als die Mieten – auch dies galt sowohl schlossenen Verträge bereits im Minus lag. Und auch für Wohnungs- als auch für die meisten gewerbli- bei Transaktionen institutioneller Käufer verbleiben chen Immobilienmärkte. Stark steigende Immobili- eigenkapitalstarke Akteure, und dies sind eben nicht enpreise signalisierten, dass sich Neubau lohnt. Bau- Projektentwickler. und Grundstückskosten stiegen, weil das Bauangebot Schließlich weisen auch die Google-Trends-In- nicht hinreichend schnell ausgeweitet werden konnte dikatoren – hier die Google-Suchanfragen nach den und weil nicht ausreichend viel Bauland zur Verfügung Wortpaaren »Haus bauen« bzw. »Wohnung kaufen«, stand. Neubauten verteuerten sich in den letzten zehn die dem Indikator der abgeschlossenen Kreditverträge Jahren noch schneller als Bestandsimmobilien. noch vorauslaufen dürften – bis zum aktuellen Rand Die Pandemie hat diese Dynamik für die Woh- deutlich nach unten. Unter anderem Hohenstatt et al. nungsmärkte sogar verstärkt, weil für institutionelle (2011) sowie Beracha und Wintoki (2012) konnten zei- Anleger die Anlagealternative eingeschränkt blieben gen, dass ähnlich konzipierte Suchanfrageindikatoren ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 11
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 1 geringeren regulatorischen Anforderungen unterlie- Google-Trends Suchanfrage nach: »Haus bauen« gen, lässt sich dieses Risiko zudem schwer bewerten. Suchanfragen Trend 95-%-Intervall Signifikanz Lockdown-Phase LANGFRISTIGE HERAUSFORDERUNGEN 100 80 Die starken konjunkturellen Abschwungssignale wie- gen auch deswegen schwer, weil der gesellschaftliche 60 Bedarf an Baumaßnahmen in den nächsten Jahren hoch bleibt. Dies betrifft nicht nur, wie eingangs er- 40 wähnt, den Wohnungsbau. Hier konnte die Bedarfslü- cke in den letzten Jahren nicht geschlossen werden, 20 angesichts anhaltend hoher Nettozuwanderung und 0 rückläufiger Genehmigungszahlen wird sich diese Lü- 2018 2019 2020 2021 2022 cke weiterhin nicht schließen, der Aufwärtsdruck auf Quelle: Google Trends; Berechnungen des Autors. © ifo Institut die Wohnungsmieten wird folglich nicht nachlassen. Wenn die Wohnungspreise sinken, Wohnungsmieten Abb. 2 jedoch steigen, werden die Miet-renditen, also die Google-Trends Suchanfrage nach: »Wohnung kaufen« Auszahlungsrenditen, zulegen, und dies wird wieder Suchanfragen Trend 95-%-Intervall Signifikanz mehr finanzielle Anreize für Investoren und Projekt- Lockdown-Phase entwickler ermöglichen. Die Knappheit auf den Woh- 120 nungsmärkten ist somit die wichtigste Gewähr, dass es 100 keine jahrelange Wohnungsbaurezession geben wird. Doch richtig ist auch, dass diese Gemengelage 80 weitere Unsicherheiten beinhaltet, denn so sehr In- 60 vestoren in steigenden Wohnungsmieten eine Chance 40 sehen können, so stark wird die Sorge der Mieter und folglich der Wohnungspolitiker vor dieser Entwick- 20 lung sein. Zusätzliche Mietpreisregulierung könnte 0 sich in einer Phase rückläufiger Wohnungsfertigstel- 2018 2019 2020 2021 2022 lungen dann als noch weniger geeignetes Instrument Quelle: Google Trends; Berechnungen des Autors. © ifo Institut erweisen, um Knappheit zu reduzieren, als während der Jahre des Aufschwungs. Maßnahmen, die helfen, Immobilienpreis- und Transaktionsdaten vorauslaufen, die Kostenseite der Bauunternehmen und Entwick- weil sie Teil der Informationsbeschaffung sind, die vor ler zu entspannen, würden mehr helfen. Dies gilt einer Transaktion oder einer Hypothekenvereinbarung insbesondere deswegen, weil der Klimawandel eine erfolgt. Abbildung 1 und Abbildung 2 illustrieren zu- umfangreiche energetische Ertüchtigung des Immo- sätzlich, dass die Beruhigung des Bau- und Kaufinte- bilienbestands notwendig macht und dies in vielen resses auf den Wohnungsmärkten bereits im Laufe des Fällen zusätzliche Kosten verursacht. Allerdings gibt Jahres 2021 einsetzte, damals wohl noch überwiegend es empirische Hinweise, dass solche Sanierungen bis- als Gegenbewegung auf die heftigen Ausschläge, die her häufig unterbleiben, weil die finanziellen Anreize im Zuge der Lockdowns in Deutschland entstanden. (green premium) nicht ausreichen, die Zusatzkosten Diese Abwärtsdynamik hat sich zuletzt durch die Zins- zu rechtfertigen. Die ökologisch sinnvollsten Baumaß- und Rezessionsrisiken des Jahres 2022 verstärkt. nahmen unterbleiben dann (Groh et al. 2022). Daraus lässt sich auch folgern, dass zu den erheb- Für den gewerblichen Hochbau sind die länger- lichen Risiken für die Baukonjunktur also Immobilien- fristigen Unsicherheiten größer als für den Wohnungs- preisrisiken hinzukommen. Dies kann die Kreditver- bau, denn nicht nur für den Einzelhandel, auch für gabe der Banken und den privaten Konsum dämpfen. viele Büroimmobilien stellt sich die Frage nach einem Immerhin, eine ähnlich heftige preisliche Abwärtsdy- dauerhaften Nutzungskonzept im Zuge digitaler Han- namik wie in den USA, Spanien oder Irland im Zuge delsplattformen und neuer Arbeitsorganisationsfor- der Finanz- und Wirtschaftskrise ist unwahrscheinlich, men neu. Der Übergang traditioneller Büroarbeit ver- weil in Deutschland kaum spekulativ gebaut wurde ändert nicht nur geeignete Büroformen und günstige und überwiegend Darlehen mit langer Laufzeit ver- Bürolagen, sondern dürfte auch die quantitative Flä- geben wurden. chennachfrage und damit den Neubau von Bürohäu- Für Projektentwickler und Bauunternehmer sern dämpfen (Bloom et al. 2022 sowie die Beiträge könnte jedoch ein Finanzierungsrisiko aus der wach- in Just und Plößl 2021). Insofern wächst neben der senden Bedeutung der Mezzanine-Finanzierungen energetischen Ertüchtigung auch die Notwendigkeit entstehen. Gerade weil es für diesen Markt schlech- zum strukturellen, auch infrastrukturellen, Stadtum- tere Markttransparenz gibt als für klassische Banken- bau. Dies ist jedoch viel einfacher niedergeschrieben finanzierungen und weil diese Finanzierungsakteure als in Städten umgesetzt, weil potenzielle neue Flä- 12 ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023
ZUR DISKUSSION GESTELLT chennutzungen nicht zwingend dieselbe Zahlungsbe- Empirica regio (2023), »Empirica regio Marktstudio - marktative Leer- standsquote«, verfügbar unter: https://studio.empirica-regio.de/stu- reitschaft aufbringen wie obsolet gewordene Nutzun- dio-live/, aufgerufen am 5. Januar 2023. gen im Handel und durch Bürodienstleistungen. Diese Groh A., H. Kuhlwein und S. Bienert (2022), »Does Retrofitting Pay Off? strukturellen Herausforderungen könnten sich als gra- An Analysis of German Multifamily Building Data«, Journal of Sustain- able Real Estate 14(1), 95–112. vierender erweisen als die aktuellen konjunkturellen Hohenstatt, R., M. Käsbauer und W. Schäfers (2011), »»Geco« and its Belastungen, da für ein Auflösen mitunter langwierige Potential for Real Estate Research: Evidence from the U.S. Housing Mar- planungsrechtliche Anpassungen erforderlich sind. ket«, Journal of Real Estate Research 33(4), 471–506. Just, T. und F. Plößl (Hrsg., 2021), Die Europäische Stadt nach Co- rona: Strategien für resiliente Städte und Immobilien, Springer Gabler, REFERENZEN Wiesbaden. Baldenius, T., S. Kohl und M. Schularick (2020), »Die neue Wohnungs- Just, T. und S. Wiersma (2022), Das Ende eines langen Aufschwungs: Ein- frage. Gewinner und Verlierer des deutschen Immobilienbooms«, Leviat- blicke in die gewerbliche Immobilienfinanzierung in Deutschland, IREBS han 48(2), 195–236. Standpunkt 116, verfügbar unter: https://www.irebs-immobilienaka- Beracha, E. und M. B. Wintoki (2013), »Forecasting Residential Real de-mie.de/aktuelles-bei-irebs/irebs-standpunkt/irebs-standpunkt-nr-116, Estate Price Changes from Online Search Activity«, Journal of Real Estate aufgerufen am 2. Januar 2023. Research 35(3), 283–312. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Bloom, N., R. Han und J. Liang (2022), »How Hybrid Working from Home Entwicklung (2022), Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität Works Out«, NBER Working Paper 30292, Cambridge, verfügbar unter: gestalten, Jahresgutachten 2022/2023, Wiesbaden. http://www.nber.org/papers/w30292, aufgerufen am 5. Januar 2023. Statistisches Bundesamt (2022), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Deutsche Bundesbank (2020), Monatsbericht Oktober, Frankfurt, ver- Arbeitsunterlage Investitionen, Wiesbaden. fügbar unter: https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/ Statistisches Bundesamt (2023), »Kreditvergaben in der Kreditwirtschaft monatsberichte/monatsbericht-oktober-2020-848808, aufgerufen am 2. und Auskünfte für Online-Transaktionen«, verfügbar unter: Januar 2023. https://www.destatis.de/DE/Service/EXDAT/Datensaetze/kredite-onlinet- Eisfeld, R. K. und T. Just (2021), Die Auswirkungen der Covid-19-Pan- ransaktionen.html, aufgerufen am 5. Januar 2023. demie auf die deutschen Wohnungsmärkte, Studie im Auftrag der Verband deutscher Pfandbriefbanken (2022), »Jahrelanger Aufschwung Hans-Böckler-Stiftung. IREBS Beiträge zur Immobilienwirtschaft Heft 26, am deutschen Immobilienmarkt endet. vdp Immobilienpreisindex Regensburg. Q3 2022«, verfügbar unter: https://www.vdpresearch.de/jahrelanger-auf- schwung-am-deutschen-immobilienmarkt-endet/, aufgerufen am 4. Ja- nuar 2023. Thomas Beyerle Die Bauwirtschaft im Triple Trouble – zwischen Kapital- marktumfeld, Pandemiewirkungen und Dekarbonisierung Das Jahr 2022 war geprägt durch polykrisenartige lienmarkt und somit auch auf die deutsche Bauindust- Effekte. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine rie. Nach zurückliegenden Jahren, die vor allem durch sorgte für eine humanitäre Katastrophe und für eine Wachstum geprägt waren (Wachstum der Mieten, der deutliche Anspannung der ökonomischen und politi- Preise, der Investitionsvolumina), macht sich aktuell schen Rahmenbedingungen der deutschen Volkswirt- eine deutliche Unsicherheit und Zurückhaltung unter schaft. Die Reduktion bzw. der Stopp russischer Gas- den Akteuren des Immobilienmarktes breit. Vor allem lieferungen, in Kombination mit weiter anhaltenden innerhalb des Baugewerbes spiegeln sich die aktuellen Unterbrechungen globaler Lieferketten, resultierte Unsicherheiten wider. In den Jahren 2010 bis 2020 in historisch hohen Inflationsraten. Aber nicht nur in stieg nach Daten des Statischen Bundesamtes die An- Deutschland verlor der Euro deutlich an Kaufkraft, zahl jährlich fertiggestellter Wohnungen kontinuierlich in der gesamten Eurozone waren im Jahr 2022 Teue- von rund 160 000 auf rund 306 000 an. Im Jahr 2021 rungsraten zu bilanzieren, die deutlich oberhalb der zeigte sich eine erste Abkühlung der Entwicklung der angestrebten Inflationsrate der Europäischen Zentral- Anzahl fertiggestellter Wohnungen. So lag ihre Anzahl bank (EZB) von 2% lagen. Als Folge reagierte die EZB im Jahr 2021 mit rund 293 000 leicht unterhalb des mit einer Anpassung ihrer geldpolitischen Strategie Vorjahreswertes. Der Anstieg der Baukosten sowie und hob im Laufe des Jahres 2022 in vier Zinsschrit- die aufgrund der Zinswende der EZB ten den Zins für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um deutlich gestiegenen Finanzie- 250 Basispunkte von 0% auf 2,50%. Für die Bau- und rungskosten für Bauprojekte sor- Immobilienwirtschaft verschlechterte sich damit, seit gen für eine hemmende Wirkung der Null-Zins-Entscheidung der EZB 2016, eine quasi auf die deutsche Bauindustrie. historisch positive Situation einer alternativlosen An- Für 2023 ist davon auszugehen, lagenposition »pro Immobilie«. dass die Anzahl an fertiggestell- Prof. Dr. Thomas Beyerle ten Wohnungen in Deutschland DAS ENDE DES BAUZYKLUS? weiter abnimmt und sich auf rund lehrt an der HBC Hochschule Biberach Immobilienwirtschaft/ 245 000 belaufen wird. Die Entwick- Immobilienresearch Die turbulenten ökonomischen Rahmenbedingungen lung der Anzahl an genehmigten haben deutlichen Einfluss auf den deutschen Immobi- Wohnungen in Deutschland im ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023 13
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