Globaler Trend: Demographie - Deutsches Institut für ...
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ge d er w eiterte Aufla ierte un cke *** 3. aktualis un g d er Rentenlü hn mit Berec *** Analysen & Trends: Zukunftssicherung Globaler Trend: Demographie Februar 2009 Deutschlands globaler Fondsmanager.
Inhalt Demographie – Ein Megatrend 3 Demographie – Was kommt auf uns zu? 4 Erwerbsbiographie- und kohortenspezifische Versorgungsniveaus im Alter 12 Renditevergleich zwischen Umlagesystem und Kapitaldeckungssystem 22 Wer ist besser vorbereitet? 34 Alternde Gesellschaften – Reformbeispiele zur Herausforderung Langlebigkeit 41 Kapitalmärkte in der Demographiefalle? 49 Investmentchance Demographie 54 Investor’s Corner 61 Impressum 64
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Demographie – ein Megatrend Die Menschen leben länger, die Weltbevölkerung wächst. Demographie wird zum globalen Megatrend, auch für Anleger. Obwohl wir es jeden Tag um uns herum ein globales, d. h., die Lebenserwartung der erfahren, ist es uns doch nicht klar: Viele Menschen steigt tendenziell weiter, während Männer erreichen ein deutlich höheres Alter folgerichtig auch der Anteil der Älteren an als 76 Jahre und viele Frauen werden älter der Bevölkerung zunimmt – aber die Ent- als 81. Trotzdem verwechseln wir gerne die wicklung ist bei genauerer Betrachtung sehr hier zitierte durchschnittliche Lebenser- unterschiedlich: wartung bei Geburt mit unserer tatsäch- lichen Lebenserwartung. Der Witz dabei ist: · Die Industriestaaten altern merklich Mit zunehmendem Alter steigt die Lebenser- schneller und drastischer als die aufstre- wartung. Denn je mehr Jahre wir auf dem benden Staaten. Buckel haben, desto mehr Jahre haben wir hinter uns gebracht in denen andere, die in · Die zu erwartenden Bevölkerungszu- die Gesamtstatistik, eingehen, vorzeitig ver- wächse fallen je nach Kontinent sehr storben sind. Beispiel: Ein heute 40-jähriger unterschiedlich aus. Während es inner- Mann, der noch zu den Endausläufern der halb der nächsten 35 Jahre in Europa zu „Babyboomer“ gehört, hat eine Lebenser- einem Rückgang kommen dürfte und wartung von knapp 88 Jahren. Hat er erst Lateinamerika und Nordamerika, gemes- mal das (heutige) Rentenalter 65 erreicht, sen an ihrer Einwohnerzahl, verhalten kann er erwarten, über 90 Jahre alt zu wer- wachsen, legen Afrika und Asien deutlich den. Der „Lebensabend“ ist ein voller zu. Allein Asien kann mit einem Zuwachs Lebensabschnitt! von ca. 1,3 Milliarden Menschen bis 2050 rechnen, so die Schätzungen der Verein- Das Problem dabei: Demographisch ist es ten Nationen. 30 Jahre nach 12 bereits 30 Jahre nach 12. Selbst wenn es gelänge, die Zahl der Neugeborenen (die sich · Eine hohe Dynamik beim Bevölkerungs- weiterhin im Sinkflug befindet) deutlich zu wachstum in bestimmten Regionen der erhöhen – das demographische Loch bliebe. Welt geht dabei mit einer hohen wirt- Die Kinder, die über Jahrzehnte nicht gebo- schaftlichen Dynamik einher. Länder mit ren wurden, aber morgen gebraucht werden, niedrigem Einkommen sollten während um die Rentenkassen zu füllen, kämen zu der nächsten Jahre und Jahrzehnte ca. dop- spät auf die Welt. Zukunftssicherung heißt pelt so schnell wachsen wie die Länder mit für die Anleger von heute das Gebot der hohem Einkommen. Wirtschaftswachs- Stunde. tum heißt Wohlstandswachstum, heißt Nachfragewachstum. Wenn aber die Gefahr des Rentenlochs im Alter droht, ist da nicht die Frage erlaubt: Die (ökonomische) Weltkarte verändert sich Kann die demographische Entwicklung aufgrund eines globalen Megatrends: Demo- nicht auch als Investmentchance genutzt graphie. werden? Profitieren Sie als Anleger davon, meint Ihr Der Blick auf die Weltkugel lohnt sich. Zwar ist das Phänomen der „doppelten Alterung“ Hans-Jörg Naumer. 3
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Demographie – was kommt auf uns zu? Die demographische Entwicklung in Deutschland rückt nun schon seit einigen Jahren immer mehr in den Blickpunkt von Presse und Politik. Zu Recht! In erster Linie wird die demographische Ent- wicklung als Auslöser für die notwendigen Gastbeitrag Um- und vor allem Rückbauarbeiten am Bei der vorliegenden Studie handelt es sich Sozialsystem angeführt. Die Ursachen sind um einen Gastbeitrag von Dr. Jürgen alle bekannt: ein deutlicher Rückgang der Stanowsky, Leiter Dresdner Economic Fertilität gepaart mit einem erfreulichen Research und Dr. Renate Finke, Volkswirtin Anstieg der Lebenserwartung. Diese Ent- bei Allianz Global Investors, International wicklungen sind nicht auf Deutschland Pensions. beschränkt, sondern treffen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf alle Länder zu. Die UN-Daten (UN-World Population Pro- spects, 2006 revision, median variant) wei- nimmt auch das Verhältnis der über-65-Jäh- Doppelte Alterung sen einen Anstieg des Medianalters (Alter rigen zu den 15- bis 64-Jährigen (der soge- über bzw. unter dem 50 % der Bevölkerung nannte Altenquotient) spürbar zu (vgl. sind) der Weltbevölkerung von 24 Jahren in Schaubild 1). Obwohl demographische Ver- 1950 auf 28 Jahre heute und rund 38 Jahre änderungen in aller Regel schleichend und im Jahr 2050 aus. Gleichzeitig sank die Welt- mit langer Vorlaufzeit vonstatten gehen, geburtenrate von 5 Kindern pro Frau vor 50 erfolgt in der öffentlichen Meinung oftmals Jahren auf heute 2,55 Kinder, Tendenz weiter eine überraschend schnelle Veränderung fallend. In 45 Jahren werden nur noch 2,02 der Wahrnehmung. Anfang der Siebziger- Kinder pro Frau erwartet. Hält diese Ent- jahre, als der „Club of Rome“ seinen ersten wicklung an, wird die Weltbevölkerung in Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts vorlegte, stand die drohende Überbevölke- anfangen zu schrumpfen. Gleichzeitig rung der Erde im Brennpunkt der Berichter- Schaubild 1: Weltbevölkerung in Altersgruppen (in Mio.) 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 0 14 15 64 65+ Quelle: UN Population Division 4
Analysen & Trends: Zukunftssicherung stattung über demographische Entwick- Was bestimmt die demogra- Fertilität deutlich lungen. Diese Sichtweise hielt noch rund gesunken. eine Dekade an. Erst seit der zweiten Hälfte phische Entwicklung? der Neunzigerjahre rückte die Alterung in Die Bevölkerungsentwicklung eines Landes den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. wird von drei Faktoren beeinflusst: Dabei gehen geringere Befürchtungen hin- 1. Fertilität: in der Regel ausgedrückt als sichtlich des Bevölkerungswachstums und Anzahl der Kinder, die eine Frau im Laufe größere mit Blick auf die Alterszusammen- ihres Lebens zur Welt bringt, wenn die setzung Hand in Hand. Die Folge eines Rück- durchschnittliche altersspezifische Gebur- gangs der Fertilität ist eine zunehmende tenziffer (Anzahl Kinder je Frau im Alter x) Alterung der Bevölkerung. Da zusätzlich in Zukunft unverändert bleibt. Diese liegt in auch noch die Lebenserwartung ansteigt, Deutschland zurzeit (2007) bei 1,37, d. h., spricht man in Fachkreisen von einer dop- 1.000 Frauen bringen in ihrem Leben rund pelten Alterung. Eine Entwicklung, von der 1.370 Kinder zur Welt. heutzutage in besonderem Maße Japan und 2. Lebenserwartung: in der Regel ausge- Europa betroffen sind. Aber auch in Asien drückt als Anzahl der Jahre, die ein Mensch allgemein zeichnen sich vergleichbare Ent- bei Geburt wahrscheinlich erleben wird. Die wicklungen ab, so sieht China die Folgen der aktuelle Lebenserwartung ergibt sich aus rigorosen Ein-Kind-Politik heute mit großer der jeweiligen Sterbetafel und stellt daher Sorge auf sich zurollen. Innerhalb Europas keine wirkliche Prognose dar, sondern ist sind besonders die Entwicklungen in eher eine Momentaufnahme der altersspezi- Deutschland, Italien und Spanien von Inte- fischen Sterblichkeit in einem Land. Gegen- resse, denn diese bevölkerungsreichen Län- wärtig liegt die Lebenserwartung bei Alter 0 der weisen dramatisch niedrige Geburten- für Männer bei 76,89 Jahren und für Frauen raten auf. In den neuen EU-Mitgliedsländern bei 82,25 Jahren. gingen nach dem Ende der Sowjetunion die 3. Wanderungssaldo: Neben der natürlichen Geburtenraten dramatisch zurück und sind Bevölkerungsbewegung, die sich aus dem immer noch auf sehr niedrigem Niveau. Ein Saldo Geborener zu Gestorbenen ergibt, rapider Alterungsprozess der jeweiligen bestimmen Zu- und Fortzüge aus einem Bevölkerungen ist unvermeidlich. Einige Land die Bevölkerungsentwicklung. 2007 Länder in der EU, wie z. B. Frankreich oder wanderten rund 44.000 Menschen mehr Schweden, weisen aber auch eine deutlich nach Deutschland zu als fortzogen. höhere Fertilität auf. In diesem Artikel wer- den die wichtigsten demographischen Ent- Damit die Bevölkerung in einem Land kon- wicklungen Deutschlands beleuchtet. stant bleibt, muss eine durchschnittliche Frau in ihrem Leben rund 2,1 Kinder zur Schaubild 2: Entwicklung der Fertilität in Deutschland 1.600.000 3,0 1.400.000 2,5 1.200.000 2,0 1.000.000 800.000 1,5 600.000 1,0 400.000 0,5 200.000 0 0,0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 Lebendgeborene (linke Achse) Fertilität (rechte Achse) Quelle: Statistisches Bundesamt 5
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Welt bringen. Sie ersetzt damit sich selbst Schaubild 3: Entwicklung der Lebenserwartung ab Geburt und ihren Partner, hinzu kommt noch ein 90 „Sicherheitszuschlag“ für Kinder, die sich später selbst nicht fortpflanzen können oder 80 vorher versterben. Das letzte Jahr, in dem dieser Wert in Deutschland erreicht wurde, 70 war 1970, ihren höchsten Wert seit dem zweiten Weltkrieg erreichte die Fertilität 60 1964 mit 2,54 (Schaubild 2). Neben der Ferti- lität ist auch zu beachten, wie viele Kinder in 50 einem Land insgesamt geboren werden. Die zahlenmäßige Besetzung der unterschied- 40 lichen Jahrgänge potenzieller Mütter ist 1932 1946 1950 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2006 2007 dafür ausschlaggebend. Denn hat sich die Männer Frauen Fertilität einmal, wie z. B. in Deutschland, dauerhaft nach unten bewegt, dann genügt Quelle: Statistisches Bundesamt (2008) ein entsprechender Anstieg auf das alte Niveau nicht, um die Bevölkerungszahl kon- stant zu halten. Da die Kohorten potenzieller Ein Anstieg um 40 % bei Männern und um Lebenserwartung: Mütter entsprechend dünner besetzt sind, ein Drittel bei den Frauen, mit entspre- Trend steigt. müsste die Fertilität sehr weit über den Wert chenden Auswirkungen auf die Finanzen von 2,1 ansteigen – sieht man einmal von der Rentenkassen. Weitere Anstiege stehen Zuwanderung ab – um in Deutschland die bevor. Die Bevölkerungssituation in gegenwärtige Bevölkerungszahl von 82,2 Deutschland wird neben Geburten und Millionen dauerhaft zu halten. Bei einem Lebenserwartung in erheblichem Maße von Anstieg nur etwas über das Niveau von 2,1 Wanderungsbewegungen mitbestimmt. Fast dauert es einige Generationen, bis die alte 681.000 Menschen zogen 2007 (das letzte Bevölkerungszahl wieder erreicht wird. Jahr, für das diese Daten vorliegen) nach Deutschland zu, ihnen standen rund Ein Blick auf die Zahl der Geborenen zeigt ein 637.000 Fortzüge gegenüber. Im Saldo wuchs ähnliches Bild wie der auf die Fertilität. die deutsche Bevölkerung durch Zuwande- 1964, dem Höhepunkt seit 1945, wurden in rung um 44.000 Menschen. Deutschland 1,36 Millionen Kinder geboren. Die Zahlenreihe des Wanderungssaldos ist 2007 waren es noch 685.000, also 50 % weni- starken Schwankungen unterworfen, die ger. Allein seit 1990 ist die Zahl der Gebore- u. a. von Änderungen gesetzlicher Rege- nen um 25 % gesunken. lungen bezüglich des Asylrechts oder ande- rer Bestimmungen herrühren. 1992 wan- Ein Rückgang der Fertilität, verbunden mit einer sinkenden Anzahl Neugeborener, führt unweigerlich zu einer Alterung der Schaubild 4: Entwicklung der Bevölkerungszahl Gesellschaft. Zu wenige Junge rücken nach und das Durchschnittsalter bzw. Medianal- 800.000 ter steigt an. Dieser Trend wird noch verstär- kt, wenn die Lebenserwartung zunimmt 600.000 (Schaubild 3). In Deutschland betrug die Zunahme der Lebenserwartung für Männer 400.000 seit 1970 gut 9,4 Jahre und für Frauen 8,4 Jahre. Der Trend zur Zunahme der Lebenser- 200.000 wartung hält nach wie vor an. Bedeutsam, z. B. für die Berechnung zukünftiger Renten- 0 lasten, ist neben der Entwicklung der –200.000 Lebenserwartung ab Geburt auch die ab 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 Alter 65. 1970 betrug dieser Wert für Männer 12,06 Jahre und für Frauen 15,18 Jahre: Heute Sterbefallüberschuss Zuwanderungsüberschuss betragen diese Werte für Männer und Bevölkerungszunahme Frauen entsprechend 16,93 und 20,31 Jahre. Quelle: Statistisches Bundesamt 6
Analysen & Trends: Zukunftssicherung derten netto nahezu 800.000 Menschen Bevölkerungsentwicklung Deutschlands im Wie entwickeln sich nach Deutschland zu, 1998 waren es dage- Zeitraum von 1950 bis 2050 unter diesen Migration und gen knapp 50.000. Annahmen für die Zukunft wieder. Lebenserwartung? Die Entwicklung der Bevölkerungszahl ergibt Gemäß diesen Prognosen wird die Bevölke- sich aus der Summe des Wanderungssaldos rungszahl weiter schrupfen. Dieser Prozess und des Geburten- oder Sterbeüberschusses setzte 2003 ein, nachdem im Jahr 2002 die (Schaubild 4). Da seit 1972 in Deutschland Bevölkerungszahl in Deutschland ihren Jahr für Jahr mehr Menschen sterben als höchsten Stand mit 82,54 Millionen Men- geboren werden, ging die Bevölkerungszu- schen erreichte. Im Jahr 2050 werden dann nahme bis 2002 allein auf die Nettozuwan- noch rund 74 Millionen Menschen in derung zurück. Seit 2003 reicht die Deutschland leben. Fällt die Zuwanderung Zuwanderung nicht mehr aus, den Sterbe- nur halb so hoch aus, werden es knapp 69 überschuss zu kompensieren. Im Jahr 2007 Millionen Menschen sein. Sollte die Lebens- schrumpfte die Bevölkerung um rund erwartung stärker ansteigen als erwartet, in 98.400, 2006 gar um 126.100 Menschen. der Vergangenheit war dies regelmäßig der Langfristig wird an dieser Entwicklung Fall, so fällt der Bevölkerungsrückgang ohnehin so gut wie kein Weg vorbeiführen. geringer aus. Zu konservative Prognosen der Selbst ein jährlicher Wanderungsüber- Lebenserwartung vermitteln das Bild einer schuss von 200.000 Menschen reicht auf tendenziell zu jungen Gesellschaft und las- Dauer nicht aus, den Bevölkerungsrückgang sen Reformen der sozialen Sicherungssy- in Deutschland aufzuhalten. steme weniger notwendig erscheinen. Schaubild 5 gibt auch Aufschluss über die Die zukünftige Bevölkerungsent- Entwicklung des sogenannten Altenquoti- wicklung in Deutschland enten, der das Verhältnis der 65-Jährigen und älteren zu den 15- bis 64-Jährigen dar- Verglichen mit vielen anderen Prognosen stellt. Damit gibt dieser Aufschluss über das sind Bevölkerungsvorausschätzungen rela- Verhältnis von potenziell erwerbsfähiger tiv sicher. Dies liegt daran, dass sich die Bevölkerung zu den potenziellen Rentnern. maßgeblichen Parameter Fertilität und Dieser Quotient liegt zurzeit bei rund 30 %, Sterblichkeit in aller Regel nur allmählich d. h. auf 100 Personen in der Altersgruppe ändern und die wahrscheinlichen Verände- 15-64 kommen im Schnitt 30 Personen über rungen in die Prognosen aufgenommen 65. Bis 2015 weist dieser Quotient nur einen werden können. Am schwierigsten ist die Migration zu fassen. Neben ökonomischen Veränderungen haben auf sie auch regulato- Schaubild 5: Bevölkerungsentwicklung rische Maßnahmen maßgeblichen Einfluss, (in Mio.) (in %) diese sind allerdings kaum prognostizier- 80 80 bar. Für Deutschland erstellt das Stati- 70 70 stische Bundesamt Bevölkerungsprognosen. 60 60 Diese Untersuchung bezieht sich auf die 11. 50 koordinierte Bevölkerungsvorausberech- 50 40 nung aus dem Jahr 2006. Unterstellt wurden 40 dabei verschiedene Szenarien für den 30 30 zukünftigen Anstieg der Lebenserwartung, 20 20 unterschiedliche Fertilitätsraten und die 10 10 Entwicklung der Nettozuwanderung, sodass 0 0 insgesamt zwölf Varianten vorliegen. Im Fol- 1950 1956 1962 1968 1974 1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022 2028 2034 2040 2046 2049 genden beziehen wir uns immer auf die mittlere Bevölkerungsvariante mit einer 65 und älter 0–15 Altenquotient (rechte Skala)** Zuwanderung von 200.000. Unterstellt ist 15–64 Abhängigkeitsquotient (rechte Skala)* dabei ein Anstieg der Lebenserwartung bis * Verhältnis der unter 15- und über 65-Jährigen zur Bevölkerung im Alter zwischen 2050 für Männer auf 83,5 und für Frauen auf 15 und 64. 88 Jahre. Die Geburtenrate wird in etwa als ** Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64. konstant angenommen. Schaubild 5 gibt die Quelle: Statistisches Bundesamt, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung, Var. 1-W2. 7
Analysen & Trends: Zukunftssicherung vergleichsweise moderaten Anstieg aus. Die stigsten wird dieses Verhältnis in rund 25 relativ geburtenschwachen Kriegs- und Jahren: denn von 2026 bis 2033 übersteigt Nachkriegsjahre sind die Ursache dafür. Erst jedes Jahr die Zahl derer, die 65 Jahre alt Mitte der Fünfziger-jahre des letzten Jahr- werden, die der 20-Jährigen um über hunderts begann die Zahl der Geburten wie- 500.000. Danach – mit dem Renteneintritt der spürbar anzusteigen. Der Jahrgang 1955 der letzten Babyboomer – verringert sich erreicht 2020 das Alter von 65 Jahren. In den diese Zahl wieder (Schaubild 6). Jahren von 2020 bis 2035 erreichen dann die geburtenstarken Jahrgänge das Alter 65 und Im Zuge dieser Entwicklung ist mit einer der Altenquotient verschlechtert sich stetig Entspannung der Lage auf dem Arbeits- auf 52 % im Jahr 2035. 100 jüngeren Bürgern markt zu rechnen, allerdings beruht ein stehen dann mehr als 50 Rentner gegenüber, erheblicher Teil der Arbeitslosigkeit in 1957 – als unser heutiges Rentensystem ein- Deutschland darauf, dass die Qualifikation geführt wurde – waren es nur 17. oder der potenzielle Einsatzort von Arbeits- suchenden und angebotenen Stellen nicht Mindestens genauso interessant wie der zueinander passen. Dieses Missverhältnis Altenquotient ist der totale Abhängigkeits- kann auch die demographische Entwick- quotient, der die potenziell erwerbstätigen lung nicht beseitigen. Neben der absoluten Personen zu denen ins Verhältnis setzt, die Zahl wird sich auch der Altersaufbau der noch nicht oder nicht mehr am Erwerbsle- Erwerbsbevölkerung verändern. Die Zahl ben teilnehmen, also das Verhältnis der 0- der 35- bis 49-Jährigen wird sich bis 2050 um bis 14-Jährigen und der über 65-Jährigen zu gut ein Drittel verringern, die der 20- bis 34- den 15- bis 64-Jährigen. Dieser Quotient gibt Jährigen um ein Viertel, während die Zahl an, wie groß der Anteil von Menschen an der 50- bis 64-Jährigen nahezu konstant einer Bevölkerung ist, die zwar konsumie- bleibt. Gleichzeitig steigt auch das Median- Kleines Zeitfenster für ren, aber nicht für den Produktionsprozess alter der Bevölkerung von heute rund 42 Jah- Reformen. zur Verfügung stehen. Mit knapp 59 % ren auf 49 Jahre. erreichte er Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts einen Wert, der erst Deutlich negativer als auf den Arbeitsmarkt wieder 2025 erreicht wird. In den kommen- wirkt die demographische Entwicklung auf den 20 Jahren ist die demographische Situa- die Renten-, Kranken- und Pflegeversiche- tion Deutschlands in dieser Betrachtung rung. Bei der Rentenversicherung ist der vorteilhafter, als sie es vor 35 Jahren war. Zusammenhang für jedermann offensicht- Diese Zeit könnte man nutzen, um die Allo- lich. Vergleicht man die Zahl der sozialversi- kation von Ressourcen den neuen Erforder- cherungspflichtig Beschäftigten mit der der nissen anzupassen. Stark verkürzt bedeutet Rentner, kommt man zu dem Ergebnis, dass dies, dass nicht mehr Kindergärten und heute 100 Beitragszahler für 58 Rentner auf- Schulen wie in den Siebzigerjahren, sondern kommen müssen, 2050 werden es 72 Rent- mehr Altenheime bereitgestellt werden müssen. Schaubild 6: Rückgang des Arbeitskräftepotenzials – 20-Jährige minus 65-Jährige, in tausend Konsequenzen der demogra- 400 phischen Entwicklung 200 Die Folgen der demographischen Verände- 0 rungen lassen kaum einen Bereich der deut- schen Wirtschaft unberührt. Das Erwerbs- –200 personenpotenzial, das ist die Anzahl der Menschen im Alter von 15-64, sinkt um 20 % –400 von heute 54 Mio. auf 42 Mio. im Jahr 2050. Geht man davon aus, dass die Berufstätig- –600 keit mit dem 20. Lebensjahr beginnt und –800 dem 65. endet, so werden ab 2013 Jahr für 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Jahr mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als nachrücken. Am ungün- Quelle: Statistisches Bundesamt 8
Analysen & Trends: Zukunftssicherung ner sein. Diese Zahl stimmt aber nur dann, 14 % der Bevölkerung in dieser Altersgruppe wenn die Erwerbsquoten der Frauen und sein. Der Sachverständigenrat zur Begutach- Personen über 55 Jahren in den nächsten tung der gesamtwirtschaftlichen Entwick- Jahren kräftig ansteigen, auf Niveaus wie in lung geht von einer notwendigen Verdreifa- den skandinavischen Ländern. chung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung bis 2030 aus. Die Alte- Bei der Kranken- und Pflegeversicherung rung der Bevölkerung wird auch das Bild der zeichnen sich Entwicklungen ab, die denen Gesellschaft verändern (Schaubild 8). 2050: 100 Beitragszahler bei der Rentenversicherung an Dramatik In 15 Jahren werden mehr Menschen zwi- kommen auf 72 Rentner nicht nachstehen. Ein Anstieg der Gesund- schen 60 und 80 Jahre alt sein als zwischen – aber nur bei einer heitskosten ist im Zuge der zunehmenden 20 und 40. Dass ein rascher Wechsel demo- kräftig steigenden Alterung der Gesellschaft nicht aufzuhal- graphischer Trends ohne eine drastische Erwerbstätigkeit. ten. So sind die Gesundheitsausgaben für Veränderung der Zuwanderung nicht mög- einen 60-Jährigen 2,8-mal (bei 80-Jährigen lich ist, wird deutlich, wenn man die Gruppe 5,7-mal) so hoch wie für einen 30-Jährigen potenzieller Mütter, also der Frauen im Alter (vgl. Risikostrukturausgleich der Kranken- von 15–49 Jahren betrachtet. Ihre Zahl wird kassen, 2002) und die Arzneiausgaben von voraussichtlich von knapp 20 Millionen Auch Kranken- und 60-Jährigen 3,6-mal so hoch wie bei 30-Jäh- heute auf rund 13,5 Millionen im Jahr 2050 Pflegeversicherung von rigen. Die Zahl der 60-Jährigen und älteren fallen. Der Rückgang um 30 % spiegelt die der Demographie wird von heute 20,5 Millionen auf 28,5 Milli- heutige Fertilität wider. Bei einer Geburten- betroffen. onen im Jahr 2030 ansteigen. Ähnlich ist die rate von rund 1,4 (also 2/3 der zum Bevölke- Lage der Pflegeversicherung. Das Pflegefall- rungserhalt notwendigen 2,1 Kinder pro risiko steigt mit dem Alter (Schaubild 7). In Frau) schrumpft eine Bevölkerung von den Altersgruppen bis 60 Jahre ist es nahezu Generation zu Generation um 30 %. verschwindend gering, steigt danach aber vergleichsweise steil an. Ein Blick über den Tellerrand Die Brisanz, die in diesen Zahlen steckt, wird erst dann deutlich, wenn man sie mit Die demographische Entwicklung Deutsch- der zahlenmäßigen Entwicklung verschie- lands darf nicht verallgemeinert werden. dener Altersgruppen in Verbindung bringt. Eine vergleichbar rasche Alterung der Bevöl- So wird die Zahl der über 80-Jährigen in kerung verbunden mit einem Bevölkerungs- Deutschland von heute 3,9 Mio. auf 6,3 Mio. rückgang ist keinesfalls die Regel, auch im Jahr 2030 und 10,1 Mio. im Jahr 2050 nicht unter Industrieländern. Wie bereits ansteigen. Statt 4,7 % wie heute werden dann eingangs erwähnt, wächst die Weltbevölke- Schaubild 7: Pflegefallrisiko für verschiedene Altersgruppen in Prozent Schaubild 8: Bevölkerung in Altersklassen (in Mio.) Alters- Männer Frauen 30 gruppen 25 60–64 1,7 1,4 20 65 –69 2,9 2,5 15 70–74 5,1 5,1 10 75–79 8,5 10,6 80–84 16,1 22,5 5 85–90 29,4 43,4 0 1950 1956 1962 1968 1974 1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022 2028 2034 2040 2046 2049 90–94 44,0 65,0 über 80 60–80 20–40 95+ 28,3 66,1 Quelle: Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2003 Quelle: Statistisches Bundesamt 9
Analysen & Trends: Zukunftssicherung rung auf Sicht der nächsten 50 Jahre weiter. seine Ursache vor allem darin, dass der Unter den großen Industrieländern wach- Geburtenrückgang vor rund 40 Jahren sen vor allem die Vereinigten Staaten, deren schneller erfolgte und auf ein niedrigeres Bevölkerung von heute rund 300 Millionen Niveau führte als in den meisten anderen voraussichtlich auf über 400 Millionen im Ländern. Jahr 2050 ansteigen wird. Der Großteil des Bevölkerungszuwachses auf der Erde wird Fazit allerdings in Afrika und Asien stattfinden (Schaubild 9). Deutschland hat keine Zeit mehr. Die Folgen Selbst innerhalb der EU gibt es eine Reihe von des demographischen Wandels zeigen sich Unterschieden (Schaubild 10). So schwankte immer rascher und deutlicher. Die sozialen 2005 die Fertilität zwischen 1,94 in Frankreich Sicherungssysteme müssen darauf einge- und 1,25 in der Slowakei. Abgesehen von stellt werden. Während die Rentenversiche- Frankreich weisen die großen Länder mit rung nach den Reformen der letzten Jahre etwa 1.34 alle ähnliche Raten auf und liegen schon weitgehend „zukunftsfest“ umgestellt damit unter dem Durchschnitt der EU-25 worden ist, besteht noch Handlungsbedarf von 1,52 Kindern pro Frau. Deutlich höher ist in der Kranken- und Pflegeversicherung, wie der Wert für die USA, die eine zum Bevölke- z. B. rungserhalt ausreichende Geburtenzahl von 2,07 aufweisen, während Japan mit 1,38 auf · Beschränkung des Leistungskatalogs der Deutschland hat keine dem Niveau Deutschlands liegt. Aus der Fer- gesetzlichen Krankenversicherung verbun- Zeit zu verlieren. tilitätsentwicklung lassen sich auch die den mit einer stärkeren Kapitaldeckung, Bevölkerungsentwicklungen ableiten. Aus- · Dynamisierung der Pflegeleistungen im geprägter Bevölkerungsrückgang wird vor Zuge einer Kapitaldeckung der Pflegeversi- allem für Deutschland, Italien, Spanien cherung usw. sowie die neuen Mitgliedsländer erwartet. Der anhaltende Anstieg der Lebenserwar- Der anhaltende Verzicht auf Kinder ist das tung führt jedoch zusammen mit den nied- bestimmende Element des demogra- rigen Geburtenraten zu einer Alterung der phischen Wandels in Deutschland. Die Folge Gesellschaft. Das Medianalter und der ist auf gesellschaftlicher Ebene die gleiche Altenquotient steigen in nahezu allen Län- wie auf familiärer: Vorsorgeleistungen, die dern. Die Niveaus, von denen aus dieser früher von Kindern erbracht wurden, müs- Anstieg erfolgt, weisen jedoch große Unter- sen zukünftig stärker vom Individuum schiede auf. selbst geleistet werden. Bei der Rente bedeu- Deutschland findet sich bei diesen Betrach- tet dies, dass die fehlenden Nachkommen tungen regelmäßig in der Ländergruppe mit durch verstärkte Sparanstrengungen kom- den ungünstigsten Entwicklungen. Dies hat pensiert werden müssen. Eine Gesellschaft, Schaubild 9: Bevölkerungswachstum in den Weltregionen in Millionen. 6.000 5.500 5.000 4.500 4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 Afrika Asien Europa Latein- Nord- amerika amerika 2005 2020 2050 Quelle: UN Population Division 10
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Schaubild 10: Unterschiede in den knick“ – womit der plötzliche Rückgang der Fertilitätsraten (Kinder pro Frau, 2005) Fertilität ab 1968 beschrieben wird – auch in Japan und dort sogar früher einsetzte, zeigt EU-25 die Problematik, denn die „Pille“ als Verhü- Tschechien tungsmittel ist in Japan nach wie vor nicht Deutschland zugelassen. Eine Steigerung der Fertilität ist Spanien daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Frankreich – doch die Frage, wo der günstigste Ansatz- Irland punkt für einen ersten Schritt ist, spaltet die Italien Experten. Neuere Forschungen zeigen aber, Ungarn Niederlande dass sich das Wunschbild von der idealen Polen Familiengröße im deutschsprachigen Raum Slowakei immer stärker an die heute tatsächlich Schweden angetroffene Situation annähert. Inzwi- Großbritannien schen liegt die bei Umfragen von Frauen USA zwischen 20 und 34 Jahren als optimal Japan erachtete Kinderzahl bei 1,7 und damit China unter dem Selbsterhaltungsniveau. In aller Indien Regel werden weniger Kinder realisiert als in 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 den Wünschen geäußert. Dies liegt zum Teil auch daran, dass das Alter der Mütter bei der Quelle: Eurostat, UN World Population Prospects ersten Geburt immer weiter ansteigt, die Fruchtbarkeit mit dem Alter aber abnimmt, die weniger Kinder alimentieren muss, ver- „(...) – so wird das Risiko der ungewollten fügt aber auch über die finanziellen Mittel, Kinderlosigkeit, das bei einer 35-jährigen diese Leistungen zu erbringen. Frau etwa 25 % beträgt, in Zeiten eines immer späteren Kinderwunsches völlig Die Problematik kurzfristig durch eine unterschätzt“ (Börsch-Supan 2005). Anhebung der Geburtenrate zu lösen, ist unmöglich. Zum einen liegt sie bereits viel Sieht man einmal ab von den Unwägbar- zu lange auf niedrigem Niveau, um die keiten, die mit einer veränderten Zuwande- dadurch hervorgerufenen Veränderungen rungspolitik verbunden sind, so ist die des Bevölkerungsaufbaus innerhalb einer demographische Entwicklung in Deutsch- Generation zu korrigieren. Zum anderen ist land für die kommenden 50 Jahre recht gut auch nicht klar, wie dies bewerkstelligt abschätzbar und kaum veränderbar. Die werden könnte. Denn Klarheit scheint nur Gesellschaft als Ganzes und jeder Einzelne Eine kurzfristige insoweit zu herrschen, als dass es keine sind nun an der Reihe, ihre Dispositionen so Anhebung der monokausale Erklärung für den Geburten- zu treffen, dass sie von dieser Entwicklung Geburtenrate ist keine rückgang gibt. Dass der sogenannte „Pillen- nicht überrascht werden. Lösung. Der anhaltende Verzicht auf Kinder ist das bestim- mende Element des demo- graphischen Wandels in Deutschland. 11
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Erwerbsbiographie- und kohortenspezifische Versorgungsniveaus im Alter 1 Über die Höhe des Versorgungsniveaus im Alter besteht nach wie vor oft Unklarheit. Diese Informationen sind aber dringend notwendig, damit rechzeitig Maßnahmen wie zusätzliches Altersvorsorgesparen ergriffen werden, um bestehende Rentenlücken zu schließen. Offizielle Angaben der Gesetzlichen Rentenver- sicherung (GRV) zum Rentenniveau beziehen Gastbeitrag sich immer auf den so genannten Standardrent- ner, eine fiktive Person, die 45 Jahre das Durch- Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Martin schnittseinkommen verdient und in dieser Zeit Gasche. Herr Dr. Gasche war bis zum Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt 31.12.2008 Senior Economist bei Allianz hat. Da der Standardrentner in der Realität wohl Dresdner Economic Research und dort u. a. kaum zu finden sein wird, herrscht Unsicherheit für die Themen Altersvorsorge, Demogra- über das realistisch zu erwartende Rentenni- phie, soziale Sicherungssysteme und Wirt- veau. So weisen viele Erwerbstätige nicht die schaftspolitik zuständig. Vorher war er unterstellten 45 Jahre an Beitragszeiten auf und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sach- viele Versicherte haben nicht die für den Stan- verständigenrat zur Begutachtung der dardrentner unterstellte Einkommensbiogra- gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. phie, also stets das jeweils gültige Durchschnitts- einkommen. Vielmehr zeichnet sich eine typische Einkommensbiographie durch im Zeit- verlauf im Vergleich zum Durchschnittseinkom- Typisierte Beispielfälle und men steigende Einkommen aus. Zudem gibt es Messkonzepte in der Realität durch Kindererziehungszeiten, Arbeitslosigkeit oder Ausbildung unterbrochene Die Versorgungsniveaus werden für elf typi- und kürzere Erwerbsbiographien. Dieser Kritik sierte Erwerbsbiographien berechnet, die in am Konzept des Standardrentners wird im Fol- Tabelle 1 näher erläutert sind. Als Maßzahl genden durch eine erwerbsbiographiespezi- für das Versorgungsniveau werden zwei fischen Betrachtungsweise von typisierten Bei- Größen verwendet: spielfällen Rechnung getragen. Dabei werden für einzelne Geburtsjahrgänge die Versorgungs- · Die Ersatzrate: Sie entspricht der Relation „Standardrentner“ ent- niveaus durch die gesetzliche Rente und durch der Bruttorente zum zuletzt verdienten spricht kaum der Realität eine mögliche zusätzliche Altersvorsorge wie individuellen Bruttoeinkommen. Die der Riester Rente berechnet. Ersatzrate gibt somit Auskunft über die individuelle Einkommenssituation in der Rentenzeit im Vergleich zur Erwerbszeit (intertemporaler Einkommensvergleich bezogen auf eine Person). 1 Dieser Aufsatz beruht auf folgenden Working Paper: Gasche, M. (2008a): Erwerbsbiografie, kohortenspezifische Versor- gungsniveaus und Versorgungslücken in Deutschland, Allianz Dresdner Economic Research Working Paper Nr. 119, Frankfurt 2008. 12
Analysen & Trends: Zukunftssicherung · Das individuelle Rentenniveau: Es ent- Vergleich der individuellen Rentenniveaus spricht dem Anteil des individuellen Brut- kann zudem Informationen über die rela- torentenbetrags am jeweiligen Brutto- tive Einkommensposition eines Rentners Durchschnittseinkommen der im Vergleich zu anderen Rentnern liefern Rentenversicherung. Diese Maßzahl gibt (interpersoneller Einkommensvergleich). Auskunft über die individuelle Rentenhöhe Für den Standardrentner (Fall 1) ist das im Vergleich zu allen Erwerbstätigen. Der individuelle Rentenniveau mit dem in der Tabelle 1: Beispielfälle Fall Beschreibung 1 Standard Der Versicherte verdient in jedem Jahr das Durchschnittseinkommen (derzeit ca. 30.000 EUR). Bei 45 Beitragsjahren entspricht dies dem Konzept des Standardrentners. 2 Halber Standard Der Versicherte verdient in jedem Jahr das halbe Durchschnittseinkommen. (Geringverdiener) 3 Doppelter Standard Der Versicherte verdient in jedem Jahr das Doppelte des Durchschnittseinkommens. 4 GRV-Querschnitt Gesamt Der Versicherte hat während seines Erwerbslebens immer das durchschnittliche Einkom- men seiner Altersklasse. Das Einkommen ist also zu Beginn der Erwerbszeit mit annah- megemäß 20 Jahren zunächst geringer als das Durchschnittseinkommen, nimmt mit der Zeit aber zu und ist ab dem Alter von ca. 35 Jahren höher als das Durchschnittseinkom- men. Dieses Einkommensprofil wurde aus einer nach Altersgruppen und Geschlecht dif- ferenzierten Versichertenstatistik der Deutschen Rentenversicherung des Jahres 2005 abgeleitet. Es ergibt sich also aus dem Querschnitt der Versichertengemeinschaft. Impli- zit wird somit angenommen, dass das altersspezifische Einkommensprofil des Jahres 2005 konstant bleibt und ein Versicherter während seines Erwerbslebens dieses Profil durchläuft. 5 GRV- Querschnitt Mann Der Versicherte hat während seines Erwerbslebens immer das durchschnittliche Einkom- men eines Mannes in seiner Altersklasse. Es gelten die Erläuterungen zum Fall 4 analog. 6 GRV- Querschnitt Frau Die Versicherte hat während ihres Erwerbslebens immer das durchschnittliche Einkom- men einer Frau in ihrer Altersklasse. Es gelten die Erläuterungen zum Fall 4 analog. 7 Facharbeiter Der Versicherte tritt im Alter von 20 Jahren ins Erwerbsleben ein, verdient zunächst das Durchschnittseinkommen. Bis zum Alter von 40 Jahren erhöht sich sein Einkommen kon- tinuierlich auf das 1,5fache des Durchschnittseinkommens. Danach bleibt es auf diesem Niveau konstant. 8 Akademiker Der Versicherte tritt im Alter von 30 Jahren ins Erwerbsleben ein, verdient zunächst das 1,5-fache des Durchschnittseinkommen. Bis zum Alter von 40 Jahren erhöht sich sein Ein- kommen auf das 2fache des Durchschnittseinkommens. Danach bleibt es auf diesem Niveau konstant. 9 Teilzeitkraft Der Versicherte hat immer 50 % des Einkommens des GRV-Querschnitts Gesamt (Fall 4). 10 Alleinerziehende/r Der Versicherte ist im Alter von 20 bis 25 erwerbstätig und verdient das Einkommen im Fall 6. Danach ist der Versicherte sechs Jahre nicht erwerbstätig. In den zehn darauffol- genden Jahren übt der Versicherte eine Teilzeittätigkeit aus und hat 50 % des Einkom- mens des Falls 6. Danach hat der Versicherte wieder 100 % des Einkommens des Falls 6. 11 Langzeitarbeitsloser Der Versicherte verdient zunächst das Einkommen des Falls 2, wird mit 50 Jahren arbeits- Geringverdiener los, erhält ein Jahr Arbeitslosengeld und danach Arbeitslosengeld II. Nach sieben Jahren nimmt er wieder eine Beschäftigung auf und erzielt das halbe Durchschnittseinkommen (Fall 2) bis zum Renteneintritt. 13
Analysen & Trends: Zukunftssicherung Öffentlichkeit zitierten Standardrentenni- geltpunkte aufweisen. Für die anderen veau identisch. Beispielsfälle wird die Anzahl der Entgelt- punkte ebenfalls entsprechend der längeren Da zudem im Fall des Standardrentners Erwerbszeit angepasst.4 (Fall 1) das individuelle Einkommen gleich dem Durchschnittseinkommen ist, stim- Kohortenspezifische men individuelles Rentenniveau und Ersatz- rate für den Standardrentner überein. Versorgungsniveaus durch die gesetzliche Rente Für das zu erwartende Versorgungsniveau eines Rentners sind nicht nur die Erwerbsbio- Betrachtet man nur das Leistungsniveau der graphie und die Anzahl der Beitragsjahre von Gesetzlichen Rentenversicherung, zeigt sich entscheidender Bedeutung sondern auch der durch die Rentenreformen der letzten Jahre Geburtsjahrgang. Denn die Geburtsjahrgän- (Riester-Reform 2001 und Rürup-Reform ge werden in unterschiedlicher Weise von 2004) ein Rückgang der kohortenspezi- den Leistungsrücknahmen im Umlagesy- fischen individuellen Rentenniveaus und stem und von der Anhebung des gesetzlichen der Ersatzraten (Schaubild 1 und 2). Denn Renteneintrittsalters getroffen. diese Reformen führen über den Mechanis- mus der Rentenanpassungsformel verein- Für die kohortenspezifische Betrachtung wird facht ausgedrückt dazu, dass im Zeitverlauf vereinfachend angenommen, dass jeder Ver- die Rentensteigerungen hinter den Lohn- sicherte eines Geburtsjahrgangs im Alter steigerungen zurückbleiben, sodass das all- von 20 ins Erwerbsleben eintritt 2 und dann gemeine Rentenniveau (Bruttostandardren- bis zu dem für diesen Geburtsjahrgang gül- te in Relation zum Durchschnittseinkommen) tigen gesetzlichen Renteneintrittsalter Bei- sinkt. Die Ersatzraten gehen vom Jahrgang träge in die Gesetzliche Rentenversicherung 1945 bis zum Jahrgang 1985 um mehr als 5 einbezahlt und dabei die oben für die ein- Prozentpunkte zurück, weshalb schon zelnen Beispielfälle dargestellte Erwerbsbio- daran deutlich wird, dass eine zusätzliche graphie durchläuft. Betrachtet werden die Altersvorsorge vor allem für die jüngeren Jahrgänge 1945 bis 1985. Für die Jahrgänge Jahrgänge wichtig ist. Zusammengefasst 1945 und 1946 gilt als Renteneintrittsalter erhält man die folgenden Ergebnisse: 65 Jahre. Entsprechend hat der Standardren- tner dieser Jahrgänge 45 Entgeltpunkte · Die Konstruktion des Standardrentners erworben. 3 Vom Jahrgang 1947 bis zum Jahr- führt bei gleicher Anzahl von Beitragsjah- gang 1958 steigt das gesetzliche Rentenein- ren immer zu der rechnerisch höchsten trittsalter in Monatsschritten an, sodass die Ersatzrate, definiert als Anteil der Brut- Anzahl der Entgeltpunkte für den Standard- torente am letzten Bruttoeinkommen. Für rentner ebenfalls um 1/12 Punkt zunimmt. realistische Einkommensbiographien mit Entsprechend hat der Standardrentner des im Zeitverlauf relativ zum Durchschnitts- Jahrgangs 1958 insgesamt 46 Entgeltpunkte. einkommen steigenden Einkommen, ist die Ab dem Jahrgang 1959 bis zum Jahrgang Ersatzrate geringer. Erwerbsbiographien 1964 steigt das Renteneintrittsalter in mit längeren Ausbildungszeiten, Zeiten von Zweimonatsschritten, sodass die Standard- Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung füh- rentner des Jahrgangs 1964 und alle fol- ren ebenfalls zu geringeren Versorgungsni- genden Jahrgänge annahmegemäß 47 Ent- veaus als im Fall des Standardrentners. 2 Eine Ausnahme bildet der Akademiker, der annahmegemäß zehn Jahre später erwerbstätig wird. 3 Ein Versicherter erhält einen Entgeltpunkt gutgeschrieben, wenn er ein Jahr lang Beiträge nach Maßgabe des Durch- schnittseinkommens geleistet hat. Bei geringeren Einkommen als das Durchschnittseinkommen ist die Entgeltpunktzahl proportional niedriger, bei höheren Einkommen entsprechend größer. Ein Entgeltpunkt repräsentiert derzeit in West- deutschland einen monatlichen Rentenanspruch von 26,56 EUR. 4 Für die Rentenentwicklung, also die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts bis 2030, werden die Werte des BMAS zugrundegelegt (Vgl BMAS: Rentenanpassung 2008 – Formulierungshilfe des Gesetzentwurfes für die Koalitionsfrakti- onen, Berlin 8. April 2008). Für die Zeit nach 2030 wird der aktuelle Rentenwert mit der Rentenanpassungsformel fortge- schrieben, wobei angenommen wird, dass sich der Rentnerquotient in der Rentenanpassungsformel wie der Altenquoti- ent gemäß der mittleren Variante 1-W2 der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung entwickelt. Für die Lohnsteigerungen wird gemäß dem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung angenommen, dass das Durch- schnittseinkommen bis 2021 um durchschnittlich 2,5 % p.a. wächst. Für die Zeit danach wurde eine Rate von 3 % p.a. unterstellt. 14
Analysen & Trends: Zukunftssicherung · Grundsätzlich gilt, dass das Versorgungsni- · Ein Geringverdiener (Fall 2) mit dem halben Niedrige Versorgung veau durch die Gesetzliche Rentenversiche- Durchschnittseinkommen (zur Zeit 15.000 durch gesetzliche Rente. rung nicht hoch ist. Selbst im günstigsten Euro) kann alleine mit der GRV-Rente das Fall des Standardrentners beträgt die Brut- Grundsicherungsniveau nicht überschrei- torente derzeit weniger als 47 % des letzten ten. Die Grundsicherung im Alter macht Bruttoeinkommens. In Folge der Rentenre- derzeit mit rund 630 Euro im Monat rund formen wird dieses Rentenniveau bis 2030 25 % des Durchschnittseinkommens aus. sukzessive auf weniger als 41 % sinken. Ein solches Rentenniveau wird vom Gering- verdiener aber nicht erreicht (Schaubild 2), · Ein Akademiker, der ein relativ hohes und sodass er ohne zusätzliche Alterseinkom- im Lebensverlauf steigendes Einkommen men im Alter auf jeden Fall auf staatliche aufweist, muss mit einer sehr geringen Hilfe angewiesen ist. Ersatzrate durch die GRV rechnen. Im Rechenbeispiel ergibt sich selbst bei 35 Jah- · Niedrige Versorgungsniveaus im Alter und ren Beitragszeit eine Ersatzrate von nicht die Gefahr von Altersarmut bestehen mehr als 35 % des letzten Bruttoeinkom- außer bei Geringverdienern besonders bei mens. Für jüngere Geburtsjahrgänge ist Personen mit langen Phasen der Arbeitslo- das Versorgungsniveau noch niedriger. sigkeit (Fall 11) und bei Teilzeitbeschäf- tigten (Fall 9). Entsprechend helfen Voll- · Die Kindererziehung mit den damit verbun- zeittätigkeit und Qualifikation, die i.d.R. denen Erwerbspausen sowie möglichen Teil- ein höheres Einkommen zur Folge haben, zeittätigkeiten schlägt sich negativ auf das Altersarmut zu vermeiden. Versorgungsniveau im Alter nieder. Trotz Anrechnung von Kindererziehungszeiten Generell schlagen sich kürzere Beitrags- Faustformel und Höherbewertung der Beitragszahlungen zeiten negativ auf die Versorgungsniveaus ist die Ersatzrate im Fall 10 um bis zu 7 Pro- der GRV nieder. Dabei gilt die Faustformel, zentpunkte geringer als im Fall ohne Kind dass ein Jahr weniger Beitragszeit die Ersatz- und durchgängiger Erwerbstätigkeit (Fall 6). rate um rund 1 Prozentpunkt reduziert. Die rentenerhöhende Wirkung der Kinderer- Zudem reduzieren Rentenabschläge bei vor- ziehungszeiten und die kindbezogene Höher- zeitigem Renteneintritt für sich genommen bewertung von Pflichtbeitragszeiten können die Ersatzrate um 1,2 bis 1,6 Prozentpunkte also nur mildernd wirken. Ein auch nur pro Jahr vorzeitigem Renteneintritts. Der annähernder Ausgleich der Nachteile wird Bezug einer Erwerbsminderungsrente redu- nicht erreicht. Umso wichtiger ist es also für ziert das Alterseinkommen aufgrund des diese Personengruppe frühzeitig zusätzlich Zusammenwirkens von geringeren Beitrags- vorzusorgen. zeiten und möglichen Rentenabschlägen Schaubild 1: Kohortenspezifische GRV-Ersatzraten 50 % 45 % in % des letzten Einkommens 40 % 35 % 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 1945 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1973 1977 1981 1985 Geburtsjahrgang Fall 1, Fall 2 und Fall 3 Fall 6: GRV-Querschnitt Frau Fall 9: Teilzeitkraft Fall 4: GRV-Querschnitt gesamt Fall 7: Facharbeiter Fall 10: Alleinerziehende/r Fall 5: GRV-Querschnitt Mann Fall 8: Akademiker Fall 11: Langzeitarbeitsloser Quelle: eigene Berechnungen. 15
Analysen & Trends: Zukunftssicherung enorm: Ein um 9 bis 10 Prozentpunkte gerin- Riester-Rente zur Schließung geres Versorgungsniveau ist möglich. 5 der Versorgungslücken durch Die Frage, ob man mit der gesetzlichen die Rentenreformen? Rente seinen Lebensstandard sichern kann, muss man unabhängig vom betrachteten Seit der Riester-Reform 2001 wird der Auf- Gesetzliche Rente kann Beispielfall mit Nein beantworten. Die bau einer kapitalgedeckten dritten Säule Lebensstandard nicht Ersatzraten, hier definiert als die Brut- staatlich massiv gefördert. Die so genannte sichern. torente im Verhältnis zum letzten Brutto- Riester-Rente soll die Versorgungslücke einkommen, liegen bei allen betrachteten schließen, die durch den Rückbau der Fällen unter 50 %. Wenn man annimmt, dass ersten Säule entstanden ist bzw. entstehen zur Lebensstandardsicherung 70 % des letz- wird. Der durch Zulagen und Steuererspar- ten Bruttoeinkommens erforderlich sind,6 nisse geförderte Sparhöchstbetrag stieg ergibt sich selbst bei 45 Beitragsjahren für seit dem Jahr 2002 schrittweise an und hat alle eine Rentenlücke von weit über 20 % des im Jahr 2008 mit 4 % des Einkommens, letzten Bruttoeinkommens. Wenn man eine höchstens jedoch 2.100 EUR, sein Maxi- geringere Anzahl von Beitragsjahren auf- mum erreicht. weist oder Abschläge wegen vorzeitigem Renteneintritt hinnehmen muss, wird die Es stellt sich nun die Frage, ob mit der Rie- Rentenlücke noch größer. Diese Lücke ster-Rente die durch die Rentenreformen müsste durch andere Einkommensquellen entstehenden Versorgungslücken für alle geschlossen werden. Geburtsjahrgänge tatsächlich geschlossen Schaubild 2: Kohortenspezifische GRV-Rentenniveaus 100 % 90 % in % des Durchschnittseinkommens 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 1945 1949 1953 1957 1961 1965 1969 1973 1977 1981 1985 Geburtsjahrgang Fall 1: Standard Fall 5:GRV-Querschnitt Mann Fall 9: Teilzeitkraft Fall 2: halber Standard Fall 6: GRV-Querschnitt Frau Fall 10: Alleinerziehende/r Fall 3: doppelter Standard Fall 7: Facharbeiter Fall 11: Langzeitarbeitsloser Fall 4: GRV-Querschnitt gesamt Fall 8: Akademiker Quelle: eigene Berechnungen. 5 Vgl. dazu ausführlicher: Gasche, M. (2008a), a.a.O. 6 Eine „lebensstandardsichernde“ Ersatzrate von 70 % kann man damit begründen, dass im Rentenalter die Arbeitnehmerbei- träge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung sowie die Aufwendungen für die zusätzliche Altersvorsorge wegfallen. Zudem ist die Steuerbelastung der Bruttorenten geringer, da die Renteneinkünfte zumindest für die älteren Rentnerjahrgänge nur zum Teil versteuert werden müssen und überdies die Einkommen auf einer geringeren Progressionsstufe besteuert werden. Ferner fallen im Rentenalter diejenigen Kosten weg, die mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängen wie z.B. Fahrtkosten zur Arbeitsstätte oder Aufwendungen für Arbeitskleidung. Diesen geringeren Auf- wendungen muss gegengerechnet werden, dass die Rentner den vollen Pflegeversicherungsbeitragssatz leisten müssen. Sicherlich könnte man auch eine höhere „lebensstandardsichernde“ Ersatzrate plausibel begründen. Vor allem könnte man bei den Geringverdienern argumentieren, dass ihre Steuerbelastung schon in der Erwerbszeit sehr niedrig war und deshalb die Steuerersparnisse im Rentenalter kaum ins Gewicht fallen. Zudem könnte man eine höhere „Zielersatzrate“ mit zu erwartenden Beitragssatzsteigerungen in der Krankenversicherung rechtfertigen. 16
Analysen & Trends: Zukunftssicherung werden können. Entscheidend ist dabei, ob dem Geburtsjahrgang größer und beträgt das durch die Riester-Rente zusätzlich für den Akademiker (Fall 8) des Jahrgangs geschaffene Versorgungsniveau für die ein- 1985 über 20 % des Durchschnittseinkom- zelnen Geburtsjahrgänge so schnell mens, für den im gleichen Jahr geborenen ansteigt, wie das Versorgungsniveau in der langzeitarbeitslosen Geringverdiener (Fall GRV zurückgeht. 11) rund 4 % des jeweiligen Durchschnitts- einkommens (Schaubild 3). Für die Berechnungen wird vereinfachend angenommen, dass die Versicherten aller Stellt man diesen Versorgungslücken durch Schließt die Riester-Rente betrachteten Jahrgänge im Jahr 2008 einen die Reformen die mit der Riesterrente für die Versorgungslücke? Riester-Vertrag abschließen und bis zu ihrem den jeweiligen Jahrgang maximal erreich- Renteneintritt in jedem Jahr 4 % des Brutto- baren Versorgungsniveaus gegenüber, zeigt einkommens einbezahlen. Entsprechend sich, dass in jedem Beispielfall spätestens ab steigt die Anzahl der Riester-Beitragsjahre dem Geburtsjahrgang 1950 das durch die von Jahrgang zu Jahrgang an. Der Jahrgang Riester-Rente zusätzlich generierte Versor- 1945 zahlt nur im Jahr 2008 und 2009, – also gungsniveau ausreicht, um die durch die nur am Ende der Erwerbszeit – Riester-Beiträ- Reformen verursachte Lücke zu schließen, ge, der Jahrgang 1985 dagegen 47 Jahre lang, wie Schaubild 4 für den Beispielfall des Stan- also sein ganzes Erwerbsleben. Weiterhin dardrentners zeigt. Im Fall des Akademikers wird unterstellt, dass sich das angesparte (Fall 8) kann sogar schon der Jahrgang 1948 Riester-Kapital in der Ansparphase mit dem die Lücke schließen. Das liegt daran, dass Kapitalmarktzins abzüglich eines Abschlags die Akademiker der älteren Jahrgänge ein für die Verwaltungs- und Garantiekosten von vergleichsweise hohes Einkommen haben 20 % des Zinssatzes verzinst.7 Zur Vereinfa- und deshalb relativ viel Kapital im Riester- chung wird des weiteren angenommen, dass Vertrag akkumulieren können.10 die Renten 20 Jahre in Form einer konstanten Annuität gezahlt werden. Zur Ermittlung der Insgesamt ist die Riester-Rente geeignet, die Maximal geförderte Annuität wurde ein Diskontierungssatz von Leistungsrücknahmen der jüngsten Renten- Sparquote nutzen. 4,5 % unterstellt.8 reformen auszugleichen, wenn die maximal geförderte Sparquote von 4 % des Bruttoein- Die durch die Rentenreformen erzeugte Ver- kommens verwirklicht wird. Der Rückgang sorgungslücke ergibt sich annahmegemäß des gesetzlichen Rentenniveaus kann für die aus der Differenz der jeweiligen individu- meisten Geburtsjahrgänge durch die Rie- ellen Rentenniveaus bzw. Ersatzraten zu ster-Rente aufgefangen werden. Nur für die dem jeweils im Jahr 2000 mit der gleichen älteren rentennahen Jahrgänge bis 1950 Entgeltpunktzahl erreichbaren individu- bleibt eine kleine Versorgungslücke beste- ellen Rentenniveau bzw. zu der erreichbaren hen, weil sie nicht mehr genügend Zeit zum Ersatzrate.9 Die Versorgungslücke wird mit Riester-Sparen haben.11 7 Als Kapitalmarktzins werden die von Börsch-Supan et al. (2006) mit Hilfe eines Simulationsmodells ermittelten Raten für den Fall weltweiter Anlagemöglichkeiten der Ersparnisse zugrunde gelegt. Danach sinkt der Kapitalmarktzins von 7 % in 2008 auf gut 6 % in 2070, womit die renditesenkenden Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Kapital- märkte abgebildet werden. Vgl. Börsch-Supan, A.; Ludwig, A. und Winter, J. (2006): Aging, pension reform, and capital flows: A multi-country simulation model, in: Economica, 73, S. 625-658. 8 Steigende Annuitäten würden zu geringeren Rentenzahlungen führen. Wenn man für die Rentenlaufzeit die erwartete Restlebenserwartung unterstellte, würde das Rentenniveau für die jüngeren Geburtsjahrgänge etwas niedriger ausfal- len. Zumindest bis zu den 1970er Jahrgängen stellt eine Lebenserwartung von zusätzlichen 20 Jahren ab Renteneintritt eine plausible Annahme dar. Vgl. Gasche, M. (2008b): „Rente mit 69“? Auch eine Frage der intergenerativen Gerechtig- keit, Allianz Dresdner Economic Research Working Paper Nr. 102, Frankfurt. 9 Technisch gesprochen bedeutet dies,, dass der Wert eines Entgeltpunkts aus dem Jahr 2000 zugrundegelegt, mit der kohortenspezifischen Anzahl der Entgeltpunkte aus der GRV multipliziert und das Ergebnis durch das Durchschnittsein- kommen des Jahres 2000 dividiert wird. 10 Der „Break-Even-Jahrgang“ verschiebt sich hin zu den jüngeren Jahrgängen, wenn man eine dynamische Riester-Rente oder eine längere Rentenlaufzeit der Riester-Rente unterstellt. 11 Das Problem der Rentenlücken wird von den Berechnungen allerdings tendenziell unterschätzt, weil die Riester-Rente zur Vereinfachung mit konstanten Annuitäten gerechnet wurde. Unterstellt man eine im Zeitverlauf z.B. mit der Inflati- onsrate steigende Riester-Rente, sind die anfänglichen Rentenzahlbeträge und damit die Ersatzraten niedriger, so dass tendenziell für noch einige weitere Geburtsjahrgänge die Versorgungslücke durch die Rentenreformen nicht ganz geschlossen würde. 17
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