Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck

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Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
Ausgabe 01/2021 | 33. Jahrgang, März 2021

                                              be_kennen

Interview mit Petrus Canisius   Resilienz
Den Glauben immer               Stärken-Fokussierung und
neu bezeugen                    nachhaltige Förderung der Kinder
Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
INhalt
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           Maria Plankensteiner-Spiegel
           VORWORT

           Petrus Canisius im Interview

      4    Den Glauben immer neu bezeugen

           Sabine Schöffauer & Maria Plankensteiner-Spiegel

      7    Was Schuhe erzählen

           Mathias Moosbrugger
      8    Petrus Canisius: Ein heiliges Leben?

           Joachim Hawel
      10   ‚sinnan‘: Weg – Reise – Sinn

           Blitzlichter
      12   Glaubens-Wege...

           Giulia Trentinaglia im Interview
           Resilienz – Stärken-Fokussierung und nachhaltige
      14   Förderung der Kinder

           Gudrun Walter

      17   Weggefährtin / Weggefährte sein…

           Lea Ströhle

      18   Die Geschichten von Gott und den Menschen

           Bernhard Lammer

      20   AV-Medienstelle

           Schul_Leben

      22   Was mein Schulleben bereichert

      23   Personalia und Impressum

           Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin / des Autors
           wieder und müssen nicht der Meinung der Herausgeber entsprechen.
           Die Nennung bei den Personalia erfolgt mit Einverständnis der Genannten.

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Verehrte Kolleginnen                                                                             Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag.,
                                                                                                 Leiterin des Bischöflichen Schulamtes
und Kollegen!

Eine Freundin hat mir einmal ein Blechschild     Giulia Trentinaglia widmet sich in ihrem
geschenkt, auf dem steht: „I can do anything     Text einer ganz entscheidenden Weg-Phase
with the right shoes“. Und hat damit meine       im Leben von Kindern: die vom Kindergar-
Liebe zu Schuhen ironisch-humorvoll kom-         ten in die Volksschule. Sie benennt Fakto-
mentiert.                                        ren, die Kinder in diesem Übergang stärken
                                                 können. Kinder und Erwachsene durch
Wer freilich schon einmal länger mit den         Geschichten auf einen neuen Weg mitzu-
falschen oder drückenden Schuhen unter-          nehmen, ist eine Menschheitstradition. Lea
wegs war, weiß, wie viel Richtiges in diesem     Ströhle zeigt dieses wesentliche Element un-
Spruch steckt. Denn die schönste Stadt oder      serer Glaubenstradition auf.
der wunderbarste Wanderweg kann einem
verleiden, wenn der Schmerz an den Füßen         Eine weitere sehr konkrete Schuh-Ebene
die vorherrschende Wahrnehmung ist.              bringt ein Gespräch mit einer Schusterin in
                                                 dieses Heft. Sich die richtigen Schuhe an-
Das Thema Unterwegssein, Sinn und Wege           zuziehen für den eigenen Weg – es ist über
suchen für die eigene Überzeugung steht im       die Wahl des Schuhwerkes hinaus eine An-
Mittelpunkt des ersten Heftes im Petrus Ca-      regung dazu, die richtigen Entscheidungen
nisius-Jahr. Wir haben uns für dieses ÖKUM       zu treffen. Und eine Aufforderung, be-weg-
anregen lassen vom Bild seiner Schuhe, die in    lich zu bleiben.
der Canisius-Kirche in der Molenstraat in Nim-
wegen, seiner Geburtsstadt, aufbewahrt sind.     Ich wünsche Ihnen allen „gute Schuhe“ für die
                                                 Herausforderungen, die sich uns in diesem
Der Patron der Diözese Innsbruck ist eine        Frühjahr stellen, und Menschen, die Ihnen
sehr vielschichtige und komplexe Gestalt.        Weg-Gefährtinnen und Weg-Gefährten sind.
Unterschiedliche Facetten seiner Persönlich-
keit werden in dieser Ausgabe beleuchtet.
Zum Beispiel in einem fiktiven Gespräch
mit einem Theologen von heute, Günther
Bader. Auch Matthias Moosbrugger benennt
Widersprüchlichkeiten der Gestalt des Pe-        Maria Plankensteiner-Spiegel
trus Canisius und zeigt zugleich, wie bedeu-
tend dieser Jesuit des 16. Jahrhunderts den-
noch für uns sein kann.

Wie Menschen sich tatsächlich auf den Weg
machen und darin Neues entdecken, berich-
tet Gudrun Walter mit ihrer eigenen Geh-Er-
fahrung. Joachim Hawel, selber ebenfalls
ein Wanderer, reflektiert die Frage nach
dem Sich-auf-den-Weg-Machen im Kontext
der Frage nach Sinn, basierend auf Viktor
Frankl.

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Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
Den Glauben
                                         immer neu bezeugen
                            Das runde Jubiläum des Innsbrucker Diözesanpatrons ist der Anlass, seine Biografie
                            zu beleuchten und seinen Spuren quer durch Europa zu folgen. Als bedeutende Ge-
                            stalt des Glaubens gibt er Impulse, die bis heute nachwirken. Um seine Anliegen zu
                            verdeutlichen, hat ihn unsere Zeitschrift ÖKUM zu einem Interview gebeten.

     Petrus Canisius im     ÖKUM: Lieber P. Petrus Canisius, wie das         Verhandler und Vermittler und – wenn Sie
    (fiktiven) Interview    heute so üblich ist, haben wir zunächst ein-     so wollen – eben als ein „Netzwerker“. Dazu
        anlässlich seines   mal „gegoogelt“. Angesichts der Fülle an In-     kam meine schriftstellerische Tätigkeit. An-
        500. Geburtstags.   fos, die wir über Sie erhalten haben, fällt es   ders wäre eine weitreichende Glaubensver-
                            uns jetzt schwer, uns auf das Wichtigste zu      kündigung zur damaligen Zeit nicht möglich
                            beschränken. Wie können wir da Ihrer Per-        gewesen.
                            sönlichkeit einigermaßen gerecht werden?
                            Canisius: Das verstehe ich gut. Es war auch      Uns heutigen Europäern fällt sofort Ihre
                            für mich nicht immer leicht, mir ein mög-        rege Reisetätigkeit auf, die Sie quer durch
                            lichst „wahrheitsgetreues Bild“ von ande-        über den Kontinent geführt hat.Würden Sie
                            ren zu machen – ja nicht einmal von mir          sich selbst als einen der ersten Botschafter
                            selbst… Noch dazu, wo wir uns kein „fest-        Europas sehen?
                            gefügtes Bild“ machen sollen!                    Canisius: Wegen meiner zahlreichen Auf-
                                                                             gaben bin ich weit herumgekommen – von
                            Zunächst stellt sich uns also noch die           Nimwegen bis Messina, von Löwen bis War-
                            grundlegende Frage, was wir jetzt aus Ihrer      schau und von Prag bis Fribourg. Später ha-
                            Lebens- und Glaubensgeschichte „herausho-        ben einige Zahlenfreaks das einmal ausge-
                            len“ (gleichsam als Ex-egese) und was wir        rechnet und sind anscheinend auf fast 100.000
                            vielleicht auch aus unserer heutigen Sicht       km gekommen. Dazu muss man sagen, dass
 Unsere „subjektive         „hineinlegen“ (im Sinne einer „Eïs-egese“).      das Reisen unter den damaligen Umständen
                            Canisius: Eine entscheidende Frage! Denn         wesentlich komplizierter und anstrengender
Brille“ muss ja nicht
                            bei (Heiligen-)Biografien geschieht dies         war; aber ich habe es gerne gemacht…
schlecht sein, wenn
                            durchwegs, dass zeitgenössische Deutungen
      wir uns dessen        vorgenommen werden. Selbstverständlich           Und als Vorläufer des Europa-Gedankens habe
       bewusst sind.        spiegeln sich in dem, was herausgegriffen        ich mich damals natürlich nicht gesehen. Das
                            wird, immer auch aktuelle Vorstellungen          ist wohl nachträgliche Interpretation meiner
                            und Anliegen wider. Aber unsere „subjekti-       Biografen – obwohl sie damit ja nicht ganz Un-
                            ve Brille“ muss ja nicht schlecht sein, wenn     recht haben. Jedenfalls kann ich sagen, dass
                            wir uns dessen bewusst sind. So kann es in-      Länder-Grenzen für mich nie eine besondere
                            spirierend sein, mögliche Verbindungslinien      Rolle gespielt haben. Im Gegenteil: Mir war
                            zwischen Vergangenheit – Gegenwart – Zu-         immer wichtig, in allen diesen Ländern den
                            kunft aufzuzeigen.                               katholischen Glauben zu festigen.

                            Sie haben ein beeindruckendes Netzwerk ge-       Was waren Ihre ersten Stationen und Begeg-
                            schaffen. Heute würde man Sie wohl als ty-       nungen, die Sie besonders geprägt haben?
                            pischen „Netzwerker“ bezeichnen, der Sinn        Canisius: Ich bin in Nimwegen aufgewach-
                            für Strukturen und Strukturreformen hat.         sen, wo mein Vater Bürgermeister war. Nach
                            Canisius: Als Ordensmann, Seelsorger, Pre-       seinem Willen sollte ich eigentlich Jurist
                            diger, Lehrer und Katechet, Schriftsteller und   werden. Ich hatte eher andere Interessen,
                            Organisator waren meine Aufgabenbereiche         sodass ich von 1536 bis 1540 Philosophie
                            sehr vielseitig. Ich war zudem gefordert als     und Theologie in Köln studierte. Durch die
                            Ratgeber des Kaisers und von Fürsten, als        Kartäuser in Köln war ich auch mit den

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deutschen Mystikern befasst, die mich fas-       aus einer anderen Perspektive beurteilt wird
ziniert haben.                                   – damals habe ich das so gesehen. Jeden-         Als Vorläufer des
                                                 falls sind viele zu dieser Zeit wegen schwe-
                                                                                                  Europa-Gedankens
Nachdem ich den Jesuiten Peter Faber ken-        rer Missstände in der katholischen Kirche zu
                                                                                                  habe ich mich damals
nengelernt hatte, trat ich 1543 in die Gesell-   den Reformatoren übergetreten. In der Folge
                                                                                                  natürlich nicht
schaft Jesu (Societas Jesu) ein. 1546 emp-       bemühten sich Kaiser Ferdinand I. und dann
fing ich die Priesterweihe. Ein besonderes       besonders Erzherzog Ferdinand II. um eine        gesehen.
Ereignis war für mich, dass ich 1547 an einer    Rekatholisierung von Tirol. Deswegen hol-
(nach Bologna verlegten) Tagung des Kon-         ten sie Jesuiten nach Innsbruck, die von mir
zils von Trient teilnehmen konnte. Ignatius      als Provinzial angeführt wurden. Übrigens
von Loyola, unser Ordensgründer, berief          hatte dann 1585 Ferdinand II. sogar verlangt,
mich später nach Rom und sandte mich             dass jeder Tiroler katholisch ist oder sonst
nach Messina. Dort sammelte ich grundle-         das Land verlassen muss…
gende Erfahrungen im Schulbereich und in
religiöser Unterweisung. Nach meiner Pro-        So war ich also 1571 als Hofprediger von
fess (1549) wurde ich nach Deutschland zu-       Erzherzog Ferdinand nach Innsbruck ge-
rückgeschickt, um die katholische Reform         kommen. Allerdings war dieses Amt, das ich
voranzutreiben.                                  bis 1577 ausübte, nicht leicht und mit einigen
                                                 Konflikten mit dem Erzherzog verbunden…
Was waren dann weitere Stationen?                Und als Provinzial war ich eben wesentlich
Canisius: Auf Wunsch von Herzog Wilhelm          an der Errichtung eines Jesuitenkollegs in
IV. wurde ich zunächst Professor, Rektor         Innsbruck (1562) und in Hall (1569) beteiligt.
und Vizekanzler der Universität Ingolstadt.
1552 holte mich König Ferdinand als Hof-         1580 musste ich schließlich schweren Herzens
prediger nach Wien und Prag. Von 1556 bis        Tirol verlassen. Nach Auseinandersetzungen
1569 war ich dann erster Provinzial der neu      mit meinem Nachfolger als Ordensprovinzial
errichteten Oberdeutschen Jesuitenprovinz.       wurde ich nach Fribourg / Schweiz versetzt.
Die Ausbreitung unseres Ordens war mir           Aber rückblickend kann ich sagen, dass ich
ein großes Anliegen. In diesem Sinn wurden       mich zwischen 1560 und 1580 oft und gerne
mehrere Jesuitenkollegien – in Wien, Prag,       in Tirol aufgehalten habe und von 1571 bis
Ingolstadt, Würzburg, Dillingen, München,        1577 ja hauptsächlich hier gewirkt habe.
Innsbruck und Hall – gegründet. Parallel
dazu war ich in zahlreiche kirchenpolitische     Als Botschafter und Vertreter Ihres Ordens
Aufträge eingebunden. Dadurch war ich –          haben Sie in ganz Europa die Gründung
                                                                                                  Zeitlebens habe
wie schon gesagt – viel unterwegs. Meine         von Jesuitenkollegien und damit verbunde-
                                                                                                  ich mich für die
Hauptaufgabe aber sah ich stets in der Seel-     nen Schulen forciert.Wie wichtig ist Bildung?
                                                                                                  Gründung von
sorge und in der Katechese.                      Canisius: Bildung war mir immer wichtig.
                                                 Ich habe schon früh den Wert und die Be-         Schulen und für
Uns interessiert hauptsächlich, was Sie          deutung schulischer und außerschulischer         das höhere Bildungs-
dann nach Tirol geführt hat?                     Bildung erkannt. In ihr sah ich den Schlüssel    wesen eingesetzt.
Canisius: Mein Interesse an Tirol hat sich       für langfristige Entwicklungen in Kirche und
früh eingestellt. So hatte ich bereits 1561      Gesellschaft. Zeitlebens habe ich mich für die
meinem Ordensoberen in Rom Folgendes             Gründung von Schulen und für das höhere
geschrieben: „Das Tirolerland verdient un-       Bildungswesen eingesetzt. So war ich 1562
sere besondere Aufmerksamkeit, denn es ist       in Innsbruck maßgeblich an der Eröffnung
noch besser katholisch als irgend ein anderes    eines Jesuitengymnasiums – Vorgänger des
Gebiet Deutschlands und hat sich noch nicht      heutigen Akademischen Gymnasiums – be-
so von den Häretikern umgarnen lassen wie        teiligt. 1573 wurde ein Jesuitengymnasium in
die anderen Länder. Wenn auch viele Orte         Hall eröffnet – das heutige Franziskanergym-
schon verdorben sind, so kann man es doch        nasium. Ich habe auch meine Ordensbrüder
zusammen mit Bayern den Stämmen Juda             ermutigt, meinem Beispiel zu folgen und sich
und Benjamin vergleichen, die noch den           in der Familienkatechese („Christenlehre“)
wahren Gott verehren, während die ande-          und in einer religiösen Unterweisung von
ren Gebiete Deutschlands die zehn Stämme
Israels sind, welche sich dem Götzendienst
zugewendet haben.“1 Auch wenn das heute
                                                 Kindern und Jugendlichen zu engagieren.
                                                 Neben einer Schule wurde daher oft auch
                                                 eine Marianische Kongregation (MK) errich-       o
                                                                                                                    5
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tet - beispielsweise die 1578 gegründete Hal-    andersetzungen. Da hat man sich gegensei-
                                             ler MK, die übrigens bis heute besteht.          tig nichts geschenkt.

                                             Sie haben drei Katechismen verfasst, die         In aller Bescheidenheit muss ich aber auch an-
                                             jahrelange Verbreitung erfahren haben.           merken: Ich habe mich redlich bemüht, nicht
                                             Canisius: Die Katechismen von Martin Luther      so zu polemisieren wie andere. Ich wollte stets
                                             und anderen haben mir gezeigt, wie wichtig       sachlich bleiben. In diesem Sinn bin ich nach
                                             grundlegende Unterrichtsbücher für Kinder        wie vor überzeugt: „Beherzt, würdevoll und
                                             und Erwachsene sind. So freut es mich, dass      nüchtern muss man die Wahrheit verteidigen.“2
                                             meine drei Katechismen eine nachhaltige
                                             Wirkung erzielt haben: Der „Große Kate-          Aber etwas anderes, das ich heute nicht
                                             chismus“ (unter dem Titel „Summa doctrinae       mehr so vertreten würde, muss ich bereu-
                                             christianae“) für höhere Schulen, der „Kleine    en: Meine ausgeprägte Furcht vor Dämonen
                                             Katechismus“ („Catechismus minimus“) für         und Hexen und den damals üblichen He-
                                             Kinder und der weit verbreitete „Mittlere Ka-    xenglauben habe ich durch meine Predigten
                                             techismus“ für Mittelschüler. Lange Zeit hatte   noch weiter verbreitet. Erst durch ausdrück-
                                             man ja vom „Canisi“ gesprochen, wenn man         liche Anordnung meiner Ordensoberen
                                             den Katechismus gemeint hat.                     habe ich davon Abstand genommen.3

                                             Sie haben in einer Zeit des Umbruchs ge-         Abschließend noch eine persönliche Frage:Was
          Bei meinem                         lebt. Heute werden Sie oft als einflussreicher   wünschen Sie sich als Patron unserer Diözese?
                                             politischer und geistlicher Vorkämpfer der       Canisius: Zunächst ehrt es mich, dass ich
    Professgelübde in
                                             Katholischen Reform bzw. der „Gegenrefor-        schon bei der Errichtung der Apostolischen
   Rom hatte ich eine
                                             mation“ gesehen. Stimmt dieses Bild?             Administratur Innsbruck-Feldkirch und dann
      überwältigende
                                             Die Reformation war in der Tat eine beson-       bei der Diözesanerhebung im Jahr 1964 un-
 geistliche Erfahrung.                       dere Herausforderung für die katholische         ter Bischof Paulus Rusch als Diözesanpat-
                                             Kirche. Es war klar, dass es unbedingt ein       ron gewählt wurde. Nachdem ich mich zu
                                             Konzil braucht, das in Abgrenzung davon          meiner Zeit in großer Demut und Beschei-
                                             die Lehre und Glaubenspraxis der katholi-        denheit üben musste und wollte, freut es
                                             schen Kirche unmissverständlich darstellt.       mich, dass mein Lebenswerk bei euch eine
                                             Daher war es mir wichtig, dann – wie ich         Wertschätzung erfährt und gewürdigt wird.
                                             bereits eingangs erwähnt habe – an einer         Gleichzeitig hoffe ich, dass mein runder Ge-
                                             Konzilssitzung teilzunehmen, musste aber         burtstag ein Anstoß dazu ist, den Glauben in
                                             leider bald wieder abreisen. Später habe ich     eurem Land immer neu zu bezeugen. Und
                                             mich leidenschaftlich für die Umsetzung der      ich möchte heute besonders allen Religions-
                                             Konzilsbeschlüsse eingesetzt.                    lehrerinnen und -lehrern für ihr Zeugnis in
                                                                                              der Schule danken.
1 Zit. nach: Gelmi, Josef:
  Kirchengeschichte Tirols,
                                             Der Name unserer Zeitschrift ÖKUM lässt
  Innsbruck (Tyrolia) 1986, 88.              auch an ÖKUMene denken. Kann es sein –           Bei meinem Professgelübde in Rom hatte
2 Zit. nach: Läpple, Alfred:
  Kleine Geschichte der Katechese,           wie es auch evangelische Christen vermu-         ich eine überwältigende geistliche Erfahrung
  München (Kösel) 1981, 106.
3 Vgl. dazu den Beitrag von Mathias
                                             ten können – dass Sie ihr skeptisch und re-      – mit einer tiefen Herz-Jesu-Offenbarung –
  Moosbrugger in diesem Heft und sein        serviert gegenüberstehen?                        gemacht: Jesus, in dessen Nachfolge und
  Buch: Petrus Canisius.
  Wanderer zwischen den Welten,              Canisius: Sie sprechen hier ein heikles The-     Dienst ich mich gestellt habe, hat mir „ein
  Innsbruck (Tyrolia) 2021.                  ma an. Aber die Zeiten haben sich – Gott         dreifaches Gewand“ verheißen. Die drei Tei-
4 Vgl. dazu: Die Bekenntnisse des heiligen
  Petrus Canisius SJ und sein Testament,     sei Dank! – geändert. Die katholische Kirche     le dieses Gewandes sind Friede, Liebe und
  Kulmbach (Verlagsbuchhandlung Sabat),
  2. Aufl. 2020.
                                             hat auch dazu gelernt: Das Lutherbild und        Beharrlichkeit.4 Das ist es, was ich euch an-
Weiterführende Literatur:
                                             die Bewertung der Reformation haben sich         lässlich meines Jubiläums gerne nahelegen
- Haub, Rita: Petrus Canisius.               gewandelt. Im Vordergrund steht heute das        möchte: Friedfertigkeit, ungekünstelte Herz-
  Botschafter Europas, Kevelaer
  (Topos Taschenbuch) 2004.                  Verbindende, nicht so sehr das Trennende.        lichkeit und Durchhaltevermögen in einer
- Oswald, Julius: Petrus Canisius, in:
  Stimmen der Zeit 121(1996), 736ff.                                                          herausfordernden Zeit. Ein solches „drei-
www.heiligenlexikon.de >
                                             Was nun mich selbst betrifft: Einige Äuße-       faches Gewand“ möge euer Gottvertrauen
Petrus Canisius                              rungen von mir klingen tatsächlich hart und      und eure Freude am Glauben stärken.
www.dibk.at/themen >
500 Herzfeuer – Petrus Canisius Jahr 2021    würde ich aus heutiger Sicht auch nicht
www.dibk.at/themen >                         mehr so machen. Sie zeigen das typische
Tiroler Heilige und Selige >
Hl. Petrus Canisius                          Kolorit aus der Zeit reformatorischer Ausein-    Dieses (fiktive) Interview führte Günther Bader.

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Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
Bild von www.sasch.at/reparaturen –                   Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag.,
                                                mit freundlicher Genehmigung von Sabine Schöffauer.   Leiterin des Bischöflichen Schulamtes

„Fühlt es sich gut an?“
– ein Gespräch mit der Schusterin Sabine Schöffauer

In der Petrus-Canisius-Kirche in der Molen-     ihnen zwei Fragen: „ Fühlen Sie sich in die-
straat in Nimwegen wird ein Paar Schuhe         sen Schuhen gut?“ und „Haben Sie trockene
des heiligen Petrus Canisius aufbewahrt,        Füße?“. Sie redet überhaupt viel von „spüren
Schuhe eines Menschen, der im 16. Jahrhun-      und fühlen“ in unserem Gespräch. Sich auf
dert im süddeutschen Raum rastlos unter-        die eigene Intuition zu verlassen, sei essenzi-
wegs war für die Verkündigung des katho-        ell. Wenn beide Fragen bejaht werden, dann
lischen Glaubens. Sie zeigen handfest, was      ist es sinnvoll, in die Reparatur zu investie-
Unterwegssein heißt. Und lösen in mir die       ren. Bekommt man hingegen nasse Füße,
Frage aus, wie eine Fachfrau die Frage mit      sind ihre Möglichkeiten sehr beschränkt.
den Schuhen sieht. Also gehe ich zu Sabine
Schöffauer, die in Innsbruck Schuhe und Ta-     Spätestens zu diesem Zeitpunkt unseres
schen repariert und ihnen so gleichsam ein      Gespräches ist mir klar, wie viel von ihren
langes Leben gibt.                              Erfahrungen für unser gesamtes Leben gilt.
                                                Ob ich in passenden Schuhen unterwegs
„Hineingestolpert“ sei sie in ihre Arbeit mit   bin, nicht zu klein, nicht zu groß, tragfähig,
Schuhen, vor sechs Jahren, erzählt sie. Schu-   unterstützend und schön – diese Frage geht
he von anderen Menschen zu reparieren,          weit über das konkrete Schuhwerk hinaus.
wäre ihr in den vielen Jahren und zwanzig       Und auch die Überlegung, ob ich in dem,
unterschiedlichen Jobs im Flugbereich und       was ich trage, wohl keine „nassen Füße“ be-
im Sales Management überhaupt nicht in          komme. Dann ist es im konkreten und im
den Sinn gekommen. Bis sie einem ortho-         übertragenen Sinn hoch an der Zeit, etwas
pädischen Schuhmachermeister ihre Hilfe in      zu verändern.
der Buchhaltung angeboten hat. Als es eines
Tages notwendig war, ein Paar Schuhe fer-       Auch was sie über den Schuhkauf sagt, hat
tig repariert zu bekommen und nur sie zur       mehr als eine Ebene. Man solle die erste Be-
Verfügung stand, habe sie es einfach aus-       geisterung und Euphorie sinken lassen und
probiert. Und dabei festgestellt: „Ich kann     dann das eigene Gefühl in den Mittelpunkt
das, meine Hände spüren es. Dann soll es        stellen. Fühlt es sich gut an? „Wenn ein ‚Ja‘
so sein.“ Das sei irgendwie fast eine spiri-    kommt, ist es gut. Ein ‚Ja, aber‘ ist ein Nein.
tuelle Erfahrung gewesen, deutet sie diesen     Dann muss man etwas ändern.“ Und mit den
Moment. So ist es weitergegangen.               Schuhen zur Schusterin gehen. Was sie über
                                                Schuhe sagt, klingt in meinen Ohren wie eine
Sie lernte und entwickelte die Fähigkeit, mit   Weisheit fürs Leben – übertragbar auf viele
Kreativität und Liebe Schuhe zu reparieren,     Entscheidungen, die wir zu treffen haben.
sodass sie weiter getragen und nicht weg-
geworfen werden. Je älter die Schuhe sind,      Besonders wichtig seien diese Überlegun-
desto lieber seien sie ihr. Wenn Kundinnen      gen übrigens bei Hochzeitsschuhen. Damit
und Kunden fragen, ob sich die Arbeit in        der Tag auch die Chance hat, ein wunder-
solchen Fällen überhaupt rentiere, stellt sie   schöner zu werden.

                                                                                                                                         7
Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
PETRUS CANISIUS:

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               Mathias Moosbrugger,
                      Univ.-Ass. DDr.,
     Institut für Bibelwissenschaften
           und Historische Theologie
            der Universität Innsbruck

                                         Es war kurz vor seinem Tod im Dezember             weniger als einen heiligen Mann. Und sie war
                                         1597 und Petrus Canisius war schon seit vie-       nicht die Einzige: Die Einwohner seines Al-
     Canisius – in der                   len Jahren sozusagen im Ruhestand. Seit dem        terssitzes Fribourg beispielsweise reagierten
öffentlichen Meinung                     Herbst 1580 befand er sich aufgrund eines          auf das (falsche) Gerücht, dass der Jesuitenor-
 bereits zu Lebzeiten                    unschönen Konflikts mit seinem Nachfol-            den ihn wieder aus ihrer Heimatstadt abzie-
   „heiliggesprochen“                    ger als Oberdeutscher Jesuitenprovinzial im        hen wolle, mit einem heftigen Einspruch. Sie
                                         Exil im schweizerischen Fribourg, wo er sich       hätten, stellten sie fest, in ihren Kirchen „nicht
                                         vor allem seinen beiden Lieblingsbeschäf-          einen einzigen Leib eines Heiligen. Wir wer-
                                         tigungen widmete: dem Predigen und der             den einen haben, wenn dieser heilige Mann
                                         Schriftstellerei. Da erreichte ihn plötzlich ein   sich bei uns zur Ruhe legt.“ – Petrus Cani-
                                         verzweifelter Brief: Eine von Besessenheit ge-     sius hatte sich ganz offensichtlich bereits zu
                                         plagte Frau aus dem bayerischen Straubing          Lebzeiten unter Katholiken nicht nur einen
                                         flehte ihn darin um seine Hilfe an. Niemand        ausgezeichneten Ruf als Schulgründer, Or-
                                         hatte ihr bisher helfen können; aber sie war       densorganisator, Prediger, Seelsorger, Schrift-
                                         sich sicher, dass Petrus Canisius, der bekannt-    steller und theologischer Berater von Fürsten,
                                         lich „mächtig bei Gott“ (potens apud Deum)         Päpsten und Bischöfen gemacht. Die öffent-
                                         war, sie auch aus vielen hundert Kilometern        liche Meinung hatte ihn bereits zu Lebzeiten
                                         Entfernung hinweg endlich von ihren uner-          heiliggesprochen. Nach seinem Tod wuchs
                                         träglichen Qualen befreien konnte. Petrus          sich das zu einem regelrechten Kult aus; die
                                         Canisius war wie vor den Kopf gestoßen. Er         Jahresberichte des Fribourger Jesuitenkollegs
                                         reagierte auf diese Bitte mit dem erschrocke-      sind voll von Berichten von Wunderheilun-
                                         nen Ausruf: „Ich Unglücklicher, für wen hält       gen, die Petrus Canisius zugeschrieben wur-
                                         man mich?“                                         den. Als sein Leichnam 1625 umgebettet wur-
                                                                                            de, strömten die Fribourger zu seinem Grab,
                                         Die Antwort darauf fällt leicht: Diese Frau aus    um seine sterblichen Überreste mit ihren Ro-
                                         Straubing hielt ihn offensichtlich für nichts      senkränzen zu berühren. Diese heißblütige

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Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
Verehrung war wohlgemerkt nicht nur das           dementsprechend Dinge getan, gesagt und
Ergebnis einer ausgeprägten Volksfrömmig-         geglaubt, die aus heutiger Sicht sehr frag-
keit in einer wundersüchtigen Zeit. Mit Robert    würdig sind – daran ändert auch die Tatsa-
                                                                                                     Die Schattenseiten
Bellarmin war beispielsweise auch einer der       che nichts, dass er nie aus Opportunismus          seiner Persönlichkeit
Toptheologen am Übergang zum 17. Jahrhun-         gegenüber kirchlichen (geschweige denn po-
dert rückblickend davon überzeugt, dass man       litischen) Autoritäten gehandelt hat, sondern
es bei Petrus Canisius mit einem Heiligen zu      immer aus ehrlicher Gewissensüberzeugung.
tun gehabt hatte.                                 Und auch die Weitsichtigkeit seines Katechis-
                                                  mus, seine Kritik an der harschen päpstlichen
Mittlerweile hat die Verehrung des heiligen       Indexpolitik mit ihren massiven Bücherver-
Petrus Canisius in unseren Breitengraden          boten oder seine tatsächlich tiefgründige my-
radikal abgenommen. Auch in der Diözese           stische Frömmigkeit jenseits von Hierarchie-
Innsbruck, die ihn sich als einzige Diöze-        gläubigkeit und dogmatischer Enge können
se weltweit zum Patron gewählt hat, ist er        seine Fehler letztlich nicht wettmachen. Aber
nie wirklich volkstümlich geworden. Dazu          klar ist auch: Gerade deshalb ist Petrus Cani-
                                                                                                     Missverständnis:
kommt, dass Petrus Canisius aus heutiger          sius ein Heiliger, den wir dringend brauchen.
                                                                                                     Heilige als Übermen-
Perspektive betrachtet keine unproblemati-        Denn egal ob konservativ oder progressiv:
sche Persönlichkeit war und überhaupt allzu       Gerade im katholischen Milieu gibt es heute        schen und moralisch
sehr als Teil einer lange vergangenen Welt        ja eine starke Tendenz dazu, Heilige als Über-     perfekte Menschen
erscheint: Er hielt zum Beispiel den Prote-       menschen zu sehen. Wer moralisch fragwür-
stantismus insgesamt für Teufelswerk und          dig ist, kann demnach kein Heiliger gewesen
hat das in seinen Büchern und Predigten –         sein. Das ist aber ein großes Missverständnis:
ganz der polemischen Rhetorik seiner Zeit         Heilige sind nicht deshalb heilig, weil sie mo-
entsprechend – mit äußerst harschen Worten        ralisch perfekt gewesen sind (egal nach wel-
zum Ausdruck gebracht. Er war wie alle seine      chen Maßstäben) – eher im Gegenteil. Alle
Zeitgenossen von einer tiefen Angst vor He-       großen Heiligen waren Menschen mit beschä-
xen durchdrungen und hat die Kanzel immer         digten Biographien, Menschen mit teils gra-
wieder genutzt, um seine Zuhörer vor ihren        vierenden Fehlern und fatalen Fehlentschei-
teuflischen Kräften zu warnen. Damit hat er       dungen. Aber immer waren sie Menschen, die
die ohnehin schon erhitzte öffentliche Mei-       Gott zugetraut haben, auch auf den krummen
nung weiter angeheizt und vielleicht sogar        Zeilen ihres Lebens gerade zu schreiben. Das
bei vielen Menschen dafür gesorgt, dass sie       ist der Inbegriff der Heiligkeit – und darum ist
Jahre später bereit waren, Hexen aktiv zu ver-    das unvollkommene Leben von Petrus Cani-
folgen. Und trotz seiner Überzeugung, dass        sius mit seinem unbändigen Willen, trotz der
Kinder „der beste Teil“ (optima portio) der       eigenen Unvollkommenheiten ein Instrument
Menschheit seien, hat er seinen Geschwistern      des Wirkens Gottes in der Welt zu sein, ein
heute nur schwer vermittelbare Erziehungs-        Vorbild der Heiligkeit für die Unvollkomme-
tipps gegeben, beispielsweise den, ihre Kin-      nen unter uns – und das heißt natürlich: für
der angesichts der Versuchungen der Welt „in      uns alle.
strenger Zucht und Furcht“ aufzuziehen.

Klar ist also: Petrus Canisius passt kaum ohne    Literatur:
Weiteres in unsere heutigen Schemata von          Moosbrugger, Mathias:
                                                  Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten,
Heiligkeit hinein. Er verstört, weil er sich in   Innsbruck (Tyrolia) 2021.
seinem Ringen um die Wiederbelebung der
katholischen Kirche nördlich der Alpen ganz
in seine Zeit eingelassen hatte, die vor reli-
giöser Erregung förmlich überkochte. Er hat

                                                                                                                        9
Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
‚SINNAN‘
                 Joachim Hawel,
                PhD MAS, Mag.,
             Hochschullehrer an
            der KPH Edith Stein,
       Lebens- und Sozialberater

                                                                              Weg – Reise – Sinn

                                                          Der geistige Hintergrund für diesen Beitrag ist
                                                        die Existenzanalyse von Viktor Frankl1, die mich
                                                      seit vielen Jahren begleitet und meinen Religions-
                                                      unterricht wesentlich geprägt und bereichert hat.

                                   Der Begriff „Sinn“ ist ein komplexer und schil-    tire‘ die Bedeutung von „fühlen“. Jemand, der
                                   lernder Grundbegriff der Geisteswissenschaft       den Sinn von etwas sucht, schlägt eine Rich-
   Wer den Sinn von
                                   und durch zahlreiche Bedeutungen gekenn-           tung ein, er sucht einen Weg oder eine Fährte.
‚etwas‘ sucht, schlägt
                                   zeichnet.2
   eine Richtung ein,
                                                                                      Viktor Frankl, der Begründer von Logotherapie
  er sucht einen Weg               Ein Blick in seine Etymologie3 ist aufschluss-     und Existenzanalyse, stellt die beiden Begrif-
     oder eine Fährte.             reich und kann zum besseren Verständnis bei-       fe „Sinn“ und „Wert“ in einen tiefen Zusam-
                                   tragen. Das Wort „Sinn“, mittel- und althoch-      menhang: „Den Sinn des Daseins erfüllen wir
                                   deutsch ‚sin‘, entwickelte sich vermutlich aus     – unser Dasein erfüllen wir mit Sinn – alle-
                                   dem indogermanischen ‚sent‘, was so viel           mal dadurch, dass wir Werte verwirklichen.“4
                                   wie „gehen, reisen, fahren“ bedeutet, und          Sinn-Erfahrung ist für Frankl die Folge von ei-
                                   wurde im Althochdeutschen zu ‚sinnan‘, das         nem realisierten Wert; Sinn lässt sich nicht „ma-
                                   für „reisen, streben, trachten“ steht. „Sinn“ in   chen“, es ist ein „Geschenk“, ihn erfahren zu
                                   dieser ursprünglichen Bedeutung steht somit        dürfen: Ein Wert konnte verwirklicht werden;
                                   für „Gang, Reise, Weg“ und weist auf etwas         dadurch hat sich mir ein Weg, ein ‚sinnan‘ er-
                                   Dynamisches hin. Interessant ist auch der Zu-      öffnet. Wenn Werte nicht verwirklicht werden,
                                   sammenhang mit dem Wort „Gesinde“, das             dann besteht die Gefahr, so ein wesentlicher
                                   sich aus dem Althochdeutschen ‚gisind‘ oder        Aspekt in der Logotherapie, dass der betrof-
                                   ‚gisindo‘ herleitet: Es benennt einen Gefährten,   fene Mensch in ein „existentielles Vakuum“5
                                   einen Diener, der mitfährt bzw. mitgeht. Eine      gerät: Dann sind ihm die Wege versperrt, Fähr-
                                   übertragene Bedeutung erfährt das althoch-         ten können nicht mehr gefunden werden, die
                                   deutsche Wort ‚sin‘, wenn man an das neu-          schmerzhafte Empfindung von Aus-WEG-lo-
                                   hochdeutsche „sinnen“ oder „nach-sinnen“           sigkeit kann zur quälenden Erfahrung von
                                   denkt, also etwas geistig verfolgen oder einer     Sinn-losigkeit führen. „Menschen und Systeme
                                   Sache geistig nachgehen. Das lateinische Wort      im existenziellen Vakuum sind hochgradig an-
                                   ‚sentire‘ meinte ursprünglich „einer Richtung      fällig für alle möglichen Fehlentwicklungen“6,
                                   nachgehen“ bzw. „eine Richtung verfolgen“.         so beschreibt es der Psychotherapeut Günter
                                   Erst später entwickelte sich aus dem Wort ‚sen-    Funke.

10
Wertberührung – Wertverwirklichung –              gehen, brauche ich u.a. genügend Zeit. Habe
Sinnerfahrung                                     ich die Zeit oder nicht? Nehme ich mir die
Zu den dynamischen Größen „Sinn“ und              Zeit oder nicht? Habe ich die nötigen „Mittel“,                                Zum Wesen bzw. zur
„Wert“ kommt für die Existenzanalyse noch ein     diesen Weg zu gehen? Bin ich bereit, andere                                    Würde des Menschen
dritter Aspekt hinzu: die Eigenverantwortung.     Wege dafür nicht zu gehen? Ist mir bewusst,                                    gehört, (an-)gefragt zu
Im eigenen Verantworten von ‚etwas‘ liegt ein     dass ich durch das Gehen des einen Weges                                       sein und authentisch
Kern vom Wesen des Menschen, ein Kern sei-        andere Werte nicht verwirklichen kann? Ist mit                                 antworten zu können.
ner Würde: Verantwortung bedeutet nicht –         klar, dass ich eventuell auch jemanden verlet-
wenn man vom Wortstamm ausgeht – Pflicht-         ze, indem ich diesen und nicht einen anderen
erfüllung, sondern sie resultiert aus der „Ant-   Weg gehe? Die Beantwortung all dieser und
wort“ auf eine „Frage“. Zum Wesen bzw. zur        noch vieler weiterer Fragen in größtmöglicher
Würde des Menschen gehört es laut Frankl,         „Eigenverantwortung“ ist für Frankl die Vo-
(an-)gefragt zu sein und authentisch antwor-      raussetzung für einen der vielen möglichen
ten zu können. Mit „Frage“ ist hier nicht ein     „Wege zum Sinn“.
ausgesprochener Satz gemeint, der mit einem
Fragezeichen versehen ist, sondern das Ange-
fragt-Sein durch das Leben selbst: Das Leben
„fragt“ uns immer „etwas“, und es erwartet von
uns immer eine „Antwort“ bzw. eine Stellung-      1 Vgl. FRANKL, Viktor E.: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse.
nahme. Jeder Antwort gehen, so hat es bereits       Frankfurt am Main 1997.
                                                  2 Vgl. SANDKÜHLER, Hans Jörg (Hg): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften,
Max Scheler formuliert7, ein Wert-Fühlen und        1991, S. 283.
eine Wert-Berührung voraus. Werte berühren        3 KLUGE, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache.
                                                    Berlin/New York 1975, S. 709.
uns, sie müssen gefühlt werden (‚sentire‘), und   4 FRANKL, Viktor E.: Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie.
                                                    Bern 1998, S. 202.
jedes Fühlen ist die Resonanz auf einen Wert.     5 FRANKL, Viktor E.: Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie.
Zur Resonanz kommt es durch die Verbindung          Bern 1998. S. 11.
                                                  6 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=Wz_hv603HvU
von Wert und Sinn im Horizont der uns vorge-        Vortrag von Günter Funke: „Führen mit Werten und Sinn“.
                                                  7 Vgl. SCHELER, Max: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der
gebenen Welt-Bedingungen: Ein Weg hat sich          Grundlegung eines ethischen Personalismus. In: Manfred Frings (Hg.): Max Scheler. Gesammelte
mir eröffnet (‚sinnan‘), und um diesen Weg zu       Werke. Bd. 7. durchgesehene u. überarbeitete Auflage. Bonn 2000, S. 262.

                                                                                                                                                     11
Glaubens-
                                   Andreas Liebl,
                                   Tiroler Fachberufe
                                   für Holztechnik Absam
                                                         ;
                                   KPH Edith Stein

   Bekenntnisse
                                                                                                                ummel,
                                                                                                     Angelika H nsbruck
                                                                                                             Au , In
   Gerade wird uns frisch
                           gebackene Pizza servie                                                    BRG in
  Ich sitze mit einer Grup                          rt.
                           pe junger Zimmerer in
  einem Lokal beim WiFi.
                            Jetzt endlich - im No-
  vember - dürfen sie ihr
                          en Lehrabschluss ableg                                                                                 er als
  eigentlich war dies sch                          en;                                                     r,   s o ndern eh
                                                                                                eil ig e                              byist
                          on im Frühjahr geplant.
                                                                       ls  s tr a h lender H                    e n s c  h und Lob
                                                             Nicht   a                                   tm
                                                                                           er, Mach                             erschei-
 Wir sinnieren, was ein                                        m tr ie b ig er Manag              2   1 .   Ja  h rhundert
                        en Zimmerer ausmach                  u                            ius im
                                               t:                          us Canis
 Nicht nur das Gelernte
                         ist entscheidend, sond               mag Petr
 auch die Liebe zum Be                           ern
                        ruf. Arbeite ich nur als              nen.                                                                    Blick
 Zimmerer oder bin ich                                                                                         e it e r  B lick, ein
                                                                                                           w
                        ein Zimmerer?                                                       ich ein z                           as mein
                                                                              h lohnt s                           Vieles, w
                                                               Und doc                      nW   u rz  e   ln  .
                                                                                                                                  at, wofür
 Alle haben ihre Pizza vo                                                e in  e eigene                      B   e d eutung h
                                                               a u f  m                        rm    ic h                             n eines
 zigt sich der Lehrling mi
                               r sich stehen. Da bekre
                                                       u-                  p  rä  gt und fü                      a u  f  d as Wirke
                                                                Le  b e n                       ht au     c  h                        Mitbrü-
 nis! Es ist ganz still – ein
                              r gegenüber. Ein Beke
                                                     nnt-              d a n  k  b a r bin, ge                it e n   u n d seiner
                                kurzer Atem des Dank            ich                           hen Jesu
                                                      es                          n deutsc
 geht durch die Gruppe
                           . – Und ich überlege für              der erste
                                                                                  ck.
mich: Arbeite ich nur als                                         der zurü                                                              . Bil-
ich ein Religionslehrer...
                               Religionslehrer oder bin
                                                                                                             e  g ri ff  B ildung ein
                                                                                                      rB                                  ng,
                            ?
                                                                             ll t m   ir zuerst de               m    u  n d Entwicklu
                                                                    Da    fä                      achstu                             eit über
                                                                                      öglicht W                         ie Welt, w
                                                                     dung erm                    Sic  h   t  a  u f  d
                                                                                                                                     chen
                                                                     eine offe
                                                                                     ne, freie              d  ie   N  ie derländis
                                                                                                    nd
                                                                                        r Berge u
                                                                      die Tirole               …
                                                                                       hinaus
                                                                      Dämme
-Wege...
                                                                                                                        inger,
                                                                                                         Judith Jetz rin für
                                                                                                                     e k to
                                                                                                         Fachinsp          Religion
                                                                                                               o lis c h e
                                                                                                          Kath

                                                                                                                                     Bus -
                                                                                                    st e ig  e    ic h in den
                                                                                              Tag
                                                                                m langen
                                                               Nach eine                             üde“.
                                                                        e n k  li c h u nd „kopfm
    Bekennen                                                   nachd
                                                                                                                                     ie zu –
                                                                                                      t  e in  e   ju nge Famil
                                                                                               ste ig                                     nd.
                                                                    rz  v o  r  d  er Abfahrt              n   B   u b e n   an der Ha
                                                                K u                           m kleine
    Zweite Klasse Volkssch
                                                                                  pa mit de                                        ine Mäd-
                                ule: Die Kinder berei
                                                           -    Mama, Pa                             e rw   a g  e  n das kle
    ten sich in der Pfarre un                                                                 Kin  d                                       un-
                                d in der Schule auf die                v o ll   b epackten                 e s   M   ä d c h ens lugen
                                                                 Im                             ugen d
    Erstkommunion vor. An
                                                                                    wachen A                                         vierjähri-
                               na ist mit Begeisterun
                                                         g        chen. Die                         h e rv   o r.    Der etwa
    dabei – als nicht getau                                                                      e                                         gen
                              ftes Kind. Ihr Vater, ein              r d  e r  w   a rmen Mütz                d  a  ss  d  e r  Kinderwa
                                                                  te                            chtlich    ,
   Kirchenskeptiker, wo
                                                                                    eut sich si                                      zwischen
                           llte ihr die Wahlfreihe
                                                        it         ge Bub fr                          h a t.   U   n d dass er
   erhalten und sie späte
                                                                                      n Parkpla
                                                                                                 tz                                        aben
                            r selber entscheiden las
                                                         -         einen gute                               z p   la tz  fi n det. Alle h
   sen, wohin es sie zieht.                                                                       en Sit                               gefüllten
                               Und es kommt, wie er                                   Mama sein                        ig im halb
   befürchtet hat: Anna mö                                          Papa und                     ist re  c h  t  ru  h
                                                                                                                                         hinein:
                               chte unbedingt getauft                                 quem. Es                              die Stille
   werden und mit allen                                             es jetzt be                   leine      B   u b   in
                             zur Erstkommunion ge                                      agt der k
  hen. Ihre Mutter wollte                              -             Bus. Da fr                     er Gott?“
                              sicher sein, dass Anna                                    ist denn d
  sich nicht unter Druck                                              „Papa, wo
                            fühlt, und beruhigte sie                                                                                       öre zu.
  „Willst du das wirklich                              :
                                                                                                             p   f  w  a c h   und ich h
                               unbedingt? Du musst                                       ein müde
                                                                                                     r Ko                               er Gott ist
 nicht zur Taufe gehen,                                                Da wird m                            n d    sa  g t dann: „D
                            du kannst auch so ein
                                                                                         denkt nac
                                                                                                     h   u                                  in den
 Freundin von Jesus sei                              e
                                                                        Der Papa                                   d  e n   B e rgen und
                         n.“ – Annas Antwort: „Ic                                                       n, in                          nd in mir
                                                                                                                                                  !“
                                                    h                                      den Tiere                     h in dir u
 will aber nicht nur eine
                           Freundin von Jesus ble                        überall, in                   tt  is  t   a u c
                                                    i-                                       Der Go                                 r nach.
 ben. Ich will sein Kind
                          sein.“                                         Blumen. …                  b   u n  d   d  enkt weite
                                                                                          t der B u
                                                                          „Aso“, sag
 Die achtjährige Anna
                        hat viel davon begriffe
 dass Jesus uns seine                           n,
                         Brüder und Schweste
 nennt. Das ist mehr als                       rn
                         eine Freundschaft.
                                                                                                   Bischof
                                                                                                           Kla
                                                                                                  (1929-1 us Hemmerle
                                                                                                           994)

                                                                Wenn K
                                                                         irche Er
                                                                Gott wü           zählgem
                                                                        rde, dan           einscha
                                                                                 n  könnte         ft von
                                                               etwas g                      sie der
                                                                       eben, w                       Welt
                                                               ben kön         as ande
                                                                       nen.             re ihr n
                                                                                                 icht ge-
Giulia Trentinaglia, MEd
       Lehrerin an der Volksschule
                Matrei am Brenner

                                               Resilienz –
                                               Stärken-Fokussierung und
                                               nachhaltige Förderung der Kinder

                                     Giulia, du hast im Sommersemester 2020           Du hast dich mit „Transition“ und mit
                                     das „Masterstudium Lehramt Primarstufe“          „Gelingensbedingungen für positive Tran-
 Die positiven Dinge,                an der KPH Edith Stein in Stams abgeschlos-      sitionserfahrungen“ beschäftigt. Kannst du
       die Kinder gut                sen und bist seit dem Schuljahr 2020/21          uns einen Einblick geben, der sozusagen als
 können, sollen wir in               als Lehrerin einer ersten Klasse Volksschule     „Quintessenz“ deiner Forschung verstan-
der Schule verstärken.               tätig. In deiner Masterarbeit hast du dich       den werden kann?
                                     mit „Resilienz als Gelingensbedingung für        Ich beschäftige mich schon seit zwei Jah-
                                     positive Transitionserfahrungen vom Kin-         ren mit dem Thema „Transition“, bereits im
                                     dergarten in die Volksschule“ befasst. Nun       Rahmen meiner Bachelorarbeit und dann in
                                     kannst du deine dabei gewonnenen theore-         meiner Masterarbeit. Dabei ist klar heraus-
                                     tischen Erkenntnisse in deine Berufspraxis       gekommen, wie wichtig die Zusammenar-
                                     einbringen und in deiner Klasse für eine         beit all jener ist, die für die Kinder zuständig
                                     bestmögliche Übergangs- und Schulan-             sind: Eltern, Kindergartenpädagog*innen,
                                     fangsphasenbegleitung der Kinder sorgen.         Lehrer*innen, Direktor*in. Wenn Kinder z.B.
                                     Was ist nach deinem Berufseinstieg das Erste,    zu Hause ganz andere Werte mitbekommen
                                     das dir zum Begriff „Resilienz“ einfällt?        als in der Schule, dann kennen sie sich nicht
                                     Beim Wort „Resilienz“ fällt mir als Erstes die   mehr aus und können nicht so gut gefördert
                                     Stärken-Fokussierung ein. Wir haben vor          werden. Ein nachhaltiges Stärken der Kin-
                                     Kurzem im Volksschul-Kollegium darüber           der braucht diese Zusammenarbeit aller. Oft
                                     gesprochen, dass in der Gesellschaft eher        geht es um „banale“ Dinge: Kinder in All-
                                     mehr auf Fehler geschaut wird und auf Sa-        tagsentscheidungen miteinbeziehen; prakti-
                                     chen, die nicht gelingen oder die nicht „nor-    sche Lebenskompetenzen stärken und för-
                                     mal“ sind, anstatt auf die Dinge zu schauen,     dern; Vertrauen entgegenbringen; sie ganz
                                     die gut gelingen. „Stärken-Fokussierung“         einfach etwas „machen lassen“. Wichtig sind
                                     bedeutet zu fragen, was ein Kind gut kann:       auch altersgemäße Sprech- und Umgangs-
                                     Für mich ist das eine Lebenseinstellung,         weisen der Erwachsenen mit Kindern, die
                                     eine Haltung als Lehrerin. Die positiven         Wertschätzung gegenüber Kindern: die Per-
                                     Dinge, die Kinder gut können, sollen wir in      son „hinter“ dem Kind zu sehen.
                                     der Schule verstärken, damit die Kinder sich
                                     noch besser entwickeln und entfalten kön-
                                     nen. Das verbinde ich mit Resilienz.

 14
Welche Bedeutung hat Resilienz in der           Du beschreibst in deiner Masterarbeit „Re-
Volksschule?                                    silienzfaktoren als personale Ressourcen“ –
                                                                                                 Es geht immer
Die Bedeutung von Resilienz in der Volks-       kannst du uns einige dieser Faktoren nennen?
schule unterscheidet sich kaum von jener        Hier geht es um unterstützende „Schutzfak-       darum, Entwicklungs-
im Kindergarten oder von Zuhause: Es geht       toren“ im Gegensatz zu hemmenden „Risi-          aufgaben positiv zu
immer darum, Entwicklungsaufgaben posi-         kofaktoren“. Zu den Schutzfaktoren gehören       bewältigen.
tiv zu bewältigen. Die Aufgaben selbst un-      personale und soziale Ressourcen. Folgende
terscheiden sich selbstverständlich; in der     sechs Resilienzfaktoren gehören zu den per-
Schule geht es zum Beispiel um die Iden-        sonalen Schutzfaktoren:
tifizierung mit der je eigenen Geschlechter-
rolle; es geht darum, die eigene Identität zu   1.   Selbst- und Fremdwahrnehmung –
finden, mit der neuen Umgebung zurecht-              zur Entwicklung eines realitätsnahen,
zukommen, neue Beziehungen aufzubauen                möglichst positiven Selbstbilds
und schulische Anforderungen bewältigen
zu können. Wenn Resilienzfaktoren schon         2.   Selbststeuerung und Selbstregulation –
vorher gestärkt wurden, tun sich die Kinder          zur Kontrolle über das eigene Handeln
leichter, mit den neuen Anforderungen gut            und die eigenen Gefühle; nicht zuletzt,
umzugehen.                                           um Überforderung zu vermeiden

Welchen Beitrag kannst du als Lehrerin zur      3.   Soziale Kompetenzen – Kontakte auf-
Stärkung resilienter Fähigkeiten bei deinen          bauen und pflegen können
Schüler*innen leisten?
Besonders wichtig ist mir die Beziehungs-       4.   Problemlösefähigkeit – an Probleme
ebene. Ich glaube, sie ist der wichtigste            herangehen durch immer wieder Pro-
Schutzfaktor für den Übergang vom Kin-               bieren-Dürfen
dergarten in die Volksschule – was sich so-
wohl in den von mir geführten Interviews        5.   Selbstwirksamkeit und Selbstwirksam-
als auch in der Fachliteratur bestätigt hat.         keitserwartung – ein Wissen um die
Gute Beziehung bedeutet u.a.: Wenn Kinder            Konsequenzen des eigenen Handelns
einen Fehler machen, mag sie die Lehrper-
son trotzdem und zeigt das auch. Beziehung      6.   Adaptive Bewältigungskompetenz –
und Leistung zu unterscheiden, ist für Kin-          eine gute Regulation im Umgang mit
der und für mich sehr wichtig; wir können            Stress
über alles sprechen unabhängig davon, was
vorgefallen ist.                                Damit ergibt sich die nächste Frage praktisch
                                                von selbst: Welche sind die wichtigsten Risi-
                                                                                                 Die eigentlichen
Ein zweiter Beitrag ist die Wertschätzung       kofaktoren – verbunden mit der Frage: Wie
den Kindern gegenüber, ein wertschätzen-        können Lehrer*innen damit gut umgehen?           Risikofaktoren liegen
der Umgang mit ihnen, der zu einem wert-        Die eigentlichen Risikofaktoren liegen meist     meist im Bereich von
schätzenden Umgang unter den Kindern            im Bereich von Familie: Kriminalität, Gewalt,    Familie: Kriminalität,
viel beitragen kann. Ein dritter Beitrag be-    jede Art von Missbrauch, Verlust einer wichti-   Gewalt, jede Art von
steht darin, den Kindern etwas zuzutrauen,      gen Bezugsperson, Angst. Ein gutes Umgehen       Missbrauch, Verlust
indem man sie etwas probieren lässt und ih-     damit als Lehrperson braucht die Zusammen-       einer wichtigen Bezugs-
nen nicht alles „vorkaut“. Durch das Auspro-    arbeit – wenn möglich – mit den Eltern und       person und Angst.
bieren lernen Kinder „nebenbei“ noch viele      / oder mit anderen Unterstützungssystemen.
Lebenskompetenzen. Ein vierter Beitrag ist      Die gute Beziehung zum Kind ist – wie be-
das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen:         reits erwähnt – auch hier von großer Be-
Kinder sollen erfahren, dass das eigene Tun
Wirkung zeigt; das schafft Vertrauen in eige-
ne Fähigkeiten.
                                                deutung, sodass man eventuell die fehlende
                                                Bezugsperson von Zuhause ersetzen kann.
                                                Wenn die Zusammenarbeit mit den Eltern           o
                                                                                                                   15
nicht möglich ist, weil etwa von dort die      Gibt es etwas, was dich beim Studium der
     Gewalt ausgeht, dann ist es umso wichtiger,    Literatur über die in den letzten Jahren
     dem Kind Stabilität zu vermitteln und über     entstandene Resilienzforschung überrascht
     diverse Unterstützungssysteme Bescheid zu      hat?
     wissen.                                        Ja, etwas hat mich überrascht, das war
                                                    für mich geradezu der ausschlaggebende
     Im schulischen Kontext wird viel über          Punkt, mich mehr mit dem Thema Resilienz
     „Kompetenzen“ gesprochen. Siehst du ei-        zu beschäftigen: Wissenschaftler haben he-
     nen Zusammenhang zwischen den in den           rausgefunden, dass eine einzige Bezugsper-
     Lehrplänen genannten Kompetenzen und           son ausreicht, damit Kinder positiv mit ihren
     den „Lebenskompetenzen“, die die seelische     Entwicklungsaufgaben umgehen können.
     Widerstandskraft von Kindern – also deren      Die Beziehung zu dieser einen Person kann
     Resilienz – betrifft?                          sogar schlechte familiäre Verhältnisse aus-
     Das ist eine gute Frage, über die ich schon    gleichen. Das hat mich inspiriert, dass eine
     oft nachgedacht habe. Ich finde, dass die in   Person das Leben eines Kindes ändern bzw.
     den Lehrplänen genannten Kompetenzen           positiv beeinflussen kann. Das bringt auch
     immer „ausgelegt“ werden müssen, wie man       zum Ausdruck, wie wichtig der Lehrberuf
     etwas umsetzt. Es steht wohl drinnen, was      ist: Ich als Lehrerin kann diese eine Bezugs-
     Kinder können und erwerben sollen – wie        person sein.
     sie dazu kommen, wie das umgesetzt wird,
     müssen die Lehrer*innen selbst entscheiden;    Giulia, danke für das Gespräch!
     es ist deren Auslegungssache. Mir ist zum
     Beispiel das Praktische im Unterricht sehr
     wichtig; da lernen die Kinder am meisten.
     Beim spielerischen Erarbeiten eines Themas
     erwerben die Kinder die Lehrplankompe-
     tenzen und zusätzlich Lebenskompetenzen,
     die sie im täglichen Leben brauchen.           Dieses Interview führte Joachim Hawel.

16
Gudrun Walter, Dr.,
                                                                                                Ordinariatskanzlerin
                                                                                                der Diözese Innsbruck

Weggefährtin / Weggefährte
sein …

Seit Kindesbeinen an liebe ich Sport und       Berufstätigkeit blieb zum Wandern kaum
Bewegung. Die Leidenschaft zum Wandern         mehr Zeit. Vor drei Jahren hat mich dann
habe ich immer in mir gehabt. Zum endgül-      eine Freundin angesprochen, sie auf „spi-
tigen Durchbruch gekommen ist diese Be-        rituellen Bergtagen“ zu begleiten. Das war
geisterung durch die Angebote, die es früher   der Neubeginn meiner durch all die All-
bei der „Katholischen SchülerInnen Jugend“     tagsnotwendigkeiten verschütteten Leiden-
der Diözese Linz gab. Im Sommer 1985 er-       schaft. Ich habe bei diesen Bergtagen von
wanderten wir als eine Gruppe Jugendlicher     der Möglichkeit einer Ausbildung zur Berg-
den GR 20 auf Korsika – beladen mit schwe-     wanderführerin erfahren und wusste mit
ren Rucksäcken sind wir durch eine damals      absoluter Gewissheit: Das will ich machen!
noch sehr unberührte Natur marschiert, ha-     Und seit letztem Jahr bin ich ausgebildete
ben in ganz einfachen Hütten oder auf Bi-      Bergwanderführerin! Heuer im Juli biete ich
wak-Plätzen übernachtet. Fasziniert hat mich   schon zwei Wanderwochen an – und hoffe,
von Anfang an die Qualität der miteinander     dass die TeilnehmerInnen diese ungeheure
verbrachten Zeit. Im gemeinsamen Gehen         Freude am gemeinsamen Gehen und die
wurden wir zu Weggefährten und Wegge-          Wohltat des Wanderns für Körper und Seele
fährtinnen, in lebendigen Unterhaltungen       verspüren werden, die mich so stärkt und
haben wir uns über unsere damaligen            bereichert. Vor allem erfahren sie hoffentlich
Freunde, Sorgen und Erlebnisse ausge-          auch, was es bedeutet, eine gute Wegge-
tauscht. Auch im gemeinsamen Schweigen         fährtin / ein guter Weggefährte zu sein bzw.
auf anstrengenden Wegabschnitten haben         eine / einen solchen zu haben.
wir einander gut kennengelernt. Diese erste
Weitwanderung war die prägendste Erfahrung     Je älter ich werde, umso wertvoller empfin-
meiner Jugend. Zahlreiche weitere Weitwan-     de ich das gemeinsame Unterwegssein – die
derungen in Spanien, Frankreich und Nor-       Ruhe der Natur, die überwältigenden Aus-
wegen folgten…                                 blicke von herrlichen Gipfeln, die aufmerk-
                                               same entgegengestreckte Hand an einer
Diese Lust am gemeinsamen Gehen hat            schwierigen Stelle, den Austausch von Le-
mich nie mehr verlassen. Im Studium habe       benserfahrungen, die köstliche Gipfeljause
ich sie in Form von vielen Wanderungen,        und vor allem die Relativierung von vielen
Berg- und Schitouren ausgelebt. Dann kam       Alltagsbanalitäten angesichts der überwälti-
der Einstieg ins Berufsleben und mit der       genden Schönheit der Bergwelt!
Gründung der Familie, drei Kindern und

                                                                                                                        17
Die Geschichten
                                                                        von Gott und den Menschen
                   Lea Ströhle, MA
            Pastoralassistentin und
         Seelsorgerin in Ausbildung
             (Pfarre Rum St. Georg
              und Hospizhaus Hall)

                                      Seit ich mich erinnern kann, spielen Geschich-   innere Bilder und eine emotionale Reaktion
                                      ten in meinem Leben eine wichtige Rolle.         bei den Zuhörenden entstehen. Durch die
   Gute Geschichten                   Meine Mama lebt uns die Liebe zu Büchern         Erzählung fühlt man sich in eine andere
 lassen innere Bilder                 vor und ich erinnere mich auch gerne an          Welt versetzt, identifiziert sich mit der Per-
und eine emotionale                   die Gute-Nacht-Geschichten vom schlauen          son und erlebt ihre Geschichte fast so, als
Reaktion entstehen.                   Heinrich, die mein Papa meinen Brüdern           wäre man sie selber.
                                      und mir – im Bett sitzend – erzählt hat. Als
                                      ich lesen lernte, wurde das zu einer mei-        Religionen kennen die Kraft von Geschich-
                                      ner liebsten Beschäftigungen. In meinem          ten und geben ihre Glaubensinhalte und
                                      Theologiestudium, aber auch im Privatleben       ihre eigene Sicht auf ihre Gemeinschaft
                                      wurde mir immer deutlicher, wie präsent          der Glaubenden (unter anderem) erzähle-
                                      Geschichten in unseren Leben sind. Ich be-       risch weiter. Im Christentum berichten das
                                      obachtete außerdem an mir selbst, dass ich       Alte und das Neue Testament von Gott und
                                      mir fachliche Inhalte besser merken kann,        seinen Erfahrungen mit Menschen, von de-
                                      wenn Beispiele dazu erzählt werden. Mein         ren Gemeinschaft untereinander, ihren Le-
                                      Mathematiklehrer gab uns zum Beispiel im-        bensumständen und Schwierigkeiten. Jesus
                                      mer wieder Aufgaben, die in meinem Kopf          erzählt immer wieder Geschichten, die ein
                                      verschiedene Vorstellungen von Handlun-          Gleichnis von Gott oder dem Reich Gottes
                                      gen auslösten. Eine war die Frage, wie hoch      sind. In der Liturgie werden die biblischen
                                      der Ballon fliegen muss, um die versteckte       Texte weitergegeben, aber auch die liturgi-
                                      Bergspitze sehen zu können. So konnte ich        schen Texte und Handlungen selbst erzäh-
                                      mir die mathematischen Formeln besser ein-       len von Gott. Beispielsweise wird im Hoch-
                                      prägen und wusste, wie ich sie anwenden          gebet „erzählt“ und auch gezeigt, was Jesus
                                      kann.                                            beim Letzten Abendmahl tat und sagte.

                                      Die Weitergabe von Wissen, Erfahrungen und       Die Geschichten der Menschen mit Gott sind
                                      Erklärungen wird vermutlich in Geschich-         immer eine besondere Art von Geschichten.
     Religionen kennen                ten verpackt, seit die Menschen miteinander      Auf sie ist die Kirche aufgebaut. Jede und
           die Kraft von              kommunizieren – Social Media sind ja eine        jeder hat ihre und seine eigene Geschichte
           Geschichten.               neue Erscheinung, während das Hören und          mit Gott, mit der wir uns in unserem Glau-
                                      Sprechen schon seit Jahrtausenden mög-           ben auseinandersetzen können. Anderen
                                      lich ist. Geschichten haben eine informative     Menschen von Gott zu erzählen bedeutet,
                                      oder kommunikative Funktion, wenn Infor-         auch aus einer Biografie zu erzählen, da die
                                      mationen weitergeben werden. Sie können          Gotteserfahrungen immer mit den Lebens-
                                      auch unseren Horizont erweitern, Orientie-       geschichten verknüpft sind. Auf diese Art
                                      rung und Leitung geben, Gemeinschaft und         kann der Glaube weitergegeben werden.
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Das Christentum hat nicht den Anspruch,         weitergegeben, etwa von Heiligenviten oder
möglichst vorbildhafte, glatte Geschichten      in Zeugnissen. Jede Geschichte berichtet da-
zu erzählen – sie würden uns langweilen.        bei von einem individuellen Glaubensweg.        Das Christentum
Stattdessen gibt es die Erfahrungen, die wir                                                    hat nicht den
aus unserem eigenen Leben kennen, auch          Die Erzählungen des Christentums helfen         Anspruch, möglichst
in den Glaubensgeschichten anderer, etwa        uns, unsere eigenen Glaubensüberzeugun-         vorbildhafte, glatte
Verrat, Naturkatastrophen, Zweifel, Ängste,     gen zu finden oder zu verdeutlichen – wie       Geschichten zu er-
Veränderungen, treue Freundschaft und Zu-       hätte ich als Noah gehandelt? Sie fordern uns   zählen – sie würden
sammenhalt. Auch von Menschen wie Sara,         heraus – wie hätte ich im Tempel reagiert,      uns langweilen.
die über die Pläne Gottes lacht, Ijob, der      wenn Jesus die Tische umwirft? Sie bringen
Gott Vorwürfe macht, Paulus, der eine Cha-      uns zum Nachdenken – wie gehe ich mit
rakterwandlung um 180 Grad macht, oder          unglaublichen Nachrichten um? Alle unter-
Simon Petrus, der aus Angst seine Verbin-       schiedlichen Wege, die wir durch andere
dung mit Jesus leugnet, wird erzählt. Auch      kennen oder selbst erfahren haben, sind mit
Petrus Canisius war jemand, der sich inner-     ihren Problemen, Fragen, Erfolgen und Ant-
halb seiner eigenen Lebensgeschichte, sei-      worten in der kirchlichen Gemeinschaft zu       Anderen Menschen
ner Gesellschaft und den vorherrschenden        finden und sind mit ihren Facetten wertvoll     von Gott zu erzählen
Vorstellungen seiner Zeit bewegte. Trotz der    für andere. Als Gemeinschaft von Glauben-       bedeutet, auch aus
Ecken und Kanten dieser Menschen – oder         den dürfen wir sie weitererzählen, uns so       einer Biografie zu
eher gerade darum – kann durch diese Er-        gegenseitig Stütze und Zeugnis geben und        erzählen.
zählungen etwas weitergegeben werden, das       uns davon von Gott begleitet wissen.
für unser eigenes Leben relevant sein kann.

Religionspädagog*innen haben mit diesen
Geschichten von unterschiedlichsten Men-
schen und ihren Beziehungen zu Gott einen
großen Schatz, auf den sie zurückgreifen
können. Die Erzählungen können helfen,
die Botschaft Jesu für Kinder (und natürlich
auch für Erwachsene) zu „entschlüsseln“.
Sie stehen damit in der Tradition der Kirche,
von der es schon beim sogenannten Apos-
telkonzil in Jerusalem heißt: „Sie erzählten
alles, was Gott mit ihnen zusammen getan
hatte“ (Apg 15,4). Neben den Geschichten
unserer kanonisierten christlichen Bibel
wurden zusätzlich dazu andere Erzählungen

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