Be_kennen - Interview mit Petrus Canisius Den Glauben immer neu bezeugen - Diözese Innsbruck
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Ausgabe 01/2021 | 33. Jahrgang, März 2021 be_kennen Interview mit Petrus Canisius Resilienz Den Glauben immer Stärken-Fokussierung und neu bezeugen nachhaltige Förderung der Kinder
INhalt 3 Maria Plankensteiner-Spiegel VORWORT Petrus Canisius im Interview 4 Den Glauben immer neu bezeugen Sabine Schöffauer & Maria Plankensteiner-Spiegel 7 Was Schuhe erzählen Mathias Moosbrugger 8 Petrus Canisius: Ein heiliges Leben? Joachim Hawel 10 ‚sinnan‘: Weg – Reise – Sinn Blitzlichter 12 Glaubens-Wege... Giulia Trentinaglia im Interview Resilienz – Stärken-Fokussierung und nachhaltige 14 Förderung der Kinder Gudrun Walter 17 Weggefährtin / Weggefährte sein… Lea Ströhle 18 Die Geschichten von Gott und den Menschen Bernhard Lammer 20 AV-Medienstelle Schul_Leben 22 Was mein Schulleben bereichert 23 Personalia und Impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin / des Autors wieder und müssen nicht der Meinung der Herausgeber entsprechen. Die Nennung bei den Personalia erfolgt mit Einverständnis der Genannten. 2
Verehrte Kolleginnen Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag., Leiterin des Bischöflichen Schulamtes und Kollegen! Eine Freundin hat mir einmal ein Blechschild Giulia Trentinaglia widmet sich in ihrem geschenkt, auf dem steht: „I can do anything Text einer ganz entscheidenden Weg-Phase with the right shoes“. Und hat damit meine im Leben von Kindern: die vom Kindergar- Liebe zu Schuhen ironisch-humorvoll kom- ten in die Volksschule. Sie benennt Fakto- mentiert. ren, die Kinder in diesem Übergang stärken können. Kinder und Erwachsene durch Wer freilich schon einmal länger mit den Geschichten auf einen neuen Weg mitzu- falschen oder drückenden Schuhen unter- nehmen, ist eine Menschheitstradition. Lea wegs war, weiß, wie viel Richtiges in diesem Ströhle zeigt dieses wesentliche Element un- Spruch steckt. Denn die schönste Stadt oder serer Glaubenstradition auf. der wunderbarste Wanderweg kann einem verleiden, wenn der Schmerz an den Füßen Eine weitere sehr konkrete Schuh-Ebene die vorherrschende Wahrnehmung ist. bringt ein Gespräch mit einer Schusterin in dieses Heft. Sich die richtigen Schuhe an- Das Thema Unterwegssein, Sinn und Wege zuziehen für den eigenen Weg – es ist über suchen für die eigene Überzeugung steht im die Wahl des Schuhwerkes hinaus eine An- Mittelpunkt des ersten Heftes im Petrus Ca- regung dazu, die richtigen Entscheidungen nisius-Jahr. Wir haben uns für dieses ÖKUM zu treffen. Und eine Aufforderung, be-weg- anregen lassen vom Bild seiner Schuhe, die in lich zu bleiben. der Canisius-Kirche in der Molenstraat in Nim- wegen, seiner Geburtsstadt, aufbewahrt sind. Ich wünsche Ihnen allen „gute Schuhe“ für die Herausforderungen, die sich uns in diesem Der Patron der Diözese Innsbruck ist eine Frühjahr stellen, und Menschen, die Ihnen sehr vielschichtige und komplexe Gestalt. Weg-Gefährtinnen und Weg-Gefährten sind. Unterschiedliche Facetten seiner Persönlich- keit werden in dieser Ausgabe beleuchtet. Zum Beispiel in einem fiktiven Gespräch mit einem Theologen von heute, Günther Bader. Auch Matthias Moosbrugger benennt Widersprüchlichkeiten der Gestalt des Pe- Maria Plankensteiner-Spiegel trus Canisius und zeigt zugleich, wie bedeu- tend dieser Jesuit des 16. Jahrhunderts den- noch für uns sein kann. Wie Menschen sich tatsächlich auf den Weg machen und darin Neues entdecken, berich- tet Gudrun Walter mit ihrer eigenen Geh-Er- fahrung. Joachim Hawel, selber ebenfalls ein Wanderer, reflektiert die Frage nach dem Sich-auf-den-Weg-Machen im Kontext der Frage nach Sinn, basierend auf Viktor Frankl. 3
Den Glauben immer neu bezeugen Das runde Jubiläum des Innsbrucker Diözesanpatrons ist der Anlass, seine Biografie zu beleuchten und seinen Spuren quer durch Europa zu folgen. Als bedeutende Ge- stalt des Glaubens gibt er Impulse, die bis heute nachwirken. Um seine Anliegen zu verdeutlichen, hat ihn unsere Zeitschrift ÖKUM zu einem Interview gebeten. Petrus Canisius im ÖKUM: Lieber P. Petrus Canisius, wie das Verhandler und Vermittler und – wenn Sie (fiktiven) Interview heute so üblich ist, haben wir zunächst ein- so wollen – eben als ein „Netzwerker“. Dazu anlässlich seines mal „gegoogelt“. Angesichts der Fülle an In- kam meine schriftstellerische Tätigkeit. An- 500. Geburtstags. fos, die wir über Sie erhalten haben, fällt es ders wäre eine weitreichende Glaubensver- uns jetzt schwer, uns auf das Wichtigste zu kündigung zur damaligen Zeit nicht möglich beschränken. Wie können wir da Ihrer Per- gewesen. sönlichkeit einigermaßen gerecht werden? Canisius: Das verstehe ich gut. Es war auch Uns heutigen Europäern fällt sofort Ihre für mich nicht immer leicht, mir ein mög- rege Reisetätigkeit auf, die Sie quer durch lichst „wahrheitsgetreues Bild“ von ande- über den Kontinent geführt hat.Würden Sie ren zu machen – ja nicht einmal von mir sich selbst als einen der ersten Botschafter selbst… Noch dazu, wo wir uns kein „fest- Europas sehen? gefügtes Bild“ machen sollen! Canisius: Wegen meiner zahlreichen Auf- gaben bin ich weit herumgekommen – von Zunächst stellt sich uns also noch die Nimwegen bis Messina, von Löwen bis War- grundlegende Frage, was wir jetzt aus Ihrer schau und von Prag bis Fribourg. Später ha- Lebens- und Glaubensgeschichte „herausho- ben einige Zahlenfreaks das einmal ausge- len“ (gleichsam als Ex-egese) und was wir rechnet und sind anscheinend auf fast 100.000 vielleicht auch aus unserer heutigen Sicht km gekommen. Dazu muss man sagen, dass Unsere „subjektive „hineinlegen“ (im Sinne einer „Eïs-egese“). das Reisen unter den damaligen Umständen Canisius: Eine entscheidende Frage! Denn wesentlich komplizierter und anstrengender Brille“ muss ja nicht bei (Heiligen-)Biografien geschieht dies war; aber ich habe es gerne gemacht… schlecht sein, wenn durchwegs, dass zeitgenössische Deutungen wir uns dessen vorgenommen werden. Selbstverständlich Und als Vorläufer des Europa-Gedankens habe bewusst sind. spiegeln sich in dem, was herausgegriffen ich mich damals natürlich nicht gesehen. Das wird, immer auch aktuelle Vorstellungen ist wohl nachträgliche Interpretation meiner und Anliegen wider. Aber unsere „subjekti- Biografen – obwohl sie damit ja nicht ganz Un- ve Brille“ muss ja nicht schlecht sein, wenn recht haben. Jedenfalls kann ich sagen, dass wir uns dessen bewusst sind. So kann es in- Länder-Grenzen für mich nie eine besondere spirierend sein, mögliche Verbindungslinien Rolle gespielt haben. Im Gegenteil: Mir war zwischen Vergangenheit – Gegenwart – Zu- immer wichtig, in allen diesen Ländern den kunft aufzuzeigen. katholischen Glauben zu festigen. Sie haben ein beeindruckendes Netzwerk ge- Was waren Ihre ersten Stationen und Begeg- schaffen. Heute würde man Sie wohl als ty- nungen, die Sie besonders geprägt haben? pischen „Netzwerker“ bezeichnen, der Sinn Canisius: Ich bin in Nimwegen aufgewach- für Strukturen und Strukturreformen hat. sen, wo mein Vater Bürgermeister war. Nach Canisius: Als Ordensmann, Seelsorger, Pre- seinem Willen sollte ich eigentlich Jurist diger, Lehrer und Katechet, Schriftsteller und werden. Ich hatte eher andere Interessen, Organisator waren meine Aufgabenbereiche sodass ich von 1536 bis 1540 Philosophie sehr vielseitig. Ich war zudem gefordert als und Theologie in Köln studierte. Durch die Ratgeber des Kaisers und von Fürsten, als Kartäuser in Köln war ich auch mit den 4
deutschen Mystikern befasst, die mich fas- aus einer anderen Perspektive beurteilt wird ziniert haben. – damals habe ich das so gesehen. Jeden- Als Vorläufer des falls sind viele zu dieser Zeit wegen schwe- Europa-Gedankens Nachdem ich den Jesuiten Peter Faber ken- rer Missstände in der katholischen Kirche zu habe ich mich damals nengelernt hatte, trat ich 1543 in die Gesell- den Reformatoren übergetreten. In der Folge natürlich nicht schaft Jesu (Societas Jesu) ein. 1546 emp- bemühten sich Kaiser Ferdinand I. und dann fing ich die Priesterweihe. Ein besonderes besonders Erzherzog Ferdinand II. um eine gesehen. Ereignis war für mich, dass ich 1547 an einer Rekatholisierung von Tirol. Deswegen hol- (nach Bologna verlegten) Tagung des Kon- ten sie Jesuiten nach Innsbruck, die von mir zils von Trient teilnehmen konnte. Ignatius als Provinzial angeführt wurden. Übrigens von Loyola, unser Ordensgründer, berief hatte dann 1585 Ferdinand II. sogar verlangt, mich später nach Rom und sandte mich dass jeder Tiroler katholisch ist oder sonst nach Messina. Dort sammelte ich grundle- das Land verlassen muss… gende Erfahrungen im Schulbereich und in religiöser Unterweisung. Nach meiner Pro- So war ich also 1571 als Hofprediger von fess (1549) wurde ich nach Deutschland zu- Erzherzog Ferdinand nach Innsbruck ge- rückgeschickt, um die katholische Reform kommen. Allerdings war dieses Amt, das ich voranzutreiben. bis 1577 ausübte, nicht leicht und mit einigen Konflikten mit dem Erzherzog verbunden… Was waren dann weitere Stationen? Und als Provinzial war ich eben wesentlich Canisius: Auf Wunsch von Herzog Wilhelm an der Errichtung eines Jesuitenkollegs in IV. wurde ich zunächst Professor, Rektor Innsbruck (1562) und in Hall (1569) beteiligt. und Vizekanzler der Universität Ingolstadt. 1552 holte mich König Ferdinand als Hof- 1580 musste ich schließlich schweren Herzens prediger nach Wien und Prag. Von 1556 bis Tirol verlassen. Nach Auseinandersetzungen 1569 war ich dann erster Provinzial der neu mit meinem Nachfolger als Ordensprovinzial errichteten Oberdeutschen Jesuitenprovinz. wurde ich nach Fribourg / Schweiz versetzt. Die Ausbreitung unseres Ordens war mir Aber rückblickend kann ich sagen, dass ich ein großes Anliegen. In diesem Sinn wurden mich zwischen 1560 und 1580 oft und gerne mehrere Jesuitenkollegien – in Wien, Prag, in Tirol aufgehalten habe und von 1571 bis Ingolstadt, Würzburg, Dillingen, München, 1577 ja hauptsächlich hier gewirkt habe. Innsbruck und Hall – gegründet. Parallel dazu war ich in zahlreiche kirchenpolitische Als Botschafter und Vertreter Ihres Ordens Aufträge eingebunden. Dadurch war ich – haben Sie in ganz Europa die Gründung Zeitlebens habe wie schon gesagt – viel unterwegs. Meine von Jesuitenkollegien und damit verbunde- ich mich für die Hauptaufgabe aber sah ich stets in der Seel- nen Schulen forciert.Wie wichtig ist Bildung? Gründung von sorge und in der Katechese. Canisius: Bildung war mir immer wichtig. Ich habe schon früh den Wert und die Be- Schulen und für Uns interessiert hauptsächlich, was Sie deutung schulischer und außerschulischer das höhere Bildungs- dann nach Tirol geführt hat? Bildung erkannt. In ihr sah ich den Schlüssel wesen eingesetzt. Canisius: Mein Interesse an Tirol hat sich für langfristige Entwicklungen in Kirche und früh eingestellt. So hatte ich bereits 1561 Gesellschaft. Zeitlebens habe ich mich für die meinem Ordensoberen in Rom Folgendes Gründung von Schulen und für das höhere geschrieben: „Das Tirolerland verdient un- Bildungswesen eingesetzt. So war ich 1562 sere besondere Aufmerksamkeit, denn es ist in Innsbruck maßgeblich an der Eröffnung noch besser katholisch als irgend ein anderes eines Jesuitengymnasiums – Vorgänger des Gebiet Deutschlands und hat sich noch nicht heutigen Akademischen Gymnasiums – be- so von den Häretikern umgarnen lassen wie teiligt. 1573 wurde ein Jesuitengymnasium in die anderen Länder. Wenn auch viele Orte Hall eröffnet – das heutige Franziskanergym- schon verdorben sind, so kann man es doch nasium. Ich habe auch meine Ordensbrüder zusammen mit Bayern den Stämmen Juda ermutigt, meinem Beispiel zu folgen und sich und Benjamin vergleichen, die noch den in der Familienkatechese („Christenlehre“) wahren Gott verehren, während die ande- und in einer religiösen Unterweisung von ren Gebiete Deutschlands die zehn Stämme Israels sind, welche sich dem Götzendienst zugewendet haben.“1 Auch wenn das heute Kindern und Jugendlichen zu engagieren. Neben einer Schule wurde daher oft auch eine Marianische Kongregation (MK) errich- o 5
tet - beispielsweise die 1578 gegründete Hal- andersetzungen. Da hat man sich gegensei- ler MK, die übrigens bis heute besteht. tig nichts geschenkt. Sie haben drei Katechismen verfasst, die In aller Bescheidenheit muss ich aber auch an- jahrelange Verbreitung erfahren haben. merken: Ich habe mich redlich bemüht, nicht Canisius: Die Katechismen von Martin Luther so zu polemisieren wie andere. Ich wollte stets und anderen haben mir gezeigt, wie wichtig sachlich bleiben. In diesem Sinn bin ich nach grundlegende Unterrichtsbücher für Kinder wie vor überzeugt: „Beherzt, würdevoll und und Erwachsene sind. So freut es mich, dass nüchtern muss man die Wahrheit verteidigen.“2 meine drei Katechismen eine nachhaltige Wirkung erzielt haben: Der „Große Kate- Aber etwas anderes, das ich heute nicht chismus“ (unter dem Titel „Summa doctrinae mehr so vertreten würde, muss ich bereu- christianae“) für höhere Schulen, der „Kleine en: Meine ausgeprägte Furcht vor Dämonen Katechismus“ („Catechismus minimus“) für und Hexen und den damals üblichen He- Kinder und der weit verbreitete „Mittlere Ka- xenglauben habe ich durch meine Predigten techismus“ für Mittelschüler. Lange Zeit hatte noch weiter verbreitet. Erst durch ausdrück- man ja vom „Canisi“ gesprochen, wenn man liche Anordnung meiner Ordensoberen den Katechismus gemeint hat. habe ich davon Abstand genommen.3 Sie haben in einer Zeit des Umbruchs ge- Abschließend noch eine persönliche Frage:Was Bei meinem lebt. Heute werden Sie oft als einflussreicher wünschen Sie sich als Patron unserer Diözese? politischer und geistlicher Vorkämpfer der Canisius: Zunächst ehrt es mich, dass ich Professgelübde in Katholischen Reform bzw. der „Gegenrefor- schon bei der Errichtung der Apostolischen Rom hatte ich eine mation“ gesehen. Stimmt dieses Bild? Administratur Innsbruck-Feldkirch und dann überwältigende Die Reformation war in der Tat eine beson- bei der Diözesanerhebung im Jahr 1964 un- geistliche Erfahrung. dere Herausforderung für die katholische ter Bischof Paulus Rusch als Diözesanpat- Kirche. Es war klar, dass es unbedingt ein ron gewählt wurde. Nachdem ich mich zu Konzil braucht, das in Abgrenzung davon meiner Zeit in großer Demut und Beschei- die Lehre und Glaubenspraxis der katholi- denheit üben musste und wollte, freut es schen Kirche unmissverständlich darstellt. mich, dass mein Lebenswerk bei euch eine Daher war es mir wichtig, dann – wie ich Wertschätzung erfährt und gewürdigt wird. bereits eingangs erwähnt habe – an einer Gleichzeitig hoffe ich, dass mein runder Ge- Konzilssitzung teilzunehmen, musste aber burtstag ein Anstoß dazu ist, den Glauben in leider bald wieder abreisen. Später habe ich eurem Land immer neu zu bezeugen. Und mich leidenschaftlich für die Umsetzung der ich möchte heute besonders allen Religions- Konzilsbeschlüsse eingesetzt. lehrerinnen und -lehrern für ihr Zeugnis in der Schule danken. 1 Zit. nach: Gelmi, Josef: Kirchengeschichte Tirols, Der Name unserer Zeitschrift ÖKUM lässt Innsbruck (Tyrolia) 1986, 88. auch an ÖKUMene denken. Kann es sein – Bei meinem Professgelübde in Rom hatte 2 Zit. nach: Läpple, Alfred: Kleine Geschichte der Katechese, wie es auch evangelische Christen vermu- ich eine überwältigende geistliche Erfahrung München (Kösel) 1981, 106. 3 Vgl. dazu den Beitrag von Mathias ten können – dass Sie ihr skeptisch und re- – mit einer tiefen Herz-Jesu-Offenbarung – Moosbrugger in diesem Heft und sein serviert gegenüberstehen? gemacht: Jesus, in dessen Nachfolge und Buch: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten, Canisius: Sie sprechen hier ein heikles The- Dienst ich mich gestellt habe, hat mir „ein Innsbruck (Tyrolia) 2021. ma an. Aber die Zeiten haben sich – Gott dreifaches Gewand“ verheißen. Die drei Tei- 4 Vgl. dazu: Die Bekenntnisse des heiligen Petrus Canisius SJ und sein Testament, sei Dank! – geändert. Die katholische Kirche le dieses Gewandes sind Friede, Liebe und Kulmbach (Verlagsbuchhandlung Sabat), 2. Aufl. 2020. hat auch dazu gelernt: Das Lutherbild und Beharrlichkeit.4 Das ist es, was ich euch an- Weiterführende Literatur: die Bewertung der Reformation haben sich lässlich meines Jubiläums gerne nahelegen - Haub, Rita: Petrus Canisius. gewandelt. Im Vordergrund steht heute das möchte: Friedfertigkeit, ungekünstelte Herz- Botschafter Europas, Kevelaer (Topos Taschenbuch) 2004. Verbindende, nicht so sehr das Trennende. lichkeit und Durchhaltevermögen in einer - Oswald, Julius: Petrus Canisius, in: Stimmen der Zeit 121(1996), 736ff. herausfordernden Zeit. Ein solches „drei- www.heiligenlexikon.de > Was nun mich selbst betrifft: Einige Äuße- faches Gewand“ möge euer Gottvertrauen Petrus Canisius rungen von mir klingen tatsächlich hart und und eure Freude am Glauben stärken. www.dibk.at/themen > 500 Herzfeuer – Petrus Canisius Jahr 2021 würde ich aus heutiger Sicht auch nicht www.dibk.at/themen > mehr so machen. Sie zeigen das typische Tiroler Heilige und Selige > Hl. Petrus Canisius Kolorit aus der Zeit reformatorischer Ausein- Dieses (fiktive) Interview führte Günther Bader. 6
Bild von www.sasch.at/reparaturen – Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag., mit freundlicher Genehmigung von Sabine Schöffauer. Leiterin des Bischöflichen Schulamtes „Fühlt es sich gut an?“ – ein Gespräch mit der Schusterin Sabine Schöffauer In der Petrus-Canisius-Kirche in der Molen- ihnen zwei Fragen: „ Fühlen Sie sich in die- straat in Nimwegen wird ein Paar Schuhe sen Schuhen gut?“ und „Haben Sie trockene des heiligen Petrus Canisius aufbewahrt, Füße?“. Sie redet überhaupt viel von „spüren Schuhe eines Menschen, der im 16. Jahrhun- und fühlen“ in unserem Gespräch. Sich auf dert im süddeutschen Raum rastlos unter- die eigene Intuition zu verlassen, sei essenzi- wegs war für die Verkündigung des katho- ell. Wenn beide Fragen bejaht werden, dann lischen Glaubens. Sie zeigen handfest, was ist es sinnvoll, in die Reparatur zu investie- Unterwegssein heißt. Und lösen in mir die ren. Bekommt man hingegen nasse Füße, Frage aus, wie eine Fachfrau die Frage mit sind ihre Möglichkeiten sehr beschränkt. den Schuhen sieht. Also gehe ich zu Sabine Schöffauer, die in Innsbruck Schuhe und Ta- Spätestens zu diesem Zeitpunkt unseres schen repariert und ihnen so gleichsam ein Gespräches ist mir klar, wie viel von ihren langes Leben gibt. Erfahrungen für unser gesamtes Leben gilt. Ob ich in passenden Schuhen unterwegs „Hineingestolpert“ sei sie in ihre Arbeit mit bin, nicht zu klein, nicht zu groß, tragfähig, Schuhen, vor sechs Jahren, erzählt sie. Schu- unterstützend und schön – diese Frage geht he von anderen Menschen zu reparieren, weit über das konkrete Schuhwerk hinaus. wäre ihr in den vielen Jahren und zwanzig Und auch die Überlegung, ob ich in dem, unterschiedlichen Jobs im Flugbereich und was ich trage, wohl keine „nassen Füße“ be- im Sales Management überhaupt nicht in komme. Dann ist es im konkreten und im den Sinn gekommen. Bis sie einem ortho- übertragenen Sinn hoch an der Zeit, etwas pädischen Schuhmachermeister ihre Hilfe in zu verändern. der Buchhaltung angeboten hat. Als es eines Tages notwendig war, ein Paar Schuhe fer- Auch was sie über den Schuhkauf sagt, hat tig repariert zu bekommen und nur sie zur mehr als eine Ebene. Man solle die erste Be- Verfügung stand, habe sie es einfach aus- geisterung und Euphorie sinken lassen und probiert. Und dabei festgestellt: „Ich kann dann das eigene Gefühl in den Mittelpunkt das, meine Hände spüren es. Dann soll es stellen. Fühlt es sich gut an? „Wenn ein ‚Ja‘ so sein.“ Das sei irgendwie fast eine spiri- kommt, ist es gut. Ein ‚Ja, aber‘ ist ein Nein. tuelle Erfahrung gewesen, deutet sie diesen Dann muss man etwas ändern.“ Und mit den Moment. So ist es weitergegangen. Schuhen zur Schusterin gehen. Was sie über Schuhe sagt, klingt in meinen Ohren wie eine Sie lernte und entwickelte die Fähigkeit, mit Weisheit fürs Leben – übertragbar auf viele Kreativität und Liebe Schuhe zu reparieren, Entscheidungen, die wir zu treffen haben. sodass sie weiter getragen und nicht weg- geworfen werden. Je älter die Schuhe sind, Besonders wichtig seien diese Überlegun- desto lieber seien sie ihr. Wenn Kundinnen gen übrigens bei Hochzeitsschuhen. Damit und Kunden fragen, ob sich die Arbeit in der Tag auch die Chance hat, ein wunder- solchen Fällen überhaupt rentiere, stellt sie schöner zu werden. 7
PETRUS CANISIUS: EIN HEILIGES LEBEN? Mathias Moosbrugger, Univ.-Ass. DDr., Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie der Universität Innsbruck Es war kurz vor seinem Tod im Dezember weniger als einen heiligen Mann. Und sie war 1597 und Petrus Canisius war schon seit vie- nicht die Einzige: Die Einwohner seines Al- Canisius – in der len Jahren sozusagen im Ruhestand. Seit dem terssitzes Fribourg beispielsweise reagierten öffentlichen Meinung Herbst 1580 befand er sich aufgrund eines auf das (falsche) Gerücht, dass der Jesuitenor- bereits zu Lebzeiten unschönen Konflikts mit seinem Nachfol- den ihn wieder aus ihrer Heimatstadt abzie- „heiliggesprochen“ ger als Oberdeutscher Jesuitenprovinzial im hen wolle, mit einem heftigen Einspruch. Sie Exil im schweizerischen Fribourg, wo er sich hätten, stellten sie fest, in ihren Kirchen „nicht vor allem seinen beiden Lieblingsbeschäf- einen einzigen Leib eines Heiligen. Wir wer- tigungen widmete: dem Predigen und der den einen haben, wenn dieser heilige Mann Schriftstellerei. Da erreichte ihn plötzlich ein sich bei uns zur Ruhe legt.“ – Petrus Cani- verzweifelter Brief: Eine von Besessenheit ge- sius hatte sich ganz offensichtlich bereits zu plagte Frau aus dem bayerischen Straubing Lebzeiten unter Katholiken nicht nur einen flehte ihn darin um seine Hilfe an. Niemand ausgezeichneten Ruf als Schulgründer, Or- hatte ihr bisher helfen können; aber sie war densorganisator, Prediger, Seelsorger, Schrift- sich sicher, dass Petrus Canisius, der bekannt- steller und theologischer Berater von Fürsten, lich „mächtig bei Gott“ (potens apud Deum) Päpsten und Bischöfen gemacht. Die öffent- war, sie auch aus vielen hundert Kilometern liche Meinung hatte ihn bereits zu Lebzeiten Entfernung hinweg endlich von ihren uner- heiliggesprochen. Nach seinem Tod wuchs träglichen Qualen befreien konnte. Petrus sich das zu einem regelrechten Kult aus; die Canisius war wie vor den Kopf gestoßen. Er Jahresberichte des Fribourger Jesuitenkollegs reagierte auf diese Bitte mit dem erschrocke- sind voll von Berichten von Wunderheilun- nen Ausruf: „Ich Unglücklicher, für wen hält gen, die Petrus Canisius zugeschrieben wur- man mich?“ den. Als sein Leichnam 1625 umgebettet wur- de, strömten die Fribourger zu seinem Grab, Die Antwort darauf fällt leicht: Diese Frau aus um seine sterblichen Überreste mit ihren Ro- Straubing hielt ihn offensichtlich für nichts senkränzen zu berühren. Diese heißblütige 8
Verehrung war wohlgemerkt nicht nur das dementsprechend Dinge getan, gesagt und Ergebnis einer ausgeprägten Volksfrömmig- geglaubt, die aus heutiger Sicht sehr frag- keit in einer wundersüchtigen Zeit. Mit Robert würdig sind – daran ändert auch die Tatsa- Die Schattenseiten Bellarmin war beispielsweise auch einer der che nichts, dass er nie aus Opportunismus seiner Persönlichkeit Toptheologen am Übergang zum 17. Jahrhun- gegenüber kirchlichen (geschweige denn po- dert rückblickend davon überzeugt, dass man litischen) Autoritäten gehandelt hat, sondern es bei Petrus Canisius mit einem Heiligen zu immer aus ehrlicher Gewissensüberzeugung. tun gehabt hatte. Und auch die Weitsichtigkeit seines Katechis- mus, seine Kritik an der harschen päpstlichen Mittlerweile hat die Verehrung des heiligen Indexpolitik mit ihren massiven Bücherver- Petrus Canisius in unseren Breitengraden boten oder seine tatsächlich tiefgründige my- radikal abgenommen. Auch in der Diözese stische Frömmigkeit jenseits von Hierarchie- Innsbruck, die ihn sich als einzige Diöze- gläubigkeit und dogmatischer Enge können se weltweit zum Patron gewählt hat, ist er seine Fehler letztlich nicht wettmachen. Aber nie wirklich volkstümlich geworden. Dazu klar ist auch: Gerade deshalb ist Petrus Cani- Missverständnis: kommt, dass Petrus Canisius aus heutiger sius ein Heiliger, den wir dringend brauchen. Heilige als Übermen- Perspektive betrachtet keine unproblemati- Denn egal ob konservativ oder progressiv: sche Persönlichkeit war und überhaupt allzu Gerade im katholischen Milieu gibt es heute schen und moralisch sehr als Teil einer lange vergangenen Welt ja eine starke Tendenz dazu, Heilige als Über- perfekte Menschen erscheint: Er hielt zum Beispiel den Prote- menschen zu sehen. Wer moralisch fragwür- stantismus insgesamt für Teufelswerk und dig ist, kann demnach kein Heiliger gewesen hat das in seinen Büchern und Predigten – sein. Das ist aber ein großes Missverständnis: ganz der polemischen Rhetorik seiner Zeit Heilige sind nicht deshalb heilig, weil sie mo- entsprechend – mit äußerst harschen Worten ralisch perfekt gewesen sind (egal nach wel- zum Ausdruck gebracht. Er war wie alle seine chen Maßstäben) – eher im Gegenteil. Alle Zeitgenossen von einer tiefen Angst vor He- großen Heiligen waren Menschen mit beschä- xen durchdrungen und hat die Kanzel immer digten Biographien, Menschen mit teils gra- wieder genutzt, um seine Zuhörer vor ihren vierenden Fehlern und fatalen Fehlentschei- teuflischen Kräften zu warnen. Damit hat er dungen. Aber immer waren sie Menschen, die die ohnehin schon erhitzte öffentliche Mei- Gott zugetraut haben, auch auf den krummen nung weiter angeheizt und vielleicht sogar Zeilen ihres Lebens gerade zu schreiben. Das bei vielen Menschen dafür gesorgt, dass sie ist der Inbegriff der Heiligkeit – und darum ist Jahre später bereit waren, Hexen aktiv zu ver- das unvollkommene Leben von Petrus Cani- folgen. Und trotz seiner Überzeugung, dass sius mit seinem unbändigen Willen, trotz der Kinder „der beste Teil“ (optima portio) der eigenen Unvollkommenheiten ein Instrument Menschheit seien, hat er seinen Geschwistern des Wirkens Gottes in der Welt zu sein, ein heute nur schwer vermittelbare Erziehungs- Vorbild der Heiligkeit für die Unvollkomme- tipps gegeben, beispielsweise den, ihre Kin- nen unter uns – und das heißt natürlich: für der angesichts der Versuchungen der Welt „in uns alle. strenger Zucht und Furcht“ aufzuziehen. Klar ist also: Petrus Canisius passt kaum ohne Literatur: Weiteres in unsere heutigen Schemata von Moosbrugger, Mathias: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten, Heiligkeit hinein. Er verstört, weil er sich in Innsbruck (Tyrolia) 2021. seinem Ringen um die Wiederbelebung der katholischen Kirche nördlich der Alpen ganz in seine Zeit eingelassen hatte, die vor reli- giöser Erregung förmlich überkochte. Er hat 9
‚SINNAN‘ Joachim Hawel, PhD MAS, Mag., Hochschullehrer an der KPH Edith Stein, Lebens- und Sozialberater Weg – Reise – Sinn Der geistige Hintergrund für diesen Beitrag ist die Existenzanalyse von Viktor Frankl1, die mich seit vielen Jahren begleitet und meinen Religions- unterricht wesentlich geprägt und bereichert hat. Der Begriff „Sinn“ ist ein komplexer und schil- tire‘ die Bedeutung von „fühlen“. Jemand, der lernder Grundbegriff der Geisteswissenschaft den Sinn von etwas sucht, schlägt eine Rich- Wer den Sinn von und durch zahlreiche Bedeutungen gekenn- tung ein, er sucht einen Weg oder eine Fährte. ‚etwas‘ sucht, schlägt zeichnet.2 eine Richtung ein, Viktor Frankl, der Begründer von Logotherapie er sucht einen Weg Ein Blick in seine Etymologie3 ist aufschluss- und Existenzanalyse, stellt die beiden Begrif- oder eine Fährte. reich und kann zum besseren Verständnis bei- fe „Sinn“ und „Wert“ in einen tiefen Zusam- tragen. Das Wort „Sinn“, mittel- und althoch- menhang: „Den Sinn des Daseins erfüllen wir deutsch ‚sin‘, entwickelte sich vermutlich aus – unser Dasein erfüllen wir mit Sinn – alle- dem indogermanischen ‚sent‘, was so viel mal dadurch, dass wir Werte verwirklichen.“4 wie „gehen, reisen, fahren“ bedeutet, und Sinn-Erfahrung ist für Frankl die Folge von ei- wurde im Althochdeutschen zu ‚sinnan‘, das nem realisierten Wert; Sinn lässt sich nicht „ma- für „reisen, streben, trachten“ steht. „Sinn“ in chen“, es ist ein „Geschenk“, ihn erfahren zu dieser ursprünglichen Bedeutung steht somit dürfen: Ein Wert konnte verwirklicht werden; für „Gang, Reise, Weg“ und weist auf etwas dadurch hat sich mir ein Weg, ein ‚sinnan‘ er- Dynamisches hin. Interessant ist auch der Zu- öffnet. Wenn Werte nicht verwirklicht werden, sammenhang mit dem Wort „Gesinde“, das dann besteht die Gefahr, so ein wesentlicher sich aus dem Althochdeutschen ‚gisind‘ oder Aspekt in der Logotherapie, dass der betrof- ‚gisindo‘ herleitet: Es benennt einen Gefährten, fene Mensch in ein „existentielles Vakuum“5 einen Diener, der mitfährt bzw. mitgeht. Eine gerät: Dann sind ihm die Wege versperrt, Fähr- übertragene Bedeutung erfährt das althoch- ten können nicht mehr gefunden werden, die deutsche Wort ‚sin‘, wenn man an das neu- schmerzhafte Empfindung von Aus-WEG-lo- hochdeutsche „sinnen“ oder „nach-sinnen“ sigkeit kann zur quälenden Erfahrung von denkt, also etwas geistig verfolgen oder einer Sinn-losigkeit führen. „Menschen und Systeme Sache geistig nachgehen. Das lateinische Wort im existenziellen Vakuum sind hochgradig an- ‚sentire‘ meinte ursprünglich „einer Richtung fällig für alle möglichen Fehlentwicklungen“6, nachgehen“ bzw. „eine Richtung verfolgen“. so beschreibt es der Psychotherapeut Günter Erst später entwickelte sich aus dem Wort ‚sen- Funke. 10
Wertberührung – Wertverwirklichung – gehen, brauche ich u.a. genügend Zeit. Habe Sinnerfahrung ich die Zeit oder nicht? Nehme ich mir die Zu den dynamischen Größen „Sinn“ und Zeit oder nicht? Habe ich die nötigen „Mittel“, Zum Wesen bzw. zur „Wert“ kommt für die Existenzanalyse noch ein diesen Weg zu gehen? Bin ich bereit, andere Würde des Menschen dritter Aspekt hinzu: die Eigenverantwortung. Wege dafür nicht zu gehen? Ist mir bewusst, gehört, (an-)gefragt zu Im eigenen Verantworten von ‚etwas‘ liegt ein dass ich durch das Gehen des einen Weges sein und authentisch Kern vom Wesen des Menschen, ein Kern sei- andere Werte nicht verwirklichen kann? Ist mit antworten zu können. ner Würde: Verantwortung bedeutet nicht – klar, dass ich eventuell auch jemanden verlet- wenn man vom Wortstamm ausgeht – Pflicht- ze, indem ich diesen und nicht einen anderen erfüllung, sondern sie resultiert aus der „Ant- Weg gehe? Die Beantwortung all dieser und wort“ auf eine „Frage“. Zum Wesen bzw. zur noch vieler weiterer Fragen in größtmöglicher Würde des Menschen gehört es laut Frankl, „Eigenverantwortung“ ist für Frankl die Vo- (an-)gefragt zu sein und authentisch antwor- raussetzung für einen der vielen möglichen ten zu können. Mit „Frage“ ist hier nicht ein „Wege zum Sinn“. ausgesprochener Satz gemeint, der mit einem Fragezeichen versehen ist, sondern das Ange- fragt-Sein durch das Leben selbst: Das Leben „fragt“ uns immer „etwas“, und es erwartet von uns immer eine „Antwort“ bzw. eine Stellung- 1 Vgl. FRANKL, Viktor E.: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. nahme. Jeder Antwort gehen, so hat es bereits Frankfurt am Main 1997. 2 Vgl. SANDKÜHLER, Hans Jörg (Hg): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Max Scheler formuliert7, ein Wert-Fühlen und 1991, S. 283. eine Wert-Berührung voraus. Werte berühren 3 KLUGE, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. Berlin/New York 1975, S. 709. uns, sie müssen gefühlt werden (‚sentire‘), und 4 FRANKL, Viktor E.: Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. Bern 1998, S. 202. jedes Fühlen ist die Resonanz auf einen Wert. 5 FRANKL, Viktor E.: Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. Zur Resonanz kommt es durch die Verbindung Bern 1998. S. 11. 6 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=Wz_hv603HvU von Wert und Sinn im Horizont der uns vorge- Vortrag von Günter Funke: „Führen mit Werten und Sinn“. 7 Vgl. SCHELER, Max: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der gebenen Welt-Bedingungen: Ein Weg hat sich Grundlegung eines ethischen Personalismus. In: Manfred Frings (Hg.): Max Scheler. Gesammelte mir eröffnet (‚sinnan‘), und um diesen Weg zu Werke. Bd. 7. durchgesehene u. überarbeitete Auflage. Bonn 2000, S. 262. 11
Glaubens- Andreas Liebl, Tiroler Fachberufe für Holztechnik Absam ; KPH Edith Stein Bekenntnisse ummel, Angelika H nsbruck Au , In Gerade wird uns frisch gebackene Pizza servie BRG in Ich sitze mit einer Grup rt. pe junger Zimmerer in einem Lokal beim WiFi. Jetzt endlich - im No- vember - dürfen sie ihr en Lehrabschluss ableg er als eigentlich war dies sch en; r, s o ndern eh eil ig e byist on im Frühjahr geplant. ls s tr a h lender H e n s c h und Lob Nicht a tm er, Mach erschei- Wir sinnieren, was ein m tr ie b ig er Manag 2 1 . Ja h rhundert en Zimmerer ausmach u ius im t: us Canis Nicht nur das Gelernte ist entscheidend, sond mag Petr auch die Liebe zum Be ern ruf. Arbeite ich nur als nen. Blick Zimmerer oder bin ich e it e r B lick, ein w ein Zimmerer? ich ein z as mein h lohnt s Vieles, w Und doc nW u rz e ln . at, wofür Alle haben ihre Pizza vo e in e eigene B e d eutung h a u f m rm ic h n eines zigt sich der Lehrling mi r sich stehen. Da bekre u- p rä gt und fü a u f d as Wirke Le b e n ht au c h Mitbrü- nis! Es ist ganz still – ein r gegenüber. Ein Beke nnt- d a n k b a r bin, ge it e n u n d seiner kurzer Atem des Dank ich hen Jesu es n deutsc geht durch die Gruppe . – Und ich überlege für der erste ck. mich: Arbeite ich nur als der zurü . Bil- ich ein Religionslehrer... Religionslehrer oder bin e g ri ff B ildung ein rB ng, ? ll t m ir zuerst de m u n d Entwicklu Da fä achstu eit über öglicht W ie Welt, w dung erm Sic h t a u f d chen eine offe ne, freie d ie N ie derländis nd r Berge u die Tirole … hinaus Dämme
-Wege... inger, Judith Jetz rin für e k to Fachinsp Religion o lis c h e Kath Bus - st e ig e ic h in den Tag m langen Nach eine üde“. e n k li c h u nd „kopfm Bekennen nachd ie zu – t e in e ju nge Famil ste ig nd. rz v o r d er Abfahrt n B u b e n an der Ha K u m kleine Zweite Klasse Volkssch pa mit de ine Mäd- ule: Die Kinder berei - Mama, Pa e rw a g e n das kle ten sich in der Pfarre un Kin d un- d in der Schule auf die v o ll b epackten e s M ä d c h ens lugen Im ugen d Erstkommunion vor. An wachen A vierjähri- na ist mit Begeisterun g chen. Die h e rv o r. Der etwa dabei – als nicht getau e gen ftes Kind. Ihr Vater, ein r d e r w a rmen Mütz d a ss d e r Kinderwa te chtlich , Kirchenskeptiker, wo eut sich si zwischen llte ihr die Wahlfreihe it ge Bub fr h a t. U n d dass er erhalten und sie späte n Parkpla tz aben r selber entscheiden las - einen gute z p la tz fi n det. Alle h sen, wohin es sie zieht. en Sit gefüllten Und es kommt, wie er Mama sein ig im halb befürchtet hat: Anna mö Papa und ist re c h t ru h hinein: chte unbedingt getauft quem. Es die Stille werden und mit allen es jetzt be leine B u b in zur Erstkommunion ge agt der k hen. Ihre Mutter wollte - Bus. Da fr er Gott?“ sicher sein, dass Anna ist denn d sich nicht unter Druck „Papa, wo fühlt, und beruhigte sie öre zu. „Willst du das wirklich : p f w a c h und ich h unbedingt? Du musst ein müde r Ko er Gott ist nicht zur Taufe gehen, Da wird m n d sa g t dann: „D du kannst auch so ein denkt nac h u in den Freundin von Jesus sei e Der Papa d e n B e rgen und n.“ – Annas Antwort: „Ic n, in nd in mir !“ h den Tiere h in dir u will aber nicht nur eine Freundin von Jesus ble überall, in tt is t a u c i- Der Go r nach. ben. Ich will sein Kind sein.“ Blumen. … b u n d d enkt weite t der B u „Aso“, sag Die achtjährige Anna hat viel davon begriffe dass Jesus uns seine n, Brüder und Schweste nennt. Das ist mehr als rn eine Freundschaft. Bischof Kla (1929-1 us Hemmerle 994) Wenn K irche Er Gott wü zählgem rde, dan einscha n könnte ft von etwas g sie der eben, w Welt ben kön as ande nen. re ihr n icht ge-
Giulia Trentinaglia, MEd Lehrerin an der Volksschule Matrei am Brenner Resilienz – Stärken-Fokussierung und nachhaltige Förderung der Kinder Giulia, du hast im Sommersemester 2020 Du hast dich mit „Transition“ und mit das „Masterstudium Lehramt Primarstufe“ „Gelingensbedingungen für positive Tran- Die positiven Dinge, an der KPH Edith Stein in Stams abgeschlos- sitionserfahrungen“ beschäftigt. Kannst du die Kinder gut sen und bist seit dem Schuljahr 2020/21 uns einen Einblick geben, der sozusagen als können, sollen wir in als Lehrerin einer ersten Klasse Volksschule „Quintessenz“ deiner Forschung verstan- der Schule verstärken. tätig. In deiner Masterarbeit hast du dich den werden kann? mit „Resilienz als Gelingensbedingung für Ich beschäftige mich schon seit zwei Jah- positive Transitionserfahrungen vom Kin- ren mit dem Thema „Transition“, bereits im dergarten in die Volksschule“ befasst. Nun Rahmen meiner Bachelorarbeit und dann in kannst du deine dabei gewonnenen theore- meiner Masterarbeit. Dabei ist klar heraus- tischen Erkenntnisse in deine Berufspraxis gekommen, wie wichtig die Zusammenar- einbringen und in deiner Klasse für eine beit all jener ist, die für die Kinder zuständig bestmögliche Übergangs- und Schulan- sind: Eltern, Kindergartenpädagog*innen, fangsphasenbegleitung der Kinder sorgen. Lehrer*innen, Direktor*in. Wenn Kinder z.B. Was ist nach deinem Berufseinstieg das Erste, zu Hause ganz andere Werte mitbekommen das dir zum Begriff „Resilienz“ einfällt? als in der Schule, dann kennen sie sich nicht Beim Wort „Resilienz“ fällt mir als Erstes die mehr aus und können nicht so gut gefördert Stärken-Fokussierung ein. Wir haben vor werden. Ein nachhaltiges Stärken der Kin- Kurzem im Volksschul-Kollegium darüber der braucht diese Zusammenarbeit aller. Oft gesprochen, dass in der Gesellschaft eher geht es um „banale“ Dinge: Kinder in All- mehr auf Fehler geschaut wird und auf Sa- tagsentscheidungen miteinbeziehen; prakti- chen, die nicht gelingen oder die nicht „nor- sche Lebenskompetenzen stärken und för- mal“ sind, anstatt auf die Dinge zu schauen, dern; Vertrauen entgegenbringen; sie ganz die gut gelingen. „Stärken-Fokussierung“ einfach etwas „machen lassen“. Wichtig sind bedeutet zu fragen, was ein Kind gut kann: auch altersgemäße Sprech- und Umgangs- Für mich ist das eine Lebenseinstellung, weisen der Erwachsenen mit Kindern, die eine Haltung als Lehrerin. Die positiven Wertschätzung gegenüber Kindern: die Per- Dinge, die Kinder gut können, sollen wir in son „hinter“ dem Kind zu sehen. der Schule verstärken, damit die Kinder sich noch besser entwickeln und entfalten kön- nen. Das verbinde ich mit Resilienz. 14
Welche Bedeutung hat Resilienz in der Du beschreibst in deiner Masterarbeit „Re- Volksschule? silienzfaktoren als personale Ressourcen“ – Es geht immer Die Bedeutung von Resilienz in der Volks- kannst du uns einige dieser Faktoren nennen? schule unterscheidet sich kaum von jener Hier geht es um unterstützende „Schutzfak- darum, Entwicklungs- im Kindergarten oder von Zuhause: Es geht toren“ im Gegensatz zu hemmenden „Risi- aufgaben positiv zu immer darum, Entwicklungsaufgaben posi- kofaktoren“. Zu den Schutzfaktoren gehören bewältigen. tiv zu bewältigen. Die Aufgaben selbst un- personale und soziale Ressourcen. Folgende terscheiden sich selbstverständlich; in der sechs Resilienzfaktoren gehören zu den per- Schule geht es zum Beispiel um die Iden- sonalen Schutzfaktoren: tifizierung mit der je eigenen Geschlechter- rolle; es geht darum, die eigene Identität zu 1. Selbst- und Fremdwahrnehmung – finden, mit der neuen Umgebung zurecht- zur Entwicklung eines realitätsnahen, zukommen, neue Beziehungen aufzubauen möglichst positiven Selbstbilds und schulische Anforderungen bewältigen zu können. Wenn Resilienzfaktoren schon 2. Selbststeuerung und Selbstregulation – vorher gestärkt wurden, tun sich die Kinder zur Kontrolle über das eigene Handeln leichter, mit den neuen Anforderungen gut und die eigenen Gefühle; nicht zuletzt, umzugehen. um Überforderung zu vermeiden Welchen Beitrag kannst du als Lehrerin zur 3. Soziale Kompetenzen – Kontakte auf- Stärkung resilienter Fähigkeiten bei deinen bauen und pflegen können Schüler*innen leisten? Besonders wichtig ist mir die Beziehungs- 4. Problemlösefähigkeit – an Probleme ebene. Ich glaube, sie ist der wichtigste herangehen durch immer wieder Pro- Schutzfaktor für den Übergang vom Kin- bieren-Dürfen dergarten in die Volksschule – was sich so- wohl in den von mir geführten Interviews 5. Selbstwirksamkeit und Selbstwirksam- als auch in der Fachliteratur bestätigt hat. keitserwartung – ein Wissen um die Gute Beziehung bedeutet u.a.: Wenn Kinder Konsequenzen des eigenen Handelns einen Fehler machen, mag sie die Lehrper- son trotzdem und zeigt das auch. Beziehung 6. Adaptive Bewältigungskompetenz – und Leistung zu unterscheiden, ist für Kin- eine gute Regulation im Umgang mit der und für mich sehr wichtig; wir können Stress über alles sprechen unabhängig davon, was vorgefallen ist. Damit ergibt sich die nächste Frage praktisch von selbst: Welche sind die wichtigsten Risi- Die eigentlichen Ein zweiter Beitrag ist die Wertschätzung kofaktoren – verbunden mit der Frage: Wie den Kindern gegenüber, ein wertschätzen- können Lehrer*innen damit gut umgehen? Risikofaktoren liegen der Umgang mit ihnen, der zu einem wert- Die eigentlichen Risikofaktoren liegen meist meist im Bereich von schätzenden Umgang unter den Kindern im Bereich von Familie: Kriminalität, Gewalt, Familie: Kriminalität, viel beitragen kann. Ein dritter Beitrag be- jede Art von Missbrauch, Verlust einer wichti- Gewalt, jede Art von steht darin, den Kindern etwas zuzutrauen, gen Bezugsperson, Angst. Ein gutes Umgehen Missbrauch, Verlust indem man sie etwas probieren lässt und ih- damit als Lehrperson braucht die Zusammen- einer wichtigen Bezugs- nen nicht alles „vorkaut“. Durch das Auspro- arbeit – wenn möglich – mit den Eltern und person und Angst. bieren lernen Kinder „nebenbei“ noch viele / oder mit anderen Unterstützungssystemen. Lebenskompetenzen. Ein vierter Beitrag ist Die gute Beziehung zum Kind ist – wie be- das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen: reits erwähnt – auch hier von großer Be- Kinder sollen erfahren, dass das eigene Tun Wirkung zeigt; das schafft Vertrauen in eige- ne Fähigkeiten. deutung, sodass man eventuell die fehlende Bezugsperson von Zuhause ersetzen kann. Wenn die Zusammenarbeit mit den Eltern o 15
nicht möglich ist, weil etwa von dort die Gibt es etwas, was dich beim Studium der Gewalt ausgeht, dann ist es umso wichtiger, Literatur über die in den letzten Jahren dem Kind Stabilität zu vermitteln und über entstandene Resilienzforschung überrascht diverse Unterstützungssysteme Bescheid zu hat? wissen. Ja, etwas hat mich überrascht, das war für mich geradezu der ausschlaggebende Im schulischen Kontext wird viel über Punkt, mich mehr mit dem Thema Resilienz „Kompetenzen“ gesprochen. Siehst du ei- zu beschäftigen: Wissenschaftler haben he- nen Zusammenhang zwischen den in den rausgefunden, dass eine einzige Bezugsper- Lehrplänen genannten Kompetenzen und son ausreicht, damit Kinder positiv mit ihren den „Lebenskompetenzen“, die die seelische Entwicklungsaufgaben umgehen können. Widerstandskraft von Kindern – also deren Die Beziehung zu dieser einen Person kann Resilienz – betrifft? sogar schlechte familiäre Verhältnisse aus- Das ist eine gute Frage, über die ich schon gleichen. Das hat mich inspiriert, dass eine oft nachgedacht habe. Ich finde, dass die in Person das Leben eines Kindes ändern bzw. den Lehrplänen genannten Kompetenzen positiv beeinflussen kann. Das bringt auch immer „ausgelegt“ werden müssen, wie man zum Ausdruck, wie wichtig der Lehrberuf etwas umsetzt. Es steht wohl drinnen, was ist: Ich als Lehrerin kann diese eine Bezugs- Kinder können und erwerben sollen – wie person sein. sie dazu kommen, wie das umgesetzt wird, müssen die Lehrer*innen selbst entscheiden; Giulia, danke für das Gespräch! es ist deren Auslegungssache. Mir ist zum Beispiel das Praktische im Unterricht sehr wichtig; da lernen die Kinder am meisten. Beim spielerischen Erarbeiten eines Themas erwerben die Kinder die Lehrplankompe- tenzen und zusätzlich Lebenskompetenzen, die sie im täglichen Leben brauchen. Dieses Interview führte Joachim Hawel. 16
Gudrun Walter, Dr., Ordinariatskanzlerin der Diözese Innsbruck Weggefährtin / Weggefährte sein … Seit Kindesbeinen an liebe ich Sport und Berufstätigkeit blieb zum Wandern kaum Bewegung. Die Leidenschaft zum Wandern mehr Zeit. Vor drei Jahren hat mich dann habe ich immer in mir gehabt. Zum endgül- eine Freundin angesprochen, sie auf „spi- tigen Durchbruch gekommen ist diese Be- rituellen Bergtagen“ zu begleiten. Das war geisterung durch die Angebote, die es früher der Neubeginn meiner durch all die All- bei der „Katholischen SchülerInnen Jugend“ tagsnotwendigkeiten verschütteten Leiden- der Diözese Linz gab. Im Sommer 1985 er- schaft. Ich habe bei diesen Bergtagen von wanderten wir als eine Gruppe Jugendlicher der Möglichkeit einer Ausbildung zur Berg- den GR 20 auf Korsika – beladen mit schwe- wanderführerin erfahren und wusste mit ren Rucksäcken sind wir durch eine damals absoluter Gewissheit: Das will ich machen! noch sehr unberührte Natur marschiert, ha- Und seit letztem Jahr bin ich ausgebildete ben in ganz einfachen Hütten oder auf Bi- Bergwanderführerin! Heuer im Juli biete ich wak-Plätzen übernachtet. Fasziniert hat mich schon zwei Wanderwochen an – und hoffe, von Anfang an die Qualität der miteinander dass die TeilnehmerInnen diese ungeheure verbrachten Zeit. Im gemeinsamen Gehen Freude am gemeinsamen Gehen und die wurden wir zu Weggefährten und Wegge- Wohltat des Wanderns für Körper und Seele fährtinnen, in lebendigen Unterhaltungen verspüren werden, die mich so stärkt und haben wir uns über unsere damaligen bereichert. Vor allem erfahren sie hoffentlich Freunde, Sorgen und Erlebnisse ausge- auch, was es bedeutet, eine gute Wegge- tauscht. Auch im gemeinsamen Schweigen fährtin / ein guter Weggefährte zu sein bzw. auf anstrengenden Wegabschnitten haben eine / einen solchen zu haben. wir einander gut kennengelernt. Diese erste Weitwanderung war die prägendste Erfahrung Je älter ich werde, umso wertvoller empfin- meiner Jugend. Zahlreiche weitere Weitwan- de ich das gemeinsame Unterwegssein – die derungen in Spanien, Frankreich und Nor- Ruhe der Natur, die überwältigenden Aus- wegen folgten… blicke von herrlichen Gipfeln, die aufmerk- same entgegengestreckte Hand an einer Diese Lust am gemeinsamen Gehen hat schwierigen Stelle, den Austausch von Le- mich nie mehr verlassen. Im Studium habe benserfahrungen, die köstliche Gipfeljause ich sie in Form von vielen Wanderungen, und vor allem die Relativierung von vielen Berg- und Schitouren ausgelebt. Dann kam Alltagsbanalitäten angesichts der überwälti- der Einstieg ins Berufsleben und mit der genden Schönheit der Bergwelt! Gründung der Familie, drei Kindern und 17
Die Geschichten von Gott und den Menschen Lea Ströhle, MA Pastoralassistentin und Seelsorgerin in Ausbildung (Pfarre Rum St. Georg und Hospizhaus Hall) Seit ich mich erinnern kann, spielen Geschich- innere Bilder und eine emotionale Reaktion ten in meinem Leben eine wichtige Rolle. bei den Zuhörenden entstehen. Durch die Gute Geschichten Meine Mama lebt uns die Liebe zu Büchern Erzählung fühlt man sich in eine andere lassen innere Bilder vor und ich erinnere mich auch gerne an Welt versetzt, identifiziert sich mit der Per- und eine emotionale die Gute-Nacht-Geschichten vom schlauen son und erlebt ihre Geschichte fast so, als Reaktion entstehen. Heinrich, die mein Papa meinen Brüdern wäre man sie selber. und mir – im Bett sitzend – erzählt hat. Als ich lesen lernte, wurde das zu einer mei- Religionen kennen die Kraft von Geschich- ner liebsten Beschäftigungen. In meinem ten und geben ihre Glaubensinhalte und Theologiestudium, aber auch im Privatleben ihre eigene Sicht auf ihre Gemeinschaft wurde mir immer deutlicher, wie präsent der Glaubenden (unter anderem) erzähle- Geschichten in unseren Leben sind. Ich be- risch weiter. Im Christentum berichten das obachtete außerdem an mir selbst, dass ich Alte und das Neue Testament von Gott und mir fachliche Inhalte besser merken kann, seinen Erfahrungen mit Menschen, von de- wenn Beispiele dazu erzählt werden. Mein ren Gemeinschaft untereinander, ihren Le- Mathematiklehrer gab uns zum Beispiel im- bensumständen und Schwierigkeiten. Jesus mer wieder Aufgaben, die in meinem Kopf erzählt immer wieder Geschichten, die ein verschiedene Vorstellungen von Handlun- Gleichnis von Gott oder dem Reich Gottes gen auslösten. Eine war die Frage, wie hoch sind. In der Liturgie werden die biblischen der Ballon fliegen muss, um die versteckte Texte weitergegeben, aber auch die liturgi- Bergspitze sehen zu können. So konnte ich schen Texte und Handlungen selbst erzäh- mir die mathematischen Formeln besser ein- len von Gott. Beispielsweise wird im Hoch- prägen und wusste, wie ich sie anwenden gebet „erzählt“ und auch gezeigt, was Jesus kann. beim Letzten Abendmahl tat und sagte. Die Weitergabe von Wissen, Erfahrungen und Die Geschichten der Menschen mit Gott sind Erklärungen wird vermutlich in Geschich- immer eine besondere Art von Geschichten. Religionen kennen ten verpackt, seit die Menschen miteinander Auf sie ist die Kirche aufgebaut. Jede und die Kraft von kommunizieren – Social Media sind ja eine jeder hat ihre und seine eigene Geschichte Geschichten. neue Erscheinung, während das Hören und mit Gott, mit der wir uns in unserem Glau- Sprechen schon seit Jahrtausenden mög- ben auseinandersetzen können. Anderen lich ist. Geschichten haben eine informative Menschen von Gott zu erzählen bedeutet, oder kommunikative Funktion, wenn Infor- auch aus einer Biografie zu erzählen, da die mationen weitergeben werden. Sie können Gotteserfahrungen immer mit den Lebens- auch unseren Horizont erweitern, Orientie- geschichten verknüpft sind. Auf diese Art rung und Leitung geben, Gemeinschaft und kann der Glaube weitergegeben werden. Identität stiften. Gute Geschichten lassen 18
Das Christentum hat nicht den Anspruch, weitergegeben, etwa von Heiligenviten oder möglichst vorbildhafte, glatte Geschichten in Zeugnissen. Jede Geschichte berichtet da- zu erzählen – sie würden uns langweilen. bei von einem individuellen Glaubensweg. Das Christentum Stattdessen gibt es die Erfahrungen, die wir hat nicht den aus unserem eigenen Leben kennen, auch Die Erzählungen des Christentums helfen Anspruch, möglichst in den Glaubensgeschichten anderer, etwa uns, unsere eigenen Glaubensüberzeugun- vorbildhafte, glatte Verrat, Naturkatastrophen, Zweifel, Ängste, gen zu finden oder zu verdeutlichen – wie Geschichten zu er- Veränderungen, treue Freundschaft und Zu- hätte ich als Noah gehandelt? Sie fordern uns zählen – sie würden sammenhalt. Auch von Menschen wie Sara, heraus – wie hätte ich im Tempel reagiert, uns langweilen. die über die Pläne Gottes lacht, Ijob, der wenn Jesus die Tische umwirft? Sie bringen Gott Vorwürfe macht, Paulus, der eine Cha- uns zum Nachdenken – wie gehe ich mit rakterwandlung um 180 Grad macht, oder unglaublichen Nachrichten um? Alle unter- Simon Petrus, der aus Angst seine Verbin- schiedlichen Wege, die wir durch andere dung mit Jesus leugnet, wird erzählt. Auch kennen oder selbst erfahren haben, sind mit Petrus Canisius war jemand, der sich inner- ihren Problemen, Fragen, Erfolgen und Ant- halb seiner eigenen Lebensgeschichte, sei- worten in der kirchlichen Gemeinschaft zu Anderen Menschen ner Gesellschaft und den vorherrschenden finden und sind mit ihren Facetten wertvoll von Gott zu erzählen Vorstellungen seiner Zeit bewegte. Trotz der für andere. Als Gemeinschaft von Glauben- bedeutet, auch aus Ecken und Kanten dieser Menschen – oder den dürfen wir sie weitererzählen, uns so einer Biografie zu eher gerade darum – kann durch diese Er- gegenseitig Stütze und Zeugnis geben und erzählen. zählungen etwas weitergegeben werden, das uns davon von Gott begleitet wissen. für unser eigenes Leben relevant sein kann. Religionspädagog*innen haben mit diesen Geschichten von unterschiedlichsten Men- schen und ihren Beziehungen zu Gott einen großen Schatz, auf den sie zurückgreifen können. Die Erzählungen können helfen, die Botschaft Jesu für Kinder (und natürlich auch für Erwachsene) zu „entschlüsseln“. Sie stehen damit in der Tradition der Kirche, von der es schon beim sogenannten Apos- telkonzil in Jerusalem heißt: „Sie erzählten alles, was Gott mit ihnen zusammen getan hatte“ (Apg 15,4). Neben den Geschichten unserer kanonisierten christlichen Bibel wurden zusätzlich dazu andere Erzählungen 19
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