Rankler G'schichten - Eine Kooperatiosprojekt im Rahmen von LE.NA - Lebendige Nachbarschaft Marktgemeinde Rankweil MITANAND - Gemeinwesenstelle ...

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Rankler
G'schichten

Eine Kooperatiosprojekt im Rahmen von
LE.NA – Lebendige Nachbarschaft

Marktgemeinde Rankweil

MITANAND – Gemeinwesenstelle
Rankweil

Caritas Vorarlberg

                                   www.caritas-vorarlberg.at
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Kontakt

Marktgemeinde Rankweil                  Caritas Vorarlberg                MITANAND
Elke Moosbrugger                        LE.NA – Lebendige Nachbarschaft   Gemeinwesenstelle Rankweil
Am Marktplatz 1                         Ingrid Böhler                     Michael Müller
6830 Rankweil                           Wichnergasse 22                   Ringstraße 49
T 05522 405 1127                        6800 Feldkirch                    6830 Rankweil
elke.moosbrugger@rankweil.at            T 0676 88420 4010                 T 05 1755 547
                                        ingrid.boehler@caritas.at         michael.mueller@ifs.at

      Auf gesunde Nachbarschaft!
                www.gesunde-nachbarschaft.at

Projektteam

Projektleitung: Elke Moosbrugger, Natalie Wojtech, Ingrid Böhler
Redaktion: Ingrid Böhler, Daniel Furxer, Thomas Hebenstreit, Elke Moosbrugger, Natalie Wojtech
Interviews, Texte und Audios: Daniel Furxer
Videos: Philipp Mück, Philipp Chromy
Grafik (Metallfiguren & Print): Petra Mittempergher
Fotos: www.zweimann.at (Kevin Zimmermann), Marktgemeinde Rankweil
Metallfiguren: www.werkraumgoefis.com (Bernhard Nägele)
S/W-Bilder: www.shutterstock.com
Druck: DTH Thurnher, Rankweil
Juli 2021

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Vorwort

                     Liebe Leserinnen und Leser,                            Vom himmlischen Erzählen

                      Großstädten wird sie nach-                            Die „Rankler G'schichten“
                      gesagt, auf dem Land wird                             rufen mir eine Geschich-
                     sie negiert. Manchmal ist sie                         te in Erinnerung, die David
                   erwünscht, manchmal ist sie                           Steindl-Rast einmal erzählt hat.
lästig. Und oft braucht es nur etwas guten Willen     Sein Freund Henry unternimmt im Sommer gerne
und Empathie, um zu spüren, ob sie freiwillig oder    große Reisen und kommt immer mit sehr, sehr
erzwungen ist. Die Rede ist von Anonymität.           vielen schönen Bildern zurück. Daheim liebt er
                                                      es dann, seine Bilder abendfüllend herzuzeigen.
In Rankweil wohnen derzeit rund 12.000 Men-           Bruder David meint, für Henry werde der Him-
schen aus rund 80 Ländern, welche beinahe             mel wohl darin bestehen, dass Gott zu ihm sagt:
ebenso viele Sprachen sprechen. Jede und jeder        „Henry, zeig mir deine Bilder!“ und er dabei spürt,
davon mit einer eigenen Lebensgeschichte, mit         dass das Interesse und die Freude Gottes an dem,
Herausforderungen und Stolpersteinen, aber auch       was er gelebt und erfahren hat, ungeteilt sind. In
einer Menge an Lebenserfahrung und Lebens-            einem Raum des Wohlwollens und des Interesses
freude. Um einige dieser Menschen sichtbar zu         ein Stück Lebensgeschichte miteinander zu teilen
machen, miteinander zu verbinden und in die Mitte     – das hat etwas Himmlisches.
zu holen, haben wir unter dem Dach von LE.NA –
lebendige Nachbarschaft – die Rankler G'schichten     Und es sind auch die Zutaten für gute Nachbar-
ins Leben gerufen. Entstanden ist eine berührende     schaft. Jede geteilte Geschichte macht alle ein
Sammlung von Lebenswegen, welche unter ande-          wenig reicher und verbindet. Ein Mensch zeigt
rem vom Ankommen in Rankweil, vom Leben nach          sich mit einem Stück seines Lebens und seiner
dem Krieg, vom dörflichen Geschehen und von der       Erfahrung, wird ansichtig in seiner Einmaligkeit
Suche nach dem eigenen Glück handeln.                 und Einzigartigkeit. In jeder Geschichte steckt
Ab Freitag, 9. Juli 2021, sind die 21 gesammelten     Lebensweisheit. Eine jede inspiriert, macht Mut,
Geschichten den ganzen Sommer über im Rahmen          schenkt Gelassenheit, zaubert ein kleines Lächeln
einer Ausstellung auf dem Rankweiler Marktplatz       ins Gesicht oder weckt Bewunderung über das,
zu hören. Die Lebensgeschichten gibt es auch          was in einem Leben alles Platz hat und bewältigt
als Audio und Video auf www.rankweil.at/rankler-      worden ist. Man hört und liest diese Geschichten
gschichten/.                                          und empfindet Respekt, Empathie und Verbun-
                                                      denheit und freut sich auf eine Fortsetzung bei
Ich bin überzeugt, dass wir damit einen Beitrag       nächster Gelegenheit. So werden aus Menschen,
zu einem aufrichtigen Austausch geleistet haben       die vielleicht mehr oder weniger zufällig in der
und lade Sie herzlich ein, sich selbst ein Bild von   Nähe leben, Nachbarn. Und selbst wenn man ganz
der wunderbaren Vielfalt in Rankweil zu machen.       woanders lebt, durch das Teilen unserer Lebens-
Bewegen Sie sich mit offenen Augen durch den          geschichten werden wir innerlich zu Nachbarn. Ein
Alltag, wagen Sie ab und zu mal einen Blick nach      wunderbarer Vorgang! So wächst Tag für Tag ein
links und rechts, und gehen Sie unvoreingenom-        Miteinander, das uns alle leben und atmen lässt.
men aufeinander zu. Dann bin ich mir sicher, dass
ungewollte Anonymität in Rankweil an Bedeutung        Ich danke von Herzen allen, die eine Geschichte
verlieren wird.                                       beigetragen haben und jenen, die die Geschichte
                                                      gehört, aufgenommen und abgebildet haben.

Mag. Katharina Wöß-Krall                              Dr. Walter Schmolly
Bürgermeisterin                                       Caritasdirektor

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Lebendige G'schichte(n) aus Rankweil

Was passiert, wenn man in die Häuser der Men-          Die Lebensgeschichten beinhalten einen großen
schen geht und sich ihre Lebensgeschichten             Schatz an Erfahrungen und bilden das Leben in
erzählen lässt?                                        Rankweil in all seiner Buntheit ab. Dabei spielt
                                                       auch das Thema Einsamkeit ein wichtige Rolle,
Es kommen spannende, lustige, traurige und auch        gerade weil diese Geschichten mögliche Antwor-
nachdenkliche Geschichten zum Vorschein, die in        ten auf dieses Thema sein können. Somit kommt
der Gesamtheit ein Bild des 20. Jahrhunderts in        der Frage, wie diese Menschen ihr Leben und ihr
Rankweil wiedergeben. Zeitzeugen berichten aus         Altwerden empfinden und leben, eine zentrale Be-
ihrer Vergangenheit und schaffen so einen persön-      deutung zu.
lichen Zugang zu ihrem Leben – so passiert „Oral
History“.                                              In der Broschüre wird das „spannende Leben“
                                                       einzelner Menschen sichtbar gemacht. So werden
21 Ranklerinnen und Rankler haben aus ihrem Le-        die unterschiedlichsten Facetten der Lebenspers-
ben erzählt und ich, Daniel Furxer, durfte ihnen zu-   pektiven vieler verschiedener Menschen – die
hören. Dabei sind 21 Portraits entstanden, die ich     einen haben schon immer in Rankweil gelebt,
in einer Broschüre verschriftlicht habe und durch      andere sind zugewandert – in den Mittelpunkt
Audio- und Videoaufnahmen mit Philipp Mück und         gestellt. Durch ihre Vielfalt werden die „Rankler
Philipp Chromy sicht- und hörbar wurden. Um            G'schichten“ zu einem Kontaktangebot, welches
die wunderbaren Geschichten abzurunden und in          das Interesse am jeweils anderen wecken soll.
die Mitte Rankweils zu stellen, entstand die Idee
einer Ausstellung mit lebensgroßen Metallfiguren,      Ich hoffe, wir können auch euer Interesse an
welche die Erzähler*innen abbildet. Basierend          diesen Geschichten wecken!
auf den Fotos von Kevin Zimmer gestaltete Petra
Mittempergher das ansprechende Layout der Bro-
schüre und digitalisierte die Metallfiguren, welche
dann von Bernhard Nägele liebevoll ins Leben
gerufen wurden. So ist ein kleines Gesamtkunst-
werk entstanden. Die Metallfiguren, die bei ver-
schiedenen Anlässen verwendet werden können,
bieten die Möglichkeit, mit der Person in Kontakt
zu kommen.                                                 Ingrid Böhler         Daniel Furxer

Ausgangspunkt für die „Rankler G'schichten“ war
das Caritas Projekt „LE.NA – Lebendige Nachbar-
schaft“ (Ingrid Böhler), das in Rankweil Paspels in
Form eines Begegnungscafés in Kooperation mit
der Gemeinwesenstelle MITANAND in Rankweil
(Taliye Hämmerle und Michael Müller) ins Leben
gerufen wurde. Dort können Menschen in Kontakt
kommen und eine gute, sorgsame Nachbarschaft
pflegen. Schnell haben wir vom Redaktionsteam
(Ingrid Böhler, Daniel Furxer, Thomas Hebenstreit,
Elke Moosbrugger und Natalie Wojtech) bemerkt,
dass wir nicht nur Menschen aus Paspels sondern
aus ganz Rankweil interviewen wollen: aus den
verschiedensten Ortsteilen, mit den unterschied-
lichsten Berufen und in verschiedenen Lebens-
situationen.

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Rankler G'schichten - Eine Kooperatiosprojekt im Rahmen von LE.NA - Lebendige Nachbarschaft Marktgemeinde Rankweil MITANAND - Gemeinwesenstelle ...
Kurt Arnoldini – Der Schatzsucher
Jahrgang: 1950
1980 von Feldkirch nach Rankweil gezogen

„Mich faszinieren die unendlichen Geschichten, die   Oft ist Arnoldini alleine mit seinen Büchern, wenn
in den Büchern leben. Das ist meine große Leiden-    er sie im Lager sortiert und reinigt. „Das Wort Ein-
schaft.“                                             samkeit ist bei mir positiv besetzt. Ich kann mich
                                                     in der Einsamkeit mit Menschen und mit Gedanken
Kurt Arnoldini ist umgeben von Büchern. Mehr als     verbinden, so entsteht ein 'Gemeinsam'. Ich bin
30 000 Bücher stehen nach Autor*in und Fach-         alleine im Raum aber doch ganz umgeben von der
gebiet geordnet in seinem 65 m² großen               Philosophie oder der Biografie eines Menschen.“
Antiquariat. Die Sammlung umfasst                    In dieser Abgeschiedenheit entdeckt er Neues und
dabei sowohl deutsch- als auch fremd-                stößt auf Dinge, die er so nicht gekannt hat. Es ist
sprachige Werke, die im Neubau neben                  eine Schatzsuche.
seinem Wohnhaus untergebracht sind.
Vom Fachbereich der Philosophie und                  Sein Beruf hat dieses Hobby erst ermöglicht.
den spirituellen Büchern über Reise-                         44 Jahre lang war er Beamter bei der Be-
literatur und Comics bis hin zu den                             zirkshauptmannschaft und so in einer
Klassikern der Belletristik findet man                           gesicherten Situation. „Die Bereiche
hier sehr viele Schätze. Nach jahr-                               Fremdenpolizei, Strafabteilung und
zehntelangem Sammeln und An-                                       Jugendwohlfahrt waren nicht immer
kaufen von Büchern beschloss er                                     ein Honiglecken, da gab es schon
vor 26 Jahren, diese Schätze auch                                    schwierige Themen. Trotzdem war
der Allgemeinheit zur Verfügung                                       mir das sehr wichtig“, resümiert
zu stellen. Die Idee bestand darin,                                   Arnoldini.
etwas Besonderes daraus zu ma-
chen: keine Leihbibliothek, keinen                                      Gleich nach der Hochzeit zog
neuen Buchhandel, sondern eine                                         der gebürtige Feldkircher vor
antiquarische Buchhandlung, die                                    41 Jahren in das neu gebaute Haus
Wissen günstig zur Verfügung                                      in Brederis ein. Für ihn ist Rankweil
stellt. Für Kurt sind die Bücher ein                               längst sein Zuhause geworden. Jetzt,
Tor zur Welt.                                                      in der Pension, hat er sich nochmals
                                                                 für Rankweil entschieden. „Mit dem
 „Mit Büchern kann ich mich                                   Bau der Bibliothek war für mich klar, dass
  in jede erdenkliche Welt                                wir fix in Rankweil bleiben. Mit 70 ein solches
          begeben.“                                      Projekt zu starten, um es gleich wieder zu ver-
                                                         kaufen, das kam für mich nicht in Frage.“ Die
„Als Jugendlicher wollte ich in die weite               Offenheit der Menschen und die Natur schätzt
Welt hinaus, dies blieb mir aber aufgrund               er besonders. „In Rankweil habe ich alles, was
der geschlossenen Grenzen größtenteils                  ich brauche, eine reichhaltige Kultur, eine viel-
verwehrt. Indien war damals ein begehrtes                seitige Gastronomie und nicht zu vergessen:
Reiseziel für viele. Später gründete ich eine             die Basilika als religiöses Zentrum.“
Familie und dieser Wunsch rückte in den
Hintergrund. Ich habe mir meinen Traum
– meditierend unter einem Mangobaum zu
sitzen – jedoch retten können. Mit Büchern
kann ich mich in jede erdenkliche Welt
begeben und in die Philosophie von
fremden Kulturen eintauchen.“

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Geheimtipp fürs Älterwerden

Immer im Jetzt leben, sich mit Interesse
belegen, egal was es ist. Wenn du das
Desinteresse einkehren lässt, wirst du
schnell den Abwärtsgang einlegen. Denn:
'Wer anfängt aufzuhören, hört auf anzu-
fangen.' Mit Begeisterung tun, was man
gerne tut.

Danke sagen zu können, wenn ich am
Morgen aufstehe, da es nicht selbstver-
ständlich ist, dass ich da bin und dass ich
mich wohl fühle.

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Isobel Dolak – Die Weltveränderin
Jahrgang: 1944
1970 von Schottland nach Rankweil gekommen

Ihren Wohnort hat sie sich nicht ausgewählt. Es ist   Umwelt, feministische Theologie und Sexualität
einfach so passiert. Isobel Dolak ist auf den Shet-   ging. „Das war in den 1980er Jahren schon revolu-
landinseln aufgewachsen, am 60. Breitengrad auf       tionär, muss ich sagen. Wir haben uns im Jugend-
gleicher Höhe mit der norwegischen Stadt Bergen.      heim getroffen.“ Isobel ist eine Kämpferin für die
„Die Einwohner dort sind es gewohnt auszuwan-                 gute Sache und politisch sehr aktiv. Eine
dern. Meine Onkel sind in alle Himmels-                         Periode war sie sogar in der Rankweiler
richtungen verstreut. Von allen                                  Arbeitsgruppe Integration.
Seiten herum sieht man das Meer.
Das macht einen Menschen weltof-                                 „Ich fühle mich hier in Rankweil wohl.
fen.“ Auch Isobel blieb nicht lange                                 Ja, Heimweh, das habe ich schon.
auf der Insel. „Ich bin zum Studie-                                   Vor 17 Jahren habe ich mich ge-
ren nach Edinburgh gegangen. Das                                       fragt: 'Wo bleibe ich jetzt?' Ich
war meine erste große Stadt, die ich                                    habe mich dann für Rankweil
gesehen habe. Da begann die Zeit als                                     entschieden. Ich habe Freun-
ich die Welt verändern wollte“, erzählt                                   dinnen hier und meine Familie.
Isobel Dolak. In dieser Zeit hat sie den                                  Es hat jedoch lange gedauert,
„Service Civil International“ kennen-                                     bis ich mich hier gut zuhause
gelernt und absolvierte einige internationale                             fühlte.“ In den ersten Jahren
Freiwilligeneinsätze mit Menschen aus aller                               war es schwierig. Ihr Mann war
Welt. „Wir haben vor allem mit Menschen                                   viel auf Geschäftsreisen und sie
mit Beeinträchtigung gearbeitet, Zäune                                   alleine zuhause mit dem Kind.
gebaut und einen Garten bepflanzt.“ Hier                                 „Zum Glück habe ich dann an-
hat sie auch ihren Mann kennengelernt,                                   dere Frauen aus Großbritannien
einen Wiener.                                                           gefunden, die in der gleichen
                                                                         Lebenssituation wie ich waren.
„1970 sind wir nach Rankweil gezo-                                       Mit denen habe ich mich aus-
gen, wir waren also beide fremd hier.                                  getauscht. Man trifft sich heute
In Schottland gibt es 'coffee mornings',                             leichter als früher. Ich habe damals
wenn man irgendwo neu ist. Das gab es                              nicht gewusst, dass es andere gibt,
in Rankweil nicht, daran habe ich mich                           die in der gleichen Situation sind wie
gewöhnen müssen. Auch dass man bei                             ich.“
den Nachbarn nicht täglich aus und
eingeht. Man kennt sich zwar, aber so                        „Ich bin wirklich gern allein unterwegs.
ein enges Verhältnis hat man nicht.“ Am                      Besonders seit ich die Fotografie zu schät-
Anfang hat sie unterschätzt, wie wichtig                      zen gelernt habe. Ich sehe mehr alleine,
es ist, bei kirchlichen Anlässen dabei                         oft auf bekannten Routen. Das ist sehr
zu sein. „Ich bin ja evangelisch, aber                          schön, du musst diesen Augenblick mit-
wir haben sehr viele Dinge gemeinsam,                            nehmen, ich lebe in diesem Augenblick.“
mehr als man denkt“, so Isobel. „Ich                             Neben der Fotografie hat sie noch ein
habe aber später mit Rankler Frauen                              anderes Hobby. „Ich betreue auch die
viel Frauenarbeit und Basistheologie                              beiden Bücherschränke in Rankweil.
gemacht.“ Sie waren eine Gruppe von                               Das macht mir sehr viel Spaß. Ich
sechs Frauen und haben gemein-                                     schaue, welche Bücher reinkommen.
sam Themenabende organisiert,                                       Die Antiquarischen gebe ich wei-
bei denen es unter anderen um                                       ter an das Gemeindearchiv. Andere

                                                 8
Rankler G'schichten - Eine Kooperatiosprojekt im Rahmen von LE.NA - Lebendige Nachbarschaft Marktgemeinde Rankweil MITANAND - Gemeinwesenstelle ...
gebe ich zum Bücherbasar von Kurt Arnoldini. Da
ist immer was los.“ Literatur ist ihr Hobby und sie
ist auch in einer Literaturgruppe, in der moderne,
englische Literatur gelesen wird. „Manchmal denke
ich mir aber schon: 'Komme ich wieder nach Shet-
land?' Mein Bruder ist schon 84 Jahre, werde ich
ihn nochmals sehen? Solche Gedanken beschäfti-
gen mich schon.“

         Geheimtipp fürs Älterwerden

Man soll nicht zu viel von anderen Menschen
erwarten. Wenn ich einen Groll habe, kann
ich mich fragen: 'Liegt es an mir oder an den
anderen Leuten?' Man kann an sich selber
arbeiten. Sich selber nicht so wichtig
nehmen. Eine gute Beziehung zu sich und
der Welt haben, in die man hineingeboren
wurde.

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Rankler G'schichten - Eine Kooperatiosprojekt im Rahmen von LE.NA - Lebendige Nachbarschaft Marktgemeinde Rankweil MITANAND - Gemeinwesenstelle ...
Linde Dietrich – Die 15. Nothelferin
Jahrgang: 1940
Aus dem Bregenzerwald 1966 nach Rankweil gezogen

„Früher haben bei uns Menschen aus dem ganzen              „Acht junge Nicaraguaner kamen nach Dornbirn
Land angerufen. Mein Mann und ich hatten zwei              und sind hier in die Textilschule gegangen. Sie
Telefonanschlüsse. Wenn es ein Problem gab, hat            haben hier gelernt und drüben ihr Wissen dann
er die Leute zu mir weitergeleitet, egal, ob es um         umgesetzt“, so Dietrich. Ihre Augen leuchten, als
einen Holzkohleofen oder um Geld ging. Bei den             sie das erzählt. Südamerika ist ihre zweite Heimat
Behörden war ich wohl schon gefürchtet, da ich             geworden. „Als die politische Lage sich verschlech-
meistens das bekommen habe, was ich brauch-                tert hat, bin ich in die Dominikanische Republik
te. Ich war die 15. Nothelferin von hier bis zum           ausgewichen. Aber nicht zum Urlaub machen. Ich
Bodensee.“ Linde Dietrich erinnert sich gern an die        bin in die Dörfer hinaus und habe mit den Men-
Zeit zurück, als ihr Mann Nationalratsabgeordne-           schen gelebt“.
ter war und sie mit ihm zusammengearbeitet hat.
„Diese 25 Jahre waren die schönste Zeit meines               „Inzwischen haben diese Kinder wieder
Lebens!“                                                            Kinder und kennen mich immer
                                                                                 noch.“
Es war eine anstrengende, aber auch erfüllende
Aufgabe für sie. In eine politische Familie hinein-                   „'Hola Linda', haben sie alle gerufen, die
geboren, ihr Vater war Gewerkschafter, hat sie                        Frauen und Männer. Es ist wie daheim.
sich schon sehr früh für Politik interessiert. „Ich                  Ich bin mit einem Rucksack voll Menta-
habe es geliebt, mit meinem Vater zu poli-                              Zückerle für die Kinder gekommen.
tisieren, und er auch. Auch heute noch                                   Inzwischen haben diese Kinder wie-
rede ich gerne mit meinen Söhnen                                          der Kinder und kennen mich immer
über Politik. Das ist in unserer Fa-                                      noch, das ist einfach schön. Ich
milie so weitergegeben worden.“                                           habe mein Herz an Lateinamerika
Mit 37 Jahren gründete sie 1977                                           verloren!“, gesteht Dietrich.
den Pensionistenverband in Rank-
weil, den sie 25 Jahre leitete. „Ich kam                                   Einsamkeit hat Linde Dietrich nie
aus der Jugendarbeit mit den 'roten Falken'.                                gespürt. „Ich weiß immer, was
Dann habe ich direkt zur Pensionistenarbeit ge-                             zu tun. Auch wenn es nur eine
wechselt. Als ich angefangen habe, waren wir                                Schublade ausräumen ist. Es sind
acht Leute, als ich aufgehört habe 300.“                                    oft alltägliche Dinge, aber sie ge-
                                                                             hören auch gemacht.“ Zu einer
1966 hat sie als Geschäftsführerin beim Lebens-                             Dame im gleichen Stock hatte
mittelgeschäft „Osirnig“ angefangen. So ist sie                           sie lange Kontakt. „Wir haben uns
nach Rankweil gekommen. „Ich bin aus dem                               gegenseitig zum Kaffee eingeladen,
Bregenzerwald rausgezogen, ohne dass ich ge-                           über 40 Jahre lang. Letzten Winter ist
wusst habe, was mich erwartet. Ich bin hiergeblie-                     sie nun mit 89 Jahren gestorben.“
ben, habe eine Familie gegründet und zwei Kinder
großgezogen. Mittlerweile lebe ich schon zwei
Menschenleben hier“, lacht Linde.

Mit ihrem Mann, der im Nationalrat für Entwick-
lungshilfe zuständig war, baute sie auch Projekte
in Nicaragua, Guatemala und Honduras auf. Es
entstand eine Textilschule in Managua, die mit
Maschinen aus Vorarlberg ausgestattet wurde.

                                                      10
Geheimtipp fürs Älterwerden

Nicht ans Älterwerden denken! Ich habe nie
daran gedacht, dass ich alt werden könnte.
Ich fühle mich auch heute nicht alt. Im
Herzen ganz sicher nicht! Entweder man
wird so alt oder nicht.
Mit den Leuten gut auskommen, sie verste-
hen und akzeptieren wie sie sind, einer
interessanten und schönen Beschäftigung
nachgehen, Bescheidenheit, ich brauche
nicht viel Geld.
'Humor ist, wenn man trotzdem lacht', ist
mein Lebensmotto.

11
Elmar Simma – Der Zuhörer
Jahrgang: 1938
In Rankweil geboren und aufgewachsen

„Ich bin gerade in die Sennerei Milch holen gegan-      „Ahe zu da Lüt und ussi zu da Lüt“, das ist eine
gen, da sind mir französische Panzer in der Lang-      typische Handbewegung, eine Grundbewegung
gasse entgegengekommen. Die Frutzbrücke haben          Gottes“, so würde Simma seinen Beruf beim
sie während der Frühmesse gesprengt. SSler             heiteren Beruferaten als Seelsorger beschreiben.
haben sich bei der Gastra verschanzt und ha-               „Man muss zu den Leuten gehen, man sieht
ben geschossen. Das war für mich als junger                  so ihr Umfeld, in dem sie leben. Zuhören ist
Bub schon spannend. Diese Ereignisse des                      ganz wichtig, um die Freuden und Nöte der
Krieges haben sich tief in mir eingeprägt.“                   Menschen zu erfahren. Ein Hausbesuch ist
Pfarrer Elmar Simma war zu Kriegsende ein                        auch eine Wertschätzung.“
junger Bub und wohnte im Hadeldorf in der                             Den Glauben habe er mit der Mut-
Nähe vom Bahnhof. „Unter der Bahn gab es                                 termilch mitbekommen. Früher
außer in der Langgasse nur wenige Häuser. Spä-                             war es selbstverständlich in
ter ist das Karmelkloster dazugekommen“, er-                                die Kirche zu gehen, es war
innert sich Elmar. Zuhause lebten sie ohne Bad                              auch eine gewisse Strenge im
und Dusche. Das Klo war ein                                                  Glauben. „Ich bin der Meinung,
Plumpsklo. „Das Leben da-                                                    dass der Glaube befreien soll.
mals war noch sehr bescheiden.                                               Ich selbst werde auch mitge-
Riebel und Erdäpfel waren unser                                              tragen vom Glauben der ande-
tägliches Abendessen“, so Simma.                                             ren und fühle mich im Glauben
                                                                            verbunden, der Trost gibt,
Sie waren, wie viele andere auch, Selbstver-                                wenn es mir schlecht geht“.
sorger*innen. Im eigenen Garten und im Feld                                 „Pfarrer Klaus Bissinger hat
wurden Erdäpfel, Weizen, Mais und Gemüse an-                                die Pfarrgemeinde Rankweil
gebaut. „Wir waren sechs Kinder und haben da                               sehr geprägt“, so Elmar weiter,
ordentlich mithelfen müssen. Wenn man spielen                              „Er war eine markante Persön-
wollte, musste man sich schon fast davonschlei-                          lichkeit und hat den Rankwei-
chen.“ Beim Spielen waren sie erfinderisch und                          ler*innen glaubensmäßig viel
haben sich meist am St. Peter-Bühel getrof-                            mitgegeben.“ Besonders gut kann
fen. Da haben dann die Oberdörfler gegen die                            sich Simma auch an die Lichter-
Unterdörfler gekämpft, oder wir haben ge-                               prozession am 1. Mai erinnern, zu
spatzekelt, ein Spiel mit Holzstecken.                                  der immer tausende von Leuten
                                                                       gekommen sind. „Das hat uns
„Die Pfarre in Rankweil hat mich sehr geprägt.                         Rankler schon mit Stolz erfüllt.“
Wir haben den ganzen Ablauf des Kirchenjahres
als Ministranten mitbekommen. Ich war auch                              „Ich war aus meinem Beruf
Mesner. Von der Werktags- und Sonntagsmesse                             heraus nie einsam. Ich habe fast
bis zum Aufstellen des heiligen Grabes haben wir                        immer das Gegenteil erlebt und
alles erlebt. Wir waren verbunden mit der Basilika                       musste flüchten, wenn ich allei-
und mit St. Peter, der Schulkirche. Ich habe mich                        ne sein wollte. Ich bin dann Lau-
immer als Rankler gefühlt.“ Später war Elmar                              fen gegangen.“ Ein Vorteil von
Simma im Internat im Obergymnasium in Schwaz                               Rankweil ist die Nähe zu den
und dann sechs Jahre in Innsbruck zum Theolo-                              Bergen, als begeisterter Ski-
giestudium. Eine Weile war er Pfarrer in Göfis, ist                       fahrer und Wanderer ist das für
aber wieder nach Rankweil gezogen, als er                                  ihn besonders schön. Die Natur
Caritasseelsorger geworden ist.                                            bietet viele Möglichkeiten.

                                                  12
Geheimtipp fürs Älterwerden

Es ist ein Geschenk, eine Gnade, dass ich
relativ gesund bin. Ich mag alles zum Essen
und zum Trinken, gönne mir ein Gläschen
Wein am Abend. Zufriedenheit und Dankbar-
keit, wenn ich am Abend im Winter in ein
warmes Haus komme.

„Meine Schwester ist Ende November im Haus
Klosterreben gestorben. Sie hat dort bis zum
Schluss leben können. Wir können uns glücklich
schätzen, dass wir so ein breites Angebot an Be-
treuung haben, zum Beispiel den Krankenpflege-
verein, Essen auf Rädern, viele Gasthäuser zum
Essen gehen, MOHI und der Seniorentreff Rank-
weil und seine gute Infrastruktur. Zum Glück bin
ich körperlich und geistig noch gut unterwegs und
komme so gut zurecht.“

                                                    13
Tini & Günther Hron
– Das spielfreudige Doppel
Jahrgänge: 1941 & 1935
1994 sind Tini und Günther von Sulz nach Rankweil gezogen

Tini Hron ist in Sulz aufgewachsen, Günther in       Arbeiten, wir sind für uns, aber doch nicht alleine.
Rankweil. Die Liebe brachte die beiden zusammen.     Der Zusammenhalt ist wichtig. Wenn etwas ist,
Beim Tischtennisspielen kamen sie sich näher.        sind sie da.“ Auch das nachbarschaftliche Verhält-
„Ich war mit zwei Freundinnen am Spielen, er ist     nis ist sehr gut. „Wir sitzen zwar nicht gegenseitig
dann mit einem Freund dazugekommen. Ich habe         in den Häusern, aber man hilft einander.“
damals in der Stiegstraße im Lebensmittelgeschäft
gearbeitet, Günther kam jeden Tag den Brief-         „Was fehlt, ist ein Café oder ein Gasthaus“, meint
kasten leeren. Da habe ich ihm einmal einen Brief    Tini. „Hier in der Schaufel sind wir schon fast wie
zugesteckt“, berichtet Tini. So intensivierte sich   ein extra Ortsteil. Wir haben einen ADEG, aber ein
die Liebesgeschichte. Tini ist 22 und                                     Treffpunkt fehlt schon etwas.“
Günther 28, als sie sich in Maria-                                          Das jährliche „Schuflafest“
zell das Jawort geben. „Dieser Ort                                          bringt jedoch die Leute zu-
ist und bleibt ein besonderer für                                           sammen. Auch die Pensio-
uns. Immer, wenn wir einen Öster-                                          nist*innenausflüge sind ein
reichurlaub gemacht haben, sind wir                                       regelmäßiges Zusammenkom-
auch dort vorbei-                                                        men.„Jeden Mittwoch gehen wir
gekommen.“ Zur                                                                           auf den Markt und
Goldenen Hoch-                                                                            danach gelegent-
zeit vor acht Jahren                                                                      lich ins Tüble“,
waren sie das letzte                                                                   so Günther. „Älter-
Mal dort.                                                                             werden ist schön. Wir
Nach der Hochzeit sind sie                                                      haben hier in Rankweil
nach Sulz gezogen, um die                                                    alles, was wir brauchen. Es
kranke Mama von Tini zu                                                       gibt genügend Geschäfte
pflegen. „Günther ist aber im                                                 und man hat Kontakt zu
Herzen immer ein Rankler                                                      Leuten, wenn man das
geblieben. Wir haben in der                                                    will.“ Rankweil sei schon
Austraße gewohnt, er war                                                       fast eine Stadt geworden,
sofort in Rankweil“, sagt Tini                                                 merkt Tini an.
mit einem Augenzwinkern.
                                                                        Das Paar sieht man selten
32 Jahre arbeitete Günther bei                                         alleine. „Uns kennt man nur im
der Post, und in der Pension                                          Doppelpack. Wenn ich alleine
11,5 Jahre als Ausfahrer für Es-                                      unterwegs bin, dann fragt man
sen auf Rädern. Seit 1994 leben                                      mich: 'Hoi, wo ist dein Mann?' oder
sie im Haus, das Günther damals                                      umgekehrt. Und das schon seit 58
mit seiner Schwester in der Schau-                                  Jahren.“ Auch im Alter sind sie noch
fel gebaut hatte. Oben wohnen jetzt                                unternehmungsfreudig. „Wir gehen
ihr Sohn und seine Partnerin. „Das                                 viel Laufen, das hält uns fit. Nach
funktioniert sehr gut. Wir leben                                   dem Frühstück spielen wir meistens
unter einem Dach und wissen, wir                                   eine Partie Halma, das ist eine uns
können uns gegenseitig auf-                                               liebgewordene Tradition.“
einander verlassen“, so Tini
Hron. „Untertags sind sie am
                                                14
Geheimtipp fürs Älterwerden

Tini: Interessiert an allem bleiben, auch
Interesse an der Arbeit von anderen zeigen.
Zu jedem Scherz aufgelegt sein, z.B. Sack-
hüpfen beim Grillfest, so bleibt man jung.

Günther: viel Laufen gehen natürlich.

15
Helene Marmsoler – Die Humorvolle
Jahrgang: 1929
1969 von Laterns nach Rankweil gezogen

„Ich hatte eine schöne Kindheit in Laterns“, erin-    Sie erinnert sich: „Wir hatten in unserer Straße das
nert sich Helene Marmsoler zurück. „Wir konnten       erste Haus, rund um uns gab es nicht viel. Natür-
etwas lernen und die Eltern waren gut zu uns.         lich wurden wir gehänselt, weil wir aus Laterns
Natürlich, als ich 15 Jahre alt war, waren noch die   kamen. Ich mag heute noch keine Laternser-
französischen Besatzer bei uns.“ Helene weiß auch     witze. Ich wehre mich, wenn einer erzählt wird“,
eine Anekdote darüber zu berichten: „Ich fuhr mit     so Helene.
meiner Freundin Luise mit dem Zug nach Bregenz.
Wir haben viel gelacht. Die französischen Soldaten             „Ich wohne in Rankweil still
hatten jedoch den Eindruck, dass ich sie auslach-      und friedlich wie damals. Für mich hat sich
te. So wurde ich von ihnen mitgenommen und                         nicht viel verändert.
im Zug in einen Coupé-Wagen eingesperrt.
Sie stellten mich vor die Wahl, den Wag-                  Sie hat vier Kinder großgezogen. „Ich wohne
gon zu putzen oder mit ihnen Tanzen zu                      hier still und friedlich wie damals. Insofern
gehen. Ich wollte aber nur nach Hause.“                     hat sich für mich nicht viel verändert. Die
Zum Glück konnte ihre Freundin franzö-                     Nachbarschaft ist mir sehr wichtig, hier sind
sisch sprechen und sie ist zum Vorgesetz-                 alle sehr hilfsbereit. Eine Nachbarin klopft
ten der Soldaten gegangen. „So bin                          öfters ans Fenster, wenn sie einkaufen geht
ich schließlich ohne Konsequenzen                            und fragt, ob ich auch etwas brauche. Ein
wieder rausgekommen. Ja, ich war                              anderer Nachbar mäht mir den Rasen und
damals noch jung und gutgläubig“,                              eine Nachbarin habe ich zum Reden.“
so Helene.
                                                               Ihr liebstes Hobby ist das Lesen. „Ich
Da ihr Vater kein Nazi war, wurde                              habe als Kind schon immer gern gelesen
er nach dem Krieg der erste Bür-                                und habe mich auch von der Haus-
germeister von Laterns. „Während                                 arbeit weggeschlichen, damit ich lesen
des Krieges hat er den Schweizer                                 konnte. Nicht selten habe ich auch am
Radiosender gehört. Wir haben                                      Abend unter der Bettdecke gelesen.
immer geschaut, dass niemand                                          Jetzt habe ich eine tolle Leselampe,
vorbeikommt. Ich kann mich er-                                        die mir das Lesen erleichtert.“
innern, dass wir damals Angst um                                    Jede zweite Woche trifft sie sich auch
ihn hatten.“                                                     mit vier Freundinnen zum Jassen. „Das
                                                                 mache ich auch gerne. Wir sind ja jetzt
Ihr Mann arbeitete als Volksschul-                                alle geimpft und da geht es wieder.“
lehrer in Laterns und unterrichtete
die einklassige Volkschule mit über                               „Hier am Küchentisch ist meine Hei-
30 Kindern. „Meinen Mann zog es                                   mat“, bekräftigt Helene. Gerne geht
raus nach Rankweil und so sind wir                                 sie mit der Senior*innenrunde in
1969 umgezogen.“ Mit Hilfe von Freun-                              verschiedene Gasthäuser essen. „Wir
den hat er dann das Haus gebaut.                                    werden jeden Freitag sogar abge-
Dadurch hat sich viel in ihrem Leben                                holt. Man hat es fein im Alter, wenn
verändert. „Ich konnte in Rankweil                                   man ein bisschen mag.“
viele Beziehungen zu unterschiedlichen
Leuten aufbauen, zum Beispiel in der
Familienrunde oder auch bei den Jahr-
gänger*innenfesten.“

                                                 16
Geheimtipp fürs Älterwerden

Ich habe mich nie an Rezepte gehalten,
auch nicht beim Kochen. Man hat mir kein
langes Leben prophezeit. Ich hatte eine
Bandscheibenoperation am 80. Geburtstag.
Ich habe mich immer jünger gefühlt als ich
bin. Ab 85 Jahren habe ich die Jahre nicht
mehr mitgezählt. Ich bin dankbar für alles,
was mir möglich ist.

17
Husseini Soltan – Der Schneider
Jahrgang: 1957
2015 von Afghanistan nach Vorarlberg gekommen

„Von Beruf bin ich Schneider. Zuerst hab ich in        kann, und am Abend wieder heimkommt. Lange-
einem Betrieb mitgearbeitet, dann habe ich selbst      weile ist ein Gefühl, das er gut kennt.
eine Schneiderei aufgemacht. Das geht in Afgha-
nistan ganz ohne Ausbildung. Ab und zu habe ich        Im November 2015 ist er mit seiner Familie zu-
auch als Bauer auf großen Feldern ausgeholfen.         erst nach Götzis und kurz danach nach Rankweil
Hier in Vorarlberg ist es nun schwierig, eine Arbeit   gekommen. Das Leben in Rankweil gefällt ihm.
zu finden.“ Husseini Soltan sehnt sich nach             „In meiner Heimat gibt es oft Kämpfe zwischen
Arbeit. Viel Zeit verbringt er zu Hause. Er                 den Menschen und es ist in der Nacht ge-
bringt und holt die Kinder von der Schule                    fährlich, auf die Straße zu gehen. Vor allem
ab oder er arbeitet im Garten. Doch er                       auch für die Kinder. Seit Krieg in Afghanistan
wünscht sich eine richtige Arbeit.                           ist, habe ich gemerkt, dass ich schneller alt
                                                            werde. Hier in Österreich herrscht zum Glück
 „Ich wünsche mir eine richtige Arbeit.                      Friede. Das schätze ich sehr.“ Er versteht
   Ich möchte am Morgen rausgehen                                  sich sehr gut mit den Österreicher*innen
und am Abend wieder heimkommen.“                                     und auch mit den Menschen, die wie
                                                                      er nach Vorarlberg zugezogen sind.
Arbeit ist in Afghanistan ein wichtiger                                Auch mit den Nachbar*innen kommt
Teil des Lebens. „Ich war drei Monate                                  er sehr gut aus. Freunde zu finden,
im Deutschkurs, aber dann war dieser                                  ist jedoch nicht so einfach. „Nachdem
wieder fertig. Mit über 60 Jahren bin                                 der Deutschkurs vorbei war, ist jede*r
ich vom AMS schwer vermittelbar“, so                                 wieder seine eigenen Wege gegangen.“
Husseini. „Als ich jünger war, konnte
ich machen, was mich interessiert hat.                           Sein Wunsch ist es, mit seiner ganzen
Jetzt im Alter ist dies nicht mehr mög-                          Familie in einer großen Wohnung zu
lich.“ Er wünscht sich einen Arbeits-                             leben. Und er wünscht sich, auch hier
alltag, wo er am Morgen rausgehen                                  Schneider sein zu können.

                                                  18
Geheimtipp fürs Älterwerden

Gesundes Essen, immer etwas zum Arbeiten
haben, denn in meiner Heimat Afghanistan
ist Arbeit wichtig.

                                           19
Josef Loretz – Der Pionier
Jahrgang: 1947
1954 von Koblach nach Rankweil gekommen

„1975 habe ich meinen Raumausstatter-Betrieb         und irgendwie ist das schon gegangen. Und wirk-
hier in der Merowingerstraße gegründet, als ein-     lich: Ich hatte neue Stoffe und Ideen, die ich nach
zelner Kämpfer, weg vom Dorf damals. Aber ich        Rankweil mitgebracht habe“, schmunzelt Joe, wie
hatte gute Vorbilder wie den Schriften 'Nachbauer'   er von Freund*innen genannt wird.
oder die Spenglerei 'Entner'. Da habe ich mir ge-
dacht: Das schaffe ich auch am Rande der              „Selbständig sein heißt für mich: Ehrlichkeit,
Gemeinde.“                                              einen vorausschauenden Blick, Pünktlichkeit
                                                         und eine 60 bis 70 Stundenwoche. Außerdem
Geboren wurde Josef Loretz 1947 in                         ist Service und persönliche Beratung sehr
Bludenz. In der Kriegszeit wurde sein                      wichtig.“
Vater in der kleinen Walsergemeinde
Lech als Meisterkäser angestellt.                       Trotzdem blieb ihm noch genug Zeit, sich für
Seine Eltern übersiedelten 1952                          seine Familie und seine Hobbies zu engagie-
nach Dalaas, 1953 nach Koblach                                            ren. In seiner Wohnung grün-
und 1954 nach Rankweil.                                                   dete er die Merowinger Rhyth-
„Rankweil ist meine Heimat,                                              musgruppe, die später zu den
hier fühle ich mich wohl, habe                                          Merowinger Bläsern erweitert
viele Kollegen und kenne viele                                        wurde. Joe spielt leidenschaftlich
Leute, da ich in etlichen Ver-                                       Klarinette.
einen tätig war.“ Die Gesel-                                       In den 1980er Jahren war er zehn
lenjahre verbrachte er in der                                      Jahre lang Zunftmeister und organi-
Schweiz und machte 1974 den                                     sierte drei Handwerksaustellungen in
Meisterbrief als Tapezierer und                               Rankweil. Auch ein Buch („Arbeit ist des
Bettwarenerzeuger.                                           Lebens Würze“) und eine neue Zunftfah-
1968 heiratete Josef Evi und ge-                            ne entstanden unter seiner Agenda.
meinsam haben sie vier Kinder.
                                                             „Die Pension ist eine schöne Zeit. Ich
Auch beruflich änderte sich einiges:                         verbringe gern Zeit am See und in den
Was in einer Doppelgarage seinen                            Bergen. Mit Fredi Lang spiele ich jeden
Ausgangspunkt nahm, entwickelte                             Dienstagmorgen im Duo Klarinette. Auf-
sich mit der Zeit zu einem Raum-                           tritte haben wir im Haus Klosterreben oder
ausstatterhaus. „Ich war auch zwei                         auch bei Messen in der Valduna und im
Jahre Junghandwerkerobmann der                             St. Peterskirchele. Hier in Rankweil kenne
Wirtschaftskammer und habe in                             ich die Leute und die Leute kennen mich. Ich
dieser Zeit viele Kontakte geknüpft.                     schätze den Garten und da darf ich immer
In meiner Selbständigkeit bis zum                        wieder gute Gespräche führen. Wir haben
Jahre 2007 war ich gerichtlich                          wirklich eine sehr gute Nachbarschaft.“ Das
beeideter Sachverständiger. Ich                        prägt den „Original-Vorarlberger“.
wollte einfach den anderen etwas
voraus sein. Und so bin ich zu den                     „Nach dem Tod meiner Frau Evi war ich schon
Messen nach Mailand, Paris und                                einsam, aber da musst du an dir selbst
London gefahren.“ Seine Frau                                   arbeiten. Ich bin oft am Abend auf dem
hat sich immer gewundert, wie er                               Hochstand gesessen und habe mit dem
das mache, konnte er doch nur                                 Herrgott geredet. '25 Jahre brauch i noch',
Rankler Dialekt. „Ich habe mich                       habe ich ihm gesagt. Und er hat gesagt: 'Ja das
mit Händen und Füßen verständigt                     passt.'“
                                                20
Geheimtipp fürs Älterwerden

Ich war nie richtig krank. Wenn doch, dann
bin ich mit Knoblauch, Rum, Tee und acht
Pyjamas im Bett gelegen, dann am nächsten
Tag wieder in der Werkstatt gestanden.
Kein Neid gegenüber anderen, Bescheiden-
heit, etwas für die Seele: Klarinette spielen
und die Natur genießen.

21
Antonia Gutschner – Die Modeliebhaberin
Jahrgang: 1949
1965 von Spanien nach Rankweil gekommen

„Ich dachte: Das ist eine Katastrophe, dass ich         untertags zu Pflegeeltern gegeben. „Das Kind war
hier in Rankweil bin“, so schildert Antonia Gut-        bei Erika, sie ist bis heute meine beste Freundin.
schner ihre Ankunft in Rankweil mit 15 Jahren.          Wir kennen uns jetzt 54 Jahre.“
Ihre Mutter, die zuvor nach Vorarlberg ausgewan-
dert ist, hat sie nach einiger Zeit nachgeholt. „Ich             „Aufstehen und rausgehen!
lebte bei meiner Tante und mit meinen Freun-                  Nicht nur in der Wohnung sitzen.“
dinnen in einer großen Stadt in Spanien und war
glücklich. Dass ich hier in Rankweil gelandet bin,      „Ich fühle mich nicht wie 72. Ich will etwas er-
das war für mich ein großer Schock.“                        leben. Nicht nur in der Wohnung sitzen“, so
„Mein Ziel war es, arbeiten zu gehen, etwas                    Antonia. „Oft stehe ich auf, ziehe mich an
Geld zu verdienen, und dann ein Zugticket                      und sage: 'Aufstehen und rausgehen!' Und
zurück nach Spanien zu kaufen. Als ich                         wenn ich dann nur eine Runde mit dem Bus
das Geld zusammen hatte, habe ich aber                        fahre. Anschließend, wenn ich dann wieder
bemerkt, dass meine Mama meinen Pass                          zuhause bin, fühle ich mich wohler.“ Ein Jahr
versteckt hat.“ So blieb Antonia Gutschner                       hat sie bei der Caritas im carla Store ge-
nichts anderes übrig, als sich mit dem Ge-                        arbeitet. „Leider war diese Arbeit aber
danken anzufreunden, in Rankweil zu                                 zeitlich begrenzt.“
leben. Eine große Sorge von Antonia                                  „Mit Erika bin ich früher oft nach St.
Gutschner war, ob sie die deutsche                                    Margrethen in den Rheinpark gefah-
Sprache jemals lernen würde. „Ich                                      ren. Da haben wir dann alle 'Stück-
habe mich dann mit Kindern ange-                                        le' genommen, die wir erwischen
freundet und Wort für Wort Deutsch                                       konnten“, lacht Antonia. „In einer
gelernt. Zuerst einzelne Wörter,                                         Modeboutique wurde ich vom Chef
dann habe ich mir selber Sätze                                         angesprochen, ob ich nicht für die
zusammengestellt“, so Antonia.                                       Boutique modeln will. Ich habe ihm
„In Spanien sind wir erst um 22                                       gesagt, dass ich drei Kinder zuhause
Uhr weggegangen, hier hat meine                                        habe und dass es nicht geht. Er hat
Mama gesagt, dass ich um 21 Uhr                                         lange Zeit nicht lockergelassen.“
zuhause sein soll. Mir hat das gar
nicht gefallen.“                                                       Wünsche hat Antonia noch einige:
                                                                    „Ich will etwas unternehmen, ich will
  „Meine Familie bedeutet mir sehr                          wer sein. Etwas mit Mode, ja so etwas könnte
   viel. Ich habe 14 Enkelkinder.“                        ich mir vorstellen. Etwas schneidern, Mode ist
                                                          immer noch meine große Leidenschaft.“ Antonia
„Ich bin an einem Montag 1965 gekom-                       hat früher ihre Kleidung selber geschneidert.
men, am Donnerstag habe ich meinen                         Und zurück nach Spanien? „Für ein Jahr bin ich
Ehemann vorgestellt bekommen.“ Es war                      damals zurück nach Spanien. Ich wollte das
ein Bekannter ihrer Cousine. Die Cousine                   probieren. Aber es hat mir nicht gefallen.“
war sehr begeistert von der Hochzeit. Antonia
schildert die Situation so: „Es hat dann aber              „Meine Familie bedeutet mir sehr viel. Am
trotzdem gut geklappt mit der Ehe.“ Mit 19                 besten gefällt es mir, wenn alle hier sind und
wurde sie zum ersten Mal schwanger. Insge-                 mit den Tellern zum Essen anstehen. Letztes
samt brachte sie vier Kinder zur Welt. Beim                Mal habe ich Spaghetti mit Muscheln gekocht,
ersten Kind hat Antonia Gutschner                          da sind sie zu zehnt angestanden“, schmunzelt
noch voll gearbeitet und hat das Kind                       Antonia. Sie hat 14 Enkelkinder.

                                                   22
Geheimtipp fürs Älterwerden

Immer positiv bleiben, morgen ist wieder
ein neuer Tag, am nächsten Morgen auf-
stehen und sagen: 'Hallo Antonia, da bist du.
Du musst gute Gedanken haben, kein
schlechtes Gewissen.

                                                23
Gerda & Werner Sonderegger
– Die Kunstliebhaber
Jahrgänge: 1945 & 1940
Gerda Nemec zog 1962 mit ihrer Familie nach Rankweil, mit Werner wohnt sie seit 1972 hier.

„Hast du nicht noch einen Platz frei in deinem     Werners Herz schlägt auch für die Keramik. Erst
Puch 700, um Gerda in ihre Schule mitzunehmen?“    bei der Lehrbefähigungsprüfung kam er mit Ton in
Etwa so fragte ein Bekannter. Ab dem 26. Oktober   Berührung. Die Begeisterung für das Gestalten mit
1964 hatten sie einen gemeinsamen Schulweg.        Ton wuchs. In den Ferien gab er mehrtägige Kurse
„Eineinhalb Jahre später haben wir                 in den österreichischen Bundesländern. 1991 wur-
dann geheiratet“, erzählt Werner                                     de der Verein Schlosserhus als
Sonderegger. Werner war ab                                            Verein für Bilden und Gestalten
1957 Landesjungscharführer. Er                                         gegründet. Werner ist ein Grün-
besuchte die 5. Klasse LBA, Ger-                                      dungsmitglied, fungierte seit
da die 1. „Wir Mädchen haben                                          1994 25 Jahre lang als Obmann
ihn sehr geschätzt, weil er                                         und ist bis heute im Vorstand.
einer der wenigen war,                                                  Seit 1989 pflegt Werner einen
der die Mädchen immer                                                      intensiven Kontakt mit
gegrüßt hat.“ Ich habe                                                        dem Keramischen Kreis
mir dann gedacht:                                                              Kapfenstein. Raku-Bren-
„Wen wird der wohl                                                              nen und Großplastiken
heiraten? Ich werde                                                             standen dort im Mittel-
es schon erfahren,                                                               punkt. Als die Schlos-
er ist ja Landesjung-                                                             serei beim Schlos-
scharführer“, schildert                                                           ser-Ammann-Haus
Gerda ihre Erinnerun-                                                             abgebrochen werden
gen.                                                                              sollte, wurde diese
Seit 1972 wohnen sie                                                              vom Verein Schloss-
gemeinsam in Rankweil,                                                            erhus zur Keramik-
in dem Haus, das Gerdas                                                           werkstätte ausgebaut
Vater errichtet und dort sei-                                                    und seither intensiv
nen Betrieb aufgebaut hatte.                                                     genutzt. Seit 1997 gibt
Als Wissenschaftler forschte                                                     es in Rankweil alle
und erfand er elektromedizini-                                                  zwei Jahre im Wechsel
sche Geräte – die Interferenz-                                               mit Kapfenstein den Rank-
stromtherapie.                                                               weiler Keramiksommer mit
                                                                             großer Ausstellung und
Beide lieben sie die Kunst.                                                  internationaler Besetzung.
Gerda spielt jeden Tag Klavier.
„Das hält zusammen. Sie spielt                                               Gerda ist in der Kirche
Klavier und wir singen gemein-                                               sehr aktiv. Zwei Perioden
sam dazu“, so Werner. Gerda                                                   war sie im Pfarrgemein-
ergänzt: „Er sollte auch öfter                                                derat im Arbeitskreis
Geige spielen.“ Eine Mitbewoh-                                                „Ehe und Partnerschaft“
nerin im unteren Stockwerk hat                                                und ist heute noch
gemeint, Gerda solle doch am                                                   Lektorin. Auch das
Abend noch länger Klavier spie-                                                Pfarrblättle („Eines der
len, sie höre das so gerne. Das                                               besten Österreichs“,
wiederum freute Gerda sehr.                                                   sagt Gerda) trägt sie
                                              24
Geheimtipp fürs Älterwerden

Wir sind beide noch jung. Alle, die
unter 90 sind, sind noch jung! Alt
werden ist auch schön, man darf sich
nicht an Fähigkeiten festklammern,
die man früher hatte. Altes geht,
Neues kommt.

Gutes Miteinander pflegen, wissen
wofür wir leben, wertschätzenden
Umgang mit sich und miteinander,
immer wieder neue Kontakte pflegen.

nach wie vor aus. „Gemeinsam gehörten wir dem       „Wir haben uns immer gut ergänzt, als Lehrperso-
Pilgerteam an“, berichtet Gerda. „Nachdem sich      nen, als Eltern, als Referent*in in der Eltern- und
die Grenzen zu Osteuropa geöffnet hatten, pilger-   Erwachsenenbildung für das Kath. Bildungswerk“,
ten wir 1994 von Rankweil nach Maria Zell zum       so Gerda. „Wir waren immer zweisam. Auch gute
internationalen Treffen.“                           nachbarschaftliche Beziehungen sind uns wichtig.“
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Karl-Heinz Fritsche
– Der Wissensvermittler
Jahrgang: 1948
1974 vom Bürserberg nach Rankweil zugezogen

Für Karl-Heinz Fritsche war schon früh klar, dass     ich in der Volksschule Montfort 46 verschiedene
er Lehrer werden wollte. Und das aus zwei Grün-       Muttersprachen aus allen Kontinenten. Diese gro-
den. „Mit sieben Jahren habe ich mitbekommen,            ße Herausforderung wurde bis zum Jahr 2000
wie ein Lehrling vom Meister behandelt                        sehr gut durch zwei bis drei zusätzliche
wurde. Der Meister hatte beim Abmessen                         Förderstunden gemeistert.“
eines Rohres selbst einen Fehler gemacht,
es aber dem Lehrling in die Schuhe gescho-                  Sein Wissen gab Karl-Heinz Fritsche auch
ben und ihm eine Watsche gegeben. Da war                   als Obmann des Obst- und Gartenbauvereins
für mich klar, das wollte ich nicht“, so Karl-              Rankweil an viele Kinder und auch Erwach-
Heinz Fritsche. „Andererseits war mein Vater                  sene weiter. Seit mehr als 35 Jahren steht
schon früh schwer krank und ich hatte mir                      er diesem Verein vor. „Mir war es immer
überlegt, wie ich ohne allzu lange Ausbildung                   wichtig, dass die Kinder im wahrsten
eigenes Geld verdienen konnte. Nach der                         Sinn des Wortes geerdet sind. Ich habe
Matura wollte ich eigentlich Mathematik und                     schnell mit Schulprojekten begonnen,
Physik studieren, bedingt durch die Krank-                      wo die Kinder vom Pflanzen des Bau-
heit meines Vaters aber wurde ich Lehrer“.                      mes bis zur Ernte alles miterleben
Als Karl-Heinz Fritsche 1974 nach Rank-                         können“, so Karl-Heinz.
weil heiratete, wurde er Lehrer an der
Hauptschule Rankweil. „Ich war Fachko-                              „Die Familie ist der Kern.
ordinator für Mathematik und habe den                              Wenn es in der Familie passt,
Schulversuch nach Rankweil gebracht.                                    geht es dir gut.“
Stufenübergeifend zusammenzuarbei-
ten erwies sich als effektiv. Aber auch                         „Die Familie ist der Kern. Wenn es in der
die Lehrer*innen konnte man besser                              Familie passt, geht es dir gut, sonst hast
motivieren,“ so Fritsche. Am Lehrer-Sein                     du schlechte Karten. Meine Frau, unsere
gefiel ihm, immer etwas Neues ausprobie-                     Tochter mit ihrem Mann und ihrem Kind
ren zu können und für andere da zu sein.                    sind das Zentrum meines Lebens“. Dadurch,
                                                          dass seine Tochter und sein Schwiegersohn
1989 wechselte er schließlich als Direktor an             berufstätig sind, ist ihr Enkelkind Leander oft
die Volksschule Montfort. „Mein Direktorskol-             bei ihnen. „Das genieße ich sehr“, so Karl-
lege an der Volksschule Markt, Theo Furxer,               Heinz Fritsche.
hat mich dabei von Anfang an unterstützt und               „Als meine Frau im Spital war, hatte ich zum
wir waren 20 Jahre lang ein sehr gutes Team.               Glück ein Netz in der Familie und mit lieben
Davon haben auch die anderen Pflichtschulen                 Freund*innen. Auch wenn ein Partner nicht
profitiert. Durch einen wöchentlichen Jour fixe             da ist, dann gibt es Menschen, die zusam-
mit allen Direktor*innen der Rankler Pflichtschulen          menrücken und mittragen. Die Tochter und
und ein aktives Agieren gegenüber der Gemeinde               der Schwiegersohn sind im Haus, also ist
konnten wir sehr viel für die Kinder erreichen.“              Einsamkeit kein Thema. Aber ich kenne
„Die große Herausforderung in den 1990er Jahren               Einsamkeit von meiner Schwester. Ihr
war die Integration von migrantischen Kindern.                 Mann ist im Altersheim, sie konnte ihn
Zuerst gab es mehr migrantische Kinder in der                  nicht mehr pflegen. Ich sehe da durchaus
Volksschule Markt, während wir an der                          auch meine Verantwortung sie zu unter-
Volksschule Montfort nur acht Kinder                          stützen“.
hatten. Bevor ich in Pension ging, zählte
                                                 26
Geheimtipp fürs Älterwerden

Zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht für die
Ewigkeit gebaut sind. Sich täglich über das
Sein freuen. So wenig wie möglich aufhören,
weil alles, was du aufhörst, nicht mehr
zurückkommen wird. Zufrieden sein mit
dem, was du hast, machen was möglich ist
und nicht jammern, wenn etwas nicht mög-
lich ist.

                                              27
Franz Schäfer – Der Sportliche
Jahrgang: 1944
1960 von Schlins nach Rankweil gezogen

„Ich komme ursprünglich aus Schlins, bin das        „In Rankweil hat sich viel verändert. Die Josefs-
jüngste von fünf Kindern. Ich habe meinen Vater     kirche, Schulen, der Vinomnasaal oder Bahn-
bereits mit sechs Jahren verloren. Ein Unfall mit   unterführungen wurden in den 1960 bis 70iger
schweren Kopfverletzungen beeinträchtigte mein      Jahren gebaut. Großmärkte sind dazugekommen,
Lernen in der Schule, und Fußball spielen mit       was nicht unbedingt zu unserem Vorteil war. Das
Freunden war nicht mehr möglich. Früh sagte man     haben wir drei Metzger im Dorf schon gespürt. Am
mir, dass es ideal wäre, wenn ich einen             Schluss bin nur ich noch übriggeblieben“, erinnert
Beruf mit familiärem Anschluss aus-                 sich Franz Schäfer.
üben würde.“, so Franz Schäfer. Koch
oder Metzger waren zwei Berufe, die                 Bei seiner Pensionierung hat er das Geschäft
in der engeren Auswahl standen.                     verkauft. Sein Sohn hat die Fleischerlehre mit
„So kam ich 1960 in einem sehr kalten               Meisterprüfung gemacht, wechselte später in eine
Winter nach Rankweil zur Metzgerei                  andere Branche. Seine Tochter arbeitet als Logo-
Holzer. „Wir haben 20 Schweine                      pädin. „Dass ich das Geschäft verkauft habe, ist
pro Woche geschlachtet und dann                     auch der Marktgemeinde zugute gekommen, weil
von Hand die Borsten vom Fell                        sie das Grundstück bekommen haben, auf dem
gekratzt.“ Durch diese körper-                         jetzt das Sozialzentrum 'Klosterreben' steht. Wir
lich schwere Arbeit ergab sich ein                      sind in den Reitweg gezogen und haben dort
erfreulicher Nebeneffekt: Beim                           ein Haus gebaut.“
KJ Skilager war Franz immer der
Beste beim „Fingerhöckla“.                               „Mit 40 Jahren habe ich angefangen Renn-
                                                          rad zu fahren. Das war für mich immer
„Als Lehrling musste ich dann den                          ein guter Ausgleich zum Beruf. Ich bin
Leberkäs mit dem Moped bis nach                             auch ein leidenschaftlicher Skifahrer und
Nofels zustellen. Das ist mir in be-                          segle gerne am Bodensee“, so Franz.
sonderer Erinnerung geblieben, vor                            Zur körperlichen Fitness verhilft ihm die
allem wenn der Winter kalt war.“ Die                          Turnerschaft und der Radverein mit den
Gesellen- und Meisterprüfung legte                           wöchentlichen Ausfahrten.
er bei der Metzgerei Holzer ab. Danach
bekam er vom Viehhändler Deutschmann                      „In Rankweil lebe ich gern, weil ich die
das Angebot, das Geschäft in Bludenz                      Leute sympathisch finde. Beim Spazieren
zu übernehmen. Vier Jahre hat er dort                      treffe ich viele Menschen, alte Kundschaf-
mit zwei Mitarbeitern und einem Lehrling                    ten, die ich kenne. Es gibt viel Programm.
gearbeitet. Als Holzer ihm das Geschäft                     Die Gymnaestradas haben mich besonders
übergab, ist er wieder nach Rankweil                        beindruckt und begeistert. Das Alte Kino
zurückgekommen.                                            trägt viel dazu bei. Da wird es nie lang-
„Meine Frau war Verkäuferin beim                          weilig. Ich bin bei verschiedenen Vereinen
Lebensmittelmarkt Sutterlüty und ich                      aktiv: Bei 'Senioren helfen Senioren' im
habe dort immer das Fleisch angeliefert.                  Vermittlungsteam, wo wir Haus-/Garten-
So habe ich sie kennengelernt. Sie war                    arbeiten und Fahrdienste übernehmen.
auch schon in Bludenz mit dabei und                        Die Stelle MITANAND der Marktgemeinde
hat mitgeholfen, als wir das Geschäft in                    unterstützt uns.“ Bei den „Sängern“ ist
Rankweil aufgebaut haben. Dank der                                er seit 1978. „Da haben sie gesagt:
treuen Stammkunden und der Zusam-                                    'Komm zu uns: Singen musst du
menarbeit im Betrieb ist es in der Folge                             nicht können.' Hier geht es auch
gut gelaufen.“                                        um das Beisammensein und die Unterhaltung.“
                                               28
Geheimtipp fürs Älterwerden

Unter die Leute gehen, sich nicht zu viel
zurückziehen, gut essen, gut trinken, ein
bisschen Geld im Sack.

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Gertrud Blocher – Die 100-Jährige
Jahrgang: 1920
1933 als Kind von Bludenz nach Rankweil gezogen

Gertrud ist am 25. Dezember 1920 in Bludenz            waren in gleiche Dirndl gekleidet, auch ich hatte
geboren. Ihre Mutter war Magdalena Burtscher,          für Festtage ein solches Dirndl. Wir haben diese
geb. Thaler, die 2. Frau vom Witwer Hermann            gemeinsam mit einer Störnäherin selber genäht.
Burtscher. „Die Mutter starb als ich 8 Jahre alt       Mein Mann war über 50 Jahre Sänger im Lieder-
war. Sie hatte die Grippe, es gab damals eine          kranz, meine Mädchen waren im Orchesterverein,
Grippeepidemie, wie jetzt Corona“, so Gertrud.         im Kirchenchor und bei der Kantorei, meine Söhne
Ihr Bruder verstarb ein Jahr später an derselben       bei den Tornados, bei der Bürgermusik und Joe bei
Krankheit.                                             verschiedenen Musikbands.
„Mein Vater war Ofenbauer und hat den braunen
Kachelofen in der Wirtsstube des Rankweiler Ho-        „1960 ist das neunte Kind geboren. Wir hatten
fes eingebaut, der heute noch dort steht und von       eine große Familie, es gab immer viel zu tun und
vielen bewundert wird. Da hat man gesagt, der          ich habe mich nie einsam gefühlt. Das Schönste
Rankweiler Hof wird verkauft. 1933 hat mein Vater           in meinem Leben war, wenn ein Kind gesund
das Gasthaus gekauft und wir sind nach Rankweil               zur Welt kam und das Schlimmste war der
gezogen. In Rankweil bin ich noch kurz zur Schu-                Unfalltod von meinem Sohn Ludwig im
le gegangen, dann blieb ich zuhause und musste                   Alter von 26 Jahren.“
im Gasthaus mit anpacken.“
                                                                    „Das Schönste in meinem Leben
Mit 19 Jahren hat sie Ludwig Blocher geheira-                          war, wenn ein Kind gesund
tet, den sie beim Freilichtspiel am Liebfrauen-                              zur Welt kam.“
berg kennengelernt hat. Er kam dann öfters
in den Rankweiler Hof und musizierte für die                              Schon als Jugendliche spielte
Gäste mit verschiedenen Instrumenten.                                      Gertrud gerne Schach. „Mein
                                                                            Vater hat eine Schacholympi-
Sie hat für sich und ihre neue Familie                                      ade im Rankweiler Hof veran-
immer das Beste gehofft, aber leider                                        staltet. Mit 13 Jahren habe ich
ist es anders gekommen. Im                                                 gegen den Zahnarzt Bergmann
Herbst ist der zweite Welt-                                              eine Partie gespielt und ich
krieg ausgebrochen. Das                                                  habe ihn Schachmatt gesetzt.
war bis Kriegsende und in der Nachkriegs-                               Er war dann eine Weile auf mich
zeit für die Familie mit damals sechs Kindern                          beleidigt“, erinnert sich Gertrud
eine schwierige Zeit. „Mein Mann hat uns neben                         Blocher. Noch heute spielt sie täg-
seinem Beruf mit dem Gitarrespielen finanziell                        lich eine Partie Schach, gegen sich
verhalten. Jedes Kind hat ein Instrument gelernt.                     selber oder freut sich über eine
Wir haben von der Musik gelebt. Am Höhepunkt                          Partie mit Enkelkindern, denen sie
der Musikkarriere ist die Familienkapelle Blocher                    das Schachspiel beigebracht hat.
auf Einladung von Feriengästen 1959 im Tivoli-                       Oder sie spielt Partien aus dem
saal in Kopenhagen aufgetreten. Diese Veranstal-                     Telemagazin nach.
tung wurde im dänischen Fernsehen live über-
tragen“, berichtet Gertrud. Sie war bei diesem                      „Der Wohnort Rankweil bedeutet
Auftritt nicht dabei, weil sie ihren Sohn Hubert zur                 mir sehr viel, hier unter der Basilika
Welt brachte. Später spielte die Familienkapelle                     darf ich wohnen. Mir ist es noch nie
bei Weihnachtsfeiern im ganzen Land, bei                            so gut gegangen. Ich werde jetzt
Heimatabenden für Feriengäste und Festver-                          bedient. Dieses Bedienen wird von
anstaltungen von Vereinen. Die vier Mädchen                         meinen Kindern, die in der Nähe

                                                  30
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