IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION - Praxisbeispiele zu verhältnispräventiven Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention von Übergewicht ...

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IDEENWETTBEWERB
VERHÄLTNISPRÄVENTION
Praxisbeispiele zu verhältnispräventiven Maßnahmen
zur Gesundheitsförderung und Prävention von Übergewicht
bei Kindern und Jugendlichen

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IDEENWETTBEWERB
VERHÄLTNISPRÄVENTION
Praxisbeispiele zu verhältnispräventiven Maßnahmen
zur Gesundheitsförderung und Prävention von Übergewicht
bei Kindern und Jugendlichen

Berlin: GVG 2018
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VORWORT

                                                                  förderlichen Angeboten besser zu gestalten. Es gingen fast
                                                                  60 Beiträge aus 13 verschiedenen Bundesländern ein, ein
                                                                  Komitee aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und
                                                                  Fachkräften hat aus diesen ausgewählt und die 37 Projekte
                                                                  identifiziert, die hier versammelt sind.
                                                                  Die Projekte wurden als Teil einer Abschlussveranstaltung
                                                                  des Ideenwettbewerbs präsentiert. Wir möchten diese
                                                                  Tagung aber weniger als Zielpunkt denn als Auftakt für
                                                                  das Netzwerk verstehen, zu dem die aus dem Wettbewerb
                                                                  hervorgegangene Praxisdatenbank den Grundstein bildet.
                                                                  Mit der Vernetzung der Projektmitarbeitenden möchten
Dr. Sven-Frederik Balders                                         wir einen Beitrag zur strukturierten Überwindung des
                                                                  oft beklagten „Inseldaseins“ der einzelnen Akteure und
Gesundheit und körperliches Wohlbefinden sind hohe                Aktionen leisten; mit der öffentlichen Darstellung der
Güter für alle Menschen, ihre Einschränkung oder Absenz           erfolgreichen Projekte in gedruckter und digitaler Form
belastet den Einzelnen und schadet der Gesellschaft.              werden zudem wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse
Wichtige Grundlagen für das Gesundsein und Gesundblei-            allen Interessierten nachhaltig zur Verfügung gestellt. Des-
ben werden im frühen Lebensverlauf gelegt. Übergewicht            halb ist das Anerkennung geleisteter Arbeit, vor allem aber
und Mangel an Bewegung führen zu gesundheitlichen –               verbunden mit der Aufforderung zum Nachmachen!
und sozialen – Einschränkungen bereits im Kindesalter.
                                                                  Die GVG möchte damit Knotenpunkt und Ansprechpart-
Die Effekte verstetigen und verfestigen sich oft, und es
                                                                  ner auch in dieser wichtigen Frage sein – ganz im Sinne
fällt schwer, das eigene gesundheitsbezogene Verhalten
                                                                  ihrer Tradition. Gegründet im Jahr 1947, versteht sich die
aus individuellem Antrieb zu verändern. Das gilt vor allem,
                                                                  GVG bis zum heutigen Tag als Konsensplattform, die alle
wenn die Umgebung gesundheitsbewusstes Handeln nicht
                                                                  wesentlichen Institutionen der sozialen Sicherheit und des
unterstützt oder sogar erschwert.
                                                                  Gesundheitswesens in Deutschland zusammenführt. Unser
Unter dem Stichwort der „Verhältnisprävention“ werden             Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Mitgliedern die Syste­­me
diese Umwelten als Bedingungszusammenhänge gelin-                 sozialer Sicherung aktiv zu gestalten. Hierbei spielt das
gender Prävention in den Blick genommen: Nur wenn die             Thema Prävention schon länger eine zentrale Rolle. Die
Verhältnisse stimmen, können wir darauf hoffen, dass sich         Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes gesundheits-
Verhalten in signifikanter Weise ändert. Gerade Kinder und        ziele.de beispielsweise ist bei der GVG angesiedelt; in den
Jugendliche können hiervon profitieren, ihnen gegenüber           vergangenen Jahren war die GVG in vielfältiger Weise
haben wir eine besondere gesellschaftliche Verantwor-             daran beteiligt, den nationalen Gesundheitszieleprozess
tung.                                                             voranzubringen.
In dieser Publikation werden Ergebnisse vorgestellt, die          Mit der vorliegenden Publikation hoffen wir, ein weiteres
aus dem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG)                Element zu einer belastbaren und sich ständig ergänzen-
im Rahmen des Förderschwerpunkts „Prävention von                  den Präventionskette beisteuern zu können.
Kinderübergewicht“ geförderten und von der Gesellschaft
für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG)          Dr. Sven-Frederik Balders
durchgeführten „Ideenwettbewerb Verhältnisprävention“
hervorgegangen sind. Im Mittelpunkt steht die „gute               Geschäftsführer
Praxis“ – die zahlreichen Projekte, die sich in so vielfältiger   Gesellschaft für Versicherungs­wissen­schaft
Weise dafür stark machen, Lebenswelten mit gesundheits-           und -gestaltung e.V.
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INHALT

VORWORT

Dr. Sven-Frederik Balders _________________ _____________________________________________ _ _ _ _ 5

EINLEITUNG

Maria Zens und Jürgen Dolle ____________________________________________________________ _ _ _ _11

FACHVORTRAG: VERHÄLTNISPRÄVENTION VON ÜBERGEWICHT BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN –
EVIDENZBASIERUNG ALS HERAUSFORDERUNG

Teil 1: Zur Evidenzlage verhältnispräventiver Ansätze
Prof. Dr. Jens Bucksch ________________________________________________________________ _ _ _ _ 19

Teil 2: Evidenz und Projektpraxis – Das Beispiel der Gemeinde Michelfeld in Baden-Württemberg
Prof. Dr. Freia De Bock ___________________ _____________________________________________ _ _ _ _21

ROUNDTABLE-DISKUSSION: ERGEBNISSE UND AUSBLICK _______________________________________ _ _ _ _ _25

DIE PROJEKTE _ ____________________________________________________________________ _ _ _ _29
                                                                                           _

Fit4future _ _ _ _ ____________________________________________________________________ _ _ _ _30

Fitte Teens _ _ _ ____________________________________________________________________ _ _ _ _ 31

Gesundekids – macht die Kids fit ____________ ____________________________________________ _ _ _ _ 32
                                                                                                   _

Jolinchen Kids – Fit und gesund in der Kita __________________________________________________ _ _ _ 33

Klasse in Sport – Initiative für täglichen Schulsport ____________________________________________ _ _ _ _34
                                                                                                          _

Let’s go – Familien, Kids und Kitas ________________________________________________________ _ _ 35

Kinder unsere Zukunft, Bitz bewegt sich _______ _____________________________________________ _ _ _ _36

Kita-Ernährungsfachbereich mit eigenem Konzept _____________________________________________ _ _ _ _ 37
                                                                                                     _

MINIFIT – das Gesunde Netzwerk für Kinder _________________________________________________ _ _ _ 38
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Bewegte Kita – Wachsen mit Bewegung ______________________________________________________ _ _ 39

Kooperation KiSS und Kinderbewegungshaus Sportissimo _________________________________________ _ _ _40

Obst, Gemüse und Kräuter selbst anbauen ___________________________________________________ _ _ _ 41

„Netzwerk Gesundheit“ im Bremer Westen _______ _____________________________________________ _ _ 42
                                                                                                 _

Gärten für Kinder _______________________ _____________________________________________ _ _ _43
                                                                                             _

KLASSE KLASSE – das Präventionsspiel für die Grundschule ________________________________________ _ _ _44

Schulkids in Bewegung (SKIB) – meine Schule, mein Verein _________________________________________ _ _ _45_

Wir werden FIT und alle machen mit ________________________________________________________ _ _ _46_

Wetteraukreis is(s)t gut ___________________ _____________________________________________ _ _ _47

Gesunder Vormittag ______________________ ____________________________________________ _ _ 48

iss dich fit! _ _ _ _ _ _ ___________________________________________________________________ _ _ 49

fit für pisa + Mehr Bewegung in der Schule ____________________________________________________ _ _ _50

Gesunde Stunde _ _ ___________________________________________________________________ _ _ 51

Initiative Trink!Wasser ____________________ _____________________________________________ _ _ _52_

Mehr Freiraum für Kinder. Ein Gewinn für alle! ____ _____________________________________________ _ _ _53_

Iss ok in Dortmund ______________________ _____________________________________________ _ _ 54

SMS. Sei schlau. Mach mit. Sei fit. _________________________________________________________ _ _ _ _55_

„BaukastEN – Gesunde Kita“ im gesamten Ennepe-Ruhr-Kreis ______________________________________ _ _ 56

Ernährung und Bewegung im Offenen Ganztag im Primarbereich _____________________________________ _ _ _57_

Sport und gesunde Ernährung im Förderkonzept LERNEN INDIVIDUELL (LEIV) ____________________________ _ _ _58_
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Fitnetz – das gesunde Netzwerk _________________________________________________________ _ _ _ _59
                                                                                                _

Qualitätssiegel Bewegungskita Rheinland-Pfalz _______________________________________________ _ _ _ _60_

Regional, Saisonal und Gesund _____________ _____________________________________________ _ _ _ _ 61

Bewegung im Alltag, gesunde Ernährung in der Kita ____________________________________________ _ _ _ _62
                                                                                                      _

Ernährung, Bewegung, Lebenskompetenz ___________________________________________________ _ _ _ _63
                                                                                                _

Escapädische Zusatzqualifikation für Fachkräfte __ _____________________________________________ _ _ _ 64
                                                                                                       __

Grünau bewegt sich __________________________________________________________________ _ _ _ 65

Leibeslust – Lebenslust. Ernährungsbildung und Prävention von Essstörungen in Kita und Schule _____________ _ _ _ _66

PROJEKTINDEX _ _ ___________________________________________________________________ _ _ _ 67

BILDNACHWEIS _ _ ___________________________________________________________________ _ _ _ 69

IMPRESSUM _ _ _ _______________________ _____________________________________________ _ _ _ 70
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EINLEITUNG
Maria Zens* und Jürgen Dolle**

1. DER ANSATZ: MIT VERHÄLTNISPRÄVENTION GESUND-                     oder Verein, sozialräumlich auf Wohnquartiere oder
HEITSFÖRDERLICHE STRUKTUREN SCHAFFEN                                ­Stadt­teile, gruppenbezogen auf Familien, Altersgruppen
                                                                     etc. (Loss & Leitzmann, 2011). Das heißt nicht, dass die
Es ist – weltweit – Konsens, dass der wünschenswerte                 Mikro-­Ebene – das Individuum – und die Makro-Ebene –
Zustand „Gesundheit“ sowohl dem Individuum als auch                  die Gesamtgesellschaft mit ihren politischen, kulturell-
der Gesellschaft nützt und die Lebensverhältnisse der                norma­tiven und sozialen Strukturen – unwichtig wären.
Menschen zurückwirken auf ihre gesundheitliche Verfas-               Im Gegenteil: Gesundheit kann letztlich nur beim Indi-
sung. Die Ermöglichung von Gesundheit ist deshalb eine               viduum verbessert werden und gesetzliche Vorgaben
gesellschaftliche Aufgabe und sollte nicht allein in den             und Gesundheitssysteme bestimmen den Rahmen. Die
Verantwortungsbereich des Einzelnen gestellt werden.                 Rahmen­bedingun­gen, die solche Maßnahmen stützen –
Gesundheit ist auch nicht nur als Folge von kurativen                wie das Präve­ntionsgesetz und öffentliche Mittel, die für
Prozessen – als wiederhergestellter Zustand nach Heilung             Maßnahmen bereitgestellt werden – oder ihrem Erfolg
von Krankheit – zu verstehen, sondern als erwünschtes                entgegenstehen – wie beispielsweise die Flut ungesunder
Ergebnis von Krankheitsvermeidung und Förderung posi-                ,Kinderlebensmittel‘, die aggressiv beworben werden –
tiver Umstände und Verhaltensweisen. Manifest wird diese             dürfen in der Gesamtperspektive nicht außer Acht ge­-
präventionsorientierte Position in der Ottawa-Charta                 lassen werden. Es heißt aber, dass die konkreten Interven-
der World Health Organization zur Gesundheitsförderung               tionen auf die mittlere Ebene mit Institutionen, sozialen
1986 (WHO, 1986) und auch im „Präventionsgesetz“                     Gruppen, Strukturen und Infrastrukturen fokussieren.
(PrävG) vom 25. Juli 2015.                                           Damit verbunden ist die Annahme, dass hier Wirkungen
                                                                     erzielt werden können, die über die eher geringen Effekte
Primärprävention, Verhältnisprävention, Arbeit im Setting            hinausgehen, die Appelle an das individuelle Gesund-
                                                                     heitsverhalten nachweislich haben. Die auf ein gesamtes
Der Gedanke der Primärprävention, also die Vermeidung                Setting oder die Gruppe gerichteten Angebote können
von Krankheiten durch die Schaffung gesundheitsbegüns-               spielerischer und interaktiver sein, was insbesondere für
tigender Umstände und die Unterstützung gesundheits-                 die Ansprache von Kindern und Jugendlichen hilfreich ist;
bewusster Lebensstile, ist deshalb ein Kernanliegen vieler           zudem können motivationshemmende Stigmatisierungen
Public Health-Maßnahmen (Wright, 2006; Rosenbrock,                   so vermieden werden. Darüber hinaus ist Verhältnispräven-
2004; Rosenbrock, 2008; Zeeb, Ahrens, & Pigeot, 2011).               tion auch unter den Gesichtspunkten Ökonomie und
Ansätze der Verhältnisprävention führen viele dieser Ele-            Effizienz sinnvoll, da viele Menschen gleichzeitig erreicht
mente zusammen: als Fokus auf Gesundheit (und weniger                werden können.
auf Krankheit), als Fokus auf Strukturen (und weniger auf
das Individuum), als Fokus auf die positive Gestaltung              Gesundheitliche Ungleichheit, Schließung von „health gaps“
der direkten Lebensumwelt (und weniger auf Appelle und
Erziehung zur „Besserung“). Hier zeigt sich die Nähe zum            Verhältnisprävention und Setting-Arbeit basieren auf der
seit den 1980er Jahren stark vertretenen Setting-Ansatz             Annahme, dass Gesundheit und gesellschaftliche Lage in
(Bauch, 2002; Wright, 2006; Engelmann & Halkow, 2008),              einer Wechselbeziehung zueinander stehen. Auch entwi-
der, wenn auch nicht deckungsgleich mit dem Konzept                 ckelte Industrienationen sehen sich Herausforderungen
der Verhältnisprävention, doch große Schnittmengen mit              gegenüber, die unter dem Stichwort „gesundheitliche
diesem aufweist.                                                    Ungleichheit“ (auch: health inequalities) Auftrag an die
                                                                    Politik und Gegenstand von Forschung (Wilkinson & Mar-
Verhältnisprävention orientiert sich vor allem auf die              mot, 2003; Bauer, Bittlingmayer, & Richter, 2008; Marmot,
Meso-Ebene der Gesellschaft, auf Institutionen wie Schule           2005) sind. Hierzu gehört zum Beispiel die Einsicht, dass

* GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und freie Autorin.
** Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) e.V., Leiter Sozialpolitik.

                                                                                     IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG   11
es auch in wohlhabenden Gesellschaften mit gut ausge-          und auch der politisch-normative Aspekt, unter dem
     bauten Systemen sozialer Sicherung vulnerable Gruppen          gesundheitliche Chancengleichheit eine Gerechtigkeits-
     mit eingeschränktem Zugang zu gesundheitsbezogenen             frage ist und „health gaps“ (Murray, Mathers, Salomon,
     Angeboten oder zu relevantem Wissen gibt.                      & Lopez, 2002) möglichst zu schließen sind, hängen letzt-
                                                                    lich davon ab, welche Wirkungswege hier angenommen
     Dabei scheint zwar unbestritten, dass soziale Lebens­          werden.
     bedingungen die Erkrankungswahrscheinlichkeit und
     Mortalität beeinflussen, die Frage, wie dies genau             Evidenz, Evaluation, Austausch von „Theorie und Praxis“
     geschieht und über welche Mechanismen zum Beispiel
     soziale Benachteiligung in gesundheitliche Belastung           Für die Auswahl und Ausgestaltung von geeigneten
     transformiert wird, wird in der Medizinsoziologie in ver-      Maßnahmen vor Ort ist einerseits genaueres Wissen nötig,
     schiedenen Erklärungsansätzen diskutiert ([Einleitung          andererseits kann dieses nur mit Blick auf die Praxis gene-
     der Herausgeber] Bauer, Bittlingmayer, & Richter, 2008).       riert werden. Welches die ,richtigen‘ Wege und Maßnah-
                                                                    men zur Gesundheitsförderung sind, auf welcher Ebene
     Die Ansätze hierzu zeigen ein ganzes Geflecht von Ein­         angesetzt werden sollte, was wirksam ist, was effizient
     fluss­faktoren zwischen Lebensstil und sozialer Lage. Je       und wer die geeigneten Akteure und Zielgruppen sind,
     nach Erklärungsmodell werden unterschiedliche Schwer-          wird deshalb in zahlreichen Programmen und Projekten
     punkte gesetzt, zum Beispiel auf die ökonomischen              erprobt und ist Gegenstand der interdisziplinären Erfor-
     Re­ssourcen, die dem Einzelnen zur Verfügung stehen, auf       schung, von Studien und Evaluationen.
     soziokulturelle Faktoren oder auch das Bewältigungs­
     verhalten angesichts von Belastungen im Alltag oder            Zugleich drängen die praktischen Probleme vor Ort auf
     krisenhaften Ereignissen. So wissen wir, dass die ökono-       Lösung – oft ohne dass hinreichende personelle und
     mische Lage das Gesundheitsverhalten und die Versor-           finanzielle Ressourcen oder nutzbare Infrastrukturen
     gung beeinflusst (Weyers, Dragano, Richter, & Bosma,           vorhanden wären und ohne die Zeit, vor dem notwen­digen
     2010; Elkeles, 2008), insbesondere auch mit Bezug auf die      Handeln einen theoretischen Überbau desselben
     Altersgruppen, um die es hier geht (Richter, Hurrelmann,       zu entwickeln.
     Klocke, Melzer, & Ravens-Sieberer, 2008). Lampert und
     Kurth (2007) haben das mit Daten des Kinder- und Jugend-       Die Beteiligten stehen vor dem Dilemma, den Herausfor-
     gesundheitssurveys (KiGGS) des Robert Koch-Instituts           derungen gesundheitlicher Ungleichheit jetzt und vor Ort
     nachgewiesen. Mit dem KiGGS steht insgesamt eine valide        begegnen zu wollen, zugleich aber wenig echte Evidenz
     Datenbasis zur Verfügung, die detaillierte Beschreibungen      über die Wirksamkeit von verhältnispräventiven Maßnah-
     der gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendli-       men zu haben. Eine bessere Verbindung von Theorie und
     chen in Deutschland ermöglicht und die Basis für Präven-       Praxis wäre, das wurde auch bei der dieser Publikation
     tionsarbeit ist (Lampert, Mensink, Hölling, & Kurth, 2008).    zugrundeliegenden Tagung immer wieder vorgebracht,
     Die Daten liefern zahlreiche Belege für die sozial ungleiche   zum beiderseitigen Nutzen. Dieser Theorie-Praxis-Transfer
     Verteilung der Gesundheitschancen in der heranwachsen-         sollte bidirektional verlaufen, was bedeutet, nicht nur
     den Generation. Die Kriterien für die Messung des sozio­       Erkenntnisse aus der Wissenschaft werden in praktische
     ökonomischen Status sind dargelegt (Lampert, Müters,           Projekte umgesetzt, auch Erfahrungen aus der Arbeit
     Stolzenberg, Kroll, & KiGGS Study Group, 2014).                in der Gesundheitsförderung vor Ort, im Setting wirken
                                                                    zurück auf die Formulierung von neuen Forschungsfragen,
     Generell ist auch ein Zusammenhang von Sozialisation und       die Konzeption von Studien oder auch die Entwicklung
     Gesundheit(sverhalten) seit langem bekannt (Erhart, Wille,     von Kriterienkatalogen, nach denen evaluiert wird.
     & Ravens-Sieberer, 2008). Den Komplex gesundheitlicher
     Ungleichheit bei Jugendlichen machen Hackauf und Jung-         Insgesamt ist derzeit – nicht zuletzt aufgrund der Kom-
     bauer-Gans (2008) zu einer entscheidenden Perspektive          plexität der Interventionen – die Wirkungstheorie bei Ver-
     für die Evaluation von Präventionsprojekten. Hackauf und       hältnisprävention oder Präventionsarbeit im Setting eher
     Ohlbrecht bieten einen generellen Überblick zu Jugend          unterentwickelt (Engelmann & Halkow, 2008), die Evidenz-
     und Gesundheit (2010).                                         lage eher schwach. Wirkung wird eher abstrakt postuliert
                                                                    oder intuitiv vermutet als analysiert und nachgewiesen.
     Auch wenn es keine einfachen Kausalitäten gibt –
     ge­nauere Einsichten in die komplexen Zusammenhänge            Der DIMDI-Bericht „Prävention von Adipositas bei Kindern
     sind ein Desiderat. Alle Vorschläge zur Prävention             und Jugendlichen“ stellt fest, dass es kaum belastbare und

12   IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG
vor allem keine Maßnahmen vergleichenden Primärstudien          2. DIE HERAUSFORDERUNG: ÜBERGEWICHT UND
zur Adipositasprävention bei Kindern und Jugendlichen           ADIPOSITAS BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN
gibt (Fröschl, Haas, & Wirl, 2009). Evidenz im strengen
Sinne eines kontrolliert randomisierten Studien-Designs         Übergewicht und auch Kinderübergewicht stellen in
ist hier auch schwer zu erreichen (Gerhardus, Rehfuess,         fast allen Gesellschaften ein Problem dar – und dies mit
& Zeeb, 2015). Das heißt nicht, dass Evaluation und Quali-      steigender Tendenz und messbaren Folgen (Ng et al., 2014;
tätssicherung hintangestellt werden sollten (Rosenbrock         Güngör, 2014). Die Prävalenz von Übergewicht und Adipo-
& Kümpers, 2009; Goldapp et al., 2011). In der einschlägi­gen   sitas ist zwischen 1980 und 2013 weltweit um 47 Prozent
Forschung werden Verfahren wie kontrollierte Vorher-­           gestiegen (Ng et al., 2014). Wir wissen auch, dass (vor allem
Nachher-Erhebungen oder unterbrochene Zeitreihen als            starkes) Übergewicht mit einer Vielzahl von Erkrankungen
Alternativen empfohlen (ebd.), und auch Experten-Delphis        und gesundheitlichen Einschränkungen einhergeht und
oder Fokusgruppen werden erprobt (Zwick & Schröter,             die Basis hierfür oft schon im frühen Lebensverlauf gelegt
2011; Zwick & Schröter, 2012). Angesichts der schwierigen       wird. So werden übergewichtige Kinder und Jugendliche
Evidenzlage werden vor allem Mixed-methods-Ansätze,             mit höherer Wahrscheinlichkeit auch im späteren Leben
wie sie zum Beispiel Mayring (2017) in seinem Vorschlag zur     übergewichtig bleiben und haben ein höheres Risiko für
„Evidenztriangulation“ behandelt, Verfahren, die auf den        Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
erreichbaren Daten aufbauen, sowie grundsätzlich eng an         oder Essstörungen (Güngör, 2014; Wolfenstetter, 2006).
den konkreten Gegebenheiten und Möglichkeiten orien-
tierte Verfahren als nützlich eingeschätzt. Ein möglicher       Erhebungen wie der KiGGS des Robert Koch-Instituts
Angelpunkt für Evidenz der Verhältnispräventon liegt            zeigen, dass Übergewicht und Adipositas bei Kindern
ja gerade in der Verbindung von Konzept und Praxis, der         und Jugendlichen auch in Deutschland ein signifikantes
wissenschaftlichen Begleitung von Projekten und insbe-          Problem ist. Laut KiGGS-Erhebung für den Zeitraum 2003
sondere in einer partizipativen Qualitätsentwicklung, wie       bis 2006 sind in Deutschland 15 Prozent der Kinder und
sie Michael T. Wright (2010) entwickelt.                        Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig
                                                                und 6,3 Prozent leiden unter Adipositas. Absolut ent-
Mit dem zentralen Thema Evidenz beschäftigt sich auch           spricht das einer Zahl von ungefähr 1,9 Millionen überge-
der Fachvortrag von Jens Bucksch und Freia de Bock, der         wichtigen Kindern und Jugendlichen (Kurth & Schaffrath
auf der Abschlussveranstaltung des Wettbewerbs gehalten         Rosario, 2007).
wurde und den wir in dieser Publikation dokumentieren.
                                                                Der vorangegangene Abschnitt hat gezeigt, dass wir Evi­
Orientierung auf Lebensbereiche und vorhandene Ressourcen       denz dafür haben, dass Lebenslage und sozialer Status
                                                                auf der einen Seite, Gesundheitszustand und gesundheits-
Der Gedanke der Partizipation ist in mehrerer Hinsicht          relevantes Verhalten auf der anderen in Wechselbeziehung
zentral für das Gelingen von Verhältnisprävention. Es geht      stehen. Spezifisch mit Blick auf die Inzidenz von Überge-
ja nicht nur um ein ,gutes‘ Angebot, das vorgeschlagen          wicht haben Lampert und Kurth die Daten des KiGGS auf
wird, sondern vielmehr darum, vorhandene Ressourcen zu          diesen Zusammenhang hin ausgewertet (2007).
erkennen, zu aktivieren und zu nutzen. Das sind Ressourcen,
die dem Individuum zur Verfügung stehen, Ressourcen,            Die Einsichten wirken auf die Gestaltung von Prävention
die der Institution oder der sozialstrukturellen Einheit zur    zurück. Aufgrund des Ursachengeflechts von Übergewicht
Verfügung stehen, und gemeint sind nicht nur nicht nur          müssen Präventionsmaßnahmen sowohl auf das Verhalten
material-physische, sondern auch psychosoziale, kulturelle      als auch auf die Verhältnisse zielen. Die Prävention von
und politische.                                                 Kinderübergewicht braucht intersektorale Zusammenar-
                                                                beit aus allen relevanten Bereichen (WHO, 2016) und ist
Die eingeforderte Nachhaltigkeit lässt sich am besten           von hoher gesundheitspolitischer und auch gesundheits-
durch die dauerhafte Befähigung der Teilnehmenden               ökonomischer Bedeutung.
erzielen, ihre Gesundheit wahrzunehmen, wertzuschätzen
und sich aktiv dafür einzusetzen – das wird oft auch            Zugleich ist es unmittelbar überzeugend, präventive
„empowerment“, „capability“ oder Stärkung von „life skills“     An­gebote so früh wie möglich anzusetzen – das heißt
genannt. Dieser personen- wie auch der gruppen­bezogene         früh im Lebensverlauf bei Kindern und Jugendlichen und
Gedanke der Teilhabe dreht sich um die Fähigkeit und den        möglichst, bevor Folgeerkrankungen manifest werden.
Willen, seine Umwelt zu gestalten.                              Diese lebenslauforientierte Epidemiologie, die Erkrankun-
                                                                gen und ihre Ursachen in einer Langzeitperspektive und

                                                                                IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG   13
in ihren komplexen Bedingungen betrachtet (Blane, Netu-          Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Dr. Sven-Frederik
    veli, & Stone, 2007; Erhart et al., 2008; Gillman, 2004), ist    Balders, Geschäftsführer der GVG, Maria Becker, Leiterin
    deshalb konzeptionell eng verknüpft mit den Wirkungs­            der Unterabteilung Prävention im Bundesministerium für
    absichten der Primärprävention.                                  Gesundheit, Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV-­
                                                                     Spitzenverbands KdöR, sowie Oliver Blatt, Abteilungsleiter
    3. DER WETTBEWERB: ANREIZ UND NETZWERK                           Gesundheit im Verband der Ersatzkassen e.V. ­In ihren
                                                                     Impulsstatements steckten sie den gesundheitspolitischen,
    In dieser Publikation werden Ergebnisse vorgestellt, die         strategischen und organisatorischen Rahmen ab.
    aus dem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
    im Rahmen des Förderschwerpunkts „Prävention von                 In seinem Eingangsreferat hebt Sven-Frederik Balders die
    Kinderübergewicht“ geförderten und von der Gesellschaft          gemeinsame Motivation zu einer verstärkten Anstren-
    für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG)         gung im Bereich Verhältnisprävention hervor und umreißt
    durchgeführten „Ideenwettbewerb Verhältnisprävention“            Ablauf und Ergebnisse des Wettbewerbs. Als wesentliche
    hervorgegangen sind. Im Mittelpunkt steht die ,gute              Punkte nennt er die öffentliche und langfristige Verfüg-
    Praxis‘– die zahlreichen Projekte, die sich in so vielfältiger   barkeit der beispielhaften Projekte und die Vernetzung der
    Weise dafür stark machen, Lebenswelten mit gesundheits-          Teilnehmenden. Beides dient der Nachhaltigkeit und hilft,
    förderlichen Angeboten besser zu gestalten.                      der „Verinselung“ der Maßnahmen entgegenzuwirken.

    Eine Motivation für den Wettbewerb war, wirksame                 Maria Becker stellt den Willen zur Fokussierung auf Ver-
    Gesundheitsförderung zu identifizieren und gegen die oft         hältnisprävention in den Mittelpunkt. Ausgehend von der
    beklagte ,Projektitis‘ integrierte Konzepte und Präven­          Erkenntnis „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ argumen-
    tionsketten zu setzen. Ein Problem ist, dass verhältnis­         tiert sie, dass Prävention bei der positiven Gestaltung des
    präventive Maßnahmen derzeit noch zu selten als solche           unmittelbaren Lebensumfelds ansetzen müsse.
    beschrieben und zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt
    sind. Ein Grund dafür liegt in ihrer im Vergleich zu ver-        Gernot Kiefer nennt als Desiderat eine klarere Formulie-
    haltenspräventiven Maßnahmen hohen Komplexität mit               rung von Gesundheitszielen (auch gegen Industrieeinfluss)
    Einbeziehung unterschiedlicher Akteure, sektorenüber-            und betont, für die Umsetzung der Ansprüche des PrävG
    greifenden Zuständigkeiten, langfristigen Planungen.             in die Wirklichkeit sei ein langer Atem nötig. Der Durch-
                                                                     bruch für die Wirksamkeit von Prävention müsse in der
    Von April bis Juni 2017 haben sich 58 Vorhaben aus 13            breiten Praxis geschafft werden, vor Ort und mit Fokus auf
    verschiedenen Bundesländern für den Ideenwettbewerb              besonders problembehaftete Kommunen. In Anlehnung an
    Verhältnisprävention beworben. Ein Komitee aus Vertre-           die bekannte Fußball-Weisheit heiße das, dahin zu gehen,
    terinnen und Vertretern der Politik, Wissenschaft, Zivilge-      „wo es weh tut“.
    sellschaft sowie Fachkräften aus der Praxis hat insgesamt
    37 Vorhaben ausgewählt, die verhältnispräventive Maß-            Auch Oliver Blatt schlägt den Bogen in die Praxis und legt
    nahmen zur Unterstützung einer gesunden Gewichtsent-             dar, dass, ökonomisch betrachtet, zwar erfreulich viele
    wicklung bei Kindern und Jugendlichen zwischen null und          Mittel zur Prävention bereitstünden, dass es aber auch
    17 Jahren umsetzen. Alle ausgewählten Vorhaben sind in           darum gehe, diese Mittel sinnvoll, zielgerichtet und am
    dieser Broschüre dargestellt (ab S. 28) und zudem jederzeit      richtitigen Ort einzusetzen. Er führt aus, warum partizipa-
    in einer Praxisdatenbank Verhältnisprävention recher-            tive Ansätze wichtig sind, um die Zielgruppen als Akteure
    chierbar.                                                        einzubinden. In den Mittelpunkt stellt er vulnerable Grup-
                                                                     pen, bei denen Prävention noch nicht in hinreichender
    Abschlussveranstaltung als Auftakt zum Weitermachen!             Weise angekommen sei: „Wir müssen die erreichen, die es
                                                                     am nötigsten haben.“
    Im Mittelpunkt der Abschlussveranstaltung am 13. Septem­
    ber 2017 in Berlin standen die ausgewählten Projektträger        Nachhaltiges Netzwerken, Nachnutzung von Erfahrungen
    des Ideenwettbewerbs. Insbesondere aufgrund ihres                und Konzepten
    Engagements und durch ihre eindrucksvollen Präsentatio-
    nen war die Veranstaltung ein Erfolg. Es nahmen mehr als         Die Veranstaltung sollte in erster Linie der Präsentation
    70 Vertreterinnen und Vertreter der Politik, Wissenschaft,       und Diskussion der vorliegenden Ergebnisse dienen, aber
    Zivilgesellschaft sowie Fachkräfte aus der Praxis teil.          auch den Austausch über die Ziele und Herausforderungen

14 IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG
für die Verhältnisprävention von Übergewicht und Adipo­            „Schatz praktischer Arbeit“, Praxisdatenbank Verhältnis­
sitas bei Kindern und Jugendlichen fördern. Das Treffen            prävention
selbst war zudem als eine Kontaktmöglichkeit für die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ideenwettbewerbs                Die Projektbeschreibungen und auch die Erschließung
gedacht. Diese Form der Interaktion und Vernetzung                 über einen Stichwort-Index in dieser Broschüre zeigen
ist insbesondere im Bereich der soziallagenbezogenen               die Reichweite von bundesweit bis Gemeindeebene, die
Gesundheitsförderung unverzichtbar (Geene, 2009). Mit              feingranulare Zielgruppenorientierung und vor allem die
der Veröffentlichung und dauerhaften Verfügbarkeit der             vielen Ideen, die in der Praxis funktionieren, weil sie an den
Ergebnisse sollen zudem weitere Akteurinnen und Akteure            konkreten Bedürfnissen und Voraussetzungen der jeweili-
motiviert werden, eigene verhältnispräventive Maßnah-              gen Umwelt orientiert sind.
men zu entwickeln und umzusetzen, mit den Projektmit­
arbeitenden in Kontakt zu treten, Erfahrungen zu teilen            Die Projektbeschreibungen sind darüber hinaus in einer
und erfolgreiche Konzepte nachzunutzen.                            Praxisdatenbank Verhältnisprävention dauerhaft gesi-
                                                                   chert und für alle zugänglich. Die Datenbank basiert auf
Der Wettbewerb ist zwar abgeschlossen, er soll aber                den Eigendarstellungen der Projekte, wurde von der GVG
nicht als Selbstzweck verstanden werden. Die Präsentation          erstellt und wird auf der GVG-Website gehostet1. Die
der Ergebnisse ist deshalb auch kein Schlusspunkt, sondern         einzelnen Projekte sind mit Stichwörtern erschlossen und
als Anregung zur Weiterführung und Nachahmung zu                   bieten jeweils strukturierte Informationen zu Reichweite
verstehen.                                                         der Maßnahme, Projektzeitraum, adressierten Settings
                                                                   und Zielgruppen sowie zu Schwerpunkten und Zielen. Die
4. DIE PROJEKTE: VIELFALT DER PRAXIS                               Datenbankeinträge können durch thematische Filterset-
                                                                   zungen sortiert angezeigt werden, so dass ein schneller
Die Projekte orientieren sich vor allem an drei aus dem            und zielgerichteter Browsing-Zugriff ermöglicht wird.
KiGGS abzuleitenden Gesundheitszielen (RKI & BZgA,
2008): (1) Förderung eines gesunden Ernährungsverhaltens           Genau das soll als Anregung für viele dienen, sich aus
bei Kindern und Jugendlichen, Reduzierung von Fehler-              diesem ,Instrumentenkasten‘ zu bedienen, mit den Verant-
nährung, (2) Steigerung von Bewegung und körperlicher              wortlichen in Kontakt zu treten, oder Unterstützung zu
Aktivität von Kindern und Jugendlichen, Reduzierung von            suchen, um bei sich vor Ort eigene Maßnahmen auf den
Bewegungsmangel, (3) Stärkung der Fähigkeit zur Stress-            Weg zu bringen.
bewältigung bei Kindern und Jugendlichen, Reduzierung
von Stressoren.                                                    Für die Printpublikation wurden Kurzdarstellungen der
                                                                   Maßnahmen erstellt (siehe Teil II, ab S. 28). Die Projekte
Ernährung und Bewegung sind erwartungsgemäß die                    sind für einen geographischen Zugriff nach Bundesländern
zwei gemeinsamen Angelpunkte fast aller Projekte, dabei            sortiert (bundesweite sind vorangestellt), ein genaueres
überzeugen die Tiefe und Vielfalt, mit denen die Anliegen          thematisches Register mit mehr als 100 relevanten Stich-
gesunde Ernährung und körperliche Aktivität umgesetzt              wörtern findet sich ab S. 67. Damit soll neben dem sehr
werden. Auf den ersten Blick erscheinen 37 Projekte als            willkommenen ,Stöbern‘ auch hier ein gezielter Zugriff
gar nicht so viele angesichts der Herausforderungen, vor           ermöglicht werden.
denen gesundheitsorientierte Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen überall in Deutschland steht, und verglichen          5. FAZIT UND AUSBLICK
mit der Anzahl der Einrichtungen, die es insgesamt gibt.
Rasch wird jedoch klar: Die 37 zeigen eine beeindruckende          Die Prävention von Übergewicht und Adipositas bei
Fülle von Konzepten, Ideen, Praxisformen und vor allem             Kindern und Jugendlichen ist nicht nur eine fortdauernde
auch das Engagement und die Aktivität, all dies zu rea-            Aufgabe, sondern eine, die dringlicher wird. Die gemein-
lisieren und ,am Laufen zu halten‘. Die Projekte sind ein          same Anstrengung, Wirkungen durch Verhältnisprävention
„Schatz praktischer Arbeit“, wie Maria Becker als Vertre-          in einem ganzheitlich-salutogenen Ansatz zu erreichen
terin des BMG es während der Veranstaltung ausgedrückt             und den Zielpunkt von Intervention im Setting und im
hat. Dieser Schatz soll für alle Interessierten verfügbar          konkreten Lebensumfeld zu finden, zeugt von einem
sein.                                                              gesteigerten gesellschaftlichen Bewusstsein.

1
    http://ideenwettbewerb.gvg.org/praxisdatenbank-verhaeltnispraevention/ [Zugriff am 24.12.2017]

                                                                                    IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG   15
Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, das die Verhältnisse      Das heißt nicht, die ,Theorie‘ mit ihrem Anspruch an
    die Kontextbedingungen jeden Verhaltens sind und sich        Evaluation und Evidenzbasierung außen vor zu lassen,
    letztlich beides ändern muss, um die übergeordneten          es bedeutet vielmehr, sie stärker einzubinden: Praxis und
    Präventionsziele – Senkung von Belastung, Erhöhung von       Wissenschaft müssen stärker verzahnt werden, weil die
    Teilhabe, Stärkung der Ressourcen – wirklich zu erreichen.   einen ohne Rückhalt in größeren strategischen und for-
    Hierzu gilt es, ein Umfeld zu schaffen, das die Gesund-      schungsbezogenen Zusammenhängen insulär bleiben und
    heitskompetenz des Einzelnen stärkt und in dem Gesund-       die anderen ohne Umsetzung wirkungslos sind. Die – im
    heitsbildung als Element und Aufgabe der Bildungspolitik     Idealfall partizipative – Evaluation von Maßnahmen mit
    wahrgenommen wird. Wichtig ist auch das Mitdenken            Erhebung und Auswertung von empirischen Daten über
    von Präventionsaspekten in anderen Kontexten wie zum         Gesundheitsentwicklungen im Setting heißt auch, Respekt
    Beispiel der Verkehrs- und Stadtplanung – was nützt der      vor der praktischen Arbeit und der damit verbundenen
    Wille zur Bewegung, wenn die räumlichen Gegebenheiten        Verantwortung zu zeigen. Wir alle wollen sinnvoll und
    sie erschweren? Vor allem aber ist Nachhaltigkeit in der     ,richtig‘ handeln, und was motiviert mehr als das Wissen
    Finanzierung und im Commitment aller Akteure nötig.          um die Wirksamkeit des eigenen Projekts?

    Einiges ist in diese Richtung schon geschehen: Das PrävG     Strategisch-gesundheitspolitisch bedeutet das die Abkehr
    schafft einen gesetzlichen Rahmen, mehrere Programme         von einer gewissen Beliebigkeit der Maßnahmenlandschaft
    der Bundesregierung gehen in diese Richtung, wie zum         (,Wildwuchs‘); angestrebt ist, die erfolgreichen Beispiele als
    Beispiel der Nationale Aktionsplan IN FORM – darunter        ein modulares Baukastensystem mit vielen guten Elemen-
    die Aktionsbündnisse Gesunde Lebensstile und Lebens-         ten zu sehen, die am Bedarf orientiert eingesetzt werden.
    welten –, die Strategie zur Kindergesundheit sowie die       Die 37-fache „good practice“ des Wettbewerbs soll es
    Handlungsempfehlungen, die aus den KiGGS-Daten ab­-          durch gezielte Vervielfältigung in die Breite schaffen – so,
    geleitet wurden.                                             so ähnlich oder auch anders, aber immer mit dem gleichen
                                                                 Willen zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheitsver-
    So ist der Ideenwettbewerb zwar einerseits aus einem         hältnisse.
    Mangel – an Wissen über und Sichtbarkeit von verhält-
    nispräventiven Maßnahmen – entstanden, andererseits          Ein Nachhaltigkeitskonzept soll mit der GVG entwickelt
    aber als ein positives gemeinsames Bekenntnis zu mehr        werden, die auch weiterhin als Knotenpunkt für Präven-
    Aktivität, stärkerer Vernetzung, zu Nachhaltigkeit und       tionspolitik und als Anlaufstelle für den Austausch von
    konsequenter Praxisorientierung zu sehen.                    Informationen und Erfahrung dienen möchte.

16 IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG
LITERATUR

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                                                                       Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 50(5), 736-743. doi:
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                                                                        In H. Hackauf & M. Jungbauer-Gans (Hg.). Gesundheitspräven-
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gelegt? Gesundheit im Kindes-und Jugendalter als Beginn einer
                                                                        Gesundheitsverhalten und Evaluation von Präventionsmaßnah-
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                                                                                         IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG     17
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                                                                         heitswesen, 68(10), 600-612. doi: 10.1055/s-2006-927181
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    für Evaluation, 1, 71-80.
                                                                         Berlin: Argument-Verlag.
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                                                                         Erwachsenen als systemisches Risiko“. In M. Schulz, B. Mack & O.
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    does socio economic position link to health behaviour? Socio-
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18 IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | EINLEITUNG
FACHVORTRAG
VERHÄLTNISPRÄVENTION VON ÜBERGEWICHT BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN –
EVIDENZBASIERUNG ALS HERAUSFORDERUNG
TEIL 1: ZUR EVIDENZLAGE VERHÄLTNISPRÄVENTIVER ANSÄTZE
Prof. Dr. Jens Bucksch*

Der Begriff der Evidenz ist eng mit den Maßnahmen der            Verhaltens­weisen steht zwar im Zentrum, es ist aber ein-
Prävention und Gesundheitsförderung verknüpft. Nicht             gebettet in Handlungs- und Lebensräume mit kulturellen,
zuletzt ist dieser Anspruch als Teil des Projektprozesses        soziopolitischen oder auch baulich-technischen Struktu-
und der Maßnahmenentwicklung zu verstehen. Die Hin-              ren; diese Strukturen sind vom Einzelnen nicht unmittelbar
tergründe hierfür sind vielfältig. Zentral ist die Prämisse,     zu ändern und bestimmen Verhalten und Lebensweisen.
nur diejenigen Maßnahmen zu fördern und in eine flächen­         Dazu gehören zum Beispiel baulich-technische Bedingun-
deckende Verbreitung zu bringen, die „wirksam“ und in            gen, Angebotsstrukturen und die Gestaltung von urbanen
der Lage sind, relevante gesundheitliche Probleme zu             Räumen. Konkret können hier die Verfügbarkeit gesunder
erkennen, in effektive Maßnahmen zu überführen und die           Lebensmittel, aber auch rechtlich-politische Elemente wie
Gesundheit in Bevölkerungen zu verbessern.                       eine Zuckersteuer oder Investitionen in Gesundheitsför-
                                                                 derung sowie eine bewegungsförderliche Gestaltung von
Übergewicht im Kindesalter ist mit Verhältnisprävention          Stadträumen gemeint sein. Fachterminologisch wird von
zu begegnen                                                      einem sozial-ökologischen Bedingungsgefüge gesprochen.

Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendli-
chen in Deutschland stellt ein signifikantes Problem von
gesellschaftlicher Tragweite dar. Dieses ist aus Studien wie
dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des
Robert Koch-Instituts zu belegen: 15 Prozent der Kinder
und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig,
etwa 6 Prozent adipös (Kurth & Schaffrath Rosario, 2007).
Die Ursachen hierfür sind multifaktoriell. Als primäre
Ursachen für das kindliche Übergewichtwerden falsche
Ernährung, mangelnde Bewegung, sedentäres Verhalten –
übermäßiges Sitzen – und gestörter Schlaf angenommen.
Neben diesen Faktoren werden weitere mögliche Ursachen
in der Forschungsdiskussion genannt, darunter epigeneti-
sche Faktoren, pränatale Einflüsse und Stillverhalten oder       Abb. 1: Dimensionen der adipogenen Umwelt: Ein sozial-ökologisches
auch durch Viren ausgelöste Entstehungszusammenhänge.            Ursachengefüge (eigene Darstellung)
Deshalb ist es nötig, diese möglichen Ursachen genauer zu
analysieren.                                                     Diese Zusammenhänge leuchten intuitiv ein und sie kön-
                                                                 nen eine erste Begründung für einen stärkeren Fokus auf
Es wäre angesichts dieser vielfältigen Ursachen wenig            verhältnispräventive Ansätze liefern. Wir wissen zudem,
erfolgversprechend, die Präventionsarbeit auf appellative        dass edukative, individuumszentrierte und pharmazeu-
Maßnahmen zu beschränken, die sich an den oder die               tische Maßnahmen nur mäßig erfolgreich sind. Das ist
Einzelne richten. Vielmehr muss die „adipogene Umwelt“           zumindest mittelbar ein Argument, es mit dem Einwirken
in den Blick genommen werden. Das Individuum mit                 auf die Rahmenbedingung gesundheitsbezogenen Han-
seinem Übergewicht und seinen gesundheitsrelevanten              delns zu versuchen. Mit verhältnispräventiven Ansätzen

* Pädagogische Hochschule Heidelberg, Fakultät für Natur- und Gesellschaftswissenschaften, Arbeitsbereich Prävention und
  Gesundheitsförderung

                                                                           IDEENWETTBEWERB VERHÄLTNISPRÄVENTION | FACHVORTRAG TEIL 1   19
werden zudem die Grundvoraussetzungen für „richtiges“        selten die vorgelagerten „kausalen“ Bedingungsfaktoren
    Verhalten geschaffen. Weitere Vorzüge des Ansatzes sind      der energiebilanzierenden Verhaltensweisen an. Dieses ist
    seine Reichweite, da prinzipiell alle Bevölkerungsgruppen    jedoch eine Voraussetzung, um die Wirkmechanismen der
    erreicht werden können, die gesundheitsökonomische           Interventionen verstehen und verbessern zu können (Amini
    Effizienz und die Fokussierung auf alltägliche Lebenszu-     et al., 2015; Cauchi et al., 2016; Gortmaker et al., 2011; Swin-
    sammenhänge.                                                 burn, Eggers, & Raza, 1999; Summerbell et al., 2005; Pigeot,
                                                                 Baranowski, Lytle, & Ahrens,2016). Eine aus methodischer
    Der Wettbewerb                                               Sicht akzeptable Evidenz erhalten wir beispielsweise nur,
                                                                 wenn das Studien-Design eine Kontrollgruppe vorsieht
    Für den Wettbewerb wurden diese Erkenntnisse in Krite-       oder wir Zeitreihen-Daten generieren können (siehe hierzu
    rien umgesetzt, um zu einer gezielten Auswahl verhält-       auch den zweiten Teil dieses Beitrags von Freia De Bock).
    nispräventiver Ansätze zu gelangen. Daraus ergaben sich
    übergewichtsrelevante Maßnahmen für den Wettbewerb           Empfehlungen bei derzeitiger Evidenzlage
    in den folgenden Themenbereichen: (1) bauliche Verände-
    rung, (2) erleichterter Zugang zu bewegungsförderlichen      Wenn wir derzeit auch wegen einer zu geringen Anzahl
    Materialien, gesunden Lebensmitteln und Getränken, (3)       methodisch hochwertiger Studien eine eingeschränkte
    Verankerung von Bewegungszeiten, (4) organisationelle        Evidenzlage haben, lassen sich anhand einer systemati­
    Gestaltung von gesundheitsfördernden Settings, (5)           schen Übersichtsarbeit (Cauchi et al. 2016) in den drei
    Schaffung verbindlicher Netzwerke und Allianzen. Eine        Bereichen Bewegung, Ernährung, sedentäres Verhalten
    grundsätzliche Forderung war, dass alle Maßnahmen ein        folgende wirksame verhältnispräventive Maßnahmen als
    stimmiges und nachhaltiges Gesamtkonzeptder Lebens-          vielversprechend empfehlen: (1) Bewegung (zum Beispiel
    weltgestaltung vorlegen.                                     Materialien für Unterricht und freies Spiel, ganztägige
                                                                 ­Öffnung von Schulhöfen, Bewegung als tägliches Nach-
    Die aktuell schwache Evidenz von Verhältnisprävention         mittagsangebot), (2) Ernährung (bessere Schulmahlzeiten,
                                                                  freie Verfügbarkeit von Obst, schulseitige Bereitstellung
    Die Evidenzlage zur Verhältnisprävention ist nicht einfach    von kostenfreiem/ günstigem Wasser, Ersetzung gezucker-
    zu beurteilen, da verhältnispräventive Interventionen         ter Getränke, gesundes Frühstück), (3) sedentäres Ver­
    seltener umgesetzt und evaluiert werden als zum Beispiel      halten (Einsatz elektronischer „Zeitmanager“ zur Budge­
    verhaltenspräventive. Des Weiteren bleiben die Schluss­       tierung des Fernsehkonsums).
    folgerungen aus evaluierten verhältnispräventiven Maß-
    nahmen begrenzt, da Effekte nur kurzfristig, aber nicht      Auf längere Sicht verbessert werden kann die Evidenz-
    langfristig beobachtet werden, die Maßnahmen sich meist      lage durch belastbare Studien-Designs sowie durch die
    auf das Setting Schule konzentrieren, so dass auf andere     Messung langfristiger Effekte von Maßnahmen. Mit dem
    Lebenswelten übertragbare Aussagen kaum möglich sind.        Beispiel der Interventionen auf kommunaler Ebene in
    Zudem werden die Adressatengruppen der Interventio-          Michelfeld soll im Weiteren aufgezeigt werden, wie sich
    nen selten differenziert, so dass auch in dieser Hinsicht    diese modellhaften Anforderungen auf die Praxis über­
    belastbare Erkenntnisse noch ausstehen. Außerdem bleibt      tragen lassen.
    es eine Herausforderung, die Komplexität von verhältnis­
    präventiven Maßnahmen mit Bezug zu ihrer Wirksamkeit
    zu evaluieren. Abschließend sprechen Interventionen zu

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