Bezirksmuseen heute - Chancen einer Neuorientierung
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Bezirksmuseen heute – Chancen einer Neuorientierung Eine Zusammenfassung aktueller Tendenzen sowie Aufzeichnung von Möglichkeiten für die Wiener Bezirksmuseen Albertgasse 41/6 von Michael C. Niki Knopp 1080 Wien niki.knopp@a41.at +43699/10 18 92 91 Wien, Dezember 2012 Mag. Michael C. Niki Knopp MAS
„Der wahre Grund, warum Museen existieren, ist der, das Leben für ihre BesucherInnen interessanter zu machen und es zu bereichern“ (Kenneth Hudson) Mag. Michael C. Niki Knopp MAS
Bezirksmuseen heute Inhalt Inhalt 1 Zusammenfassung.................................................................................4 2 Vorwort.................................................................................................5 3 Methoden und Grundlagen.......................................................................6 4 Die Wiener Bezirksmuseen.......................................................................7 4.1 Geschichte.......................................................................................7 4.2 Finanzierung....................................................................................8 4.3 Publikum und Veranstaltungen............................................................9 4.4 Leitbild..........................................................................................10 5 Internationale Beispiele.........................................................................12 5.1 Partizipation...................................................................................12 5.2 Ecomusée und Soziomuseologie........................................................16 5.3 Beispiele aus der Museumspraxis......................................................17 5.4 Überlegungen zur Ausstellungsgestaltung...........................................23 6 Braucht Wien Bezirksmuseen?................................................................27 7 Aufgaben und Chancen der Bezirksmuseen..............................................32 7.1 Publikum........................................................................................32 7.2 Öffnung nach Außen........................................................................34 7.3 Sammlung.....................................................................................36 7.4 Bezirksmuseen und Politik................................................................38 7.5 MitarbeiterInnen.............................................................................38 8 Literaturverzeichnis...............................................................................40 9 Dank...................................................................................................42 Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 3
Bezirksmuseen heute Zusammenfassung 1 Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit werden Vorschläge für eine Neuorientierung der Wiener Bezirksmuseen dargelegt. Internationale und nationale Beispiele von regionalen, lokalen oder städtischen Museen mit einem meist partizipatorischen Ansatz werden vorgestellt und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für die Wiener Bezirksmuseen diskutiert. Literatur- und Internetrecherchen, Gespräche sowie Teilnahmen an Tagungen und die persönliche Erfahrung der Mitarbeit in einem Bezirksmuseum lieferten die Grundlagen für diese Arbeit. Wie internationale Beispiele zeigen, bieten gerade lokale Museen die Chance, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen anzusprechen und zum Gemeinwohl beizutragen. Mit Hilfe partizipatorischer Elemente kann die Bevölkerung aktiv in die Museumsarbeit eingebunden werden. Das bietet den Museen als auch den beteiligten Personen die Chance, nicht nur Vergangenheit (be-) greifbar zu machen, sondern Gegenwart und Zukunft zu diskutieren. Museen leisten auch einen wichtigen Beitrag für integrative Prozesse. In Zeiten, in denen gerade im städtischen Bereich Globalisierung, Heterogenität und Beschleunigung verstärkt spürbar werden, können lokale Museen Orientierung und Selbstreflexion bieten. Sie können ein Forum bieten für den Diskurs über die Entwicklung einer Region. Die Wiener Bezirksmuseen bieten durch ihre dezentrale Verortung, die Ehrenamtlichkeit, die reichen Archive und die bestehenden Strukturen sehr gute Voraussetzungen, sich zu lokalen Kommunikationsorten zu entwickeln. Partizipative (Ausstellungs-) Projekte und Kooperationen mit verschiedenen lokalen Initiativen bieten die Chance, sich einem breiteren Publikum zu öffnen und die Bevölkerung in die Gestaltung der Museen einzubinden. Die dafür notwendigen Maßnahmen werden in dieser Arbeit vorgestellt. So können die Wiener Bezirksmuseen zu wichtigen Partnern für ein friedliches, integratives und vorwärtsgewandtes Zusammenleben innerhalb der Stadt Wien werden. Diese Arbeit wurde aus Mitteln der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung gefördert. Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 4
Bezirksmuseen heute Vorwort 2 Vorwort Die Wiener Bezirksmuseen sind Kleinode der Wiener Museumslandschaft mit großem Potential. Jedoch sind sie bisher relativ unbekannt und werden von vielen als „verstaubt“ eingeschätzt. Die finanzielle Ausstattung ist „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, und die allesamt ehrenamtlich tätigen MuseumsmitarbeiterInnen sind meist mit den alltäglichen Arbeitsroutinen eingedeckt. Dies ist sicherlich mit ein Grund, warum bisherige Überlegungen zur „Belebung“ der Wiener Bezirksmuseen kaum Widerhall in einer Umsetzung fanden. Immerhin gibt es seit 2006 den jährlichen „Tag der Wiener Bezirksmuseen“, anlässlich dessen alle Bezirksmuseen zu einem gemeinsamen Thema Ausstellungen und Aktivitäten planen. Darüber hinaus beteiligen sich einige Bezirksmuseen an der „Langen Nacht der Museen“. Meiner Meinung nach liegt die Stärke der Bezirksmuseen einerseits in ihren zum Teil oft reichhaltigen (aber leider selten gut aufgearbeiteten) (Foto-)Archiven und andererseits in ihrer regionalen Verortung und flachen Hierarchie sowie der Vernetzung mit lokalen Initiativen. In der vorliegenden Arbeit zeige ich einige Beispiele zur Arbeitsweise von regionalen oder städtischen Museen aus dem In- und Ausland auf, mit einem Schwerpunkt auf der Einbindung der lokalen Bevölkerung. In weiterer Folge bespreche ich, inwieweit daraus Möglichkeiten für eine zukünftige Positionierung der Wiener Bezirksmuseen innerhalb der Wiener Museumslandschaft geschaffen werden können. Es geht in dieser Arbeit weniger um die Inhalte der historischen Ausstellungen in den einzelnen Bezirksmuseen, sondern stärker um Aspekte der Arbeitsweise und der „Beziehungsarbeit“ mit der Bevölkerung. Diese Arbeit soll dazu dienen, eine Diskussion innerhalb der Bezirksmuseen sowie der interessierten Öffentlichkeit anzuregen sowie für die praktische Arbeit der Bezirksmuseen Anregungen zu liefern. Daher habe ich versucht, den Fokus auf die Praxis zu legen. Parallel zu dieser Arbeit erstelle ich ein Grobkonzept zur Neukonzeption des Bezirksmuseums Josefstadt, das demnächst auch in schriftlicher Form vorliegen wird. Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 5
Bezirksmuseen heute Methoden und Grundlagen 3 Methoden und Grundlagen Neben Literatur- und Internetrecherchen fanden Gespräche mit Personen aus den Bezirksmuseen und der Museumsforschung statt. Besuche von Tagungen und Workshops wie die der Museumsakademie Joanneum oder des Österreichischen Museumstages ermöglichten einen Blick auf aktuelle Trends. Aufgrund meiner bereits mehrjährigen Mitarbeit im Bezirksmuseum Josefstadt ist mir die dortige Praxis geläufig. Für das noch zu erstellende Grobkonzept zur Neukonzeption des Bezirks- museums Josefstadt führte ich darüber hinaus museumsinterne Workshops, Leitfadeninterviews mit BezirkspolitikerInnen sowie GeschäftsbetreiberInnen durch und erstellte einen Fragebogen, der sowohl in Papierform im Museum auflag als auch als Internetbefragung zur Verfügung stand. Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 6
Bezirksmuseen heute Die Wiener Bezirksmuseen 4 Die Wiener Bezirksmuseen 4.1 Geschichte Die Wiener Bezirksmuseen entstanden zu einem Teil als Heimatmuseen in der Zwischenkriegszeit. Das erste Museum entstand 1923 in Meidling. „Schulrat Karl Hilscher gründete gemeinsam mit einem Kreis von heimatkundlich interessierten Personen – vor allem Lehrer – den Zentralausschuß für Heimatforschung. Die erste Ausstellung der von dieser Gruppe gesammelten Objekte fand in einem Klassenraum einer Meidlinger Volksschule statt.“ (Hauer, 1995, p.15) In den 1930-Jahren wurden die Museen in Favoriten, Simmering, Hernals, Ottakring, Floridsdorf, Landstraße, Währing und Josefstadt gegründet. Die weiteren Museen entstanden in den Jahren 1950 bis 1970. Vor allem um eine einheitliche finanzielle Regelung zu schaffen, gründete sich 1964 die Arbeitsgemeinschaft der Wiener Heimatmuseen, die sich 1971 – gemeinsam mit den einzelnen Museen – in Arbeitsgemeinschaft der Wiener Bezirksmuseen umbenannte. Heute befinden sich unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) neben den 23 Bezirksmuseen auch sieben Sondermuseen.1 Herbert Nikitsch (1992, p.91) beschreibt die Intention der Museumsgründungen in der Zwischenkriegszeit: „Sie entstanden im Sog jener Welle von Heimatmuseumsgründungen in dem nach 1918 verbliebenen, kaum als lebensfähig erachteten ‚Deutsch-Österreich‘, dem angesichts des Anschluß- Verbotes die Propagierung eines neuen Heimatbewußtseins zur Rückenstärkung des schwachen nationalen Selbstbewußtseins dienen sollte.“ „Daraus ergab sich ein Kanon heimatmusealer Sammel- und Ausstellungstätigkeit, der soziale bzw. kulturelle Einheitlichkeit suggerierte und sich in dieser Funktion vor allem in eine neutrale ‚Objekt‘-heit der Geschichte flüchtete.“ „Gesammelt wurde, was an große Zeiten und Söhne der Heimat erinnerte, was ‚alt‘ oder ‚besonders‘oder (am besten) beides war.“ (ebd.) „Ein Erlaß des Unterstaatssekretärs für Unterricht (16. August 1919), in dem die Sammlung bodenständigen Unterrichtsstoffes an allgemeinen Volks- und Bürgerschulen sowie an Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten und Mittel- schulen angeordnet wurde, führte bald zur Gründung von Lehrerarbeits- gemeinschaften. Diese verfolgten das Ziel, bezirksweise die Grundlagen und Materialien für das neu eingeführte Fach ‚Heimat- und Lebenskunde‘ aufzuarbeiten und bereitzustellen.“ (ebd., p.92) 1 siehe dazu auch www.bezirksmuseum.at Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 7
Bezirksmuseen heute Die Wiener Bezirksmuseen Nikitsch zitiert in weiterer Folge Karl Lang (Österreichische Heimatmuseen, Wien- Leipzig, 1929), der die Sammlung des Meidlinger Bezirksmuseums zur Zeit der Gründung (1923) aufgrund des „durchwegs retrospektiven Charakter“ und dem mehrheitlichen Fehlen „jener fortschrittlichen Forderung nach dem praktischen Wert einer Kultur- und Heimatmuseums“ kritisierte. Ein gut eingerichtetes Museum sollte in seinen einzelnen Abteilungen dem Besucher manches Neue, Wissenswerte, das er für sein Leben und seine Arbeit verwenden kann, bringen. Als positives Beispiel jener Zeit nennt Nikitsch das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, in dem „etwa die Neurathsche Bildstatistik zur Darstellung gerade auch gegenwärtiger Verhältnisse in Bereichen wie Fürsorge, Schule, Wohnbauten, Verkehr und Politik angewandt wurde.“ (ebd., p.93) In den Jahren des Nationalsozialismus gab es Überlegungen, die Bezirksmuseen in einzelnen Zonen zusammenzuschließen, jedoch wurde dies nie umgesetzt. Jedoch wurden in dieser Zeit die Bezirksmuseen auch für politische Zwecke genutzt, während des Krieges wurden nur die Museen in Hernals und Meidling weiter betrieben, die anderen wurden geschlossen und die Objekte gelagert (vgl. Hauer, 1995, p.17). 4.2 Finanzierung Die LeiterInnen und MitarbeiterInnen der Wiener Bezirksmuseen arbeiten rein ehrenamtlich und müssen mit einem sehr knappen Budget auskommen. Die Finanzierung erfolgt über eine jährliche Förderung der Arbeitsgemeinschaft durch die Stadt Wien. Diese belief sich in den vergangen Jahren (inklusive 2012) auf jährlich € 364.000,-, nur im Jahr 2010 wurde sie um € 20.000 erhöht, da die Übersiedlung und Adaptierung von Räumlichkeiten für das Circus- und Clown- Museum finanziert werden musste. Für 2013 ist eine Erhöhung auf € 384.000,- vorgesehen, diese deckt aber kaum die erhöhten Energiepreise. 2 Aus diesen Budgetmitteln müssen Miete und Betriebskosten (je nach Standort der Museen), Energiekosten sowie die Kosten der eigentlichen Museumsarbeit gedeckt werden. Jedes Museum erhält für die eigene Arbeit von seiten der ARGE jährlich etwa € 2.500,- bis € 4.500,- und kann bei der Arbeitsgemeinschaft um Förderung von größeren Projekten ansuchen (allerdings meist nur zwei bis drei Museen pro Jahr). Darüber hinaus finanzieren sich die Bezirksmuseen über Mitgliedsbeiträge der jeweiligen Freundevereine (dadurch können meist gerade die Telefon- und Kopierkosten gedeckt werden) und Spenden bei Veranstalt- 2 Zahlen stammen aus den jährlichen Kunst- und Kulturberichten sowie dem Budgetvoranschlag der Stadt Wien, abzurufen unter www.wien.gv.at Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 8
Bezirksmuseen heute Die Wiener Bezirksmuseen ungen.3 So wie andere Kulturinitiativen, können auch die Bezirksmuseen in den Bezirken um Subventionen aus der dezentralen Kulturförderung ansuchen. Dieser sehr enge finanzielle Spielraum lässt kaum Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem Anschaffungen von z. B. neuen Vitrinen oder auch neuen medialen Präsentationsformen werden erschwert. 4.3 Publikum und Veranstaltungen Im Jahr 2011 wurde für die ARGE Wiener Bezirksmuseen ein Leitbild von Manuela Kohl erarbeitet. Im Rahmen dieses, durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Prozesses hat sie Interviews mit einigen VertreterInnen der Bezirksmuseen sowie mit Stakeholdern geführt und eine fragebogenbasierte BesucherInnenbefragung durchgeführt. In ihrer Arbeit gibt sie an, dass die Besuchszahlen in den einzelnen Bezirksmuseen stark schwanken, von ca. 700 bis 14.000 pro Jahr (vgl. Kohl, 2011, Endbericht, p.6). Dies hängt nicht nur von der Größe und den Inhalten der Museen ab, sondern ist oft auch durch die (Nicht-)Möglichkeit der Durchführung von größeren Veranstaltungen bedingt. Manche Bezirksmuseen haben Veranstaltungsräume oder -säle, viele andere haben kaum Möglichkeiten dafür. Einzelne Aktivitäten erhalten größere Aufmerksamkeit, zum Beispiel der „Tag der Wiener Bezirksmuseen“. Im Jahr 2010 besuchten an diesem Tag (das Thema war „Versunkene Arbeitswelten“) über 5.000 BesucherInnen die Bezirksmuseen.4 Die Bezirksmuseen haben ein sehr vielfältiges Programm, allein eine Suche auf der zur APA gehörenden Webseite http://www.ots.at ergibt für das Jahr 20125 285 Presseankündigungen zu Veranstaltungen in Bezirksmuseen. Aus der Befragung6 der BesucherInnen im Rahmen des Leitbild-Prozesses ergibt sich ein differenziertes Bild über die BesucherInnnen der Wiener Bezirksmuseen: „Die Wiener Bezirksmuseen haben ein überwiegend älteres Publikum, die BesucherInnen über 60 Jahre machen mehr als die Hälfte des Publikums aus. Im Vergleich mit anderen Besucherstudien und der Wiener Bevölkerung ist dies eine stark abweichende Altersstruktur, über 60‐Jährige sind überproportional vertreten.“ „Beachtenswert ist, wie davor in den Interviews angeklungen, dass nur drei Prozent derjenigen, die einen Fragebogen ausgefüllt haben, nicht Deutsch als Muttersprache haben. Ausgehend von den Interviews und der 3 aus Gesprächen mit MuseumsleiterInnen 4 Kunst- und Kulturbericht. Frauenkulturbericht der Stadt Wien 2010 (http://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/kulturbericht2010.pdf), p.54 5 1. 1. 2012 bis 20. 12. 2012 6 485 Fragebögen aus 18 Bezirksmuseen wurden ausgewertet Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 9
Bezirksmuseen heute Die Wiener Bezirksmuseen BesucherInnenbefragung kann festgehalten werden, dass die Wiener Bezirksmuseen kaum BesucherInnen mit Migrationshintergrund haben.“ (Kohl, 2011, Endbericht, p.6). Knapp über 50 % der BesucherInnen wohnen in dem Bezirk, in dem sie das Museum besuchten. 4.4 Leitbild Aus dem weiter vorne beschrieben Prozess zur Entwicklung eines Leitbildes für die ARGE Bezirksmuseen und Sondermuseen entstand folgender Text: LEITBILD Die Wiener Bezirksmuseen sind eine einzigartige Institution: in jedem Bezirk widmet sich ein Museum der Erforschung und Dokumentation der Vergangenheit und Gegenwart des Bezirks. Das Augenmerk der Wiener Bezirksmuseen auf die Einzigartigkeit der Bezirke leistet dabei einen wesentlichen Beitrag zur lokalen Identität. In der Erforschung der Bezirksgeschichte wird insbesondere erzählte Geschichte eingesetzt, indem die Erinnerungen von BezirksbewohnerInnen festgehalten werden. Daneben stellen BezirksbewohnerInnen Objekte und Dokumente zur Verfügung und ergänzen so die bemerkenswerten Bestände zur Alltagsgeschichte. Durch ihre Hinweise helfen sie den Wiener Bezirksmuseen bei der Dokumentation verschwindender Orte. Der Kontakt zu ZeitzeugInnen und die enge Verbundenheit zu den BezirksbewohnerInnen ist eine besondere Stärke der Wiener Bezirksmuseen, die durch freien Eintritt für alle BesucherInnen und die Möglichkeit der Mitwirkung an der Museumsarbeit gesichert wird. Die Wiener Bezirksmuseen halten die Bezirksgeschichte lebendig und vermitteln die Geschichten hinter der Geschichte im persönlichen Kontakt mit den BesucherInnen. Die Wiener Bezirksmuseen sind Orte der Begegnung, an denen MitarbeiterInnen und BesucherInnen anhand von Objekten ins Gespräch kommen. Sie sind kultureller Veranstaltungsort und Anlaufstelle für bezirksgeschichtliche Fragen. In der Nutzung von Archiv und Bibliothek werden die BesucherInnen kompetent und freundlich unterstützt. Fundament der Wiener Bezirksmuseen ist das ehrenamtliche Engagement der MitarbeiterInnen, die ihre Zeit, Ideen, Kenntnisse und Fähigkeiten in die vielfältigen Aufgaben einbringen. Für ihre Forschungs- und Ausstellungsaktivitäten greifen die Wiener Bezirksmuseen überdies auf ein Netzwerk aus ExpertInnen, Forschungs-, Bildungs- und Kultureinrichtungen zurück. In Zusammenarbeit mit Schulen wird Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für ihre Herkunft vermittelt, ganz im Sinne der Feststellung des Philosophen Odo Marquard: "Zukunft braucht Herkunft". Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 10
Bezirksmuseen heute Die Wiener Bezirksmuseen Inwieweit dieses Leitbild zu einem gemeinsamen und selbstbewussten Auftreten der Bezirksmuseen führen wird, bleibt abzuwarten. Auf der Webseite der Wiener Bezirksmuseen (www.bezirksmuseum.at) ist es bis dato nicht zu finden, Manuela Kohl schreibt auch: „Trotz der Einbindung der MitarbeiterInnen und dem begleitenden Kommunikationsprozess wurden auch gegen Ende des Projekts, d. h. beim Workshop und danach, noch vereinzelt Unterschiede zwischen den Wiener Bezirksmuseen betont statt Gemeinsamkeiten als solche erkannt.“ (Kohl, 2011, Endbericht, p.8) Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 11
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele 5 Internationale Beispiele In diesem Kapitel beschreibe ich sowohl Strömungen als auch konkrete Museumsarbeit als Beispiele für die Möglichkeiten von Stadt- bzw. Regionalmuseen. Manche liegen schon länger zurück, haben aber an ihrer Aktualität nichts eingebüßt, andere Beispiele sind sehr aktuell. Der Fokus liegt dabei auf verschiedenen Formen der Öffnung der Museen hin zur lokalen Bevölkerung und der Umsetzung von Partizipationsprojekten. Wie positionieren sich regionale Museen im Zuge von Globalisierung, Internet (insbesondere Web 2.0) innerhalb der Öffentlichkeit, welche Ansätze gibt es? „Kulturgeschichtliche Museen sind heute angesichts der grundlegenden Wandlungen unserer Stadtgesellschaften, der zunehmenden Globalisierung und der damit zusammenhängenden Nivellierung gewachsener Stadtstrukturen, dem Nebeneinander lokaler Traditionen und unterschiedlichster Kulturen sowie der Entwicklung hin zu einer Wissensgesellschaft vor neue Herausforderungen gestellt.“ (Gesser, Jannelli, 2011) Die Aktualität des Themas „Stadtmuseum“ im weitesten Sinne wird auch durch die relativ neue Gründung des ICOM-Komitees CAMOC (International Committee for the Collections and Activities of Museums of Cities7) im Jahr 2005 belegt. In den beiden darauffolgenden Kapiteln gehe ich auf die von den Beispielen abgeleiteten Möglichkeiten für die Wiener Bezirksmuseen ein. 5.1 Partizipation Das Schlagwort Partizipation ist in aller Munde, kaum ein Konzept kommt ohne dieses aus. Doch die Vorstellungen, die sich dahinter verbergen, sind oft sehr unterschiedlich. Es ist wichtig, von Anfang an deutlich zu machen, was genau gemeint ist, um im Nachhinein keine Enttäuschungen zu erleben. Cornelia Ehmayer8 hat auf der Museumstagung „Mein, dein, unser Museum“ 9 betont, dass Partizipation ein Prozess sei mit dem Ziel von Mit-Bestimmung, Mit- Gestaltung, Mit-Entscheidung, Mit-Verantwortung – sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung. Dieser Prozess brauche vor allem Vertrauen bei allen 7 http://camoc.icom.museum/about/index.php 8 http://www.stadtpsychologie.at/ 9 organisiert durch die Museumsakademie Joanneum, 22. und 23. März 2012 in Hall/Tirol, Tagung und Workshop Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 12
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Beteiligten. Der positive Effekt einer Beteiligung sei die Schaffung von Identifikation. Es gäbe verschiedene Stufen der Partizipation, die mit immer stärkerer Selbstbestimmung einhergehen: informiert werden – mit-reden – mit- gestalten – mit-entscheiden – selbst gestalten. Entsprechend sieht sie auch in der partizipativen Museumsarbeit unterschiedliche Stufen: von der reinen Informationsbeschaffung aus der Bevölkerung bis hin zur gemeinsamen Entwicklung von Projektideen und deren gemeinsamer Umsetzung. Wichtig für erfolgreiche Partizipationsprojekte seien: • transparente Kommunikation (Ziele, Dauer, Art der Umsetzung, Verantwortlichkeiten, ...) • klares Team und klare Strukturen • bewusste Start- und Endphase („Kick-off“ und „Close down“) Anja Piontek schreibt: „Was ist – angesichts der eben geschilderten Spannungs- felder und Ambivalenzen – aber nun das, was Partizipation gerade für das Museums- und Ausstellungswesen interessant macht? Das große Potenzial von Partizipation ist das der Vergegenwärtigung – sei es die Vergegenwärtigung eines Gegenstandes oder Themas, gesellschaftlicher Verhältnisse, der eigenen Identität oder des ‚Systems Museum’. Denn wenn etwas für einen Menschen gegenwärtig wird, dann ist es in sein Bewusstsein gerückt und ihm im Hier und Jetzt unmittelbar nahe; Er ist – im positiven Sinne – betroffen, weil diese Sache einen unmittelbaren Lebensweltbezug und persönliche Relevanz, einen Identifikationspunkt, bekommen hat. Und genau das ist es ja, worum es Museen seit je her geht (oder gehen sollte), was aber im herkömmlichen Museumsbetrieb nicht immer gelingt. Ernsthafte Partizipationsangebote führen hingegen unweigerlich zu dieser starken, kognitiven wie emotionalen Identifikation: Dadurch, dass sich Teilnehmer ganz persönlich einbringen, gewissermaßen einen Teil von sich in ihren Beitrag hineingeben und öffentlich machen, wird unweigerlich eine Brücke geschlagen und eine Nähe zum Gegenstand bzw. Thema erzeugt, die eine weitergehende, tiefere Auseinandersetzung bewirkt und neue Handlungsweisen nach sich zieht.“ (Piontek, 2012) Sie betont auch, dass man jeweils gemäß den individuellen Bedingungen handeln muss und nicht alles über einen Kamm scheren kann: „Ein Patentrezept für Partizipation kann es allerdings nicht geben und Museen werden immer individuelle, auf ihre jeweilige Situation zugeschnittene Wege finden müssen, wenn sie nachhaltige Austauschprozesse initiieren wollen, anstatt nur blind einem Trend zu folgen.“ (ebd.) Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 13
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Partizipation an sich klingt zwar meist einleuchtend und wird oft gerne gewünscht, jedoch ist die Umsetzung nicht so einfach. Denn es bedeutet für alle TeilnehmerInnen sich auf etwas einzulassen und einen Teil der Kontrolle abzugeben. „Diese scheinbar simple Fähigkeit, sich einlassen zu können, hat auch für die museale Diskussion um Partizipation besondere Relevanz, weil sich Projekterfolg oder -misserfolg oftmals schon an diesem frühen Punkt entscheiden. Wobei „Sich-Einlassen“ durchaus wechselseitig verstanden werden muss, denn Partizipation beinhaltet nach meinem Verständnis in erster Linie, dass Museen dazu bereit sind, sich auf die Gesellschaft zuzubewegen.“(ebd.) Dazu bedarf es nicht nur der Bereitschaft der im Museum tätigen Personen, sondern es braucht auch entsprechende Schulungen und/oder Menschen, die sich mit Partizipation beruflich auseinandersetzen: „In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle von professionellen Vermittlern, die als Bindeglied zwischen Kurator und Teilnehmern bzw. Museum und Gesellschaft fungieren, aufgewertet werden (müssen), denn Partizipation ist vor allem Beziehungs- und Kommunikationsarbeit, für die es geschultes Fachpersonal braucht.“ (ebd.) Ein ähnliches Konzept für diese notwendigen VermittlerInnen im Rahmen von partizipativen Prozessen ist das der „Keyworker“. 1998 bis 2001 fand das durch die EU geförderte SOKRATES-Projekt „Museen, Keyworker und Lebens- begleitendes Lernen“ statt. Es war ein Kooperationsprojekt zwischen verschiedenen europäischen (Museums-)Institutionen 10 mit dem Ziel, „einen Weg zu finden, um die Museen auch für diejenigen zu öffnen, die sie nicht benützen, es aber tun könnten, wenn sie Gelegenheit dazu hätten.“ (Büro für Kultur- vermittlung, 2001, p.12). In dieser Arbeit wird der Begriff Keyworker folgender- maßen definiert: „beruflich oder ehrenamtlich tätige Personen, die nicht am Museum beschäftigt sind und die als VermittlerInnen zwischen der Institution und einem breiten und repräsentativen Erwachsenenpublikum (einschließlich Jugendlicher) agieren. Ihre Tätigkeit geht über die reine Vermittlung hinaus, da sie professionelle Voraussetzungen mit der Verankerung in einer Gruppe oder Gemeinde verknüpfen. [...] Sie sind es, die Türen zwischen dem Museum und neuen BesucherInnengruppen von beiden Seiten öffnen können. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie selbst Lernende sind.“(ebd., p.17) „Keyworker agieren wie GastgeberInnen und BotschafterInnen, nicht wie Museumsfachleute sich verhalten würden, denn ihre Motivation ist ihr eigenes, auf ihren Erfahrungen basierendes Wissen, das sie weitergeben können. Es ist 10 Büro für Kulturvermittlung (Wien, Österreich), Irish Museum of Modern Art (Dublin, Irland), Museu de Vila Franca de Xira (Sobralinho, Portugal), Stockholm Education (Stockholm, Schweden), Victoria and Albert Museum (London, Großbritannien), Universität Surrey (Guildford, Großbritannien) Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 14
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele von Bedeutung, dass Keyworker ihre Begeisterung und ihre Lernerfahrungen mit anderen Erwachsenen teilen; dass sie andere ermutigen und sie dabei unterstützen, sich auf das Lernen einzulassen, weil es der persönlichen Weiter- entwicklung, der Zufriedenheit und dem Vergnügen dient.“(ebd., p.60) Für das Keyworker-Konzept hat Gabriele Stöger die wichtigsten Elemente benannt, die für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig sind: „Der erste Schritt sollte für eine Institution sein, die Lücken in den beteiligten Publikumsschichten zu erkennen und die bisherige Praxis zu überprüfen.“(ebd., p.57) In weiterer Folge beschreibt sie einzelne Punkte, die hier nur als Schlagworte angeführt werden sollen: Hinausgehen (Kontakt mit Erwachsenenbildungs- einrichtungen, Jugendclubs, etc. aufnehmen), Partner finden, Bereitstellung von Mitteln (ausreichend für ein langfristiges Projekt) und nicht zuletzt die Schaffung einer einladenden Atmosphäre. In der Arbeit mit den künftigen Keyworkern ist wichtig, seitens des Museums zuerst zuzuhören, auf die Interessen der Gruppen zu reagieren und Interesse und Achtung zu zeigen. Die gesellschaftliche Position des Museums müsse reflektiert werden. Nicht nur für eine abschließende, notwendige Evaluierung des Prozesses, aber auch für alle Beteiligten ist es wichtig, zu Beginn konkrete Ziele zu definieren und sich mit allen PartnerInnen über diese zu einigen. Als ein Beispiel für die Ausbildung solcher Keyworker sei das Beispiel des Irish Museums of Modern Art in Dublin genannt: Ein SeniorInnenprogramm wurde entwickelt, um die Rolle älterer Personen, die schon seit Jahren mit dem Museum zusammenarbeiten, „als Keyworker, GastgeberInnen oder Mittler zwischen dem Museum und anderen Gruppen oder Einzelpersonen weiterzuentwickeln.“ (ebd., p.25). Eine Ausstellung mit Werken der SeniorInnen wurde im Museum prominent gezeigt, ein anderes Mal fungierten die SeniorInnen als KuratorInnen und stellten eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung des Museums zusammen. Diese Aktivitäten wurden jeweils von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet. Diese Form von Keyworker-Bildung kann als Erfolg gewertet werden: „Indem andere ältere Menschen ihren AltersgenossInnen als TeilnehmerInnen von Bildungsangeboten begegnen, als Ausstellende, als KuratorInnen, als GastgeberInnen und VermittlerInnen, werden sie ermutigt, sich ebenfalls aktiv mit der zeitgenössischen Kunst auseinanderzusetzen.“(ebd., p.29) Susanne Gesser und Angeli Jannelli machen darauf aufmerksam, dass partizipative Ausstellungskonzeptionen auch eine neue Art des Umgangs und von Kompetenzen benötigen: „Es reicht demnach nicht aus, wenn ein Kurator ein exzellenter Kenner seiner Sammlung oder seines Fachgebiets ist. Der ‚partizipative Kurator‘ ist eher ein ‚Fürsorger‘ als ein Dozent, seine Rolle entspricht mehr der eines Gastgebers und Moderators, der dafür sorgt, dass die Objekte der Sammlung bzw. die extra für die Ausstellung zusammengetragenen Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 15
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Exponate mit persönlichem Erfahrungswissen verbunden werden.“ (Gesser, Jannelli, 2011). Aus ihrer Sicht wird dadurch die – gleichberechtigte – Mitarbeit der MuseumspädagogInnen wichtig, um mit verschiedenen Gruppen prozess- und lösungsorientiert arbeiten zu können. Eine weiteres mögliches Problemfeld schneiden sie an: „Von beiden Mitarbeitern ist dabei auch eine gewisse ‚Uneitelkeit‘ gefragt, denn eigene konzeptionelle Ideen müssen offen zur Diskussion gestellt werden. Es ist oft nicht einfach, sich zurückzunehmen und sich von eigenen Vorstellungen zu verabschieden.“ (ebd.). „Die partizipative Museumsarbeit ist ein Prozess mit offenem Ende und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit sowie Improvisationsfähigkeit. Und auch wenn der Weg das Ziel ist, so trägt man als Vertreter des Museums doch auch immer die Verantwortung dafür, auch allen nicht beteiligten Ausstellungsbesuchern ein qualitativ hochwertiges und inhaltlich korrektes Ausstellungserlebnis zu vermitteln.“ (ebd.) Für den Austausch von Ideen und Beispielen zu diesem Thema, welches sie bei der Arbeit an der Konzeption des historischen Museums Frankfurt beschäftigt, haben sie einen Blog eingerichtet (http://partizipatives-museum.de/), in dem viele aktuelle partizipative (Ausstellungs-)projekte vorgestellt werden. 5.2 Ecomusée und Soziomuseologie Als nächstes möchte ich kurz zwei museologische Strömungen ansprechen, die auch viel mit unserem heutigen Verständnis von Museumsarbeit zu tun haben – Ecomusée und Soziomuseologie. Die Ecomusée-Bewegung entstand in Frankreich in den frühen 70-er Jahren, Georges Henri Rivière zählt zu den Gründern. Per-Uno Ågren schreibt im Vorwort zu „Museen, Keyworker und Lebensbegleitendes Lernen: Gemeinsame Erfahrungen in fünf Ländern“: „Ihre VertreterInnen behaupten, dass jedes Territorium seine spezifische sichtbare Geschichte hat und dass es Aufgabe der BewohnerInnen ist, die Verantwortung für die Pflege seiner Monumente und seiner Erinnerungen zu übernehmen; die BewohnerInnen sollten die KuratorInnen ihres eigenen ‚Gebiets‘-Museums sein, indem sie die für sie relevanten Denkmäler und Kunstwerke auswählen und als Zeugen ihrer Vergangenheit bewahren.“ (Büro für Kulturvermittlung 2001, p.8) Nina Gorgus: „Mit Ecomusée ist ein Konzept gemeint, das den Lebensraum des Menschen einer bestimmten Region in Zeit und Raum deutet. Ein Museum ohne Wände gewissermaßen, in dem die dort wohnende Bevölkerung Teil ist und Teil hat an den musealen Inszenierungen. Solchen Museen liegt ein weiter Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 16
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Kulturbegriff zugrunde, das natürliche Erbe wie das kulturelle und industrielle Erbe stehen gleichermaßen im Mittelpunkt des Interesses.“ (Gorgus, 1999) Die Ecomuseen sind keine abgeschlossenen Gebäude, sondern breiten sich über ein Gebiet wie ein Dorf oder einen Nationalpark aus, welches quasi zum Museum wird. Diese Bewegung war bzw. ist vor allem in Frankreich erfolgreich, zum Beispiel „Le Musée de l’homme et de l’Industrie“ in Le Creusot. New Museology und Soziomuseologie Paula Assunção dos Santos, Vorsitzende des ICOM-Komitees „International Movements for a New Museology“ (MINOM) beschreibt das Verständnis der Soziomuseologie: „We understand issues such as community action, emancipation and solidarity to be paramount to achieving social harmony.“ „For us, change is a political take on the basics of the human condition. It responds to the capacity of people to truly participate in the shaping of their own future.“ „According to the concept of integral museum, museums should play a role in solving social problems and work in connection with local communities.“ (Assunção dos Santos, 2010) Den sozialen Aspekt als wichtige Aufgabe von Museen beschreibt auch Martin Düspohl „Mit Blick auf die im Museum wenig repräsentierten Gruppen wäre es zielführender, im Sinne von Empowerment deren positive Ressourcen zu stärken, ihnen Partizipationschancen zu eröffnen, die sowohl eine erweiterte Aneignung von kulturellen Angeboten erlauben als auch eine kulturelle Eigenproduktivität.“ „Die Verknüpfung von Strategien der Erwachsenenbildung (Zielgruppenarbeit, lebenslanges Lernen) und der sozialen Arbeit mit der Praxis der Museen steht damit erneut auf der Agenda.“ (Düspohl, 2007) 5.3 Beispiele aus der Museumspraxis Die Einbindung der Bevölkerung – teils schon vor Museumseröffnungen, teils im Rahmen bestimmter Ausstellungsprojekte – findet seit vielen Jahren in unterschiedlichen Formen statt. Einige Beispiele mögen die vielfältigen Ansätze aufzeigen. Sandra Marwick beschreibt in ihrem Beitrag „Learing from each other: mueums and older members of the community – the People's Story“, wie ältere Personen aus Edinburgh in The People's Story Museum11 eingebunden wurden. Im The People's Story Museum als Teil der The City of Edinburgh Council Museums and Galleries wurde eine Vermittlungsstelle geschaffen, deren Hauptziel war, „to maximize the opportunities for life-long learning provided by the collections of 11 http://www.edinburghmuseums.org.uk/Venues/The-People-s-Story Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 17
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Edinburgh City Museums and Galleries, together with the development of access to museum services for all residents of the city.“ (Marwick, 2001) Dieses Museum – bereits 1989 eröffnet – ist eingebunden in einen größeren Museumsverband in Edinburgh, hat bezahlte MitarbeiterInnen und ist organisatorisch nicht mit den Wiener Bezirksmuseen zu vergleichen, jedoch entspricht es diesen in seiner Intention: Es wurde vor allem gegründet, um die Lebens- und Arbeitsgeschichten der Bevölkerung von Edinburgh, vom 18. Jahrhundert bis heute, zu erzählen. Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht ebenfalls für die Bezirksmuseen wesentlich: Die Bevölkerung sollte in die Präsentation ihrer eigenen Geschichte involviert werden, mündliche Erzählungen liefern die Grundlage für Forschung und Präsentation. Ältere Personen wurden bereits vor der Eröffnung in die Planung des Museums eingebunden – sie berieten über Texte, Layout, ihre Lebensgeschichten wurden aufgenommen, sie haben Objekte gereinigt, u.s.w. Auch nach der Eröffnung gab es zahlreiche Aktivitäten des Museums, die gemeinsam mit der Bevölkerung durchgeführt wurden. Kinder wurden aufgefordert, ihre Großeltern zu bestimmten Themen zu interviewen, Diashows mit alten Ansichten tourten durch diverse Vereine, portable Boxen zu bestimmten Themen (mit Objekten, Fotografien, Anleitungen, Texten) wurden hergestellt und konnten z. B. bei Veranstaltungen in Altersheimen oder Krankenhäusern verwendet werden. Bei diesen Veranstaltungen außerhalb des Museums dienen die Materialien als Auslöser für zahlreiche Gespräche – und diese wiederum liefern Informationen für das Museum. (vgl. Marwick, 2001) In Glasgow existiert seit 22 Jahren das „Open Museum“12, eine Institution, deren Ziel ist, Objekte der Glasgower Museen außerhalb der Museumsmauern zur Bevölkerung zu bringen. Man kann als Gruppe, Veranstalter oder Organisator für community events kostenlos aus über 4.000 Museumsobjekten, „handling kits“ und Präsentationsmodulen auswählen und Ausstellungen zusammenstellen. Gemeinsam mit dem Team des Open Museums können Ausstellungen geplant und durchgeführt werden. „The Open Museum’s remit is to take objects into the community and work with those who might not otherwise visit a traditional museum.“13 Mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen werden gezielt Projekte durchgeführt – von der Möglichkeit für Kinder, an Museumsobjekte angelehnte Animationen zu erzeugen bis hin zu Gartenarbeiten mit Personen mit mentalen und Lern- 12 http://www.glasgowlife.org.uk/museums/our-museums/open-museum/Pages/home.aspx 13 http://www.glasgowlife.org.uk/museums/publications/books/Pages/out-there-the-open- museum.aspx Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 18
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele schwierigkeiten. Letzteres Projekt, „The Gardener’s Ark“14 genannt, war eine zweijährige Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und hatte zum Ziel, diese Gruppe von Personen, die meist ihr ganzes Leben auf Betreuung (in Heimen oder Spitälern) angewiesen waren, in die Community zu integrieren. Anlässlich von 20 erfolgreichen Jahren (2010) wurde eine Publikation15 mit einer Präsentation zahlreicher vergangener Projekte herausgegeben. Brigitte Kaiser beschreibt eine Ausstellung im Historischen Museum Amsterdam 16 mit dem Titel „Amsterdam'daki Anadolu – Anatolien in Amsterdam“ aus dem Jahr 1996 (Kaiser, Brigitte 2006 p.178). Dabei sollte ein Bild des Lebensalltags der türkischen Gemeinschaft in Amsterdam vermittelt werden. Die einzelnen Ausstellungseinheiten wurden in enger Zusammenarbeit mit der türkischen Gemeinschaft entwickelt und BesucherInnen konnten sich auch noch während der Ausstellung einbringen, indem sie Exponate mit einer Geschichte mitbringen konnten. Der Erfolg dieser Ausstellung ließ sich nicht durch Besuchszahlen oder Erlöse messen (beide waren gering), sondern es waren ideelle Gesichtspunkte: „Bei den türkischen Zielgruppen wurde man auf das Historische Museum aufmerksam, und die Ausstellung führte zu Gesprächen und Diskussionen. Für das Museum bot dieses Projekt die Gelegenheit, seine Erfahrungen mit den Problemen gegenwartsbezogener Sammlungsstrategien zu erweitern.“ (Kaiser, 2006, p.180). Seit dieser Ausstellung wurden auch türkische Objekte in die Dauerausstellung des Amsterdam Museum miteinbezogen. Zahlreiche weitere Ausstellungen fanden unter Beteiligung türkischer Institutionen statt. 17 Anja Dauschek berichtete am 14. Bayerischen Museumstag 18 über die Planungen für das künftige Stadtmuseum in Stuttgart:19„Die Lebenserfahrungen von Menschen sollen im Mittelpunkt stehen, also nicht nur die Geschichte der Stadt, sondern vielmehr die Geschichte der Stuttgarter.“ (Dauschek, 2007, p.36). „Die Vermittlung soll ein zentraler Auftrag des Stadtmuseums sein. Das Stadtmuseum will im Sinne eines ‚expanded museum‘in die Stadt hineinwirken und auch die Bürger zum aktiven Mitwirken einladen.“ (ebd.) 14 http://www.glasgowlife.org.uk/museums/Documents/Gardener%27s%20Ark%20book.pdf 15 Out There. The Open Museum. Pushing the boundaries of museums potential. Glasgow Museums, 2010 16 http://www.amsterdammuseum.nl/en 17 http://www.culturalexchange-tr.nl/mapping-turkey/heritage/tr-nl-collaborations/amsterdam- historical-museum 18 11.-13. Juli 2007 in Augsburg 19 siehe auch: http://www.stuttgart.de/stadtmuseum; es soll laut dieser Webseite 2016 eröffnet werden Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 19
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Andrea Bina, Leiterin des Stadtmuseums NORDICO in Linz, berichtet über ihr Haus: „Ein zentrales Anliegen des Stadtmuseums ist eine lebendige Vernetzung und Kooperation mit der Bevölkerung, anderen Häusern, Schulen, Universitäten und Kulturinstitutionen.“ (Bina, 2012, p.32). Bei der Sonderausstellung „Erzähl uns Linz!“20 wurde die Bevölkerung eingeladen, persönliche Gegenstände mitzubringen, ihre Geschichte, die sie damit verbinden zu erzählen und die Gegenstände in der Ausstellung frei zu positionieren. Dazu dienten 24 historische Stadtereignisse der letzten 104 Jahre als Anhaltspunkte. „Damit entsteht ein neuer Blick auf die noch nicht erzählte Stadt. ‚Erzähl uns Linz!‘ versteht sich als Experiment, und im Rahmen dieser Schau erkundet das Stadtmuseum neue Formen des Kuratierens: Das bedeutet auch die herkömmliche abgehobene Rolle von Museen und die Rolle der Besucher neu zu definieren. Konkret wird Raum und Möglichkeit für Beteiligung und Selbstermächtigung geschaffen.“ (ebd., p.34) Bei der diesjährigen Tagung „Mein, dein, unser Museum. Identifikation durch Beteiligung“21 wurden verschiedene Modelle von Partizipationsprojekten an städtischen bzw. regionalen Museen präsentiert, auf vier „Good-Practise- Beispiele“ gehe ich im Folgenden näher ein: historisches Museum Frankfurt, Ausstellung „Familienmacher“ im Wiener Volkskundemuseum, Open City Museum (Stadtmuseum Klausen, Südtirol), „Küsnacht stellt sich aus“ (Ortsmuseum Küsnacht, Schweiz). Das historische Museum Frankfurt ist derzeit im Umbruch, bis 2015 wird ein Neubau errichtet. „Es wandelt sich derzeit zu einem Stadtmuseum für die moderne Stadtgesellschaft und gibt sich daher auch eine partizipatorische Ausrichtung.“ (Gesser, Jannelli, 2011) Susanne Gesser und Angela Jannelli schreiben, dass das historische Museum Frankfurt „ein Ort sein [möchte], an dem die Stadtbevölkerung Frankfurts miteinander über die Identitäten der Stadt verhandelt.“ (ebd.). Dafür wird im neuen Museum ein Dauerausstellungsformat namens „Frankfurt Jetzt!“ eingerichtet, als „Forum für die Identitätsfragen und Eigenlogiken der Stadt“. Weiters wird Raum für eine neue, partizipative und interaktive Ausstellungsreihe geschaffen: „Im Stadtlabor werden zukünftig in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppierungen der Stadtgesellschaft zwei bis drei Mal pro Jahr Ausstellungen zu wechselnden Themen entwickelt. Die Themen werden nicht vorgegeben, sondern von den Gruppen vorgeschlagen oder gemeinsam mit ihnen erarbeitet. Dadurch erweitert sich das Themenspektrum des Museums um das Alltags- und Erfahrungswissen der Stadtgesellschaft.“ (ebd.) 20 30. März bis 26. August 2012 21 organisiert durch die Museumsakademie Joanneum, 22. und 23. März 2012 in Hall/Tirol, Tagung und Workshop Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 20
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Die Ausstellung „Familienmacher – vom Festhalten, Verbinden und Loswerden“ im Volkskundemuseum Wien22 hatte Verwandtschafts- und Familien- verhältnisse zum Thema. Die partizipativ angelegte Ausstellung hatte zu Beginn „offene Displays, die bei der Vernissage lediglich erste Impulse (Fotografien, SMS-Nachrichten, materielle Objekte) zu ihrem Gebrauch gaben. BesucherInnen gestalten die Ausstellung, indem sie Fotografien produzieren, SMS-Nachrichten weiterleiten und Objekte tauschen. Diese Veränderungen wurden monatlich fotografisch dokumentiert.“ (Dankl, 2012) Die Initiative „Open City Museum“ hat das Anliegen, „das gegenseitige Verständnis und den Dialog zwischen jenen Personen zu fördern, die in einer Gesellschaft die kulturelle Verschiedenheit oder die „Pluralität“ vertreten, und die in Kontexten einer multikulturellen Realität immer notwendiger werden. Die Museen jeder Stadt können zu einer Bildung eines Gemeinschaftssinnes und zu der Entwicklung einer ‚plurikulturellen‘ Identität beitragen, da sie einen Ort des gegenseitigen Austausches, des Dialoges und des Teilens von Erfahrungen für alle Mitglieder der Gesellschaft darstellen. Das Ziel von ‚Open City Museum‘ ist es, den Museen die Möglichkeit zu geben, ‚offene Museen‘ zu werden, die die Identifizierung und das Zusammenleben fördern.“ 23 Im Stadtmuseum Klausen 24 (Südtirol) wurden Führungen in den Sprachen der in der Stadt wohnenden MigrantInnen durchgeführt (Dänisch, Spanisch, aber auch z. B. Urdu), kulturelle Veranstaltungen im Ort abgehalten, die verschiedene Bevölkerungsteile ansprachen und zusammengeführt haben und Kunstprojekte durchgeführt. Das Museum diente dabei gegenüber den verschiedenen Bevölke- rungsgruppen als „neutrale Plattform“. Im Ortsmuseum Küsnacht (Schweiz)25 wurde vorbereitend und ergänzend zur neuen Dauerausstellung die partizipative Sonderausstellung „Küsnacht stellt sich aus“ durchgeführt. Da die meisten Ressourcen für die neue Dauerausstellung gebunden waren, wurde eine bewusst einfache Ausstellungsgestaltung (z. B. Packpapier) verwendet. Die Ausstellung war zu Beginn ein relativ leerer Raum, der erst durch die BesucherInnen gefüllt wurde. Auf einem am Boden liegenden Stadtplan aus dem Jahr 1926 konnten die BesucherInnen fiktive Neubauten errichten und so ihr „Wunsch-Küsnacht“ darstellen. Daneben gab es einen aktuellen Stadtplan, auf dem zurückgelegte Wege für verschiedene Zwecke mit unterschiedlichen Farben eingezeichnet werden konnten, leere Bilderrahmen konnten befüllt, Erinnerungsstücke an die Kindheit ausgestellt werden. Die 22 http://www.volkskundemuseum.at, vom 11. 11. 2011 bis 25. 3. 2012 23 http://opencitymuseum.com/de/das-projekt/mission/ 24 http://www.klausen.it/de/klausen/sehenswuerdigkeiten/1001-stadtmuseum-klausen.html 25 http://www.ortsmuseum-kuesnacht.ch/ Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 21
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele digitalisierte Fotosammlung des Museums bot BesucherInnen die Möglichkeit, Erinnerungen zu einzelnen Fotos (digital) niederzuschreiben. Diese und weitere Stationen ermöglichten der Küsnachter Bevölkerung selbst zu Wort zu kommen. Im schon angeführten Internet-Blog26 gibt es auch ein Beispiel, dass spielerische Elemente bei Partizipation auch ganz konkret mit Spielen zu tun haben können: Claudia Glass berichtet über die Ausstellung „Zug um Zug – Kleine Eisenbahn“ im Spielzeugmuseum Riehen (Schweiz)27. In Workshops bauten hunderte Kinder und Jugendliche mit einer Museumspädagogin und Mitgliedern eines Modellbahnclubs eine phantasievolle Eisenbahnlandschaft. Diese fand bei Presse und BesucherInnen großen Anklang und zeigte einen neuen Weg in der Arbeit des Spielzeugmuseums. In Berlin gibt es – ähnlich wie in Wien28 – in jedem der zwölf Verwaltungsbezirke Heimatmuseen, die im Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (ABR)29 zusammengeschlossen sind. Die einzelnen Museen haben unterschiedliche Entstehungsgeschichten und dementsprechend auch unterschiedliche Samm- lungsbestände. Innerhalb des Arbeitskreises werden auch immer wieder Gemeinschaftsprojekte durchgeführt, die von allen Museen getragen werden (z. B.: „Geschichte vor Ort 1989 | 2009“, „Nach dem Krieg und vor dem Frieden. Berlin 1945/Berlin 2005“ oder „Jugendprojekte zum Tag des offenen Denkmals“). Eines dieser Regionalmuseen ist das Museum Neukölln, das sich folgendermaßen charakterisiert: „[...] die wichtigste Adresse für die Vermittlung von Geschichte und Alltagskultur in Neukölln, ein Ort der Begegnung, der Integration und des Dialogs, an dem die unterschiedlichen in Neukölln lebenden Bevölkerungsgruppen und Generationen ihre Erfahrungen und Perspektiven austauschen“30. Zu diesem Zweck wurde auch der „Geschichtsspeicher“ eingerichtet, bei dem „Besucher selbst (nach Anmeldung) Informationen zur Geschichte, Kultur und Alltag Neuköllns suchen und abrufen können, und das Museum in einen Wissensdialog mit dem Besucher treten und von ihm und mit ihm lernen kann.“31 Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, zu 99 Objekten, die in der Dauerausstellung präsentiert sind, seine eigene Geschichten unter dem Titel „My Story“ zu schreiben. Im Museumsblog im Internet, an einem der 26 http://partizipatives-museum.de/ 27 http://www.spielzeugmuseumriehen.ch/, vom 15. 7. 2012 bis 24. 2. 2013 28 Eine Vergleichbarkeit der Museen in Wien und Berlin in Hinsicht auf Organisation und Finanzierung ist allerdings nur beschränkt möglich, da die Berliner Regionalmuseen in eigenen Häusern untergebracht und vor allem bezahlte MitarbeiterInnen haben. 29 http://www.regionalmuseen-berlin.de/ 30 http://www.museum-neukoelln.de/geschichtsspeicher-root-geschichtsspeicher.php 31 http://www.museum-neukoelln.de/geschichtsspeicher-root-geschichtsspeicher.php Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 22
Bezirksmuseen heute Internationale Beispiele Arbeitsterminals in der Dauerausstellung oder direkt bei der Besucherbetreuung kann man eigene Erfahrungen und Geschichten zu den Objekten erzählen. Im Berliner Bezirk Kreuzberg lud das dortige Regionalmuseum im Jahr 2000 „türkische Kreuzberger ein, unter dem Titel ‚Wir waren die ersten‘ ihre persönliche (und kollektive Migrations-) Geschichte für eine Ausstellung aufzuarbeiten. 2003 folgte das Projekt ‚Geschichte wird gemacht‘ über die Nachkriegszeit, Stadtsanierung und Protestbewegung in Kreuzberg. Für dieses Vorhaben suchte das Museum in der unmittelbaren Nachbarschaft interessierte Laien als ehrenamtliche Ausstellungsmacher und bot ihnen zur Vorbereitung zwei leere Fabriketagen und alle erforderlichen Arbeitsmaterialien an. Beide Ausstellungen sind bis heute in komprimierter Form Teil der Dauerausstellung des Kreuzberg-Museums.“ (Düspohl, 2007) In Berlin besteht es seit 1981 die Berliner Geschichtswerkstatt32, die zwar keine institutionelle Zusammenarbeit mit den Berliner Regionalmuseen hat, jedoch gibt es immer wieder Kooperationen zu einzelnen Ausstellungen, Buchprojekten oder Rundgängen. Einige ehemalige Mitglieder arbeiten mittler- weile in den Regionalmuseen, zwei davon auch als deren Leiter.33 5.4 Überlegungen zur Ausstellungsgestaltung Auch die Gestaltung von Ausstellungen und deren Räumlichkeiten hat Einfluss auf Art und Weise der Einbindung der Bevölkerung. Eine im Zusammenhang mit Ausstellungsgestaltung immer wieder geäußerte Befürchtung ist die der „Überinszenierung“ bei gleichzeitigem Verlust von Inhalten. Brigitte Kaiser führt in „Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen“ aus, dass Museen zunehmend unter finanziellen Druck geraten und sich daher vermehrt Fragen des Marketings widmen. „Dies führt zu einer gesteigerten Orientierung an den Bedürfnissen des Besuchers. Das Vermitteln von Erlebnissen ist hier ein zentrales Element und kann dazu führen, dass die Ausstellung auf möglichst spektakuläre Weise präsentiert wird.“ (Kaiser, 2006, p.12). Die Befürchtung von Kritikern dieses Systems liegt darin, dass eine Annäherung an kommerzielle Themenparks, die dem Konsumbedürfnis der Besucher entsprechen, erfolgt. Dies greift bei den Wiener Bezirksmuseen insofern ins Leere, als schon allein die budgetäre Situation keine große Inszenierung á la Themenparks zulässt. Doch nicht allein der Inhalt von Ausstellungen und deren Gestaltung ist wichtig für den Erfolg eines Museumsbesuchs. Eine Befragung von Ausstellungs- besucherInnen34 bestätigte, „dass Ausstellungsbesuche ganzheitliche Erlebnisse sind. In die Bewertung der Ausstellung flossen nicht nur Kommentare zu Inhalt 32 http://www.berliner-geschichtswerkstatt.de 33 Auskunft per e-mail Mag. Michael C. Niki Knopp MAS Seite 23
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