BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de

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BGFA-Info                                        1 /2009

Bäckerasthma
Erkrankungsrisiko
gezielt senken

 Benzol                                       Passivrauch
 Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden   Erfassung der Exposition von Gastronomiebeschäftigten
 und lymphatischen Systems                    für eine verbesserte Prävention
BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de
BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de
EDITORIAL

Ausgezeichnete Präventionsforschung

Einfallsreichtum, schöpferische Leidenschaft und visionäres Denken –
dieses Image will die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ hervor-
heben. Ein Projekt daraus ist der bundesweite Wettbewerb „365 Orte im
Land der Ideen“. Aus den mehr als 2 000 eingereichten Bewerbungen
von Unternehmen, Institutionen und Initiativen hat die 18-köpfige Jury
auch das BGFA ausgewählt. Am 20. November ist das BGFA „ausge-
wählter Ort“ unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Horst
Köhler.

Mit dieser Auszeichnung wird das innovative Konzept des BGFA bestätigt
und bestärkt. Das Forschungskonzept orientiert sich an den praktischen
Anforderungen der Unfallversicherungsträger im Arbeits- und Gesund-
heitsschutz. Speziell die Arbeits- und die Umweltmedizin stehen in
Deutschland vor wachsenden Herausforderungen. Die praxisorientierte
Forschung hat bereits große Erfolge in der Vergangenheit erzielt. Aber
bei dem bereits Erreichten dürfen wir nicht stehen bleiben.

Das BGFA entwickelt seine Ausrichtung konsequent weiter, um zukunftsweisende, praxisrelevante Erkenntnisse für die Prävention
zu generieren. Der Entwicklung und Etablierung geeigneter Biomonitoringverfahren für den Einsatz in der Praxis kommt dabei eine
zentrale Bedeutung zu. Ein konkretes Beispiel ist die im letzten Jahr gemeinsam mit dem BGIA durchgeführte Passivrauchstudie.
Ziel der Studie war die Etablierung geeigneter Messmethoden zur genauen Erfassung einer Passivrauchbelastung am Arbeitsplatz.
Erste Ergebnisse können Sie ab Seite 14 lesen.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Krebsfrüherkennung. Je früher der Tumor erkannt wird, umso höher sind die Hei-
lungschancen. Das BGFA setzt dabei auf die Früherkennung durch Molekulare Marker (▸ Seite 24). Dass moderne nicht-invasive
Untersuchungsmethoden nicht nur schnell und präzise sein können, sondern auch die Akzeptanz der Versicherten für die Unter-
suchungen erhöhen, erklärt der Arbeitsmediziner Dr. Frank Hoffmeyer im Interview (▸ Seite 18).

Die Forschungsergebnisse des BGFA fließen natürlich auch direkt in die Prävention ein. So untersuchten die Forscher des BGFA nicht
nur, wodurch Bäckerasthma entsteht, sondern auch welche Maßnahmen Hersteller ergreifen können, um das Erkrankungsrisiko
von Bäckern dauerhaft zu senken (▸ Seite 20).

Zukunftsorientierte Konzepte werden in die bestehende arbeitsmedizinische Forschung am BGFA integriert und damit der Schutz der
Versicherten vor Gesundheitsgefahren kontinuierlich vorangetrieben. Für das BGFA bedeutet das, dass aus dem Forschungsbedarf
der Unfallversicherungsträger 2009 sechs neue Projekte resultieren (▸ Seite 11).

Die Auszeichnung als Ort im Land der Ideen bescheinigt dem BGFA eine Vorbildfunktion für angewandte Präventionsforschung
– auch über das Jahr 2009 hinaus.

Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen
Ihr

BGFA-Info 01/09                                                                                                                 3
BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de
Inhalt

                                                3    Editorial

                                                5    Meldungen

                                                6    Arbeitsmedizin aktuell
                                                		        Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen
                                                          Systems durch Benzol
Mit sechs neuen Forschungsprojekten
startete das BGFA ins neue Jahr. Seite 11
                                                11   Forschung
                                                     11   Neue Forschungsprojekte 2009
                                                     14   Passivrauchbelastung: Erfassung der Exposition von
                                                          Gastronomiebeschäftigten für eine verbesserte Prävention
                                                     20   Bäckerasthma: Erkrankungsrisiko gezielt senken
                                                     24   Molekulare Marker: Feldphase zur Krebsfrüherkennung erfolgreich
                                                          gestartet

                                                18 Interview
                                                		        Frank Hoffmeyer zu neuen Verfahren des nicht-invasiven
                                                          Biomonitorings

                                                26 Für Sie gelesen

Moderne nicht-invasive Methoden sind            31 Aus dem BGFA
schnell, präzise und erhöhen die Akzeptanz
der untersuchten Versicherten. Seite 18
                                                32 Termine

                                                33 Publikationen

                                                35 Impressum

Molekulare Marker haben das Potenzial, die
Früherkennung, Diagnose und Behandlung
von Krebserkrankungen zu verbessern. Seite 24

4                                                                                                            BGFA-Info 01/09
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INHALT / MELDUNGEN

Meldungen

Ausschuss Arbeitsmedizin Offizielle Auszeichnung zum „Land der Ideen“
beim BMAS
Ziel der am 24.12.2008 in Kraft getrete-
nen Verordnung zur arbeitsmedizini-
schen Vorsorge (ArbMedVV) ist es, durch
Maßnahmen der arbeitsmedizinischen
Vorsorge arbeitsbedingte Erkrankun-
gen einschließlich Berufskrankheiten
frühzeitig zu erkennen und zu verhüten.
Beim Bundesministerium für Arbeit und
Soziales wird in diesem Zusammenhang
ein Ausschusses für Arbeitsmedizin ge-
bildet, in dem fachkundige Vertreter der
Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der
Länderbehörden, der gesetzlichen Un-
fallversicherung und weitere fachkundige
                                            Pressekonferenz der Stadt Bochum anlässlich der Überreichung der Ehrentafel. (v.l.): Sven
Personen, insbesondere der Wissenschaft,
                                            Olderdissen, Deutsche Bank, Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz und Institutsdirektor Prof.
vertreten sind. Als Vertreter der gesetz-
                                            Dr. Thomas Brüning
lichen Unfallversicherung sind für die
nächsten vier Jahre Professor Thomas        Als einer der Preisträger der Inititative „365 Orte im Land der Ideen“ ist das BGFA offiziell
Brüning (BGFA) und Dipl.-Ing. Manfred       mit einer Ehrentafel ausgezeichnet worden. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bochum
Rentrop (DGUV) sowie als Stellvertreter     Dr. Ottilie Scholz überreichte Institutsdirektor Prof. Dr. Thomas Brüning die Auszeichnung.
Dr. Matthias Kluckert (BG Chemie) und Dr.   Die Urkunde mit dem Siegel des Bundespräsidenten wird am 20. November – zur
Gamze Güzel-Freudenstein (LSV-SpV) vom      Einweihung des Institutsneubaus – überreicht. „Deutschland - Land der Ideen“ ist
BMAS als Mitglieder berufen worden.         eine gemeinsame Image- und Standortinitiative von Bundesregierung und deutscher
                                            Wirtschaft. Ziel ist es, ein positives Deutschlandbild im In- und Ausland zu vermitteln.
                                            Schirmherr der Initiative ist Bundespräsident Horst Köhler. Das BGFA überzeugte die
Fraunhofer und DGUV                         18-köpfige Jury mit seinem Konzept zur Forschung für den Gesundheitsschutz:
kooperieren                                 www.bgfa.de Webcode: 539136

Die Fraunhofer-Gesellschaft und die DGUV
werden in Zukunft verstärkt zusammenar-     Biomonitoring-Ringversuch – erfolgreiche Teilnahme
beiten. Mit dem Ziel des Ausbaus und ei-
ner Intensivierung der wissenschaftlichen   Das BGFA hat erneut erfolgreich am Ringversuch für toxikologische Analysen in
Zusammenarbeit sowie zur Förderung          Biologischem Material der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin
von Synergien und zur Vermeidung von        (DGAUM) teilgenommen. Das Biomonitoringlabor am BGFA ist nun im Rahmen der
Doppelforschung haben die Fraunhofer        externen Qualitätssicherung gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer für
Gesellschaft und die DGUV jetzt eine        den spezifischen und sensitiven Nachweis für insgesamt 26 Analysenparameter im
Kooperationsvereinbarung geschlossen,       arbeitsmedizinischen und umweltmedizinischen Bereich zertifiziert. Aktuell liegen
die eine verstärkte Zusammenarbeit          Zertifikate für die folgenden Analysenparameter vor. Arbeitsmedizinischer Bereich:
des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie    Co, Cu, Ni und Zn im Urin; Cr, Mn und Ni im Blut; S-Phenylmerkaptursäure (SPMA)
und Experimentelle Medizin (ITEM) in        im Urin; Cu und Zn im Plasma. Umweltmedizinischer Bereich: Cd, Hg und Pb im Blut;
Hannover mit dem BGFA in Bochum und         Cd, Cr, Ni und Hg im Urin; Cotinin und Nikotin im Urin; Metabolite der Phthalate DEHP
dem BGIA in Sankt Augustin vorsieht. Al-    (5OH-MEHP, 5oxo-MEHP und 5carboxy-MEPP) und DnBP (MnBP) in Urin, Addukte des
le drei Institute betreiben Forschung mit   Acrylamids, Acrylnitrils und Ethylenoxids am Hämoglobin. Das bestehende Spektrum
dem Ziel, Gefahren für die Gesundheit       an Biomonitoring-Verfahren soll künftig weiter ausgebaut werden, um so dem hohen
des arbeitenden Menschen abzuwehren.        Bedarf der Unfallversicherungsträger für die Präventionarbeit gerecht zu werden. Zu-
Sie sind dabei in unterschiedlichen, aber   gleich ist geplant mit den etablierten Biomonitoring-Methoden auch an internationalen
ineinandergreifenden Handlungsfeldern       Ringversuchen teilzunehmen.
tätig.

BGFA-Info 01/09                                                                                                                          5
BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de
Erkrankungen des Blutes,
des blutbildenden und
lymphatischen Systems
durch Benzol

  Wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur
  Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit
  Jana Henry, Thomas Brüning

  Seit langer Zeit wird kontrovers diskutiert, ob Benzol grundsätzlich geeignet ist, alle Erkrankungen des
  blutbildenden und lymphatischen Systems, insbesondere die verschiedenen Non-Hodgkin-Lymphome
  (NHL) zu verursachen. Gegenstand der Diskussion ist auch, ob eine „Schwellendosis“ existiert, unterhalb
  der eine Verursachung nicht wahrscheinlich ist (1,2) . Diese wissenschaftliche Kontroverse stellte den
  ärztlichen Gutachter vor erhebliche Probleme bei der Begutachtung im Rahmen der BK 1303.

  Mit Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und
                                                                     Grundsätzlich anerkennungsfähig sind nunmehr auch die fol-
  Soziales (BMAS) vom 01.09.2007 wurde eine umfangreiche
                                                                     genden malignen Erkrankungen des blutbildenden Systems:
  wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur
  Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit          ● Myelodysplastische Syndrome (MDS)
                                                                       ○ Refraktäre Anämie (RA)
  „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen
                                                                       ○ Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS)
  Systems durch Benzol“ vorgelegt.                                     ○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten (RAEB)
                                                                       ○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blas-
  Im Dezember 2008 hat das Bundesministerium für Arbeit und               ten in Transformation (RAEB-t)
  Soziales einen ersten, noch nicht von der Bundesregierung             ○ Chronische myelomonozytäre Leukämie (in Abhängigkeit
  gebilligten Referentenentwurf einer zweiten Verordnung zur              von der Leukozytenzahl Klassifizierung als MDS oder MPE)
  Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. BKV-ÄndV)            ● Akute myeloische Leukämie (AML)
  vorgelegt. Der Entwurf sieht die Aufnahme von „Erkrankungen        ● Myeloproliferative Erkrankungen (MPE)
  des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems           ○ Chronische myeloische Leukämie (CML)
  durch Benzol“ in die BK-Liste vor.                                    ○ Polycythaemia vera (PV)
                                                                        ○ Essentielle Thrombozythämie (ET)
                                                                        ○ Idiopathische Myelofibrose (IF) bzw. Osteomyelosklerose
  Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte dieser wissen-
                                                                     ● Non-Hodgkin-Lymphome
  schaftlichen Begründung zusammengefasst und die Umsetzung             ○ Akute lymphatische Leukämie (ALL)
  anhand konkreter Fälle veranschaulicht.                               ○ Lymphoblastisches Lymphom
                                                                        ○ Chronische lymphatische Leukämie (CLL)
  Krankheitsbilder                                                      ○ Prolymphozytäre Leukämie
                                                                                                                             Wissen

                                                                        ○ Lymphoblastozytisches Lymphom
  Wie bisher sind toxische Schädigungen des Knochenmarks                ○ Mantelzell-Lymphom
  (Knochenmarkdepression) grundsätzlich anerkennungsfähig.              ○ Follikuläres Lymphom
  Dies betrifft sowohl die Verminderung aller (= Panzytopenie)          ○ Marginalzonen-Lymphom
  als auch einzelner Zellpopulationen (Leukozytopenie, inklusive        ○ Haarzellleukämie
  Verminderung einzelner Subpopulationen, Thrombozytopenie,             ○ Plasmozytom/Multiples Myelom
                                                                        ○ (Diffus) großzellige Lymphome
  Anämie). Diese Erkrankungen sind nach Ende der Benzolex-
                                                                        ○ Burkitt-Lymphom
  position meist reversibel. Bei der Bewertung ist hier vor allem
  auf konkurrierende Faktoren wie beispielsweise die Einnahme
  knochenmarkstoxischer Medikamente, Anämie infolge eines           Abzugrenzen ist in diesem Zusammenhang die aplastische An-
  Eisenmangels oder einer Hämolyse zu achten.                       ämie, eine nicht reversible Stammzellerkrankung, die zwar nicht

  6                                                                                                                   BGFA-Info 01/09
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ARBEITSMEDIZIN AKTUELL

bösartig im Sinne einer Tumorerkrankung ist, unbehandelt führt     Demgegenüber lässt laut wissenschaftlicher Begründung die
sie dennoch infolge der Komplikationen in der Regel zum Tod.       epidemiologische Datenlage keine präzise Beschreibung eines
Der Begriff ‚Anämie‘ ist hier irreführend, denn es handelt sich    Dosis-Wirkungszusammenhangs für folgende Erkrankungen
nicht um eine isolierte Erkrankung der Erythrozyten, sondern sie   zu:
ist charakterisiert durch ein hypoplastisches Knochenmark und       • die übrigen Non-Hodgkin-Lymphome, inklusive multiples
eine periphere (Pan-)Zytopenie. Auch diese Erkrankung ist im          Myelom/Plasmozytom
Sinne der neuen wissenschaftlichen Begründung grundsätzlich         • myeloproliferative Erkrankungen, inklusive CML (chronische
anerkennungsfähig.                                                    myeloische Leukämie)

Hodgkin-Lymphome waren nicht Gegenstand dieser wissen-             Exposition
schaftlichen Begründung und sind weiterhin als nicht aner-
kennungsfähig anzusehen.                                           Problematisch ist in vielen Fällen die vom Gutachter gewünschte
                                                                   und im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu leistende Be-
In der wissenschaftlichen Begründung werden die bösartigen         rechnung der ppm-Benzoljahre. Wichtige Anhaltspunkte und
Erkrankungen des blutbildenden Systems unterschieden in:           Einzelheiten zu Belastungen bei verschiedenen Tätigkeiten
 • anerkennungsfähige Erkrankungen bei denen sich ein              können dem BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese (HVBG 2006,
   „Grenzdosisbereich“ aufgrund der epidemiologischen Daten        Nr. 9105) „Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung
   ableiten lässt                                                  der Benzolexposition“ (3) entnommen werden. In der neuen
 • anerkennungsfähige Erkrankungen mit unzureichender              wissenschaftlichen Begründung werden verschiedene Exposi-
   epidemiologischer Datenlage                                     tionsszenarien skizziert, die grundsätzlich geeignet sind, um
                                                                   einen Ursachenzusammenhang zwischen Benzolexposition und
Für folgende Erkrankungen (8-10) ist laut wissenschaftlicher       Erkrankung im Einzelfall zu begründen. Hier fließen nicht nur die
Begründung ab einem Bereich von 10 ppm-Benzoljahren von            verfügbaren Messdaten, sondern auch Erfahrungen bezüglich be-
einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 Prozent aus-         sonderer arbeitshygienischer Umstände oder messtechnisch nicht
zugehen:                                                           erfassbarer kurzfristiger extremer Belastungen ein. Es wurden
„Leukämie nach WHO-Definition ohne chronisch myeloische            vier Expositionsszenarien erstellt, die sich wie folgt gliedern:
Leukämie (CML), aber einschließlich chronisch lymphatischer         • extreme Belastungsintensität
Leukämie (CLL), aplastischer Anämie, myelodysplastischem            • hohe Belastungsintensität
Syndrom (MDS)“.                                                     • mittlere Belastungsintensität
                                                                    • geringe Belastungsintensität
Somit sind hier folgende Krankheitsbilder erfasst
• ALL (akute lymphatische Leukämie)                                Bei den extremen, hohen und mittleren Belastungsintensitäten
• AML (akute myeloische Leukämie)                                  ist unter Berücksichtigung der Hinweise zur Mindestdauer der
• CLL (chronische lymphatische Leukämie)                           Einwirkung davon auszugehen, dass mindestens eine kumulative
• MDS (myelodysplastische Syndrome)                                Belastungsdosis im hohen einstelligen beziehungsweise unte-
• Aplastische Anämie                                               ren zweistelligen Bereich, das heißt in einem Bereich von 8-10
• (Lymphoblastische Lymphome)                                      ppm-Benzoljahren erreicht wird. Es wird jedoch explizit darauf
                                                                   hingewiesen, dass auch bei geringer Belastungsintensität im
Auch wenn die lymphoblastischen Lymphome in der wissen-            Einzelfall eine relevante Exposition vorgelegen haben kann, so
schaftlichen Begründung nicht explizit genannt sind, müssen        dass hier eine genaue Einzelfallprüfung erforderlich ist.
sie nach hämato-onkologischen Verständnis hier eingegliedert
werden bzw. werden in der WHO-Klassifikation der Leukämien         Für die Erkrankungen, bei denen die epidemiologische Kenntnis-
entsprechend genannt.                                              lage zum Dosis-Wirkungszusammenhang unzureichend ist, wird
                                                                   eine ausreichende Exposition bei extremer Belastungsintensität
In der Begründung wird darauf verwiesen, dass auch un-             über einen Zeitraum von in der Regel zwei bis fünf Jahren oder
terhalb von 10 ppm-Benzoljahren in den aussagekräftigen            hoher Belastungsintensität über einen Zeitraum von meist sechs
Studien relevante Risikoerhöhungen gefunden wurden. Dies           und mehr Jahren bejaht. Unter Berücksichtigung der Aussagen
betrifft insbesondere die CLL, für die eine Risikoerhöhung um      zu Expositionsszenarien und den dabei zu erwartenden Expo-
das 2,76-fache bereits bei einer Benzoldosis von vier bis acht     sitionen muss nach der neuen wissenschaftlichen Begründung
ppm-Jahren belegt wurde. Insofern ist zu beachten, dass eine       somit davon ausgegangen werden, dass für diese Erkrankungen
kumulative Benzolbelastung unterhalb von 10 ppm-Jahren kein        von einer BK-rechtlich relevanten Exposition ab einem Bereich
Abschneidekriterium ist.                                           von 16-20 ppm-Benzoljahren ausgegangen wird.

BGFA-Info 01/09                                                                                                                   7
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Arbeitsmedizinische Fallbeispiele                                    von mehr als 40 ppm-Jahren gegeben war, wobei jedoch Fol-
                                                                     gendes zu beachten ist: Unter dem Begriff „Leukämien“ wurden
Beispiel 1: Akute myeloische Leukämie (AML)                          in dieser Studie verschiedene Erkrankungen subsumiert a) akute
Im April 2004 wurde bei dem 37-jährigen Versicherten die Diag-       myeloische Leukämien (AML), b) akute lymphatische Leukämien
nose einer akuten myeloischen Leukämie (AML M4) mit extrame-         (ALL), c) chronische lymphatische Leukämien (CLL), die beide den
dullärer Manifestation im Bereich der Haut, der Konjunktiva rechts   Non-Hodgkin-Lymphomen zuzuordnen sind sowie d) chroni-
und langstreckiger Raumforderung im hinteren Mediastinum mit         sche myeloische Leukämien (CML), die den myeloproliferativen
Einbruch in den Spinalkanal gestellt. Der Versicherte war seit       Erkrankungen zuzurechnen sind. Aus diesem Grunde führten
1988 zunächst bei der Nationalen Volksarmee der damaligen DDR,       Hayes et al. eine differenzierte Betrachtung durch. Hierbei zeigte
später bei verschiedenen Firmen als Kfz-Schlosser beziehungs-        sich, dass für akute nicht lymphatische Leukämien (ANLL bzw.
weise –Meister beschäftigt. Die zuständige Berufsgenossenschaft      AML) und MDS bereits ein relatives Risiko von 2,7 unterhalb
ermittelte, dass der Versicherte während dieser Tätigkeiten in       einer kumulativen Benzoldosis von 40 ppm-Jahren bestand. Auf
Höhe von 16,7 ppm-Benzoljahren exponiert war. Der Vorgutachter       diesen Umstand wiesen HAYES et al. in ihrem Artikel explizit
kam in seinem Gutachten von 12/2004 zu dem Ergebnis, dass            hin. Zusätzlich lagen zum Zeitpunkt der Begutachtung im BGFA
von einer unfallversicherungsrechtlich relevanten Risikoerhöhung     im April 2006 die Arbeiten von GLASS et al. (5, 6) vor, die auf
erst ab einer kumulativen Benzolexposition in Höhe von 40 ppm-       ein Verdopplungsrisiko für akute nicht-lymphatische Leukä-
Benzoljahren auszugehen sei und empfahl die Erkrankung des           mien schon bei einer Exposition von deutlich weniger als 20
Versicherten nicht als Berufskrankheit anzuerkennen.                 ppm-Benzoljahren hindeuten. Es wurde somit empfohlen die
                                                                     Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen
Grundlage hierfür war die zu diesem Zeitpunkt kontrovers ge-
führte Diskussion um ein „Abschneidekriterium“ von 40 ppm-           Unter Anwendung der neuen wissenschaftlichen Begründung
Benzoljahren für diese Erkrankungen, welches im Wesentlichen         wäre dieser Fall jetzt ebenfalls eindeutig als Berufskrankheit an-
auf der Übersichtsarbeit von HOFFMANN et al. 2001 (1) basierte.      zuerkennen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sind diese
Diese Arbeit bezog sich vor allem auf die Veröffentlichung von       Erkrankungen ab einem Bereich von 8-10 ppm-Benzoljahren
HAYES et al. 1997 (4), in der eine Kohorte von 74.828 Benzol-        anerkennungsfähig, wobei man sich bei dieser Dosisfindung auf
exponierten chinesischen Arbeitern untersucht wurde. Hierbei         die Arbeiten von HAYES, GLASS et al. (5, 6) sowie die Arbeiten
zeigte sich, dass eine Verdoppelung des relativen Risikos für        zur sogenannten Pliofilm Kohorte bezieht.
Leukämieerkrankungen erst bei einer kumulativen Benzoldosis

8                                                                                                                      BGFA-Info 01/09
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ARBEITSMEDIZIN AKTUELL

Beispiel 2: Chronische lymphatische Leukämie                          Beispiel 4: Gastrointestinale Lymphome
Im Oktober 1999 wurde bei dem 64-jährigen Versicherten die Di-        Die 78-jährige Versicherte wurde im September 2004 mit einem
agnose einer B-CLL (chronische lymphatische Leukämie) gestellt.       blutenden Ulcus ventriculi stationär aufgenommen. Hierbei zeigte
Der Versicherte war während seiner Tätigkeit als Facharbeiter         sich, dass es sich bei dem blutenden Magengeschwür um eine
beziehungsweise Vorarbeiter für Gas- und Wasserversorgungsan-         Infiltration des Magens durch ein sogenanntes MALT-Lymphom
lagen zwischen 1956 und 1978 gegenüber Benzol in Höhe von 34          handelte (MALT = mucosa associated lymphoid tissue). Zusätzlich
ppm-Benzoljahren exponiert. Zwischen 2000 und 2004 wurden             zeigte sich der Befund einer Helicobacter pylori-Infektion. Die
im Rahmen des BK-Verfahrens mehrere Gutachten erstellt, in            Versicherte war während ihrer Tätigkeit als Chemielaborantin
denen die Gutachter jeweils zu dem Schluss kamen, dass nach           zwischen 1969 und 1984 gegenüber Benzol in Höhe von 0,1
derzeitigem Kenntnisstand ein ursächlicher Zusammenhang               ppm-Benzoljahren exponiert. Zusätzlich bestand jedoch eine
zwischen der Benzolexposition des Versicherten und seiner             nicht quantifizierbare Exposition gegenüber Benzol während
Erkrankung nicht hinreichend belegt sei. Durch die zuständige         der Tätigkeit an einem Klebstoffarbeitsplatz in einer polnischen
Berufsgenossenschaft wurde ein ablehnender Bescheid erteilt. Im       Schuhfabrik von 1955-1957. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD)
Februar 2007 bat der Versicherte um eine erneute Überprüfung          führte aus, dass hier jedoch überwiegend mit Ago-Klebstoffen
und wurde im Juni 2008 begutachtet.                                   (benzolfrei) und in geringerem Umfang mit Neoprenklebstoffen
                                                                      (Verunreinigungen durch Benzol möglich) gearbeitet wurde.
Hierbei wurde ausgeführt, dass nach der neu veröffentlichten
WB auch für die CLL eine Verursachungswahrscheinlichkeit von
mehr als 50 Prozent ab einer Benzolexposition von 8 – 10 ppm-
Benzoljahren postuliert wird. Es wurde die Anerkennung der
Erkrankung des Versicherten als eine durch Benzol verursachte
Berufskrankheit empfohlen. Dennoch bleibt anzumerken, dass
die Entscheidungen der Vorgutachter nachvollziehbar sind, da
verschiedene große epidemiologische Studien (aktuell SEIDLER
et al., 7) keinen Ursachenzusammenhang zwischen einer Ben-
zolexposition und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen,
zu denen auch die CLL zählt, belegen. Da die Ableitung des
Dosisbereichs, ab dem die CLL laut wissenschaftlicher Begrün-
dung nun anerkennungsfähig ist, im Wesentlichen auf den Ar-
beiten von GLASS et al. mit nur wenigen Fallzahlen und großen
Konfidenzintervallen beruht, bleibt hier weiterhin eine gewisse
Unsicherheit bestehen.

Beispiel 3: Plasmozytom
Bei dem Versicherten wurde im August 2004 die Diagnose eines
Plasmozytoms im Stadium IIIA mit 80-90 prozentiger Knochen-           In zahlreichen Studien wurde eine Assoziation zwischen einer
markinfiltration und Vorliegen zahlreicher Osteolysen gestellt. Der   Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten von MALT-
Versicherte war als Instandhaltungsschlosser in einer Raffinerie      Lymphomen des Magens nachgewiesen. Die enge Assoziation
zwischen 1950 und 1954 in Höhe von 21,8 ppm-Benzoljahren              zwischen einer Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten
exponiert. Im Rahmen der Untersuchung von 03/2006 wurde               eines MALT-Lymphoms zeigt sich insbesondere darin, dass eine
ausgeführt, dass keine ausreichenden wissenschaftlichen Er-           Eradikationstherapie zur Behandlung der Helicobacter pylori-
kenntnisse vorlägen, die einen Kausalzusammenhang zwischen            Infektion in mehr als 75 Prozent der Fälle auch zu einer Remission
der Benzolexposition und der Erkrankung des Versicherten be-          des Lymphoms führt (8-11). Man nimmt an, dass Entstehung und
legen würden. Es wurde empfohlen die Erkrankung nicht als             Wachstum von MALT-Lymphomen von einem immunologischen
Berufskrankheit anzuerkennen.                                         Stimulus abhängig sind, wobei Helicobacter pylori das mutmaß-
                                                                      lich verantwortliche Antigen darstellt (12, 13).
Trotz der im Wesentlichen im Vergleich zur Untersuchung unver-
änderten Datenlage ist das Plasmozytom,nach der neuen wissen-         Unter Berücksichtigung dieses starken Confounders und der
schaftlichen Begründung nunmehr wie alle NHL grundsätzlich            eher geringen Benzolexposition konnte eine Anerkennung als
anerkennungsfähig und die vorliegende Exposition wäre ausrei-         Berufskrankheit nicht empfohlen werden. Auch nach der neuen
chend einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen.                     wissenschaftlichen Begründung ergäbe sich hier keine andere
                                                                      Einschätzung.

BGFA-Info 01/09                                                                                                                       9
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Beispiel 5: Gastrointestinale Lymphome
Bei der 51-jährigen Versicherten wurde im Oktober 2006 die Dia-
gnose eines follikulären Non-Hodgkin-Lymphoms des Dünndarms          Literatur
im Stadium II A E gestellt. Eine Helicobacter pylori-Infektion lag   1. Hoffmann J, Bolt HM, Kerzel A, Prager HM, Schiele R, Tan-
zu diesem Zeitpunkt lt. Aktenlage fraglich vor. Während ihrer        napfel A, Triebig G, Weber A. Benzol-verursachte maligno-
Tätigkeit als Chemielaborantin war die Versicherte zwischen 1972     me des hämatolymphatischen Systems als Berufskarnakheit BK
                                                                     1303. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed 2001; 36: 475-483
und 1983 gegenüber Benzol in Höhe von 110 ppm-Benzoljahren
exponiert. Die Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes NRW        2. Woitowitz HJ, Thielmann HW, Norpoth K, Henschler D, Hallier
                                                                     E. Benzol als Ausnahmekanzerogen in der Prävention und sei-
stellte im Februar 2007 fest, dass nach der derzeit gültigen Be-
                                                                     ne genotoxischen Folgen: Toxikologische, arbeitsmedizinsche und
rufskrankheitenverordnung die arbeitsmedizinischen Vorausset-
                                                                     sozialmedizinische Aspekte. Zbl Arbeitsmed 2003; 53: 126-150
zungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit im Sinne der
                                                                     3. BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese, Belastungen am Ar-
BK 1303 nicht mit der versicherungsrechtlich geforderten Wahr-
                                                                     beitsplatz. Nr. 9105: Anwendungshinweise zur retros-
scheinlichkeit gegeben seien. Gegen den daraufhin ergangenen
                                                                     pektiven beurteilung der Benzolexposition. 2006
ablehnenden Bescheid der zuständigen Berufsgenossenschaft
                                                                     4. Glass DC, Gray CN, Jolley DJ, Gibbons C, Sim, MR, Fritschi L,
legte die Versicherte Widerspruch ein und stellte sich im Juni
                                                                     Adams GG, Bisby JA, Manuell R. Leukemia risk associated wi-
2008 im BGFA zur Untersuchung vor.
                                                                     th low-level benzene exposure. Epidemiology 2003; 14: 569-577
                                                                     5. Glass DC, Gray CN, Jolley DJ, Gibbons C, Sim MR. Health
Die Experten des BGFA empfahlen die Anerkennung der Er-
                                                                     watch exposure estimates: Do they underestimate benzene ex-
krankung als Berufskrankheit. Nach der neuen wissenschaft-
                                                                     posure? Chemico-Biological Interactions 2005; 153-154: 23-32
lichen Begründung handelt es sich bei diesem Fall um eine
                                                                     6. Wotherspoon AC, Doglioni C, Diss TC et al. Regressi-
grundsätzlich anerkennungsfähige Erkrankung. Auch die ar-
                                                                     on of primary low-grade B-cell gastric lymphoma of mu-
beitstechnischen Voraussetzungen sind mit einer Exposition
                                                                     cosa-associated lymphoid tissue type after eradicati-
von 110 ppm-Benzoljahren deutlich erfüllt. Mit der Helicobacter      on of Helicobacter pylori. Lancet 1993; 342: 575-577
pylori-Infektion könnte jedoch ein konkurrierender Faktor vor-
                                                                     7. Seidler A, Möhner M, Berger J, Mester B, Deeg E, Elsner G,
liegen. Während für die MALT-Lymphome mittlerweile ein klarer
                                                                     Nieters A, Becker N. Solvent exposure and malignant lympho-
ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und einer              ma: a population-based case-control study in Germany. J Oc-
Helicobacter pylori-Infektion angenommen wird, konnte bei den        cup Med Toxicol. 2007 Apr 2;2:2.8. Montalban C, Manzanal A,
follikulären Lymphomen, insbesondere des Duodenums und des           Boixeda D et al. Helicobacter pylori eradication for the treat-
Jejunums bislang ein solcher Zusammenhang nicht zweifelsfrei         ment of low grade gastric MALT lymphoma. Follow up together
nachgewiesen werden. Während TOYODA et al. (14) über eine            with sequential molecular studies. Ann Oncol 1997; 8: 37-39
Tumorregredienz bei duodenalen follikulären Lymphomen nach           9. Zucca E, Roggero E, Delchier J et al. Interim evaluation of gast-
Eradikation einer Helicobacter pylori-Infektion berichteten, konn-   ric MALT lymphoma response to antibiotics in the ongoing LY03
te in anderen Untersuchungen ein solcher Zusammenhang nicht          randomized cooperative trial of observation vs. chlorambucil af-
                                                                                                                        Literatur
bestätigt werden (14). Hier ist jedoch einschränkend anzumerken,     ter anti-helicobacter therapy. J Clin Oncol 2000; 19(suppl): 5A
dass diese Tumorentität selten auftritt und so die untersuchten      10. Thiede C, Wundisch T, Alpen B et al.Long term B-
Fallzahlen nur sehr klein sind. Unter Berücksichtigung der sehr      cell monoclonality in gastrc MALT lymphoma patients wi-
hohen Exposition der Versicherten und der nicht eindeutig ge-        th complete histological remission after cure of H. pylo-
sicherten Rolle einer Helicobacter pylori-Infektion, stand die       ri infection: follow-up analysis of 97 patients and molecular
Benzolexposition nach Ansicht der BGFA-Experten ursächlich           studies on microdissected cells. Blood 1999; 94: 384A
deutlich im Vordergrund.                                             11. Hussell T, Issacson PG, Crabtree JE et al. The response of cells
                                                                     from low-grade B-cell gastric lymphomas of mucosa-associated
Die vorgestellten Beispiele belegen eindrucksvoll wie sich mit       lymphoid tissue to Helicobacter pylori. Lancet 1993; 342: 571-574
Erscheinen der neuen wissenschaftlichen Begründung die Be-           12. Hussell T, Issacson PG, Crabtree JE et al. Helicobacter pylori
gutachtung bei einigen Krankheitsentitäten verändert und teils       specific tumour-infiltrating T-cells provide contact dependent help
vereinfacht hat. Dennoch ist in den meisten Fällen die Begut-        for the growth of malignant B cells in low-grade gastric lymphoma
achtung durch einen onkologisch erfahrenen Arbeitsmediziner          of mucosa-associated lymphoid tissue.J Pathol 1996; 178: 122-127
erforderlich, da sowohl die Zuordnung der Krankheitsbilder als       13. Sentani K, Maeshima AM, Nomoto J et al. Follicu-
auch die Würdigung konkurrierender Faktoren im Einzelfall ihre       lar lymphoma of the duodenum: A clinicopathologic ana-
Tücken haben können.                                                 lysis of 26 cases. Jpn J Clin Oncol. 2008; 38:547-552
                                                  Die Autoren:       14. Toyoda H, Yamaguchi M, Nakamura S et al. Regression of
                      Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Jana Henry       primary lymphoma of the ampulla of Vater after eradicati-
                                                         BGFA        on of Helicobacter pylori. Gastrointest Endosc 2001; 54: 92-96

10                                                                                                                         BGFA-Info 01/09
FORSCHUNG

                                           Neue Forschungsprojekte am BGFA

Monika Zaghow, Thomas Brüning

Der Forschungsbedarf der Unfallversicherungsträger führte 2009 zum Start von sechs neuen Projekten am
BGFA. Dabei steht nach wie vor die Forschung zu Belastungen durch biologische und chemische Gefahr-
stoffe im Mittelpunkt. Alle neuen Forschungsprojekte zeichnen sich durch einen engen Praxisbezug aus.

Auswirkungen von künstlichem UV-Licht auf die Haut                 Im Rahmen der Pilotstudie „Berufliche Exposition mit „künst-
                                                                   lichem“ UV- Licht: Einwirkungen auf die Haut“, das in Koope-
2006 ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, mit der        ration mit dem BGIA - Institut für Arbeitsschutz der Deutschen
Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit       Gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt wird, sollen sowohl
der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische            die akuten Lichtschädigungen (Erytheme), deren Häufigkeit und
Einwirkungen (künstliche optische Strahlung) geregelt werden.      Intensität am Arbeitsplatz von Glasapparatebauern/-Glasbläsern,
Hierdurch kommen entsprechende Aufgaben auf den Arbeitgeber        als auch die bereits potenziell entstandenen Veränderungen durch
und die Unfallversicherungen zu. So müssen unter anderem           die erhöhte chronische UV-Lichtexposition mit den entsprechen-
die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition         den klinischen Zeichen quantifiziert und skaliert werden und
gegenüber optischer Strahlung (z.B. UV-Strahlung) rechtzeitig      deren Verteilung mit einer Kontrollgruppe (nicht UV-belastete
erkannt werden.                                                    Indoor-Tätigkeit, adjustiert nach Lichttyp und Freizeitbelastung)

Wissenschaftlich belegt ist, dass die Erkrankungen von „UV-indu-
ziertem Hautkrebs“ aufgrund der Veränderung der Ozonschicht
und des Freizeitverhaltens in den letzten Jahren zugenommen
haben. Hierbei muss auch die Problematik der zusätzlichen
Belastung durch die berufliche „künstliche UV-Strahlung“ be-
rücksichtigt werden.

Bisher fehlen jedoch medizinische Daten, Untersuchungsinst-
rumentarien und Erkenntnisse über bisherige und kommende
berufliche Haut-Belastungen (Haut-Expositionen) und den bereits
eingetretenen oder zu erwartenden Hautschädigungen durch
künstl. UV-Quellen an bestimmten Arbeitsplätzen, an denen
bereits eine hohe Belastung durch künstliches UV Licht bekannt
ist.

BGFA-Info 01/09                                                                                                                   11
verglichen werden. Eventuelle bereits vorhandene Präkanzerosen        und Risikoanalyse), als auch für die wissenschaftliche Forschung
oder gar kanzeröse Veränderungen könnten ebenfalls erfasst            im Bereich der Prävention gefahrstoffverursachter Erkrankungen,
werden.                                                               insbesondere unter dem Aspekt der qualitätsgesicherten Ablei-
                                                                      tung von Dosis-Wirkungsbeziehungen sein.
Außerdem ermöglicht eine zusätzliche personenbezogene Do-
simetrie, Erfahrungen zur UV-Quantifizierung zu sammeln und           Entstehungsprozess von Kontaktallergien
diese bei speziellen Expositionsformen an den Gasbrennern zu
bewerten. Die in dieser Studie entwickelten und evaluierten           Ein weiteres Neuprojekt beschäftigt sich mit der Entstehung von
Tools können später auch in anderen Bereichen mit beruflicher         Kontaktallergien. Diese haben in den vergangenen Jahren stark
„künstlicher UV“ Belastung eingesetzt werden.                         zugenommen und trugen zu den mehr als 600 anerkannten
                                                                      Berufskrankheiten der Haut im Jahr 2007 in erheblichem Umfang
Datenbank für Biomonitoringdaten am Arbeitsplatz                      bei. Wenig ist bisher darüber bekannt, welche Personenkreise
                                                                      besonders gefährdet sind und wie eine Sensibilisierung hervor-
Im Rahmen des Biomonitorings wird biologisches Material (z.B.         gerufen wird. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen den
Urin, Blut, Speichel) zur Bestimmung von Gefahrstoffen und            Einfluss einer individuellen Disposition und einer gleichzeitigen
deren Stoffwechselprodukte sowie biochemischer und biologi-           Einwirkung von Hautreizungen nahe. Diesen Hinweisen soll in
scher Effekte untersucht. Mit Hilfe des Biomonitoring kann die        der vorliegenden Studie gezielt nachgegangen werden.
Belastung und Gefährdung von Beschäftigten am Arbeitsplatz
erfasst werden. Es stellt somit eine wichtige Ergänzung zum           Die Prävention von Allergien am Arbeitsplatz schien bislang nur
Ambient Monitoring dar, das die äußere Gefahrstoffbelastung           sehr eingeschränkt möglich, weil Allergene bei extrem niedrigen
durch Messung der Konzentrationen in der Luft an Arbeitsplätzen       Konzentrationen wirken. Nach neueren Erkenntnissen scheint
erfasst. Beim Biomonitoring werden regelmäßig eine Vielzahl von       dies jedoch nur für das Auslösen einer vorhandenen Sensibili-
Analysenergebnissen und Daten zu Gefahrstoffen im biologischen        sierung (Elizitation) zu gelten. Um eine Sensibilisierung hervor-
Material ermittelt. Zurzeit gibt es jedoch noch keine Struktur, mit   zurufen (Induktion), müssen wahrscheinlich erheblich höhere
der diese Daten abgespeichert, zielgerichtet ausgewertet und          Expositionen bestehen. Während demnach für die Elizitation
für Forschungszwecke verwendet werden können.                         kein Schwellenwert angegeben werden kann, wäre dies für die
                                                                      Induktion einer Allergie möglich.
Das Projekt BioMEGA befasst sich mit der Entwicklung einer
Datenbank zum Speichern und Auswerten von Ergebnissen des             Bezüglich der Empfindlichkeit gegenüber Allergenen bestehen
Biologischen Monitorings am Arbeitsplatz. Im Rahmen einer ein-        große individuelle Unterschiede. Kenntnisse über die Ursachen
jährigen Machbarkeitsstudie wird zunächst überprüft, inwieweit        solcher individuellen Unterschiede und den Wechselwirkungen
Basiskenndaten (z. B. Untersuchungsmaterial, Analysenergebnis,        zwischen individuellen Disposition und Allergenen aus der Ar-
Arbeitsplatzbeschreibung, Confounder, etc.) ermittelt werden und      beitswelt oder Umwelt können eine effektive Prävention ermög-
in die Datenbank eingehen können. Diese sollen eine automati-         lichen. Personen, die besonders empfindlich für Kontaktallergien
sche Auswertung der Ergebnisse hinsichtlich statistischer Basis-      sind, weisen oftmals Sensibilisierungen gegen eine Vielzahl von
größen (z. B. Median, Perzentile, etc.) erlauben und gleichzeitig     Stoffen auf. Als Polysensibilisierte werden Personen bezeichnet,
permanenten Charakter besitzen. Besonders im Fokus bei der            die gegen drei und mehr strukturell unterschiedliche Kontaktal-
Konzeption der Datenbank BioMEGA stehen datenschutzrechtliche         lergene sensibilisiert sind.
Aspekte. Bei erfolgreicher Etablierung kann BioMEGA in Zukunft
für die Unfallversicherungsträger ein wesentlicher Bestandteil        In einer Fall-Kontroll-Studie an mono- und polysensibilisierten
sowohl für den Arbeitsschutz (Datenmaterial zur Gefährdungs-          Patienten wird in Kooperation mit dem Informationsverbund

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FORSCHUNG

Dermatologischer Kliniken (IVDK) untersucht, ob Varianten von      Präventionserfolg nachgehender Untersuchungen
pro- und anti-inflammatorischen Zytokinen die Pathogenese der
Kontaktallergie beeinflussen. Eingeschlossen werden dabei auch     Die arbeitsmedizinische Vorsorge der Unfallversicherungsträger
weitere Botenstoffe, die die Reifung immunkompetenter Zellen       umfasst Untersuchungsprogramme für Versicherte, die gegenüber
steuern.                                                           krebserzeugenden Arbeitsstoffen exponiert waren. Die Früher-
                                                                   kennung von Krebs soll durch die Entdeckung von Vorstufen oder
Die Studie soll auf Basis der Erkenntnisse der untersuchten        Frühstadien die Behandlungschancen verbessern. Um bestehen-
Patientengruppe verbesserte Einblicke in die Wirkungsweise         de und zukünftige Programme für Nachuntersuchungen bzw.
von Kontaktallergenen gewähren, um so eine entsprechend            nachgehende Untersuchungen evidenzbasiert zu gestalten und
optimierte Prävention von Kontaktallergien zu ermöglichen.         zu bewerten, werden möglichst lückenlose Informationen über
                                                                   Krebserkrankungen und Todesursachen bei den gefährdeten Ver-
Nachweis von Gefahrstoffwirkungen in Zellkulturen                  sicherten benötigt. Diese stehen den Unfallversicherungsträgern
                                                                   derzeit nicht im benötigten Umfang zur Verfügung. Recherchen
Für die Bewertung von Risiken durch Gefahrstoffe am Arbeits-       bei bevölkerungsbezogenen Krebsregistern, Meldebehörden und
platz sind neben arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien      dem öffentlichen Gesundheitsdienst könnten diese ergänzen.
auch Untersuchungen zu Gefahrstoffwirkungen auf zellulärer und     Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie soll ein Verfahren entwi-
molekularer Ebene notwendig. Zellbiologische Studien können        ckelt werden, das sich für einen regelmäßigen Datenabgleich mit
einerseits zur wissenschaftlichen Untermauerung epidemiologi-      bevölkerungsbezogenen Krebsregistern eignet. Ein erstes Konzept
scher Erkenntnisse beitragen. Sie können aber andererseits auch    wurde gemeinsam mit Experten des Epidemiologischen Krebsre-
dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen zu festigen, die dann    gisters NRW entwickelt. Für einen modellhaften Abgleich stehen
im Folgenden in Feldstudien weiter untersucht werden können.       beim Organisationsdienst für Nachgehende Untersuchungen bei
Im Rahmen des Neuprojektes „Entwicklung von zellbiologischen       der BG Chemie (ODIN) die Daten einer Gruppe von Versicherten
Methoden zum Nachweis von Effekten nach Gefahrstoffexpo-           zur Verfügung, die gegenüber aromatischen Aminen exponiert
sition in Zellsystemen“ werden kultivierte Zellen gegenüber        waren. Dieser Versichertengruppe wird bereits im Rahmen des
Gefahrstoffen exponiert und Veränderungen auf zellulärer Ebene     Verbundprojekts UroScreen ein erweitertes Harnblasenkrebs-
analysiert. So können insbesondere die Wirkungsmechanismen         Früherkennungsprogramm mit urinbasierten Tumormarkern
von Gefahrstoffen zum Beispiel durch den Vergleich von be-         angeboten.
handelten und unbehandelten Zellen, untersucht werden. Die
Expositionsbedingungen in solchen Modellsystemen können            Expositionslabor
genau definiert und systematisch modifiziert werden. So ist es
beispielsweise möglich, die Effekte einzelner Substanzen, ihrer    Die inhalative Exposition durch Gase, Stäube und Aerosole stellt
reaktiven Stoffwechselprodukte oder komplexer Substanzgemi-        nach wie vor die häufigste Form der Gesundheitsgefährdung am
sche in ihrem Zusammenwirken zu untersuchen. Darüber hinaus        Arbeitsplatz dar. Mit der für Ende 2009 geplanten Fertigstellung
können zeitliche Verläufe einzelner Untersuchungsparameter         des neuen BGFA-Anbaus steht dem Institut auch ein neues Ex-
sowie Konzentrations-Wirkungsbeziehungen aufgestellt werden.       positionslabor zur Verfügung, mit dem derartige Expositionen
Das Spektrum möglicher Untersuchungsparameter reicht von           nachgestellt und die Effekte am Menschen qualitätsgesichert
frühen Veränderungen, wie der Induktion von Enzymen, bis hin zu    untersucht werden können. In einem interdisziplinären Team
späten Parametern, wie dem Zelltod, einem Endresultat toxischer    aus Medizinern, Chemikern, Toxikologen, Psychologen, Allergo-
Wirkungen. Die Untersuchungen betreffen unter anderem Enzyme       logen und Ingenieuren werden zurzeit die technische Ausstat-
des Fremdstoffwechsels, der DNA-Reparatur, der Apoptose und        tung vorbereitet und erste Expositionsszenarien konzipiert. Im
der Zellzykluskontrolle.                                           zukünftigen Expositionslabor sollen Untersuchungen an vier bis
                                                                   acht Probanden gleichzeitig und mit Simulation einer definierten
Die in arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien an ex-         körperlichen Arbeitsbelastung (Ergometrie) erfolgen.
ponierten Beschäftigten beobachteten Effekte können mit Hilfe
von Zellkulturexperimenten genauer charakterisiert und die         Mit diesen sechs neuen Projekten zeigt das BGFA auch im Jahr
Wirkungsmechanismen der Gefahrstoffe verstanden werden.            2009, dass es sich mit seiner Ausrichtung der Forschung eng
Andererseits können für die auf zellulärer Ebene identifizierten   an den Bedürfnissen der Unfallversicherungsträger und ihrer
Effektmarker entsprechende Biomarker beim Menschen entwi-          Mitglieder orientiert.
ckelt und in Feldstudien eingesetzt werden, um zu prüfen, ob                                                        Die Autoren:
die in vitro beobachteten Wirkungen auch unter realen Exposi-                       Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Monika Zaghow
tionsbedingungen auftreten.                                                                                                BGFA

BGFA-Info 01/09                                                                                                                  13
Passivrauchbelastungen in der Gastronomie

Erfassung der Exposition für verbesserte Prävention
Tobias Weiß, Dietmar Breuer, Michael Castillo, Wolfgang Schneider, Holger M. Koch, Thomas Brüning

Zum Zeitpunkt der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr untersuchte das BGFA zusammen mit dem BGIA
- Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nichtrauchende Gastronomiebeschäftigte auf
ihre Belastung mit Passivrauch. Dabei kamen eigens entwickelte Analysenverfahren zur Messungen von Passivrauch-
bestandteilen sowohl in Körperflüssigkeiten wie Blut, Speichel und Urin (biologisches Monitoring) als auch in der
Luft (Ambient Monitoring) zum Einsatz. Untersucht wurden zudem passivrauchexponierte und nicht passivrauchexpo-
nierte Nichtraucher wie auch aktive Raucher. Erste Ergebnisse der Untersuchungen liegen seit Anfang 2009 vor.

Tabakrauch stellt ein komplexes Gemisch aus mehr als 4 000           sowie am Arbeitsplatz auftreten. Schätzungen des Deutschen
Stoffen dar, darunter wurden rund 70 krebserzeugende Stoffe          Krebsforschungszentrums (DKFZ) gehen davon aus, dass in
identifiziert (1). Tabakrauch entsteht durch das Verbrennen bzw.     Deutschland etwa 35 Millionen nichtrauchende Erwachsene
Verglimmen von Tabak in Zigaretten, Zigarren, Zigarillos, Pfeifen.   mindestens einmal pro Woche Passivrauch ausgesetzt sind.
Dabei unterscheidet man zwischen dem Hauptstromrauch, den            Davon sind etwa 28 Millionen Nichtraucher in ihrer Freizeit,
ein Raucher durch Ziehen an einer Zigarette inhaliert, und dem       8,5  Millionen am Arbeitsplatz und etwa 8 Millionen in häus-
Nebenstromrauch, der stetig aus der Zigarette steigt. Haupt- und     licher Umgebung gegenüber Passivrauch exponiert. Während
Nebenstromrauch unterscheiden sich qualitativ und quantitativ in     in der Gruppe der 20- bis 29-jährigen Nichtraucher mit etwa
Bezug auf die Zusammensetzung der Substanzen. Dabei werden           70 - 80 Prozent die höchste Passivrauchrauchprävalenz besteht,
von einer Zigarette viele der toxischen und krebserregenden          sinkt dieser Anteil kontinuierlich mit dem Alter. Die 70- bis 79-
Stoffe über den Nebenstromrauch in wesentlich höheren Men-           jährigen Nichtraucher sind noch zu etwa 30 Prozent regelmäßig
gen freigesetzt als über den Hauptstromrauch. Allerdings wird        Passivrauch-Expositionen ausgesetzt (2).
der Hauptstromrauch von einem Raucher unmittelbar inhaliert,
während der Nebenstromrauch durch die Verteilung in der Um-          Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen
gebungsluft verdünnt wird, bevor er von anwesenden Rauchern
und Nichtrauchern eingeatmet wird. Der sogenannte Passivrauch        Aktives Tabakrauchen stellt einen erheblichen Risikofaktor unter
setzt sich zu rund 80 Prozent aus dem Nebenstromrauch und nur        anderem für die Entstehung von Lungenkrebs, Krebs des Nasen-
zu 20 Prozent aus dem von einem Raucher wieder ausgeatmeten          und Rachenbereichs, Harnblasenkrebs sowie für Herz-Kreislauf-
Bestandteil des Hauptstromrauchs zusammen (Abb. 1).                  und Atemwegserkrankungen dar. Passivrauchen wurde sowohl
                                                                     seitens der Senatskommission zur Beurteilung gesundheitsschäd-
Zahlen des DKFZ zum Passivrauchen in Deutschland                     licher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
                                                                     im Jahr 1998 als auch durch die International Agency for Research
Expositionen gegenüber Passivrauch oder „Environmental To-           on Cancer (IARC) im Jahr 2002 als Humankanzerogen (Kategorie
bacco Smoke“, kurz ETS können in der Familie oder Freizeit           1) eingestuft. Grundlage für diese Einstufungen waren epide-

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FORSCHUNG

miologische Studien, die                                                           beschäftigte jedoch auch weiterhin Passivrauch
ein leicht erhöhtes relatives                                                     ausgesetzt sein. Allerdings liegen kaum Daten
Lungenkrebsrisiko (RR im Be-                                                     zur Belastung von Gastronomiebeschäftigten in
reich 1,2 – 1,3) nach Passivrauch-                                             Deutschland vor. Die einzige international publizierte
Exposition im privaten Bereich oder                                         Studie, die in Deutschland die Passivrauchexposition
am Arbeitsplatz feststellten. Aufgrund                                  in der Raumluft von Gastronomiebetrieben untersucht hat,
statistischer Unsicherheiten in diesen Studi-                        wurde 2007 von Bolte und Mitarbeitern publiziert (3).
en war für die Einstufung von besonderer Bedeutung, dass die
relativen Risiken überwiegend in den Gruppen mit der höchsten        Forschungsbedarf
beziehungsweise längsten Exposition am größten waren und zum
Teil Expositions-Wirkungs-Beziehungen beschrieben wurden.            Um einerseits die Situation der beruflichen Passivrauchbelastung
Zusätzlich bestehen Hinweise darauf, dass Passivrauchexpositi-       in der Gastronomiebranche vor Inkrafttreten des Nichtraucher-
onen Atemwegsbeschwerden, Lungenfunktionsstörungen sowie             schutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen zu dokumentieren und
eine erhöhte Sterblichkeit infolge koronarer Herzerkrankungen        andererseits zu prüfen, inwieweit die dort Beschäftigten ver-
hervorrufen können.                                                  schiedene Passivrauchbestandteile in den Körper aufnehmen,
                                                                     führte das BGFA gemeinsam mit dem BGIA eine Studie unter
Passivrauch in der Gastronomie                                       Anwendung von biologischem Monitoring und Ambient Monito-
                                                                     ring durch. Ziel der Studie war zudem die Etablierung geeigneter
Zu Personen, die beruflich bedingt in besonderem Umfang Passiv-      Messmethoden zur genauen Erfassung einer Passivrauchbelas-
rauch ausgesetzt sind, zählen Beschäftigte in Teilen der Gastrono-   tung am Arbeitsplatz. Mittels biologischem Monitoring wurden
miebranche. Zwar bestehen mittlerweile in allen Bundesländern        Passivrauchbestandteile in Blut, Speichel und Urin gemessen
Nichtraucherschutzgesetze, die das Rauchen einschränken, durch       und mittels Ambient Monitoring die Passivrauchbestandteile
unterschiedliche Ausnahmeregelungen werden Gastronomie-              Nikotin und Acrylnitril in der Luft der Gastronomiebetriebe.

Abb. 1: Zusammensetzung von Tabakrauch.

BGFA-Info 01/09                                                                                                                    15
Erste Ergebnisse

                                                                     Insgesamt wurden 134 Luftmessungen (35 personengetragene
                                                                     und 99 stationäre Messungen) durchgeführt (Ambient Moni-
                                                                     toring). Stationär wurde an besonders hoch belasteten Orten
                                                                     (Tresenbereich) gemessen. An allen Messorten wurden Nikotin
                                                                     und Acrylnitril gefunden. Die Nikotinkonzentrationen lagen
                                                                     zwischen 1,2 und 152 µg/m3 und die Acrylnitrilkonzentrationen
                                                                     zwischen 0,1 und 8,2 µg/m3, bei einer engen Korrelation (r =  0,83)
                                                                     untereinander.

                                                                     Die höchsten Belastungen (stationäre Messung) fanden sich in
                                                                     einer Diskothek, die niedrigsten Konzentrationen wurden in Cafés
                                                                     bestimmt. Bei den personenbezogenen Messungen lagen die
                                                                     Nikotin-Konzentrationen in der Luft zwischen 1,6 und 145 µg/
                                                                     m3 (Mittelwert, MW = 24). Die höchsten Belastungen fanden
                                                                     sich hierbei ebenfalls in der Diskothek (MW = 63 µg/m3; N = 6).
                                                                     In Abhängigkeit vom Tätigkeitsprofil konnten unterschiedliche
                                                                     Belastungen für das Gastronomiepersonal festgestellt werden.
                                                                     Personen, die sich in einem begrenzten Bereich des Lokals auf-
                                                                     hielten (Theke), wiesen zum Teil deutlich höhere Belastungen
                                                                     auf als das Bedienpersonal. Die Ergebnisse zeigten auch einen
                                                                     tageszeitlichen Trend, wobei die höchsten Belastungen am späten
                                                                     Abend festgestellt wurden.

                                                                     Für Nikotin und seine Metabolite Cotinin und 3-Hydroxycotinin
                                                                     im Urin bestanden auf Gruppenbasis signifikante Unterschiede (p
                                                                     < 0,001) zwischen Rauchern (Mediane in µg/L: 1582; 2714;  3943),
                                                                     nichtrauchenden Gastronomieangestellten (Vorschicht: 5,3; 9,5;
                                                                     19,3; Nachschicht: 34,8; 14,6; 18,4), Passivrauchexponierten (1,5;
Abb. 2: Probandin der Studie nach der Ausrüstung mit den Luftmess-
einheiten
                                                                     2,5; 4,8) und nicht Passivrauchexponierten (0,3; 1,0; 1,6). Aller-
                                                                     dings überschnitten sich die Bereiche der inneren Belastungen
Durch Unterstützung der Immobilien- und Standortgemeinschaft         der nichtrauchenden Gastronomiebeschäftigten und der Nicht-
„Bermuda3eck Bochum e.V.“, einem Zusammenschluss von mehr            raucher, wie auch der Nichtraucher und der nicht Passivrauch-
als 70 Gastronomiebetrieben, gelang es, 38 nichtrauchende            exponierten über einen größeren Bereich. Graphisch sind die
Gastronomiebeschäftigte für die Teilnahme an der Studie zu           Unterschiede in Abb. 3 illustriert. Dabei ist die logarithmische
gewinnen. Als Probennahmezeitraum wurde die Fußballeu-               Skalierung der Achsen in der Abbildung zu beachten.
ropameisterschaft 2008 (Mai und Juni 2008) ausgewählt, um
auch unter der Woche bei vergleichsweise hoher Gästeauslastung       Zwischen den Nikotin-Luftkonzentrationen und den Nachschicht-
Messungen durchführen zu können. Die Teilnehmer wurden für           Nikotinwerten im Urin fand sich eine sehr enge Korrelation
die Dauer von fünf Stunden mit zwei Geräten zur Messung von          (r  =  0,91, Abb. 4). Ein Zusammenhang zwischen den Luftwerten
Tabakrauchleitkomponenten (Nikotin und Acrylnitril) ausgestattet     (Nikotin, personengebunden) und Cotinin oder 3-Hydroxycotinin
(Abb. 2) und gaben jeweils zu Beginn und Ende der Messzeit           in Urin oder Speichel hingegen konnte nicht festgestellt werden
eine Speichel- und eine Urinprobe ab. Darüber hinaus wurde           (r jeweils < 0,1).
den Teilnehmern während der Luftmessung Blut abgenommen.
Zur Einordnung der Höhe der inneren Belastung der Gastrono-          Erste Schlussfolgerungen
miebeschäftigten (N=38) dienten aktive Raucher (N = 71), privat
und/oder beruflich passivrauchexponierte Nichtraucher (N =  110)     Die Bandbreite der die Passivrauchbelastung von Gastronomie-
sowie nicht passivrauchexponierte Nichtraucher (N = 37). Der         angestellten beeinflussenden Parameter ist vergleichsweise
individuelle Raucherstatus der Vergleichspersonen (aktive Rau-       komplex. So hatten neben den räumlichen Gegebenheiten auch
cher mit Angabe täglich gerauchter Zigaretten) wurde mittels         die Art des Gastronomiebetriebs, die spezielle Tätigkeit wie auch
Fragebogen erhoben.                                                  die Tageszeit der beruflichen Tätigkeit Einfluss auf die individuelle

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FORSCHUNG

Abb. 3: Zusammenhang zwischen den im Biomonitoring genutzten          Abb. 4: Zusammenhang zwischen Nikotin in der Luft und Nikotin im
Nikotinmetaboliten Cotinin und 3-Hydroxycotinin im Urin.              Nachschicht-Urin bei 38 nichtrauchenden Gastronomiebeschäftigten
                                                                      (Bei zwei Probanden des Kollektivs konnte keine Luftprobennahme
                                                                      durchgeführt werden)

Höhe der Belastung. Durch den kombinierten Einsatz von biolo-         Schwankungen in der äußeren Belastung individuell ausgleichen.
gischem Monitoring und Ambient Monitoring war es möglich,             Da nach derzeitiger Gesetzeslage Gastronomiebeschäftigte auch
die Aussagekraft der im Rahmen dieser Studie eingesetzten             weiterhin Passivrauchexpositionen ausgesetzt sein werden, ist
Parameter im Vergleich zu prüfen. Dabei stellte sich heraus,          es im Sinne der Individualprävention wichtig, ein Panel von
dass es nur über einen Biomonitoring-Parameter mit einer Eli-         Messparametern zur Verfügung zu haben, die den tatsächli-
minationshalbwertszeit im Bereich weniger Stunden (hier Nikotin       chen Gegebenheiten in der Gastronomie gerecht werden. Nur so
im Urin) möglich ist, berufsbedingte Passivrauchexpositionen          können losgelöst von zusätzlichen außerberuflichen Expositionen
(von Nichtrauchern) auf individueller Basis abzuschätzen. Die         Belastungsschwerpunkte an Gastrononomiearbeitsplätzen identi-
Nikotinmetaboliten Cotinin und 3-Hydroxycotinin (in Urin oder         fiziert werden, um nachfolgend durch gezielte Maßnahmen eine
Speichel) konnten dies aufgrund ihrer Verstoffwechselungskinetik      Reduktion der beruflichen Passivrauchbelastung zu erreichen.
(Eliminationshalbwertszeit > 17 Stunden) nicht leisten. Cotinin und   Der Kombination von biologischem Monitoring und Ambient
3-Hydroxycotinin waren offenbar deutlich von der vorangegan-          Monitoring kommt dabei besondere Bedeutung zu.
genen (auch privaten) Passivrauchbelastung beeinflusst. Diese
beiden Nikotin-Metaboliten stellen somit ein kumulatives Maß                                                               Die Autoren:
für die Summe der vorangegangenen privaten und beruflichen                                 Prof. Dr. Thomas Brüning, Michael Castillo,
Passivrauchexposition dar. Nur durch die Kombination mehrerer                                          Dr. Holger Koch, Dr. Tobias Weiß
Parameter war es möglich, zwischen privater und beruflicher Be-                                                                    BGFA
lastung zu differenzieren und die Höhe der beruflichen Belastung                              Dr. Dietmar Breuer, Wolfgang Schneider
adäquat abzuschätzen. Dabei zeigte sich, dass insbesondere in                                                                      BGIA
der untersuchten Diskothek die dort beschäftigten Nichtraucher
Nikotinmengen aufnehmen können, wie man sie ansonsten bei
Rauchern mit einem geringen Zigarettenkonsum findet.

Ausblick                                                               Literatur
                                                                                                                                 Literatur

                                                                       1. IARC Monographs on the Evaluation of Carcino-
Nach Abschluss der derzeit durchgeführten Biomonitoringanaly-             genic Risks to Humans. Tobacco Smoke and In-
sen zum Acrylnitril soll geprüft werden, inwieweit Stoffwechsel-          voluntary Smoking. Volume 83 (2004)
produkte dieses Tabakrauchbestandteils auch eine längerfristige        2. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.).Passivrauchen –
Abschätzung von Passivrauchexpositionen über ein biologisches             ein unterschätztes Gesundheitsrisiko Heidelberg (2005)
Monitoring erlauben. Die Addukte des Acrylnitrils am roten Blut-       3. Bolte G, Heitmann D, Kiranoglu M, Schierl R, Diemer J, Ko-
farbstoff (Hämoglobin) könnten sich aufgrund der Lebensdauer              erner W, Fromme H. Exposure to environmental tobac-
der roten Blutkörperchen (ca. 120 Tage) eignen, die mittlere Pas-         co smoke in German restaurants, pubs and discotheques.
sivrauchbelastung der letzten vier Monate abzubilden und damit            J Expo Sci Environ Epidemiol. 18(3):262-71 (2008)

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