BGFA-Info 1 /2009 - Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch - ipa-dguv.de
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BGFA-Info 1 /2009 Bäckerasthma Erkrankungsrisiko gezielt senken Benzol Passivrauch Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden Erfassung der Exposition von Gastronomiebeschäftigten und lymphatischen Systems für eine verbesserte Prävention
EDITORIAL Ausgezeichnete Präventionsforschung Einfallsreichtum, schöpferische Leidenschaft und visionäres Denken – dieses Image will die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ hervor- heben. Ein Projekt daraus ist der bundesweite Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“. Aus den mehr als 2 000 eingereichten Bewerbungen von Unternehmen, Institutionen und Initiativen hat die 18-köpfige Jury auch das BGFA ausgewählt. Am 20. November ist das BGFA „ausge- wählter Ort“ unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Horst Köhler. Mit dieser Auszeichnung wird das innovative Konzept des BGFA bestätigt und bestärkt. Das Forschungskonzept orientiert sich an den praktischen Anforderungen der Unfallversicherungsträger im Arbeits- und Gesund- heitsschutz. Speziell die Arbeits- und die Umweltmedizin stehen in Deutschland vor wachsenden Herausforderungen. Die praxisorientierte Forschung hat bereits große Erfolge in der Vergangenheit erzielt. Aber bei dem bereits Erreichten dürfen wir nicht stehen bleiben. Das BGFA entwickelt seine Ausrichtung konsequent weiter, um zukunftsweisende, praxisrelevante Erkenntnisse für die Prävention zu generieren. Der Entwicklung und Etablierung geeigneter Biomonitoringverfahren für den Einsatz in der Praxis kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Ein konkretes Beispiel ist die im letzten Jahr gemeinsam mit dem BGIA durchgeführte Passivrauchstudie. Ziel der Studie war die Etablierung geeigneter Messmethoden zur genauen Erfassung einer Passivrauchbelastung am Arbeitsplatz. Erste Ergebnisse können Sie ab Seite 14 lesen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Krebsfrüherkennung. Je früher der Tumor erkannt wird, umso höher sind die Hei- lungschancen. Das BGFA setzt dabei auf die Früherkennung durch Molekulare Marker (▸ Seite 24). Dass moderne nicht-invasive Untersuchungsmethoden nicht nur schnell und präzise sein können, sondern auch die Akzeptanz der Versicherten für die Unter- suchungen erhöhen, erklärt der Arbeitsmediziner Dr. Frank Hoffmeyer im Interview (▸ Seite 18). Die Forschungsergebnisse des BGFA fließen natürlich auch direkt in die Prävention ein. So untersuchten die Forscher des BGFA nicht nur, wodurch Bäckerasthma entsteht, sondern auch welche Maßnahmen Hersteller ergreifen können, um das Erkrankungsrisiko von Bäckern dauerhaft zu senken (▸ Seite 20). Zukunftsorientierte Konzepte werden in die bestehende arbeitsmedizinische Forschung am BGFA integriert und damit der Schutz der Versicherten vor Gesundheitsgefahren kontinuierlich vorangetrieben. Für das BGFA bedeutet das, dass aus dem Forschungsbedarf der Unfallversicherungsträger 2009 sechs neue Projekte resultieren (▸ Seite 11). Die Auszeichnung als Ort im Land der Ideen bescheinigt dem BGFA eine Vorbildfunktion für angewandte Präventionsforschung – auch über das Jahr 2009 hinaus. Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen Ihr BGFA-Info 01/09 3
Inhalt 3 Editorial 5 Meldungen 6 Arbeitsmedizin aktuell Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol Mit sechs neuen Forschungsprojekten startete das BGFA ins neue Jahr. Seite 11 11 Forschung 11 Neue Forschungsprojekte 2009 14 Passivrauchbelastung: Erfassung der Exposition von Gastronomiebeschäftigten für eine verbesserte Prävention 20 Bäckerasthma: Erkrankungsrisiko gezielt senken 24 Molekulare Marker: Feldphase zur Krebsfrüherkennung erfolgreich gestartet 18 Interview Frank Hoffmeyer zu neuen Verfahren des nicht-invasiven Biomonitorings 26 Für Sie gelesen Moderne nicht-invasive Methoden sind 31 Aus dem BGFA schnell, präzise und erhöhen die Akzeptanz der untersuchten Versicherten. Seite 18 32 Termine 33 Publikationen 35 Impressum Molekulare Marker haben das Potenzial, die Früherkennung, Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen zu verbessern. Seite 24 4 BGFA-Info 01/09
INHALT / MELDUNGEN Meldungen Ausschuss Arbeitsmedizin Offizielle Auszeichnung zum „Land der Ideen“ beim BMAS Ziel der am 24.12.2008 in Kraft getrete- nen Verordnung zur arbeitsmedizini- schen Vorsorge (ArbMedVV) ist es, durch Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge arbeitsbedingte Erkrankun- gen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird in diesem Zusammenhang ein Ausschusses für Arbeitsmedizin ge- bildet, in dem fachkundige Vertreter der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Länderbehörden, der gesetzlichen Un- fallversicherung und weitere fachkundige Pressekonferenz der Stadt Bochum anlässlich der Überreichung der Ehrentafel. (v.l.): Sven Personen, insbesondere der Wissenschaft, Olderdissen, Deutsche Bank, Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz und Institutsdirektor Prof. vertreten sind. Als Vertreter der gesetz- Dr. Thomas Brüning lichen Unfallversicherung sind für die nächsten vier Jahre Professor Thomas Als einer der Preisträger der Inititative „365 Orte im Land der Ideen“ ist das BGFA offiziell Brüning (BGFA) und Dipl.-Ing. Manfred mit einer Ehrentafel ausgezeichnet worden. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bochum Rentrop (DGUV) sowie als Stellvertreter Dr. Ottilie Scholz überreichte Institutsdirektor Prof. Dr. Thomas Brüning die Auszeichnung. Dr. Matthias Kluckert (BG Chemie) und Dr. Die Urkunde mit dem Siegel des Bundespräsidenten wird am 20. November – zur Gamze Güzel-Freudenstein (LSV-SpV) vom Einweihung des Institutsneubaus – überreicht. „Deutschland - Land der Ideen“ ist BMAS als Mitglieder berufen worden. eine gemeinsame Image- und Standortinitiative von Bundesregierung und deutscher Wirtschaft. Ziel ist es, ein positives Deutschlandbild im In- und Ausland zu vermitteln. Schirmherr der Initiative ist Bundespräsident Horst Köhler. Das BGFA überzeugte die Fraunhofer und DGUV 18-köpfige Jury mit seinem Konzept zur Forschung für den Gesundheitsschutz: kooperieren www.bgfa.de Webcode: 539136 Die Fraunhofer-Gesellschaft und die DGUV werden in Zukunft verstärkt zusammenar- Biomonitoring-Ringversuch – erfolgreiche Teilnahme beiten. Mit dem Ziel des Ausbaus und ei- ner Intensivierung der wissenschaftlichen Das BGFA hat erneut erfolgreich am Ringversuch für toxikologische Analysen in Zusammenarbeit sowie zur Förderung Biologischem Material der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin von Synergien und zur Vermeidung von (DGAUM) teilgenommen. Das Biomonitoringlabor am BGFA ist nun im Rahmen der Doppelforschung haben die Fraunhofer externen Qualitätssicherung gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer für Gesellschaft und die DGUV jetzt eine den spezifischen und sensitiven Nachweis für insgesamt 26 Analysenparameter im Kooperationsvereinbarung geschlossen, arbeitsmedizinischen und umweltmedizinischen Bereich zertifiziert. Aktuell liegen die eine verstärkte Zusammenarbeit Zertifikate für die folgenden Analysenparameter vor. Arbeitsmedizinischer Bereich: des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie Co, Cu, Ni und Zn im Urin; Cr, Mn und Ni im Blut; S-Phenylmerkaptursäure (SPMA) und Experimentelle Medizin (ITEM) in im Urin; Cu und Zn im Plasma. Umweltmedizinischer Bereich: Cd, Hg und Pb im Blut; Hannover mit dem BGFA in Bochum und Cd, Cr, Ni und Hg im Urin; Cotinin und Nikotin im Urin; Metabolite der Phthalate DEHP dem BGIA in Sankt Augustin vorsieht. Al- (5OH-MEHP, 5oxo-MEHP und 5carboxy-MEPP) und DnBP (MnBP) in Urin, Addukte des le drei Institute betreiben Forschung mit Acrylamids, Acrylnitrils und Ethylenoxids am Hämoglobin. Das bestehende Spektrum dem Ziel, Gefahren für die Gesundheit an Biomonitoring-Verfahren soll künftig weiter ausgebaut werden, um so dem hohen des arbeitenden Menschen abzuwehren. Bedarf der Unfallversicherungsträger für die Präventionarbeit gerecht zu werden. Zu- Sie sind dabei in unterschiedlichen, aber gleich ist geplant mit den etablierten Biomonitoring-Methoden auch an internationalen ineinandergreifenden Handlungsfeldern Ringversuchen teilzunehmen. tätig. BGFA-Info 01/09 5
Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol Wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit Jana Henry, Thomas Brüning Seit langer Zeit wird kontrovers diskutiert, ob Benzol grundsätzlich geeignet ist, alle Erkrankungen des blutbildenden und lymphatischen Systems, insbesondere die verschiedenen Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) zu verursachen. Gegenstand der Diskussion ist auch, ob eine „Schwellendosis“ existiert, unterhalb der eine Verursachung nicht wahrscheinlich ist (1,2) . Diese wissenschaftliche Kontroverse stellte den ärztlichen Gutachter vor erhebliche Probleme bei der Begutachtung im Rahmen der BK 1303. Mit Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Grundsätzlich anerkennungsfähig sind nunmehr auch die fol- Soziales (BMAS) vom 01.09.2007 wurde eine umfangreiche genden malignen Erkrankungen des blutbildenden Systems: wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit ● Myelodysplastische Syndrome (MDS) ○ Refraktäre Anämie (RA) „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen ○ Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS) Systems durch Benzol“ vorgelegt. ○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten (RAEB) ○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blas- Im Dezember 2008 hat das Bundesministerium für Arbeit und ten in Transformation (RAEB-t) Soziales einen ersten, noch nicht von der Bundesregierung ○ Chronische myelomonozytäre Leukämie (in Abhängigkeit gebilligten Referentenentwurf einer zweiten Verordnung zur von der Leukozytenzahl Klassifizierung als MDS oder MPE) Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. BKV-ÄndV) ● Akute myeloische Leukämie (AML) vorgelegt. Der Entwurf sieht die Aufnahme von „Erkrankungen ● Myeloproliferative Erkrankungen (MPE) des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems ○ Chronische myeloische Leukämie (CML) durch Benzol“ in die BK-Liste vor. ○ Polycythaemia vera (PV) ○ Essentielle Thrombozythämie (ET) ○ Idiopathische Myelofibrose (IF) bzw. Osteomyelosklerose Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte dieser wissen- ● Non-Hodgkin-Lymphome schaftlichen Begründung zusammengefasst und die Umsetzung ○ Akute lymphatische Leukämie (ALL) anhand konkreter Fälle veranschaulicht. ○ Lymphoblastisches Lymphom ○ Chronische lymphatische Leukämie (CLL) Krankheitsbilder ○ Prolymphozytäre Leukämie Wissen ○ Lymphoblastozytisches Lymphom Wie bisher sind toxische Schädigungen des Knochenmarks ○ Mantelzell-Lymphom (Knochenmarkdepression) grundsätzlich anerkennungsfähig. ○ Follikuläres Lymphom Dies betrifft sowohl die Verminderung aller (= Panzytopenie) ○ Marginalzonen-Lymphom als auch einzelner Zellpopulationen (Leukozytopenie, inklusive ○ Haarzellleukämie Verminderung einzelner Subpopulationen, Thrombozytopenie, ○ Plasmozytom/Multiples Myelom ○ (Diffus) großzellige Lymphome Anämie). Diese Erkrankungen sind nach Ende der Benzolex- ○ Burkitt-Lymphom position meist reversibel. Bei der Bewertung ist hier vor allem auf konkurrierende Faktoren wie beispielsweise die Einnahme knochenmarkstoxischer Medikamente, Anämie infolge eines Abzugrenzen ist in diesem Zusammenhang die aplastische An- Eisenmangels oder einer Hämolyse zu achten. ämie, eine nicht reversible Stammzellerkrankung, die zwar nicht 6 BGFA-Info 01/09
ARBEITSMEDIZIN AKTUELL bösartig im Sinne einer Tumorerkrankung ist, unbehandelt führt Demgegenüber lässt laut wissenschaftlicher Begründung die sie dennoch infolge der Komplikationen in der Regel zum Tod. epidemiologische Datenlage keine präzise Beschreibung eines Der Begriff ‚Anämie‘ ist hier irreführend, denn es handelt sich Dosis-Wirkungszusammenhangs für folgende Erkrankungen nicht um eine isolierte Erkrankung der Erythrozyten, sondern sie zu: ist charakterisiert durch ein hypoplastisches Knochenmark und • die übrigen Non-Hodgkin-Lymphome, inklusive multiples eine periphere (Pan-)Zytopenie. Auch diese Erkrankung ist im Myelom/Plasmozytom Sinne der neuen wissenschaftlichen Begründung grundsätzlich • myeloproliferative Erkrankungen, inklusive CML (chronische anerkennungsfähig. myeloische Leukämie) Hodgkin-Lymphome waren nicht Gegenstand dieser wissen- Exposition schaftlichen Begründung und sind weiterhin als nicht aner- kennungsfähig anzusehen. Problematisch ist in vielen Fällen die vom Gutachter gewünschte und im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu leistende Be- In der wissenschaftlichen Begründung werden die bösartigen rechnung der ppm-Benzoljahre. Wichtige Anhaltspunkte und Erkrankungen des blutbildenden Systems unterschieden in: Einzelheiten zu Belastungen bei verschiedenen Tätigkeiten • anerkennungsfähige Erkrankungen bei denen sich ein können dem BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese (HVBG 2006, „Grenzdosisbereich“ aufgrund der epidemiologischen Daten Nr. 9105) „Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung ableiten lässt der Benzolexposition“ (3) entnommen werden. In der neuen • anerkennungsfähige Erkrankungen mit unzureichender wissenschaftlichen Begründung werden verschiedene Exposi- epidemiologischer Datenlage tionsszenarien skizziert, die grundsätzlich geeignet sind, um einen Ursachenzusammenhang zwischen Benzolexposition und Für folgende Erkrankungen (8-10) ist laut wissenschaftlicher Erkrankung im Einzelfall zu begründen. Hier fließen nicht nur die Begründung ab einem Bereich von 10 ppm-Benzoljahren von verfügbaren Messdaten, sondern auch Erfahrungen bezüglich be- einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 Prozent aus- sonderer arbeitshygienischer Umstände oder messtechnisch nicht zugehen: erfassbarer kurzfristiger extremer Belastungen ein. Es wurden „Leukämie nach WHO-Definition ohne chronisch myeloische vier Expositionsszenarien erstellt, die sich wie folgt gliedern: Leukämie (CML), aber einschließlich chronisch lymphatischer • extreme Belastungsintensität Leukämie (CLL), aplastischer Anämie, myelodysplastischem • hohe Belastungsintensität Syndrom (MDS)“. • mittlere Belastungsintensität • geringe Belastungsintensität Somit sind hier folgende Krankheitsbilder erfasst • ALL (akute lymphatische Leukämie) Bei den extremen, hohen und mittleren Belastungsintensitäten • AML (akute myeloische Leukämie) ist unter Berücksichtigung der Hinweise zur Mindestdauer der • CLL (chronische lymphatische Leukämie) Einwirkung davon auszugehen, dass mindestens eine kumulative • MDS (myelodysplastische Syndrome) Belastungsdosis im hohen einstelligen beziehungsweise unte- • Aplastische Anämie ren zweistelligen Bereich, das heißt in einem Bereich von 8-10 • (Lymphoblastische Lymphome) ppm-Benzoljahren erreicht wird. Es wird jedoch explizit darauf hingewiesen, dass auch bei geringer Belastungsintensität im Auch wenn die lymphoblastischen Lymphome in der wissen- Einzelfall eine relevante Exposition vorgelegen haben kann, so schaftlichen Begründung nicht explizit genannt sind, müssen dass hier eine genaue Einzelfallprüfung erforderlich ist. sie nach hämato-onkologischen Verständnis hier eingegliedert werden bzw. werden in der WHO-Klassifikation der Leukämien Für die Erkrankungen, bei denen die epidemiologische Kenntnis- entsprechend genannt. lage zum Dosis-Wirkungszusammenhang unzureichend ist, wird eine ausreichende Exposition bei extremer Belastungsintensität In der Begründung wird darauf verwiesen, dass auch un- über einen Zeitraum von in der Regel zwei bis fünf Jahren oder terhalb von 10 ppm-Benzoljahren in den aussagekräftigen hoher Belastungsintensität über einen Zeitraum von meist sechs Studien relevante Risikoerhöhungen gefunden wurden. Dies und mehr Jahren bejaht. Unter Berücksichtigung der Aussagen betrifft insbesondere die CLL, für die eine Risikoerhöhung um zu Expositionsszenarien und den dabei zu erwartenden Expo- das 2,76-fache bereits bei einer Benzoldosis von vier bis acht sitionen muss nach der neuen wissenschaftlichen Begründung ppm-Jahren belegt wurde. Insofern ist zu beachten, dass eine somit davon ausgegangen werden, dass für diese Erkrankungen kumulative Benzolbelastung unterhalb von 10 ppm-Jahren kein von einer BK-rechtlich relevanten Exposition ab einem Bereich Abschneidekriterium ist. von 16-20 ppm-Benzoljahren ausgegangen wird. BGFA-Info 01/09 7
Arbeitsmedizinische Fallbeispiele von mehr als 40 ppm-Jahren gegeben war, wobei jedoch Fol- gendes zu beachten ist: Unter dem Begriff „Leukämien“ wurden Beispiel 1: Akute myeloische Leukämie (AML) in dieser Studie verschiedene Erkrankungen subsumiert a) akute Im April 2004 wurde bei dem 37-jährigen Versicherten die Diag- myeloische Leukämien (AML), b) akute lymphatische Leukämien nose einer akuten myeloischen Leukämie (AML M4) mit extrame- (ALL), c) chronische lymphatische Leukämien (CLL), die beide den dullärer Manifestation im Bereich der Haut, der Konjunktiva rechts Non-Hodgkin-Lymphomen zuzuordnen sind sowie d) chroni- und langstreckiger Raumforderung im hinteren Mediastinum mit sche myeloische Leukämien (CML), die den myeloproliferativen Einbruch in den Spinalkanal gestellt. Der Versicherte war seit Erkrankungen zuzurechnen sind. Aus diesem Grunde führten 1988 zunächst bei der Nationalen Volksarmee der damaligen DDR, Hayes et al. eine differenzierte Betrachtung durch. Hierbei zeigte später bei verschiedenen Firmen als Kfz-Schlosser beziehungs- sich, dass für akute nicht lymphatische Leukämien (ANLL bzw. weise –Meister beschäftigt. Die zuständige Berufsgenossenschaft AML) und MDS bereits ein relatives Risiko von 2,7 unterhalb ermittelte, dass der Versicherte während dieser Tätigkeiten in einer kumulativen Benzoldosis von 40 ppm-Jahren bestand. Auf Höhe von 16,7 ppm-Benzoljahren exponiert war. Der Vorgutachter diesen Umstand wiesen HAYES et al. in ihrem Artikel explizit kam in seinem Gutachten von 12/2004 zu dem Ergebnis, dass hin. Zusätzlich lagen zum Zeitpunkt der Begutachtung im BGFA von einer unfallversicherungsrechtlich relevanten Risikoerhöhung im April 2006 die Arbeiten von GLASS et al. (5, 6) vor, die auf erst ab einer kumulativen Benzolexposition in Höhe von 40 ppm- ein Verdopplungsrisiko für akute nicht-lymphatische Leukä- Benzoljahren auszugehen sei und empfahl die Erkrankung des mien schon bei einer Exposition von deutlich weniger als 20 Versicherten nicht als Berufskrankheit anzuerkennen. ppm-Benzoljahren hindeuten. Es wurde somit empfohlen die Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen Grundlage hierfür war die zu diesem Zeitpunkt kontrovers ge- führte Diskussion um ein „Abschneidekriterium“ von 40 ppm- Unter Anwendung der neuen wissenschaftlichen Begründung Benzoljahren für diese Erkrankungen, welches im Wesentlichen wäre dieser Fall jetzt ebenfalls eindeutig als Berufskrankheit an- auf der Übersichtsarbeit von HOFFMANN et al. 2001 (1) basierte. zuerkennen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sind diese Diese Arbeit bezog sich vor allem auf die Veröffentlichung von Erkrankungen ab einem Bereich von 8-10 ppm-Benzoljahren HAYES et al. 1997 (4), in der eine Kohorte von 74.828 Benzol- anerkennungsfähig, wobei man sich bei dieser Dosisfindung auf exponierten chinesischen Arbeitern untersucht wurde. Hierbei die Arbeiten von HAYES, GLASS et al. (5, 6) sowie die Arbeiten zeigte sich, dass eine Verdoppelung des relativen Risikos für zur sogenannten Pliofilm Kohorte bezieht. Leukämieerkrankungen erst bei einer kumulativen Benzoldosis 8 BGFA-Info 01/09
ARBEITSMEDIZIN AKTUELL Beispiel 2: Chronische lymphatische Leukämie Beispiel 4: Gastrointestinale Lymphome Im Oktober 1999 wurde bei dem 64-jährigen Versicherten die Di- Die 78-jährige Versicherte wurde im September 2004 mit einem agnose einer B-CLL (chronische lymphatische Leukämie) gestellt. blutenden Ulcus ventriculi stationär aufgenommen. Hierbei zeigte Der Versicherte war während seiner Tätigkeit als Facharbeiter sich, dass es sich bei dem blutenden Magengeschwür um eine beziehungsweise Vorarbeiter für Gas- und Wasserversorgungsan- Infiltration des Magens durch ein sogenanntes MALT-Lymphom lagen zwischen 1956 und 1978 gegenüber Benzol in Höhe von 34 handelte (MALT = mucosa associated lymphoid tissue). Zusätzlich ppm-Benzoljahren exponiert. Zwischen 2000 und 2004 wurden zeigte sich der Befund einer Helicobacter pylori-Infektion. Die im Rahmen des BK-Verfahrens mehrere Gutachten erstellt, in Versicherte war während ihrer Tätigkeit als Chemielaborantin denen die Gutachter jeweils zu dem Schluss kamen, dass nach zwischen 1969 und 1984 gegenüber Benzol in Höhe von 0,1 derzeitigem Kenntnisstand ein ursächlicher Zusammenhang ppm-Benzoljahren exponiert. Zusätzlich bestand jedoch eine zwischen der Benzolexposition des Versicherten und seiner nicht quantifizierbare Exposition gegenüber Benzol während Erkrankung nicht hinreichend belegt sei. Durch die zuständige der Tätigkeit an einem Klebstoffarbeitsplatz in einer polnischen Berufsgenossenschaft wurde ein ablehnender Bescheid erteilt. Im Schuhfabrik von 1955-1957. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) Februar 2007 bat der Versicherte um eine erneute Überprüfung führte aus, dass hier jedoch überwiegend mit Ago-Klebstoffen und wurde im Juni 2008 begutachtet. (benzolfrei) und in geringerem Umfang mit Neoprenklebstoffen (Verunreinigungen durch Benzol möglich) gearbeitet wurde. Hierbei wurde ausgeführt, dass nach der neu veröffentlichten WB auch für die CLL eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent ab einer Benzolexposition von 8 – 10 ppm- Benzoljahren postuliert wird. Es wurde die Anerkennung der Erkrankung des Versicherten als eine durch Benzol verursachte Berufskrankheit empfohlen. Dennoch bleibt anzumerken, dass die Entscheidungen der Vorgutachter nachvollziehbar sind, da verschiedene große epidemiologische Studien (aktuell SEIDLER et al., 7) keinen Ursachenzusammenhang zwischen einer Ben- zolexposition und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen, zu denen auch die CLL zählt, belegen. Da die Ableitung des Dosisbereichs, ab dem die CLL laut wissenschaftlicher Begrün- dung nun anerkennungsfähig ist, im Wesentlichen auf den Ar- beiten von GLASS et al. mit nur wenigen Fallzahlen und großen Konfidenzintervallen beruht, bleibt hier weiterhin eine gewisse Unsicherheit bestehen. Beispiel 3: Plasmozytom Bei dem Versicherten wurde im August 2004 die Diagnose eines Plasmozytoms im Stadium IIIA mit 80-90 prozentiger Knochen- In zahlreichen Studien wurde eine Assoziation zwischen einer markinfiltration und Vorliegen zahlreicher Osteolysen gestellt. Der Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten von MALT- Versicherte war als Instandhaltungsschlosser in einer Raffinerie Lymphomen des Magens nachgewiesen. Die enge Assoziation zwischen 1950 und 1954 in Höhe von 21,8 ppm-Benzoljahren zwischen einer Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten exponiert. Im Rahmen der Untersuchung von 03/2006 wurde eines MALT-Lymphoms zeigt sich insbesondere darin, dass eine ausgeführt, dass keine ausreichenden wissenschaftlichen Er- Eradikationstherapie zur Behandlung der Helicobacter pylori- kenntnisse vorlägen, die einen Kausalzusammenhang zwischen Infektion in mehr als 75 Prozent der Fälle auch zu einer Remission der Benzolexposition und der Erkrankung des Versicherten be- des Lymphoms führt (8-11). Man nimmt an, dass Entstehung und legen würden. Es wurde empfohlen die Erkrankung nicht als Wachstum von MALT-Lymphomen von einem immunologischen Berufskrankheit anzuerkennen. Stimulus abhängig sind, wobei Helicobacter pylori das mutmaß- lich verantwortliche Antigen darstellt (12, 13). Trotz der im Wesentlichen im Vergleich zur Untersuchung unver- änderten Datenlage ist das Plasmozytom,nach der neuen wissen- Unter Berücksichtigung dieses starken Confounders und der schaftlichen Begründung nunmehr wie alle NHL grundsätzlich eher geringen Benzolexposition konnte eine Anerkennung als anerkennungsfähig und die vorliegende Exposition wäre ausrei- Berufskrankheit nicht empfohlen werden. Auch nach der neuen chend einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen. wissenschaftlichen Begründung ergäbe sich hier keine andere Einschätzung. BGFA-Info 01/09 9
Beispiel 5: Gastrointestinale Lymphome Bei der 51-jährigen Versicherten wurde im Oktober 2006 die Dia- gnose eines follikulären Non-Hodgkin-Lymphoms des Dünndarms Literatur im Stadium II A E gestellt. Eine Helicobacter pylori-Infektion lag 1. Hoffmann J, Bolt HM, Kerzel A, Prager HM, Schiele R, Tan- zu diesem Zeitpunkt lt. Aktenlage fraglich vor. Während ihrer napfel A, Triebig G, Weber A. Benzol-verursachte maligno- Tätigkeit als Chemielaborantin war die Versicherte zwischen 1972 me des hämatolymphatischen Systems als Berufskarnakheit BK 1303. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed 2001; 36: 475-483 und 1983 gegenüber Benzol in Höhe von 110 ppm-Benzoljahren exponiert. Die Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes NRW 2. Woitowitz HJ, Thielmann HW, Norpoth K, Henschler D, Hallier E. Benzol als Ausnahmekanzerogen in der Prävention und sei- stellte im Februar 2007 fest, dass nach der derzeit gültigen Be- ne genotoxischen Folgen: Toxikologische, arbeitsmedizinsche und rufskrankheitenverordnung die arbeitsmedizinischen Vorausset- sozialmedizinische Aspekte. Zbl Arbeitsmed 2003; 53: 126-150 zungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit im Sinne der 3. BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese, Belastungen am Ar- BK 1303 nicht mit der versicherungsrechtlich geforderten Wahr- beitsplatz. Nr. 9105: Anwendungshinweise zur retros- scheinlichkeit gegeben seien. Gegen den daraufhin ergangenen pektiven beurteilung der Benzolexposition. 2006 ablehnenden Bescheid der zuständigen Berufsgenossenschaft 4. Glass DC, Gray CN, Jolley DJ, Gibbons C, Sim, MR, Fritschi L, legte die Versicherte Widerspruch ein und stellte sich im Juni Adams GG, Bisby JA, Manuell R. Leukemia risk associated wi- 2008 im BGFA zur Untersuchung vor. th low-level benzene exposure. Epidemiology 2003; 14: 569-577 5. Glass DC, Gray CN, Jolley DJ, Gibbons C, Sim MR. Health Die Experten des BGFA empfahlen die Anerkennung der Er- watch exposure estimates: Do they underestimate benzene ex- krankung als Berufskrankheit. Nach der neuen wissenschaft- posure? Chemico-Biological Interactions 2005; 153-154: 23-32 lichen Begründung handelt es sich bei diesem Fall um eine 6. Wotherspoon AC, Doglioni C, Diss TC et al. Regressi- grundsätzlich anerkennungsfähige Erkrankung. Auch die ar- on of primary low-grade B-cell gastric lymphoma of mu- beitstechnischen Voraussetzungen sind mit einer Exposition cosa-associated lymphoid tissue type after eradicati- von 110 ppm-Benzoljahren deutlich erfüllt. Mit der Helicobacter on of Helicobacter pylori. Lancet 1993; 342: 575-577 pylori-Infektion könnte jedoch ein konkurrierender Faktor vor- 7. Seidler A, Möhner M, Berger J, Mester B, Deeg E, Elsner G, liegen. Während für die MALT-Lymphome mittlerweile ein klarer Nieters A, Becker N. Solvent exposure and malignant lympho- ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und einer ma: a population-based case-control study in Germany. J Oc- Helicobacter pylori-Infektion angenommen wird, konnte bei den cup Med Toxicol. 2007 Apr 2;2:2.8. Montalban C, Manzanal A, follikulären Lymphomen, insbesondere des Duodenums und des Boixeda D et al. Helicobacter pylori eradication for the treat- Jejunums bislang ein solcher Zusammenhang nicht zweifelsfrei ment of low grade gastric MALT lymphoma. Follow up together nachgewiesen werden. Während TOYODA et al. (14) über eine with sequential molecular studies. Ann Oncol 1997; 8: 37-39 Tumorregredienz bei duodenalen follikulären Lymphomen nach 9. Zucca E, Roggero E, Delchier J et al. Interim evaluation of gast- Eradikation einer Helicobacter pylori-Infektion berichteten, konn- ric MALT lymphoma response to antibiotics in the ongoing LY03 te in anderen Untersuchungen ein solcher Zusammenhang nicht randomized cooperative trial of observation vs. chlorambucil af- Literatur bestätigt werden (14). Hier ist jedoch einschränkend anzumerken, ter anti-helicobacter therapy. J Clin Oncol 2000; 19(suppl): 5A dass diese Tumorentität selten auftritt und so die untersuchten 10. Thiede C, Wundisch T, Alpen B et al.Long term B- Fallzahlen nur sehr klein sind. Unter Berücksichtigung der sehr cell monoclonality in gastrc MALT lymphoma patients wi- hohen Exposition der Versicherten und der nicht eindeutig ge- th complete histological remission after cure of H. pylo- sicherten Rolle einer Helicobacter pylori-Infektion, stand die ri infection: follow-up analysis of 97 patients and molecular Benzolexposition nach Ansicht der BGFA-Experten ursächlich studies on microdissected cells. Blood 1999; 94: 384A deutlich im Vordergrund. 11. Hussell T, Issacson PG, Crabtree JE et al. The response of cells from low-grade B-cell gastric lymphomas of mucosa-associated Die vorgestellten Beispiele belegen eindrucksvoll wie sich mit lymphoid tissue to Helicobacter pylori. Lancet 1993; 342: 571-574 Erscheinen der neuen wissenschaftlichen Begründung die Be- 12. Hussell T, Issacson PG, Crabtree JE et al. Helicobacter pylori gutachtung bei einigen Krankheitsentitäten verändert und teils specific tumour-infiltrating T-cells provide contact dependent help vereinfacht hat. Dennoch ist in den meisten Fällen die Begut- for the growth of malignant B cells in low-grade gastric lymphoma achtung durch einen onkologisch erfahrenen Arbeitsmediziner of mucosa-associated lymphoid tissue.J Pathol 1996; 178: 122-127 erforderlich, da sowohl die Zuordnung der Krankheitsbilder als 13. Sentani K, Maeshima AM, Nomoto J et al. Follicu- auch die Würdigung konkurrierender Faktoren im Einzelfall ihre lar lymphoma of the duodenum: A clinicopathologic ana- Tücken haben können. lysis of 26 cases. Jpn J Clin Oncol. 2008; 38:547-552 Die Autoren: 14. Toyoda H, Yamaguchi M, Nakamura S et al. Regression of Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Jana Henry primary lymphoma of the ampulla of Vater after eradicati- BGFA on of Helicobacter pylori. Gastrointest Endosc 2001; 54: 92-96 10 BGFA-Info 01/09
FORSCHUNG Neue Forschungsprojekte am BGFA Monika Zaghow, Thomas Brüning Der Forschungsbedarf der Unfallversicherungsträger führte 2009 zum Start von sechs neuen Projekten am BGFA. Dabei steht nach wie vor die Forschung zu Belastungen durch biologische und chemische Gefahr- stoffe im Mittelpunkt. Alle neuen Forschungsprojekte zeichnen sich durch einen engen Praxisbezug aus. Auswirkungen von künstlichem UV-Licht auf die Haut Im Rahmen der Pilotstudie „Berufliche Exposition mit „künst- lichem“ UV- Licht: Einwirkungen auf die Haut“, das in Koope- 2006 ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, mit der ration mit dem BGIA - Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit Gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt wird, sollen sowohl der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische die akuten Lichtschädigungen (Erytheme), deren Häufigkeit und Einwirkungen (künstliche optische Strahlung) geregelt werden. Intensität am Arbeitsplatz von Glasapparatebauern/-Glasbläsern, Hierdurch kommen entsprechende Aufgaben auf den Arbeitgeber als auch die bereits potenziell entstandenen Veränderungen durch und die Unfallversicherungen zu. So müssen unter anderem die erhöhte chronische UV-Lichtexposition mit den entsprechen- die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition den klinischen Zeichen quantifiziert und skaliert werden und gegenüber optischer Strahlung (z.B. UV-Strahlung) rechtzeitig deren Verteilung mit einer Kontrollgruppe (nicht UV-belastete erkannt werden. Indoor-Tätigkeit, adjustiert nach Lichttyp und Freizeitbelastung) Wissenschaftlich belegt ist, dass die Erkrankungen von „UV-indu- ziertem Hautkrebs“ aufgrund der Veränderung der Ozonschicht und des Freizeitverhaltens in den letzten Jahren zugenommen haben. Hierbei muss auch die Problematik der zusätzlichen Belastung durch die berufliche „künstliche UV-Strahlung“ be- rücksichtigt werden. Bisher fehlen jedoch medizinische Daten, Untersuchungsinst- rumentarien und Erkenntnisse über bisherige und kommende berufliche Haut-Belastungen (Haut-Expositionen) und den bereits eingetretenen oder zu erwartenden Hautschädigungen durch künstl. UV-Quellen an bestimmten Arbeitsplätzen, an denen bereits eine hohe Belastung durch künstliches UV Licht bekannt ist. BGFA-Info 01/09 11
verglichen werden. Eventuelle bereits vorhandene Präkanzerosen und Risikoanalyse), als auch für die wissenschaftliche Forschung oder gar kanzeröse Veränderungen könnten ebenfalls erfasst im Bereich der Prävention gefahrstoffverursachter Erkrankungen, werden. insbesondere unter dem Aspekt der qualitätsgesicherten Ablei- tung von Dosis-Wirkungsbeziehungen sein. Außerdem ermöglicht eine zusätzliche personenbezogene Do- simetrie, Erfahrungen zur UV-Quantifizierung zu sammeln und Entstehungsprozess von Kontaktallergien diese bei speziellen Expositionsformen an den Gasbrennern zu bewerten. Die in dieser Studie entwickelten und evaluierten Ein weiteres Neuprojekt beschäftigt sich mit der Entstehung von Tools können später auch in anderen Bereichen mit beruflicher Kontaktallergien. Diese haben in den vergangenen Jahren stark „künstlicher UV“ Belastung eingesetzt werden. zugenommen und trugen zu den mehr als 600 anerkannten Berufskrankheiten der Haut im Jahr 2007 in erheblichem Umfang Datenbank für Biomonitoringdaten am Arbeitsplatz bei. Wenig ist bisher darüber bekannt, welche Personenkreise besonders gefährdet sind und wie eine Sensibilisierung hervor- Im Rahmen des Biomonitorings wird biologisches Material (z.B. gerufen wird. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen den Urin, Blut, Speichel) zur Bestimmung von Gefahrstoffen und Einfluss einer individuellen Disposition und einer gleichzeitigen deren Stoffwechselprodukte sowie biochemischer und biologi- Einwirkung von Hautreizungen nahe. Diesen Hinweisen soll in scher Effekte untersucht. Mit Hilfe des Biomonitoring kann die der vorliegenden Studie gezielt nachgegangen werden. Belastung und Gefährdung von Beschäftigten am Arbeitsplatz erfasst werden. Es stellt somit eine wichtige Ergänzung zum Die Prävention von Allergien am Arbeitsplatz schien bislang nur Ambient Monitoring dar, das die äußere Gefahrstoffbelastung sehr eingeschränkt möglich, weil Allergene bei extrem niedrigen durch Messung der Konzentrationen in der Luft an Arbeitsplätzen Konzentrationen wirken. Nach neueren Erkenntnissen scheint erfasst. Beim Biomonitoring werden regelmäßig eine Vielzahl von dies jedoch nur für das Auslösen einer vorhandenen Sensibili- Analysenergebnissen und Daten zu Gefahrstoffen im biologischen sierung (Elizitation) zu gelten. Um eine Sensibilisierung hervor- Material ermittelt. Zurzeit gibt es jedoch noch keine Struktur, mit zurufen (Induktion), müssen wahrscheinlich erheblich höhere der diese Daten abgespeichert, zielgerichtet ausgewertet und Expositionen bestehen. Während demnach für die Elizitation für Forschungszwecke verwendet werden können. kein Schwellenwert angegeben werden kann, wäre dies für die Induktion einer Allergie möglich. Das Projekt BioMEGA befasst sich mit der Entwicklung einer Datenbank zum Speichern und Auswerten von Ergebnissen des Bezüglich der Empfindlichkeit gegenüber Allergenen bestehen Biologischen Monitorings am Arbeitsplatz. Im Rahmen einer ein- große individuelle Unterschiede. Kenntnisse über die Ursachen jährigen Machbarkeitsstudie wird zunächst überprüft, inwieweit solcher individuellen Unterschiede und den Wechselwirkungen Basiskenndaten (z. B. Untersuchungsmaterial, Analysenergebnis, zwischen individuellen Disposition und Allergenen aus der Ar- Arbeitsplatzbeschreibung, Confounder, etc.) ermittelt werden und beitswelt oder Umwelt können eine effektive Prävention ermög- in die Datenbank eingehen können. Diese sollen eine automati- lichen. Personen, die besonders empfindlich für Kontaktallergien sche Auswertung der Ergebnisse hinsichtlich statistischer Basis- sind, weisen oftmals Sensibilisierungen gegen eine Vielzahl von größen (z. B. Median, Perzentile, etc.) erlauben und gleichzeitig Stoffen auf. Als Polysensibilisierte werden Personen bezeichnet, permanenten Charakter besitzen. Besonders im Fokus bei der die gegen drei und mehr strukturell unterschiedliche Kontaktal- Konzeption der Datenbank BioMEGA stehen datenschutzrechtliche lergene sensibilisiert sind. Aspekte. Bei erfolgreicher Etablierung kann BioMEGA in Zukunft für die Unfallversicherungsträger ein wesentlicher Bestandteil In einer Fall-Kontroll-Studie an mono- und polysensibilisierten sowohl für den Arbeitsschutz (Datenmaterial zur Gefährdungs- Patienten wird in Kooperation mit dem Informationsverbund 12 BGFA-Info 01/09
FORSCHUNG Dermatologischer Kliniken (IVDK) untersucht, ob Varianten von Präventionserfolg nachgehender Untersuchungen pro- und anti-inflammatorischen Zytokinen die Pathogenese der Kontaktallergie beeinflussen. Eingeschlossen werden dabei auch Die arbeitsmedizinische Vorsorge der Unfallversicherungsträger weitere Botenstoffe, die die Reifung immunkompetenter Zellen umfasst Untersuchungsprogramme für Versicherte, die gegenüber steuern. krebserzeugenden Arbeitsstoffen exponiert waren. Die Früher- kennung von Krebs soll durch die Entdeckung von Vorstufen oder Die Studie soll auf Basis der Erkenntnisse der untersuchten Frühstadien die Behandlungschancen verbessern. Um bestehen- Patientengruppe verbesserte Einblicke in die Wirkungsweise de und zukünftige Programme für Nachuntersuchungen bzw. von Kontaktallergenen gewähren, um so eine entsprechend nachgehende Untersuchungen evidenzbasiert zu gestalten und optimierte Prävention von Kontaktallergien zu ermöglichen. zu bewerten, werden möglichst lückenlose Informationen über Krebserkrankungen und Todesursachen bei den gefährdeten Ver- Nachweis von Gefahrstoffwirkungen in Zellkulturen sicherten benötigt. Diese stehen den Unfallversicherungsträgern derzeit nicht im benötigten Umfang zur Verfügung. Recherchen Für die Bewertung von Risiken durch Gefahrstoffe am Arbeits- bei bevölkerungsbezogenen Krebsregistern, Meldebehörden und platz sind neben arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien dem öffentlichen Gesundheitsdienst könnten diese ergänzen. auch Untersuchungen zu Gefahrstoffwirkungen auf zellulärer und Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie soll ein Verfahren entwi- molekularer Ebene notwendig. Zellbiologische Studien können ckelt werden, das sich für einen regelmäßigen Datenabgleich mit einerseits zur wissenschaftlichen Untermauerung epidemiologi- bevölkerungsbezogenen Krebsregistern eignet. Ein erstes Konzept scher Erkenntnisse beitragen. Sie können aber andererseits auch wurde gemeinsam mit Experten des Epidemiologischen Krebsre- dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen zu festigen, die dann gisters NRW entwickelt. Für einen modellhaften Abgleich stehen im Folgenden in Feldstudien weiter untersucht werden können. beim Organisationsdienst für Nachgehende Untersuchungen bei Im Rahmen des Neuprojektes „Entwicklung von zellbiologischen der BG Chemie (ODIN) die Daten einer Gruppe von Versicherten Methoden zum Nachweis von Effekten nach Gefahrstoffexpo- zur Verfügung, die gegenüber aromatischen Aminen exponiert sition in Zellsystemen“ werden kultivierte Zellen gegenüber waren. Dieser Versichertengruppe wird bereits im Rahmen des Gefahrstoffen exponiert und Veränderungen auf zellulärer Ebene Verbundprojekts UroScreen ein erweitertes Harnblasenkrebs- analysiert. So können insbesondere die Wirkungsmechanismen Früherkennungsprogramm mit urinbasierten Tumormarkern von Gefahrstoffen zum Beispiel durch den Vergleich von be- angeboten. handelten und unbehandelten Zellen, untersucht werden. Die Expositionsbedingungen in solchen Modellsystemen können Expositionslabor genau definiert und systematisch modifiziert werden. So ist es beispielsweise möglich, die Effekte einzelner Substanzen, ihrer Die inhalative Exposition durch Gase, Stäube und Aerosole stellt reaktiven Stoffwechselprodukte oder komplexer Substanzgemi- nach wie vor die häufigste Form der Gesundheitsgefährdung am sche in ihrem Zusammenwirken zu untersuchen. Darüber hinaus Arbeitsplatz dar. Mit der für Ende 2009 geplanten Fertigstellung können zeitliche Verläufe einzelner Untersuchungsparameter des neuen BGFA-Anbaus steht dem Institut auch ein neues Ex- sowie Konzentrations-Wirkungsbeziehungen aufgestellt werden. positionslabor zur Verfügung, mit dem derartige Expositionen Das Spektrum möglicher Untersuchungsparameter reicht von nachgestellt und die Effekte am Menschen qualitätsgesichert frühen Veränderungen, wie der Induktion von Enzymen, bis hin zu untersucht werden können. In einem interdisziplinären Team späten Parametern, wie dem Zelltod, einem Endresultat toxischer aus Medizinern, Chemikern, Toxikologen, Psychologen, Allergo- Wirkungen. Die Untersuchungen betreffen unter anderem Enzyme logen und Ingenieuren werden zurzeit die technische Ausstat- des Fremdstoffwechsels, der DNA-Reparatur, der Apoptose und tung vorbereitet und erste Expositionsszenarien konzipiert. Im der Zellzykluskontrolle. zukünftigen Expositionslabor sollen Untersuchungen an vier bis acht Probanden gleichzeitig und mit Simulation einer definierten Die in arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien an ex- körperlichen Arbeitsbelastung (Ergometrie) erfolgen. ponierten Beschäftigten beobachteten Effekte können mit Hilfe von Zellkulturexperimenten genauer charakterisiert und die Mit diesen sechs neuen Projekten zeigt das BGFA auch im Jahr Wirkungsmechanismen der Gefahrstoffe verstanden werden. 2009, dass es sich mit seiner Ausrichtung der Forschung eng Andererseits können für die auf zellulärer Ebene identifizierten an den Bedürfnissen der Unfallversicherungsträger und ihrer Effektmarker entsprechende Biomarker beim Menschen entwi- Mitglieder orientiert. ckelt und in Feldstudien eingesetzt werden, um zu prüfen, ob Die Autoren: die in vitro beobachteten Wirkungen auch unter realen Exposi- Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Monika Zaghow tionsbedingungen auftreten. 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Passivrauchbelastungen in der Gastronomie Erfassung der Exposition für verbesserte Prävention Tobias Weiß, Dietmar Breuer, Michael Castillo, Wolfgang Schneider, Holger M. Koch, Thomas Brüning Zum Zeitpunkt der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr untersuchte das BGFA zusammen mit dem BGIA - Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nichtrauchende Gastronomiebeschäftigte auf ihre Belastung mit Passivrauch. Dabei kamen eigens entwickelte Analysenverfahren zur Messungen von Passivrauch- bestandteilen sowohl in Körperflüssigkeiten wie Blut, Speichel und Urin (biologisches Monitoring) als auch in der Luft (Ambient Monitoring) zum Einsatz. Untersucht wurden zudem passivrauchexponierte und nicht passivrauchexpo- nierte Nichtraucher wie auch aktive Raucher. Erste Ergebnisse der Untersuchungen liegen seit Anfang 2009 vor. Tabakrauch stellt ein komplexes Gemisch aus mehr als 4 000 sowie am Arbeitsplatz auftreten. Schätzungen des Deutschen Stoffen dar, darunter wurden rund 70 krebserzeugende Stoffe Krebsforschungszentrums (DKFZ) gehen davon aus, dass in identifiziert (1). Tabakrauch entsteht durch das Verbrennen bzw. Deutschland etwa 35 Millionen nichtrauchende Erwachsene Verglimmen von Tabak in Zigaretten, Zigarren, Zigarillos, Pfeifen. mindestens einmal pro Woche Passivrauch ausgesetzt sind. Dabei unterscheidet man zwischen dem Hauptstromrauch, den Davon sind etwa 28 Millionen Nichtraucher in ihrer Freizeit, ein Raucher durch Ziehen an einer Zigarette inhaliert, und dem 8,5 Millionen am Arbeitsplatz und etwa 8 Millionen in häus- Nebenstromrauch, der stetig aus der Zigarette steigt. Haupt- und licher Umgebung gegenüber Passivrauch exponiert. Während Nebenstromrauch unterscheiden sich qualitativ und quantitativ in in der Gruppe der 20- bis 29-jährigen Nichtraucher mit etwa Bezug auf die Zusammensetzung der Substanzen. Dabei werden 70 - 80 Prozent die höchste Passivrauchrauchprävalenz besteht, von einer Zigarette viele der toxischen und krebserregenden sinkt dieser Anteil kontinuierlich mit dem Alter. Die 70- bis 79- Stoffe über den Nebenstromrauch in wesentlich höheren Men- jährigen Nichtraucher sind noch zu etwa 30 Prozent regelmäßig gen freigesetzt als über den Hauptstromrauch. Allerdings wird Passivrauch-Expositionen ausgesetzt (2). der Hauptstromrauch von einem Raucher unmittelbar inhaliert, während der Nebenstromrauch durch die Verteilung in der Um- Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen gebungsluft verdünnt wird, bevor er von anwesenden Rauchern und Nichtrauchern eingeatmet wird. Der sogenannte Passivrauch Aktives Tabakrauchen stellt einen erheblichen Risikofaktor unter setzt sich zu rund 80 Prozent aus dem Nebenstromrauch und nur anderem für die Entstehung von Lungenkrebs, Krebs des Nasen- zu 20 Prozent aus dem von einem Raucher wieder ausgeatmeten und Rachenbereichs, Harnblasenkrebs sowie für Herz-Kreislauf- Bestandteil des Hauptstromrauchs zusammen (Abb. 1). und Atemwegserkrankungen dar. Passivrauchen wurde sowohl seitens der Senatskommission zur Beurteilung gesundheitsschäd- Zahlen des DKFZ zum Passivrauchen in Deutschland licher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 1998 als auch durch die International Agency for Research Expositionen gegenüber Passivrauch oder „Environmental To- on Cancer (IARC) im Jahr 2002 als Humankanzerogen (Kategorie bacco Smoke“, kurz ETS können in der Familie oder Freizeit 1) eingestuft. Grundlage für diese Einstufungen waren epide- 14 BGFA-Info 01/09
FORSCHUNG miologische Studien, die beschäftigte jedoch auch weiterhin Passivrauch ein leicht erhöhtes relatives ausgesetzt sein. Allerdings liegen kaum Daten Lungenkrebsrisiko (RR im Be- zur Belastung von Gastronomiebeschäftigten in reich 1,2 – 1,3) nach Passivrauch- Deutschland vor. Die einzige international publizierte Exposition im privaten Bereich oder Studie, die in Deutschland die Passivrauchexposition am Arbeitsplatz feststellten. Aufgrund in der Raumluft von Gastronomiebetrieben untersucht hat, statistischer Unsicherheiten in diesen Studi- wurde 2007 von Bolte und Mitarbeitern publiziert (3). en war für die Einstufung von besonderer Bedeutung, dass die relativen Risiken überwiegend in den Gruppen mit der höchsten Forschungsbedarf beziehungsweise längsten Exposition am größten waren und zum Teil Expositions-Wirkungs-Beziehungen beschrieben wurden. Um einerseits die Situation der beruflichen Passivrauchbelastung Zusätzlich bestehen Hinweise darauf, dass Passivrauchexpositi- in der Gastronomiebranche vor Inkrafttreten des Nichtraucher- onen Atemwegsbeschwerden, Lungenfunktionsstörungen sowie schutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen zu dokumentieren und eine erhöhte Sterblichkeit infolge koronarer Herzerkrankungen andererseits zu prüfen, inwieweit die dort Beschäftigten ver- hervorrufen können. schiedene Passivrauchbestandteile in den Körper aufnehmen, führte das BGFA gemeinsam mit dem BGIA eine Studie unter Passivrauch in der Gastronomie Anwendung von biologischem Monitoring und Ambient Monito- ring durch. Ziel der Studie war zudem die Etablierung geeigneter Zu Personen, die beruflich bedingt in besonderem Umfang Passiv- Messmethoden zur genauen Erfassung einer Passivrauchbelas- rauch ausgesetzt sind, zählen Beschäftigte in Teilen der Gastrono- tung am Arbeitsplatz. Mittels biologischem Monitoring wurden miebranche. Zwar bestehen mittlerweile in allen Bundesländern Passivrauchbestandteile in Blut, Speichel und Urin gemessen Nichtraucherschutzgesetze, die das Rauchen einschränken, durch und mittels Ambient Monitoring die Passivrauchbestandteile unterschiedliche Ausnahmeregelungen werden Gastronomie- Nikotin und Acrylnitril in der Luft der Gastronomiebetriebe. Abb. 1: Zusammensetzung von Tabakrauch. BGFA-Info 01/09 15
Erste Ergebnisse Insgesamt wurden 134 Luftmessungen (35 personengetragene und 99 stationäre Messungen) durchgeführt (Ambient Moni- toring). Stationär wurde an besonders hoch belasteten Orten (Tresenbereich) gemessen. An allen Messorten wurden Nikotin und Acrylnitril gefunden. Die Nikotinkonzentrationen lagen zwischen 1,2 und 152 µg/m3 und die Acrylnitrilkonzentrationen zwischen 0,1 und 8,2 µg/m3, bei einer engen Korrelation (r = 0,83) untereinander. Die höchsten Belastungen (stationäre Messung) fanden sich in einer Diskothek, die niedrigsten Konzentrationen wurden in Cafés bestimmt. Bei den personenbezogenen Messungen lagen die Nikotin-Konzentrationen in der Luft zwischen 1,6 und 145 µg/ m3 (Mittelwert, MW = 24). Die höchsten Belastungen fanden sich hierbei ebenfalls in der Diskothek (MW = 63 µg/m3; N = 6). In Abhängigkeit vom Tätigkeitsprofil konnten unterschiedliche Belastungen für das Gastronomiepersonal festgestellt werden. Personen, die sich in einem begrenzten Bereich des Lokals auf- hielten (Theke), wiesen zum Teil deutlich höhere Belastungen auf als das Bedienpersonal. Die Ergebnisse zeigten auch einen tageszeitlichen Trend, wobei die höchsten Belastungen am späten Abend festgestellt wurden. Für Nikotin und seine Metabolite Cotinin und 3-Hydroxycotinin im Urin bestanden auf Gruppenbasis signifikante Unterschiede (p < 0,001) zwischen Rauchern (Mediane in µg/L: 1582; 2714; 3943), nichtrauchenden Gastronomieangestellten (Vorschicht: 5,3; 9,5; 19,3; Nachschicht: 34,8; 14,6; 18,4), Passivrauchexponierten (1,5; Abb. 2: Probandin der Studie nach der Ausrüstung mit den Luftmess- einheiten 2,5; 4,8) und nicht Passivrauchexponierten (0,3; 1,0; 1,6). Aller- dings überschnitten sich die Bereiche der inneren Belastungen Durch Unterstützung der Immobilien- und Standortgemeinschaft der nichtrauchenden Gastronomiebeschäftigten und der Nicht- „Bermuda3eck Bochum e.V.“, einem Zusammenschluss von mehr raucher, wie auch der Nichtraucher und der nicht Passivrauch- als 70 Gastronomiebetrieben, gelang es, 38 nichtrauchende exponierten über einen größeren Bereich. Graphisch sind die Gastronomiebeschäftigte für die Teilnahme an der Studie zu Unterschiede in Abb. 3 illustriert. Dabei ist die logarithmische gewinnen. Als Probennahmezeitraum wurde die Fußballeu- Skalierung der Achsen in der Abbildung zu beachten. ropameisterschaft 2008 (Mai und Juni 2008) ausgewählt, um auch unter der Woche bei vergleichsweise hoher Gästeauslastung Zwischen den Nikotin-Luftkonzentrationen und den Nachschicht- Messungen durchführen zu können. Die Teilnehmer wurden für Nikotinwerten im Urin fand sich eine sehr enge Korrelation die Dauer von fünf Stunden mit zwei Geräten zur Messung von (r = 0,91, Abb. 4). Ein Zusammenhang zwischen den Luftwerten Tabakrauchleitkomponenten (Nikotin und Acrylnitril) ausgestattet (Nikotin, personengebunden) und Cotinin oder 3-Hydroxycotinin (Abb. 2) und gaben jeweils zu Beginn und Ende der Messzeit in Urin oder Speichel hingegen konnte nicht festgestellt werden eine Speichel- und eine Urinprobe ab. Darüber hinaus wurde (r jeweils < 0,1). den Teilnehmern während der Luftmessung Blut abgenommen. Zur Einordnung der Höhe der inneren Belastung der Gastrono- Erste Schlussfolgerungen miebeschäftigten (N=38) dienten aktive Raucher (N = 71), privat und/oder beruflich passivrauchexponierte Nichtraucher (N = 110) Die Bandbreite der die Passivrauchbelastung von Gastronomie- sowie nicht passivrauchexponierte Nichtraucher (N = 37). Der angestellten beeinflussenden Parameter ist vergleichsweise individuelle Raucherstatus der Vergleichspersonen (aktive Rau- komplex. So hatten neben den räumlichen Gegebenheiten auch cher mit Angabe täglich gerauchter Zigaretten) wurde mittels die Art des Gastronomiebetriebs, die spezielle Tätigkeit wie auch Fragebogen erhoben. die Tageszeit der beruflichen Tätigkeit Einfluss auf die individuelle 16 BGFA-Info 01/09
FORSCHUNG Abb. 3: Zusammenhang zwischen den im Biomonitoring genutzten Abb. 4: Zusammenhang zwischen Nikotin in der Luft und Nikotin im Nikotinmetaboliten Cotinin und 3-Hydroxycotinin im Urin. Nachschicht-Urin bei 38 nichtrauchenden Gastronomiebeschäftigten (Bei zwei Probanden des Kollektivs konnte keine Luftprobennahme durchgeführt werden) Höhe der Belastung. Durch den kombinierten Einsatz von biolo- Schwankungen in der äußeren Belastung individuell ausgleichen. gischem Monitoring und Ambient Monitoring war es möglich, Da nach derzeitiger Gesetzeslage Gastronomiebeschäftigte auch die Aussagekraft der im Rahmen dieser Studie eingesetzten weiterhin Passivrauchexpositionen ausgesetzt sein werden, ist Parameter im Vergleich zu prüfen. Dabei stellte sich heraus, es im Sinne der Individualprävention wichtig, ein Panel von dass es nur über einen Biomonitoring-Parameter mit einer Eli- Messparametern zur Verfügung zu haben, die den tatsächli- minationshalbwertszeit im Bereich weniger Stunden (hier Nikotin chen Gegebenheiten in der Gastronomie gerecht werden. Nur so im Urin) möglich ist, berufsbedingte Passivrauchexpositionen können losgelöst von zusätzlichen außerberuflichen Expositionen (von Nichtrauchern) auf individueller Basis abzuschätzen. Die Belastungsschwerpunkte an Gastrononomiearbeitsplätzen identi- Nikotinmetaboliten Cotinin und 3-Hydroxycotinin (in Urin oder fiziert werden, um nachfolgend durch gezielte Maßnahmen eine Speichel) konnten dies aufgrund ihrer Verstoffwechselungskinetik Reduktion der beruflichen Passivrauchbelastung zu erreichen. (Eliminationshalbwertszeit > 17 Stunden) nicht leisten. Cotinin und Der Kombination von biologischem Monitoring und Ambient 3-Hydroxycotinin waren offenbar deutlich von der vorangegan- Monitoring kommt dabei besondere Bedeutung zu. genen (auch privaten) Passivrauchbelastung beeinflusst. Diese beiden Nikotin-Metaboliten stellen somit ein kumulatives Maß Die Autoren: für die Summe der vorangegangenen privaten und beruflichen Prof. Dr. Thomas Brüning, Michael Castillo, Passivrauchexposition dar. Nur durch die Kombination mehrerer Dr. Holger Koch, Dr. Tobias Weiß Parameter war es möglich, zwischen privater und beruflicher Be- BGFA lastung zu differenzieren und die Höhe der beruflichen Belastung Dr. Dietmar Breuer, Wolfgang Schneider adäquat abzuschätzen. Dabei zeigte sich, dass insbesondere in BGIA der untersuchten Diskothek die dort beschäftigten Nichtraucher Nikotinmengen aufnehmen können, wie man sie ansonsten bei Rauchern mit einem geringen Zigarettenkonsum findet. Ausblick Literatur Literatur 1. IARC Monographs on the Evaluation of Carcino- Nach Abschluss der derzeit durchgeführten Biomonitoringanaly- genic Risks to Humans. Tobacco Smoke and In- sen zum Acrylnitril soll geprüft werden, inwieweit Stoffwechsel- voluntary Smoking. Volume 83 (2004) produkte dieses Tabakrauchbestandteils auch eine längerfristige 2. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.).Passivrauchen – Abschätzung von Passivrauchexpositionen über ein biologisches ein unterschätztes Gesundheitsrisiko Heidelberg (2005) Monitoring erlauben. Die Addukte des Acrylnitrils am roten Blut- 3. Bolte G, Heitmann D, Kiranoglu M, Schierl R, Diemer J, Ko- farbstoff (Hämoglobin) könnten sich aufgrund der Lebensdauer erner W, Fromme H. Exposure to environmental tobac- der roten Blutkörperchen (ca. 120 Tage) eignen, die mittlere Pas- co smoke in German restaurants, pubs and discotheques. sivrauchbelastung der letzten vier Monate abzubilden und damit J Expo Sci Environ Epidemiol. 18(3):262-71 (2008) BGFA-Info 01/09 17
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