Bild und Negativität Tagung - Interdisziplinäres Medienwissenschaftliches ...

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Tagung

      Bild und Negativität
            Erlangen, 4. bis 6. April 2018

      Institut für Theater- und Medienwissenschaft und
  Interdisziplinäres Medienwissenschaftliches Zentrum der
     Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg

Konzeption und Organisation: Lars Nowak, Juniorprofessur für
     Medienwissenschaft (Visualität und Bildkulturen)
Programm

Mi., 4. April 2018

14.00-14.30 h Anmeldung

14.30-15.00 h Begrüßung und Einführung

15.00-17.00 h Theorie der bildlichen Negation (Moderation: Kay Kirchmann)

Christoph Asmuth (Berlin): Die Bedeutung der Negativität für den Realismus des Bildes

Moriz Stangl (Stuttgart/Tübingen): Ungesättigte Bilder. Für eine Theorie der Negativität
zwischen Satz und Bild

Emmanuel Alloa (St. Gallen): Bilder verneinen! Über ikonische Negation

17.00-17.30 h Kaffeepause

17.30-19.30 h Leerstellen (Moderation: Thorsten Singer)

Matthias Schulz (Braunschweig): Noli me tangere und leeres Grab. Choreographien der
Negation und die Semiose ihrer Räumlichkeit bei Schongauer, Tizian und Veronese

Anna Christina Schütz (Stuttgart): Die Silhouette als Negation der Theorie bildlichen
Darstellens im 18. Jahrhundert

Ruth Horak (Wien): Wenn das Negativ zum Bild wird

20.00 h Abendessen
Do., 5. April 2018

10.30-12.30 h Negativität und Interpiktorialität (Moderation: Hans Dickel)

Jürgen Müller (Dresden): Inversion und Parodie

Eva Wattolik (Erlangen): Funktionsweisen der Parodie. Negations- und
Konstruktionsbewegungen in der US-amerikanischen und japanischen Pop-Art

Marta Smolińska (Poznań): Das Nichtvorhandensein eines Bildes als Bild. Das Gedächtnis des
Mediums und das Spiel mit dem Topos der leeren Leinwand in der Videomalerei

12.30-14.00 h Mittagessen

14.00-16.00 h Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit (Moderation: Alexander Kreische)

Hans Dieter Huber (Stuttgart): Das Bild als Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem
Nicht-Sichtbaren

Kayo Adachi-Rabe (Jena): Der hors-champ im Zeitalter der Postkinematographie

Lars Nowak (Erlangen): Gutter, flicker und andere Negationen in Bildfolgen

16.00-16.30 h Kaffeepause

16.30-18.30 h Negierende Gebrauchsbilder (Moderation: Lars Nowak)

Miriam Ommeln (Karlsruhe): Die technische Zeichnung und ihr Kehrbild. Punkt und Linie aus
philosophischer Sicht

Ulrich Richtmeyer (Potsdam): Der paradoxe Status bildlicher Negativität in der
sinnesphysiologischen Präsentation optischer Täuschungen

Christoph Ernst (Bonn): Negation, Positivierung und Negativität. Bildnegativität aus Sicht der
Diagrammatik

19.00 h Abendessen
Fr., 6. April 2018

09.30-11.30 h Negation und Affirmation (Moderation: Carolin Lano)

Christoph Poetsch (Heidelberg): Mehr qua Negation. Der Bildbegriff des Johannes von
Damaskos gelesen mit der Negationstheorie des Proklos

Jan Mollenhauer (Frankfurt a.M.): Tante Myrtle

Thierry Greub (Köln): Cy Twomblys Transformation der Negation

11.30-12.00 h Kaffeepause

12.00-14.00 h Selbstverneinungen (Moderation: Eva Wattolik)

Michael Rottmann (Basel): Negotiating the Negation. Negationen und Mediendiskurs in der
amerikanischen Kunst um 1960

Judith Elisabeth Weiss (Berlin): „Hiermit trete ich aus der Kunst aus“. Von der Negation im Bild
zum Bild der Negation

Jens Kabisch (Heidelberg): Warum verkörpern Bilder ihre eigenen Verbote?

14.00-14.15 h Verabschiedung
Abstracts und Kurzbiographien

Kayo Adachi-Rabe: Der hors-champ im Zeitalter der Postkinematographie

Seit ihrer Entstehung konfrontiert sich die Filmkunst mit der Wechselbeziehung zwischen dem Sichtbaren
und dem Nicht-Sichtbaren, um die Entwicklung des Denkens und der Wahrnehmung der Moderne in
Richtung der Abstraktion souverän fortzuführen. Die nicht sichtbare Peripherie einer filmischen Darstellung,
die aber im Zusammenhang mit ihrem sichtbaren Teil als Seiendes wahrgenommen wird, ist mit dem
Terminus ‚hors-champ‘ (‚außerhalb des Bildfeldes‘) gekennzeichnet. Nach dem Normwandel zur
Postkinematographie ist eine Reihe von Qualitätsänderungen des hors-champ zu beobachten. Die technische
Innovation in der audiovisuellen Repräsentation bewirkte vor allem eine Intensivierung der Sicht- und
Hörbarkeit. Es scheint beinahe so, als gäbe es kaum noch etwas, das man nicht darstellen kann. Dieser
Eindruck der Grenzenlosigkeit der Fiktion führte aber paradoxerweise zu einer verstärkten Virtualität des
Bildes und einer Verdrängung des Nicht-Sichtbaren in einen weiteren Außenbereich. Als Antithese zu dieser
Medienkultur der Sichtbarmachung manifestiert sich eine neue Ästhetik des hors-champ. Dieser zeichnet
sich nun durch eine stärkere Autonomie aus, in der er sich nicht mehr dem Bild unterordnet. (In diesem
Zusammenhang wirkt der Begriff ‚hors-champ‘ beinahe veraltet.) Vielmehr beeinflusst das Off das
Bildgeschehen. Früher versuchten wir, den Off-Bereich mithilfe des Bildes und des Tons ‚abzutasten‘,
während heute der hors-champ uns ‚seine Hand reicht‘ und mit uns direkter kommuniziert. Die Abstraktheit
des Außengebiets ist so weit fortgeschritten, dass dieser nicht mehr anhand der Zentralperspektive
konstruiert und ‚ordnungsgemäß‘ an das Bildfeld angeschlossen ist. Der hors-champ schöpft sich neu, indem
er sich ausweitet, verformt und präzisiert, so dass er mit seiner dominanten ‚Präsenz‘ den champ überwältigt.
Die digitale Aufnahme- und Bildverarbeitungstechnik sowie vor allem die Entwicklung des sound design
tragen dazu bei, eine komplexe Weltvorstellung unserer Zeit filmästhetisch zu arrangieren. Das Wesentliche
an dieser Tendenz scheint aber darin zu liegen, dass sie eine Ausreifung des Denkens zur Affirmation der
Negation repräsentiert, die nicht nur die Geschichte der Kunst und Philosophie, sondern auch ihre Rezeption
durch uns im Zusammenhang mit der mediatisierten Umwelt prägt.

Kayo Adachi-Rabe, Dr. Phil., hat Germanistik an der Rikkyô-Universität Tokyo sowie Theaterwissenschaft und
Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin studiert und 2002 in Medienwissenschaft an der Philipps-
Universität Marburg mit einer Arbeit über den filmischen hors-champ promoviert. Sie war von 1997-2009
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Instituten für Japanologie der Humboldt-Universität zu Berlin und
der Universität Leipzig, von 2009-10 Stipendiatin am Deutschen Seminar der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen, 2012 Vertretungsprofessorin im Institut für Modernes Japan der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf und 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dozentur für Film- und Medienwissenschaft an der
Bauhaus-Universität Weimar. Derzeit ist sie Lehrbeauftragte am Seminar für Kunstgeschichte und
Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Arbeitsschwerpunkte: Ästhetik und Theorie des
Films. Auswahlpublikationen: Abwesenheit im Film. Zur Theorie und Geschichte des hors-champ, Münster
2005; hg. mit Andreas Becker, Körperinszenierungen im japanischen Film, Darmstadt 2016; „Die Ästhetik der
Unvollkommenheit im Teeweg und im Film“, in: Rabbit Eye 8 (2016), 44-66.
Emmanuel Alloa: Bilder verneinen! Über ikonische Negation

„Pictures can’t say ain’t“. Sol Worths klassischer Aufsatz fasst die gängige Meinung zusammen: Bildern fehlt
allgemein die Fähigkeit zur Negation. Diese Meinung wurde in der Geschichte der Bildtheorien immer wieder
vorgetragen und findet prominente Verteidiger, etwa in Sigmund Freud oder Ludwig Wittgenstein. Im
Vortrag soll ein Gegenentwurf vorgestellt werden, der zu argumentieren versucht, dass es durchaus eine
ganze Reihe von Modi ikonischer Negation gibt, die es erst einmal in ihrer Eigensinnigkeit zu analysieren
gälte. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass der Negationsbegriff selbst zu eng, weil von der propositionalen
Sprache her gedacht wird. An Magrittes Gemälde La Trahison des images und seinen Abwandlungen lässt
sich ein wichtiges Merkmal der Negation gewinnen: Negationen wollen bestimmt werden, sie brauchen
einen Geltungsbereich, ohne den sie asymptotisch zur Bedeutungslosigkeit tendieren. Dennoch wurde die
negative Bestimmung oft zu eng gefasst, nämlich im Sinne von Spinozas omnis determinatio est
negatio. Jenseits der bestimmten Negation, zu der sich Bilder schlechter eignen, gibt es den ganzen Bereich
der unbestimmten Negation, die Bilder möglicherweise viel besser zum Ausdruck bringen als eine klassische
Grammatik der propositionalen Negativaussage. Bilder sind Differenzmatrizen, in ihr strukturieren sich
Kräfte, Formen und Gestalten, ohne dass sie dem principium contradictionis unterworfen wären. Im Grunde
hatte dies jedoch schon Wittgenstein beobachtet, als er zwar verneinte, dass man eine Kontradiktion
versinnbildlichen kann, dafür aber bestätigte, dass man das Konträre im Bild zeichnen kann. Wenn also Bilder
einerseits besonders schlecht dazu geeignet sind, die determinierten Negationen der Verbalsprache zu
ersetzen, sind sie möglicherweise andererseits besonders gut dazu geeignet, an sich selbst das Kräftespiel
kontrastierender Bewegungen zu verdeutlichen.

Emmanuel Alloa, Prof. Dr., hat ein Studium der Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und
Kulturwissenschaft in Freiburg i. Br., Padua, Berlin und Paris absolviert, das 2009 mit einer binationalen
Promotion in Philosophie an der Freien Universität Berlin und der Sorbonne abgeschlossen wurde. Von 2005-
09 unterrichtete er Ästhetik am Département d’Arts Plastiques der Universität Paris VIII (Vincennes-Saint
Denis). Alloa war von 2009-12 Postdoc-Projektmitarbeiter beim NFS Bildkritik/eikones und von 2012-16
Assistenzprofessor für Kulturtheorie und Kulturphilosophie an der Universität St. Gallen, wo er seit 2016 als
Research Leader in Philosophie tätig ist. Er war ferner seit 2010 als Visiting Fellow und Gastprofessor an der
Universidad Michoacana de San Nicolás de Hidalgo in Mexiko, der Universidade Federal de Minas Gerais in
Brasilien, der Universität Lyon III (Jean Moulin), der Columbia University in New York, der Universität Wien
und dem Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar. Für seine
wissenschaftlichen Leistungen wurde Alloa 2016 mit dem Latsis-Preis ausgezeichnet. Arbeitsschwerpunkte:
Bild- und Medienphilosophie, Ästhetik, Phänomenologie, französische Gegenwartsphilosophie,
Sozialphilosophie. Auswahlpublikationen: La Résistance du sensible. Merleau-Ponty critique de la
transparence, Paris 2008; Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Berlin/Zürich
2011; Les Partages de la perspective, Paris 2018.
Christoph Asmuth: Die Bedeutung der Negativität für den Realismus des Bildes

Der Beitrag geht von der Struktur der Bildlichkeit aus. Dabei versucht er, die Frontstellung von Zeichentheorie
und Phänomenologie des Bildes ebenso zu vermeiden wie die Opposition von Bild und Wort. Ein
transzendentaler Begriff der Negation – als Bedingung der Möglichkeit von Bildwahrnehmung und
Zeichenverwendung – ermöglicht eine funktionale Analyse der Bildlichkeit. Dies setzt die negativistische
Bildauffassung allerdings in Gegensatz zu einem positivistischen oder materialistischen Realismus. Bildlichkeit
setzt insofern einen gedanklichen Akt voraus, der in keiner materialistischen oder positivistischen Theorie
des Bildes Berücksichtigung findet. Trotzdem müssen natürlich die Materialität und die positive Vielfalt von
Bildern Berücksichtigung finden. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass das Materielle nicht als
vorrangige oder grundlegende Eigenschaft von Bilddingen, sondern als etwas im Bild betrachtet wird, eine
Überlegung, die die Materialität gerade für die Bilder der Kunst besonders aufwertet. Schließlich ermöglicht
die Negationstheorie des Bildes, besondere Phänomene der Bildlichkeit zu erklären, z.B. das Problem der
Kontextuierung von Bildern sowie die Frage nach der Grenze des Bildes.

Christoph Asmuth, Prof. Dr. habil., hat von 1983-92 an der Ruhr-Universität Bochum Philosophie,
Germanistik, Pädagogik und Geschichte studiert, 1995 ebendort in Philosophie promoviert und 2003 im
selben Fach an der Technischen Universität Berlin habilitiert, wo er seit 2009 als außerplanmäßiger Professor
tätig ist. Er war von 1997-98 und von 2006-08 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von 1996-
98 Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum und von 1998-2004
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Technischen Universität Berlin. Von 2001-06
arbeitete Asmuth als Dozent am Inter University Centre Dubrovnik, wo er seit 2007 den Kurs
Transzendentalphilosophie leitet. Er hat von 2009-12 das BMBF-Forschungsprojekt Translating Doping –
Doping übersetzen und von 2013-16 das BMBF-Projekt Anthropofakte geleitet. Nach Gastprofessuren an der
Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Basel ist er derzeit Vertretungsprofessor an
der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Transzendentalphilosophie, Erkenntnistheorie,
Sprachphilosophie, Ästhetik, Hermeneutik. Auswahlpublikationen: Das Begreifen des Unbegreiflichen,
Stuttgart 1999; Interpretation – Transformation, Göttingen 2006; Bilder über Bilder – Bilder ohne Bilder. Eine
neue Theorie der Bildlichkeit, Darmstadt 2011.
Christoph Ernst: Negation, Positivierung und Negativität. Bildnegativität aus Sicht der Diagrammatik

Der Vortrag versucht, das Verhältnis zwischen Bildnegativität und Diagrammatik vor dem Hintergrund eines
systematischen Dreischritts zu bestimmen. Erkenntnisleitend ist dabei die Überblendung von engeren und
weiteren Bild- und Diagrammbegriffen. (1) Negation im Diagramm: Postuliert man einen weiten Bildbegriff,
der das Diagramm einschließt, dann stellt sich im Rahmen der Gattung des logischen Diagramms das Problem
der Negation im Kontext raumbasierter Logik. Die Frage lautet, wie Negationen im Rahmen von Schlüssen,
die in diagrammatischen Zeichen (Kreisen, Linien, Punkten, Symbolen) repräsentiert sind, dargestellt werden
können. (2) Diagrammatische Zeichen als Positivierungen von Bildern: Bezieht sich dieser Aspekt von
Negativität auf das logische Denken mit Diagrammen und darin auf das Spezialproblem der Repräsentation
von Negation im Diagramm, so ergibt sich ein größerer Diskussionszusammenhang, wenn man – ausgehend
von einem engen Bildbegriff, in dem das Diagrammatische etwas dem Bildlichen Äußerliches ist –
diagrammatische Zeichen als Mittel der Transkription von Bildern ansieht. In diesem Fall rücken
diagrammatische Zeichen in die Rolle von Medien der ‚Positivierung‘ des Bildes, arbeiten sie doch am Bild
‚Inhalte‘ heraus, die das Bild nicht repräsentiert, aber im Modus einer anwesenden Abwesenheit enthält. (3)
Negativität diagrammatischer Konfigurationen: Allerdings ist es dann im Umkehrschluss auch möglich, diesen
weit gefassten Begriff diagrammatischer Zeichen selbst wieder auf seine nicht-propositionalen und damit
‚negativen‘ Dimensionen hin zu befragen. Deutlich wird diese Negativität überall dort, wo diagrammatische
Zeichen ihrerseits als unterspezifizierte und auslegungsbedürftige Konfigurationen in Erscheinung treten, so
beispielsweise im Kontext der Frage nach der Gestalt und den Grenzen von ‚Diagrammen‘ aller Art. Das
Problem der Negation im Diagramm erweitert sich hier zum Problem einer Negativität, die diagrammatischen
Formen in Gänze eigen ist.

Christoph Ernst, PD Dr., hat Deutsche Philologie, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Philosophie an der
Universität Mainz studiert und ebendort 2005 in Deutscher Philologie promoviert. 2015 folgte die
Habilitation in Medienwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Gegenwärtig
vertritt Ernst die Professur für Medienkulturwissenschaft an der Universität Bonn. Arbeitsschwerpunkte:
Informationsvisualisierung, Diagrammatik und allgemeine Medientheorie, Theorien des impliziten Wissens
und digitaler Medien, insb. Interfacetheorie, Ästhetik und Theorie der audiovisuellen Medien Film,
Fernsehen und Photographie, Kulturtheorie, insb. Interkulturalität und Fremdheit. Auswahlpublikationen:
hg. mit Birgit Schneider und Jan Wöpking, Diagrammatik. Ein interdisziplinärer Reader, Berlin 2016; hg. mit
Jens Schröter, Navigationen 2/2017, Medien, Interfaces und implizites Wissen; Diagramm, Metapher,
Explikation. Theoretische Studien zur Medien- und Filmästhetik der Diagrammatik, Bielefeld 2018.
Thierry Greub: Cy Twomblys Transformation der Negation

Bildern wohnt stets eine Negation inne, sie ist „konstitutives Moment bildlicher Repräsentation“. Diese
Erkenntnis Gottfried Boehms soll an einem Künstler zur Diskussion und in Frage gestellt werden, der in
exemplarischer Weise dazu prädestiniert ist, zu der Frage nach der Verbindung zwischen Bild und Negativität
Auskünfte erteilen zu können. Das Werk des US-amerikanischen Künstlers Cy Twombly (1928-2011) siedelt
sich an einem prekären und labilen Grad zwischen Abstraktion und Figuration, vermeintlicher Verhöhnung
und Überforderung, Vergessen und Erinnern an. Twombly äußerte selbst: „I’m not a pure. I’m not an
abstractionist completely. There has to be a history behind the thought.“ Von welcher ‚Geschichte‘ spricht
er? Twomblys Kunstwerke (seine Gemälde, Zeichnungen, Plastiken und Photodrucke) werden seit den
1950er Jahren von der Kunstkritik mehrheitlich in negativen Wendungen erfasst: Sie seien ‚ungekonnt‘,
‚ungelenk‘, irgendwie ‚unartig‘ und erschienen wie ‚unfertig‘. Noch Roland Barthes’ berühmter Bestimmung
seiner gezeichneten Linie als „gauche“, also ‚linkisch‘, eignet die negative Konnotation des Verpatzens und
des Ungenügens. Im Vortrag sind solche verbalen Negationen darauf hin zu untersuchen, inwieweit sie in
diesem Fallbeispiel den Blick auf die Kunst Twomblys tragen. Es zeigt sich, dass der rein negativen
Bestimmung eine positive nicht nur gegenübergestellt werden muss, sondern dass diese erst eine
Bilderfahrung ermöglicht, die seine Kunst vermitteln will. Erst die Transformation der verbalen Negation in
eine visuelle Bildwirkung – nun nicht mehr rein negativer Art – erlaubt es, in Twomblys Werken seine
„history“ zu erkunden. Was Bilder in ihrer ontologisch fundierten doppelten Grundierung von Zeigen und
Negieren einlösen, spiegelt sich in Twomblys Werk als eine latente Aufhebung des Scheiterns in Gelingen,
der Beschmutzung in Unschuld, des Verglimmens in ein Aufscheinen erzählter Spuren: die Negation der
Negation. Twomblys Gemälde machen mithin unmerklich sichtbar, was die Grundbestimmung dessen ist,
was wir ‚Bild‘ nennen.

Thierry Greub, PD Dr., hat Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik an der Universität Basel studiert,
2001 über Johannes Vermeer promoviert und 2017 über Cy Twombly habilitiert. Er war von 1997-2000
Wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. Gottfried Boehm am Kunsthistorischen Seminar der Universität
Basel und kuratierte von 2002-08 als Stellvertretender Direktor des Art Centre Basel die Ausstellungen
Meisterwerke mittelalterlicher Kunst aus dem Nationalmuseum in Warschau, Museen im 21. Jahrhundert.
Ideen, Projekte, Bauten sowie Homer. Der Mythos von Troia in Dichtung und Kunst. Seit 2009 ist Greub
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln.
Arbeitsschwerpunkte: Cy Twombly, Johannes Vermeer, Velázquez’ Las Meninas, spätgotische Schnitzaltäre,
Peter Zumthor. Auswahlpublikationen: Hg., „Las Meninas“ im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in die
Methoden der Kunstgeschichte, Berlin 2001; Hg., Cy Twombly. Bild, Text, Paratext, München 2014; Das
ungezähmte Bild. Texte zu Cy Twombly, Paderborn 2017.
Ruth Horak: Wenn das Negativ zum Bild wird

In vielerlei Hinsicht orientiert sich die digitale Photographie an Funktionen und Begriffen von analogen
Aufnahmeverfahren. Was mit der Digitalisierung jedoch endgültig obsolet wurde, ist der photographische
Film und mit ihm das Negativ als notwendiger Zwischenschritt hin zum eigentlichen Ergebnis, dem positiven
Bild. Laut Statistik Austria wurde 2010 der Farbnegativfilm aus dem Warenkorb des Verbraucherpreisindex
gestrichen und mit ihm die Entwicklung von Farbnegativfilmen sowie die Farbbildvergrößerung. Dabei
repräsentiert(e) das Negativ jenen indexikalischen Schritt, den Roland Barthes, Rosalind Krauss und andere
als essenziell für die Photographie beschrieben haben. Wodurch definiert sich das photographische Negativ?
Durch seinen Status als ‚Original‘ – ist es doch gemeinsam mit dem Photographen dort, vor Ort, gewesen,
wo das Objekt aufgenommen wurde –, durch seine zeitliche Vorrangstellung, durch seine Eigenschaft als
Miniatur und durch seine ungewöhnliche Erscheinung, weil das Negativ es wagt, die gewohnten Licht- und
Farbverhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren. Noch indexikalischer als das Negativ ist das Photogramm. Es
weist die größte Nähe zum Original auf, das es tatsächlich berührt hat, und gleichzeitig die größte Distanz,
weil es sein Aussehen nicht in der gewohnten Weise vermittelt, da es ebenfalls ein Negativ ist. Photogramme
‚bestätigen‘ die Theorie von der Spur, vom Abdruck, mit dem der analoge photographische Prozess
verglichen wird. Sie sind buchstäblich Abdrücke jener Gegenstände, die auf dem lichtempfindlichen Papier
gelegen haben, wenn auch nicht Abdrücke ihres Gewichts, so doch ihrer Schatten. Seitdem die Photographie
digital ist, wird ihr ursprünglich analoges Wesen immer wieder in den Fokus der künstlerischen Reflexion
genommen. Negativ und Photogramm sind dabei nicht unwesentliche Bezugsfelder, da sie einen großen
Abstraktionsgrad aufweisen, sich also dem wiedererkennenden Sehen verweigern und damit ganz
ursprüngliche Charakteristika des Mediums hervorheben.

Ruth Horak, Mag., hat Kunstgeschichte an der Universität Wien studiert. Sie ist Autorin und
Ausstellungskuratorin für zeitgenössische Kunst und Photographie und hat seit 2000 diverse Lehraufträge
zur Theorie der Photographie, darunter an der Kunstuniversität Linz und der Universität für angewandte
Kunst Wien, wahrgenommen. Horak ist External Expert des Artistic Research-Projektes Reset the Apparatus!
und gehört dem Beirat der Zeitschrift EIKON sowie dem Photobeirat und dem Mentoring-Pool des
österreichischen Bundeskanzleramtes an. Arbeitsschwerpunkte: Auswirkungen der Digitalisierung auf die
künstlerische Photographie, konzeptuelle Strategien und Medienreflexivität, Abstraktionstendenzen in der
Photographie, Geschichte der angewandten Photographie, Medienutopien in Science-Fiction-Romanen der
1970er Jahre. Auswahlpublikationen: hg. mit Tamara Horáková, Ewald Maurer und Johanna Hofleitner,
Image: /images. Positionen zur zeitgenössischen Fotografie, Wien 2002; Hg., Rethinking Photography I + II.
Narration und neue Reduktion in der Fotografie, Salzburg 2003; mit Claudia Rohrauer, Neulich im Labor,
Salzburg 2016.
Hans Dieter Huber: Das Bild als Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sichtbaren

Wenn Wahrnehmung eine Form von Unterscheidung ist, dann teilt Wahrnehmung die Welt in zwei Teile:
nämlich in einen beobachteten und bezeichneten Teil, der in der Wahrnehmung erfasst wird, und in eine
Außenseite der Unterscheidung, die in der Wahrnehmung latent, unbeobachtet und ausgeblendet bleibt.
Durch eine Änderung der Wahrnehmungsunterscheidung kann diese Außenseite jedoch wiederum zur
bezeichneten      Innenseite     einer     neuen     Wahrnehmungseinstellung         werden.    Über      den
Wahrnehmungsmechanismus der Unterscheidung ist auch das Bild in eine Dialektik von Sichtbarkeit und
Unsichtbarkeit eingebunden. Jede Beobachtung und Unterscheidung eines bestimmten Details, eines
Bildelementes oder eines ganzen Bildes in der Wahrnehmung basiert auf der Ausschließung einer
unmarkierten Außenseite (George Spencer-Brown). Der polnische Philosoph Roman Ingarden hat Bilder als
‚schematische Gebilde‘ bezeichnet, die auf der Ebene der bildlichen Darstellung nicht vollständig bestimmt
sind. Diese enthält zahlreiche Leer- oder Unbestimmtheitsstellen, die vom Betrachter auf eine vom Bild selbst
her nicht vorgegebene und nicht verifizierbare Weise durch seine Phantasietätigkeit aufgefüllt werden
können. Jede bildliche Darstellung operiert also an der Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-
Sichtbaren, an der das emotional-kognitive System des Betrachters einen Übergang vollzieht von einem
physisch-materiellen Objekt zu einer biologisch fundierten, emotional-kognitiven Dynamik. Bilder beginnen
und enden also nicht vollständig und ausschließlich im Sichtbaren, sondern sind über diese Schnittstellen von
Unbestimmtheit mit der Phantasie und dem Wissen beziehungsweise Nicht-Wissen eines Betrachters und
dessen Wahrnehmungsunterscheidungen verknüpft.

Hans Dieter Huber, Prof. Dr. habil., hat von 1973-77 Malerei und Graphik an der Akademie der bildenden
Künste in München und von 1977-86 Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie in Heidelberg studiert.
Er promovierte 1986 mit der Arbeit System und Wirkung. Interpretation und Bedeutung zeitgenössischer
Kunst und habilitierte 1994 mit der Arbeit Paolo Veronese. Kunst als soziales System. Huber war von 1997-
99 Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und ist seit 1999
Professor für Kunstgeschichte der Gegenwart, Ästhetik und Kunsttheorie an der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste Stuttgart, wo er seit 2006 auch den Internationalen Masterstudiengang Konservierung
Neuer Medien und Digitaler Information leitet. Huber war von 2006-09 assoziiertes Mitglied des DFG-
Graduiertenkollegs Bild, Körper, Medium an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, 2007 Senior Fellow am
Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien und von 2009-15 Mitglied des erweiterten
Vorstands der Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft. Er ist seit 2007 Mitglied im International
Council of Museums, seit 2013 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des International Institute for
Subjective Experience and Research an der Medical School Hamburg, seit 2016 Stellvertretender
Vorsitzender des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart und seit 2017 Mitglied des Stiftungsrates der
Adolf-Hölzel-Stiftung Stuttgart. Arbeitsschwerpunkte: zeitgenössische Kunst und Kunst des 20. Jahrhunderts,
Kunsttheorie,      Ästhetik,    Kunstpsychologie,     -soziologie    und       -pädagogik,    Medientheorie.
Auswahlpublikationen: System und Wirkung. Interpretation und Bedeutung zeitgenössischer Kunst, München
1989; hg. mit Bettina Lockemann und Michael Scheibel, Bild/Medien/Wissen. Visuelle Kompetenz im
Medienzeitalter, München 2002; Bild – Beobachter – Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft,
Ostfildern-Ruit 2004.
Jens Kabisch: Warum verkörpern Bilder ihre eigenen Verbote?

Der französische Rechtshistoriker Pierre Legendre stellt seiner Rechtsanthropologie das Motto voran: „Das
Bild ist das Dogma.“ Mit diesem Diktum weist er auf die tiefgreifende Bedeutung von Bildern für die Ordnung
der imaginären und symbolischen Realität verschiedener Kulturen hin, die weit über die visuelle Präsenz und
die ikonographischen Konventionen von Bildern hinausweisen. Bilder regeln den Bezug zur Welt. Sie stiften
(oftmals negativ) Konzepte wie Wahrheit und führen das Subjekt, so Legendre, in die Welt der Institutionen
ein. Aufbauend auf diesen Gedanken von Legendre, greift der Vortrag einen besonderen Aspekt dieser
Verknüpfung von Bildern und Normen auf, der sich mit der Thematik der Negativität von Bildern beschäftigt.
Heißt es oftmals, Bildlichkeit schließe grundsätzlich jede Art der Negativität aus (Dieter Mersch), muss das
Bild selbst als komplexes Arrangement der Negation verstanden werden. Bilder sind nämlich, so die
Arbeitshypothese, Objekte mit zwei Naturen: Sie überführen Erfahrungen von Widerständigem in eine
symbolische Medialisierung von Negation; und mit dieser Übertragung des Widerständigen in ein System der
Verneinung prägen und stiften sie die kulturellen Verfahrensweisen, wie man mit Negationen umzugehen
hat. Diesem Paradox oder dieser doppelten Natur der Bilder, sowohl passives Objekt als auch handelnder
Aktant zu sein, geht der Vortrag nach, um die Konsequenzen für die Frage nach dem Stellenwert der Bilder
zu erörtern, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft. So soll gezeigt werden, inwieweit Bilder
dabei einerseits Regeln ihrer eigenen Negation vorgeben – Regeln, die nicht nur die Art und Weise festlegen,
wie etwas dargestellt oder nicht dargestellt werden darf. Andererseits wäre soll demonstriert werden, wie
Bilder als Verknotung von Darstellung und Verbot weitreichende Effekte für die Ausbildung aller Normen
einer Gesellschaft haben. So sind Bilder auch immer mediale ‚Verkörperungen‘ des Unsagbaren, die in
verschiedenen Religionen zu grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen von Repräsentation oder
Mimesis führen. So paradox dies auch anmuten mag, sind Bilder immer Aktanten ihres eigenen Verbots.
Mithin zielt der Beitrag zum einen darauf ab, nachzuweisen, dass das Bild immer schon seine eigene
Verneinung einschließt, um im strukturellen Sinne überhaupt Bild sein zu können. Zum anderen soll
aufgezeigt werden, inwieweit Bilder und ihre Verbote selbst den Bezug zur Welt und Realität regulieren und
strukturieren.

Jens Kabisch, Dr., hat Bildende Kunst in München, Berlin und London studiert und nach einer mehrjährigen
Tätigkeit als Künstler 2013 im Fach Bildwissenschaften an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
promoviert. Derzeit habilitiert er an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg zum Zusammenhang von
Bilderverboten und der Rationalität juridischer Ordnungen. Arbeitsschwerpunkte: politisch-theologische
Gründungsfiguren, politische Ikonologie, dogmatische Anthropologie. Auswahlpublikationen: Innocent
Nation. Barack Obama und die Politik der Authentizität, Wien 2013; „Immerwährende Gegenwart. Zur Poetik
des US-amerikanischen Freilichtmuseums“, in: Stefan Krankenhagen und Viola Vahrson (Hgg.), Geschichte
kuratieren. Kultur- und kunstwissenschaftliche An-Ordnungen von Geschichte, Köln 2017, 15-32;
„Surveillance/Counter-Surveillance“, in: Kritische Berichte XLIV/1 (2016), 45-47.
Jan Mollenhauer: Tante Myrtle

Negation sei, so Sigmund Freud 1925 in seinem Aufsatz „Die Verneinung“, eine Form, in der verdrängte
Vorstellungen ins Bewusstsein gelangen können. Wie so häufig in der psychoanalytischen Theoriebildung
reüssiert auch hier das Paradox: Das, was negiert wird, wird gerade und ausschließlich in diesem Modus
zugänglich. Ausgehend von diesem Konzept der Verneinung, schlägt der Beitrag eine psychoanalytische
Annäherung an die Frage von Bild und Negativität vor. Freud, so die These, kann nämlich als avancierter Bild-
und Medientheoretiker gelesen werden. Stellt man der Negation noch den Wiederholungszwang mit seiner
verfehlenden Iteration sowie das Unheimliche mit seiner verfremdenden Qualität an die Seite, so entsteht
eine psychoanalytische Bildtheorie, die Negativität produktiv wendet. Diese methodischen Überlegungen
werden an einem konkreten historischen Fallbeispiel, welches sich ungefähr parallel zur psychoanalytischen
Theoriebildung vollzieht, ‚durchgearbeitet‘: Als ‚lynchings‘ werden die rituellen Morde an
Afroamerikaner_innen bezeichnet, die weiße Vigilanten zwischen 1880 und 1952 hauptsächlich, aber nicht
nur im Süden der USA begingen. Die informellen Hinrichtungen zeichneten sich durch überbordende Gewalt
aus. Die Opfer, in der Mehrzahl afroamerikanische Männer, wurden gequält und unter spektakulären
Bedingungen ermordet. So bildete die Kastration einen integralen Bestandteil des Lynchens. Ebenso zentral
war das Ringen um reliquienartige Andenken wie Kleidungsstücke oder Körperteile. Die lynchings erhalten
im massenmedialen Zeitalter um 1900 besondere Streuweite. Hauptsächlich unter Weißen zirkulierten
professionell und ab 1888 – mit der Marktreife der ersten Kodak-Kamera – ebenso von Laien angefertigte
Photographien, die auch als Postkarten versendet oder in Familienalben geklebt wurden. Gegen die in der
Forschung herrschende Lesart dieser Photopostkarten stellt der Vortrag die psychoanalytische Fokussierung
auf die Bildnegation: Die visuellen Politiken der Lynching-Postkarten verfehlen sich zwangsläufig selbst.
Durch den Tod des ‚anderen‘ soll eine Überlegenheit der weißen Gemeinschaft als Über- oder Weiterleben
behauptet werden. Dies erweist sich gerade dadurch, dass es im Bild gebannt werden soll, als prekär. Der
Tod, den wir alle dem Leben schulden (Freud), sucht das Bild und seine Betrachtenden heim. Unter
Bezugnahme auf die Photoserie Erased Lynchings von Ken Gonzales-Day soll dieser Zusammenhang
verdeutlicht werden.

Jan Mollenhauer, M.A., hat ein Studium der Kulturwissenschaft und Literaturwissenschaft in Berlin und Los
Angeles absolviert, das 2016 mit der Arbeit Traum und Technologie. Vergessen in Los Angeles 1915/1971
abgeschlossen wurde. Derzeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Graduiertenkolleg
Konfigurationen des Films an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: postkoloniale
visuelle Kultur, Bildgeschichte des Holocaust, Psychoanalyse.
Jürgen Müller: Inversion und Parodie

Der Vortrag behandelt das Thema von Bild und Negativität in Bezug auf das Phänomen einer inversen
Bildrhetorik, nämlich der ‚Verkehrung‘ berühmter antiker und italienischer Vorbilder in der
nordeuropäischen Malerei und Graphik des 16. Jahrhunderts. Darunter ist zu verstehen, dass Bildformeln
und Motive der Historienmalerei in einen Genrekontext überführt und zugleich ‚erniedrigt‘ werden. Solche
Inversionen haben zweifelsfrei einen parodistischen Effekt, der allerdings lediglich einem kennerschaftlichen
Publikum zugänglich ist. Auf diese Weise kann im Rahmen einer Bordelldarstellung aus Raffaels Motiv der
keuschen Nymphe Galathea eine Prostituierte werden oder sich der leidende Laokoon in einen saufenden
Landsknecht verwandeln. Es liegt nahe, hier nicht nur eine komische, sondern auch eine theoretische Absicht
zu erkennen, die gleichermaßen kanonische Forderungen damaliger Imitatio-Lehre, aber auch das Konzept
der Gattungshierarchie kritisch bewertet. Schließlich wird zu fragen sein, ob es sich bei solchen Inversionen
in rhetorischer Hinsicht um Chiasmen handelt. Mehr noch, wenn etwas zugleich als hoch und niedrig
erscheint, mutet es sogar paradox an. Gegenstand des Referats soll eine kurze Übersicht und eine
theoretisch-methodische Einschätzung sein, die Parallelen zu Erasmus’ Lob der Torheit ziehen soll, aber auch
Fragen von Negation als bildlicher Kopräsenz behandeln will. In Bezug auf Tafelbild und Gemälde sind Fragen
zeitlicher Rezeptionsvorgaben sogar als konstitutiv zu erachten. Inversionen kann es nur geben, wenn auf
Seiten des Betrachters Prozesse der Neu- oder Umbewertung stattfinden: Erst nimmt man den
propositionalen Gehalt des Bildes, dann die sich in ihm ereignende Umkehrung, schließlich die sich nicht
auflösende Ambivalenz des Dargestellten als hoch und niedrig zugleich zur Kenntnis. Aus dieser Perspektive
ließe sich für das Phänomen einer inversen Bildrhetorik vorläufig behaupten, dass die durch das Bild
veranlassten Negationen ihre Voraussetzung im Auseinandertreten syntaktischer und semantischer
Strukturen haben.

Jürgen Müller, Prof. Dr. habil., hat Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Bochum, Paris, Pisa,
Amsterdam und Münster studiert, 1991 an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und 2002 an der
Universität Kassel habilitiert. Er war von 2000-01 und von 2001-02 Gastprofessor an der Universität Paris III
(Sorbonne Nouvelle) sowie 2001 und 2002 Vertretungsprofessor an der Hochschule der Künste Berlin. Seit
2002 ist er Ordinarius für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Technischen Universität Dresden. In
den Jahren 2009-14 war Müller Senior Fellow an diversen Forschungseinrichtungen, darunter am
Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar und am Historisch-
Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Trier. Arbeitsschwerpunkte: Kunst der Frühen Neuzeit,
Photogeschichte, Filmgeschichte. Auswahlpublikationen: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie
Pieter Bruegels d.Ä., München 1999; hg. mit Thomas Schauerte und Bertram Kaschek, Von der Freiheit der
Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit, Petersberg 2013; Der sokratische Künstler.
Studien zur Ikonologie von Rembrandts „Nachtwache“, Leiden 2015.
Lars Nowak: Gutter, flicker und andere Negationen in Bildfolgen

Ein Einwand, der bisweilen gegenüber der Annahme piktorialer Negationen erhoben wird, lautet, dass die
dem Bild zugeschriebenen Verneinungen zu unspezifisch seien, um einem Vergleich mit den Negationen der
Verbalsprache standhalten zu können. Diese Argumentation lässt sich unter anderem dadurch entkräften,
dass man anstelle einzelner Bilder Verkettungen mehrerer Bilder betrachtet. Denn hier können Bilder die
Objekte ihrer Negationen mit hoher Präzision bestimmen. Der Vortrag wird diese These anhand zweier
unterschiedlicher serieller Bildmedien zu entfalten versuchen, nämlich anhand des Comics, der seine panels
im Raum nebeneinander stellt, und des Filmes, der seine Kader und Einstellungen in der Zeit aufeinander
folgen lässt. Die Verneinungen in diesen spatialen und temporalen Bildfolgen sind auf zwei Ebenen
angesiedelt: Zum einen können die zugehörigen Bilder einander in ähnlicher Weise widersprechen, wie es
bereits bei voneinander unabhängigen Bildern möglich ist. Dabei lässt sich eine besondere Negativität jenen
Bildern attribuieren, in denen Elemente fehlen, welche in anderen Bildern vorhanden sind. Hinzu kommt im
Fall des Filmes, dass die einander ablösenden Kader zu einem Bewegtbild verschmelzen, in dem die zwischen
ihnen bestehenden Differenzen durch Transformationen vermittelt werden. Das geschieht aber im Fall der
Opposition von An- und Abwesenheit nicht nur durch den Vorgang des Erscheinens, sondern auch und vor
allem durch das Verschwinden. Zum anderen schließen zwei zum selben Comic oder Film gehörende Bilder
im Unterschied zu einem einzelnen Bild, aber auch zu zwei selbständigen Bildern nicht mehr eine unendliche
spatiale und temporale Umgebung aus, sondern werden durch einen räumlichen oder zeitlichen Abstand
voneinander getrennt, der genauso endlich und scharf umrissen wie sie selbst ist. Diese Distanzen sind auf
der Ausdrucksebene konstitutiv; denn genauso wie die panels eines Comics durch einen gutter getrennt
werden müssen, bedarf der filmische Bewegungseindruck zwingend dunkler Phasen zwischen den Kadern.
Doch auch auf der Inhaltsebene können zwischen den panels eines Comics und den Einstellungen eines
Filmes – in genauer Entsprechung zu Wolfgang Isers Begriff der Leerstelle, der sich gerade auf die
Gelenkstellen eines Textes bezieht – spatiale, temporale und kausale Lücken unterschiedlicher Größe liegen.
Und schließlich können beim Film die beiden Ebenen der Bildverkettung in Resonanz treten, wenn
Flickerfilme wie Peter Kubelkas Arnulf Rainer oder Tony Conrads The Flicker die für gewöhnlich in der
technischen Tiefenstruktur verborgenen Unterbrechungen des kinematographischen Bildes an dessen
ästhetische Oberfläche holen.

Lars Nowak, PD Prof. Dr., hat Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie an der Freien
Universität Berlin studiert und 2009 an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar promoviert. Er
war von 2009-11 Postdoktorand am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Trier und 2011
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Medienwissenschaft der Universität Trier. Von 2011-15 leitete er das
DFG-Forschungsprojekt Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860-1960. Nowak
ist seit 2011 Juniorprofessor für Medienwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-
Nürnberg und seit 2012 Mitglied des dortigen Interdisziplinären Medienwissenschaftlichen Zentrums.
Arbeitsschwerpunkte: Kinemato-, Photo- und Kartographie, Zusammenhang von Medien-, Wissenschafts-
und Militärgeschichte, Raumtheorie, Kulturgeschichte des monströsen Körpers. Auswahlpublikationen:
Deformation und Transdifferenz. Freak Show, frühes Kino, Tod Browning, Berlin 2011; hg. mit Stephan Günzel,
KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm, Wiesbaden 2012; Hg., Medien – Krieg –
Raum, Paderborn 2017.
Miriam Ommeln: Die technische Zeichnung und ihr Kehrbild. Punkt und Linie aus philosophischer Sicht

Die Faszination oder Abneigung gegenüber der technischen Zeichnung verweist bereits implizit auf deren
dialogische Struktur und keineswegs auf ihre vermeintlich rein sachliche Zweckmäßigkeit. Dabei präsentierte
sich die technische Zeichnung nicht immer in der heutigen Form, sondern war oftmals farbig gehalten, mit
Text, poetischen Versen oder Hintergrundmalereien versehen. Selbst als Klappbild trat sie früher in
Erscheinung, um dahinterliegende, verdeckte Teile der Maschine und ihre Abwicklungen, kurz, das
Bildgeschehen zu verdeutlichen. Nicht nur, weil der umfangreichste Nachlass an technischen Zeichnungen
von Leonardo da Vinci stammt, sondern auch, weil er mit dem epistemologischen Doppelblick eines Künstlers
und eines Ingenieurs als erster die Maschinenfunktionen treffend zeichnete, soll von seinen Traktaten
ausgegangen werden, um die Palette der vielfältigen Negativitätspotenziale der technischen Zeichnung
differenziert erfassen und dechiffrieren zu können. Dafür greift der Vortrag nicht auf eines der visuell
naheliegendsten Kontrastierungsverfahren zurück, sondern analysiert die beiden Bildkonstituenzien Punkt
und Linie aus philosophischer Sicht, wobei Leonardos Analyse mit Hilfe von Friedrich Nietzsches Sichtweise
fortgeführt und erweitert wird. Beide, Leonardo da Vinci und Nietzsche, zeigen anhand der Grundelemente
die anfänglich auftauchende Dissonanz des Bildlichen und Unbildlichen auf, die zu einer erklärenden
Ausdifferenzierung von dynamischen und statischen visuellen Eindrücken führt. Aus diesem Spannungsfeld,
einer ursprünglich erkenntnistheoretischen Differenzierung, kristallisieren sich unterschiedliche
Kommunikations- und Rezeptionsstile heraus, die sich gegenseitig negieren können. Die Widersprüche und
Brüche bleiben im Bild mehr oder weniger virulent bestehen, woraus sich im Fall der technischen Zeichnung
unter anderem ergibt, dass sie keineswegs auf eine fixierte, starre Konstruktion verweist, sondern diese
geradezu verneint. Konsequenterweise werden das bewegte Bild und Virtual Reality-Darstellungen
affirmiert, was bereits durch die Entwicklungslinie der fast vergessenen, früheren Klappbilder angedeutet
wurde, während eine rein statische und eindeutig festgelegte Bezugnahme negiert wird, wie sie die
minimalistische Technikrepräsentation zu suggerieren scheint.

Miriam Ommeln, PD Dr., hat Philosophie und Physik an der Universität Karlsruhe studiert, wo auch 1999 mit
einer Arbeit über Friedrich Nietzsches Ästhetik und den Surrealismus die Promotion und 2005 mit einer
Arbeit über Virtual Reality die Habilitation erfolgte. Sie nahm Lehraufträge unter anderem an der Hochschule
für Gestaltung Karlsruhe wahr und arbeitet derzeit als Dozentin am Institut für Philosophie des Karlsruher
Instituts für Technologie. Arbeitsschwerpunkte: Kunst und Technik, Technikphilosophie, Medienphilosophie,
Technologien der Virtuellen Realität, Ästhetik, Erkenntnistheorie, Wissensgesellschaft, Nietzsche.
Auswahlpublikationen: Die Technologie der virtuellen Realität. Technikphilosophisch nachgedacht, Frankfurt
a.M. 2005; „Erkenntnistheorie im Virtuellen. Navigation am Widerspruch nach dem Gedanken von
Nietzsches ‚Gegensatz-Charakter des Daseins‘“, in: Renate Reschke und Volker Gerhardt (Hgg.), Friedrich
Nietzsche. Geschichte, Affekte, Medien, Berlin 2008, 95-112; „Die ethische Janusköpfigkeit der Medienkunst.
Die Blickwinkel von Kunst und Informatik, zwischen Kunstfreiheit und Hackerparagraph“, in: Matthias Maring
(Hg.), Bereichsethiken im interdisziplinären Dialog, Karlsruhe 2014, 403-418.
Christoph Poetsch: Mehr qua Negation. Der Bildbegriff des Johannes von Damaskos gelesen mit der
Negationstheorie des Proklos

Was, wenn Bilder nicht nichts, aber auch nicht alles, nicht ‚das Eigentliche‘, nicht ‚das Wahre‘ sind? Dass
Bilder das nicht sind, wovon sie Bild sind, und es doch auf ihre Weise sind, darf als negationstheoretisches
Grundparadox des Bildbegriffes gelten. Seit seiner ersten systematischen Ausformulierung in Platons Dialog
Sophistes ist dem Bild diese enge Bindung an die Negation eingeschrieben, insofern es nicht nichts, aber auch
nicht die ganze Wahrheit ist (Soph. 240a-b). Bildtheoretisch aufschlussreich wird diese Konstellation in der
Folge dort, wo sie auf eine ausgearbeitete Negationstheorie trifft. Dies ist an der Schwelle von Spätantike
und Frühmittelalter bei Johannes von Damaskos der Fall, der – mittelbar oder unmittelbar – auf die
ausgearbeitete Negationstheorie des Neuplatonikers Proklos zurückgreift. Die proklische Negationstheorie
darf als profilierteste der gesamten Antike gelten. Sie unterscheidet drei Grundtypen einer privativen, einer
andersheitlichen und einer transzendierenden Negation (etwa In Parm. 1072,19-1074,21), wodurch die
Negation einen defizienten Mangel, eine koordinierte Andersheit, aber auch ein kategoriales ‚Mehr‘
auszudrücken vermag. Das Verständnis aller drei Typen, insbesondere des paradoxen ‚Mehr‘ qua Negation,
ermöglicht Johannes eine differenzierte Einschätzung des Bildes in jenem negationstheoretischen
Grundparadox (etwa Contr. imag. cal. I,9 und III,12), wodurch sich bei ihm das Verhältnis von Bild und
Negation spezifisch explizieren und präzisieren lässt. Das gemalte, aber auch das verkörperte Bild ist qua
Negation mehr als es vornehmlich darstellt und steht damit zugleich in einer Dialektik, der eine rein
pejorative Sicht auf die Bilder gerade nicht beikommt. Der Vortrag vertritt eine zweifache These: Zum einen
soll gezeigt werden, dass und wie im Umkreis des Ikonoklasmus bei Johannes von Damaskos das Verhältnis
von Bild und Negation durch den Rückgriff auf verschiedene Negationstypen eine paradigmatische und
differenzierte Ausformulierung findet. Zum anderen soll skizziert werden, wie dies direkt mit der Frage
verbunden ist, „ob Bilder auch selbst negieren können und, falls ja, wie sie dies tun“. Hierfür ist insbesondere
auf Forschungen des Kunsthistorikers Herbert Kessler, der diese Problematik im fraglichen Kontext
ausgeführt hat, und auf eigene Vorarbeiten zurückzugreifen, welche diese Form der bildimmanenten
Negation als Frage des (malerischen) Bildraumes weiter ausbuchstabieren. Das theoretische Verhältnis von
Bild und Negation findet so sichtbaren Niederschlag in den Bildern selbst. Ziel des Beitrages ist es folglich,
aus dem Blickwinkel der Philosophie und einer historisch-systematischen Analyse das theoretische Verhältnis
von Bild und Negativität an einer paradigmatischen Station der Geschichte des Bildbegriffs systematisch zu
explizieren. Dabei soll nicht die philologische oder theologische Detailanalyse im Vordergrund stehen,
sondern der Versuch, die historischen Texte transdisziplinär für eine aktuelle systematische Fragestellung
zum Sprechen zu bringen.

Christoph Poetsch, M.A., hat Philosophie, Bildende Kunst und Kunstgeschichte in Heidelberg, Karlsruhe und
Porto studiert. Derzeit promoviert er als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes an der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg über eine systematische Rekonstruktion des Bildbegriffs in der
Philosophie Platons. 2017 war er künstlerischer Stipendiat der Cité Internationale des Arts in Paris und
Research Visitor an der University of Notre Dame in Indiana. Arbeitsschwerpunkte: Bildtheorie, Ästhetik,
Grenzbereich von Philosophie und Kunst, Platonismus, antike Philosophie, Deutscher Idealismus.
Auswahlpublikationen: „Chôra und Vera Icon. Über die Bildräumlichkeit des ‚wahren Christusbildes‘ vor dem
Hintergrund des platonischen Raumbegriffes“, in: Dominic Delarue, Thomas Kaffenberger und Christian Nille
(Hgg.), Raumbilder | Bildräume. Studien aus dem Grenzbereich von Raum und Bild, Regensburg 2017, 43-66;
„Der Aspekt der Hinsicht. Überlegungen zum Verhältnis von Raum und Wissen im platonischen Bildbegriff“,
in: eTopoi, Sonderheft 5 (2015), 64-85.
Ulrich Richtmeyer: Der paradoxe Status bildlicher Negativität in der sinnesphysiologischen Präsentation
optischer Täuschungen

In zahlreichen sinnesphysiologischen Experimenten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde mittels
abstrakter graphischer Bilder für eine grundsätzliche Negation der visuellen Wahrnehmung dahingehend
argumentiert, dass das, was wir sehen, grundsätzlich falsch sei und einer Täuschung unterliege. Diese seither
unter dem Ausdruck ‚optische Täuschung‘ firmierenden Experimente, die gegenwärtig vor allem noch in der
Didaktik der Physik Anwendung finden, stellen im Kontext der Bildnegation einen ausgesprochen paradoxen
Sonderfall dar: Das leitende Argument und zugleich der präzise empirische Bezugsrahmen für den Nachweis
aller Varianten von ‚optischer Täuschung‘ besteht ja selbst im Gebrauch eines hoch artifiziellen graphischen
Bildes, das gesehen werden muss, um zeigen zu können, was wir gewöhnlich nicht sehen, nämlich die
Differenz zwischen unseren visuellen Wahrnehmungseindrücken und den sie strukturierenden
sinnesphysiologischen Bedingungen. Daher wird gerade mit der affirmativen Kraft des Bildes, die uns visuell
affiziert, präzise gegen die Evidenz des Sehens argumentiert, womit das instrumental gebrauchte Bild
einerseits bestätigt, andererseits aber in Frage gestellt wird. Der Vortrag stellt die wichtigsten dieser
historischen Experimente vor und diskutiert ihre begriffliche Sprengkraft für das Thema der Bildnegation.

Ulrich Richtmeyer, Prof. Dr. habil., hat Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar mit einem Abschluss
als Diplom-Künstler und anschließend Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, wo er 2006
promoviert wurde. 2016 folgte die Habilitation in Medienphilosophie an der Universität Potsdam mit einer
Arbeit zu Wittgensteins Bilddenken. Richtmeyer war Forschungsmitarbeiter an der Universität Potsdam am
Lehrstuhl von Prof. Dr. Dieter Mersch (2007-09) und am NFS Bildkritik/eikones (2010) sowie Research Fellow
am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar im Rahmen des
Programms Werkzeuge des Entwerfens (2011-12). Nachdem er von 2013-15 die Professur für Visuelles
Denken und Wahrnehmen an der Universität Potsdam vertreten hat, ist er seit 2017 Professor für
Medienkulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam. Auswahlpublikationen: Kants Ästhetik im Zeitalter der
Photographie. Analysen zwischen Sprache und Bild, Bielefeld 2009; „Logik und Aisthesis. Wittgenstein über
Negationen, Variablen und Hypothesen im Bild“, in: Martina Heßler und Dieter Mersch (Hgg.), Logik des
Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, Bielefeld 2009, 139-162; Hg., PhantomGesichter. Zur Sicherheit
und Unsicherheit im biometrischen Überwachungsbild, München 2014.
Michael Rottmann: Negotiating the Negation. Negationen und Mediendiskurs in der amerikanischen Kunst
um 1960

Der Vortrag legt dar, wie umfang- und facettenreich in der amerikanischen Kunst um 1960 das Problemfeld
der Negation für Bilder behandelt wurde. Dabei wird durch eine kunsthistorische Fallstudie herausgearbeitet,
dass und wie Künstler_innen anhand von Zeichnungen, Gemälden und Objekten der Frage nachgingen, „ob
Bilder auch selbst negieren können“. In einem ersten Teil sollen durch eine kurze Vorgeschichte die
‚Atmosphäre der Negation‘ in der amerikanischen Kunst um 1960 und vorherrschende Facetten der Negation
vorgestellt werden. Angesprochen ist damit der Gestus der Ablehnung (beispielsweise der europäischen
Tradition), gepaart mit einer dualistischen Rhetorik im modernistischen Diskurs und der historischen
conceptual art. In einem zweiten Teil sollen anhand ausgewählter Fallbeispiele und zugehöriger Theorien
unterschiedliche Strategien der Hervorbringung und Reflexion von Negation vorgestellt und
zusammengeführt werden. Auszuführen sein wird beispielsweise, wie sich die Arbeiten von Jasper Johns (im
Anschluss an Ludwig Wittgenstein) selbst zur Disposition stellen und sich in gewisser Hinsicht negieren. An
ihnen, so die Behauptung, lässt sich das ‚Bewusstsein der Nicht-Identität von Objekt und Zeichen‘ erfahren.
Vorzustellen sind des Weiteren die vielfältigen künstlerischen Praktiken der Negation wie das Löschen,
Streichen und Übermalen, mit denen Modi der Negation materialbezogen erprobt, reflektiert und vor Augen
gestellt wurden. Im Sinne der negativen Medientheorie können die Werke existierende Vorstellungen dazu
differenzieren oder erweitern. Schließlich soll am Beispiel von Sol LeWitt und Mel Bochner rekonstruiert
werden, wie sich die historische Konzeptkunst mit der logischen Verneinung und mit Propositionen
auseinandersetzte und was ihre diesbezüglichen medienreflexiven Stoßrichtungen waren. Ein
entscheidender und aufschlussreicher Aspekt hierbei ist, so eine weitere These, die von den Künstlern
produktiv gemachte Bezugnahme auf die Mathematik und deren Darstellungsformen wie Diagramme. Ein
Ziel soll es sein, aufzuzeigen, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Negation
und Bild als Teil einer umfassenden historischen Befragung des Bildes und seiner Spezifik – gerade auch in
Abgrenzung von der Schrift – im Rahmen eines künstlerischen Mediendiskurses zu verstehen ist.

Michael Rottmann, Dr., hat ein Studium der Kunsterziehung und -geschichte, Mathematik und Philosophie
in Stuttgart, Wien und Berlin absolviert, das er mit einer Staatsexamensarbeit über das Verhältnis zwischen
analogem und digitalem Bild an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart abschloss. Mit
Unterstützung der Landesgraduiertenstiftung Baden-Württemberg und des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes promovierte er 2013 im DFG-Graduiertenkolleg Schriftbildlichkeit an der Freien
Universität Berlin in Kunstgeschichte zum Verhältnis von Mathematik und Kunst um 1960. Seit 2017 ist
Rottmann Postdoc Fellow am Institut für Experimentelle Design- und Medienkulturen der Hochschule für
Gestaltung und Kunst Basel mit einem Projekt zur Maschinenkunst. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte und
Theorie von Kunst im 20. und 21. Jahrhundert, (digitale) Medien (Bild, Schrift, Zahl, Diagramm).
Auswahlpublikationen: „Donald Juddʼs Arithmetics and Sol LeWittʼs Combinatorics. On the Relationship
between Visual and Mathematical in New York Art around 1960“, in: Michele Emmer (Hg.), Imagine Math 3.
Between Culture and Mathematics, Heidelberg 2015, 85-98; Aporetische Zonen. Über das Verhältnis von
Schrift, Zahl und Bild zur Sprache im Werk Heinz Gappmayers, Ostfildern 2015; „Is your ‚imaginer‘ ready?
Intention, Kritik und Rezeption der visuellen Kultur der amerikanischen New Math“, in: Claudia Mareis (Hg.),
Designing Thinking. Angewandte Imagination und Kreativität um 1960, Paderborn 2016, 119-148.
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