Bild und Negativität Tagung - Interdisziplinäres Medienwissenschaftliches ...
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Tagung Bild und Negativität Erlangen, 4. bis 6. April 2018 Institut für Theater- und Medienwissenschaft und Interdisziplinäres Medienwissenschaftliches Zentrum der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg Konzeption und Organisation: Lars Nowak, Juniorprofessur für Medienwissenschaft (Visualität und Bildkulturen)
Programm Mi., 4. April 2018 14.00-14.30 h Anmeldung 14.30-15.00 h Begrüßung und Einführung 15.00-17.00 h Theorie der bildlichen Negation (Moderation: Kay Kirchmann) Christoph Asmuth (Berlin): Die Bedeutung der Negativität für den Realismus des Bildes Moriz Stangl (Stuttgart/Tübingen): Ungesättigte Bilder. Für eine Theorie der Negativität zwischen Satz und Bild Emmanuel Alloa (St. Gallen): Bilder verneinen! Über ikonische Negation 17.00-17.30 h Kaffeepause 17.30-19.30 h Leerstellen (Moderation: Thorsten Singer) Matthias Schulz (Braunschweig): Noli me tangere und leeres Grab. Choreographien der Negation und die Semiose ihrer Räumlichkeit bei Schongauer, Tizian und Veronese Anna Christina Schütz (Stuttgart): Die Silhouette als Negation der Theorie bildlichen Darstellens im 18. Jahrhundert Ruth Horak (Wien): Wenn das Negativ zum Bild wird 20.00 h Abendessen
Do., 5. April 2018 10.30-12.30 h Negativität und Interpiktorialität (Moderation: Hans Dickel) Jürgen Müller (Dresden): Inversion und Parodie Eva Wattolik (Erlangen): Funktionsweisen der Parodie. Negations- und Konstruktionsbewegungen in der US-amerikanischen und japanischen Pop-Art Marta Smolińska (Poznań): Das Nichtvorhandensein eines Bildes als Bild. Das Gedächtnis des Mediums und das Spiel mit dem Topos der leeren Leinwand in der Videomalerei 12.30-14.00 h Mittagessen 14.00-16.00 h Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit (Moderation: Alexander Kreische) Hans Dieter Huber (Stuttgart): Das Bild als Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sichtbaren Kayo Adachi-Rabe (Jena): Der hors-champ im Zeitalter der Postkinematographie Lars Nowak (Erlangen): Gutter, flicker und andere Negationen in Bildfolgen 16.00-16.30 h Kaffeepause 16.30-18.30 h Negierende Gebrauchsbilder (Moderation: Lars Nowak) Miriam Ommeln (Karlsruhe): Die technische Zeichnung und ihr Kehrbild. Punkt und Linie aus philosophischer Sicht Ulrich Richtmeyer (Potsdam): Der paradoxe Status bildlicher Negativität in der sinnesphysiologischen Präsentation optischer Täuschungen Christoph Ernst (Bonn): Negation, Positivierung und Negativität. Bildnegativität aus Sicht der Diagrammatik 19.00 h Abendessen
Fr., 6. April 2018 09.30-11.30 h Negation und Affirmation (Moderation: Carolin Lano) Christoph Poetsch (Heidelberg): Mehr qua Negation. Der Bildbegriff des Johannes von Damaskos gelesen mit der Negationstheorie des Proklos Jan Mollenhauer (Frankfurt a.M.): Tante Myrtle Thierry Greub (Köln): Cy Twomblys Transformation der Negation 11.30-12.00 h Kaffeepause 12.00-14.00 h Selbstverneinungen (Moderation: Eva Wattolik) Michael Rottmann (Basel): Negotiating the Negation. Negationen und Mediendiskurs in der amerikanischen Kunst um 1960 Judith Elisabeth Weiss (Berlin): „Hiermit trete ich aus der Kunst aus“. Von der Negation im Bild zum Bild der Negation Jens Kabisch (Heidelberg): Warum verkörpern Bilder ihre eigenen Verbote? 14.00-14.15 h Verabschiedung
Abstracts und Kurzbiographien Kayo Adachi-Rabe: Der hors-champ im Zeitalter der Postkinematographie Seit ihrer Entstehung konfrontiert sich die Filmkunst mit der Wechselbeziehung zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sichtbaren, um die Entwicklung des Denkens und der Wahrnehmung der Moderne in Richtung der Abstraktion souverän fortzuführen. Die nicht sichtbare Peripherie einer filmischen Darstellung, die aber im Zusammenhang mit ihrem sichtbaren Teil als Seiendes wahrgenommen wird, ist mit dem Terminus ‚hors-champ‘ (‚außerhalb des Bildfeldes‘) gekennzeichnet. Nach dem Normwandel zur Postkinematographie ist eine Reihe von Qualitätsänderungen des hors-champ zu beobachten. Die technische Innovation in der audiovisuellen Repräsentation bewirkte vor allem eine Intensivierung der Sicht- und Hörbarkeit. Es scheint beinahe so, als gäbe es kaum noch etwas, das man nicht darstellen kann. Dieser Eindruck der Grenzenlosigkeit der Fiktion führte aber paradoxerweise zu einer verstärkten Virtualität des Bildes und einer Verdrängung des Nicht-Sichtbaren in einen weiteren Außenbereich. Als Antithese zu dieser Medienkultur der Sichtbarmachung manifestiert sich eine neue Ästhetik des hors-champ. Dieser zeichnet sich nun durch eine stärkere Autonomie aus, in der er sich nicht mehr dem Bild unterordnet. (In diesem Zusammenhang wirkt der Begriff ‚hors-champ‘ beinahe veraltet.) Vielmehr beeinflusst das Off das Bildgeschehen. Früher versuchten wir, den Off-Bereich mithilfe des Bildes und des Tons ‚abzutasten‘, während heute der hors-champ uns ‚seine Hand reicht‘ und mit uns direkter kommuniziert. Die Abstraktheit des Außengebiets ist so weit fortgeschritten, dass dieser nicht mehr anhand der Zentralperspektive konstruiert und ‚ordnungsgemäß‘ an das Bildfeld angeschlossen ist. Der hors-champ schöpft sich neu, indem er sich ausweitet, verformt und präzisiert, so dass er mit seiner dominanten ‚Präsenz‘ den champ überwältigt. Die digitale Aufnahme- und Bildverarbeitungstechnik sowie vor allem die Entwicklung des sound design tragen dazu bei, eine komplexe Weltvorstellung unserer Zeit filmästhetisch zu arrangieren. Das Wesentliche an dieser Tendenz scheint aber darin zu liegen, dass sie eine Ausreifung des Denkens zur Affirmation der Negation repräsentiert, die nicht nur die Geschichte der Kunst und Philosophie, sondern auch ihre Rezeption durch uns im Zusammenhang mit der mediatisierten Umwelt prägt. Kayo Adachi-Rabe, Dr. Phil., hat Germanistik an der Rikkyô-Universität Tokyo sowie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin studiert und 2002 in Medienwissenschaft an der Philipps- Universität Marburg mit einer Arbeit über den filmischen hors-champ promoviert. Sie war von 1997-2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Instituten für Japanologie der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Leipzig, von 2009-10 Stipendiatin am Deutschen Seminar der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 2012 Vertretungsprofessorin im Institut für Modernes Japan der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dozentur für Film- und Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität Weimar. Derzeit ist sie Lehrbeauftragte am Seminar für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Arbeitsschwerpunkte: Ästhetik und Theorie des Films. Auswahlpublikationen: Abwesenheit im Film. Zur Theorie und Geschichte des hors-champ, Münster 2005; hg. mit Andreas Becker, Körperinszenierungen im japanischen Film, Darmstadt 2016; „Die Ästhetik der Unvollkommenheit im Teeweg und im Film“, in: Rabbit Eye 8 (2016), 44-66.
Emmanuel Alloa: Bilder verneinen! Über ikonische Negation „Pictures can’t say ain’t“. Sol Worths klassischer Aufsatz fasst die gängige Meinung zusammen: Bildern fehlt allgemein die Fähigkeit zur Negation. Diese Meinung wurde in der Geschichte der Bildtheorien immer wieder vorgetragen und findet prominente Verteidiger, etwa in Sigmund Freud oder Ludwig Wittgenstein. Im Vortrag soll ein Gegenentwurf vorgestellt werden, der zu argumentieren versucht, dass es durchaus eine ganze Reihe von Modi ikonischer Negation gibt, die es erst einmal in ihrer Eigensinnigkeit zu analysieren gälte. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass der Negationsbegriff selbst zu eng, weil von der propositionalen Sprache her gedacht wird. An Magrittes Gemälde La Trahison des images und seinen Abwandlungen lässt sich ein wichtiges Merkmal der Negation gewinnen: Negationen wollen bestimmt werden, sie brauchen einen Geltungsbereich, ohne den sie asymptotisch zur Bedeutungslosigkeit tendieren. Dennoch wurde die negative Bestimmung oft zu eng gefasst, nämlich im Sinne von Spinozas omnis determinatio est negatio. Jenseits der bestimmten Negation, zu der sich Bilder schlechter eignen, gibt es den ganzen Bereich der unbestimmten Negation, die Bilder möglicherweise viel besser zum Ausdruck bringen als eine klassische Grammatik der propositionalen Negativaussage. Bilder sind Differenzmatrizen, in ihr strukturieren sich Kräfte, Formen und Gestalten, ohne dass sie dem principium contradictionis unterworfen wären. Im Grunde hatte dies jedoch schon Wittgenstein beobachtet, als er zwar verneinte, dass man eine Kontradiktion versinnbildlichen kann, dafür aber bestätigte, dass man das Konträre im Bild zeichnen kann. Wenn also Bilder einerseits besonders schlecht dazu geeignet sind, die determinierten Negationen der Verbalsprache zu ersetzen, sind sie möglicherweise andererseits besonders gut dazu geeignet, an sich selbst das Kräftespiel kontrastierender Bewegungen zu verdeutlichen. Emmanuel Alloa, Prof. Dr., hat ein Studium der Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft in Freiburg i. Br., Padua, Berlin und Paris absolviert, das 2009 mit einer binationalen Promotion in Philosophie an der Freien Universität Berlin und der Sorbonne abgeschlossen wurde. Von 2005- 09 unterrichtete er Ästhetik am Département d’Arts Plastiques der Universität Paris VIII (Vincennes-Saint Denis). Alloa war von 2009-12 Postdoc-Projektmitarbeiter beim NFS Bildkritik/eikones und von 2012-16 Assistenzprofessor für Kulturtheorie und Kulturphilosophie an der Universität St. Gallen, wo er seit 2016 als Research Leader in Philosophie tätig ist. Er war ferner seit 2010 als Visiting Fellow und Gastprofessor an der Universidad Michoacana de San Nicolás de Hidalgo in Mexiko, der Universidade Federal de Minas Gerais in Brasilien, der Universität Lyon III (Jean Moulin), der Columbia University in New York, der Universität Wien und dem Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar. Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde Alloa 2016 mit dem Latsis-Preis ausgezeichnet. Arbeitsschwerpunkte: Bild- und Medienphilosophie, Ästhetik, Phänomenologie, französische Gegenwartsphilosophie, Sozialphilosophie. Auswahlpublikationen: La Résistance du sensible. Merleau-Ponty critique de la transparence, Paris 2008; Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Berlin/Zürich 2011; Les Partages de la perspective, Paris 2018.
Christoph Asmuth: Die Bedeutung der Negativität für den Realismus des Bildes Der Beitrag geht von der Struktur der Bildlichkeit aus. Dabei versucht er, die Frontstellung von Zeichentheorie und Phänomenologie des Bildes ebenso zu vermeiden wie die Opposition von Bild und Wort. Ein transzendentaler Begriff der Negation – als Bedingung der Möglichkeit von Bildwahrnehmung und Zeichenverwendung – ermöglicht eine funktionale Analyse der Bildlichkeit. Dies setzt die negativistische Bildauffassung allerdings in Gegensatz zu einem positivistischen oder materialistischen Realismus. Bildlichkeit setzt insofern einen gedanklichen Akt voraus, der in keiner materialistischen oder positivistischen Theorie des Bildes Berücksichtigung findet. Trotzdem müssen natürlich die Materialität und die positive Vielfalt von Bildern Berücksichtigung finden. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass das Materielle nicht als vorrangige oder grundlegende Eigenschaft von Bilddingen, sondern als etwas im Bild betrachtet wird, eine Überlegung, die die Materialität gerade für die Bilder der Kunst besonders aufwertet. Schließlich ermöglicht die Negationstheorie des Bildes, besondere Phänomene der Bildlichkeit zu erklären, z.B. das Problem der Kontextuierung von Bildern sowie die Frage nach der Grenze des Bildes. Christoph Asmuth, Prof. Dr. habil., hat von 1983-92 an der Ruhr-Universität Bochum Philosophie, Germanistik, Pädagogik und Geschichte studiert, 1995 ebendort in Philosophie promoviert und 2003 im selben Fach an der Technischen Universität Berlin habilitiert, wo er seit 2009 als außerplanmäßiger Professor tätig ist. Er war von 1997-98 und von 2006-08 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von 1996- 98 Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum und von 1998-2004 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Technischen Universität Berlin. Von 2001-06 arbeitete Asmuth als Dozent am Inter University Centre Dubrovnik, wo er seit 2007 den Kurs Transzendentalphilosophie leitet. Er hat von 2009-12 das BMBF-Forschungsprojekt Translating Doping – Doping übersetzen und von 2013-16 das BMBF-Projekt Anthropofakte geleitet. Nach Gastprofessuren an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Basel ist er derzeit Vertretungsprofessor an der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Transzendentalphilosophie, Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Ästhetik, Hermeneutik. Auswahlpublikationen: Das Begreifen des Unbegreiflichen, Stuttgart 1999; Interpretation – Transformation, Göttingen 2006; Bilder über Bilder – Bilder ohne Bilder. Eine neue Theorie der Bildlichkeit, Darmstadt 2011.
Christoph Ernst: Negation, Positivierung und Negativität. Bildnegativität aus Sicht der Diagrammatik Der Vortrag versucht, das Verhältnis zwischen Bildnegativität und Diagrammatik vor dem Hintergrund eines systematischen Dreischritts zu bestimmen. Erkenntnisleitend ist dabei die Überblendung von engeren und weiteren Bild- und Diagrammbegriffen. (1) Negation im Diagramm: Postuliert man einen weiten Bildbegriff, der das Diagramm einschließt, dann stellt sich im Rahmen der Gattung des logischen Diagramms das Problem der Negation im Kontext raumbasierter Logik. Die Frage lautet, wie Negationen im Rahmen von Schlüssen, die in diagrammatischen Zeichen (Kreisen, Linien, Punkten, Symbolen) repräsentiert sind, dargestellt werden können. (2) Diagrammatische Zeichen als Positivierungen von Bildern: Bezieht sich dieser Aspekt von Negativität auf das logische Denken mit Diagrammen und darin auf das Spezialproblem der Repräsentation von Negation im Diagramm, so ergibt sich ein größerer Diskussionszusammenhang, wenn man – ausgehend von einem engen Bildbegriff, in dem das Diagrammatische etwas dem Bildlichen Äußerliches ist – diagrammatische Zeichen als Mittel der Transkription von Bildern ansieht. In diesem Fall rücken diagrammatische Zeichen in die Rolle von Medien der ‚Positivierung‘ des Bildes, arbeiten sie doch am Bild ‚Inhalte‘ heraus, die das Bild nicht repräsentiert, aber im Modus einer anwesenden Abwesenheit enthält. (3) Negativität diagrammatischer Konfigurationen: Allerdings ist es dann im Umkehrschluss auch möglich, diesen weit gefassten Begriff diagrammatischer Zeichen selbst wieder auf seine nicht-propositionalen und damit ‚negativen‘ Dimensionen hin zu befragen. Deutlich wird diese Negativität überall dort, wo diagrammatische Zeichen ihrerseits als unterspezifizierte und auslegungsbedürftige Konfigurationen in Erscheinung treten, so beispielsweise im Kontext der Frage nach der Gestalt und den Grenzen von ‚Diagrammen‘ aller Art. Das Problem der Negation im Diagramm erweitert sich hier zum Problem einer Negativität, die diagrammatischen Formen in Gänze eigen ist. Christoph Ernst, PD Dr., hat Deutsche Philologie, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Philosophie an der Universität Mainz studiert und ebendort 2005 in Deutscher Philologie promoviert. 2015 folgte die Habilitation in Medienwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Gegenwärtig vertritt Ernst die Professur für Medienkulturwissenschaft an der Universität Bonn. Arbeitsschwerpunkte: Informationsvisualisierung, Diagrammatik und allgemeine Medientheorie, Theorien des impliziten Wissens und digitaler Medien, insb. Interfacetheorie, Ästhetik und Theorie der audiovisuellen Medien Film, Fernsehen und Photographie, Kulturtheorie, insb. Interkulturalität und Fremdheit. Auswahlpublikationen: hg. mit Birgit Schneider und Jan Wöpking, Diagrammatik. Ein interdisziplinärer Reader, Berlin 2016; hg. mit Jens Schröter, Navigationen 2/2017, Medien, Interfaces und implizites Wissen; Diagramm, Metapher, Explikation. Theoretische Studien zur Medien- und Filmästhetik der Diagrammatik, Bielefeld 2018.
Thierry Greub: Cy Twomblys Transformation der Negation Bildern wohnt stets eine Negation inne, sie ist „konstitutives Moment bildlicher Repräsentation“. Diese Erkenntnis Gottfried Boehms soll an einem Künstler zur Diskussion und in Frage gestellt werden, der in exemplarischer Weise dazu prädestiniert ist, zu der Frage nach der Verbindung zwischen Bild und Negativität Auskünfte erteilen zu können. Das Werk des US-amerikanischen Künstlers Cy Twombly (1928-2011) siedelt sich an einem prekären und labilen Grad zwischen Abstraktion und Figuration, vermeintlicher Verhöhnung und Überforderung, Vergessen und Erinnern an. Twombly äußerte selbst: „I’m not a pure. I’m not an abstractionist completely. There has to be a history behind the thought.“ Von welcher ‚Geschichte‘ spricht er? Twomblys Kunstwerke (seine Gemälde, Zeichnungen, Plastiken und Photodrucke) werden seit den 1950er Jahren von der Kunstkritik mehrheitlich in negativen Wendungen erfasst: Sie seien ‚ungekonnt‘, ‚ungelenk‘, irgendwie ‚unartig‘ und erschienen wie ‚unfertig‘. Noch Roland Barthes’ berühmter Bestimmung seiner gezeichneten Linie als „gauche“, also ‚linkisch‘, eignet die negative Konnotation des Verpatzens und des Ungenügens. Im Vortrag sind solche verbalen Negationen darauf hin zu untersuchen, inwieweit sie in diesem Fallbeispiel den Blick auf die Kunst Twomblys tragen. Es zeigt sich, dass der rein negativen Bestimmung eine positive nicht nur gegenübergestellt werden muss, sondern dass diese erst eine Bilderfahrung ermöglicht, die seine Kunst vermitteln will. Erst die Transformation der verbalen Negation in eine visuelle Bildwirkung – nun nicht mehr rein negativer Art – erlaubt es, in Twomblys Werken seine „history“ zu erkunden. Was Bilder in ihrer ontologisch fundierten doppelten Grundierung von Zeigen und Negieren einlösen, spiegelt sich in Twomblys Werk als eine latente Aufhebung des Scheiterns in Gelingen, der Beschmutzung in Unschuld, des Verglimmens in ein Aufscheinen erzählter Spuren: die Negation der Negation. Twomblys Gemälde machen mithin unmerklich sichtbar, was die Grundbestimmung dessen ist, was wir ‚Bild‘ nennen. Thierry Greub, PD Dr., hat Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik an der Universität Basel studiert, 2001 über Johannes Vermeer promoviert und 2017 über Cy Twombly habilitiert. Er war von 1997-2000 Wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. Gottfried Boehm am Kunsthistorischen Seminar der Universität Basel und kuratierte von 2002-08 als Stellvertretender Direktor des Art Centre Basel die Ausstellungen Meisterwerke mittelalterlicher Kunst aus dem Nationalmuseum in Warschau, Museen im 21. Jahrhundert. Ideen, Projekte, Bauten sowie Homer. Der Mythos von Troia in Dichtung und Kunst. Seit 2009 ist Greub Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln. Arbeitsschwerpunkte: Cy Twombly, Johannes Vermeer, Velázquez’ Las Meninas, spätgotische Schnitzaltäre, Peter Zumthor. Auswahlpublikationen: Hg., „Las Meninas“ im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in die Methoden der Kunstgeschichte, Berlin 2001; Hg., Cy Twombly. Bild, Text, Paratext, München 2014; Das ungezähmte Bild. Texte zu Cy Twombly, Paderborn 2017.
Ruth Horak: Wenn das Negativ zum Bild wird In vielerlei Hinsicht orientiert sich die digitale Photographie an Funktionen und Begriffen von analogen Aufnahmeverfahren. Was mit der Digitalisierung jedoch endgültig obsolet wurde, ist der photographische Film und mit ihm das Negativ als notwendiger Zwischenschritt hin zum eigentlichen Ergebnis, dem positiven Bild. Laut Statistik Austria wurde 2010 der Farbnegativfilm aus dem Warenkorb des Verbraucherpreisindex gestrichen und mit ihm die Entwicklung von Farbnegativfilmen sowie die Farbbildvergrößerung. Dabei repräsentiert(e) das Negativ jenen indexikalischen Schritt, den Roland Barthes, Rosalind Krauss und andere als essenziell für die Photographie beschrieben haben. Wodurch definiert sich das photographische Negativ? Durch seinen Status als ‚Original‘ – ist es doch gemeinsam mit dem Photographen dort, vor Ort, gewesen, wo das Objekt aufgenommen wurde –, durch seine zeitliche Vorrangstellung, durch seine Eigenschaft als Miniatur und durch seine ungewöhnliche Erscheinung, weil das Negativ es wagt, die gewohnten Licht- und Farbverhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren. Noch indexikalischer als das Negativ ist das Photogramm. Es weist die größte Nähe zum Original auf, das es tatsächlich berührt hat, und gleichzeitig die größte Distanz, weil es sein Aussehen nicht in der gewohnten Weise vermittelt, da es ebenfalls ein Negativ ist. Photogramme ‚bestätigen‘ die Theorie von der Spur, vom Abdruck, mit dem der analoge photographische Prozess verglichen wird. Sie sind buchstäblich Abdrücke jener Gegenstände, die auf dem lichtempfindlichen Papier gelegen haben, wenn auch nicht Abdrücke ihres Gewichts, so doch ihrer Schatten. Seitdem die Photographie digital ist, wird ihr ursprünglich analoges Wesen immer wieder in den Fokus der künstlerischen Reflexion genommen. Negativ und Photogramm sind dabei nicht unwesentliche Bezugsfelder, da sie einen großen Abstraktionsgrad aufweisen, sich also dem wiedererkennenden Sehen verweigern und damit ganz ursprüngliche Charakteristika des Mediums hervorheben. Ruth Horak, Mag., hat Kunstgeschichte an der Universität Wien studiert. Sie ist Autorin und Ausstellungskuratorin für zeitgenössische Kunst und Photographie und hat seit 2000 diverse Lehraufträge zur Theorie der Photographie, darunter an der Kunstuniversität Linz und der Universität für angewandte Kunst Wien, wahrgenommen. Horak ist External Expert des Artistic Research-Projektes Reset the Apparatus! und gehört dem Beirat der Zeitschrift EIKON sowie dem Photobeirat und dem Mentoring-Pool des österreichischen Bundeskanzleramtes an. Arbeitsschwerpunkte: Auswirkungen der Digitalisierung auf die künstlerische Photographie, konzeptuelle Strategien und Medienreflexivität, Abstraktionstendenzen in der Photographie, Geschichte der angewandten Photographie, Medienutopien in Science-Fiction-Romanen der 1970er Jahre. Auswahlpublikationen: hg. mit Tamara Horáková, Ewald Maurer und Johanna Hofleitner, Image: /images. Positionen zur zeitgenössischen Fotografie, Wien 2002; Hg., Rethinking Photography I + II. Narration und neue Reduktion in der Fotografie, Salzburg 2003; mit Claudia Rohrauer, Neulich im Labor, Salzburg 2016.
Hans Dieter Huber: Das Bild als Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sichtbaren Wenn Wahrnehmung eine Form von Unterscheidung ist, dann teilt Wahrnehmung die Welt in zwei Teile: nämlich in einen beobachteten und bezeichneten Teil, der in der Wahrnehmung erfasst wird, und in eine Außenseite der Unterscheidung, die in der Wahrnehmung latent, unbeobachtet und ausgeblendet bleibt. Durch eine Änderung der Wahrnehmungsunterscheidung kann diese Außenseite jedoch wiederum zur bezeichneten Innenseite einer neuen Wahrnehmungseinstellung werden. Über den Wahrnehmungsmechanismus der Unterscheidung ist auch das Bild in eine Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit eingebunden. Jede Beobachtung und Unterscheidung eines bestimmten Details, eines Bildelementes oder eines ganzen Bildes in der Wahrnehmung basiert auf der Ausschließung einer unmarkierten Außenseite (George Spencer-Brown). Der polnische Philosoph Roman Ingarden hat Bilder als ‚schematische Gebilde‘ bezeichnet, die auf der Ebene der bildlichen Darstellung nicht vollständig bestimmt sind. Diese enthält zahlreiche Leer- oder Unbestimmtheitsstellen, die vom Betrachter auf eine vom Bild selbst her nicht vorgegebene und nicht verifizierbare Weise durch seine Phantasietätigkeit aufgefüllt werden können. Jede bildliche Darstellung operiert also an der Schnittstelle zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht- Sichtbaren, an der das emotional-kognitive System des Betrachters einen Übergang vollzieht von einem physisch-materiellen Objekt zu einer biologisch fundierten, emotional-kognitiven Dynamik. Bilder beginnen und enden also nicht vollständig und ausschließlich im Sichtbaren, sondern sind über diese Schnittstellen von Unbestimmtheit mit der Phantasie und dem Wissen beziehungsweise Nicht-Wissen eines Betrachters und dessen Wahrnehmungsunterscheidungen verknüpft. Hans Dieter Huber, Prof. Dr. habil., hat von 1973-77 Malerei und Graphik an der Akademie der bildenden Künste in München und von 1977-86 Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie in Heidelberg studiert. Er promovierte 1986 mit der Arbeit System und Wirkung. Interpretation und Bedeutung zeitgenössischer Kunst und habilitierte 1994 mit der Arbeit Paolo Veronese. Kunst als soziales System. Huber war von 1997- 99 Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und ist seit 1999 Professor für Kunstgeschichte der Gegenwart, Ästhetik und Kunsttheorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, wo er seit 2006 auch den Internationalen Masterstudiengang Konservierung Neuer Medien und Digitaler Information leitet. Huber war von 2006-09 assoziiertes Mitglied des DFG- Graduiertenkollegs Bild, Körper, Medium an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, 2007 Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien und von 2009-15 Mitglied des erweiterten Vorstands der Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft. Er ist seit 2007 Mitglied im International Council of Museums, seit 2013 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des International Institute for Subjective Experience and Research an der Medical School Hamburg, seit 2016 Stellvertretender Vorsitzender des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart und seit 2017 Mitglied des Stiftungsrates der Adolf-Hölzel-Stiftung Stuttgart. Arbeitsschwerpunkte: zeitgenössische Kunst und Kunst des 20. Jahrhunderts, Kunsttheorie, Ästhetik, Kunstpsychologie, -soziologie und -pädagogik, Medientheorie. Auswahlpublikationen: System und Wirkung. Interpretation und Bedeutung zeitgenössischer Kunst, München 1989; hg. mit Bettina Lockemann und Michael Scheibel, Bild/Medien/Wissen. Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter, München 2002; Bild – Beobachter – Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft, Ostfildern-Ruit 2004.
Jens Kabisch: Warum verkörpern Bilder ihre eigenen Verbote? Der französische Rechtshistoriker Pierre Legendre stellt seiner Rechtsanthropologie das Motto voran: „Das Bild ist das Dogma.“ Mit diesem Diktum weist er auf die tiefgreifende Bedeutung von Bildern für die Ordnung der imaginären und symbolischen Realität verschiedener Kulturen hin, die weit über die visuelle Präsenz und die ikonographischen Konventionen von Bildern hinausweisen. Bilder regeln den Bezug zur Welt. Sie stiften (oftmals negativ) Konzepte wie Wahrheit und führen das Subjekt, so Legendre, in die Welt der Institutionen ein. Aufbauend auf diesen Gedanken von Legendre, greift der Vortrag einen besonderen Aspekt dieser Verknüpfung von Bildern und Normen auf, der sich mit der Thematik der Negativität von Bildern beschäftigt. Heißt es oftmals, Bildlichkeit schließe grundsätzlich jede Art der Negativität aus (Dieter Mersch), muss das Bild selbst als komplexes Arrangement der Negation verstanden werden. Bilder sind nämlich, so die Arbeitshypothese, Objekte mit zwei Naturen: Sie überführen Erfahrungen von Widerständigem in eine symbolische Medialisierung von Negation; und mit dieser Übertragung des Widerständigen in ein System der Verneinung prägen und stiften sie die kulturellen Verfahrensweisen, wie man mit Negationen umzugehen hat. Diesem Paradox oder dieser doppelten Natur der Bilder, sowohl passives Objekt als auch handelnder Aktant zu sein, geht der Vortrag nach, um die Konsequenzen für die Frage nach dem Stellenwert der Bilder zu erörtern, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft. So soll gezeigt werden, inwieweit Bilder dabei einerseits Regeln ihrer eigenen Negation vorgeben – Regeln, die nicht nur die Art und Weise festlegen, wie etwas dargestellt oder nicht dargestellt werden darf. Andererseits wäre soll demonstriert werden, wie Bilder als Verknotung von Darstellung und Verbot weitreichende Effekte für die Ausbildung aller Normen einer Gesellschaft haben. So sind Bilder auch immer mediale ‚Verkörperungen‘ des Unsagbaren, die in verschiedenen Religionen zu grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen von Repräsentation oder Mimesis führen. So paradox dies auch anmuten mag, sind Bilder immer Aktanten ihres eigenen Verbots. Mithin zielt der Beitrag zum einen darauf ab, nachzuweisen, dass das Bild immer schon seine eigene Verneinung einschließt, um im strukturellen Sinne überhaupt Bild sein zu können. Zum anderen soll aufgezeigt werden, inwieweit Bilder und ihre Verbote selbst den Bezug zur Welt und Realität regulieren und strukturieren. Jens Kabisch, Dr., hat Bildende Kunst in München, Berlin und London studiert und nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Künstler 2013 im Fach Bildwissenschaften an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe promoviert. Derzeit habilitiert er an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg zum Zusammenhang von Bilderverboten und der Rationalität juridischer Ordnungen. Arbeitsschwerpunkte: politisch-theologische Gründungsfiguren, politische Ikonologie, dogmatische Anthropologie. Auswahlpublikationen: Innocent Nation. Barack Obama und die Politik der Authentizität, Wien 2013; „Immerwährende Gegenwart. Zur Poetik des US-amerikanischen Freilichtmuseums“, in: Stefan Krankenhagen und Viola Vahrson (Hgg.), Geschichte kuratieren. Kultur- und kunstwissenschaftliche An-Ordnungen von Geschichte, Köln 2017, 15-32; „Surveillance/Counter-Surveillance“, in: Kritische Berichte XLIV/1 (2016), 45-47.
Jan Mollenhauer: Tante Myrtle Negation sei, so Sigmund Freud 1925 in seinem Aufsatz „Die Verneinung“, eine Form, in der verdrängte Vorstellungen ins Bewusstsein gelangen können. Wie so häufig in der psychoanalytischen Theoriebildung reüssiert auch hier das Paradox: Das, was negiert wird, wird gerade und ausschließlich in diesem Modus zugänglich. Ausgehend von diesem Konzept der Verneinung, schlägt der Beitrag eine psychoanalytische Annäherung an die Frage von Bild und Negativität vor. Freud, so die These, kann nämlich als avancierter Bild- und Medientheoretiker gelesen werden. Stellt man der Negation noch den Wiederholungszwang mit seiner verfehlenden Iteration sowie das Unheimliche mit seiner verfremdenden Qualität an die Seite, so entsteht eine psychoanalytische Bildtheorie, die Negativität produktiv wendet. Diese methodischen Überlegungen werden an einem konkreten historischen Fallbeispiel, welches sich ungefähr parallel zur psychoanalytischen Theoriebildung vollzieht, ‚durchgearbeitet‘: Als ‚lynchings‘ werden die rituellen Morde an Afroamerikaner_innen bezeichnet, die weiße Vigilanten zwischen 1880 und 1952 hauptsächlich, aber nicht nur im Süden der USA begingen. Die informellen Hinrichtungen zeichneten sich durch überbordende Gewalt aus. Die Opfer, in der Mehrzahl afroamerikanische Männer, wurden gequält und unter spektakulären Bedingungen ermordet. So bildete die Kastration einen integralen Bestandteil des Lynchens. Ebenso zentral war das Ringen um reliquienartige Andenken wie Kleidungsstücke oder Körperteile. Die lynchings erhalten im massenmedialen Zeitalter um 1900 besondere Streuweite. Hauptsächlich unter Weißen zirkulierten professionell und ab 1888 – mit der Marktreife der ersten Kodak-Kamera – ebenso von Laien angefertigte Photographien, die auch als Postkarten versendet oder in Familienalben geklebt wurden. Gegen die in der Forschung herrschende Lesart dieser Photopostkarten stellt der Vortrag die psychoanalytische Fokussierung auf die Bildnegation: Die visuellen Politiken der Lynching-Postkarten verfehlen sich zwangsläufig selbst. Durch den Tod des ‚anderen‘ soll eine Überlegenheit der weißen Gemeinschaft als Über- oder Weiterleben behauptet werden. Dies erweist sich gerade dadurch, dass es im Bild gebannt werden soll, als prekär. Der Tod, den wir alle dem Leben schulden (Freud), sucht das Bild und seine Betrachtenden heim. Unter Bezugnahme auf die Photoserie Erased Lynchings von Ken Gonzales-Day soll dieser Zusammenhang verdeutlicht werden. Jan Mollenhauer, M.A., hat ein Studium der Kulturwissenschaft und Literaturwissenschaft in Berlin und Los Angeles absolviert, das 2016 mit der Arbeit Traum und Technologie. Vergessen in Los Angeles 1915/1971 abgeschlossen wurde. Derzeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Graduiertenkolleg Konfigurationen des Films an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: postkoloniale visuelle Kultur, Bildgeschichte des Holocaust, Psychoanalyse.
Jürgen Müller: Inversion und Parodie Der Vortrag behandelt das Thema von Bild und Negativität in Bezug auf das Phänomen einer inversen Bildrhetorik, nämlich der ‚Verkehrung‘ berühmter antiker und italienischer Vorbilder in der nordeuropäischen Malerei und Graphik des 16. Jahrhunderts. Darunter ist zu verstehen, dass Bildformeln und Motive der Historienmalerei in einen Genrekontext überführt und zugleich ‚erniedrigt‘ werden. Solche Inversionen haben zweifelsfrei einen parodistischen Effekt, der allerdings lediglich einem kennerschaftlichen Publikum zugänglich ist. Auf diese Weise kann im Rahmen einer Bordelldarstellung aus Raffaels Motiv der keuschen Nymphe Galathea eine Prostituierte werden oder sich der leidende Laokoon in einen saufenden Landsknecht verwandeln. Es liegt nahe, hier nicht nur eine komische, sondern auch eine theoretische Absicht zu erkennen, die gleichermaßen kanonische Forderungen damaliger Imitatio-Lehre, aber auch das Konzept der Gattungshierarchie kritisch bewertet. Schließlich wird zu fragen sein, ob es sich bei solchen Inversionen in rhetorischer Hinsicht um Chiasmen handelt. Mehr noch, wenn etwas zugleich als hoch und niedrig erscheint, mutet es sogar paradox an. Gegenstand des Referats soll eine kurze Übersicht und eine theoretisch-methodische Einschätzung sein, die Parallelen zu Erasmus’ Lob der Torheit ziehen soll, aber auch Fragen von Negation als bildlicher Kopräsenz behandeln will. In Bezug auf Tafelbild und Gemälde sind Fragen zeitlicher Rezeptionsvorgaben sogar als konstitutiv zu erachten. Inversionen kann es nur geben, wenn auf Seiten des Betrachters Prozesse der Neu- oder Umbewertung stattfinden: Erst nimmt man den propositionalen Gehalt des Bildes, dann die sich in ihm ereignende Umkehrung, schließlich die sich nicht auflösende Ambivalenz des Dargestellten als hoch und niedrig zugleich zur Kenntnis. Aus dieser Perspektive ließe sich für das Phänomen einer inversen Bildrhetorik vorläufig behaupten, dass die durch das Bild veranlassten Negationen ihre Voraussetzung im Auseinandertreten syntaktischer und semantischer Strukturen haben. Jürgen Müller, Prof. Dr. habil., hat Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Bochum, Paris, Pisa, Amsterdam und Münster studiert, 1991 an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und 2002 an der Universität Kassel habilitiert. Er war von 2000-01 und von 2001-02 Gastprofessor an der Universität Paris III (Sorbonne Nouvelle) sowie 2001 und 2002 Vertretungsprofessor an der Hochschule der Künste Berlin. Seit 2002 ist er Ordinarius für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Technischen Universität Dresden. In den Jahren 2009-14 war Müller Senior Fellow an diversen Forschungseinrichtungen, darunter am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar und am Historisch- Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Trier. Arbeitsschwerpunkte: Kunst der Frühen Neuzeit, Photogeschichte, Filmgeschichte. Auswahlpublikationen: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d.Ä., München 1999; hg. mit Thomas Schauerte und Bertram Kaschek, Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit, Petersberg 2013; Der sokratische Künstler. Studien zur Ikonologie von Rembrandts „Nachtwache“, Leiden 2015.
Lars Nowak: Gutter, flicker und andere Negationen in Bildfolgen Ein Einwand, der bisweilen gegenüber der Annahme piktorialer Negationen erhoben wird, lautet, dass die dem Bild zugeschriebenen Verneinungen zu unspezifisch seien, um einem Vergleich mit den Negationen der Verbalsprache standhalten zu können. Diese Argumentation lässt sich unter anderem dadurch entkräften, dass man anstelle einzelner Bilder Verkettungen mehrerer Bilder betrachtet. Denn hier können Bilder die Objekte ihrer Negationen mit hoher Präzision bestimmen. Der Vortrag wird diese These anhand zweier unterschiedlicher serieller Bildmedien zu entfalten versuchen, nämlich anhand des Comics, der seine panels im Raum nebeneinander stellt, und des Filmes, der seine Kader und Einstellungen in der Zeit aufeinander folgen lässt. Die Verneinungen in diesen spatialen und temporalen Bildfolgen sind auf zwei Ebenen angesiedelt: Zum einen können die zugehörigen Bilder einander in ähnlicher Weise widersprechen, wie es bereits bei voneinander unabhängigen Bildern möglich ist. Dabei lässt sich eine besondere Negativität jenen Bildern attribuieren, in denen Elemente fehlen, welche in anderen Bildern vorhanden sind. Hinzu kommt im Fall des Filmes, dass die einander ablösenden Kader zu einem Bewegtbild verschmelzen, in dem die zwischen ihnen bestehenden Differenzen durch Transformationen vermittelt werden. Das geschieht aber im Fall der Opposition von An- und Abwesenheit nicht nur durch den Vorgang des Erscheinens, sondern auch und vor allem durch das Verschwinden. Zum anderen schließen zwei zum selben Comic oder Film gehörende Bilder im Unterschied zu einem einzelnen Bild, aber auch zu zwei selbständigen Bildern nicht mehr eine unendliche spatiale und temporale Umgebung aus, sondern werden durch einen räumlichen oder zeitlichen Abstand voneinander getrennt, der genauso endlich und scharf umrissen wie sie selbst ist. Diese Distanzen sind auf der Ausdrucksebene konstitutiv; denn genauso wie die panels eines Comics durch einen gutter getrennt werden müssen, bedarf der filmische Bewegungseindruck zwingend dunkler Phasen zwischen den Kadern. Doch auch auf der Inhaltsebene können zwischen den panels eines Comics und den Einstellungen eines Filmes – in genauer Entsprechung zu Wolfgang Isers Begriff der Leerstelle, der sich gerade auf die Gelenkstellen eines Textes bezieht – spatiale, temporale und kausale Lücken unterschiedlicher Größe liegen. Und schließlich können beim Film die beiden Ebenen der Bildverkettung in Resonanz treten, wenn Flickerfilme wie Peter Kubelkas Arnulf Rainer oder Tony Conrads The Flicker die für gewöhnlich in der technischen Tiefenstruktur verborgenen Unterbrechungen des kinematographischen Bildes an dessen ästhetische Oberfläche holen. Lars Nowak, PD Prof. Dr., hat Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie an der Freien Universität Berlin studiert und 2009 an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar promoviert. Er war von 2009-11 Postdoktorand am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Trier und 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Medienwissenschaft der Universität Trier. Von 2011-15 leitete er das DFG-Forschungsprojekt Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860-1960. Nowak ist seit 2011 Juniorprofessor für Medienwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg und seit 2012 Mitglied des dortigen Interdisziplinären Medienwissenschaftlichen Zentrums. Arbeitsschwerpunkte: Kinemato-, Photo- und Kartographie, Zusammenhang von Medien-, Wissenschafts- und Militärgeschichte, Raumtheorie, Kulturgeschichte des monströsen Körpers. Auswahlpublikationen: Deformation und Transdifferenz. Freak Show, frühes Kino, Tod Browning, Berlin 2011; hg. mit Stephan Günzel, KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm, Wiesbaden 2012; Hg., Medien – Krieg – Raum, Paderborn 2017.
Miriam Ommeln: Die technische Zeichnung und ihr Kehrbild. Punkt und Linie aus philosophischer Sicht Die Faszination oder Abneigung gegenüber der technischen Zeichnung verweist bereits implizit auf deren dialogische Struktur und keineswegs auf ihre vermeintlich rein sachliche Zweckmäßigkeit. Dabei präsentierte sich die technische Zeichnung nicht immer in der heutigen Form, sondern war oftmals farbig gehalten, mit Text, poetischen Versen oder Hintergrundmalereien versehen. Selbst als Klappbild trat sie früher in Erscheinung, um dahinterliegende, verdeckte Teile der Maschine und ihre Abwicklungen, kurz, das Bildgeschehen zu verdeutlichen. Nicht nur, weil der umfangreichste Nachlass an technischen Zeichnungen von Leonardo da Vinci stammt, sondern auch, weil er mit dem epistemologischen Doppelblick eines Künstlers und eines Ingenieurs als erster die Maschinenfunktionen treffend zeichnete, soll von seinen Traktaten ausgegangen werden, um die Palette der vielfältigen Negativitätspotenziale der technischen Zeichnung differenziert erfassen und dechiffrieren zu können. Dafür greift der Vortrag nicht auf eines der visuell naheliegendsten Kontrastierungsverfahren zurück, sondern analysiert die beiden Bildkonstituenzien Punkt und Linie aus philosophischer Sicht, wobei Leonardos Analyse mit Hilfe von Friedrich Nietzsches Sichtweise fortgeführt und erweitert wird. Beide, Leonardo da Vinci und Nietzsche, zeigen anhand der Grundelemente die anfänglich auftauchende Dissonanz des Bildlichen und Unbildlichen auf, die zu einer erklärenden Ausdifferenzierung von dynamischen und statischen visuellen Eindrücken führt. Aus diesem Spannungsfeld, einer ursprünglich erkenntnistheoretischen Differenzierung, kristallisieren sich unterschiedliche Kommunikations- und Rezeptionsstile heraus, die sich gegenseitig negieren können. Die Widersprüche und Brüche bleiben im Bild mehr oder weniger virulent bestehen, woraus sich im Fall der technischen Zeichnung unter anderem ergibt, dass sie keineswegs auf eine fixierte, starre Konstruktion verweist, sondern diese geradezu verneint. Konsequenterweise werden das bewegte Bild und Virtual Reality-Darstellungen affirmiert, was bereits durch die Entwicklungslinie der fast vergessenen, früheren Klappbilder angedeutet wurde, während eine rein statische und eindeutig festgelegte Bezugnahme negiert wird, wie sie die minimalistische Technikrepräsentation zu suggerieren scheint. Miriam Ommeln, PD Dr., hat Philosophie und Physik an der Universität Karlsruhe studiert, wo auch 1999 mit einer Arbeit über Friedrich Nietzsches Ästhetik und den Surrealismus die Promotion und 2005 mit einer Arbeit über Virtual Reality die Habilitation erfolgte. Sie nahm Lehraufträge unter anderem an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe wahr und arbeitet derzeit als Dozentin am Institut für Philosophie des Karlsruher Instituts für Technologie. Arbeitsschwerpunkte: Kunst und Technik, Technikphilosophie, Medienphilosophie, Technologien der Virtuellen Realität, Ästhetik, Erkenntnistheorie, Wissensgesellschaft, Nietzsche. Auswahlpublikationen: Die Technologie der virtuellen Realität. Technikphilosophisch nachgedacht, Frankfurt a.M. 2005; „Erkenntnistheorie im Virtuellen. Navigation am Widerspruch nach dem Gedanken von Nietzsches ‚Gegensatz-Charakter des Daseins‘“, in: Renate Reschke und Volker Gerhardt (Hgg.), Friedrich Nietzsche. Geschichte, Affekte, Medien, Berlin 2008, 95-112; „Die ethische Janusköpfigkeit der Medienkunst. Die Blickwinkel von Kunst und Informatik, zwischen Kunstfreiheit und Hackerparagraph“, in: Matthias Maring (Hg.), Bereichsethiken im interdisziplinären Dialog, Karlsruhe 2014, 403-418.
Christoph Poetsch: Mehr qua Negation. Der Bildbegriff des Johannes von Damaskos gelesen mit der Negationstheorie des Proklos Was, wenn Bilder nicht nichts, aber auch nicht alles, nicht ‚das Eigentliche‘, nicht ‚das Wahre‘ sind? Dass Bilder das nicht sind, wovon sie Bild sind, und es doch auf ihre Weise sind, darf als negationstheoretisches Grundparadox des Bildbegriffes gelten. Seit seiner ersten systematischen Ausformulierung in Platons Dialog Sophistes ist dem Bild diese enge Bindung an die Negation eingeschrieben, insofern es nicht nichts, aber auch nicht die ganze Wahrheit ist (Soph. 240a-b). Bildtheoretisch aufschlussreich wird diese Konstellation in der Folge dort, wo sie auf eine ausgearbeitete Negationstheorie trifft. Dies ist an der Schwelle von Spätantike und Frühmittelalter bei Johannes von Damaskos der Fall, der – mittelbar oder unmittelbar – auf die ausgearbeitete Negationstheorie des Neuplatonikers Proklos zurückgreift. Die proklische Negationstheorie darf als profilierteste der gesamten Antike gelten. Sie unterscheidet drei Grundtypen einer privativen, einer andersheitlichen und einer transzendierenden Negation (etwa In Parm. 1072,19-1074,21), wodurch die Negation einen defizienten Mangel, eine koordinierte Andersheit, aber auch ein kategoriales ‚Mehr‘ auszudrücken vermag. Das Verständnis aller drei Typen, insbesondere des paradoxen ‚Mehr‘ qua Negation, ermöglicht Johannes eine differenzierte Einschätzung des Bildes in jenem negationstheoretischen Grundparadox (etwa Contr. imag. cal. I,9 und III,12), wodurch sich bei ihm das Verhältnis von Bild und Negation spezifisch explizieren und präzisieren lässt. Das gemalte, aber auch das verkörperte Bild ist qua Negation mehr als es vornehmlich darstellt und steht damit zugleich in einer Dialektik, der eine rein pejorative Sicht auf die Bilder gerade nicht beikommt. Der Vortrag vertritt eine zweifache These: Zum einen soll gezeigt werden, dass und wie im Umkreis des Ikonoklasmus bei Johannes von Damaskos das Verhältnis von Bild und Negation durch den Rückgriff auf verschiedene Negationstypen eine paradigmatische und differenzierte Ausformulierung findet. Zum anderen soll skizziert werden, wie dies direkt mit der Frage verbunden ist, „ob Bilder auch selbst negieren können und, falls ja, wie sie dies tun“. Hierfür ist insbesondere auf Forschungen des Kunsthistorikers Herbert Kessler, der diese Problematik im fraglichen Kontext ausgeführt hat, und auf eigene Vorarbeiten zurückzugreifen, welche diese Form der bildimmanenten Negation als Frage des (malerischen) Bildraumes weiter ausbuchstabieren. Das theoretische Verhältnis von Bild und Negation findet so sichtbaren Niederschlag in den Bildern selbst. Ziel des Beitrages ist es folglich, aus dem Blickwinkel der Philosophie und einer historisch-systematischen Analyse das theoretische Verhältnis von Bild und Negativität an einer paradigmatischen Station der Geschichte des Bildbegriffs systematisch zu explizieren. Dabei soll nicht die philologische oder theologische Detailanalyse im Vordergrund stehen, sondern der Versuch, die historischen Texte transdisziplinär für eine aktuelle systematische Fragestellung zum Sprechen zu bringen. Christoph Poetsch, M.A., hat Philosophie, Bildende Kunst und Kunstgeschichte in Heidelberg, Karlsruhe und Porto studiert. Derzeit promoviert er als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg über eine systematische Rekonstruktion des Bildbegriffs in der Philosophie Platons. 2017 war er künstlerischer Stipendiat der Cité Internationale des Arts in Paris und Research Visitor an der University of Notre Dame in Indiana. Arbeitsschwerpunkte: Bildtheorie, Ästhetik, Grenzbereich von Philosophie und Kunst, Platonismus, antike Philosophie, Deutscher Idealismus. Auswahlpublikationen: „Chôra und Vera Icon. Über die Bildräumlichkeit des ‚wahren Christusbildes‘ vor dem Hintergrund des platonischen Raumbegriffes“, in: Dominic Delarue, Thomas Kaffenberger und Christian Nille (Hgg.), Raumbilder | Bildräume. Studien aus dem Grenzbereich von Raum und Bild, Regensburg 2017, 43-66; „Der Aspekt der Hinsicht. Überlegungen zum Verhältnis von Raum und Wissen im platonischen Bildbegriff“, in: eTopoi, Sonderheft 5 (2015), 64-85.
Ulrich Richtmeyer: Der paradoxe Status bildlicher Negativität in der sinnesphysiologischen Präsentation optischer Täuschungen In zahlreichen sinnesphysiologischen Experimenten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde mittels abstrakter graphischer Bilder für eine grundsätzliche Negation der visuellen Wahrnehmung dahingehend argumentiert, dass das, was wir sehen, grundsätzlich falsch sei und einer Täuschung unterliege. Diese seither unter dem Ausdruck ‚optische Täuschung‘ firmierenden Experimente, die gegenwärtig vor allem noch in der Didaktik der Physik Anwendung finden, stellen im Kontext der Bildnegation einen ausgesprochen paradoxen Sonderfall dar: Das leitende Argument und zugleich der präzise empirische Bezugsrahmen für den Nachweis aller Varianten von ‚optischer Täuschung‘ besteht ja selbst im Gebrauch eines hoch artifiziellen graphischen Bildes, das gesehen werden muss, um zeigen zu können, was wir gewöhnlich nicht sehen, nämlich die Differenz zwischen unseren visuellen Wahrnehmungseindrücken und den sie strukturierenden sinnesphysiologischen Bedingungen. Daher wird gerade mit der affirmativen Kraft des Bildes, die uns visuell affiziert, präzise gegen die Evidenz des Sehens argumentiert, womit das instrumental gebrauchte Bild einerseits bestätigt, andererseits aber in Frage gestellt wird. Der Vortrag stellt die wichtigsten dieser historischen Experimente vor und diskutiert ihre begriffliche Sprengkraft für das Thema der Bildnegation. Ulrich Richtmeyer, Prof. Dr. habil., hat Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar mit einem Abschluss als Diplom-Künstler und anschließend Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, wo er 2006 promoviert wurde. 2016 folgte die Habilitation in Medienphilosophie an der Universität Potsdam mit einer Arbeit zu Wittgensteins Bilddenken. Richtmeyer war Forschungsmitarbeiter an der Universität Potsdam am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dieter Mersch (2007-09) und am NFS Bildkritik/eikones (2010) sowie Research Fellow am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar im Rahmen des Programms Werkzeuge des Entwerfens (2011-12). Nachdem er von 2013-15 die Professur für Visuelles Denken und Wahrnehmen an der Universität Potsdam vertreten hat, ist er seit 2017 Professor für Medienkulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam. Auswahlpublikationen: Kants Ästhetik im Zeitalter der Photographie. Analysen zwischen Sprache und Bild, Bielefeld 2009; „Logik und Aisthesis. Wittgenstein über Negationen, Variablen und Hypothesen im Bild“, in: Martina Heßler und Dieter Mersch (Hgg.), Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, Bielefeld 2009, 139-162; Hg., PhantomGesichter. Zur Sicherheit und Unsicherheit im biometrischen Überwachungsbild, München 2014.
Michael Rottmann: Negotiating the Negation. Negationen und Mediendiskurs in der amerikanischen Kunst um 1960 Der Vortrag legt dar, wie umfang- und facettenreich in der amerikanischen Kunst um 1960 das Problemfeld der Negation für Bilder behandelt wurde. Dabei wird durch eine kunsthistorische Fallstudie herausgearbeitet, dass und wie Künstler_innen anhand von Zeichnungen, Gemälden und Objekten der Frage nachgingen, „ob Bilder auch selbst negieren können“. In einem ersten Teil sollen durch eine kurze Vorgeschichte die ‚Atmosphäre der Negation‘ in der amerikanischen Kunst um 1960 und vorherrschende Facetten der Negation vorgestellt werden. Angesprochen ist damit der Gestus der Ablehnung (beispielsweise der europäischen Tradition), gepaart mit einer dualistischen Rhetorik im modernistischen Diskurs und der historischen conceptual art. In einem zweiten Teil sollen anhand ausgewählter Fallbeispiele und zugehöriger Theorien unterschiedliche Strategien der Hervorbringung und Reflexion von Negation vorgestellt und zusammengeführt werden. Auszuführen sein wird beispielsweise, wie sich die Arbeiten von Jasper Johns (im Anschluss an Ludwig Wittgenstein) selbst zur Disposition stellen und sich in gewisser Hinsicht negieren. An ihnen, so die Behauptung, lässt sich das ‚Bewusstsein der Nicht-Identität von Objekt und Zeichen‘ erfahren. Vorzustellen sind des Weiteren die vielfältigen künstlerischen Praktiken der Negation wie das Löschen, Streichen und Übermalen, mit denen Modi der Negation materialbezogen erprobt, reflektiert und vor Augen gestellt wurden. Im Sinne der negativen Medientheorie können die Werke existierende Vorstellungen dazu differenzieren oder erweitern. Schließlich soll am Beispiel von Sol LeWitt und Mel Bochner rekonstruiert werden, wie sich die historische Konzeptkunst mit der logischen Verneinung und mit Propositionen auseinandersetzte und was ihre diesbezüglichen medienreflexiven Stoßrichtungen waren. Ein entscheidender und aufschlussreicher Aspekt hierbei ist, so eine weitere These, die von den Künstlern produktiv gemachte Bezugnahme auf die Mathematik und deren Darstellungsformen wie Diagramme. Ein Ziel soll es sein, aufzuzeigen, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Negation und Bild als Teil einer umfassenden historischen Befragung des Bildes und seiner Spezifik – gerade auch in Abgrenzung von der Schrift – im Rahmen eines künstlerischen Mediendiskurses zu verstehen ist. Michael Rottmann, Dr., hat ein Studium der Kunsterziehung und -geschichte, Mathematik und Philosophie in Stuttgart, Wien und Berlin absolviert, das er mit einer Staatsexamensarbeit über das Verhältnis zwischen analogem und digitalem Bild an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart abschloss. Mit Unterstützung der Landesgraduiertenstiftung Baden-Württemberg und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes promovierte er 2013 im DFG-Graduiertenkolleg Schriftbildlichkeit an der Freien Universität Berlin in Kunstgeschichte zum Verhältnis von Mathematik und Kunst um 1960. Seit 2017 ist Rottmann Postdoc Fellow am Institut für Experimentelle Design- und Medienkulturen der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel mit einem Projekt zur Maschinenkunst. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte und Theorie von Kunst im 20. und 21. Jahrhundert, (digitale) Medien (Bild, Schrift, Zahl, Diagramm). Auswahlpublikationen: „Donald Juddʼs Arithmetics and Sol LeWittʼs Combinatorics. On the Relationship between Visual and Mathematical in New York Art around 1960“, in: Michele Emmer (Hg.), Imagine Math 3. Between Culture and Mathematics, Heidelberg 2015, 85-98; Aporetische Zonen. Über das Verhältnis von Schrift, Zahl und Bild zur Sprache im Werk Heinz Gappmayers, Ostfildern 2015; „Is your ‚imaginer‘ ready? Intention, Kritik und Rezeption der visuellen Kultur der amerikanischen New Math“, in: Claudia Mareis (Hg.), Designing Thinking. Angewandte Imagination und Kreativität um 1960, Paderborn 2016, 119-148.
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