Bulletin 4 - Nuklearforum Schweiz

Die Seite wird erstellt Nikolas Fuhrmann
 
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Bulletin 4                                          April 2011

Schweiz: Sistierung der
Rahmenbewilligungsgesuche
Seite 7

Die USA setzen weiterhin
auf Kernenergie
Seite 12

Dreimonatiges Moratorium
in Deutschland
Seite 13

Jahresversammlung des
Nuklearforums am 5. Mai 2011
Seite 29

                               Tsunami löst Reaktorunfall
                               im Kernkraftwerk
                               Fukushima-Daiichi aus
                               Seite 4
Inhaltsverzeichnis
                                         2

                                             Editorial                                    3    Reaktoren / Kernkraftwerke                21–22
                                                                                               Südkorea: Shin-Kori-1 in Betrieb             21
                                             Forum                                      4–6    USA: ODEC zieht sich aus North-
                                             Medien-Tsunami                               4    Anna-3-Projekt zurück                        21

                                             Nachrichten                               7–27    Sicherheit und Strahlenschutz             22–24
                                                                                               Anforderungskatalog für Sicherheits-
                                             Politik                                    7–16   überprüfung deutscher Kernkraftwerke
                                             Frühjahrssession 2011: neu eingereichte           vorgestellt                                  22
                                             parlamentarische Vorstösse                    7   Stellungnahme von Strahlenschutz-
                                             Schweiz: Verfahren um Rahmen-                     Fachleuten zu Japan                          23
                                             bewilligungsgesuche sistiert                  7
                                             Uvek überarbeitet Energieperspektiven         8   Fusion                                    24–25
                                             Grüne lancieren Volksinitiative                   Iter: Aufruf an die Schweizer Industrie      24
                                             zum Kernenergieausstieg                       9
                                             Energie-Positionspapier der BDP               9   Atomwirtschaft                            25–26
                                             Fessenheim-Abschaltung fordern                    SNPTC arbeitet mit der Provinz
                                             Basel-Stadt, Basel-Landschaft …              11   Shandong zusammen                            25
                                             … sowie auch der Jura                        11   Industrielle Zusammenarbeit zwischen
                                             Obama bekennt sich weiterhin                      Areva und Rolls Royce                        25
                                             zur Kernenergie                              12   Westinghouse teilt proprietäre
                                             USA: amerikanische Kernkraftwerke                 Informationen zum AP1000                     26
                                             sind sicher                                  13
                                                                                               Energiewirtschaft                         26–27
                                             Laufzeitverlängerung deutscher
                                                                                               Bis 2017 erstes Kernkraftwerk
                                             Kernkraftwerke ausgesetzt                    13
                                                                                               Weissrusslands am Netz                       26
                                             «Stresstest» für Kernkraftwerke
                                             in der EU beschlossen                        14   Recht und Versicherung                       27
                                             EU-Kommission nimmt Vorschlag zur                 RWE klagt gegen Moratorium                   27
                                             Euratom-Budgetverlängerung an                15
                                             Italien hat Neubaupläne aufgeschoben         16   Kolumne                                      28
                                             Stellungnahmen / Meinungsumfragen         16–20   Arnolds Wirtschaftsblick                     28
                                             BKW offen für «weiterentwickelte»                 Elektrizitätsunternehmen sind
                                             Kernenergie                                  16   attraktiv bewertet                           28
                                             Deutschland: Moratorium führt zu
                                             Stromimport und höheren Preisen              17   Vereinsmitteilungen                          29
                                             US-Bürger halten ihre Kernkraftwerke              Mitteilungen des Nuklearforums               29
                                             für sicher                                   18
                                             Solider Rahmen für Kernenergie-                   Kernenergiechronik                        30–31
                                             einführung in Polen                          18
                                             IAEO: Sicherheit der Kernenergie im Fokus    20   nuklearforum.ch/mehr                         32

                                             Wiederaufarbeitung / Entsorgung           20–21
                                             Geologische Tiefenlager: keine
                                             Sondierbohrungen in Etappe 2                 20
                                             Schweden: Baueingaben für Tiefenlager        21
Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011
Editorial
                                                                                                 3

Corina Eichenberger

Nationalrätin, Präsidentin des
Nuklearforums Schweiz

Nun ist Besonnenheit gefragt

Während ich diese Zeilen schreibe, ist Japan     Grundlast. Wie diese durch neue erneuer-
immer noch in unseren Schlagzeilen. Das          bare Energien in solch kurzer Zeit ersetzt
Erdbeben und der Tsunami haben weit über         werden soll, bleibt mehr als vage. Ob unsere
11’000 Todesopfer gefordert, noch mehr Ver-      Volkswirtschaft diesen «machbaren» Ausstieg
misste sind zu beklagen, das Leben Hundert-      auch verkraften würde, wird in der Hitze des
tausender wurde abrupt auf den Kopf ge-          (Wahl-) Gefechts gar nicht erst gefragt. Und
stellt. Wir sind gedanklich immer noch bei       das zeugt nicht von umsichtiger Wahrneh-
den wirklichen Opfern der Katastrophe und        mung von Verantwortung.
geben die Hoffnung nicht auf, dass durch
das Unglück im Kernkraftwerk letztendlich        Die Analyse des Unglücks in Fukushima
keine Toten zu beklagen sein werden.             wird hoffentlich bald Klarheit schaffen, in-
                                                 wiefern menschliches, technisches und /oder
Vor diesem Hintergrund wirkt die in unse-        politisches Versagen mitverantwortlich ist.
rem Land nun mit neuer Verve geführte Dis-       Der Rückblick wird uns zweifellos daran
kussion um die Kernenergie etwas fahrlässig,     erinnern, dass eine Technologie nur so gut
gar eilig und zynisch. Die Ausgangslage für      ist, wie sie von den Menschen eingesetzt
unsere Energiezukunft hat sich am 11. März       wird. Gerade in dieser Hinsicht brauchen
2011 in keiner Weise geändert. Wir müssen        wir uns in der Schweiz keine Sorgen zu
Produktionskapazitäten ersetzen und aus-         machen. Die Sicherheitskultur in unseren
bauen. Unser Stromkonsum steigt trotz Effi-      Kernanlagen ist hervorragend. Davon konn-
zienzmassnahmen, wie der neue Verbrauchs-        te ich mich selbst bei zahlreichen Besuchen
rekord im Jahr 2010 und die jüngsten Zahlen      überzeugen. Den Mitarbeiterinnen und Mit-
über die künftige Zuwanderung zeigen.            arbeitern dort gebührt in diesen Tagen unser
Selbstverständlich müssen die Lehren aus         aller Dank ganz besonders. Trotz des media-
Fukushima auch hier gezogen werden. Die          len Dauerbeschusses gehen sie ihrer Arbeit
Vorsteherin des Uvek und das Eidgenös-           nach und stellen unsere Stromversorgung
sische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi        Tag und Nacht sicher. Und das ist, was zählt.
haben diesbezüglich rasch gehandelt. Nach        Mein ganz besonderes Mitgefühl gehört den
den Ereignissen in Japan gilt es genauso wie     beiden Mitarbeiterinnen von swissnuclear,
vorher, alle Optionen für unsere Stromver-       die von einer heimtückischen Briefbombe
                                                                                                     Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

sorgung zu prüfen und dann zu entscheiden.       getroffen worden sind. Wer auch immer
                                                 diese bösartige Tat begangen hat – meine
Nun ist also Besonnenheit gefragt, doch          grosse Sorge ist die Eskalation der Unver-
nicht alle Meinungsmacher scheinen dazu          nunft in unserem Land.
bereit. Die SP und die Grünen versuchen in
aller Eile, den raschen Ausstieg aus der Kern-
energie zu erzwingen. Bereits in vier Jahren
würde nach diesen Plänen ein Drittel unse-
rer nuklearen Stromproduktion entfallen,
also über 8 Milliarden Kilowattstunden
Forum
                                         4

                                             Medien-Tsunami

                                             Der Reaktor-Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima, ausgelöst durch
                                             einen Tsunami, hat seinerseits einen Tsunami verursacht: einen weltweiten Medien-
                                             Tsunami. Die Wellen der Berichterstattung schlugen allerdings nicht überall gleich
                                             hoch wie hierzulande.

                                             Was zeitnahe Berichterstattung bedeutet,         Sicherheit der Schweizer
                                             wissen wir seit 9/11. Die erste grosse Kata-     Kernkraftwerke thematisiert
                                             strophe des neuen Jahrtausends führte uns
                                             die heute übliche Live-Berichterstattung im      Die Wende erfolgte über das Wochenende
                                             Fernsehen und Internet ein erstes Mal vor        vom 13. März. Sämtliche Sonntagsmedien
                                             Augen. Sämtliche News, ob nun relevant           schrieben mit Bezugnahme auf Fukushima
                                             oder nicht, werden praktisch in Echtzeit         breit und sehr kritisch über die Sicherheit
                                             weiterverbreitet, kommentiert und im glei-       der Schweizer Kernkraftwerke. Unter Gene-
                                             chen Atemzug zusätzlich politisch ausge-         ralverdacht geriet dabei Mühleberg. Aber
                                             schlachtet.                                      auch die Sicherheit von Beznau und Leib-
                                                                                              stadt wurde unter die Lupe genommen und
                                             Auch das verheerende Erdbeben in Japan so-       angezweifelt. In der «SonntagsZeitung» hiess
                                             wie seine Folgen wurden auf der medialen         es etwa: «Mühleberg ist weniger sicher als
                                             Weltbühne auf diese Art und Weise weiter-        Fukushima». Begründet wurde dies im be-
                                             verbreitet und vom Publikum entsprechend         treffenden Beitrag mit dem Zustand des
                                             verfolgt. Allerdings: Was den Fokus und          Kernmantels und der mit Zugankern erfolg-
                                             die Tonalität der Berichterstattung betrifft,    ten Instandstellung. Zeitgleich erfolgte am
                                             gibt es besonders bezüglich des Unfalls in       Wochenende in der Schweizer Sonntags-
                                             Fukushima-Daiichi erhebliche Unterschiede.       presse auch die Lancierung der politischen
                                             Nicht nur zwischen den beiden Landesteilen       Anti-Atom-Debatte. Dabei verknüpfte diese
                                             in der Schweiz, sondern auch zwischen Län-       Presse das Thema Fukushima geschickt mit
                                             dern und den Kontinenten.                        den auf Unwissenheit basierenden Ängsten
                                                                                              der Schweizer Bevölkerung in Bezug auf die
                                             Unmittelbar nach dem Erdbeben, das im            Kernenergie. Der japanische Reaktorunfall
                                             asiatischen Vorzeigeland eine unvorstellbare     wurde quasi – wie es die «NZZ am Sonntag»
                                             Zerstörung hinterliess, konzentrierte sich die   schrieb – eingeschweizert.
                                             Berichterstattung in den Deutschschweizer
                                             Medien auf die direkten Folgen dieser Natur-     Den Steilpass der Sonntagspresse nahmen in
                                             katastrophe. Das heisst: Im Fokus standen        der folgenden Woche die Tagespresse und
                                             das Erdbeben selber, der dadurch ausgelöste      das Schweizer Fernsehen dankbar auf. Die
                                             Tsunami und die nachfolgenden Über-              aktuellen Ereignisse in Japan traten zuneh-
                                             schwemmungsschäden. Der Fukushima-               mend in den Hintergrund und die Diskussio-
                                             Unfall war in dieser allerersten Phase der       nen drehten sich immer stärker um mögliche
                                             Berichterstattung nur am Rande ein Thema.        Sicherheitsmängel bei den bestehenden An-
Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                                                              lagen in der Schweiz. Befeuert wurden die
                                                                                              Bedenken in erster Linie von Exponenten
                                                                                              aus dem linken Parteispektrum und Vertre-
                                                                                              tern einschlägiger Umweltorganisationen.
                                               Laufend aktualisierte Informationen zu         Selbstredend, dass auch verschiedene bür-
                                               den vom Erdbeben betroffenen Nuklear-          gerliche Politiker auf den Zug aufsprangen –
                                               anlagen in Japan finden Sie auf www.           wohl im Hinblick auf die bald anstehenden
                                               nuklearforum.ch.                               Wahlen. Beleuchtet wurden die hiesigen Erd-
                                                                                              bebenrisiken, mögliche Überflutungsszena-
FORUM

                                                                                                                     5

rien, Evakuierungszonen, die Kontrollen des
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspek-
torats (Ensi) und die Frage nach den Kühl-
systemen. Zunehmend in die Kritik gerieten
auch die Pläne für Ersatzkraftwerke. Wohl
auch aufgrund des medialen Druckes ent-
schied sich die zuständige Bundesrätin Doris
Leuthard dazu, das laufende Verfahren um
Rahmenbewilligungsgesuche zu sistieren
(siehe Rubrik «Politik»).

Mit der Sistierung war die Substitutions-
debatte lanciert, die bis heute andauert. Die
Argumente der Kernkraftwerksgegner sind
zurzeit in fast allen Medien noch omniprä-
sent. Diese allerdings haben im Vergleich zur      Das Erdbeben und der Tsunami in Japan haben ein
Debatte vor Fukushima kaum an Gewicht ge-          starkes Medienecho bewirkt. Die aktuellen Ereignisse
wonnen. Vergebens sucht man nach realis-           in Japan traten dabei zunehmend in den Hintergrund
tischen Szenarien, wie die 40% Strom der           und die Diskussionen drehten sich immer stärker um
Kernkraftwerke zu ersetzen wären. Wer einen        mögliche Sicherheitsmängel bei den bestehenden
baldigen Ausstieg fordert, muss realistisch        Anlagen in der Schweiz.
machbare Alternativen präsentieren. Dazu                                                Foto: Nuklearforum Schweiz

gehören auch die immensen Nachteile, die
ein Ausstieg mit sich brächte. Erste Medien
wie die «Weltwoche» und die «Neue Zürcher
Zeitung» sind bereits dazu übergegangen, die     Auch in Bezug auf die Konsequenzen für die
Kosten eines allfälligen Ausstiegs zu themati-   Schweiz und ihre zukünftige Atompolitik ist
sieren. Vermehrt wird inzwischen auch Kri-       die Debatte in der Romandie bis jetzt
tik dahingehend geübt, dass man auf grüner       weniger «schreierisch» verlaufen als in der
Seite trotz Ausstiegsplänen keine Kompro-        Deutschschweiz. So wurden in «24 heures»
missbereitschaft in Sachen Natur- und Land-      und «La Liberté» etwa die Unterschiede zwi-
schaftsschutz zeigt. Inzwischen ebenfalls        schen Mühleberg und Fukushima heraus-
Eingang in die Medien gefunden haben die         gestrichen. Auch die Darstellung eines mög-
politischen Grabenkämpfe zwischen den            lichen Erdbebens oder Dammbruchs und die
Grünen und den Sozialdemokraten. Beide           daraus erwachsenen Gefahren für Mühle-
Parteien möchten das Thema aus wahl-             berg erfolgten nüchterner.
kampftaktischen Gründen für sich sichern.
                                                 Die französischsprachigen Medien stellten die
Zwischen Mühleberg und Fukushima                 politischen Konsequenzen aus Fukushima für
gibt es erhebliche Unterschiede                  die schweizerische Atompolitik ausgewoge-
                                                 ner dar. Auffallend ist, dass alle Seiten zu
In der französischsprachigen Schweizer           Wort kommen und nicht nur exklusiv die
                                                                                                                         Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

Presse nahm die Debatte nach dem Unfall in       Atomgegner. Auch wird ein allfälliger Aus-
Fukushima ebenfalls den vermuteten Verlauf       stieg differenzierter diskutiert: Es werden
– allerdings weniger aufgeregt, eher abge-       auch unangenehme Fragen für die Atom-
klärt. Wie auch in den deutschsprachigen         gegner aufgeworfen, etwa: Was bedeutet ein
Medien wurde anfänglich über die techni-         Ausstieg für die selbst gesteckten schweize-
schen Probleme im Kernkraftwerk Fukushi-         rischen Ziele zur Bekämpfung der globalen
ma geschrieben. Dabei erklärten und kom-         Klimaerwärmung? Oder: Wie würde sich un-
mentierten Experten die Anlagen, Systeme         ser Leben mit einem Ausstieg aus der Kern-
und die aufgetretenen Probleme.                  energie punkto Lebensqualität verändern? Es
FORUM

                                         6

                                                     braucht – so der Tenor in den französischspra-   vorwiegend von Experten geführt. Sie
                                                     chigen Medien – eine seriöse Abklärung sämt-     betonen in erster Linie die Vorteile der
                                                     licher Szenarien gekoppelt mit einer einge-      Erzeugungsform für die USA. Als zentrale
                                                     henden Debatte über die Folgen.                  Argumente für die Atomenergie werden die
                                                                                                      Versorgungssicherheit, die Umweltfreund-
                                                     Glaube an die eigenen Fähigkeiten                lichkeit, die Unabhängigkeit vom Ausland
                                                                                                      und die tiefen Kosten genannt.
                                                     Wieder anders verlief die Berichterstattung
                                                     in den amerikanischen Medien. Der Main-          Weiter wird in den US-Medien immer wieder
                                                     stream könnte etwa folgendermassen auf           auch der Forschungsaspekt thematisiert. So
                                                     den Punkt gebracht werden: «It is too early      heisst es beim Fernsehsender CNN etwa:
                                                     to judge the final outcome of the nuclear cri-   «There’s a whole category of reactors in deve-
                                                     sis that continues to unfold in Japan». Etwa     lopment with ‹inherently safe› features that
                                                     20% des amerikanischen Stromverbrauchs           use the laws of physics to prevent meltdown».
                                                     stammen aus 104 Kernkraftwerkseinheiten.         Hier kommt ein uramerikanisches Phäno-
                                                     Die Risiken – so die Medien – sind wohl vor-     men zum Tragen, nämlich der Glaube an den
                                                     handen, allerdings überwiegen die Vorteile.      wissenschaftlichen Fortschritt und die eige-
                                                     Auf der politischen Agenda der beiden gros-      nen Fähigkeiten.
                                                     sen Blöcke sucht man denn auch das Thema
                                                     Atomausstieg vergebens. Die Notwendigkeit        Ein anderer «typisch» amerikanischer Ansatz,
                                                     einer funktionierenden Energieversorgung         sich mit dem Thema Fukushima zu befassen,
                                                     gehört zu den Themen, bei welchen Einig-         ist die Heldenverehrung. Während in der
                                                     keit zwischen Demokraten und Republika-          Schweiz eher die Kommunikationsdefizite
                                                     nern herrscht. Es gibt folglich auch keine       von Tepco auf mediales Interesse stiessen,
                                                     breite politische Diskussion darüber.            berichteten die amerikanischen Medien über
                                                                                                      «The Fukushima 50». In Amerika begegnet
                                                     So wird die Debatte in den US-Medien über        man der Kernkraftwerksbelegschaft, die ver-
                                                     die aktuellen Ereignisse in Fukushima und        suchte die Schäden des Unfalls zu begren-
                                                     die möglichen politischen Konsequenzen           zen, mit grossem Respekt. (Mirko Gentina)
Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                       Unvorstellbare Zerstörung: Das Erdbeben vom 11. März 2011 mit einer Stärke von 9,0
                                                       und der dadurch ausgelöste Tsunami haben in Japan bisher über 18’000 Todesopfer
                                                       gefordert. Mehr als 10’000 gelten immer noch als vermisst.
                                                                                                                                  Foto: WorldPressAPI
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Frühjahrssession 2011:
neu eingereichte parlamen-
tarische Vorstösse

In der Frühjahrssession 2011 der Eidge-
nössischen Räte wurden wiederum zahl-
reiche parlamentarische Vorstösse zur
Kernenergie eingereicht, besonders sol-

                                                                                                                                               Politik
che zu den Ereignissen in Japan.

Die neu eingereichten parlamentarischen
Vorstösse fordern nach dem schweren Erd-
beben und Tsunami in Japan vom 11. März          Die Ereignisse in Japan haben die Einreichung einer
2011 die Stilllegung der älteren Kernkraft-      grossen Anzahl neuer parlamentarischer Vorstösse
werke in der Schweiz oder grundsätzlich den      zur Kernenergie bewirkt.
Ausstieg aus der Kernenergie, befassen sich                                             Foto: Parlamentsdienste

mit Fragen zur Sicherheit der Kernanlagen
und allgemein zur Erdbebensicherheit in der
Schweiz, thematisieren das Sachplanverfah-
ren geologische Tiefenlager und erkundigen     mungen sind ein Viertel der Mitglieder jedes
sich nach einem «Plan B», sollte das Verfah-   Rates oder der Bundesrat berechtigt, eine
ren scheitern. Zudem verlangen einige vom      Einberufung zu verlangen. (M. A. nach
Bundesrat eine Einschätzung der Alterna-       Grüne, Medienmitteilung, 18. März 2011,
tiven zur Kernenergie. Die Vorstösse sind im   und Parlamentsdienste)
E-Bulletin zusammengefasst und mit dem
Originaltext verlinkt.

Ausserordentliche Session zur                  Schweiz: Verfahren um Rahmen-
Kernenergie im Juni 2011                       bewilligungsgesuche sistiert
Aufgrund der Ereignisse in Japan werden der
Nationalrat wie auch der Ständerat während     Aufgrund der neusten Entwicklung in
der Sommersession 2011, die vom 30. Mai bis    den durch das Erdbeben vom 11. März
17. Juni stattfindet, eine ausserordentliche   2011 betroffenen Kernkraftwerken in
Session zur Kernenergie durchführen.           Japan und nach internen Beratungen hat
                                               die Vorsteherin des Eidgenössischen
Die Grüne Fraktion hatte dem Parlament mit     Departements für Umwelt, Verkehr, Ener-
Unterstützung der SP, der CVP/GLP/ EVP         gie und Kommunikation (Uvek) Doris
und der BDP eine ausserordentliche Session     Leuthard entschieden, die drei Rahmen-
zur Kernenergiepolitik der Schweiz bean-       bewilligungsverfahren für Ersatzkern-
tragt. Wie viele und welche parlamentari-      kraftwerke in der Schweiz zu sistieren,
                                                                                                                      Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

schen Vorstösse in der Kernenergiedebatte      «bis die Sicherheitsstandards sorgfältig
behandelt werden, ist noch offen. Auch der     überprüft und allenfalls angepasst wur-
genaue Tag für die Debatte ist noch nicht      den».
bekannt.
                                               Bundesrätin Doris Leuthard hat am 14. März
Eine ausserordentliche Session dient nicht     2011 nach einer gemeinsamen Sitzung mit
der Erledigung von Geschäften, sondern er-     Vertretern des Bundesamtes für Energie
laubt es den Räten, auf besondere Ereignisse   (BFE) und dem Eidgenössischen Nuklear-
zu reagieren. Gemäss geltenden Bestim-         sicherheitsinspektorat (Ensi) beschlossen,
NACHRICHTEN

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                                                           die laufenden Verfahren für die Rahmen-         Kernkraftwerk Mühleberg sei auf die stand-
                                                           bewilligungsgesuche für Ersatzkernkraft-        ortspezifischen Extremereignisse ausgelegt
                                                           werke zu sistieren (Bulletin 1/2011). Das       und verfüge über umfangreiche Sicherheits-
                                                           Ensi wurde beauftragt, eine vorzeitige          systeme. Inwiefern die bestehenden Sicher-
                                                           Sicherheitsüberprüfung bei den bestehenden      heitsvorkehrungen aufgrund der japanischen
                                                           Kernkraftwerken einzuleiten. Beim Kern-         Ereignisse neu beurteilt werden müssten,
                                                           kraftwerk Mühleberg laufe bereits eine          werde die Analyse der nuklearen Ereignisse
                                                           Sicherheitsüberprüfung.                         in Japan ergeben, so die BKW. Auch die
                                                                                                           Axpo unterstützt angesichts der Vorfälle in
Politik

                                                           Bundesrätin Leuthard hat das Ensi beauf-        Japan den Entscheid des Uvek. (M. A. nach
                                                           tragt, die Ursachen des Unfalls in Japan ge-    Uvek, Alpiq, Axpo, und BKW, Medienmittei-
                                                           nau zu analysieren und daraus allfällige neue   lungen, 14. März 2011)
                                                           oder schärfere Sicherheitsstandards abzulei-
                                                           ten, insbesondere betreffend Erdbeben-
                                                           sicherheit und Kühlung. Die Erkenntnisse
                                                           und Schlussfolgerungen aus diesen Unter-        Uvek überarbeitet
                                                           suchungen müssten in die Beurteilung der        Energieperspektiven
                                                           Lage bei den bestehenden und der neu
                                                           geplanten Kernkraftwerke einfliessen. Die
                                                           Rahmenbewilligungsgesuche für den Ersatz        Der Bundesrat hat dem Eidgenössischen
                                                           bestehender Kernkraftwerke könnten nur in       Departement für Umwelt, Verkehr, Ener-
                                                           Kenntnis dieser Abklärungen umfassend           gie und Kommunikation (Uvek) grünes
                                                           beurteilt werden. Für Leuthard haben die        Licht für die Aktualisierung der Energie-
                                                           «Sicherheit und das Wohlergehen der Bevöl-      perspektiven gegeben. Dabei stehen drei
                                                           kerung oberste Priorität».                      mögliche Optionen für die künftige
                                                                                                           Schweizer Stromversorgung im Zentrum.
                                                           Die Fachleute des Bundes stehen in ständi-      Erste Resultate werden bis zum kommen-
                                                           gem Kontakt mit Experten auf internationa-      den Juni erwartet.
                                                           ler Ebene, namentlich mit den Fachleuten
                                                           der Internationalen Atomenergie-Organisa-       Parallel zur Aktualisierung der Energieper-
                                                           tion (IAEO), der OECD und der EU, betont        spektiven sollen die damit verbundenen öko-
                                                           das Uvek in einer Medienmitteilung. Das         nomischen sowie innen- und aussenpoliti-
                                                           Ensi halte Bundesrätin Leuthard über die        schen Fragen im Zusammenhang mit der
                                                           Entwicklung in Japan ständig auf dem Lau-       künftigen Stromversorgung der Schweiz be-
                                                           fenden. Das Ensi sei beauftragt, die Bevölke-   antwortet werden. Als Diskussionsgrundlage
                                                           rung regelmässig zu informieren.                stehen drei Stromszenarien im Mittelpunkt:
                                                                                                           In der ersten Variante wird der heutige
                                                                                                           Strommix beibehalten und die Kapazität der
                                                           Alpiq, Axpo und BKW zeigen                      drei ältesten Kernkraftwerke durch neue er-
                                                           Verständnis für Uvek-Entscheid                  setzt. Die zweite Variante sieht keinen Ersatz
                                                                                                           bestehender Kernkraftwerke am Ende ihrer
                                                           In einer Stellungnahme zeigte die Alpiq Ver-    Betriebszeit vor. Und schliesslich beschreibt
     Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                           ständnis dafür, dass die Schweizer Behörden     die dritte Variante den vorzeitigen Ausstieg
                                                           die Ereignisse in Japan ohne Zeitdruck aus-     aus der Kernenergie, das heisst bestehende
                                                           werten und ihre Erkenntnisse in die sicher-     Kernkraftwerke werden noch vor ihrer
                                                           heitstechnischen Vorgaben einfliessen las-      sicherheitstechnischen Betriebszeit ausser
                                                           sen wollen. Die BKW FMB Energie AG gab          Betrieb gesetzt. In diesem Zusammenhang
                                                           bekannt, sie unterstütze die Sistierung der     sind für den Bundesrat die Potenziale, die
                                                           Rahmenbewilligungsgesuche für die Reali-        zusätzlichen Fördermassnahmen und der
                                                           sierung der Ersatzkernkraftwerke und eine       Zeitbedarf von Interesse. Insbesondere will
                                                           zusätzliche Sicherheitsüberprüfung der be-      er «Massnahmen in den Bereichen Smart-
                                                           stehenden Kernkraftwerke. Sie teilte mit, das   energy, Smartgrids, Netze, Energieeffizienz,
NACHRICHTEN

                                                                                                          9

Erneuerbare Energien, Forschung und Ent-         Photovoltaik, 4% Biomasse und Biogas, 3%
wicklung sowie Pilot- und Demonstrations-        Wind sowie 2% Kehrichtverbrennungsan-
anlagen vertieft analysieren». (M.B. nach        lagen und Abwasserreinigungsanlagen.
BFE, Medienmitteilung, 23. März 2011)
                                                 Reichen erneuerbare Energien und Energie-
                                                 effizienz nicht aus, wollen die Grünen auf
                                                 dezentrale Erzeugungsmethoden mit Erdgas
Grüne lancieren Volksinitiative                  setzen (Blockheizkraftwerke und WKK). Nur
zum Kernenergieausstieg                          im äussersten Fall kämen grosstechnische

                                                                                                                                       Politik
                                                 Gaskraftwerke mit vollständiger CO2-Kom-
                                                 pensation in Frage.
Die Grüne Partei der Schweiz will, dass
die Schweiz bis 2024 «geordnet aus der           Als Hauptmassnahme für die Förderung der
Atomenergie» aussteigt. Dieses Ziel ver-         Energieeffizienz setzen die Grünen auf
folgen die Grünen mit einer Volksinitia-         Bonus-Malus-Systeme, Effizienznormen und
tive, deren Entwurf seit Ende März 2011          Verbote für ineffiziente Geräte, Elektrohei-
bei der Bundeskanzlei hinterlegt ist. Die        zungen und Elektroboiler. Für den Ausbau
Delegierten haben die Lancierung der             der erneuerbaren Energien setzen die Grü-
Initiative an ihrer Versammlung vom              nen in erster Linie auf die Aufhebung des
9. April beschlossen.                            Deckels der kostendeckenden Einspeisever-
                                                 gütung. Angesetzt werden soll zuallererst
Die Volksinitiative «Für den geordneten Aus-     bei denjenigen Projekten, bei denen keine
stieg aus der Atomenergie» (Atomausstiegsin-     Konflikte zwischen Schutz und Nutzung be-
itiative) fordert die Änderung des Artikels 90   stehen. (M.A. nach Die Grünen, Textentwurf
der Bundesverfassung (BV) zur Kernenergie,       zur Volksinitiative «Für den geordneten Aus-
der künftig Bau und Betrieb von Kernkraft-       stieg aus der Atomenergie» [Atomausstiegs-
werken verbieten soll. Die Ausführungsge-        initiative], Medienkonferenz und Medienmit-
setzgebung soll sich an Art. 89 BV Abs. 1        teilungen, 29. März und 9. April, sowie Ener-
und 2 orientieren und den Schwerpunkt auf        gieforum Schweiz, Energie-Report, 29. März
Energiesparmassnahmen, die effiziente Nut-       2011)
zung von Energie und die Erzeugung erneu-
erbarer Energien legen. In den Übergangsbe-
stimmungen soll festgehalten werden, dass
die Kernkraftwerke Mühleberg, Beznau-1           Energie-Positionspapier der BDP
sowie Beznau-2 spätestens ein Jahr nach
Annahme eines revidierten Artikels ausser
Betrieb zu nehmen sind und die Kernkraft-        Der Vorstand der Bürgerlich-Demokra-
werke Gösgen sowie Leibstadt spätestens 40       tischen Partei der Schweiz (BDP) hat am
Jahre nach Inbetriebnahme (das heisst 2019       Vorabend der Delegiertenversammlung
und 2024) oder früher, sofern es die Sicher-     vom 26. März 2011 das von der Bundes-
heit erfordert.                                  hausfraktion der BDP Schweiz ausgear-
                                                 beitete Positionspapier Energie geneh-
                                                                                                              Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

Den Ersatz der wegfallenden Stromproduk-         migt. Darin nimmt die Partei Abstand
tion soll eine «Agenda 24» sicherstellen, die    von der bisherigen Haltung, erst mittel-
auf Energieeffizienz und erneuerbare Ener-       bis langfristig aus der Kernenergie auszu-
gien setzt. Demnach sollen bis 2024 rund         steigen. Sie fordert jedoch weiterhin eine
17 TWh Strom jährlich eingespart werden,         autonome und CO2-arme Energieproduk-
wodurch der Jahresverbrauch bei etwas über       tion.
60 TWh stabilisiert werden könnte. Dieser
Strombedarf soll wie folgt abgedeckt wer-        Bisher habe sich die BDP in ihrem Parteipro-
den: 69% Wasserkraft, 5% fossil betriebene       gramm für einen mittel- bis langfristigen
Wärmekraftkopplungsanlagen (WKK), 13%            Ausstieg aus der Kernenergie ausgespro-
NACHRICHTEN

                                              10
Politik

                                                                 Die BDP Schweiz setzt eine Arbeitsgruppe ein, die bis zur ausserordentlichen Debatte
                                                                 zur Energiepolitik während der Sommersession 2011 Lösungsvorschläge ausarbeiten
                                                                 wird. Dies hat die Delegiertenversammlung vom 26. März 2011 beschlossen.
                                                                                                                                                 Foto: BDP

                                                            chen. Sie habe die bundesrätliche Energie-       Der Ausstieg aus der Kernenergie solle nicht
                                                            strategie, welche die erneuerbaren Energien      auf Kosten des Klimas gehen und die Schweiz
                                                            und die Energieeffizienz fördern wolle, un-      dürfe langfristig nicht von Gas oder von «dre-
                                                            terstützt. Weil die Versorgung auf diese Wei-    ckigem ausländischem Strom» abhängig sein.
                                                            se aber noch nicht vollständig sichergestellt
                                                            werden könne, habe die BDP bisher die Auf-       Wasserkraft besser nutzen
                                                            fassung vertreten, dass die Kernenergie vor-
                                                            läufig eine notwendige Form der Energie-         Die BDP sei sich bewusst, dass die neuen er-
                                                            gewinnung sei, um die Versorgungslücke zu        neuerbaren Energiequellen nicht innert nütz-
                                                            überbrücken und den CO2-Ausstoss mög-            licher Frist die Stromlücke, die der Ausstieg
                                                            lichst schnell zu reduzieren.                    aus der Kernenergie mit sich bringen werde,
                                                                                                             deckten. Um diese Lücke «zu tragfähigen
                                                            Ausstieg aus der Kernenergie                     wirtschaftlichen Bedingungen» schliessen zu
                                                            wahrscheinlich                                   können, setzt die BDP deshalb einerseits auf
                                                                                                             Massnahmen im Bereich der Energieeffi-
                                                            Die BDP ist nun der Ansicht, dass seit den       zienz und andererseits auf eine bessere Nut-
                                                            Ereignissen in Japan die Kernenergie welt-       zung der Wasserkraft. Die BDP fordert dazu
                                                            weit und auch in der Schweiz als Option zur      einen Generationenvertrag mit Umweltver-
                                                            Energiegewinnung mit grösster Wahrschein-        bänden, Landschaftsschützern und gewissen
                                                            lichkeit wegfallen werde. Die abschliessende     Teilen der Politik, damit die Potenziale der
                                                            Analyse der Ergebnisse in Fukushima stehe        erneuerbaren Energien und insbesondere
     Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                            zwar noch aus, «doch der Zeitpunkt für ei-       der Wasserkraft besser genutzt werden kön-
                                                            nen koordinierten und kontrollierten Aus-        nen. Gleichzeitig fordert sie eine Anpassung
                                                            stieg aus der Kernenergie ist klar in die Nähe   der Gesetze, insbesondere zur Beschleuni-
                                                            gerückt», schreibt die BDP in ihrem Posi-        gung der Bewilligungsverfahren und zur
                                                            tionspapier.                                     Einschränkung der «Verhinderungsmecha-
                                                                                                             nismen». Gleiches gelte für andere erneuer-
                                                            Die BDP akzeptiere die neue Ausgangslage.        bare Energien wie zum Beispiel Solarenergie
                                                            Sie sei aber nicht bereit, deswegen ihre ener-   oder Windkraft. (M. A. nach BDP, Medien-
                                                            giepolitischen Anliegen – autonome und           mitteilung, 26. März, und Positionspapier
                                                            CO2-arme Energieproduktion – aufzugeben.         Energie, 20. März 2011)
NACHRICHTEN

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Fessenheim-Abschaltung fordern                  und dass die bei einem starken Erdbeben
Basel-Stadt, Basel-Landschaft …                 auftretenden Kräfte signifikant unterschätzt
                                                würden. «Die Anlage ist veraltet und dürfte
                                                gemäss Experten einem starken Erdbeben
Die Regierungen der Halbkantone Basel-          nicht standhalten», machen sie geltend.
Stadt und Basel-Landschaft verlangen von
den französischen Behörden und der Be-          Das Verwaltungsgericht in Strassburg hatte
treiberin Electricité de France (EDF) eine      die Klage des Trinationalen Atomschutzver-
sofortige vorübergehende Abschaltung            bands (Tras) auf sofortige Stilllegung von

                                                                                                                                         Politik
des französischen Kernkraftwerks Fes-           Fessenheim am 9. März 2011 abgewiesen
senheim, «bis eine intensive Kontrolle          (E-Bulletin vom 21. März 2011). (M. A. nach
unter Einbezug der Ergebnisse aus den           Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft,
Ereignissen in Japan durchgeführt wor-          Medienmitteilung, 22. März 2011)
den ist».

Eine entsprechende Forderung zur Abschal-
tung und sofortigen vorübergehenden Still-      … sowie auch der Jura
legung des 35 Kilometer nördlich von Basel
entfernten Kernkraftwerks Fessenheim de-
ponierte Guy Morin, Regierungspräsident         Die Regierung des Kantons Jura verlangt
von Basel-Stadt, am 1. April 2011 anlässlich    – wie bereits die Regierungen der beiden
eines Geschäftstreffens mit Philippe Richert,   Halbkantone Basel-Landschaft und Basel-
dem Präsidenten des Conseil régional            Stadt – die sofortige Abschaltung des
d’Alsace.                                       französischen Kernkraftwerks Fessen-
                                                heim. Sie hat sich am 30. März 2011 der
Mit einem gemeinsamen Brief an den Bun-         Forderung der beiden Basel angeschlos-
desrat möchten die beiden Kantonsregierun-      sen.
gen zudem sicherstellen, dass beim geplan-
ten Treffen von Bundesrätin Doris Leuthard,     Die gemeinsame Forderung der drei Regie-
Leiterin des Departements für Umwelt, Ver-      rungen wurde dem Präsidenten des Conseil
kehr, Energie und Kommunikation (Uvek),         régional d’Alsace, Philippe Richert, am
mit der französischen Ministre de l’écologie,   1. April 2011 übergeben. Der Antrag verlangt
du développement durable, des transports et     von den französischen Behörden und der Be-
du logement, Nathalie Kosciusko-Morizet,        treiberin Electricité de France (EDF) die vor-
auch die Risiken von Fessenheim bespro-         läufige Abschaltung von Fessenheim, damit
chen werden und die Forderungen der             das Kernkraftwerk einer gründlichen Über-
Regierungsräte nach einer Abschaltung des       prüfung unterzogen werden könne, welche
Kernkraftwerks den französischen Behörden       die aus den Ereignissen in Japan zu ziehen-
überbracht werden.                              den Lehren mit einbezieht. Damit solle die
                                                Sicherheit und die Gesundheit der Bevölke-
Bedenken wegen Erdbebensicherheit               rung gewährleistet werden, die durch Un-
                                                sicherheiten hinsichtlich der Widerstands-
                                                                                                                Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

Nach Meinung der beiden Basel stellt Fessen-    fähigkeit gegen Erdbeben und durch das Al-
heim eine ernsthafte Bedrohung für die regi-    ter der Anlage in Frage gestellt sei, teilte die
onale Bevölkerung dar. Eine Expertise der       Regierung mit. Fessenheim liege in einem
Kantone Basel-Stadt und Jura aus dem Jahre      erdbebengefährdeten Gebiet, das etwa 60
2007 sei zum Schluss gekommen, dass die in      km in Luftlinie vom Kanton Jura entfernt ist.
Frankreich angewandte Richtlinie zur Er-
mittlung der Erdbebengefährdung für Kern-       Die Regierung werde ausserdem Bundes-
anlagen nicht dem Stand der gegenwärtigen       rätin Doris Leuthard, Leiterin des Departe-
Kenntnisse und Praxis entsprechen würde         ments für Umwelt, Verkehr, Energie und
NACHRICHTEN

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                                                                 Kommunikation (Uvek), bitten, das Begeh-             Obama kündigte an, die Ölimporte bis 2020
                                                                 ren zusammen mit demjenigen der beiden               um einen Drittel reduzieren zu wollen. «Heu-
                                                                 Basel beim nächsten Ministertreffen zwi-             te gebe ich ein neues Ziel bekannt – eines,
                                                                 schen Frankreich und der Schweiz weiterzu-           das vernünftig, erreichbar und notwendig
                                                                 leiten.                                              ist», sagte Obama. «Als ich in dieses Amt ge-
                                                                                                                      wählt wurde, importierten die USA 11 Mio.
                                                                 Das Verwaltungsgericht in Strassburg hatte           Barrel Öl pro Tag. In etwas mehr als einem
                                                                 die Klage des Trinationalen Atomschutzver-           Jahrzehnt werden wir dies um einen Drittel
                                                                 bands (Tras) auf sofortige Stilllegung von Fes-      verringert haben», so Obama.
Politik

                                                                 senheim am 9. März 2011 abgewiesen (E-Bul-
                                                                 letin vom 21. März 2011). (M. A. nach Kanton         Verringerung der Abhängigkeit
                                                                 Jura, Medienmitteilung, 30. März 2011)
                                                                                                                      Um dieses Ziel zu erreichen, müsse einer-
                                                                                                                      seits mehr Öl und Erdgas im Inland gefördert
                                                                                                                      werden und andererseits die Öl-Abhängig-
                                                                 Obama bekennt sich weiterhin                         keit durch Biokraftstoffe und mehr Effizienz
                                                                 zur Kernenergie                                      ersetzt werden. Die USA könnten es sich
                                                                                                                      nicht leisten, ihren langfristigen Wohlstand
                                                                                                                      und ihre langjährige Sicherheit auf eine Res-
                                                                 Am 30. März 2011 hat der amerikanische               source beruhen zu lassen, die letztendlich
                                                                 Präsident Barack Obama in einer Rede an              ausgehen werde.
                                                                 der Georgetown University in Washing-
                                                                 ton DC seine Vision zur Energieversor-               Kernenergie nötig
                                                                 gungssicherheit in den USA dargelegt.
                                                                 Schwerpunkt ist die Verringerung der                 Obama erinnerte daran, dass der Atom-
                                                                 Abhängigkeit von Ölimporten. Obama                   stromanteil des Landes etwa 20% betrage. Es
                                                                 sprach sich für Investitionen in erneuer-            sei wichtig anzuerkennen, dass Kernkraft-
                                                                 bare Ressourcen und alternative Kraft-               werke kein CO2 in die Atmosphäre ausstos-
                                                                 stoffe aus. Trotz der Tragödie in Japan              sen. Sie könnten, sofern sie sicher betrieben
                                                                 könne auf die Kernenergie nicht verzich-             würden, erheblich zum Klimaschutz beitra-
                                                                 tet werden, erklärte er vor über 1000 Stu-           gen. «Ich bin fest entschlossen, zu gewähr-
                                                                 dierenden, Dozenten und Mitarbeitern                 leisten, dass sie sicher sind», erklärte Obama.
                                                                 der Universität sowie Energieexperten.               In Anbetracht dessen, was in Japan gesche-
                                                                                                                      he, habe er die Nuclear Regulatory Commis-
                                                                                                                      sion (NRC) beauftragt, eine umfassende
                                                                                                                      Sicherheitsüberprüfung aller in Betrieb
                                                                                                                      stehender Kernkraftwerke der USA durch-
                                                                                                                      zuführen. Die Schlussfolgerungen der NRC
                                                                                                                      und die Lehren aus Japan würden bei der
                                                                                                                      Auslegung und dem Bau neuer Kernkraft-
                                                                                                                      werke übernommen. «Wir können die Kern-
                                                                                                                      energie nicht einfach vom Tisch wischen»,
     Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                                                                                      stellte Obama klar. (M. A. nach Barack
                                                                                                                      Obama, Redetext, sowie Georgetown Univer-
                                                                                                                      sity, Medienmitteilung und Videoübertra-
                                                                                                                      gung, 30. März 2011)

                                                    Barack Obama: «Wir können die Kernenergie nicht
                                                    einfach vom Tisch wischen.»
                                                                                        Foto: Georgetown University
NACHRICHTEN

                                                                                                                 13

USA: amerikanische Kernkraft-
werke sind sicher

Im Rahmen einer mündlichen Ausspra-
che vor dem Subcommittee on Energy and
Water Development hat der amerikani-
sche Energy Secretary Steven Chu zu den
Ereignissen in Japan Stellung genommen.

                                                                                                                                               Politik
Die USA würden daraus ihre Lehren zie-
hen, versicherte er.

Die amerikanische Bevölkerung solle volles
Vertrauen in die strengen Sicherheitsvor-
schriften für Kernkraftwerke haben, die in        Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Presse-
den USA angewendet werden, sagte Chu. Die         konferenz nach dem Gespräch mit Ministerpräsidenten
Vorschriften stellten sicher, dass der Nukle-     der Länder, die Kernkraftwerke in Betrieb haben.
arstrom in den USA sicher und verantwor-                                                  Foto: Guido Bergmann

tungsvoll erzeugt werde. Laut Chu werden
die USA aus den Ereignissen in Japan ihre
Lehren ziehen.

«Die Sicherheit steht weiterhin an oberster     Die Sicherheit aller deutschen Kernkraft-
Stelle unserer Bemühungen, die Energie-         werke soll einer vorbehaltlosen Analyse un-
ressourcen in den USA verantwortungsvoll zu     terzogen werden (siehe Rubrik «Sicherheit,
entwickeln», erklärte Chu. Um den Energie-      Strahlenschutz»). Für drei Monate will die
bedarf des Landes zu decken, sei weiterhin      deutsche Regierung dafür die kürzlich be-
ein ausgewogener Energiemix aus erneuer-        schlossene Laufzeitverlängerung aussetzen.
baren Energien, Erdgas, sauberer Kohle und      «Wir wollen diese drei Monate nutzen, um
Kernenergie nötig. (M.A. nach Department of     mit einer unabhängigen Expertenkommis-
Energy, Medienmitteilung, 15. März 2011)        sion, die zusammen mit der Bundesregie-
                                                rung arbeitet, noch einmal eine neue Risiko-
                                                analyse aller deutschen Kernkraftwerke auf
                                                Grundlage der neuen Erkenntnisse vorzu-
Laufzeitverlängerung deutscher                  nehmen, die wir aus Japan erhalten haben»,
Kernkraftwerke ausgesetzt                       erklärte Westerwelle. Er versicherte weiter,
                                                dass weder die Energieversorgung noch
                                                die Staatsfinanzen durch das dreimonatige
Aufgrund der Ereignisse in Japan wird           Moratorium «tangiert, geschweige denn ge-
die erst kürzlich beschlossene Verlänge-        fährdet» würden (siehe Rubrik «Stellung-
rung der Laufzeiten deutscher Kernkraft-        nahmen, Meinungsumfragen»).
werke für drei Monate ausgesetzt. Dies
                                                                                                                      Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

hat Bundeskanzlerin Angela Merkel im            Sieben Kernkraftwerkseinheiten
Beisein von Vizekanzler Guido Westerwel-        vorübergehend abstellen
le am 14. März 2011 bekannt gegeben. Mit
den Ministerpräsidenten der Länder, in          Angesichts der Sicherheitsüberprüfung aller
denen Kernkraftwerke am Netz sind, hat          Kernkraftwerke werden die Kernkraftwerks-
die Regierung einen Tag darauf verein-          einheiten, die vor Ende 1980 in Betrieb ge-
bart, diejenigen Einheiten während des          gangen sind, während des Moratoriums vom
Moratoriums abzustellen, die vor Ende           Netz genommen, während die Blöcke, die
1980 den Betrieb aufgenommen haben.             nach Ende 1980 in Betrieb gegangen sind,
NACHRICHTEN

                                              14

                                                            während der Sicherheitsüberprüfung weiter-
                                                            laufen dürfen, erläuterte Merkel. Von der Ab-
                                                            schaltung betroffen sind demnach Biblis-A
                                                            und -B, Brunsbüttel, Isar-1, Neckarwest-
                                                            heim-1, Philippsburg-1 und Unterweser.

                                                            «Energiewende» beschleunigen

                                                            Merkel kündigte zudem an, den kürzlich mit
Politik

                                                            dem Energiekonzept 2050 eingeschlagenen
                                                            Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien
                                                            weiter zu forcieren. Die Konzeption der
                                                            Kernenergie als Brückentechnologie habe
                                                            von vornherein erkennen lassen, dass der
                                                            Ausstieg komme. Ein überstürztes Abschal-
                                                            ten der deutschen Kraftwerke bei gleichzeiti-       EU-Energiekommissar Günther
                                                            gem Einkauf ausländischen Atomstroms                Oettinger mahnt zur Geduld, da noch
                                                            könne aber auch jetzt nicht die Antwort auf         nicht alle Fakten zu den Ereignissen in
                                                            die Katastrophe sein, so Merkel. (M. A. nach        Japan vorliegen: «Es wäre falsch, vor-
                                                            deutscher Bundesregierung, Medienmittei-            eilige Schlüsse über die Sicherheit von
                                                            lungen und Pressestatements, 14. und                Kernkraftwerken in Europa zu ziehen.»
                                                            15. März 2011)                                                             Foto: Europäische Union

                                                            «Stresstest» für Kernkraftwerke                   Oettinger: Keine Bewegung bei
                                                            in der EU beschlossen                             EU-Atomkurs

                                                                                                              In einer ausserordentlichen Sitzung mit dem
                                                            Als Reaktion zum Erdbeben und Tsunami             Ausschuss für Industrie, Forschung und
                                                            in Japan müssen sich alle europäischen            Energie des EU-Parlaments sagte Oettinger,
                                                            Kernkraftwerke einer Sicherheitsprü-              er sehe keine Ausstiegsdebatte in der EU. Es
                                                            fung unterziehen. Darauf haben sich die           habe bei den Energieministern in dieser Fra-
                                                            EU-Energieminister bei einem Treffen mit          ge «keine Bewegung» gegeben. Frankreich,
                                                            EU-Energiekommissar Günther Oettinger             Italien und Grossbritannien machten bei-
                                                            am 15. März 2011 in Brüssel geeinigt.             spielsweise keine Anzeichen, den Atomkurs
                                                                                                              zu ändern. «Die Ausstiegsdebatte beschränkt
                                                            Oettinger kündigte eine Neubewertung aller        sich auf den deutschsprachigen Bereich»,
                                                            Risiken der Anlagen bei Naturkatastrophen         so Oettinger im EU-Parlament. Die EU-
                                                            wie Erdbeben, Hochwasser oder auch einem          Parlamentarier Alejo Vidal (Spanien),
                                                            Terrorangriff an. Überprüft werden unter an-      Giles Chichester (Grossbritannien) und Edit
                                                            derem die Kühl- und Notstromsysteme. Der          Herczog (Ungarn) warnten vor einer Über-
     Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                            Kernkraftwerksstandort und das Alter der          reaktion. Europa solle nicht in Panik geraten
                                                            Anlage würden in Betracht gezogen. Bis Juni       und zuerst alle Einzelheiten der Ereignisse
                                                            2011 sollen die Kriterien der Stresstests fest-   in Japan korrekt einbeziehen, bevor langfris-
                                                            stehen. In der zweiten Jahreshälfte sollen die    tige Entscheide zur Energiezukunft getrof-
                                                            Prüfungen abgeschlossen sein.                     fen würden. (M. A. nach Europäisches Par-
                                                                                                              lament und Euractiv, Medienmitteilungen,
                                                                                                              15. März 2011)
NACHRICHTEN

                                                                                                                      15

EU-Kommission nimmt                             nuklearen Experimentalreaktors (Iter) in
Vorschlag zur Euratom-Budget-                   Frankreich liegt. Für die Forschungsprojekte
verlängerung an                                 in den Bereichen Kernspaltung und Strah-
                                                lenschutz werden EUR 118 Mio. (CHF 153
                                                Mio.) bereitgestellt. Die Nuklearforschung
Die EU-Kommission hat am 7. März 2011           und die Arbeiten zur Gewährleistung der
einen Vorschlag zur Verlängerung der            kerntechnischen Sicherheit in der Gemein-
Finanzierung des Euratom-Rahmenpro-             samen Forschungsstelle der Kommission
gramms 2007–2011 bis 2013 angenom-              (JRC) werden mit EUR 233 Mio. (CHF 290

                                                                                                                                                    Politik
men, mit dem die Nuklearforschung               Mio.) unterstützt.
unterstützt wird.
                                                Iter-Zusatzbudget vorbehalten
Die Budgetverlängerung ist ein formal not-
wendiger Schritt, um die Laufzeit des Eura-     In den für die Kernfusion vorgesehenen
tom-Rahmenprogramms der siebenjährigen          EUR 2,2 Mrd. (CHF 2,9 Mrd.) sind EUR 1,3
Laufzeit des übergreifenden Siebten EU-For-     Mrd. (CHF 1,7 Mrd.) enthalten, die voraus-
schungsrahmenprogramms (RP7) anzupas-           sichtlich in den Jahren 2012 /13 zusätzlich
sen, das bis 2013 läuft. Der Vorschlag bein-    zur ursprünglich geplanten Zuweisung an
halte keine Änderung der Politik, hält die      den Iter erforderlich sein werden. Der heu-
EU-Kommission in ihrer Medienmitteilung         tige Vorschlag berührt jedoch nicht die
fest. Die EU-Organe hätten bei der Lancie-      finanziellen Grundlagen des Iter, denn für
rung beider Programme im Jahr 2007 diesen       die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel
Verlängerungsvorschlag bereits eingeplant.      ist eine eigene Übereinkunft zwischen dem
Der Vorschlag wurde am 8. März 2011 dem         Rat und dem Europäischen Parlament erfor-
EU-Rat vorgelegt, der vor Jahresende darü-      derlich. Die Kommission schlug im Juli 2010
ber beschliessen dürfte. Mit der Verabschie-    vor, nur einen Drittel der für den Iter zusätz-
dung durch den EU-Rat könnten die laufen-       lich notwendigen Mittel durch die Umvertei-
den Euratom-Forschungsarbeiten weiterge-        lung von Mitteln des RP7 zu finanzieren und
hen. Sie dienen unter anderem der Erhöhung
der nuklearen Sicherheit und dem Strahlen-
schutz, so die EU-Kommission.

Máire Geoghegan-Quinn, EU-Kommissarin
für Forschung, Innovation und Wissenschaft,
erklärte: «Die Euratom-Forschung leistet seit
vielen Jahren einen wichtigen Beitrag zu
Sicherheit, Effizienz und Wettbewerbsfähig-
keit im Nuklearbereich. Dank dem heute
vorgelegten Vorschlag kann dies weiterge-
hen. Einige Mitgliedstaaten setzen die Kern-
energie als Energietechnologie ein, andere
nicht. Diese Entscheidung ist nach wie vor
                                                                                                                           Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

ihre Sache.»

Budget von insgesamt 2,5 Mrd. Euro
                                                  EU-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn: «Die Eura-
Das vorgesehene Budget von EUR 2,5 Mrd.           tom-Forschung leistet seit vielen Jahren einen wichtigen
(CHF 3,2 Mrd.) für die Jahre 2012 und 2013        Beitrag zu Sicherheit, Effizienz und Wettbewerbsfähig-
umfasst etwas mehr als EUR 2,2 Mrd. (CHF          keit im Nuklearbereich. Dank dem heute vorgelegten
2,9 Mrd.) für die Kernfusionsforschung, bei       Vorschlag kann dies weitergehen».
welcher der Schwerpunkt im Wesentlichen                                                     Foto: Europäische Union

auf dem Bau des Internationalen Thermo-
NACHRICHTEN

                                                                  16

                                                                                die anderen beiden Drittel aus nicht ver-         offenen Prozess eingeleitet. Die BKW ist
                                                                                wendeten Haushaltsmitteln aufzubringen            für alle sicheren, umweltfreundlichen
                                                                                (E-Bulletin vom 23. Juli 2010). Der Rat und       und wirtschaftlichen Technologien zur
                                                                                das Europäische Parlament müssen über             Stromproduktion zugänglich. Ein poli-
                                                                                diesen Vorschlag noch beschliessen. (M. A.        tisch motiviertes vorzeitiges Abschalten
                                                                                nach Europäische Kommission, Medienmit-           des KKM jedoch würde der Umwelt scha-
                                                                                teilung, 7. März 2011)                            den und hätte schwer abschätzbare Aus-
                                                                                                                                  wirkungen auf den Strompreis.
Politik

                                                                                                                                  Am 31. März 2011 traten BKW-Verwaltungs-
                                                                                Italien hat Neubaupläne                           ratspräsident Urs Gasche und Kurt Rohr-
                                                                                aufgeschoben                                      bach, Vorsitzender der Unternehmenslei-
                                                                                                                                  tung, vor die Medien, um die Bevölkerung
Stellungnahmen / Meinungsumfragen

                                                                                                                                  angesichts der Ereignisse in Japan über die
                                                                                Die italienische Regierung hat die Umset-         aktuelle Standortbestimmung der BKW in
                                                                                zung ihrer Pläne für den Bau neuer Kern-          Bezug auf die Sicherheit des KKM und über
                                                                                kraftwerke für ein Jahr auf Eis gelegt.           künftige Herausforderungen bei der Strom-
                                                                                Mitte 2009 hatte das italienische Parla-          versorgung zu informieren. Urs Gasche wies
                                                                                ment den vor über 20 Jahren beschlosse-           auf die Grundhaltung der BKW hin, wonach
                                                                                nen Ausstieg aus der Kernenergie rück-            die Sicherheit im KKM absolute Priorität hat.
                                                                                gängig gemacht. Seither arbeitete die             Der Grundsatz «safety first» gelte in allen
                                                                                Regierung am Wiedereinstieg.                      Belangen, «und zwar mit Null Toleranz», so
                                                                                                                                  Gasche. Die BKW unterstütze die entspre-
                                                                                Das italienische Kabinett hat am 23. März         chenden Anstrengungen der Sicherheits-
                                                                                2011 bestätigt, dass die Regierung ein einjäh-    behörden und habe aus den bisher gewonne-
                                                                                riges Moratorium für ihr Kernkraftwerks-          nen Erkenntnissen über die Ereignisse im ja-
                                                                                Neubauprogramm beschlossen hat. Italien           panischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi
                                                                                reagiert damit auf die aktuellen Gescheh-         erste Massnahmen eingeleitet, um die schon
                                                                                nisse im japanischen Kernkraftwerk Fuku-          heute hohe Sicherheit des KKM weiter zu
                                                                                shima-Daiichi, das aufgrund der Auswirkun-        verbessern. Kurt Rohrbach nahm für die
                                                                                gen des schweren Erdbebens mit Tsunami            BKW in Anspruch, dass sie sich den Fragen
                                                                                am 11. März stark beschädigt wurde. Vom           der Sicherheit «nicht erst seit Fukushima sehr
                                                                                Moratorium nicht betroffen sind laufende          intensiv widmet». Er wies darauf hin, «dass
                                                                                Verfahren für den Bau eines Lagers für            das Reaktorgebäude des KKM und das soge-
                                                                                radioaktive Abfälle, teilt der Ministerrat mit.   nannte SUSAN-Gebäude – also jene Gebäu-
                                                                                (M.B. nach italienischem Ministerrat, Mittei-     de, die für die Beherrschung eines Störfalles
                                                                                lung, 23. März 2011)                              notwendig sind – einem Beben der Stärke 7
                                                                                                                                  standhalten». Den Nachweis dafür habe die
                                                                                                                                  BKW Ende 2010 beim Eidgenössischen Nuk-
                                                                                                                                  learsicherheitsinspektorat (Ensi) eingereicht,
                                                                                BKW offen für «weiter-                            das diesen Bericht zurzeit begutachte. Weiter
                                                                                entwickelte» Kernenergie                          habe die BKW laut Rohrbach am 31. März
                         Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                                                                                                  dem Ensi ihre Stellungnahme zum Beschluss
                                                                                                                                  vom 18. März eingereicht. Diese Verfügung
                                                                                Die BKW FMB Energie AG (BKW) hat vor              verlangt die Überprüfung und nachfolgend
                                                                                dem Hintergrund der aktuellen Ereignis-           die allfällige Behebung von Defiziten bei der
                                                                                se in Japan eine erste Standortbestim-            Erdbebensicherheit, die Dezentralisierung
                                                                                mung zur Sicherheit des Kernkraftwerks            der Einsatzmittel sowie eine separate Küh-
                                                                                Mühleberg (KKM) vorgenommen. Sie will             lung der Brennelementbecken. Nach der
                                                                                ihre Unternehmensstrategie überprüfen             Stellungnahme der BKW sei nun laut Rohr-
                                                                                und hat dazu einen breiten und sachlich           bach das Ensi am Zug.                       ➜
NACHRICHTEN

                                                                                                        17

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Überprüfung der Unternehmensstrategie           sorgung im Kanton Bern», so Rohrbach. Für
                                                einen kurzfristigen Ersatz des Stroms aus
Eine zweite Konsequenz des Unglücks in          dem KKM käme nur der Import in Frage. Da
Japan ist laut Gasche die Überprüfung der       der Strom aus der EU zur grossen Mehrheit
Unternehmensstrategie. Dabei ginge es «nicht    aus fossil produziertem Strom bestehe, hätte
um überhasteten Aktivismus, wie er verbal       dies negative Auswirkungen auf die CO2-
mitunter die aktuelle Diskussion prägt». Die    Bilanz der Schweiz. Eine neue Prioritäten-
BKW will sich bei einer Anpassung der Stra-     setzung muss laut Rohrbach bewusst gesche-
tegie weiter an das in der Bundesverfassung     hen. Der Verzicht auf Kernenergie würde
verankerte Ziel der sicheren, umweltfreundli-   ausserdem einen nicht abschätzbaren Ein-
chen und wirtschaftlichen Stromversorgung       fluss auf den Strompreis haben. Solle das
halten und möglichst auf inländische Pro-       KKM mittelfristig mit inländischen, nicht-
duktion setzen. Bisher habe sich die BKW im     nuklearen Kraftwerken ersetzt werden,
Rahmen einer möglichst CO2-freien Strom-        müssten laut Rohrbach die Rahmenbedin-
produktion für den Ersatz des in absehbarer     gungen wie beispielsweise das Gewässer-
Zeit vom Netz gehenden KKM eingesetzt.          schutz- oder das CO2-Gesetz angepasst wer-
Gasche begrüsste die Sistierung der Rahmen-     den, da sonst kein Zubau möglich sei. Gas-
bewilligungsgesuche durch Bundesrätin           che zeigte sich in Anbetracht der aktuellen
Doris Leuthard. Nun sei eine umfassende ge-     Herausforderungen «offen für den Einbezug
sellschaftspolitische Diskussion angesagt,      neuer, dereinst bereitstehender, weiterent-
und die BKW werde die Behörden nach Kräf-       wickelter oder neuer Technologien». Dazu
ten in ihrer Arbeit unterstützen.               zähle er auch die Kernenergie mit aufgrund
                                                der Erkenntnisse aus Japan weiterentwickel-
Bei der Überprüfung der Unternehmensstra-       ter Sicherheit. (M. Re. nach BKW, Medien-
tegie wolle die BKW abschätzen, «inwiefern      orientierung, 31. März 2011)
die bisher wegen Widerständen aller Art ein-
geschränkten Optionen im Gefolge der Ge-
schehnisse in Japan mehr Potenzial bekom-
men». Dabei stünden die Energieeffizienz so-    Deutschland: Moratorium
wie Projekte im Bereich der neuen               führt zu Stromimport und
erneuerbaren Energien und der Wasserkraft       höheren Preisen
im Vordergrund. Solche Projekte sind in der
Vergangenheit auf vermehrten Widerstand
von Umweltschutzverbänden gestossen, wie        Die Stromeinfuhr aus Frankreich und der
das Beispiel der geplanten Erhöhung der         Tschechischen Republik hat sich seit dem
Grimsel-Staumauer zeige. Laut Gasche sind       Beschluss der deutschen Regierung von
die Gegner des Ausbaus der Grimselkraft-        Mitte März 2011, die sieben ältesten Kern-
werke oder des Leitungsprojektes Wattenwil-     kraftwerkseinheiten im Rahmen eines
Mühleberg auch nach den Ereignissen in          dreimonatigen Moratoriums vorüberge-
Japan bisher nicht von ihrer Haltung abge-      hend abzuschalten, verdoppelt. Dies zeigt
wichen. Weiter gelte es herauszufinden, ob      die neueste Analyse des deutschen Bun-
in Anbetracht der Klimapolitik die Akzep-       desverbands der Energie- und Wasserwirt-
                                                                                                             Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

tanz von Gaskraftwerken steigen würde.          schaft e. V. (BDEW) vom 2. April 2011. Seit
                                                dem 17. März importierte Deutschland
Kernenergie nicht vom Tisch                     demnach täglich rund 50 GWh mehr als es
                                                exportierte.
Gasche und Rohrbach betonten, dass eine
sofortige Ausserbetriebnahme des KKM im-        Während in der ersten Märzhälfte noch ein
mense volkswirtschaftliche und ökologische      in Deutschland saisonal üblicher Export-
Auswirkungen hätte. «Mühleberg ist unbe-        überschuss bestand, entwickelte sich die
stritten der wichtigste Pfeiler der Stromver-   Situation mit dem Herunterfahren der Kern-
NACHRICHTEN

                                                                  18
Stellungnahmen / Meinungsumfragen

                                                                                                                                     US-Bürger halten ihre Kernkraft-
                                                                                                                                     werke für sicher

                                                                                                                                     Eine Mehrheit der US-Bürger ist der Mei-
                                                                                                                                     nung, dass die amerikanischen Kern-
                                                                                                                                     kraftwerke auch nach dem Reaktorunfall
                                                                                                                                     in Japan sicher sind. Dies bestätigt eine
                                                                                                                                     Ende März 2011 durchgeführte Umfrage
                                                                                                                                     des Markt- und Meinungsforschungsinsti-
                                                                                                                                     tuts Gallup.

                                                                                                                                     Die für die Gallup-Umfrage verwendeten 527
                                                                                                                                     telefonischen Interviews wurden vom 25. bis
                                                                                                                                     27. März 2011 durchgeführt. 58% der Befrag-
                                                                                                                                     ten hielten demnach die amerikanischen
                                                                        Hildegard Müller, Vorsitzende des BDEW, fordert von          Kernkraftwerke für sicher. Demgegenüber
                                                                        der Bundesregierung, die Zeit des Moratoriums zu             waren 36% der Meinung, die Anlagen seien
                                                                        nutzen, um «einen Konsens zwischen den Parteien,             nicht sicher. Die Gallup hatte bereits im Jahr
                                                                        zwischen Bund und Ländern, gesellschaftlichen                2009 eine ähnliche Umfrage durchgeführt,
                                                                        Gruppen und natürlich auch mit der Energiewirtschaft         jedoch den Standort der Kernkraftwerke
                                                                        zu diskutieren».                                             nicht spezifiziert. Damals hielten 56% der
                                                                                                                      Foto: BDEW     Befragten Kernkraftwerke im Allgemeinen
                                                                                                                                     für sicher – fast gleich viele wie nach dem
                                                                                                                                     Reaktorunfall in Japan.

                                                                                     kraftwerke entgegengesetzt (siehe Rubrik        Den Zubau von Kernkraftwerken zur Lösung
                                                                                     «Politik»). Laut einer Analyse der BDEW er-     der gegenwärtigen Energieprobleme befür-
                                                                                     gibt sich seit dem 17. März 2011 ein Einfuhr-   worteten 46% der Befragten. 48% hingegen
                                                                                     überschuss: Die Stromflüsse aus Frankreich      waren der Meinung, die Risiken der Kern-
                                                                                     und Tschechien haben sich verdoppelt, die       energie seien für einen Ausbau zu gross. 6%
                                                                                     Stromflüsse in die Niederlande und die          hatten keine Meinung. Diese Frage wurde
                                                                                     Schweiz dagegen halbiert. In den ersten 20      erstmals im Jahr 2001 bei einer Gallup-
                                                                                     Tagen seit dem Moratorium seien die ausge-      Umfrage gestellt. Damals befürworteten 49%
                                                                                     fallenen Strommengen überwiegend durch          den Ausbau, 46% waren dagegen. Diese Re-
                                                                                     einen Anstieg des Importsaldos ausgegli-        sultate zeigen, so die Gallup in ihrer Medien-
                                                                                     chen worden, erklärte BDEW-Vorsitzende          mitteilung, dass sich die Unterstützung für
                                                                                     Hildegard Müller zu den Änderungen beim         die Kernenergie trotz den Vorkommnissen in
                                                                                     Stromaustausch.                                 Japan in den letzten zehn Jahren nicht gross
                                                                                                                                     verändert habe. (D. S. nach Gallup, Medien-
                                                                                     Zugleich führte die Abschaltung der sieben      mitteilung, 4. April 2011)
                                                                                     Kernkraftwerkseinheiten an den Grosshan-
                         Bulletin Nuklearforum Schweiz 4 / 2011

                                                                                     delsmärkten zu steigenden Preisen bei allen
                                                                                     gehandelten Produkten. Laut BDEW stiegen
                                                                                     die Preise an der Strombörse in Leipzig im      Solider Rahmen für Kernenergie-
                                                                                     Schnitt um rund 12%. (M. A. nach BDEW,          einführung in Polen
                                                                                     Analyse März 2011: Stromerzeugung, Strom-
                                                                                     austausch, Preise, und Medienmitteilung,
                                                                                     2. April 2011)                                  Polen verfügt über einen gut strukturier-
                                                                                                                                     ten Plan zur Einführung eines Kernener-
                                                                                                                                     gieprogramms, einschliesslich institu-
                                                                                                                                     tioneller und rechtlicher Rahmenbe-
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