CHEM NEWS XXIV STOFFPOLITISCHE SCHWERPUNKTE DER ABTEILUNG V/5 DES BMLFUW FÜR CHEMIEPOLITIK UND BIOZIDE - Bundesministerium für Klimaschutz ...
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CHEM NEWS XXIV STOFFPOLITISCHE SCHWERPUNKTE DER ABTEILUNG V/5 DES BMLFUW FÜR CHEMIEPOLITIK UND BIOZIDE
IMPRESSUM IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: BUNDESMINISTERIUM FÜR LAND- UND FORSTWIRTSCHAFT, UMWELT UND WASSERWIRTSCHAFT Stubenring 1, 1010 Wien www.bmlfuw.gv.at Gesamtkoordination: Mag. Dr. Thomas Jakl, Leiter der Abteilung V/5 – Chemiepolitik und Biozide Bildnachweis: Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Stubenbastei 5, 1010 Wien Gestaltungskonzept: WIEN NORD Werbeagentur ISBN Nr. 978-3-903129-21-4 Original wurde gedruckt von: Zentrale Kopierstelle des BMLFUW, Alle Rechte vorbehalten. UW-Nr. 907, nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Wien, November 2016 Österreichischen Umweltzeichens. - 2 -
VORWORT VORWORT DIE CHEMIKALIENPOLITIK DER EUROPÄISCHEN UNION ist ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell – insbesondere die REACH-Verordnung. „REACH“ steht als Abkürzung für Registrierung („Registration“), Bewertung („Evaluation“) und Zulassung („Authorisation“) von Chemikalien (Chemicals). Sowohl der EU-Vertrag als auch unser nationales Recht bekennen sich zu einem hohen Schutzniveau für die Gesundheit der Menschen und der Ökosysteme. Vorsorgeorientiertes Handeln hat höchste Priorität. Österreich versteht sich als Motor für eine ambitionierte und effektive Chemiepolitik. Wir legen großen Wert darauf, unsere Schwerpunkte einzubringen und den gemeinsamen Weg der Europäischen Union aktiv mitzugestalten. In vielen Fällen konnten unsere Initiativen europäische und internationale Entwicklungen entscheidend beeinflussen. Auch auf nationaler Ebene beobachten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen und achten streng darauf, dass sie eingehalten werden. Dazu kooperieren wir eng mit den Chemikalieninspektoraten der einzelnen Bundesländer. Mein Ministerium hat das dienstleistungsorientierte Geschäftsmodell „Chemikalienleasing“ entwickelt. Dabei bilden nicht die Produkte, sondern deren Effekte („Reinigung“, „Beschichtung“, etc.) die Geschäftsbasis. So lohnt es sich auch für die Herstellerinnen und Hersteller von chemischen Produkten, wenn diese effizient eingesetzt werden. Heute ist Chemikalienleasing ein weltweit erfolgreiches Modell, das Ressourceneffizienz und ökonomischen Erfolg vereint und somit eine idealtypische Ausformung der „circular economy“ darstellt. Synthetische Chemikalien können nahezu überall nachgewiesen werden – gleichgültig, ob Wasser aus dem klarsten Gebirgsbach oder eine Bodenprobe aus dem tiefsten Dickicht des Urwalds untersucht wird. Oft ist die Konzentration extrem gering, manchmal jedoch unerwartet hoch. Bis zum Jahr 2020 möchte die Staatengemeinschaft die Freisetzung von umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien minimieren. Dieses Ziel wurde im Jahr 2002 am Weltumweltgipfel in Johannesburg beschlossen. Nur wenn wir unsere gemeinsamen Anstrengungen weiter verstärken, können wir Umwelt und Klima nachhaltig schützen. CHEM NEWS XXIV bietet einen Überblick zu aktuellen umweltpolitischen Entwicklungen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu transparenter Information und partizipativer Politikgestaltung. Ihr ANDRÄ RUPPRECHTER Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft - 3 -
INHALT INHALTSVERZEICHNIS IMPRESSUM .................................................................................................................................................. 2 VORWORT..................................................................................................................................................... 3 EDITORIAL.................................................................................................................................................... 5 „WAS WÄRE WENN?“-SZENARIEN MACHEN KEINE LEIDENSCHAFTLICHEN EUROPÄER .. 5 NACHRUF DR. JOHANN STEINDL ............................................................................................................ 7 EU- UND UN-RECHTSMATERIEN............................................................................................................. 8 GRÜNE CHEMIE IN ÖSTERREICH – EIN GEMEINSAMES PROJEKT VON BMLFUW UND TECHNIKUM WIEN ................................................................................................................................ 8 6. IUPAC-KONFERENZ GREEN CHEMISTRY .................................................................................. 12 CIRCULAR ECONOMY – DIE SCHNITTSTELLE REACH UND ABFALL: POTENZIAL UND PROBLEMATIK ..................................................................................................................................... 16 PRODUKTREGISTRIERUNG HEUTE UND IN ZUKUNFT ............................................................... 19 ENDOKRIN WIRKSAME SUBSTANZEN ........................................................................................... 21 HIGH-TECH-MATERIALIEN UND REACH – DER RECHTLICHE RAHMEN ............................... 24 WORKSHOP „REPELLENTS” .............................................................................................................. 28 NEUBEWERTUNG RODENTIZIDE ..................................................................................................... 33 INTERNATIONALE CHEMIEPOLITIK .................................................................................................... 36 MONTREALER PROTOKOLL GOES KLIMASCHUTZ ..................................................................... 36 POPS: DAS KURZE ENDE EINER LANGEN GESCHICHTE: EINE DARSTELLUNG ZUM STATUS VON HBCDD; VORSCHAU AUF DIE NEUFASSUNG DER POP-V ...................... 39 VERHÄLTNIS REACH-V UND POP-V................................................................................................ 41 RATIFIKATION DES MINAMATA ÜBEREINKOMMENS DURCH ÖSTERREICH ...................... 43 ÜBERARBEITUNG DES NATIONALEN IMPLEMENTIERUNGSPLANES / NATIONALEN AKTIONSPLANES FÜR DAS POP-ÜBEREINKOMMEN .................................................................. 44 OECD CHEMICALS MANAGEMENT GROUP .................................................................................. 46 NATIONALES STOFFRECHT.................................................................................................................... 48 ERGEBNISSE DES VOLLZUGSSCHWERPUNKTES 2015/2016 HINSICHTLICH AUSGANGSSTOFFE FÜR EXPLOSIVSTOFFE .................................................................................. 48 AKTUELLE ENTWICKLUNGEN .............................................................................................................. 52 NOVELLE ZUR BEGASUNGSSICHERHEITSVERORDNUNG ........................................................ 52 NOVELLE ZUR GIFTVERORDNUNG 2000 ....................................................................................... 54 AUSGANGSSTOFFE FÜR EXPLOSIVSTOFFE - INTERNETRECHERCHE BETREFFEND DIE EINHALTUNG DER VERBOTE ........................................................................................................... 55 PUBLIKATIONSPORTRAITS .................................................................................................................... 57 AKTUELLE INFORMATIONEN - BROSCHÜREN ZU CHEMIE IM ALLTAG ............................... 57 REACH 2018 - INFORMATIONEN FÜR UNTERNEHMER UND ARBEITNEHMER/INNEN ....... 59 - 4 -
EDITORIAL EDITORIAL „WAS WÄRE WENN?“-SZENARIEN MACHEN KEINE LEIDENSCHAFTLICHEN EUROPÄER VON DR. THOMAS JAKL EIN VOTUM GEGEN DEN BREXIT wäre eine reine Kopfentscheidung gewesen Die Unterstützer eines Verbleibs Großbritanniens bei der EU überpurzelten sich im Vorfeld des Referendums mit Warnungen, Apellen und Weckrufen. Durch seriöse Studienergebnisse untermauerte Befunde sollten den Britinnen und Briten doch endlich klar machen, dass ihr Land außerhalb der EU ökonomisch schwächer, die soziale Sicherheit gefährdet wäre, der Lebensstandard sinken würde und überhaupt: Großbritannien wäre auf der Weltbühne ein exotisches Leichtgewicht. Diese Warnungen waren alle im Grunde berechtigt und dennoch hat sich das Wahlvolk für einen „Brexit“ entscheiden. Eine Ablehnung wäre eine Kopf- und keine Bauchentscheidung und schon gar keine Herzensangelegenheit gewesen. Wie geht EU-Leidenschaft? Gedankenexperimente haben beschränkte Strahlkraft. Dabei ist es (trotz aller Fehlentwicklungen und manchmal unerträglicher Zauderei der EU-Institutionen) unbestritten: Ein Europa der Nationalstaaten stünde angesichts der Griechenlandkrise, der russischen Krimannexion und der Flüchtlingssituation im Herbst 2016 vor einem Trümmerhaufen. Ein Wirrwarr aus Allianzen und Rivalitäten, Einzelinteressen und unkoordinierten Aktionen hätte eine Mischung aus Ohnmacht, Chaos und noch Schlimmeres entstehen lassen. Die tatsächlichen (unbestritten mangelhaften) Strukturen und Entscheidungsprozesse wären in einem nationalstaatlichen Fleckerlteppich-Europa nicht einmal vorstellbar. DIE UNION WIRD ALS FAKTUM HINGENOMMEN, MEHR NICHT Die EU als Friedensgarant, als starke Antwort auf die Globalisierung, als Wahrer der Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger – alternativlos. Aber eben nicht wahrgenommen als unser aller Errungenschaft, als Lohn jahrzehntelangen Ringens und Erbauens, als mühsam gestalteter und weiter gestaltbarer Hort der Freiheit und des Friedens, sondern eben als – alternativlos. Für so etwas brennt man nicht, so etwas erträgt man gerade, nimmt es hin. So wie man die kleine, dunkle Wohnung in schlechter Lage eben erträgt, weil man sich nichts Anderes leisten kann. Wird aber Europa von seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht geschätzt, sondern eben nur ertragen, dann wiegt der Schmerz beim Gedanken an seinen Verlust auch nicht schwerer als die Lust auf seinen Zerfall. Was immer diesem auch folgen mag. Dieses „Hauptsache anders“-Gefühl, diese „Es kann eigentlich nur besser werden“-Einstellung wird zur prägenden Einstellung der Europäerinnen und Europäer zu ihrer Union. Zwar zeigen die Ergebnisse der Verhaltenssoziologie: Bei Wertschätzung eines Besitzes wiegt die Angst vor seinem Verlust viel größer als die Freude über einen gleich großen Gewinn (in der psychologischen Ökonomie als „Verlust-Aversion“ beschrieben). Wertschätzung jedoch entsteht erst aus dem Bewusstsein, das dieser Besitz, dieses Gut nicht selbstverständlich ist, weil es etwas Seltenes darstellt und auch weil es als etwas erlebt wird, nach dem viele andere streben. Die gleichen Kekse schmecken der Gruppe, die nur eine - 5 -
EDITORIAL Handvoll davon hat, viel besser als jener, die davon im Überfluss hat (vom US-amerikanischen Psychologen Stephen Worchel als „Knappheitsprinzip“ beschrieben). Das ist wie mit den sprichwörtlichen Krautfleckerln der Tante Jolesch, die deswegen so unnachahmlich gut schmeckten, weil es immer ein bisserl zu wenig davon gab. FRIEDE UND STABILITÄT WERDEN NICHT ERLEBT Dieses identitätsstiftende Empfinden, diese Wertschätzung für Europa drohen wir zu verlieren, und damit schwindet auch die Aversion vor seinem Verlust. Wir wissen nicht mehr, wie Friede schmeckt, uns fehlt die Wertschätzung für Stabilität – auch und vor allem weil unsere Situation gar nicht mehr als friedlich und stabil wahrgenommen wird. Kein Wunder: die täglichen Berichte über die Flüchtlingssituation und über vereinzelte Gewalttaten durch Asylsuchende erzeugen ein eher bedrohliches Bild denn ein Bild des Friedens, die steigende Arbeitslosigkeit und schwelende Finanzkrise lassen keine Befindlichkeit der Stabilität entstehen. Die Akutsituationen stehen derart dominierend im Fokus, dass der Blick, das Gefühl und damit auch die Wertschätzung für das große Ganze verloren gehen. Es ist also kein Zufall, dass einzelne Strömungen ein vitales Interesse daran haben, Angstgefühle und Unsicherheit zu stimulieren: So wird schlicht verhindert, dass Wertschätzung für die EU entsteht. Die Botschaften „Asylanten sind eine Bedrohung!“ und „Kein Steuergeld für die Pleitegriechen!“ setzen den Keim für das Empfinden, dass dieses Europa eben nicht in der Lage ist, Friede und Wohlstand zu sichern, die EU also geschwächt und Nationalstaaten gestärkt werden müssen. Ja, in ihrer Perfidie behaupten diese Kreise, in bewusster Umkehr der Realität allen Ernstes, die Union wäre der eigentliche Verursacher. Gedankenexperimente und Spekulationen, wie denn dieser Kontinent aussähe, gäbe es diese Union nicht, werden da als realitätsfremde Träumereien dargestellt und entwickeln dementsprechend keine Strahlkraft, sondern höchstens das schale Gefühl der Alternativlosigkeit. Daraus entsteht kein Bewusstsein für Errungenschaften, noch dazu, wenn diese subjektiv gar nicht mehr empfunden werden können. WIR MÜSSEN EUROPA WIEDER SPÜREN LERNEN Zufriedenheit entsteht aber, so stellt Konrad Lorenz fest, nicht nur durch das Empfinden von Glück, sondern auch durch den Wegfall von Mangel, Schmerz oder Restriktion. Lorenz zitiert dazu einen treffenden Sinnspruch: „Heut‘ mach‘ i mein Hund a Freud: Erst hau‘ i eam recht und nachha hör‘ i auf.“ Die feuchte dunkle Wohnung ist nur für den, der lange darin wohnt, eine alternativlose Mühsal. Für den, der gar kein Dach über dem Kopf hat, ist sie ein Paradies. So gesehen stehen uns zwei Wege offen, um Wertschätzung für ein gemeinsames Europa zu erlangen: Der erste Weg bestünde darin, Bewusstsein dafür zu schaffen, was für eine Errungenschaft dieses Europa, das wir erbaut haben, doch ist. Dies bedürfte einer großen Portion an ehrlicher, authentischer und aufwändiger Diskussion quer durch alle Gesellschaftsschichten – einer echten Kraftanstrengung. Wir müssten unsere Wohnung durchlüften, die Wände streichen und sie von Grund auf renovieren, um wieder Wertschätzung für das „gemeinsame Haus Europa“ empfinden zu können. Oder wir fügen uns in die „Anything but EU“- Stimmung, kehren zur von den Nationalisten verheißenen kleinstaatlichen Autonomie zurück und machen uns auf den Weg durch ein Tal der Tränen, um uns einst Europa wieder wünschen zu können. Ob es aber dann einen Weg zurück gibt? - 6 -
NACHRUF NACHRUF DR. JOHANN STEINDL VON DR. THOMAS JAKL Wer ihn je in seinem Zimmer besuchte, kann es bestätigen: Wohl hörte man Hans freundlich grüßen oder (meistens) mit markanter Stimme telefonieren – nur zu sehen war er erst, wenn er sich hinter seinen Stapeln erhob. Sein Zimmer war ein grandioser Speicher, in dem einzig und allein Hans sich zu Recht fand. Und wie. Ich erlebte in 25 Jahren keine einzige Besprechung, in der eine Unterlage erwähnt wurde und Hans hätte sie nicht mit sicherem Griff aus einem mitgebrachten Stapel gezogen. Wobei – er selbst hätte die fragliche Textstelle wahrscheinlich ohnedies im Kopf gehabt. Judikate, Rechtstexte, Literatur – Hans bezog alles in seine Überlegungen mit ein, denn der wahre Kern eines Problems (so ein für ihn bezeichnendes Zitat) „…erschließt sich erst aus dem Zusammenhang“. Sein hohes Fachwissen und seine breite Bildung – Hans war wirklich belesen – ging bei ihm Hand in Hand mit einem freundlichen, zuvorkommenden und bescheidenen Wesen. Ein Sessel zu wenig im Raum? Hans sprang als erster auf und holte Nachschub. Jemand hat noch kein Kuchenstück bei seiner Geburtstagsjause? Das entging Hans nicht und der Teller war schnell gefüllt. In seinem Netzwerk, das sich von Österreich weit nach Europa hinein verzweigte schätze man seine Meinung. Es war bekannt: Wenn sich Hans Steindl mit einem Problem auseinandersetzte, dann wirklich und ohne einen blinden Fleck zuzulassen. Hans ließ nicht locker – kein Diskurs war ihm zu anstrengend, keine Gemengelage zu komplex, keine international Verhandlung zu anstrengend. Seine raumerfüllende Stimme wird uns fehlen, sein herzliches Lachen, sein feiner Humor, seine entschuldigenden Worte beim Zuspätkommen zu einer Besprechung: es war ein wichtiges Telefonat zu führen – doch es hätte sich dabei eine neue Sichtweises ergeben: „aus dem Zusammenhang!“. - 7 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN EU- UND UN-RECHTSMATERIEN GRÜNE CHEMIE IN ÖSTERREICH – EIN GEMEINSAMES PROJEKT VON BMLFUW UND TECHNIKUM WIEN MATERIE DIE BEZEICHNUNG „GRÜNE CHEMIE“ wurde besonders im angelsächsischen Raum zum Markenzeichen einer Chemieindustrie, die das Ziel verfolgt, eine möglichst energie- und ressourcenschonende Chemikalienproduktion zu verfolgen und nachhaltige und umweltverträglich Stoffe herzustellen. Dabei sollen nicht nur die möglichen Gefahren bei der Produktion und bei der Verwendung der Produkte vermieden werden, sondern auch nachhaltige Ressourcen genutzt und unerwünschte Neben- und Abfallprodukte minimiert werden. Die „Grüne Chemie“ ist kein neues Teilgebiet der Chemie sondern vielmehr eine Denkweise, die alle Bereiche der Chemie, wie die organische, anorganische, analytische Chemie, physikalische und Bio-Chemie einbezieht und sowohl im Bereich der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung und industriellen Entwicklung immer stärkere Verbreitung findet. Eine vielversprechende Technik im Bereich der grünen Chemie ist die sogenannte weiße Biotechnologie bzw. das Bioengineering. Zahlreiche wichtige Chemikalien werden heute schon sehr ressourcensparend (hohe Ausbeuten) sowie energiesparend (bei niedrigen Temperaturen und Drucken) durch Synthesen in Mikroorganismen hergestellt. Ein gerade für die österreichische Wirtschaft wichtiges Beispiel ist die Zitronensäureproduktion. Abbildung 1: Zitronensäure (Quelle: wikipedia) Die amerikanischen Chemiker Paul Anastas von der US-EPA und John C. Warner haben zwölf Grundprinzipien der „Grünen Chemie“ entwickelt, die bis heute eine Basisreferenz bilden: 1. Umweltverschmutzung vermeiden: Chemische Synthesen bzw. Prozesse und Reaktoren so gestalten, dass Verschmutzungen und Verseuchungen vermieden werden. 2. Sicherere chemische Produkte designen: Betonung von effektiven Produkten, die bei gleichem Nutzen weniger giftig sind als vergleichbare Materialien 3. Die Herstellung von weniger gefährlichen Stoffen: die Erstellung und Nutzung von Substanzen, von denen keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgeht. 4. Die intensive Nutzung erneuerbarer Rohstoffe. - 8 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN 5. Nutzung von Katalysatoren anstelle von stöchiometrischen Reagenzien. 6. Die Vermeidung unnötiger Zwischenstufen in chemischen Prozessen 7. Die Maximierung der Atomeffizienz: Synthesen und Reaktionen so gestalten und nutzen, dass keine/wenige Atome oder Moleküle der Ausgangsreagenzien übrig bleiben oder ungewünschte Stoffe entstehen. 8. Anwendung von sicheren Lösungsmitteln und Reaktionsbedingungen; wenn möglich Einsatz von Hilfsstoffen vermeiden. 9. Die Erhöhung der Energieeffizienz: wenn möglich Durchführung von Reaktionen bei Raumtemperatur 10. Die Herstellung von Chemikalien und Produkten, die nach der Nutzung natürlich abgebaut werden können, ohne der Umwelt zu schaden. 11. Echtzeitüberwachung, Kontrolle und Steuerung aller Vorgänge, um Verschmutzung und Verunreinigungen und damit Verschwendung vorzubeugen. 12. Das Risiko für Unfälle minimieren. DERZEITIGE PROBLEMSTELLUNG Im Jahr 2011, dem von der UNESCO ausgerufenen „Internationalen Jahr der Chemie“, hat das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) zu einem Symposium über Grüne Chemie eingeladen. Der Begriff „Grüne Chemie“ kommt aus dem angelsächsischen Raum und meint eine umfassende ökologische Betrachtung der Chemieproduktion, in deren Rahmen chemische Prozesse so gestaltet werden, dass der Einsatz sowie die Entstehung gefährlicher Substanzen vermieden oder reduziert, Ressourcen (Rohstoffe, Energie) sparend eingesetzt und möglichst nachhaltige Produkte hergestellt werden. In einer Reihe von Fachvorträgen wurde bei dem Seminar insbesondere auch der Stand der österreichischen Forschung und Entwicklung in diesem Bereich beleuchtet und Perspektiven für künftige Aktivitäten aufgezeigt. Die Präsentationen zu dem Symposion sind auf der Website des BMLFUW verfügbar: https://www.bmlfuw.gv.at/greentec (Bereich Chemiepolitik und Biozide). Wichtige Schlussfolgerungen und Anregungen aus dem Seminar waren: Erstellung einer Bestandsaufnahme der Grünen Chemie in Österreich Bessere Vernetzung der Akteure durch die Bildung einer eigenen Gesprächs- und Diskussionsplattform zur Grünen Chemie in Österreich Entwicklung geeigneter Kriterien zur Bewertung von Projekten zur Grünen Chemie in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, wie etwa dem deutschen Umweltbundesamt Entwicklung eines eigenen Markennamens „Grüne Chemie in Österreich“ im Rahmen eines entsprechend ausgerichteten Forschungskonzepts - 9 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Verstärkte Verankerung der Grünen Chemie im Bereich der Bildung und intensivere Zusammenarbeit der zuständigen Institutionen Erschließung von nachwachsenden Rohstoffquellen, die derzeit ein geringes stoffliches Nutzungspotenzial in der chemischen Industrie haben und keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen (etwa Holz oder Chitin) Bereitstellung und Fokussierung von Fördermitteln auf Forschung und Entwicklung der Grünen Chemie in Österreich STRATEGIE Ausgehend von diesen Schlussfolgerungen hat das BMLFUW in Zusammenarbeit mit dem Technikum Wien das Projekt „GRÜNE CHEMIE IN ÖSTERREICH“ ins Leben gerufen. Seit 2013 werden am Technikum Wien im Rahmen des Master-Studienganges „Technisches Umweltmanagement und Ökotoxikologie“ Lehrveranstaltungen zur Grünen Chemie angeboten. Im Zuge von Masterarbeiten aus diesem Themengebiet werden fachliche Diskussionsgrundlagen für die Umsetzung der oben genannten Anregungen und Vorschläge erarbeitet. Die Definition der „Grünen Chemie“ durch die US-EPA legt einen Fokus auf den Produktionsprozess von Chemikalien, man könnte hier auch von einer „Grünen Chemie im engeren Sinne“ sprechen, denn auch unabhängig vom Herstellungsprozess selbst kann die chemische Industrie gezielt Stoffe herstellen, die in nachhaltigen ressourcen- und energieschonenden Technologien zum Einsatz kommen. Im Rahmen des Projektes „GRÜNE CHEMIE IN ÖSTERREICH“ sollen auch solche Projekte als „Grüne Chemie im weiteren Sinne“ einbezogen und möglichst umfassend hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit beleuchtet werden. Zusammenfassungen der Ergebnisse der Arbeiten im Rahmen der „GRÜNEN CHEMIE IN ÖSTERREICH“ sollen auf der Website des BMLFUW zugänglich gemacht werden. Die vollständigen Masterarbeiten können auch elektronisch als pdf-Dateien zur Verfügung gestellt werden. Anfragen sind unter Angabe des/der AutorInnen und des Titels zu richten an abt.55@bmlfuw.gv.at. Bisher wurden im Rahmen des Projektes „GRÜNE CHEMIE IN ÖSTERREICH“ zwei Masterarbeiten am Technikum Wien erfolgreich abgeschlossen: Brosch G.: Erkundungsprojekt Grüne Chemie in Österreich (Technikum Wien, 2016) Woisetschläger F.: „Erkundungsprojekt über den Einsatz innovativer Chemie in ressourcensparenden Technologien“ (Technikum Wien, 2016) VERHANDLUNGSPARTNER Im Rahmen des berufsbegleitenden Master-Studienlehrgangs Technisches Umweltmanagement und Ökotoxikologie an der FH Technikum Wien1 werden spezialisierte UmweltwissenschaftlerInnen und UmweltmanagerInnen ausgebildet. Innerhalb des Studiengangs gibt es zwei mögliche Spezialisierungen: Während die Ökotoxikologie das entsprechende Fachwissen über die jeweiligen Auswirkungen von Stoffen auf allen biologischen Ebenen des Ökosystems und damit die Fähigkeit zu einer faktenbasierten Risikoabschätzung verleiht, wird im Rahmen des Umweltmanagements ein umfassendes Wissen über den 1 https://www.technikum-wien.at/studium/master/technisches_umweltmanagement_und_oekotoxikologie/ - 10 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Einsatz alternativer, umweltverträglicher und damit auch ökonomischerer Technologien im Rahmen des betrieblichen Umweltmanagements vermittelt. Ansprechpartner für diesen Studienlehrgang ist der Lehrgangsleiter: FH-Prof. Mag. Dr. Dominik Rünzler (dominik.ruenzler@technikum-wien.at, Telefon: +43 1 333 40 77-481) TERMINE Präsentationen der Studien sowie einzelner Projekte sind im Rahmen der vom BMLFUW vorgesehenen Plattform „Grüne Chemie“ ab 2017 geplant. ANSPRECHPARTNER/INNEN Dr. Martin Wimmer Ing. Eva-Maria Reiss - 11 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN 6. IUPAC-KONFERENZ GREEN CHEMISTRY MATERIE VOM 4. BIS 8. SEPTEMBER 2016 fand in Mestre, Venedig, die sechste Konferenz der IUPAC (International and Unique, advancing Pure and Applied Chemistry worldwide) über Grüne Chemie statt. Die TeilnehmerInnen kamen aus insgesamt 72 Ländern, von österreichischer Seite nahmen Herr MSc Haske- Cornelius vom Institut für Umweltbiotechnologie (Boku, Standort Tulln) und der Autor teil. Die IUPAC ist eine internationale Institution, die 1919 mit der Zielsetzung einer weltweiten Vereinheitlichung der Terminologie und Standardisierung im Rahmen der Chemie gegründet wurde. In ihrem Eröffnungsstatement erklärte die Präsidentin der IUPAC, Frau N. P. Tarasova, dass die Organisation inzwischen eine wichtige Plattform für den Informationsaustausch in den verschiedensten Teilgebieten der Chemie geworden und durch die Finanzierung von Projekten auch ein Motor für die Forschung und Entwicklung in diesen Bereichen ist . Dazu zählt insbesondere auch die Grüne Chemie. In Zusammenarbeit mit der UNESCO und dem russischen Agrokonzern Phosagro werden beispielsweise Stipendien zur Förderung von Initiativen in der Grünen Chemie vergeben. Bei der Konferenz wurden 6 Wissenschaftler, vorwiegend aus Entwicklungs- und Schwellenländern, für ihre Forschungsanträge mit einem Förderpreis ausgezeichnet. Darüber hinaus wurde dem iranischen Chemiker Ali Maleki der CHEMRAWN VII Preis der IUPAC2 zuerkannt. Zu seinen Leistungen zählt insbesondere die Entwicklung von Dreikomponentenreaktionen, die unter milden Bedingungen und mittels Katalyse durch Nanopartikel Derivate von 4H-Pyranen in guten Ausbeuten liefern, aus denen antimikrobielle und krampflösende Pharmazeutika gewonnen werden. Auf der Konferenz wurden zahlreiche Vorträge zu den Themenbereichen “green materials”, “green bioprocesses”, „green industrial processes“, „green energy“, „green policy“, „education“ und „resotoration of cultural heritage“ gehalten. An jedem Halbtag gab es einen einleitenden Plenarvortrag, danach folgten parallele Vorlesungen an drei verschiedenen Veranstaltungsorten. Darüber hinaus wurden etwa 150 Poster präsentiert. Die Themen der Vorträge waren sehr breit gestreut, sowohl was den Inhalt als auch die Qualität betrifft. Neben speziellen stark umweltanalytisch oder verfahrenstechnisch orientierten Themen fanden sich grundlegende, zukunftsweisende Arbeiten, von denen hier nur einige näher beschrieben werden können. Professorin I.W.C.E. Arends (Technische Universität Delft) gab einen Überblick über den Einsatz von Enzymen als Katalysatoren für stereospezifische Oxidationen und Wasseranlagerungen unter milden Reaktionsbedingungen in guten Ausbeuten. Als Beispiel brachte sie den Einsatz von Hydratasen zur Addition von Wasser an ungesättigte Fettsäuren und die nachfolgende Polyesterbildung unter Wirkung von Lipasen. Die entstehenden Estolide haben ein großes Potenzial als biobasierte Schmiermittel. Abbildung 2: Bildung von Hydroxyfettsäuren und Veresterung zu Estoliden [1,2] 2 CHEMRAWN = CHEMical Research Applied to World Needs; der Preis von 5.000 USD wird alle zwei Jahre an junge Chemiker verliehen, die innovative Forschungsarbeiten im Bereich der Grünen Chemie leisten. - 12 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Professor L.-N. He (Nankai Universität) berichtete über die vielfältigen Arbeiten seines Teams zur Chemie des Kohlendioxids, das als billiges Abfallprodukt eine interessante chemische Basischemikalie darstellt. Ein Fokus seiner Arbeiten liegt auf dem direkten Einsatz von CO2 als Kohlenstoffquelle in der Synthese von C-N-verknüpften Verbindungen, wie folgende Übersicht dargestellt: Abbildung 3: Kohlendioxid als chemischer Baustein [3] Des Weiteren untersucht das Team um Professor He auch den Einsatz von überkritischem Kohlendioxid als Lösungsmittel, die säurekatalytische Wirkung des CO2/H2O-Systems in organischen Synthesen und den Einsatz von Katalysatoren und ionischen Flüssigkeiten zur chemischen Reaktivierung des an sich sehr reaktionsträgen Kohlendioxids. In diesem Zusammenhang ist die nachfolgend abgebildete silberkatalysierte Ringbildungsreaktion besonders interessant, die unter atmosphärischer Konzentration von Kohlendioxid abläuft. Abbildung 4: Reaktivierung von Kohlendioxid mittels Silberacetat [3] - 13 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Unter den vielen weiteren Beiträgen soll noch ein innovativer Ansatz der Arbeitsgruppe um Professor P. Tundo (Universität Ca´Foscari, Venedig) zur Herstellung von Polyurethanen unter Vermeidung von Diisocyanaten als Zwischenprodukte genannt werden. Dabei wird von einem cyclischen Carbamat ausgegangen und durch eine Ringöffnungspolymerisation bei leicht erhöhten Temperaturen und unter Katalyse einer starken Lewis-Säure das Polyurethan gebildet: Abbildung 5: Diisocyanat-freier Syntheseweg zu Polyurethanen Interessant und inspirierend war auch der thematische Schwerpunkt über Ausbildung in der grünen Chemie („education“). Professor M. C. Cann (Scranton University, USA), wies auf die jährlich von der amerikanischen Umweltbehörde vergebenen Presidential Green Chemistry Awards und empfahl diese als gute Lehrbeispiele für innovative Projekte im Bereich der Grünen Chemie. Die thailändische Wissenschaftlerin Professorin S. Tantayanon (Chulalongkorn-Universität, Bangkok) präsentierte ein organisches Versuchslabor im Kofferformat, das für Lehrzwecke entwickelt wurde und zahlreiche Versuche mit besonderer Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspekts (hinsichtlich der Auswahl der Chemikalien, der Prozessführung im Kleinmaßstab und der Abfallentsorgung) ermöglicht. Abbildung 6: Small Scale Laboratory der Universität Thailand [4] Die Poster-Präsentationen umfassten ebenso sehr unterschiedliche Arbeiten, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Die österreichischen Projekte, an denen auch Herr MSc Haske-Cornelius beteiligt war, wurden von acib (Austrian Centre of Industrial Biotechnology), einem im Rahmen des COMET- - 14 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Programmes geschaffenen, K2-Forschungszentrum durchgeführt und befassten sich mit der enzymatischen Oxidation und Hydrolyse bio-basierter Ausgangsstoffe. Insgesamt war die Konferenz aufgrund ihrer internationalen und thematischen Vielfalt abwechslungsreich und anregend. Auffallend stark war die Präsenz ostasiatischer und südamerikanischer, besonders brasilianischer TeilnehmerInnen, vergleichsweise unterrepräsentiert waren die USA. Unter den wenigen amerikanischen Vortragenden besonders zu erwähnen ist Paul Anastas, ein Gründervater der Grünen Chemie und Mitschöpfer jener 12 Grundprinzipien, die bis heute einen anerkannten Maßstab zur Beurteilung und Bewertung von Projekten der Grünen Chemie bilden. Die nächste IUPAC-Konferenz zur Grünen Chemie wird im kommenden Jahr in Moskau stattfinden. Sie soll verstärkt auch den administrativen und regulatorischen Gesichtspunkt in die Diskussion der Grünen Chemie einbeziehen. TERMINE Die 7. IUPAC Konferenz zur Grünen Chemie wird 2017 in Moskau stattfinden. ANSPRECHPARTNER Dr. Martin Wimmer QUELLEN FÜR DIE ABBILDUNGEN [1] Abbildung aus A. Hiseni, Study towards carotenoid 1,2-Hydratase and oleate hydratase as novel biocatalysts, Dissertation Tecnische Universität Delft (2014) [2] Abbildung aus D. G. Hayes, R. Kleiman, lipase-Catalyzed Synthesis and Properties of Estolides and Their Esters, IAOCS, Vol. 72, no.l1 i.l9(5), S. 1309 (1993) [3] Abbildungen aus dem von Prof. He freundlicherweise zur Verfügung gestellten Vortrag „Carbon Dioxide Chemistry: Carbon Capture and In Situ Conversion“ bei der 6. IUPAC Konferenz zur Grünen Chemie, Venedig, 4.-8.9.2016 [4] Arbeitsbuch „Small Scale Laboratory: Organic Chemistry at University Level, zusammengestellt und editiert von Prof. Supawan Tantayanon, Department of Chemistry, Faculty of Science, Chulalongkorn University, Bangkok, THAILAND, UNESCO contract no. 4500050667. - 15 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN CIRCULAR ECONOMY – DIE SCHNITTSTELLE REACH UND ABFALL: POTENZIAL UND PROBLEMATIK MATERIE IN DER KREISLAUFWIRTSCHAFT (ENGL. CIRCULAR ECONOMY) sollen die eingesetzten Rohstoffe über den Lebenszyklus einer Ware hinaus wieder in daran anschließende Produktionsprozesse eingebracht werden und mit möglichst wenig Abfall beseitigt werden. Eine besonders wichtige Rolle in der Kreislaufwirtschaft spielt daher das Recycling von Abfällen, um die daraus gewonnenen Sekundärrohstoffe wieder für neue Produkte verwenden zu können. Eines der Hindernisse, mit denen MarktteilnehmerInnen, die Sekundärrohstoffe nutzen wollen, konfrontiert sind, ist die Unsicherheit in Bezug auf die Qualität dieser Stoffe. Ohne allgemein akzeptierte Standards kann es schwierig sein, den Verunreinigungsgrad und die Eignung für ein hochwertiges Recycling (z. B. für Kunststoffe) festzustellen. Das Zusammenspiel von Produkt-, Abfall- und Chemikaliengesetzgebung ist daher ein zentrales Element der Kreislaufwirtschaft, um den Aufbau sauberer Materialkreisläufe bzw. den Schutz vor gefährlichen Chemikalien sicherzustellen, ohne das Recyclingpotenzial zu schmälern. Abbildung 7: Schema Kreislaufwirtschaft DERZEITIGE PROBLEMSTELLUNG Wenn Unternehmen Abfälle stofflich verwerten und dabei neue Produkte oder sekundäre Rohstoffe herstellen, werden sie – in rechtlicher Hinsicht – an der Schnittstelle von REACH-VO und EU-Abfallrecht tätig. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass ein zu Abfall gewordener Stoff nicht der - 16 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Chemikalienverordnung REACH unterliegt3. Ein Stoff fällt erst dann wieder unter die REACH-Verordnung, wenn er aufhört Abfall zu sein. Das Ende der Abfalleigenschaft kann unter Einhaltung bestimmter so genannter „End of waste“-Kriterien eintreten. Besondere Anforderungen ergeben sich dann, wenn Sekundärrohstoffe Substanzen enthalten, deren Verwendung durch EU-Chemikalienrecht wie zum Beispiel REACH4 verboten wurde oder einer Zulassungspflicht unterliegt. Dies trifft auf eine wachsende Zahl von chemischen Stoffen zu, die in den letzten Jahren als bedenklich für die Gesundheit oder Umwelt eingestuft wurden. Diese Stoffe können jedoch in – zum Teil langlebigen – Produkten enthalten sein, die verkauft wurden, bevor diese Regelungen in Kraft traten, sodass diese besorgniserregenden chemischen Stoffe in Recyclingströmen enthalten sein können. Die Feststellung bzw. Entfernung solcher besorgniserregenden chemischen Stoffe aus Sekundärrohstoffen kann kostspielig sein, und vor allem für kleine Recyclingunternehmen große Probleme verursachen. STRATEGIE Am 2. Dezember 2015 wurde von der Europäischen Kommission auf Basis des 7. Umweltaktionsprogrammes ein Kreislaufwirtschaftspaket präsentiert. Es besteht aus Vorschlägen für die Änderung von sechs Richtlinien im Abfallbereich (Abfallrahmen-, Deponie-, Verpackungs-, Batterien-, Elektroaltgeräte- und Altfahrzeugerichtlinie) und dem Aktionsplan „Den Kreislauf schließen“. Das Paket enthält Maßnahmen, die den gesamten Lebenszyklus von Materialien und Produkten – beginnend mit dem Herstellungsprozess, über das Produktdesign und die Gebrauchsphase bis hin zum Recycling – abdecken sollen. Der Aktionsplan enthält unter anderem Vorschläge, die das Vertrauen in recycelte Materialien stärken und zur Förderung des Markts für Sekundärrohstoffe beitragen sollen. Ein äußerst wichtiger Aspekt ist dabei die Schaffung weitgehend schadstofffreier Materialkreisläufe und eine bessere Rückverfolgung von chemischen Stoffen in Produkten. Dies wird das Recycling erleichtern und die Verwendung von Sekundärrohstoffen vorantreiben. Das Zusammenspiel der Rechtsvorschriften über Abfälle, Produkte und Chemikalien muss im Kontext einer Kreislaufwirtschaft betrachtet werden, um dem Auftreten von besorgniserregenden Stoffen zu begegnen, den Aufwand für Recyclingunternehmen zu begrenzen und die Rückverfolgbarkeit und das Risikomanagement von chemischen Stoffen im Recyclingverfahren zu erleichtern. VERHANDLUNGSPARTNER Recyclingwirtschaft, WKÖ, BMWFW TERMINE Die im Aktionsplan vorgeschlagenen Maßnahmen sollen bis 2019 umgesetzt werden. 3 Abfall ist kein Stoff im Sinne von REACH. Die stoffbezogenen Anforderungen von REACH wie insbesondere die Registrierung gelten daher nicht. Es ist aber anzumerken, dass Abfall insofern von REACH erfasst ist, als im Rahmen einer Risikobewertung nach REACH auch der Lebenszyklus des Abfalles zu berücksichtigen und allfällige Risikomanagementmaßnahmen auszuarbeiten sind. 4 Die REACH - Verordnung ist die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. Sie soll ein hohes Schutzniveau für Mensch und Umwelt sicherstellen, indem sie unter anderem ein Zulassungsverfahren für besonders besorgniserregende Stoffe vorschreibt. - 17 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN ANSPRECHPARTNER/INNEN Dipl.-Ing. Harald Kasamas (Abt. V/5) Ing. Mag. Renate Paumann (Abt. V/5) Dr. Martin Wimmer (Abt. V/5) Mag. Christine Hochholdinger (Abt. V/6) Mag. Ulrich Kremser (Abt. V/2) Mag. Sonja Löw (Abt. V/3) - 18 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN PRODUKTREGISTRIERUNG HEUTE UND IN ZUKUNFT MATERIE EINSTUFUNG, KENNZEICHNUNG UND VERPACKUNG von Stoffen und Gemischen, Artikel 45 CLP Mitgliedstaaten der EU müssen nationale Stellen benennen, die Informationen über die gesundheitliche Notversorgung entgegennehmen (Artikel 45 CLP-VO). Das sind in einigen Fällen Giftinformationszentralen, in anderen Fällen die zuständige Behörde oder nachgeordnete Chemikalienagenturen. Die Informationen sind vertraulich zu behandeln. Sie werden von den Giftinformationszentren für die Notfallberatung verwendet oder für die Evaluierung von Risikomanagementmaßnahmen. Die Pflicht zur Bereitstellung dieser Informationen trifft die nachgeschalteten Anwender und Importeure, die ein Gemisch in Verkehr bringen. Und zwar in allen Ländern, in denen sie diese Gemische vermarkten. Ein einheitliches Verfahren zur Registrierung von Gemischen gibt es in der EU nicht. Es wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme zur Informationsweitergabe entwickelt. Daher hat die Kommission eine Übersicht der benannten Stellen in den verschiedenen Mitgliedstaaten veröffentlicht. Die Bandbreite ist aber recht groß und reicht von einfachen Sammlungen von Rezepturen oder Sicherheitsdatenblättern bis hin zu behördlichen Produktregistern. Diese Produktregister beruhen meist auf nationalem Recht. Sie enthalten nicht nur Daten über chemische Gemische, sondern auch Informationen über Fertigwaren, das heißt Produkte mit gefährlichen Stoffen. KEMI, die Schwedische Agentur für Chemische Stoffe, betreibt ein Register für chemische Produkte. So auch Tukes, die Finnische Agentur für Chemikaliensicherheit. In Deutschland nimmt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) „Produktmeldungen“ entgegen (§ 16e Chemikaliengesetz). Bis 20. Jänner 2012 musste die Europäische Kommission überprüfen, wie Informationen und Meldeformate harmonisiert werden könnten (Artikel 45 Absatz 4 CLP). Zusätzlich wurde eine Studie über nationale Produktregister beauftragt. Der erste Kommissionsvorschlag mit einer zentralen Meldestelle, einer einheitlichen Eingabemaske und einer Liste mit meldepflichtigen Informationen wurde von der Mehrheit der Mitgliedstaaten abgelehnt. Nun wird der REACH Regelungsausschuss im September lediglich eine harmonisierte Liste mit meldepflichtigen Informationen beschließen. Der neue Anhang VII zur CLP Verordnung soll im ersten Quartal 2017 in Kraft treten. STRATEGIE In Österreich führt das Umweltbundesamt (UBA) im Namen und Auftrag des BMLFUW ein Sicherheitsdatenblattregister. Die österreichische Vergiftungsinformationszentrale (VIZ) in der Gesundheit Österreich GmbH (GOEG) kann auf diese Daten zugreifen und führt aber zusätzlich auch ein eigenes Register. Spätestens 2019 müssen nun die benannten Stellen in jedem Mitgliedstaat ein nationales Register mit den aufgelisteten Informationen führen. In Österreich ist dies das Umweltbundesamt (UBA). Die nachgeordneten Anwender und Importeure, die ein Gemisch in einem Mitgliedsstaat in Verkehr bringen, müssen ihre Produkte schrittweise mittels harmonisierter Eingabemaske bei der benannten Stelle registrieren. Eine Übersendung der Sicherheitsdatenblätter ist dann nicht mehr ausreichend. Werden Gemische in mehreren Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht, soll die ECHA den Unternehmen bei den Meldungen helfen. - 19 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN VERHANDLUNGSPARTNER BMWFW, WKÖ, VIZ (GOEG), BMG und BMASK (AK) TERMINE Abstimmung im Regelungsausschuss erfolgte am 20./21.September 2016 ANSPRECHPARTNERIN Mag. Dr. Verena Ehold - 20 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN ENDOKRIN WIRKSAME SUBSTANZEN MATERIE HORMONE SIND DIE CHEMISCHEN BOTENSTOFFE DES KÖRPERS. Sie regeln wichtige Funktionen wie Stoffwechsel, Wachstum, Entwicklung, Schlaf und Stimmung. Besonders während kritischer Entwicklungsphasen – im Mutterleib, als Säugling oder in der Pubertät – ist es wichtig, dass das endokrine System (Hormonsystem) nicht nachhaltig gestört wird, sonst drohen Fehlentwicklungen. Seit den 1990er Jahren häufen sich Befunde in der Tierwelt (v.a. Fische, Amphibien und Vögel) wie Missbildungen, fehlender Bruterfolg und falsches Geschlechterverhältnis, die Wissenschaftler auf endokrine Disruptoren zurückführen – Umweltchemikalien, die im Körper wie Hormone wirken. Auch beim Menschen werden diese Stoffe für eine ganze Reihe von Erkrankungen und Fehlentwicklungen mit verantwortlich gemacht: z.B. verringerte Spermienzahl und -qualität, Unfruchtbarkeit und bestimmte Krebsarten bei Männern und Frauen. Außerdem wird ein Zusammenhang mit Frühgeburten, Frühreife, Übergewicht, Diabetes und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) vermutet. DERZEITIGE PROBLEMSTELLUNG In mehreren Gesetzesmaterien wird auf Endokrine Disruptoren auf unterschiedliche Art Bezug genommen. Die Verordnung EG 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) legt fest, dass Substanzen mit endokrin disruptiven Eigenschaften als besonders besorgniserregende Stoffe identifiziert und als zulassungspflichtig erklärt werden können. Zur Identifikation derartiger Stoffe wird derzeit mit der WHO-Definition eines ED-Stoffes gearbeitet: „Ein endokriner Disruptor ist ein exogener Stoff oder Gemisch, welcher/s die Funktion(en) eines endokrinen Systems ändert und daher nachteilige Gesundheitsauswirkungen im intakten Organismus oder seinen Nachkommen oder (Sub)populationen hat“. Bis jetzt wurden 5 Stoffe wegen ihrer ED-Eigenschaften als besonders Besorgnis erregende Stoffe eingestuft. Weitere ED-Stoffe wurden zwar nicht wegen ihrer Hormonaktivität aber aufgrund anderer toxischer Eigenschaften reguliert, also zulassungsbeschränkt oder verboten. Nach der Verordnung EG 1223/2009 über kosmetische Mittel unterliegen endokrin disruptive Substanzen derzeit keiner Beschränkung; dies hätte allerdings lt. Gesetzestext überprüft werden müssen, sobald international vereinbarte bzw. EU-Kriterien für die Identifizierung von Substanzen mit endokrin disruptiven Eigenschaften vorliegen, spätestens jedoch am 11. Januar 2015. Die Wasserrahmen-Richtlinie (2000/60/EG) beinhaltet eine Strategie gegen die Verschmutzung von Oberflächenwasser durch chemische Schadstoffe und besonders bedenkliche Substanzen in der EU, einschließlich einiger potenziell endokrin disruptiver Substanzen. 2012 schlug die Kommission vor, die Liste prioritärer Stoffe zu ergänzen. Die Verordnung EG 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln legt fest, dass Pflanzenschutzmittelwirkstoffen mit endokrinschädlichen Eigenschaften in der EU keine Zulassung erteilt werden darf bzw. die Zulassung entzogen werden muss – mit Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen. Gemäß Verordnung EG 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten werden derartige Wirkstoffe nicht zugelassen (ebenfalls Ausnahmen in bestimmten Fällen), wenn sie endokrin disruptive Eigenschaften haben. Auch wird die Zulassung nicht verweigert, wenn die - 21 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN Nichtzulassung, gemessen an den Risiken für Mensch und Umwelt, zu unverhältnismäßigen negativen Auswirkungen für die Gesellschaft führen würde. Die PflanzenschutzmittelVO und die BiozidprodukteVO forderten die Ausarbeitung bzw. den Beschluss von wissenschaftlichen Kriterien zur Identifikation von endokrin wirksamen Wirkstoffen bis Dezember 2013. Das ist nicht zeitgerecht erfolgt, da die EK vorher eine Folgenabschätzung über die Auswirkungen von verschiedenen Optionen für entsprechende Kriterien auf die betroffenen Wirtschaftsbereiche durchführen wollte. Dafür wurde von der EK von September 2014 bis Jänner 2015 eine öffentliche Konsultation, die sich vorwiegend an wissenschaftliche Experten und Stakeholder richtete, durchgeführt. Die AGES und das Umweltbundesamt haben auf Wunsch des BMG und BMLFUW dabei eine koordinierte fachliche Stellungnahme abgegeben. Das veröffentlichte Ergebnis zeigte, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten die Option 2 (WHO-Definition) bzw. Option 3 (WHO-Definition mit zusätzlichen Kategorien entsprechend des Nachweises). Gleichzeitig führte das JRC (EU Joint Research Center) ein „Schnell-Screening“ aller PSM Wirkstoffe und Biozide und einiger ausgewählter Chemikalien durch, um zu prüfen, welche Wirkstoffe nach derzeitiger Datenlage entsprechend der 4 unterschiedlichen Kriterienoptionen als Wirkstoff mit ED-Eigenschaften gelten würden. Demnach würden bei den bioziden Wirkstoffen (von 98) bei Option 1 (Beibehaltung der derzeitigen Interimskriterien) 16, bei Option 2 und Option 3 fünf und bei Option 4 (WHO-Definition plus Berücksichtigung der Potenz/Wirkstärke) drei Wirkstoffe als ED identifiziert. Bei den Pflanzenschutzmittel- Wirkstoffen (von 326) ergibt sich folgendes Bild: bei Option 1: 42, bei Option 2 und Option 3: 26 und bei Option 4: 11 PSM-Wirkstoffe. Schweden hat die EK im Juli 2014 wegen Untätigkeit, die geforderten Kriterien vorzulegen, geklagt. Der Rat und mit ihm Österreich hat sich der Klage angeschlossen. Am 16. Dezember 2015 hat der EuGH entschieden, dass die EK durch die Säumigkeit gegen ihre Verpflichtungen aus der BiozidprodukteVO verstoßen hat. Der EuGH schließt sich der Argumentation Schwedens an, dass die EU-Kommission die klare und bedingungslose Verpflichtung gehabt hatte, delegierte Rechtsakte zur Spezifizierung der wissenschaftlichen Kriterien zur Definition von endokrinen Disruptoren (EDC) bis zum 13. Dezember 2013 (wie in der VO selbst niedergelegt) vorzulegen. Der Druck auf die EK, diese Kriterien zur Definition von endokrinen Disruptoren zu veröffentlichen, wurde von einigen MS, insbes. Schweden, Frankreich und Dänemark, vom Europäischen Parlament und durch das öffentliche Interesse erhöht. Kommissar Andriukaitis hat am 3. Februar 2016 vor dem EP angekündigt, die Folgenabschätzung zu beschleunigen und noch vor der Sommerpause einen Vorschlag für Kriterien für Endokrine Disruptoren zu veröffentlichen. Am 15. Juni 2016 wurden nun von der EK eine Mitteilung, die Folgenabschätzung sowie die Entwürfe für die Rechtsakte zur BiozidprodukteVO und PflanzenschutzmittelVO vorgelegt. Die darin vorgeschlagenen wissenschaftlichen Kriterien stützen sich lt. EK auf die Definition endokriner Disruptoren durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), d.h. wichtig ist der Nachweis der Kausalbeziehung zwischen der schädigenden Wirkung und der endokrinen Wirkungsweise. Da ein - 22 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN zweifelsfreier Nachweis der Kausalität in der Praxis sehr schwierig sein wird, will die EK für die Bestimmung der Kausalität das Konzept des angemessenen Nachweises zugrunde legen. Die EK hält die Beantwortung der Frage, ob ein Schwellenwert existiert, weder für notwendig noch für sinnvoll bei der Definition von ED und schließt sich somit der wissenschaftlichen Expertenmeinung eines BfR Workshops (dt. Bundesinstitut für Risikobewertung) vom April 2016 an. Die EK ist der Meinung, dass die Wirkstärke (potency) bei der Bestimmung endokriner Disruptoren nicht berücksichtigt werden sollte, sehr wohl aber bei der Risikobewertung. Nach Meinung vieler Experten stimmt der derzeitige Entwurf („known to cause an adverse effect“) nicht mit der Formulierung von Option 2 des Kriterienentwurfs (WHO/IPCS Definition „known or presumed to cause“) in der Road Map überein und widerspreche auch dem Vorsorgeprinzip. Auch die Stellungnahmen der MS zum Vorschlag spiegeln das wider, da fast alle MS eine Änderung der Kriterien von „known to cause“ auf „known or presumed to cause“ wollen. Die ausführliche Beschreibung des „weight of scientific evidence“-Approach im Kriterienentwurf ist ungewöhnlich, da dieser nicht spezifisch für eine Bewertung von EDs ist, weshalb einige Mitgliedstaaten anmerkten, dass dieser Abschnitt besser in ein Guidance-Dokument passen würde als in den Gesetzestext. In der EU Pflanzenschutzmittel-VO schlägt die EK zudem vor, die Gründe für eine Ausnahmegenehmigung zu ändern (analog den Vorschriften über Biozidprodukte), so dass endokrin aktive Substanzen auf der Grundlage des Risikos bewertet werden können, d.h. bei einem vernachlässigbaren Risiko und nicht wie bisher bei vernachlässigbarer Exposition können Wirkstoffe zugelassen werden. STRATEGIE Der Entwurf für den „implementing act“ der PflanzenschutzmittelVO wird im Standing Committee for Food Chain and Animal Health diskutiert und abgestimmt, der Entwurf für den „delegated act“ der BiozidprodukteVO wird im MS-Committee diskutiert und von der EK beschlossen. Während die Festlegung von ED-Kriterien nur im Biozidprodukte- und Pflanzenschutzmittelrecht gefordert ist, wäre es wichtig, dass die Kriterien zur Definition von endokrinen Disruptoren horizontal auch in den anderen betroffenen Regelungsbereichen wie z.B. REACH und KosmetikaVO Anwendung finden. In Österreich wurde im Rahmen des nationalen „Risikodialogs“ mit allen relevanten Diskussionspartnern unter der Leitung des Umweltbundesamtes das österreichische Leitbild zu endokrinen Stoffen entwickelt und nun werden in der österreichischen Plattform endokrine Stoffe die Weiterentwicklung und Umsetzung einzelner Maßnahmen aus dem Leitbild in einem regelmäßigen Austausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren weiterverfolgt. VERHANDLUNGSPARTNER Österreichische Interessensvertreter, EK, europäische Mitgliedstaaten ANSPRECHPARTNERIN DI Martina Reisner-Oberlehner - 23 -
EU- UND UN-RECHTSMATERIEN HIGH-TECH-MATERIALIEN UND REACH – DER RECHTLICHE RAHMEN MATERIE: ÖSTERREICH IST EIN HOCHTECHNOLOGIESTANDORT. Es wird davon ausgegangen, dass Österreich in den Bereichen Sensorik, Elektronik, Materialwissenschaften, bei chemischen Produkten (z.B. Lacken) sowie in der Umwelttechnik besondere Stärken und Potenziale aufweist (Zitat „Österr. Aktionsplan Nanotechnologie“5). Chemikalien sind im High-Tech-Bereich unverzichtbar. Sie dienen als Rohstoffe für Produkte und kommen als Prozesschemikalien bei Herstellungsverfahren zum Einsatz. Die EU-Chemikalien-VO REACH (VO (EG) Nr. 1907/2006) ist daher, neben anderen Rechtsmaterien, für den High-Tech-Bereich von großer Relevanz. REACH enthält Bestimmungen für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Stoffen als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen sowie für das Inverkehrbringen von Gemischen (REACH, Artikel 1). Hersteller/Importeure sowie nachgeschaltete Verwender und (in beschränktem Ausmaß) auch Händler sind bestimmten Pflichten unterworfen. Dazu zählt beispielsweise die Pflicht zur Registrierung eines Stoffes inklusive der Erstellung eines Stoffsicherheitsberichtes (mit identifizierten Verwendungen und Risikomanagementmaßnahmen), die Informationsweitergabe in der Lieferkette (z.B. Sicherheitsdatenblatt für gefährliche Stoffe/Gemische), die Einhaltung der Bedingung von Stoffen mit Beschränkungen sowie Pflichten im Zusammenhang mit der Verwendung von besonders besorgniserregenden Stoffen. STOFF – GEMISCH – ERZEUGNIS Der Begriff „High-Tech-Materialien“ kommt im REACH-Rechtstext nicht vor. REACH bezieht sich auf „Stoffe“. Wichtig sind dabei folgende Unterscheidungen: Abbildung 8 Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass für den High-Tech-Bereich sowohl Stoffe als solche (z.B. als primärer oder sekundärer Rohstoff), als auch in Gemischen und insbesondere auch in Erzeugnissen6 von Relevanz sein können. 5 http://nanoinformation.at/oesterreichischer-aktionsplan/umsetzungsbericht-2012.html 6 Anm: Bauteile/Einzelbestandteile von Erzeugnissen können selbst wiederum ein Erzeugnis sein; Siehe auch REACH-Leitfaden „Guidance on requirements for substances in articles (Version 4 Draft July 2016) - 24 -
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