Ein globales Problem 01/2021 - Schwerpunkt - FES Bibliothek der Friedrich ...
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01/2021 Ein globales Problem Schwerpunkt Die internationale Klimapolitik gerecht gestalten Die digitale Revolution Im Netz wird Vielfalt sichtbarer
S CH W ER P U N K T – G ER E CH T E K LIMAPOLITIK 3 Jetzt alle Weichen stellen 10 Ein globales Event Wege zum sozial-ökologischen W andel Das Global Green Deals Forum 2020 4 »Just Transition« 11 Ausstieg mit Folgen Grundregeln für den gerechten Strukturwandel Ukraines Weg aus der Kohle 5 Mehr Wert für alle 12 Laboratorien des Wandels Energiewende und Teilhabe Asiens Städte unterwegs zur Transformation 7 Sand im Getriebe Umweltschädliche Subventionen behindern 13 Ein Green Deal für Lateinamerika? Klimaschutz Chance für eine neue Wirtschaftsstruktur 8 Grüner Wasserstoff aus der Wüste Energiewende im Mittleren 14 Eine Quadratur des Kreises und Nahen Osten Anpassungsdruck lastet auf Afrika THEMA Die digitale Revolution 20 Mehr in IT-Sicherheit investieren Fragen an Sebastian Hartmann 17 Im Netz wird Vielfalt sichtbarer Fragen an Amina Yousaf 22 Europa muss sich nicht verstecken Der neue Mobilfunkstandard 5G 18 Ein europäisches Internet-Grundgesetz? Der Digital Services Act 23 Erfolgsgeschichten 24 Lese-Empfehlungen Fragen an Svenja Schulze, ehemalige Stipendiatin
E D I TO R I A L Liebe Leserin, lieber Leser IMPRESSUM Herausgeber Friedrich-Ebert-Stiftung Kommunikation und Grundsatzfragen Godesberger Allee 149, D-53175 Bonn D Tel. 0228_883-0 | presse@fes.de ie Corona-Pandemie führt uns deutlich vor Augen: Eine existentielle www.fes.de Krise globalen Ausmaßes legt schonungslos die Fähigkeiten und Defi- Redaktion (Text) zite offen, wie eine Gesellschaft, ein Staat, ja die Staatengemeinschaft Peter Donaiski, Pressestelle Berlin in der Lage sind, einer Bedrohung ungeahnten Ausmaßes angemessen Hiroshimastraße 17, D-10785 Berlin Tel. 030_269 35-7038 und zielgerichtet zu begegnen. Es zeigt sich, dass die Krise Gräben zwischen peter.donaiski@fes.de Menschen aufreißen kann, wenn Glauben als Wissen deklariert und Eigennutz und Verbohrtheit über Rücksichtnahme und Solidarität gestellt werden. Damit Korrektorat Ulrike Schnellbach erweist sich die Auseinandersetzung über die Ursachen der Pandemie und den richtigen Weg heraus als Nagelprobe für den Umgang mit weiteren globalen Redaktion (Bild) Bedrohungen. Katja Ulanowski, Kommunikation und Grundsatzfragen Auch die Reaktionen auf den sich beschleunigenden Klimawandel sind nicht Godesberger Allee 149, D-53175 Bonn allein geprägt von Problembewusstsein und Lösungsorientierung. Klar ist aber: Tel. 0228_883-7036 Die Klimakrise ist ein weiteres globales Problem, das nur im gesellschaftlichen und katja.ulanowski@fes.de politischen Konsens bewältigt werden kann, getragen von weltweiten Allianzen Layout und Satz aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Leitwerk. Büro für Kommunikation Die durch die Klimakrise hervorgerufenen Umweltveränderungen führen seit www.leitwerk.com Jahren zu einer deutlichen Verschärfung politischer, ökonomischer und sozialer Druck Konflikte. Sie bedrohen die Lebensgrundlage vieler Menschen, insbesondere im Druckerei Brandt GmbH Globalen Süden. Um den zerstörerischen Folgen des Klimawandels entgegen Bildnachweis zuwirken, müssen wir unser Leben und Wirtschaften ressourcenschonender und Jannika Bergold: S. 6 · Robert Brandt: ökologischer ausrichten. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass Chancen und Belas- S. 6 · DGB / Simone M. Neumann: S. 4 · Foto Copyright Vanessa di Giulio: S. 7 · tungen weltweit gerecht geteilt werden. Dabei müssen die ökologische und die FES: S. 3, 10 · FIR: S. 19 · Susie Knoll: soziale Frage zusammen gedacht und beantwortet werden. Die Friedrich-Ebert- S. 21 · Studio Monbijou: S. 4 · picture Stiftung möchte dazu beitragen, indem sie Brücken baut zwischen den oft unter- alliance / AA | Izzeddin Idilbi: Titel · picture alliance / blickwinkel / H. Blossey | schiedlichen Positionen von Umweltbewegung, Gewerkschaften und Arbeit H. Blossey: S. 5 · picture alliance / dpa | nehmer_innen. Einige Beispiele dieser kontinentübergreifenden Initiativen und Maksim Blinov: S. 11 · picture alliance/ Vernetzungen stellen wir Ihnen in unserem Schwerpunktthema vor. dpa | Guido Kirchner: U2, S. 2 · picture alliance/dpa | Silas Stein: S. 20 · picture Neben der Covid-19-Pandemie und der Klimakrise ist die Digitalisierung alliance / imageBROKER | Florian Kopp: ein weiteres Megathema unserer Zeit. Einer der Beiträge in der Rubrik »Digitale S. 15 · picture alliance / JOKER | Hady Khandani: S. 8 · picture alliance / Revolution« bietet eine Zusammenfassung der EU-Strategie zur grundlegenden Robert Schlesinger | Robert Schlesinger: Neuordnung der Internetlandschaft. U2, S. 16 · picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack: S. 7 · picture alliance / zhidemai / Costfoto | zhidemai / Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Costfoto: S. 12 · privat: S. 9, 11, 13, 14, 15, 17, 18 · Jens Schicke: Schlicht · Die »info«-Redaktion Thomas Trutschel / photek / BMU: U2, S. 23 · Rayk Weber: S. 14 PS: Wussten Sie, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze ehemalige FES- Stipendiatin ist? Das »info« hat mit ihr gesprochen – über Klimaschutz, soziale ISSN 0942-1351 Gerechtigkeit und die Frauenquote der SPD. Die Meinungen der Autor_innen geben nicht in jedem Fall die Positionen der FES wieder. E ditorial 1
EINLEITUNG Jetzt alle Weichen stellen Wege zum sozial-ökologischen Wandel Von Manuela Mattheß Kinder und Enkelkinder. Ein adäquater globaler K limaschutz bedeutet daher gelebte internationale Solidarität, aber auch Solidarität inner- halb von Gesellschaften und über Generationen hinweg. Die Corona- Pandemie unterstreicht noch einmal, dass ein Leben im alten Stil M nicht mehr möglich ist und wir dringend alle Weichen in Richtung it der Verabschiedung des histo einer nachhaltigen, klimagerechten und sozial gerechteren Zukunft rischen Pariser Klimaabkommens stellen müssen. sowie der Agenda 2030 für nach- Nur durch eine sozial-ökologische Transformation können wir errei- haltige Entwicklung im Jahr 2015 chen, dass die notwendigen Veränderungen in allen Sektoren unseres verbanden sich große Hoffnungen, der Klimakrise Lebens wie der Ausstieg aus fossilen Energieträgern, die Verkehrs-, durch multilaterale Zusammenarbeit begegnen Agrar- und Gebäudewende so gestaltet werden, dass sie im Sinne einer und ihre negativen Folgen eindämmen zu können. Just Transition – sozial gerecht, inklusiv und fair – allen Menschen Der Klimawandel bedroht nicht nur die natür weltweit zu Gute kommen. Dafür müssen Politikansätze überall auf der lichen Lebensgrundlagen weltweit, sondern in Welt das Gemeinwohl in den Blick nehmen und die ökologische mit der vielen Ländern auch die wirtschaftliche und sozi- ökonomischen wie der sozialen Ebene versöhnen. Dabei kann es keine ale Entwicklung sowie grundlegende Menschen- »One Size Fits All Solution« geben. Jede Region und jedes Land wird rechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, seinen eigenen Weg zum sozial-ökologischen Wandel gehen müssen. Gesundheit oder menschenwürdiges Wohnen. Dabei haben Industrieländer und viele Nationen des Globalen Nordens, Aus Sicht der Klimawissenschaft ist vollkommen die durch ihre Wirtschaftsmodelle wissenschaftlich belegt die Klima klar, dass die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad krise befeuert haben, eine große Verantwortung, die Länder des Global begrenzt werden muss, um die schlimmsten Aus- Südens in ihren Minderungs- und Anpassungsanstrengungen zu unter- wirkungen aufhalten zu können. stützen. Denn eines ist klar: die Klimakrise ist ein globales Problem, Die Bewältigung der Klimakrise ist im Kern das nur gemeinsam über starke und breite Allianzen aus Politik, Wirt- eine Gerechtigkeitsfrage: Die globalen, durch die schaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Klimakrise hervorgerufenen Umweltveränderun- Die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet bereits seit vielen Jahren daran, gen führen seit Jahren zu einer deutlichen Ver- ihre Partner in diesen Anstrengungen weltweit zu unterstützen, und schärfung politischer, ökonomischer und sozialer setzt sich über ihre Regionalprojekte zur sozial-ökologischen Trans Konflikte. Sie bedrohen die Lebensgrundlage vie- formation in Afrika, Asien, Lateinamerika und der MONA Region sowie ler Menschen, insbesondere im Globalen Süden. in Europa für eine gerechte Gestaltung internationaler Klimapolitik, Diese Länder sind zudem insgesamt am stärksten eine sozial gerechte und klimafreundliche Energiewende und ein gutes mit den negativen Auswirkungen des Klimawan- Leben für alle ein. • dels konfrontiert, obwohl sie in der Regel nur wenig oder gar nichts zu seiner Entstehung bei getragen haben. Obwohl die Herausforderungen klar sind und bereits erste wichtige Ziele erreicht werden konnten, erfolgt die Umsetzung der Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens nicht schnell und Manuela Mattheß ambitioniert genug – mit potenziell desaströsen ist Referentin für Folgen besonders für die Ärmsten und Schwächs- internationale Energie- ten auf der Welt sowie für die Generation unserer und Klimapolitik. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 3
G A S T B E I TAG »Just Transition« Grundregeln für den gerechten Strukturwandel Von Patrizia Kraft und Jan Philipp Rohde K limawandel, Digitalisierung, Globali- sierung und Demografie treiben mit zunehmender Geschwindigkeit den Strukturwandel voran. Diese Verän derungen werden wir – so wie wir produzieren, Strukturwandel ist nichts, was wir über uns leben und konsumieren – sehr deutlich spüren, ergehen lassen müssen. Strukturwandel heißt nicht auch im täglichen Leben. Die Covid 19-Krise wirkt ›Augen zu und durch!‹. Strukturwandel heißt wie ein Brennglas: Anpassungsprozesse werden ›Augen auf und loslegen!‹. beschleunigt, Ungleichheit vertieft und Finan zierungsdruck verstärkt. Die Transformationsprozesse fallen je nach Branche und Region sehr unterschiedlich aus. Genauso unterschiedlich sind auch die Heraus Außerdem braucht es eine Flankierung durch Arbeitsmarkt-, forderungen, mit denen die Beschäftigten kon- Bildungs- und Sozialpolitik. Das Motto muss lauten: Fachkräfte für frontiert werden. Um das alles zu bewältigen, morgen aus- und weiterbilden und gleichzeitig soziale Sicherheit bieten braucht es einen gerechten Strukturwandel, eine bei Arbeitsplatzverlust und Umorientierung. »Just Transition«. Es ist den Gewerkschaften zu Starke Mitbestimmung und Tarifbindung sind zentral für die erfolg- ver danken, dass die Just Transition im Pariser reiche Gestaltung der Transformation. Sie sorgen für mehr Gerechtigkeit K limaabkommen verankert wurde. im Betrieb und sichern wirtschaftliche und soziale Teilhabe. Studien zeigen, dass mitbestimmte Unternehmen mehr zur Vermeidung von Klare Bedingungen für den Wandel Treibhausgasen beitragen und nachhaltiger wirtschaften. Die Gewerk- Die Gesellschaft muss aktiv werden, bevor es um schaften können und wollen den Strukturwandel so gestalten, dass er den Abbau von Beschäftigung und das Abfedern langfristig nachhaltigen und gerecht verteilten Wohlstand bietet. von sozialen und ö konomischen Verwerfungen Mitbestimmung, Tarifverträge und Betriebsräte sind kein Selbst- geht. Es ist bereits abzusehen, wo Beschäftigung zweck. Klimaneutralität lässt sich nicht gegen Beschäftigte durchsetzen, besonders unter Druck steht. Klima politische sondern nur mit ihnen. Wer ökologische Nachhaltigkeit will, muss des- Maßnahmen können außerdem zunehmend halb auch soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit vorantreiben. • sozial ungerecht wirken. Das gilt es anzuerken- nen und entsprechend zu handeln. Wir brauchen gut ausgebaute Verkehrswege, klimafreundliche Mobilitätskonzepte, bezahlbare Energie, flächendeckende, schnelle Internetver- bindungen, gute Bildungs- und Forschungsinfra- struktur und vor allem einen nachhaltig moder nisierten Industriestandort Deutschland. Auch bei der Etablierung von neuen Wirt- schaftszweigen und Geschäftsideen müssen Grundregeln eingehalten werden, die Beschäf- tigte und Gewerkschaften in Deutschland über Patrizia Kraft ist Referentin für Energie- Jahrhunderte hart erkämpft haben. Fördergelder politik beim DGB. und Vergünstigungen des Staates müssen ver- bindlich an den DGB-Index Gute Arbeit und an Jan Philipp Rohde ist Referent für Umwelt-, die Tarifbindung geknüpft werden. Klima-, und N achhaltigkeitspolitik beim DGB. 4 info 01/2021
P L Ä D OY E R Mehr Wert für alle Energiewende und Teilhabe Von Ilka Müller und Robert Brandt D ie Energiewende ist ein Gesell- EE-Anlagen. Gibt es noch wenig oder keine Erfah- schaftsprojekt. Für eine sichere, rung mit Erneuerbaren Energien, stehen Bürge- bezahlbare und nachhaltige Energie- r_innen den Projekten eher skeptisch gegenüber. versorgung werden tausende An Wären protestierende Bürger_innen Egois- lagen gebaut. Diese Transformation ist für alle t_innen, die bei Neuprojekten nur nach dem eige- sichtbar und verändert das Landschaftsbild. nen Kosten-Nutzen-Kalkül handelten, läge die Zwei Botschaften sind deshalb ganz wichtig. Lösung des Akzeptanzproblems auf der Hand: Erstens: Nur mit der Energiewende können wir einen finanziellen Anreiz schaffen. So einfach ist das Klima schützen und die Erderhitzung brem- es in der Praxis aber nicht, weil Menschen eben sen. Zweitens: Die Energiewende muss mit Teil- nicht nach rein ökonomischen Motiven handeln. habe einhergehen, weil sie nur so mehr Wert Finanzielle Anreize können die lokale Akzeptanz für alle bietet. zwar in manchen Fällen steigern, aber auch um Die Zustimmung zu Erneuerbaren Energien gekehrte Effekte haben – insbesondere dann, (EE) und deren Ausbau ist in der Bevölkerung wenn die Beteiligung ohne Mitspracherechte nach wie vor hoch. Laut einer repräsentativen einhergeht. Dann wird sie eher nicht als »echte Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien Beteiligung«, sondern als nachträgliche Legitima- (AEE) vom Dezember 2020 befürworten 86 Pro- tion verstanden. zent der Befragten eine stärkere Nutzung Erneu- Warum ist die Akzeptanz vor Ort wichtig? erbarer Energien in Deutschland. Wollen wir das international vereinbarte Ziel Folgt man den lauten Stimmen der Minder- einer Beschränkung der Erderhitzung auf unter heit, könnte man annehmen, dass die Ablehnung 1,5 Grad erreichen, muss das Energiesystem zügig steigt, wenn die Anlagen im eigenen Wohnumfeld vollständig transformiert werden. Wir brauchen stehen. Die AEE-Akzeptanzumfrage zeigt aber, Erneuerbare Energien für alle Bereiche, für die dass die Zustimmung zu EE-Anlagen auch im Strom- und Wärmeversorgung, die nachhaltige eigenen Wohnumfeld höher ist, wenn Menschen Mobilität und eine klimaneutrale Industrie. sie bereits in direkter Nachbarschaft haben. Eine Deshalb muss der Ausbau beschleunigt werden. der größten Herausforderungen bezüglich der Das geht wiederum nur, wenn die Menschen vor lokalen Akzeptanz liegt deshalb im Bau neuer Ort mitmachen. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 5
Energiewende nicht »top down« Außerdem ist es eine Frage der Gerechtigkeit, die Energiewende nicht »top down« zu organisieren, sondern Partizipation und Mitgestaltung zu ermöglichen. Teilhabe bedeutet, transparente Wege zu finden und auf die soziale Ausgewogenheit zu achten, also auch diejenigen zu berücksichtigen, die nicht finanzstark sind und beispielsweise Anteile an Energiegenossenschaften kaufen können. Die Energiewende ist mehr als »nur« eine Stromwende. Teilhabe kann deshalb auch bedeu- ten, Zugang zu schaffen zu Car-Sharing-Angeboten, niedrigen Strom tarifen durch Mieterstrom und Quartierskonzepte, sowie vergünstig- ten oder kostenlosen ÖPNV-Tickets. In unserer Arbeit mit den Kommunen zeichnet sich ab, dass EE-Anlagen eher akzeptiert werden, wenn Menschen mitentscheiden und regional die Wertschöpfung steigt. Die harte empirische Evidenz für den Zusammenhang von Wertschöpfung, finanzieller Beteiligung und Akzeptanz fehlt aber noch. Hier setzt unser gemeinsames For- Reformvorschläge schungsprojekt mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Deutschland und Europa haben sich (IÖW) und dem Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme bei der Umstellung ihres Energie (IZES) an. In dem neuen Vorhaben werden regionalökonomische systems auf den Weg gemacht. Um Effekte in ausgewählten Energiekommunen quantifiziert und in eine diesen Umbau möglichst effizient zu empirische Beziehung zu ihrer Akzeptanzwirkung gesetzt. gestalten, müssen auch bestehende Kommunen sind Schlüsselakteure in der Energiewende. Sie sollten Subventionstatbestände für fossile Energieträger reformiert werden. deshalb stärker unterstützt werden. Einerseits wird ein großer Teil der klimarelevanten Emissionen in Städten, Gemeinden und Kreisen Für zwei Studien hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft erzeugt, andererseits hat die Kommune mit ihren vielfältigen Funk (FÖS) Reformvorschläge entwickelt: tionen als Vorbild, Planungsträgerin, Eigentümerin und Versorgerin weitreichende Handlungsmöglichkeiten. So kann sie etwa bei der »Umlenken! Gründung von Genossenschaften begleiten oder nachhaltige Quartiers Subventionen lösungen anstoßen, um die Energiewende in Bürgerhand zu unterstüt- abbauen, zen. In den letzten elf Jahren hat die AEE viele erfolgreiche Energie- Strukturwandel Kommunen ausgezeichnet, in denen Politik, Wirtschaft und Zivil estalten, g gesellschaft Hand in Hand arbeiten. All diese Praxisbeispiele zeigen, dass Klima schützen« es Kommunen hilft, wenn sie kommunikativ, strukturell und finanziell vom Bund und den Ländern unterstützt werden. Nur so werden wir das Generationenprojekt Energiewende gemeinsam schaffen. • »Umdenken! Industrieausnah- men reformieren, Weiterführende Informationen auf dem A EE-Informationsportal: Innovationen fördern, Klima p www.unendlich-viel-energie.de neutralität ermöglichen«. Dr. Robert Brandt ist Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien e.V. (AEE). Er war einer der Referenten des Global Green Deal Forums der FES im Oktober 2020. Ilka Müller ist Projektmanagerin bei der AEE. 6 info 01/2021
I NTERV IE W Sand im Getriebe Umweltschädliche Subventionen behindern Klimaschutz Fragen an Florian Zerzawy Herr Zerzawy, im Rahmen eines Projektes für die FES würde zu einer doppelten Dividende führen. Erstens würde haben Sie den Umfang der klimaschädlichen Sub es dem Klima direkt nützen. Zweitens werden Mittel verfüg- ventionen im Energiesektor untersucht. Von welchen bar, die für den Klimaschutz, aber auch für die soziale Ab Beträgen sprechen wir jährlich, und wie sieht es federung der Transformation eingesetzt werden können. eigentlich in den anderen Sektoren, beispielsweise im Verkehr, aus? Was sind aus Ihrer Sicht die Subventionen, die vor Im Energiesektor geht es um mehr als 16 Mrd. Euro, mit rangig abgeschafft werden sollten? Wie könnte das denen jedes Jahr fossile Energieträger gefördert werden. Das politisch gelingen? fängt schon bei der Rohstoffgewinnung an. Zum Beispiel Wir brauchen eine Reform der Industrieausnahmen beim muss die Braunkohle keine Förderabgabe zahlen. Aber auch Strompreis. Es geht nicht um eine pauschale Abschaffung, die Stromerzeugung mit Kohle, Öl und Gas wird subven sondern um eine Konzentration auf die Unternehmen, bei tioniert, sie ist von der Energiesteuer befreit. Die größten denen eine konkrete Gefahr besteht, dass sie in Länder mit Subventionen finden sich aber beim Verbrauch. Hier greifen geringeren Klimaschutzanforderungen abwandern. Das sind Ausnahmeregelungen bei Steuern und Umlagen, z.B. für viel weniger Betriebe, als heute begünstigt werden. Akzep- Unternehmen, mit denen direkt oder indirekt über den Strom- tanz kann, denke ich, dadurch erreicht werden, dass Unter- preis die Nutzung fossiler Energieträger begünstigt wird. nehmen gezielt bei ihrem Transformationsprozess hin zu Im Verkehr gibt es auch enorme Verzerrungen. Alleine die einer klimaneutralen Produktion unterstützt werden, bei- günstigere Besteuerung von Diesel im Vergleich zu Benzin spielsweise durch CO2-Differenzverträge. Aber auch die summiert sich auf mehr als 8 Mrd. Euro pro Jahr. Oder die Verkehrssubventionen sind relevant: Da stehen beim Straßen- Entfernungspauschale: Sie beträgt weitere 4 bis 5 Mrd. Euro pro verkehr das Dieselprivileg und die Entfernungspauschale Jahr. Kerosin ist im Luftverkehr steuerbefreit. Wir schätzen ganz oben auf der Liste. die Subventionswirkung auf jährlich mehr als 8 Mrd. Euro. Welche Auswirkungen haben diese Subventionen auf unsere klimapolitischen Ziele auf der einen und die Staatsfinanzen auf der anderen Seite? Welche Chancen wären mit deren Abbau verbunden? Florian Zerzawy Die Subventionen verzerren die Preise. Fossile Energieträger ist wissenschaftlicher werden günstiger und damit eher verwendet als klima Referent für Energie freundliche Alternativen. Deutschland fördert mit viel Geld politik beim Forum den Klimaschutz. Auf der anderen Seite wird ähnlich viel Ökologisch-Soziale Geld für die fossilen Energien ausgegeben. Das ist absurd. Marktwirtschaft e. V. Für die Staatsfinanzen bedeutet das eine hohe Belastung. Die Gelder fehlen an anderer Stelle. Ein Abbau der Subventionen Die Fragen stellte Max Ostermayer. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 7
PROGNOSE Grüner Wasserstoff aus der Wüste Energiewende im Mittleren und Nahen Osten Von Sarah Hepp und Merin Abbass Energiemärke in der Region Die MONA-Region stellt zwar über 60 Prozent der weltweiten Öl- und 45 Prozent der weltweiten Gasreserven, die Energiemärkte könnten jedoch unterschiedlicher kaum sein. Die Volkswirtschaf- D ten der Region sind entweder vom Export fossiler ie Folgen des Klimawandels sind in der Energieträger zu den wohlhabendsten Staaten der Region zwischen Teheran, Kairo und Welt geworden oder nahezu gänzlich auf Energie Casablanca schon jetzt deutlich zu importe angewiesen. Das Wachstumsmodell v ieler spüren und es drohen weitere Konse- Staaten wie beispielsweise der Golfländer, Liby- quenzen: Der zu erwartende Temperaturanstieg ens und Algeriens basiert auf fossilen Energie in der MONA-Region ist mit drei bis vier Grad trägern. Dadurch wird Klimaschutz dort vor allem höher als in den meisten anderen Regionen, in als technologische Herausforderung interpretiert. Wüstenregionen werden im Sommer die Tempe- Importabhängige Länder wie Jordanien, Tunesien, raturen bis zum Ende des Jahrhunderts wohl um Marokko und der Libanon dagegen unternehmen bis zu 8 Grad steigen. Erwartet werden eine stark Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel zunehmende Wasserknappheit und die damit ein- und bei der Reduzierung von Kohlenstoffemis hergehende Desertifikation, mit der Folge ver sionen. Aber auch deren Energiesysteme sind noch heerender Ernteausfälle. Diese Auswirkungen er meist zu 90 Prozent von Öl und Gas abhängig. schweren die Lebensumstände in einer Region, die Konfliktländer und fragile Staaten wie Syrien, ohnehin von zahlreichen Konflikten und sozialen Jemen und Palästina haben kaum Kapazitäten, Spannungen gekennzeichnet ist. Klima- und Energiepolitik zu gestalten. 8 info 01/2021
Transformation der Energiesysteme Wirtschaftswachstum für die Region Die Covid 19-Pandemie hat sich stark auf die Öl Auch für die MONA-Region ist es in vielerlei industrie und den Klimaschutz ausgewirkt. Die Hinsicht reizvoll, zum »Powerhouse« für grünen Ölindustrie litt bereits vor der weltweiten Pan Wasserstoff zu werden. Die Corona-Krise hat demie an einem Rückgang der Nachfrage. Millionen von Menschen in den Ruin getrieben, Angesichts dieser wirtschaftlichen Unsicher- in der Region besteht eine hohe Arbeitslosigkeit heiten sowie der drohenden Verschärfung sozialer von oftmals über 45 Prozent. Der Aufbau einer Konflikte durch die andauernde Corona-Krise ist Wasserstoffwirtschaft mithilfe europäischen Tech- ein sozial-ökologischer Wandel nötiger denn je: nologietransfers könnte zahlreiche Jobs und Durch eine dezentrale Energieversorgung aus Wirtschaftswachstum für die Region bedeuten. erneuerbaren Energien könnten nicht nur hoch- Ein möglicher Export von Wasserstoff birgt wertige Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfungs- jedoch die Gefahr, dass der verfügbare Ökostrom ketten entstehen, sondern gleichzeitig Energie in den MONA-Ländern nur noch zur Herstellung sicherheit und Unabhängigkeit ermöglicht wer- von Wasserstoff für den Export verwendet würde den. und damit die nationalen Beiträge zum Pariser Die Hoffnung auf eine katalysierende Wirkung Klimaabkommen auf der Strecke blieben. Immer in Bezug auf eine lang ersehnte Energiewende noch haben die meisten MONA-Länder weniger als wird derzeit auch durch ein kleines Molekül 10 Prozent EE in ihrem Strommix. Hier bedarf es bef lügelt: Wasserstoff. also weiterer Anstrengungen, das große Potenzial für erneuerbare Energien zu n utzen und gleich- Grüner Wasserstoff aus der Wüste zeitig Subventionen für fossile Energieträger Wasserstoff wird als Hoffnungsträger der Energie- zurückzufahren. wende angesehen. Entsteht Wasserstoff durch Grüner Wasserstoff hat durchaus das Potenzial, die Elektrolyse von Wasser unter der Verwendung einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung von von erneuerbaren Energien, spricht man von Klimaneutralität in der EU oder weltweit zu leisten g rünem Wasserstoff. und gleichzeitig nachhaltige und soziale Entwick- Mit dem European Green Deal und dem Ziel, lung in der MONA-Region zu fördern. der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, Das FES MONA Klima- und Energieprojekt wächst die Nachfrage nach erneuerbaren Ener- möchte Wege aufzeigen, wie eine Wasserstoff gien ungemein. Da Europa den enormen Bedarf an produktion und ein möglicher Export von Wasser- erneuerbaren Energien nicht selbst decken kann, stoff aus der MONA-Region nach Europa sowohl sind alle Augen auf die MONA-Region gerichtet: ökologisch als auch sozial nachhaltig sein kann Eine Region mit der höchsten Sonneneinstrah- und zu Wachstum in der Region führt. • lung der Welt, großem Windpotenzial und zudem viel Wüstenfläche bietet beste Beding ungen für Die im Dezember 2020 veröffentlichte FES-Studie die Erzeugung von EE-Strom und schließlich »Risks and opportunities of green hydrogen g rünem Wasserstoff. Die Produktionskosten von production from the MENA region to Europe« Wasserstoff in der MONA-Region werden von der soll dazu einen Beitrag leisten: Industrieinitiative Dii Desert Energy auf weniger p library.fes.de/pdf-files/bueros/amman/16998.pdf als zwei US-Dollar pro Kilogramm geschätzt. Bereits bestehende Gas-Pipelines könnten für den Transport von Wasserstoff in den EU-Energie- markt genutzt werden. Sarah Hepp ist Leiterin des regionalen Klima- und Energieprojektes der FES für den Nahen / Mittleren Osten und Nordafrika. Merin Abbass ist Referent für Klima- und Energiepolitik im Referat Naher / Mittlerer Osten und Nordafrika. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 9
Durch die zahlreichen Kooperationen wurde nicht nur über die Bedeutung der Bildung von Allianzen für eine erfolgreiche Klima- und Energiepolitik geredet, sondern diese auch selbst gelebt. Organisiert wurde das Global Green V E R A N S TA LT U N GS R Ü CK B L I CK Deals Forum gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschafts- Ein globales Event bund, der Klima-Allianz Deutschland und dem Olof Palme International Center. Das Global Green In den In-Focus-Diskussionen ging es um die Rolle der EU in der internationalen Klimapolitik und die Potenziale Deals Forum 2020 des European Green Deal, um die Corona-Pandemie und die Rolle von Klima- und Energiepolitik, um demokratische Teilhabe, Klimagerechtigkeit und die Umsetzung des Pariser Von Manuela Mattheß, Alexander Geiger Klimaabkommens. Es sprachen unter anderem Patricia und Bettina Mursch Espinosa, Nnimmo Bassey, Frans Timmermans, Kevin Küh- nert, Karin Wallensteen, Sharan Burrow, Reiner Hoffmann und Delara Burkhardt. 90 In interaktiven Laboren wurden vielfältige Themen Referent_innen, 15 parallel lau- aspekte des sozial-ökologischen Wandels aus verschiedenen fende Labore, 4 In-Focus-Dis- internationalen Perspektiven diskutiert. Es ging unter kussionen, ein Tag: am 1. Okto- a nderem um Gas im östlichen Mittelmeer, nachhaltige ber 2020 brachte die FES welt- Stadtpolitik, Klimawandel und Geschlechtergerechtigkeit weit Menschen zusammen, um gemeinsam über sowie die Rolle Deutschlands beim Aufbau einer globalen einen sozial-ökologischen Wandel zu diskutieren. Wasserstoffwirtschaft. Eines der Hauptziele war dabei, Allianzen zu Ein sozial-ökologischer Wandel birgt viele Chancen bilden für eine soziale, demokratische und klima für eine sozial gerechte Umgestaltung der Gesellschaft. Der gerechte Zukunft. Klimawandel wirft die Frage auf, wie wir künftig arbeiten, Bedingt durch die Corona-Krise war ein physi- leben und wirtschaften wollen. Dies bietet für die Sozial sches Zusammentreffen nicht möglich, daher war demokratie und die Gewerkschaften die Chance, ihre Kern- von Anfang an klar, dass ein digitales Format anliegen zu einem neuen sozial-ökologischen Fortschritts gefunden werden musste. In monatelanger Vor projekt zusammenzubringen. Das Global Green Deals Forum bereitung wurde ein »fernsehgerechter Ablauf« hat hierfür eine gute Basis gelegt. • der Veranstaltung konzipiert. Die meisten Referent_innen wurden zuge- schaltet und die Diskussionen und Online- Workshops per Livestream d reisprachig in die Manuela Mattheß, Alexander Geiger und Welt übertragen. Damit wurde das Forum zu Bettina Mursch sind tätig im A rbeitsbereich einem globalen Event. Globale Politik und Entwicklung. 10 info 01/2021
B E F R AG U N G Ausstieg mit Folgen Ukraines Weg aus der Kohle Von Elisabeth Gisler D ie Ukraine steht vor einem tiefgreifenden Struk- stimmen zwar zu, dass unrentable Minen ge schlossen turwandel. Waren zum Zeitpunkt der Unab erden sollten, aber viele Menschen hoffen dennoch, dass w hängigkeit im Jahr 1991 noch über eine Million es möglich ist, die Kohlebergwerke wieder rentabler zu Ukrainer_innen in Kohlebergwerken tätig, so ist machen. deren Zahl heute auf etwa 30.000 gesunken. Dieser Prozess Da die Ausbildung vieler Beschäftigter direkt oder in wird wohl weitergehen, denn die Regierung plant, in den direkt in Verbindung mit der Arbeit in den Minen steht, nächsten Jahren den Großteil der verbliebenen staatlichen bedeuten alternative Arbeitsplätze oft einen sozialen und Kohlebergwerke aus Rentabilitätsgründen zu schließen. Die ökonomischen Abstieg. Daher sollte die Bevölkerung bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen Gestaltung von Umschulungsprogrammen einbezogen wer- für die betroffenen Regionen sind enorm, denn in der den und es sollten Anreize geschaffen werden, damit sich Vergangenheit haben es die Behörden versäumt, die Bevöl Gewerbebetriebe und Unternehmen neu ansiedeln. kerung, die Sozialpartner und die lokalen Verwaltungen Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Stärkung des in den Umgestaltungsprozess einzubeziehen. Nicht selten Vertrauens der Bevölkerung in die lokalen Behörden. Viele endete die Schließung der Minen mit dem wirtschaftlichen der Befragten fühlen sich hilflos und von den Lokalver Niedergang der Gemeinden und der Abwanderung der waltungen im Stich gelassen. Die bereits erfolgreichen jüngeren Bevölkerungsgruppen. Maßnahmen zur Eindämmung der Probleme werden nicht Diesem Prozess will die ukrainische Regierung nun ent wahrgenommen. Viele der Betroffenen halten es nicht für gegentreten und hat beschlossen, mit den lokalen Verwal möglich, dass ein Strukturwandel, wie er in Europa statt tungen, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften ein findet, auf die Ukraine übertragbar ist. staatliches Programm für eine sozial-ökologische Trans Die Studie der FES zeigt deshalb mehrere Möglichkeiten formation der betroffenen Regionen voranzubringen. Zur auf, wie die Bevölkerung in einen Dialog über einen sozial- Unterstützung dieses Vorhabens hat die Vertretung der ökologischen Wandel einbezogen werden kann. • Friedrich-Ebert-Stiftung in der Ukraine zusammen mit der NGO »Ecodiya« eine soziologische Studie durchgeführt mit dem Titel »Die Zukunft von Just Transition in der Ukraine: Wahrnehmung in den Kohlebergbaustädten«. Dafür wurden im Juli und August 2020 Menschen aus sieben betroffenen Bergbaustädten befragt. Die Studie zeigt eindrücklich, dass die vielerorts schlechte w irtschaftliche Situation kaum Perspektiven bietet. Hinzu Elisabeth Gisler kommt, dass auch das Bildungs- und Gesundheitssystem, ist Praktikantin das Wohnangebot, die öffentlichen Dienste und die städti- in der FES-Vertretung sche Infrastruktur in marodem Zustand sind. Die Befragten Ukraine. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 11
L ÄNDERSTUDIE Laboratorien des Wandels Asiens Städte unterwegs zur Transformation Von Claudia Ehing S tädte produzieren mit ihrer Konzentra- zu untersuchen, wie Städte eine sozial-ökologi- tion von Menschen und Ressourcen mehr sche Transformation vorantreiben können. als 70 Prozent der globalen CO2-Emissio- Dabei standen nicht nur die Herausforderungen nen. Sie spielen damit für den Klima- des Klimawandels und Umweltprobleme wie Luft- schutz und die im Pariser Klimaabkommen verein- verschmutzung, im Zentrum der Analyse, sondern barte Reduktion von Treibhausgas-Emissionen eine auch soziale Fragen wie wachsende Ungleichheit, entscheidende Rolle. Auch die Agenda der Ver Exklusion und Armut, die viele Städten Asiens einten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung prägen. (SDG) strebt an, Städte und Siedlungen inklusiv, Gegenwärtig entscheiden dort Faktoren wie sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu ge Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen, Bildung stalten. Angesichts der Gleichzeitigkeit verschie- und sozialer Status darüber, wer welchen Zugang dener K risen wie der Covid 19-Pandemie und des zu Ressourcen hat und wer den Auswirkungen Klimawandels erscheint dies notwendiger denn je. der sich verschlechternden Umweltbedingungen Einer Weltregion kommt dabei besondere unmittelbar ausgesetzt ist. Bedeutung zu: Im Jahr 2020 befanden sich 58 der weltweit 100 größten Städte in Asien. Mit dem Synergieeffekte freisetzen Wachstum von Städten und der Wirtschafts Eine der Handlungsempfehlungen der Studie leistung insgesamt steigen auch die ausgestoße- lautet daher, dass lokale Politikansätze unter- nen Treibhausgase. Gleichzeitig ist die Region schiedliche Bedrohungen (»differentiated vulne von den Auswirkungen des Klimawandels stark rabilities«) und bestehende geschlechtsspezifische betroffen. Ungleichheiten berücksichtigen sollten. Es brau- che Mechanismen für politische Partizipation und Länderübergreifende Studie Beteiligungsmöglichkeiten, die über Konsultatio- Vor diesem Hintergrund wird das regionale Klima- nen hinausgehen. und Energieprojekt der FES in Asien mit Sitz in Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Lö Vietnam in den kommenden Jahren das Thema sungen zu suchen sind, die sowohl eine positive sozial-ökologische Transformation in Städten Wirkung auf das Klima als auch auf soziale bearbeiten. Zum Auftakt wurden die beiden For- Gerechtigkeit haben und dadurch Synergieeffekte scherinnen Diane Archer und Charlotte Adelina freisetzen. Städte und Kommunen können damit vom Stockholm Environment Institute (SEI) damit zu Laboratorien für sozial-ökologischen Woh- beauftragt, in einer länderübergreifenden Studie nungsbau, inklusive und emissionsarme Trans- 12 info 01/2021
EINORDNUNG Ein Green Deal für Lateinamerika? Chance für eine neue Wirtschaftsstruktur Von Astrid Becker und Álvaro Calix A portsysteme, erneuerbare Energiever- us den Ereignissen der Covid 19- sorgung, zivilgesellschaftliches Enga Pandemie sollten mindestens drei gement und vieles mehr werden. Lehren gezogen werden: Wachstum In diesem Zusammenhang haben ist nicht alles, die Natur darf nicht fünf FES-Vertretungen in Asien (Indo- den Interessen des Kapitals untergeordnet werden nesien, Indien, Thailand, Philippinen und öffentliche Güter sind insbesondere in Krisen- und Vietnam) kurze Videos produziert, zeiten von wesentlicher Bedeutung. die in einer Social-Media-Kampagne Eine Rückkehr zur alten Normalität ist weder zum Weltstädtetag verbreitet wurden. wünschenswert noch möglich. Stattdessen sollten In sechs Episoden analysieren Exper- neue Initiativen gefördert werden, die eine um t_innen, Vertreter_innen der Zivil fassende soziale und ökologische Neuausrichtung gesellschaft, Stadtplaner_innen und zum Ziel haben. Aktivitst_innen die länderspezifischen Mit ihrem Green Deal will die Europäische Herausforderungen und präsentieren Union die Dekarbonisierung, die Kreislaufwirt- bereits existierende Initiativen zu einer schaft, den Schutz und die Förderung menschen- sozial-ökologischen Transformation in würdiger Beschäftigung sowie die universelle den Bereichen Mobilität, Wohnungsbau, Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen för- Kreislaufwirtschaft, Wassermanagement dern. Damit ist dieser Green Deal das fort und nachhaltige Stadtplanung. • schrittlichste Beispiel für einen normativen und institutionellen Rahmen, um sich gemeinsam den Die Publikation, weiterführende Herausforderungen bei der Bekämpfung des Informationen, Artikel und die Videos: K limawandels zu stellen. Ein hervorragendes Beispiel für andere Regionen wie Lateinamerika, p www.fes-asia.org/news/pathways- towards-a-social-ecological- wo die Integrationsbemühungen bisher nur transformation-in-asian-cities/ schwach ausgeprägt sind. Lateinamerika ist die Region mit der größten sozialen Ungleichheit weltweit. Gleichzeitig sind viele Länder überproportional vom Klimawandel betroffen. Schwache Institutionen schränken den Spielraum für die Entwicklung und Umsetzung langfristig ausgerichteter Strategien für einen Transformationsprozess ein und beeinträchtigen die Einbeziehung der Bürger_innen. Ein gemeinsames Ziel wie ein Green Deal böte eine Chance, um einen Fahrplan hin zu einer neuen Wirtschaftsstruktur zu entwickeln, Claudia Ehing ist Leiterin des in dem die Einhaltung von Umweltgesetzen, die egionalen Klima- und E R nergieprojektes Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingun- der FES in Asien mit Sitz in Vietnam gen und die Finanzierung hochwertiger öffent S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 13
MEINUNG licher Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen. Eine Quadratur Im Rahmen der gemeinsamen Vision müssten dafür die potenziellen Vorteile des Kreises für Wirtschaft, Gesellschaft und Öko logie hervorgehoben werden. Anpassungsdruck Die zwischenstaatliche Zusammen- arbeit erfordert Mechanismen für ein lastet auf Afrika effektives Management der Transfor- Von Constantin Grund mationsprozesse. Zur Sicherung der Finanzierung wäre unter anderem eine umfassende Reform der nationalen Steuersysteme und die Förderung einer regionalen Entwicklungsbank notwendig, die sich Keine andere Weltregion hat so wenig zur an den Zielen Wirtschaftlichkeit, sozia- Klimakrise beigetragen wie Afrika, ler Inklusion und Regeneration von aber der Kontinent zahlt den höchsten Preis. Öko s ystemen orientiert. Dazu wäre Forderungen nach sozial-ökologischer allerdings eine Unterstützung in der Transformation in Afrika sind wichtig, internationalen Zusammenarbeit in verdrängen aber eine ehrliche Diskussion Form von Krediten, Investitionen und über das Verursacherprinzip. Hilfsgeldern erforderlich. All dies mag in einer Region wie A Lateinamerika utopisch erscheinen, aber ohne Schritte in Richtung eines frika trägt trotz 14 Prozent Anteils Green Deals wird die Beibehaltung des an der Weltbevölkerung nur 5 Prozent gegenwärtigen Kurses irreversible öko- zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. logische Schäden verursachen, die den Aber Afrika zahlt einen sehr hohen demokratischen und sozialen Zusam- Preis für das Lebensmodell der Anderen. Ausgelöst menhalt und die Lebensbedingungen durch die Emissionen des Nordens werden weite von fast 650 Millionen Lateinamerika- Landstriche Afrikas für die Nahrungsmittelpro- ner_innen gefährden. • duktion unbrauchbar, nehmen Stürme und Über- schwemmungen zu und schwinden wichtige mari- time Lebensressourcen. Die Folgen des Klimawandels sind in Afrika sehr konkret und verdienen durchaus den Bezug zu historischen Dimensionen. Nach der Kolonisierung und den Strukturanpassungspro- grammen der 1980er-Jahre stellt der Klimawandel die dritte Welle von außen verursachter Veränderun- gen in Afrika dar. Der Kontinent wird in einen Kampf getrieben um fruchtbares Acker- oder Weide- land und den Zugang zu Wasser. Warum sollte man die CO2-Emissionen des Nordens nicht als Ver brechen gegen die Menschlichkeit einstufen? Der Transformationsdruck zur Bewältigung des Klimawandels steigt mit jedem Jahr auch in Afrika exponentiell. Der Anpassungsdruck auf die Länder Astrid Becker leitet das Afrikas in traditionellen Bereichen, wie etwa FES-Regionalprojekt Menschenrechte, Medienfreiheit oder Investitions- Sozial-ökologische Transformation bedingungen, ist bereits heute enorm; jede wieder- Lateinamerika. kehrende Regierungskonsultation kann dies bele- Álvaro Calix ist wissenschaftlicher gen. Neu allerdings ist das moralisch aufgeladene Mitarbeiter im Regionalprojekt Argument, auch Afrika müsse nun endlich seinen Sozial-ökologische Transformation Beitrag leisten, um die internationale Klimakrise Lateinamerika. in den Griff zu bekommen. 14 info 01/2021
Unabhängig von der Frage, wer die Klimakrise ursächlich vorbeugen. Einige Länder in Afrika haben diese zu verantworten hat, verlangt dies von den Regierungen des Fehler bereits gemacht und etwa massiv in fossile Kontinents eine Quadratur des Kreises: Sie stehen enormen Energiegewinnung investiert, andere stehen vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen gegenüber, einer grundsätzlichen Neuausrichtung ihres Ent- müssen strukturelle Armut senken, Bildungschancen ermög wicklungsweges. Mitunter zaudern Regierungen lichen, bis zum Jahr 2050 eine Milliarde Menschen mehr in Afrika in gleicher Weise wie in Europa, aber ernähren, der Jugend eine Basis digitalisierung und wirt- das konstruktive Potenzial in den Gesellschaften schaftliche Perspektive ermöglichen, Immigrationen verhin- Afrikas ist enorm. Es zu wecken, zu fördern und dern, westliche LGBTIQ-Philosophien umsetzen und müssen in Allianzen einzubringen, die notwendige Kurs sie nun auch einen direkten Weg zu »emission-free develop- korrekturen ermöglichen, ist ein zentrales Hand- ment« finden. Afrika verfügt nicht annähernd über aus lungsfeld der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afrika. reichend Kapital, Zeit, Energie oder Kontrolle über die Dabei geht es darum, den vermeintlichen Gegensatz Geschicke des eigenen Territoriums, um all dies gleichzeitig zwischen dem Recht auf Entwicklung und der Not- umzusetzen. wendigkeit des Klimaschutzes aufzuheben. Aber ob eine Modernisierung der Landwirt- Schieflage in den Beziehungen schaft, eine ökologische Industrialisierung und die Deutsche und europäische Entscheidungsträger überbieten sich Transformation der Energiesysteme gelingen, ist gern mit Forderungen nach einer Partnerschaft mit Afrika auf stets verbunden mit der Frage nach Gewinnern und Augenhöhe, nach einem echten Neustart in den bi-kontinen Verlierern dieses Prozesses. Und sie ist verbunden talen Beziehungen. Dies mag populär sein, aber eine ehrliche mit der Frage wie ernsthaft ein ehrlicher, demokra Diskussion zu der grundsätzlichen Schieflage in den politi- tischer und partizipativer Dialog in und mit Afrika schen und wirtschaftlichen Beziehungen beider Kontinente wirklich geführt werden kann. Dort scheint noch findet eigentlich kaum statt. Angesichts der Bedeutung der einiges an Wegstrecke vor uns zu liegen. Der geplante Auswirkungen des Klimawandels für Afrika ist dies nicht nur Gipfel der Staats- und Regierungschefs Europas verheerend, sondern auch eine vertane Chance. und Afrikas könnte zeigen, wie weit die beteiligten Während staatliche Entwicklungszusammenarbeit jene Entscheidungsträger diesbezüglich bereits sind. • Symptome zu mildern versucht, die durch andere Politikfelder verursacht wurden, ist es die Aufgabe der FES als politische Stiftung, als hybrider Wanderer zwischen den Welten, eben jenen Dialograum zu schaffen, der für die erfolgreiche Bearbei- tung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erforderlich ist; ein Jahrhundert, das kommunikativ zwar globalisiert sein mag, sich aber durch enorme politische Fliehkräfte aus- zeichnet. Dabei ist internationale Verständigung und Koope ration notwendiger denn je. Constantin Grund Auch in Afrika soll die Debatte um eine sozial-öko - ist Leiter der logische Transformation die Fehlentwicklungen des westlichen FES-Vertretung Gesellschafts- und Produktionsmodells korrigieren oder ihnen in Madagaskar. S CH W ER P U N K T | G ER E CH T E K L I M A P O L I T I K 15
THEMA Die digitale Revolution Längst lässt sich die Digitalisierung nicht mehr auf technische Aspekte reduzieren. Inzwischen beeinflusst sie alle Bereiche des privaten Lebens, der Arbeit und des sozialen Miteinanders. Neue Abhängigkeiten und Formen der Ausbeutung entstehen. Es droht eine Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung. Die Schattenseiten des digitalen Kapitalismus sind aber weder zwangsläufig noch ist der digitale Strukturwandel ein Phänomen, das unkontrolliert über eine Gesellschaft hereinbricht. Der digitale Wandel lässt sich gestalten. Dabei muss das Ziel sein, sozialen Fortschritt zu schaffen, an dem alle teilhaben. Mit ihren Studien und Analysen zeigt die FES, welche politischen Antworten in Deutschland, Europa und international formuliert und beraten werden. Auch bei internationalen Großveranstaltungen der Stiftung werden die verschiedenen Facetten der Digitalisierung betrachtet und mit Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutiert. www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/digitalisierung
I NTERV IE W Im Netz wird Vielfalt sichtbarer Fragen an Amina Yousaf Frau Yousaf, das schlechte Abschneiden der dern wir sind viele und wir sind sehr divers.« Im Vergleich mit anderen Volksparteien gerade bei jungen Leuten in europäischen Ländern, wie zum Beispiel Großbritannien, steckt der Europawahl 2019 wird auch mit mangel- Deutschland, was die Sichtbarkeit und Anerkennung von unterschied hafter Nutzung der sozialen Medien im lichen Identitäten im Alltag angeht, ja noch in den Kinderschuhen. Wahlkampf begründet. Welche Rolle wird das Ihrer Meinung nach im Wahljahr 2021 spielen? Wer im Netz sichtbar und aktiv ist, zieht auch Hasskommentare Die Frage ist einfach, wie Parteien es schaffen, und alltagsrassistische Beleidigungen auf sich. Was raten Sie Politik für junge Menschen greifbar zu machen. jungen Menschen, die sich politisch engagieren wollen? Das fängt damit an, dass viele junge Menschen Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien sich nicht mit den Parlamentarier_innen identi NRW sagen inzwischen über Drei Viertel der Menschen, die im Netz fizieren können. Das hat mit dem Durchschnitts unterwegs sind, dass sie digitale Gewalt erlebt haben. Wenn einem das alter im Bundestag zu tun, aber auch mit einem passiert, hat man unterschiedliche Optionen: Man kann den Hass- Gespür und einer Einsicht in die Lebenslagen und Kommentar melden, man versucht ihn zu löschen, man beginnt die Interessen von jungen Menschen. Dazu gehören Diskussion oder man steigt ganz aus. Aussagen, die strafrechtlich auch die Bedeutung von sozialen Medien und ein relevant sind, sollte man in jedem Fall melden, nicht nur, wenn man Verständnis dafür, wo und wie sich junge Men- sie auf den eigenen Profilen sieht. schen heutzutage informieren. Dieses fehlt in vielen Wenn man selber betroffen ist, gibt es mehrere Stellen, an die man Bereichen der politischen Kommunikation. sich wenden kann, um Unterstützung zu erhalten. Wenn man erwägt zu Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 bin ich klagen, muss man sich auf nicht unerhebliche Kosten einstellen. Da kann vorsichtig optimistisch. Erstens erleben wir der- eine Prozesskostenhilfe sehr hilfreich sein. Die bietet zum Beispiel zeit einen Generationenwechsel, zumindest in der hateaid.org, eine Internetplattform, die auch persönlich berät. Eine SPD. Da bewerben sich gerade in mindestens 70 weitere ehrenamtliche Initiative, die gegen Hass im Netz vorgeht, ist die von 299 Bundestagswahlkreisen Menschen unter Facebook-Gruppe #ichbinhier. Aus einer Jugendkampagne des Europa- 35 darum, aufgestellt zu werden. rates ist no-hate-speech.de entstanden. Auf ihrer Seite findet man viele Zweitens sind Parteien ja derzeit pandemie Memes, kleine Videos oder GIFs, die man verwenden kann, um Diskussio- bedingt auch gezwungen, Beteiligungsprozesse nen zu entschärfen und auch zu reagieren. Im konkreten Fall muss man ins Netz zu verlagern. Dadurch wird ermöglicht, sicher abwägen, welche Reaktion angemessen ist, aber es ist wichtig zu dass sich auch Menschen ohne Mandat oder Funk- wissen, wo man Unterstützung bekommen kann. Denn jeder Fall ist tion Gehör verschaffen. unterschiedlich, aber kein_e Betroffene_r sollte allein gelassen werden. Ein wachsender Anteil junger Menschen in Mehr zum Thema Vielfalt in der Politik gibt es im Podcast Hörgut: Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. p www.fes.de/hoergut Welche Rolle spielen digitale Instrumente gerade für ihre politische Teilhabe? Wir als junge Generation von Menschen mit Ein- wanderungsgeschichte wollen viel stärker aner- Amina Yousaf ist Bloggerin, kannt und gesehen werden. Dabei spielt das Netz Autorin und Feministin. eine wesentliche Rolle, da klassische Gatekeeper, Gemeinsam mit anderen also Leute, die entscheiden, was etablierte Medien Aktivist_innen startete sie berichten, umgangen werden können. Heutzu- die bundesweite Kampagne tage kann ich bei Twitter oder Instagram Videos #NetzohneGewalt. Sie ist oder Texte von mir teilen und eine breite Masse stellvertretende Vorsitzende erreichen. Da sehe ich großes Potential und viele der SPD im Bezirk Hannover. andere Menschen mit Migrationsgeschichte auch. Wir begreifen das als Chance, um zu zeigen: »Hey, Die Fragen stellte Annette Schlicht, Referentin für wir sind nicht nur eine kleine Minderheit, son- Migration und Vielfalt im Forum Berlin der FES. T H E M A | D I E D I G I TA L E R E VO L U T I O N 17 17
Z U S A M M E N FA S S U N G Ein europäisches Internet-Grundgesetz? Der Digital Services Act Von Marco Schwarz D ie Gestaltung der digitalen Zukunft Mehr Transparenz und weniger Marktmacht Europas gehört zu den wichtigsten Im Kern geht es bei den Gesetzespaketen darum, Vorschriften Vorhaben der Euro päischen Union. für digitale Dienste zu modernisieren und zu vereinheit Die EU-Digitalstrategie beruht auf drei lichen, die Rechte von Verbraucher_innen- und Nutzer_innen Säulen und will eine leistungs- und wettbewerbs- zu stärken und die Rolle und Pflichten von Online-Platt fähige europäische Digitalwirtschaft begünstigen, formen passgenauer zu regeln. Je größer ein Anbieter ist, die technologische Entwicklung in den Dienst der desto spezifischer sollen die Auflagen sein. Vor dem Hinter- Menschen stellt und eine offene und demokrati- grund einer rasanten technologischen Entwicklung und sche Gesellschaft fördert. eines massiven ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeu- Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommis- tungszuwachses des digitalen Raums sind die bislang beste- sion Entwürfe für einen Digital Services Act (DSA) henden EU-Regelungen in die Jahre gekommen und nicht und einen Digital Markets Act (DMA) vorgestellt. mehr zeitgemäß. Die Bestimmungen für digitale Dienst Diese sehen eine grundlegende Neuordnung der leistungen haben sich seit der 20 Jahre alten E-Commerce- Internetlandschaft vor. Insbesondere große Online- Richtlinie nur wenig verändert. Hinzu kommt ein Flicken Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon teppich von nationalen Bestimmungen in der EU. sollen künftig stärker reguliert und ihre Markt- Eine Vereinheitlichung und präzisere Regulierung ist macht soll begrenzt werden. Neben hohen Strafen daher dringend nötig. Zwei Prinzipien stehen im Vorder- bei Verstößen steht sogar die mögliche Zerschla- grund: Die Kommission möchte eine größere Verantwortung gung von Internet-Großkonzernen im Raum. von Online-Plattformen und die Kontrolle über die Nutzungs- bedingungen der Plattformen erweitern. Zudem sollen Ex-ante-Bestimmungen festgelegt werden, um gleiche Wett bewerbsbedingungen auf digitalen Märkten zu schaffen, die von großen Plattformen dominiert werden. Unfaire P raktiken wie etwa die Bevorzugung eigener Produkte gegenüber denen von Drittanbietern sollen verboten und vorinstallierte Apps leichter entfernt werden können. 18 info 01/2021
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