Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...

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Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
2–2019

                                                       FÜR MITARBEITENDE

                                         Kirche im Gespräch
Foto: medio.tv/Schauderna

                                            mit der Politik
                            VOR ORT IN WIESBADEN
                            Evangelisches Büro am
                            Sitz der Landesregierung

                            DIALOG AUF ALLEN EBENEN
                            In Rathäusern, Synoden
                            und Altkleiderläden
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
THEMA
                                                            liebe Leser,

                                                            S
                                                                  o wie auf unserem Titelbild stellt

                                                                                                                                  Foto: medio.tv/Schauderna
    4	Evangelisches Büro Wiesbaden:
                                                                  man es sich vor – und das Foto-
       Sie mischen sich in die Politik ein
                                                                  motiv mit Bischof und Minster-
    6	Die Diakonie-Diplomatin, der Rechtsexperte           präsident bestätigt, dass es in der
       und unser Mann in Thüringen                          hessischen Wirklichkeit auch genauso
                                                            funktioniert: Kirche und Politik treffen
    7	MdL Karin Müller:
                                                            sich in freundlicher Atmosphäre – und
       Die Welt nicht den anderen überlassen
                                                            tauschen sich aus über wichtige Dinge.
    8	Staatsminister Roth: Was die Kirche                      Dabei werden die Meinungen mit-
       mit der Lindenstraße zu tun hat                      unter auch mal aufeinanderprallen und
    9	Staatssekretär Tauber:                               die Interessen nicht immer deckungsgleich sein. Egal – entschei-
       Er trägt seine Kirche immer auf dem Arm              dend ist, dass man miteinander spricht, dass der Kontakt nicht
                                                            abreißt. Dazu gibt es erprobte Wege der Kommunikation, die
    10	Evangelische Akademie: Durch Bildung                beide Seiten gern und regelmäßig bedienen. Man denke nur an
        und Diskussion Demokratie stärken                   das jährliche Treffen von Kirchenvertretern und Landesregierung,
    12      Kleidertüte: Hand in Hand mit der Politik       das zur Institution geworden ist, über dessen Inhalte allerdings
                                                            wenig nach außen dringt.
    13      Bischof Hein zur Europawahl
                                                                Was auf der Leitungsebene professionelle Routine ist, muss
    13      Kommentar zur Sache: Politisch predigen?        sich im Alltag an der Basis bewähren. Tatsache ist: Wenn es gut
                                                            läuft, suchen Kirche und Politik auch auf örtlicher und regiona-
    28      Heiko Manz: Der Seitenwechsler
                                                            ler Ebene das Gespräch. In Dörfern, Städten und Landkreisen ist
                                                            es durchaus im Interesse des Gemeinwesens, wenn Pfarrer und
                                                            Bürgermeister, Dekane und Landräte über das reden, was für alle
LANDESKIRCHE
                                                            das Beste sein kann – für Kirchenmitglieder ebenso wie für alle
                                                            anderen Bürger.
    14	Interview: Wie geht es weiter
                                                                In dieser Ausgabe von blick in die kirche finden Sie eine Reihe
        mit der Diakonie Hessen?
                                                            von Beispielen für solch einen fruchtbaren Dialog zwischen Kirche
    15      Neue Wege gehen mit „7 Wochen ohne”             und Politik. Und wir stellen Ihnen interessante Menschen vor, die
                                                            an dieser Schnittstelle arbeiten.

                                                            
    15      Fasten fürs Klima
                                                                       		                                     Lothar Simmank
    16      GAW: Hilfe in Elendsvierteln und Schulen                                             Redakteur blick in die kirche
    16      Förderverein: Posaunenarbeit sucht Freunde
    17      Evangelische Bank: 50er- treffen 80er-Jahre
    17      Aus der Betonkirche wurde die Kulturkirche
                                                            Schauen Sie in Ihre Zeitung ...
    18      Sieben Impulse für die Kirchengemeinde
    19      Gewinner des Kirchenerhaltungsfonds                                            • Frankfurter Rundschau (FR)
                                                                                              im Main-Kinzig-Kreis
    20      Neuer Blick auf die eigene Gemeinde
                                                                                           • Fuldaer Zeitung (FZ)
    21      Kirchentag in Dortmund                                                         • Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ)
    22      Signale für die Ökumene                                                        • Hanauer Anzeiger (HA)
                                                                                           • Hersfelder Zeitung (HZ)
    23      Von Personen                                                                   • Hessische/Niedersächsische
                                                                                              Allgemeine (HNA)
                                                                                           • Maintaler Tagesanzeiger
SERVICE                                                                                    • Oberhessische Presse (OP)
                                                                                           • Südthüringer Zeitung (STZ)
    24      Termine / Kirchenmusik                          Am Samstag, 16. Februar        • Waldeckische Landeszeitung
                                                            2019, erscheint das blick         (WLZ)
    26      Kirche im Radio
                                                            in die kirche-magazin als
                                                                                           • Werra-Rundschau (WR)
    27      Neue Bücher                                     Beilage in:

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
UMFRAGE | IMPRESSUM

Wie wichtig ist der Dialog von Kirche und Politik?
                               Foto: privat

                                                                           Foto: privat

                                                                                                                  Foto: Stadt Hanau

                                                                                                                                                               Foto: medio.tv/Schauderna
 „Suchet der Stadt Bestes;                      Ein gutes Verhältnis von Po-               Hanau ist seit jeher durch                  Unbestreitbar wichtig und
 denn wenn’s ihr wohlgeht, so                   litik und Kirche ist mir sehr              Zuwanderung und Toleranz                    unverzichtbar! Nicht nur
 geht’s auch euch wohl.“ Das                    wichtig. Wir arbeiten gemein-              gegenüber unterschiedlichen                 dann, wenn drängende Pro-
 Wort des Propheten Jeremia                     sam für die Menschen in un-                Kulturen und Religionen ge-                 bleme anstehen und schnel-
 ist nach wie vor aktuell: Kir-                 seren Städten und Dörfern. Es              prägt. 2013 wurde der Runde                 le Lösungen verlangen. Der
 che sollte sich auf allen Ebe-                 geht uns gemeinsam darum,                  Tisch der Religionen gegrün-                Dialog sollte langfristig auf
 nen an der Gestaltung des                      Gesellschaft zu gestalten. Ge-             det, dem Vertreter aus mehr                 Kontinuität angelegt sein. Er
 Gemeinwesens aktiv beteili-                    rade in der Kommunalpolitik                als 20 Religionen und Reli-                 sollte auch dann behutsam
 gen. Es geht dabei nicht da-                   zeigen sich hier immer wieder              gionsgemeinschaften ange-                   gepflegt werden, wenn er für
 rum, für sich selbst gute Rah-                 große Gestaltungsmöglich-                  hören. Sein Ziel ist die Förde-             alle Beteiligten entspannt
 menbedingungen zu schaffen,                    keiten und Spielräume. Da                  rung und Intensivierung des                 und ohne Not geführt wer-
 sondern um ein lebenswertes                    gilt es, alle gesellschaftlichen           Dialogs zwischen den Religi-                den kann. So entwickeln sich
 Umfeld, in dem Menschen                        Akteure mit ins Boot zu ho-                onen. Die Kirchen und Religi-               Partnerschaften, die wachsen
 gerne leben. Dies kommt                        len, gerade auch die Kirche.               onsgemeinschaften bringen                   und Bestand haben. Kommen
 auch Kirchengemeinden und                      Wenn wir gemeinsam an ei-                  sich mit vielfältigen Angebo-               Vertrauen und Wertschätzung
 ihren Mitgliedern zugute.                      nem Strang ziehen, lässt sich              ten für alle Bevölkerungsgrup-              unter den Dialogpartnern hin-
 Hierfür ist der Dialog mit der                 viel mehr erreichen, als wenn              pen ein und gestalten somit                 zu, geschieht „die Suche nach
 Politik äußerst wichtig. In ei-                man nebeneinander oder gar                 unsere Gesellschaft und auch                der Stadt Bestem” zielführend,
 nem guten Gesprächsklima                       gegeneinander arbeitet.                    die Zukunft unserer Stadt mit.              pragmatisch und schnell. Bei-
 lässt sich ganz viel gemein-                                                              Der Dialog von Kirche und Po-               de Partner profitieren letzt-
 sam gestalten. Zum Wohle al-                                                              litik ist somit eine unverzicht-            lich davon, den Dialog aufge-
 ler. Ich habe dies immer wie-                                                             bare Basis für eine gut funkti-             schlossen, wertschätzend und
 der als großen Gewinn erlebt.                                                             onierende Stadtgesellschaft.                geduldig zu führen.

Ralf Gebauer (53),                             Thomas Kaminski (48,                       Claus Kaminsky (59, SPD),                   Dr. Martin Lückhoff (54),
Dekan im Kirchenkreis                          parteilos), Bürgermeister                  Oberbürgermeister der Stadt                 Dekan im Kirchenkreis Hanau
Schmalkalden                                   der Stadt Schmalkalden                     Hanau

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und       Redaktion:                                            Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen         Lothar Simmank (Leitung)                              Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.      Telefon 0561 9307-127                                 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
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                                                           Redaktionsbüro / Anzeigen:                            Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit
 Herausgeber:                                              Andrea Langensiepen                                   Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                        Telefon 0561 9307-152                                 Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                              Daniela Denzin                                        Auflage: 18.500 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                                Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                   Fax     0561 9307-155                                 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                                   von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                                  blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019                                         3
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
THEMA

Sie mischen sich in die Politik ein –
im Auftrag von Kirche und Diakonie
Besuch im Wiesbadener Büro: Wie Kirche und Diakonie
bei der Gesetzgebung mitwirken, wieso Lobbyismus
nichts Negatives ist und warum bei vielen Gesprächen
Vertraulichkeit so wichtig ist

E
      igentlich war das Gespräch mit der       besonders für drei
      blick-Redaktion in Wiesbaden für den     Themen stark, wie
      Dezember geplant, doch dann kam          Pfarrerin Graz er-
der Koalitionsvertrag dazwischen. Für Pfar-    läutert: Pflege, Teil-
rerin Clarissa Graz, Oberkirchenrat Jörn Du-   habe und bezahlba-
lige und Justitiar Sven Hardegen bedeute-      res Wohnen.
te das Ende der Koalitionsverhandlungen             Und Dulige
Hektik und viel Arbeit.                        reichte für die Kir-
    In der Vertretung der evangelischen        che, übrigens ge-
Kirchen und der Diakonie am Sitz der hes-      meinsam mit dem
sischen Landesregierung begann am Mit-         katholischen Kol-
tag das große Lesen. Knapp 200 Seiten          l e g e n , wä h r e n d
hat der Vertrag, und bis zum Abend soll-       der Verhandlun-
ten die Leitungen von Kirche und Diakonie      gen ihre Vorstel-
eine Einschätzung des Vertrags vorliegen       lungen schriftlich
haben. Am Abend war es geschafft.              ein. Dann war die
    Doch die Arbeit des Wiesbadener Bü-        Spannung natür-
ros begann natürlich nicht erst, als der       lich groß, als der
Vertrag ausverhandelt war. Die Diakonie        Vertrag vorlag: Wie
Hessen gab bereits im Wahlkampf schrift-       würden Kirche und
liche „Denkanstöße“ für die Abgeordne-         Diakonie und ihre Auf Du und Du mit den Hessenlöwen: Die Interessen der evangelischen Kirchen un
ten und machte sich in der heißen Phase        Themen dor t vor- degen, Pfarrerin Clarissa Graz (Diakonie Hessen) und Oberkirchenrat Jörn Dulige (E
                                               kommen? In einer
                                               ersten Bilanz zeigten sich Graz, Dulige deswegen sei es sinnvoll, gemeinsam ei-
                                               und Hardegen jedenfalls zufrieden mit ne Anlaufstelle zu haben. Das ist nämlich
                                               dem Ergebnis.                              noch nicht lange so, Clarissa Graz kam erst
                                                                                          im September 2017 in das Büro. Auch Jus-
                                                    „Ich achte immer darauf,              tiziar Hardegen ist noch nicht sehr lange
                                                                                          im Boot, bis Mai 2016 war Dulige noch
                                                    mich parteipolitisch nicht
                                                                                          Einzelkämpfer in Wiesbaden, dabei sei
                                                        einordnen zu lassen.“             klar: „Sechs Augen sehen mehr als zwei.“
                                                                                               Der 61-Jährige ist schon lange in die-
                                                    Er betrachte das Büro in Wiesbaden sem Geschäft, 1993 trat er in Wiesbaden
                                               als Servicestelle in zweierlei Richtung, an. Und musste anfangs durchaus Lehr-
                                               sagt Dulige. Zum einen informiere es die geld in Sachen Diplomatie zahlen. Er er-
                                               Kirchen und die Diakonie über das, was innert sich noch an seinen ersten parla-
                                               in Wiesbaden gerade laufe und diskutiert mentarischen Abend, für den Pfarrer ein
                                               werde oder auch, welche Personen in der ziemlich aufregender Anlass, auch weil er
                                               Politik aus kirchlicher Sicht besonders niemanden kannte. So war Dulige froh,
                                               auffielen. Zum anderen aber sei das Büro als ihn ein Staatssekretär, den er aus der
                                               eben auch Ansprechpartner für Politiker, Nachbarschaft schon kannte, an den Tisch
                                               die Fragen zur Kirche hätten.              holte. Es wurde ein gemütlicher Abend am
                                                    Im immer säkularer werdenden Umfeld sozialdemokratischen Tisch. Als die Runde
                                               würden Kirche und Diakonie kaum noch aufbrach, sprach ein CDU-Mann Dulige an
                                               getrennt gesehen, ergänzt Dulige, schon und sagte: „Ich habe Sie beobachtet. Sie

                                               Hier lebte einst Martin Niemöller: Der Sitz des kirchlichen Beauftragten in Wiesbaden
4                                              wurde früher von NS-Gegner und EKHN-Präsident Niemöller bewohnt
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                                                                                    die stattfinden, be-    ZUR PERSON
                                                                                    vor Gesetzentwürfe
                                                                                                             Jörn Dulige wurde 1957 in Bielefeld ge-
                                                                                    ins Parlament ge-        boren und studierte in Bethel und Münster
                                                                                    hen. Dort werden         Evangelische Theologie und Publizistik. Er
                                                                                    gesellschaf tliche       war zunächst Gemeindepfarrer in Roden-
                                                                                    Gruppen angehört.        bach bei Hanau, dann im Landeskirchen-
                                                                                    Dann sitzt beispiels-    amt in Kassel für die Öffentlichkeitsarbeit
                                                                                    weise Justiziar Har-     und Ausbildungsfragen zuständig. Seit
                                                                                    degen mit im gro-        1993 ist Oberkirchenrat Dulige Beauf-
                                                                                    ßen Saal 501 im          tragter der Evangelischen Kirchen am Sitz
                                                                                    Landtag. Er erin-        der Landesregierung in Wiesbaden, so die
                                                                                                             offizielle Bezeichnung.
                                                                                    nert sich an die An-
                                                                                                             Seit 1999 hat er einen Sitz im hr-Rund-
                                                                                    hörung zum Spiel-
                                                                                                             funkrat, war von 2009 bis 2017 dessen
                                                                                    hallengesetz. Die        Vorsitzender und ist seitdem stellvertre-
                                                                                    Spielhallenbetrei-       tender Vorsitzender. Zu den Aufgaben
                                                                                    ber seien dort sehr      des Rundfunkrates gehört die Wahl des
                                                                                    selbstbewusst, gera-     Intendanten – derzeit Manfred Krupp –
                                                                                    dezu als Wohltäter,      sowie der Beschluss über den Haushalt
                                                                                    aufgetreten. Doch        der Rundfunkanstalt. Er nimmt an den
                                                                                    Vertreter von Sucht-     Programmausschüssen (Radio/Fernsehen)
                                                                                    hilfe und eben der       und am Telemedien-Ausschuss teil. Im
                                                                                    Diakonie stellten        Rundfunkrat sitze er nicht in erster Linie
                                                                                                             als Kirchenmann, sondern als Vertreter
                                                                                    die Schicksale von
                                                                                                             der Allgemeinheit, erläutert Dulige. Er sei
                                                                                    Spielsüchtigen dar
                                                                                                             auch – etwa bei einer Intendantenwahl –
                                                                                    und sorgten so für
                                                                                                             nicht weisungsgebunden. In den Sitzungen
                                                                                    mehr Ausgewogen-         versuche er, unterschiedliche Lager zu ver-
                                                                                    heit in der Debatte.     binden und sich darum zu kümmern, dass
                                                                                        Viele Gespräche      Beschwerden von Zuschauern und -hörern
                                                                                    seien aber auch ver-     ernst genommen werden. Außerdem setze
                                                                                    traulich und müss-       er sich dafür ein, das im Zweifelsfall das
                                                                                    ten es bleiben,          Motto „Programm vor Quote“ gelte, also
nd der Diakonie vertreten am Sitz der Landesregierung (v.l.) Justitiar Sven Har-    erläutert Dulige.        die Qualität zähle.                    ode
Evangelische Kirchen von Kurhessen-Waldeck, Hessen und Nassau und Rheinland) Wenn Vertraulich-
                                                                                   keit vereinbart sei
             können nicht den ganzen Abend bei den und nicht eingehalten werde,
             Roten sitzen!“ Das hat sich der Beauftrag- reiße der Gesprächsfaden.
             te zu Herzen genommen und überlegt heu-               Gut sichtbar sind Graz
             te, wann er wo mit wem gesehen wird und und Dulige hingegen bei Got-
             wie lange. Und ganz wichtig: „Ich achte tesdiensten, so wie jüngst zu
             immer darauf, mich parteipolitisch nicht Beginn der neuen Legislatur-
             einordnen zu lassen.“                            periode, wenn sie Andachten
                 Pfarrerin Graz, die nun etwas mehr als halten oder auch beim Emp-
             ein Jahr im Politikfeld arbeitet, hat nicht fang, der alle zwei Jahre ge-
             das Gefühl, als „lästige Lobbyistin“ wahr- geben wird. Dann trifft man
             genommen zu werden. Auch Dulige sagt: sich im Garten von Duliges
             „Mit dem Begriff Lobbyist verbinde ich Dienstsitz (das gemeinsa-
             nichts Schmutziges.“ Zudem sei die Aufga- me Büro liegt zwei Straßen
             be umfassender; oft werde ein Gespräch weiter). Das Haus hat eine
             über Politik auch zu einem Seelsorgege- besondere Geschichte, denn
             spräch. Denn, ganz klar, Politiker sind Men- dort wohnte schon Martin
             schen und haben auch Sorgen und Nöte Niemöller, der sich als Pfarrer
             – etwa wenn es mit dem Mandat nicht ge- gegen die Nationalsozialisten
             klappt hat oder es familiäre Probleme gibt. gestellt hatte und später ers-
                 Aber natürlich geht es auch darum, ter Kirchenpräsident in Hes-
             dass Kirche und Diakonie ihre Stimme ein- sen und Nassau wurde. l
             bringen. Ein Ort dafür sind Anhörungen,                            Olaf Dellit

                      Neues Domizil: Als das Büro erweitert wurde, reichte der Büroraum im
                       Niemöller-Haus nicht aus, die Vertretung zog ein paar Straßen weiter                                                                5
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
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                                         Die Diakonie-Diplomatin                                                 Der Rechtsexperte

                                                              S                                                                       S
                                                                      eit anderthalb Jahren ist Clarissa                                    ven Hardegen (52) ist seit 2016 Jus-
                                                                      Graz (47) für die Diakonie Hessen                                     titiar im Evangelischen Büro Hes-
                                                                      im Evangelischen Büro am Sitz der                                     sen. Der gebürtige Hannoveraner
                                                                Landesregierung aktiv. Ihre Aufgabe ist es,                            war nach dem Jurastudium in Marburg
                Foto: Müller, Eltville

                                                                den Anliegen der Diakonie eine politisch                               Referendar im Landgerichtsbezirk Darm-
                                                                hörbare Stimme zu geben und sich für so-                               stadt und danach als Rechtsanwalt in
                                                                ziale Gerechtigkeit in Hessen einzusetzen.                             Südhessen tätig. Kirchlich engagiert ist
                                         Pfarrerin                  Die Pfarrerin war nach ihrem Theolo-         Justitiar
                                                                                                                                       er auf vielen Ebenen, unter anderem war
                                         Clarissa Graz          giestudium zunächst als persönliche Re-          Sven Hardegen         er Vorsitzender der Darmstädter Johan-
                                                                ferentin des Vorstandsvorsitzenden des                                 nesgemeinde. Bis heute ist er ehrenamt-
                                         Diakonischen Werks in Hessen und Nassau tätig. Nach dem                 licher Geschäftsführer der Textilwerkstatt am Elisabethenstift
                                         Pfarrvikariat in Worms war Graz zwei Jahre lang persönliche             in Darmstadt.
                                         Referentin des Präsidenten der Diakonie Deutschland in Berlin.              In seinem Wiesbadener Job kümmert sich der verheirate-
                                         Zuletzt arbeitete sie wiederum elf Jahre lang als Gemeindepfar-         te Rechtsassessor um Entwürfe und Verordnungen aus den
                                         rerin in Eltville-Erbach-Kiedrich im Rheingau.                          Ministerien, gibt seine Einschätzungen an die Referate der
                                             Was in ihrem jetzigen Job sicherlich hilfreich sein kann, ist,      unterschiedlichen Landeskirchen weiter und macht Entwürfe
                                         dass Graz auch Psychologie studiert hat – wenn auch ohne Ab-            für kirchliche Stellungnahmen. Im Vorfeld von Gesetzgebungs-
                                         schluss. Denn sie muss sich in ihrem „Diplomaten-Dienst” für            verfahren wird der Jurist auch zu Anhörungen der Ministerien
                                         die Diakone auf unterschiedlichste Menschen und Gesprächs-              eingeladen und um Statements zur Sache gebeten. Egal ob es
                                         partner einstellen, um im Sinne ihres Arbeitgebers „ein gutes           dabei um die Integration von Flüchtlingen geht, um Gefängnis-
                                         Netz auf kurzem Weg” zu knüpfen. Vieles laufe eben über                     seelsorge, um Religionsunterricht oder um die Aufstellungs-
                                         persönliche Beziehungen, so die Theologin. Und manchmal                     orte von Windrädern – einzubringen ist immer das mitunter
                                         sei sie im Landtag sogar als Seelsorgerin gefragt. l                        mehrstimmige Votum der Kirchen. l
                                                                                       Lothar Simmank                                                           Lothar Simmank

                                                                                                                              Christhard Wagner vertritt die
                                Unser Mann in Thüringen                                                                       Interessen der EKKW in Erfurt

                                                              D
                                                   er Kirchen-                          Auch in seinem aktuellen Job geht es ihm          Wie ist es in einem rot-rot-grün regier-
                                                   kreis Schmal-                        auf politischer Ebene um gute Rahmen-         ten Bundesland um das Klima zwischen
                                                   kalden ist                           bedingungen für Schulen in freier Träger-     Kirche und Politik bestellt? Ist die Situati-
                                           der Grund, warum                             schaft. Für Schmalkalden, wo die kurhessi-    on für einen kirchlichen Beauftragten hier
                                           die Evangelische                             sche Kirche eine Grundschule betreibt und     schwieriger als anderswo? „Die Sorgen,
                                           Kirche von Kurhes-                           derzeit die Bedingungen für die Gründung      dass die Demokratie in Thüringen unter
                                           sen-Waldeck ihre                             einer weiterführenden Schule prüft, stehe     einer von der Linken geführten Regierung
                                           Interessen nicht nur                         die schulische Bildung „ganz oben auf der     in Gefahr gerät, habe ich nie geteilt”, sagt
                                           bei der hessischen,                          Liste”, sagt Wagner. Er unterstützt den       Wagner. Er verweist auf die Andachten für
                                           sondern auch bei                             Wunsch vieler Eltern nach Alternativen        die Abgeordneten, die er regelmäßig vor
                                           der thüringischen                            zu öffentlichen Schulen: „Ich ringe darum,    den Landtagssitzungen anbietet: „Da sitzt
            Oberkirchenrat Christhard      Landesregierung                              weil ich der Meinung bin, dass freie Schu-    Bodo Ramelow als bekennender Christ ne-
Foto: EKM

            Wagner, Beauftragter der       vertritt. Christhard                         len gute Chancen haben sollten.”              ben der Ex-CDU-Ministerpräsidentin Chris-
            Evangelischen Kirchen im       Wagner (63), Ober-                               Zu den Aufgaben des Beauftragten ge-      tine Lieberknecht, und es wird freundlich
            Freistaat Thüringen            kirchenrat der Evan-                         hört auch der Blick in die Geschichte und     miteinander gesungen und gebetet.”
                                           gelischen Kirchen in                         die Vergangenheitsbewältigung in Thürin-          Als „sehr kirchenfreundlich” erlebt
                   Mitteldeutschland (EKM), ist als Beauf-                              gen. So steht in seinem Terminkalender für    Wagner auch die Fraktion der Grünen im
                   tragter auch Ansprechpartner der EKKW                                Februar etwa die Organisation eines öku-      Thüringer Landtag. Insbesondere in der
                   für Politiker des Erfurter Landtags.                                 menischen Gottesdienstes zum 100-jähri-       Schulpolitik seien die Ziele der Kirchen
                        Bis 2011 leitete der gebürtige Leipzi-                          gen Jubiläum der Weimarer Reichsverfas-       und die der Partei nicht weit auseinander.
                   ger das Bildungs-Dezernat der EKM. Das                               sung. Oder für Mai eine Tagung in Erfurt,         Was noch aussteht, sei die im Koaliti-
                   erklärt seine besondere Nähe zum Thema                               die sich 30 Jahre nach der friedlichen Re-    onsvertrag vereinbarte Aufarbeitung der
                   Schule. In Thüringen setzte er sich inten-                           volution mit den Ereignissen in den letzten   Geschichte der Christen in der DDR. l
                   siv für evangelische Schulgründungen ein.                            Tagen der DDR auseinandersetzt.                      		                 Lothar Simmank

                                         6      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
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Die Welt nicht den
andern überlassen
Karin Müller, einst Mitarbeiterin im
Evangelischen Stadtjugendpfarramt
Kassel, sitzt heute für die Grünen im
Hessischen Landtag

F
     rühmorgens um 7.16 Uhr ab Kassel-          gelischen Stadtju-
     Wilhelmshöhe, um Viertel vor zehn          gendpfarramt 2003
     in Wiesbaden – diese zwei Uhrzeiten        schließlich Mitarbei-
sind Karin Müller bestens vertraut. Bahn-       tervertreterin wur-
Eckdaten für die Kasseler Abgeordnete der       de, in Konflikten
Grünen, die nunmehr ihre dritte Landtags-       vermittelte oder
periode in der hessischen Landeshaupt-          sich bei Einstel-
stadt absolviert und dazu drei- bis viermal     lungsgesprächen
pro Woche ins Parlament pendelt.                einbrachte, gehört
     Mit Verkehr hat sie auch in der Politik    zu Karin Müllers
zu tun, sie ist unter anderem verkehrspoli-     Politikverständnis.
tische Sprecherin ihrer Fraktion und privat     „Wo man tätig ist,

                                                                                                                                           Foto: Anja Koehne
seit Jahrzehnten überzeugte Radfahrerin –       da will man mit-
vor allem in ihrer Heimatstadt Kassel und       ges t alt e n. Auch
der gesamten Region Nordhessen, der sie         wenn es mühsam
auf überzeugende und unprätentiöse Art          ist.“ Das ergänzt
von klein auf treu geblieben ist.               sie keineswegs mit Jetzt Landtagsvizepräsidentin: MdL Karin Müller aus Kassel
     Engagiert ist die 56-Jährige schon seit    Leidensmiene, son-
ihrer Jugend; begonnen hat sie damit aller-     dern eher mit freundlicher, verlässlicher Stadtparlament und 2006 vier Jahre lang
dings nicht in der Politik, sondern bei der     Ausstrahlung – eine, der keine Mühe so Fraktionsvorsitzende. Ein langer Weg des
Kirche. Vom Opa beeinflusst, der im Kir-        schnell zu viel wird.                        Sich-Einsetzens für andere: von der Kirche
chenvorstand mitwirkte, besuchte sie den                                                     über die Grünen in die Landespolitik. Wie
Kindergottesdienst und später die Jung-                                                      sieht sie ihre kirchlichen Wurzeln heute?
schar; „als Teenie dann“ machte sie in der            »Wenn es keinen Spaß                       Die Kirche, sagt sie, betrachte sie vor
Evangelischen Jugendarbeit mit.                               mehr macht,                    allem als soziales und politisches Instru-
     Mit 16 lag es nahe, eine Verwaltungs-        dann muss man aufhören.« ment; sie habe einen wichtigen Auftrag in
ausbildung bei der Kirche zu beginnen.                                                       der Wertevermittlung. Dass sich Bischof
Karin Müllers Onkel arbeitete früher eben-                                                   Martin Hein in seiner letzten Synodalrede
falls dort, und schließlich hatte sie immer         So auch nicht die Wiesbaden-Pendelei klar gegen Rassismus und für eine offene
wieder ihre Ferien auf evangelischen Ju-        oder die oft zähe Arbeit dort in Plenum, Gesellschaft positionierte wie auch für die
gendfreizeiten verbracht.                       Arbeitskreisen und Ausschüssen, bei den Ehe für alle eintrat, wertet die grüne Lan-
     Parallel zur Arbeit absolvierte Karin      Grünen und seit einigen Jahren Seit' an despolitikerin als bemerkenswert und gut.
Müller später das Abendgymnasium und            Seit' mit der CDU. Das kriegt sie nur hin,       Privat ist sie ehemaligen Kollegen aus
studierte Soziologie und Politik – in Kas-      weil es ihr tatsächlich Spaß macht, „und dem Kirchenamt oder anderen kirchlichen
sel. Dort lebt sie also bis heute; gab es nie   wenn es keinen Spaß mehr macht, dann Kreisen bis heute verbunden, sei es bei
Gründe zum Wechseln? „Tja“, sagt sie ver-       muss man aufhören!“                          den schon weit im Voraus geplanten Dop-
schmitzt, das habe sie durchaus überlegt,           Sie genießt, dass sie als Radlerin ihr pelkopf-Runden oder anderen Aktivitäten.
aber die Region sei einfach zu ideal: „Gut      „Hobby zum Beruf“ machen konnte; schon           Ihr Fazit aus vielen Jahren Einsatz für
zum Radfahren, wenig Verkehr, kaum Flug-        als Studentin landete sie in der Radler-Ini, andere: „Engagement lohnt sich!“ Was sie
lärm, gut vernetzt“, das alles schätzt sie.     war AstA-Vorsitzende, in Fachschaft und motiviert, ist neben dem positiven Echo
Ebenso wie die menschliche Verbunden-           Basisgruppen und schließlich über die in Mails auf ihre Arbeit auch die wunder-
heit: „Die Nordhessen halten zusammen,          Themen Frauen und Verkehr bei den Grü- bar knapp gefasste Einstellung: „Die Welt
egal welcher Partei sie angehören.“ Dass        nen – es sprach sie an, dass die alle Äm- nicht den andern überlassen!“ l
sie als kirchliche Angestellte beim Evan-       ter quotierten. Für sie war sie ab 2001 im                           Anne-Kathrin Stöber

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019        7
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
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                                                                                                   Spitzenpolitiker in
Was die Kirche mit der
Lindenstraße zu tun hat
                                                                                         Michael Roth (SPD) ist Staatsminister im
                                                                                          Auswärtigen Amt und Landessynodaler

M
          ichael Roth steht auf, um zur Lan-
          dessynode zu sprechen. Er habe
          sich wieder mal nicht an die Ge-
pflogenheiten gehalten, erklärt er, seinen
Redebeitrag nicht schriftlich angemeldet
und er werde auch nicht zu einzelnen
Punkten des Bischofsberichtes sprechen,
sondern gleich zu mehreren. Roth lobt eine
Pointe des Berichts – und es wird deutlich:
Hier spricht einer, der zu reden gelernt hat
und der gerne für frischen Wind sorgt.
     Das Redetalent ist in seinem Beruf
wichtig, denn Roth ist Bundestagsabge-
ordneter und Staatsminister im Außenmi-
nisterium. Wenn er nicht in Hofgeismar
zur Bedeutung der Theologie oder zur
Neuordnung der kurhessischen Sprengel

                                                                                                                                               Foto: medio.tv/Schauderna
spricht, beschäftigt er sich mit dem Brexit,
der Ukraine-Krise und der Freundschaft mit
Frankreich.
     Zu Wochenbeginn veröffentlicht der
48-Jährige auf Twitter regelmäßig seinen
Wochenplan, der zeigt, wie viele Termine       Berlin, Paris, Hofgeismar: Als Staatsminister ist Michael Roth viel unterwegs, bemüht sich
anstehen. Dennoch bemühe er sich, an           aber, auch sein Synodalamt wahrzunehmen – so wie hier bei der Herbstsynode 2018
der Synode teilzunehmen, wenngleich er
eigentlich nie die komplette Tagung schaf-     Rücktritt bekannt ist: „Du kannst nicht tie-    beiträge, mehr freie Rede, auch mal Streit,
fe. Zu der Aufgabe sei er schlicht gekom-      fer fallen als in Gottes Hand.“                 das wünscht sich Roth – allerdings immer
men, weil Bischof Hein ihn gefragt habe,            Die beiden Sphären, in denen Roth ak-      von Respekt getragen, da könne die Kirche
ob er Synodaler werden wolle.                  tiv ist, haben oft miteinander zu tun. So       in Zeiten von Hassreden Vorbild sein.
     Er sehe das Amt auch als eine Art         gab es in der Synode eine Debatte über              Hat er sich auch mal über seine Kir-
Fortbildung über den Glauben, die Kirche       die Möglichkeit von Abschiebungen nach          che geärgert? Ja, sagt er. Bei der Trauung
und die Theologie, sagt Roth. Sein eige-       Afghanistan, und Roth brachte die Ein-          gleichgeschlechtlicher Paare – Roth ist mit
ner Glaube habe sich zwischen Distanz          schätzung des Außenministeriums mit in          einem Mann verheiratet – habe sie sich
und Annäherung entwickelt und tue das          die Debatte. Er freue sich, wenn die Kir-       schwergetan. Und auch bei der Abschaf-
bis heute: „Ich bin auch immer wieder in       che gesellschaftliche Themen in den Fokus       fung der Altersgrenze für den Kirchenvor-
zweifelnden Situationen.“                      nehme und er dazu beitragen könne.              stand sei sie zunächst verzagt gewesen.
     Zugleich habe er nie ein Geheimnis da-                                                        Zum Abschluss des Gesprächs mit Roth
raus gemacht, dass er in der Kirche sei und       »Ich bin immer wieder in                     am Rande der Synode kommt man dann
zu ihr stehe. Ein Grundsatz ist ihm wich-                                                      noch auf die Fernsehserie „Lindenstraße“
                                                  zweifelnden Situationen.«
tig: „Ich verstehe Christsein so, dass man                                                     zu sprechen, die nach Jahrzehnten abge-
auch eine Verantwortung für die diessei-                                                       setzt werden soll. Roth hatte sich per Twit-
tige Welt hat.“ Also muss diese Welt ge-           Der große Unterschied zwischen dem          ter darüber beschwert. Die Lindenstraße
staltet werden – in der säkularen wie der      Kirchenparlament und dem Bundestag sei          sei doch eigentlich immer da gewesen.
kirchlichen Welt.                              der größere Wille zu Einigkeit und Zusam-           Als eine Art Fazit sagt Roth: „Man reibt
     In der Politik spiele sein Glaube inso-   menarbeit in der Synode. Manchmal, so           sich an der Kirche, manchmal reibt man
fern eine Rolle, als man sich auch dann        Roth, wünsche er sich dort mehr Kontrover-      sich auch an ihr auf; aber das ist besser,
getragen fühlen könne, wenn man Fehler         sen, denn: „In einer Demokratie gehören         als wenn sie ignoriert wird.“ Und das gel-
mache. Roth zitiert den Satz, der durch        Konflikte dazu. Und nicht jede Kritik ist ein   te für die Lindenstraße eigentlich auch. l
Margot Käßmanns Statement zu ihrem             persönliches Infragestellen.“ Kürzere Wort-                                       Olaf Dellit

8      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
THEMA

der Landessynode
                                                                                                      Er trägt seine Kirche
                                                                                                       immer auf dem Arm
                              Peter Tauber (CDU) ist Staatssekretär im
                              Verteidigungsministerium und Landessynodaler

                                                                                                                           Zwangspause wieder in die Politik ein und
                                                                                                                           wurde Parlamentarischer Staatssekretär im
                                                                                                                           Verteidigungsministerium.
                                                                                                                               In der neuen Funktion habe er es eher
                                                                                                                           mit existenziellen Erfahrungen zu tun als
                                                                                                                           früher. So erinnert er sich an das Gespräch
                                                                                                                           mit den Hinterbliebenen von zwei Hub-
                                                                                                                           schrauberpiloten, die im Einsatz in Mali
                                                                                                                           starben. Diese Begegnung habe ihn tief
                                                                                                                           berührt, sagt Tauber und glaubt: „Meine
                                                                                                                           eigene Erfahrung hilft mir, sensibler zu
                                                                                                                           sein und zuzuhören.“ Große politische De-
                                                                                                                           batten, mit denen er es als Generalsekre-
                                                                                                                           tär zu tun hatte, seien sehr wichtig, aber
                                                                                                                           diese direkten Kontakte erfüllten ihn: „Uns
                                                                                                                           Christen muss es immer um den einzelnen
                                                                                                                           Menschen gehen.“
  Foto: medio.tv/Schauderna

                                                                                                                               Berufspolitiker und ehrenamtlicher
                                                                                                                           Kirchenmann – gibt das nicht manchmal
                                                                                                                           Konflikte? Selten, sagt Tauber, denn zum
                                                                                                                           Glück sei der christliche Glaube weitge-
                                                                                                                           hend konform mit den gesellschaftlichen
                              Am Rande der Synode: Peter Tauber mit Bischof Dr. Martin Hein. An der Bischofswahl im        Normen in Deutschland. Natürlich könne
                              Mai will Tauber teilnehmen, hat er angekündigt.                                              es auch mal Gegensätze geben, meint er
                                                                                                                           zum Stichwort Kirchenasyl, aber das müsse

                              N
                                      50° 12' 8.9 25“ O 9° 11' 30 97”         lich schlecht, er musste mit einer Darm-     die staatliche Ordnung aushalten.
                                      Diese Zeichenfolge steht auf dem        entzündung ins Krankenhaus. Nach einer           Die CDU, die das Christliche im Na-
                                      Arm des Parlamentarischen Staats-       Operation kam es zu lebensgefährlichen       men trägt, sei keine Kirchenpartei, aber
                              sekretärs im Verteidigungsministerium. Pe-      Komplikationen, eine Not-OP war nötig.       eine kirchennahe Partei. Daher müsse sie
                              ter Tauber hat sie sich tätowieren lassen           Es habe Momente gegeben, in denen        sich auch Kritik aus der Kirche besonders
                              als Bekenntnis zu seiner Heimat und zu          er abgeschlossen habe. Diese schwere Zeit    ernsthaft stellen. „Gott sei Dank“, fügt
                              seiner Kirche. Denn die Ziffern und Zei-        war für ihn auch eine Zeit des Betens, er-   Tauber hinzu, gebe es aber auch in den
                              chen sind die geografischen Koordinaten         zählt der Politiker. Er bete jeden Abend,    anderen Parteien viele christliche Positio-
                              der Gelnhäuser Marienkirche. Mit dem Tat-       aber im Krankenhaus habe das noch eine       nen. Manchmal höre er Kritik, dass Chris-
                              too habe er die zwei wichtigsten Dinge in       andere Bedeutung gewonnen. Unter ande-       ten sich „einmischen“ wollten. Genau das
                                                                                                                                                                          Foto: MVg, HptBtsm Bartsch

                              seinem Leben auf dem Arm, sagt Tauber:          rem habe er Gebete von Luther auswendig      wollten und sollten sie, sagt Tauber.
                              die Heimat und den lieben Gott.                 gelernt und im Krankenzimmer oft zu Kir-         In die Kirche mischt er selbst sich auch
                                  Tauber, der auch Landessynodaler in         chenmusik gebetet. Im Berliner Kranken-      ein, wenn er in der Synode sitzt. Manches
                              Kurhessen-Waldeck ist, hat mit seinen 44        haus sei das für manche Menschen, Pfle-      sei anders als im Bundestag, aber: „Es ist
                              Jahren bereits eine wechselhafte politische     ger etwa, durchaus gewöhnungsbedürftig       auch kein völlig anderes Raumschiff, das
                              Karriere erlebt, die ihn über den CDU-Lan-      gewesen. Doch für Tauber ist völlig klar:    man da besteigt.“
                              desvorstand in Hessen und den Bundestag         „Wir sind als Christen dazu aufgefordert,    l Olaf Dellit
                              bis zum Generalsekretär der Bundes-CDU          unseren Glauben zu bekennen.“
                              führte. Er galt als Shootingstar, der für die       Als Bundespolitiker, der im Licht der
                              Jungen in der Partei stand und Sätze sagte      Öffentlichkeit und oft auch in der Kritik
                              wie „Politik braucht mehr Punk“.                stand, habe er sich eine Haltung zugelegt,
                                  Und dann, mitten in den Koalitions-         die ihm eigene Stärke suggeriert habe. In
                              verhandlungen 2017, verschwand Peter            der Krankheit habe er gemerkt, dass das
                              Tauber von der Bühne. Es ging ihm plötz-        eine Illusion war. Tauber stieg nach der

                                                 Im Einsatz: Peter Tauber bei einem Truppenbesuch in Niger, das Tattoo auf dem
                                                     Arm mit den Koordinaten der Marienkirche Gelnhausen ist gut zu erkennen                                         9
Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
THEMA

     Evangelische Akademie: Durch Bildung
      und Diskussion Demokratie stärken
                     Fotos: medio.tv/Schauderna

                                                  Das Schlösschen Schönburg ist Sitz der Evangelischen Akademie Hofgeismar

A
         m Beginn stand die Krise: „Mit                          Nach diesen Kriterien wählt die Akademie           Inhalte und Formen der Tagungen sind
         dem Zusammenbruch 1945 ist in                           die Themen ihrer rund 60 Veranstaltungen      verschieden, ebenso vielfältig ihre Ergeb-
         Deutschland nicht nur die wirt-                         pro Jahr aus. Die meisten richten sich an     nisse: In Kooperation mit der Universität
schaftliche, politische und weltanschauli-                       eine allgemeine Öffentlichkeit jeden Alters   Kassel wurde im vergangenen Jahr die
che Ordnung gebrochen“, diagnostizierte                          und Berufs, andere wiederum haben eine        „Hofgeismarer Erklärung“ zur Politischen
im Juli 1946 der osthessische Pfarrer Hans-                      bestimmte Zielgruppe im Blick: Pädago-        Bildung in den Schulen formuliert; ein
Rudolf Müller-Schwefe. Er regte an, in der                       gen in leitenden Funktionen, Mitarbeiten-     deutsch-polnisches Schülertreffen thema-
Evangelischen Kirche von Kurhessen-Wal-                          de der Diakonie, Ärzte; weitere Formate       tisiert den Umgang mit Traditionen und
deck eine Evangelische Akademie zu grün-                         richten sich ausdrücklich an Studierende,     Jubiläen. Ganz grundlegend fragt eine Ta-
den. Nach deren Gründung 1947 wurde                              Schüler und Familien.                         gung „Demokratie – in der Krise!?“ (22.
Müller-Schwefe ihr erster Direktor. Auf                                                                        bis 24. Februar), sie richtet sich an alle In-
Trümmern Neues aufbauen: Das war die                             „Mehr Demokratie wagen"                       teressierten.
Idee, mit der in vielen Landeskirchen seit                                                                          Demokratie verstehen und lernen, das
1945 Evangelische Akademien entstan-                                 Die Gesellschaft ändert sich – und mit    war die Herausforderung der Evangeli-
den. Nicht nur die Infrastruktur Deutsch-                        ihr die Demokratie und die Herausforde-       schen Akademie in ihrer Anfangszeit. Heu-
lands war zerstört; NS-Staat und Ideologie                       rungen an sie. In den Anfangsjahren der       te kommt es darauf an, die Demokratie zu
hatten verheerend auf Politik und Moral                          Akademie galt es vor allem, Demokratie        schützen, ihr zu neuem Leben zu verhelfen.
gewirkt. Wie konnte in dieser Situation die                      zu verstehen und Menschen für sie zu ge-      Hierzu gehört auch der
Kirche das Evangelium der Gesellschaft                           winnen. In den 1970er-Jahren prägte der       Umgang in kontroversen
bezeugen? Durch Gottesdienst, Seelsorge                          Gedanke an Emanzipation und Partizi-          Debatten: Es wird an der
und Bildung; ein Ort gesellschaftlicher Bil-                     pation („Mehr Demokratie wagen“) viele        Evangelischen Akade-
dung ist die Evangelische Akademie Hof-                          Akademietagungen. Die Hoffnung, nach          mie fair diskutiert und
geismar.                                                         dem Ende des Ost-West-Konfliktes 1989         gestritten. Die Würde
    „Die Akademie bemüht sich um Bei-                            beginne eine Blütezeit der Demokratie, hat    dessen, der anderer Mei-
träge zum besseren Verständnis der Ge-                           sich nicht erfüllt. Die Demokratie ist mehr   nung ist, bleibt gewahrt. Pfarrer Karl Wal-
genwart, zur aktuellen Verkündigung des                          denn je gefährdet – durch autokratische       Dies entspricht dem deck (60) leitet
Evangeliums und zur Lösung der in Kirche                         Systeme, durch neue Nationalismen, Popu-      christlichen Menschen-          die Akademie
und Gesellschaft anstehenden Aufgaben.“                          lismus, Wohlstandsgefälle und Terrorismus.    bild. Auch darin bezeugt        seit 2011 und
                                                                                                                                              wurde kürzlich
So formuliert es das Akademiegesetz der                          In einer Vielzahl von Veranstaltungen wid-    die Evangelische Akade-
                                                                                                                                             für weitere vier
Landeskirche. Verständnis von Gegenwart                          met sich die Evangelische Akademie Hof-       mie das Evangelium. l
                                                                                                                                               Jahre im Amt
und Evangelium, Kirche und Gesellschaft.                         geismar diesen Themen.                        Karl Waldeck                         bestätigt

10     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
THEMA

                               Mit den Studienleitern der Evangelischen Akademie Konstantin Broese, Christina
  Interview                    Schnepel und Uwe Jakubczyk sprach Öffentlichkeitsreferentin Christine Lang-Blieffert

„Wir wollen nicht nur vermitteln, sondern auch verändern”

?   Es gibt eine Fülle politischer The-
    men. Welchen widmet die Akademie
eine Tagung?
                                              auch: Wir müssen bescheidener leben. Das
                                              ist hochpolitisch und benötigt die theologi-
                                              sche Dimension, denn ansonsten werden
                                                                                                   Schnepel: Genau. So wichtig wie die
                                                                                              Beteiligung der Teilnehmer ist die Frage,
                                                                                              wen möchte ich miteinander ins Gespräch
     Broese: In diesem Jahr haben wir in      wir es schwer haben, die Menschen zum           bringen. Bei Tagungen zu Agrarpolitik oder
allen drei Ressorts das Thema Demokratie      Umdenken zu bewegen.                            „Dialog mit BAMF und Zivilgesellschaft“
ausgewählt, weil das derzeit obenaufliegt:         Broese: Aus meiner Sicht gehört zu all     sitzen Vertreter von Bundes- und Landesbe-
Wo ist die Demokratie gefährdet? Und wie      den politischen Themen auch die theolo-         hörden, der Wirtschaft, Wissenschaft und
können wir dazu beitragen, sie zu stärken?    gische, philosophische Perspektive, denn        von NGOs zusammen. Diese Vielfalt der
Im Übrigen war das ein Grund, weshalb         Religion, Gesellschaft und Politik sind eng     Beteiligten zeichnet uns aus.
die Akademien nach dem Zweiten Welt-          miteinander verknüpft. Nehmen wir den                Jakubczyk: Wir wollen aber nicht nur
krieg gegründet wurden.                       interreligiösen Dialog: Worin liegt das Frie-   vermitteln, sondern auch verändern. Es
     Schnepel: Für die Akademie sind          dens-, aber auch das Konfliktpotenzial?         geht nicht nur um Information, sondern
christliche Werte ein Kriterium. Das heißt    Und wie ist das mit dem sozialen Frieden?       auch um Veränderungsprozesse – in der
in meinem Ressort, dass ich mich vor al-                                                      Gesellschaft und im Einzelnen. Menschen,
lem um Themen der Nachhaltigkeit, Be-
wahrung der Schöpfung, Menschenrechte
sowie Frieden und Gerechtigkeit kümmere.
                                              ?  Wie werden die Tagungsteilnehmer
                                                 einbezogen?
                                                 Jakubczyk: Kinder und Jugendliche
                                                                                              die aus unseren Tagungen kommen, sol-
                                                                                              len klarer entscheiden können. Wir zeigen
                                                                                              durch Perspektivwechsel Alternativen auf.
     Jakubczyk: Wir behandeln diese The-      werden gerne aktiv, wenn man sie mit-           Das macht demokratiefähig. l
men auf unterschiedlichen Ebenen: lokal,      gestalten lässt. Dann sind sie auch nicht                   Fragen: Christine Lang-Blieffert
national und international, um damit zu       politikverdrossen. Bei einem Planspiel
zeigen: Politisches Handeln steht nicht
isoliert da.

?  Welches politische Thema greift der
   Bereich Kinder- und Schülerakade-
mie dafür auf?
   Jakubczyk: Für mich steht das The-
ma Demokratie ganz oben: Wie können
Jugendliche mehr politisch gestalten und
mitbestimmen?

?   Aber diese Tagungen richten sich
    nicht nur an Schüler.
                                                                                                                                             Foto: C. Lang-Blieffert

    Jakubczyk: Richtig. Wir haben gerade
eine „Hofgeismarer Erklärung“ im Nach-
klang zu unserer Tagung „Politische Bil-
dung in der Schule“ mit Lehrkräften, Erzie-
hungswissenschaftlern und Vertretern aus
                                                                                               Studienleiter im Gruppenbild (v.l.n.r.):
der Politik veröffentlicht.                   schlüpfen sie in die Rolle der Akteure ei-
                                                                                               Dr. Konstantin Broese, Ressort Recht,
                                              ner UN-Vollversammlung und verstehen
                                                                                               Politik, Ethik in den Wissenschaften. Kon-

?  Welche politischen Themen beschäf-
   tigen die Ressorts Nachhaltigkeit
und Gesellschaft?
                                              dadurch Prozesse der Globalisierung bes-
                                              ser. In einem Escape Room zur Digitalisie-
                                              rung erleben sie hautnah, was Big Data
                                                                                               takt: gesellschaft.akademie@ekkw.de
                                                                                               Pfarrer Uwe Jakubczyk, Ressort Jugend-
                                                                                               politische Bildung, Pädagogik, Kinder-
   Schnepel: Für mich ist die Verknüp-        und Datenschutz bedeuten.                        und Schülerakademie. Kontakt: bildung.
fung von Gerechtigkeit mit Nachhaltigkeit          Broese: Auch wenn zu meinen Tagun-          akademie@ekkw.de
drängend. Wir sind nicht allein auf der       gen mehr Vorträge gehören, so ist das dis-       Pfarrerin Christina Schnepel, Ressort
Welt und nach uns wollen unsere Kinder        kursive Element ganz wichtig. Wir vertiefen      Nachhaltige Entwicklung, weltweite
auch noch hier leben. Generationen- und       Themen und diskutieren sie interdiszipli-        Ökumene, Landwirtschaft und Soziales.
Nord-Süd-Gerechtigkeit bedeutet aber          när. Das zeichnet die Akademie aus.              Kontakt: nachhaltigkeit.akademie@ekkw.de

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019          11
THEMA

                         Am Freitag ist viel los: Kunden und Mitarbeiter in der Kleidertüte in Ermetheis, hinten rechts Pfarrer Johannes Böttner

                         Kleidertüte: Hand in Hand mit der Politik
                         Aus der Flüchtlingshilfe entstand in Niedenstein ein kirchlicher Laden, in dem Kleidung günstig abgegeben wird

                     D
                                as mit den Flüchtlingen, das könn-       kammer ein festes Angebot, das den Na-          Abzug der Kosten übrig bleibt, wird für
                                te doch eigentlich die Kirche ma-        men Kleidertüte bekam und bald in einem         unterschiedliche Zwecke gespendet.
                                chen. So dachte es sich jedenfalls       ehemaligen Landschulheim unterkam.                  Wenn man an einem Freitag, dem
                         der damalige Ortsvorsteher, erzählt der              Wichtig ist den Verantwortlichen, dass     Öffnungstag, in Ermetheis ist, kann man
                         Niedensteiner Pfarrer Johannes Böttner. Er      nun alle Menschen mit geringem Einkom-          erleben, wie beliebt der Kleiderladen ist.
                         habe ihm entgegnet, das sei eine gesamt-        men Kleidung gegen eine Spende bekom-           Einige warten schon vor der Tür, bevor die
                         gesellschaftliche Aufgabe – und so han-         men können. Es sollte kein Angebot exklu-       Kleidertüte geöffnet wird. Für viele Bewoh-
                         delten sie dann in Niedenstein auch, wo         siv für Flüchtlinge sein, um keinen Neid        ner aus den Flüchtlingsunterkünften sei
                         zwischenzeitlich drei größere Flüchtlings-      aufkommen zu lassen, erläutert Pfarrer          die Kleidertüte mehr als einfach nur ein
                         unterkünfte bestanden – eine davon wird         Böttner. Es wird auch auf Berechtigungs-        Laden, sondern eine Begegnungsstätte,
                         von der Evangelischen Kirche betrieben.         scheine verzichtet. Wer Bedarf hat, kann        berichten die Mitarbeiter.
                             Eine Vielzahl von Ideen wurde in Nie-       kommen. Die Spende ist im Konzept wich-             Von Konflikten könne er nicht berich-
                         denstein umgesetzt, darunter Sprachkurse        tig, um niemanden als Almosenempfänger          ten, sagt Pfarrer Böttner; man habe schnell
                         und Sportangebote. Viele Menschen ka-           dastehen zu lassen, sondern um ein Ange-        gemerkt, dass die Flüchtlinge eigentlich
                         men und brachten Kleiderspenden vorbei,         bot auf Augenhöhe zu machen.                    vor alllem auf der Suche nach Ruhe sind.
                         die zunächst in der Grundschule gelagert                                                        In mancher Hinsicht war es dennoch ein
                         wurden. Das war anfangs eher chaotisch,           »Es macht Spaß zu sehen,                      langsames Annähern. So waren Mitarbei-
                         erinnert sich Martina Grunewald. Sie ge-                                                        terinnen befremdet, als Kunden trotz der
                                                                           wie sich die Menschen über
                         hörte zu den Ehrenamtlichen, die sich der                                                       geringen Preisvorstellungen handeln woll-
                         Sache annahmen und Ordnung ins Chaos                 Kleinigkeiten freuen.«                     ten. In deren Heimatländern gehört das
                         brachten. So wurde aus der ersten Kleider-                                                      Handeln hingegen unbedingt dazu.
                                                                             Bei diesem Grundsatz ist es nach dem            Doch diese kleinen Missverständnisse
                                                                         Umzug der Kleidertüte in den Stadtteil          sind längst überwunden; der Erfolg der
                                                                         Ermetheis geblieben. Das Gelände des            Kleidertüte ist an jedem Freitag sichtbar.
                                                                         Schulheims soll bebaut werden, ein neuer        Und die Ehrenamtlichen sind mit Engage-
                                                                         Standort musste her. Nun kam wieder die         ment und Freude bei der Sache. „Es macht
Fotos: medio.tv/Dellit

                                                                         Politik ins Spiel, als Bürgermeister Frank      Spaß zu sehen, wie sich die Menschen über
                                                                         Grunewald vorschlug, einen ehemaligen           Kleinigkeiten freuen“, sagt Martina Grune-
                                                                         Dorfladen zu nutzen, der leer stand. Die-       wald. Und ihre Kollegin Martina Wöll er-
                                                                         sen stellt die Stadt der Kirchengemeinde        gänzt: „Im Kleinen funktioniert es, so sollte
                         Ehrenamtlich im Einsatz: Martina Wöll           mietfrei zur Verfügung, für die nur die Ne-     es in der großen Politik auch sein.“ l
                         (links) und Martina Grunewald                   benkosten anfallen. Das Geld, das nach                                           Olaf Dellit

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THEMA

Bischof Hein: „Die Kirche soll nicht als
siebte oder achte Partei auftreten”

                                                                                                                                             Foto: medio.tv/Schauderna
Nur noch wenige Monate bis zu den              he unter dem Titel „Europa im Gespräch”.      er in der Diskussi-
Europawahlen: Die Diskussion um                    Dem Geschrei setzte der Bischof ei-       on mit dem Pub-
die EU wird auch von Kirchen-                  ne aus christlicher Perspektive entwickel-    likum: „Kirchen
Persönlichkeiten geführt. Kirchen              te praktische Ethik gegenüber, die er am      machen nicht die
machten jedoch nicht die bessere               Apostel Paulus festmachte. Dieser habe        bessere Politik.”
Politik, warnte Bischof Martin Hein            den Begriff der Demut entgegen der herr-      Wohl aber könnten
bereits Ende vergangenen Jahres                schenden Deutung nicht als Unterord-          sie Raum für Reflexion        Bischof Prof.
auf einer Tagung in Brüssel.                   nung verstanden, sondern als „freiwillige     ermöglichen, zur Lang- Dr. Martin Hein
                                               Zuordnung von Menschen untereinander,         samkeit ermutigen und

B
      ischof Martin Hein hat zu einer Dis-     die einander die gottgegebene Würde zu-       so zur Versachlichung politischer Fragen
      kussionskultur der Besonnenheit          gestehen”. Mit der Demut korrespondiere       beitragen.
      aufgerufen. Es führe zu nichts, über     die Bescheidenheit als Einsicht in die das        Mit Blick auf die Diskussionen in der
das in der Öffentlichkeit verbreitete Ge-      Verstehen übersteigende Größe der Welt        Europäischen Union warb der kurhessi-
schrei ebenfalls ein Geschrei zu erheben,      und die Besonnenheit.                         sche Bischof in der EU-Hauptstadt um
sagte Hein. Denn Geschrei als „Produkt             Konkreten Ausdruck findet die Be-         ein zurückhaltendes Auftreten gegenüber
des schnellen Denkens” bilde für die Ge-       sonnenheit jedoch nicht im Verstummen,        östlichen Mitgliedsländern. Man solle Ver-
sellschaft „eine massive Bedrohung mit         sondern sie ermögliche Hören und Reden.       ständnis für Länder aufbringen, die noch
enormer destabilisierender Energie, egal       Menschen könnten dazu das Gebet su-           keine jahrzehntelange Demokratie hinter
ob in Chemnitz auf der Straße, im Feuille-     chen, gerade wenn „sie von Ereignissen        sich hätten. Er halte etwas mehr Beschei-
ton einer etablierten Zeitung oder in einer    heimgesucht werden, die geeignet sind,        denheit und die Beachtung der Traditio-
Talkshow”.                                     im Geschrei zu enden”. Dieses erscheine       nen, aus denen diese Staaten herausge-
    Wer schreie, müsse nicht Unrecht ha-       geradezu als eine natürliche Reaktion, die    kommen seien, für notwendig. So finde er
ben, so der Bischof. Doch verstärke das        die Kirche ernst nehmen solle, sagte Hein.    zwar die ungarische Abschottungspolitik
Geschrei sich selbst und verhindere den            Man könne nicht unmittelbar aus der       in der Migrationsfrage problematisch, sag-
Kontakt, so dass es sein eigenes Problem       Bibel Regeln für jede einzelne Situation      te Hein. Die Politik lasse sich aber durch
verstärke, argumentierte Hein Anfang No-       ableiten. Die Kirche solle auch nicht als     einen Blick in die Geschichte des Landes
vember 2018 bei einer Veranstaltungsrei-       „siebte oder achte Partei” auftreten, sagte   besser verstehen. l		 epd

Politisch predigen?                                                    Kommentar zur Sache von Lothar Simmank

  W
            ie politisch darf eine Predigt sein? Die Frage ist abso-       Pfarrerinnen und Pfarrern gelingt es heute immer seltener, mit
            lut nicht neu, schon Martin Luther hatte mit Vorwür-       Predigten Aufsehen zu erregen. „Schafft die Predigt ab!”, forderte
            fen in diese Richtung zu kämpfen. In jüngerer Zeit         daher in radikaler Konsequenz die junge Theologin Hanna Jacobs
  kochte die Diskussion auf, als die 68er auf die Kanzeln stiegen      kürzlich in der „Zeit”-Beilage „Christ & Welt” und machte mit ihrer
  und mit ihren Predigten direkt in die politischen Debatten ein-      Zunft kurzen Prozess. Folgt man ihrer Argumentation, scheint die
  griffen. 2010 löste die frühere hannoversche Bischöfin Margot        große Zeit der Predigt angesichts der sozialen Medien endgültig
  Käßmann in ihrer Neujahrspredigt mit dem Satz „Nichts ist gut        vorbei zu sein – ungeachtet aller Inhalte. Denn Predigten kann der
  in Afghanistan” nachhaltigen politischen Trubel aus. Zuletzt         Hörer nicht unmittelbar per Klick mit einem „Like” oder sonstwie
  geriet das Thema in die Schlagzeilen, als Ulf Poschardt, Chefre-     kommentieren. Man muss sie sich einfach in Geduld anhören.
  dakteur der „Welt”, sich 2017 in einem Tweet über eine seiner            Zuhören, das sagt auch Professor Lutz Friedrichs, der am Evan-
  Meinung nach zu politische Weihnachtspredigt aufregte.               gelischen Studienseminar Hofgeismar den Pfarrer-Nachwuchs der
      Spannender als politische Aussagen in einer Predigt ist für      EKKW ausbildet, müssen auch die zukünftigen Prediger lernen: „Ich
  für mich als Gottesdienstbesucher die Frage, ob die Kanzelrede       bin fest davon überzeugt, dass das Gelingen einer Predigt von der
  überhaupt noch eine Wirkung zu entfalten vermag. Empfinde            Fähigkeit abhängt, zuhören zu können”, so Friedrichs. Was also kann
  ich den Menschen auf der Kanzel als authentisch? Was bleibt          die Qualität der Predigt verbessern? Mehr oder weniger Politik? Das
  hängen von dem, was er gesagt hat? War es schlüssig? Hatte           ist nicht die Frage. Zuhören auf beiden Seiten ist gefragt. Dann
  es mit meinem Alltag zu tun? Oder wurden wieder Fragen be-           kann die Predigt zur „religiösen Rede auf Augenhöhe” werden – und
  antwortet, die niemand gestellt hat?                                 abschaffen wäre kein Thema mehr. l

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019       13
LANDESKIRCHE

Wie geht es weiter mit
der Diakonie Hessen?
2013 fusionierten die Diakonischen Werke in Kurhessen-Waldeck und
Hessen und Nassau zur Diakonie Hessen. Nach rund zweieinhalb Jahren
im Amt trat der Vorstandsvorsitzende, Pfarrer Horst Rühl, kürzlich zurück.

                                                                                                                                                  Foto: bdks
Im blick-Interview nimmt Pfarrer Joachim Bertelmann, Vorsitzender des
Aufsichtsrats, Stellung zur Entwicklung des Wohlfahrtsverbands.

?   Ende September vergangenen Jah-
    res ist Pfarrer Horst Rühl als Vor-
standsvorsitzender zurückgetreten.
                                              im vergangenen Jahr mit der Konstituie-
                                              rung der Arbeitsrechtlichen Kommission
                                              Diakonie Hessen bereits eingeführt.
                                                                                              ZUR PERSON

                                                                                               Seit 2010 ist Pfarrer Joachim Bertelmann (62)
                                                                                               Vorstandsvorsitzender der bdks – Baunataler
Grund waren laut Pressemitteilung                 Für die rechtliche Verselbstständigung       Diakonie Kassel. In dem Unternehmen arbeiten
„unterschiedliche Auffassungen bezüg-         der regionalen Diakonischen Werke in Hes-        rund 1.400 Menschen mit Behinderung, es
lich der strategischen Neuaufstellung         sen und Nassau gibt es einen klaren Fahr-        bietet über 900 Wohnplätze an. Zuvor war
des Landesverbandes“. Können Sie dies         plan. Eine Zuordnung zur Landeskirche            Bertelmann Geschäftsführer des Diakonischen
heute konkretisieren?                         wird von der Diakonie Hessen auch für            Werks Kassel. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats
     Joachim Bertelmann: Mit Horst Rühl       das Kirchengebiet in Hessen und Nassau           der Diakonie Hessen bestimmt er die Richtlinien
haben wir uns darauf verständigt, die De-     vorgeschlagen. Dieser Vorschlag einer neu-       und kontrolliert den Vorstand. Dem Mitglieder-
tails zur Trennung vertraulich zu behan-      en Gesellschaft mit Trägerschaft der EKHN        verband gehören zurzeit 457 Rechtsträger an.
deln.                                         wird voraussichtlich in der Herbstsynode
                                              2019 auf die Tagesordnung genommen.

?   Im Fusionsprozess der Diakonie
    Hessen wurde die unterschiedli-
che Struktur der regionalen Diakonie          ?   Warum ist dieses Problem so zentral
                                                  für die Diakonie Hessen?
                                                                                              ?   Wie geht es nun weiter in der Diako-
                                                                                                  nie Hessen: Wann wird es einen neu-
                                                                                              en Vorstandsvorsitzenden geben?
von Anfang an ausgeklammert: In der                Bertelmann: Wir betrachten die recht-          Bertelmann: Das Auswahlverfahren
EKKW gehört die Kreisdiakonie zur ver-        liche Verselbstständigung nicht als Pro-        – es wird bundesweit ausgeschrieben –
fassten Kirche, in der EKHN sind die          blem, sondern als einen Auftrag, der nicht      startete im Januar. Wir rechnen mit einer
Regional-DWs Bestandteil des Landes-          zuletzt 2013 in der Satzung festgeschrie-       Neubesetzung bis Herbst 2019. Durch
verbands. Warum konnte hier keine ein-        ben wurde. Es ist zweifelsfrei ein zentrales,   die interimsmäßige Organisation der Di-
heitliche Lösung gefunden werden?             aber keineswegs das einzige isoliert zu be-     akonie Hessen ist sichergestellt, dass die
    Bertelmann: Es wurde eine gute Lö-        trachtende Element im Zuge der Weiter-          richtungsweisenden Schritte im Prozess der
sung für die regionalen Diakonischen          entwicklung der Diakonie Hessen. Wichtig        Weiterentwicklung der Diakonie Hessen
Werke gefunden. Sie respektiert die unter-    sind die Rollenklarheit und ein eindeutiges     nicht von einzelnen Personen oder Posten
schiedlichen Strukturen innerhalb der bei-    Profil als Werk der Kirchen und als Mitglie-    abhängig sind.
den Landeskirchen. Nach einem intensiven      derverband.
Strategieprozess sind die unterschiedlichen
Rollen der Diakonie Hessen als Werk der
Kirche, als Mitglieder- und Spitzenverband    ?   Wie ist Ihre persönliche Position als
                                                  Aufsichtsratsvorsitzender zur Frage
                                                                                              ?   Ist die Fusion der Diakonie Hessen
                                                                                                  aus Ihrer Sicht ein Erfolgsmodell?
                                                                                                   Bertelmann: Die Fusion ist definitiv
der Wohlfahrtspflege definiert.               der regionalen Diakonie? Was soll sie           ein Erfolgsmodell und hat sich in vielerlei
    In den beiden Diakonischen Werken         leisten, wie muss sie organisiert sein?         Hinsicht bewährt. Als fusionierter Verband
gab es vor der Fusion verschiedene Kul-            Bertelmann: Diakonisches Handeln           für ganz Hessen sind wir in der Außen-
turen hinsichtlich der Funktion des jewei-    hat den einen Auftrag: dem Nächsten             wirkung und in unserer sozialpolitischen
ligen Verbandes. Die Diakonie in Hessen       zu dessen Heil und Wohl zu dienen und           Arbeit wirksamer geworden. Stärken der
und Nassau sah sich eher als Spitzen- bzw.    damit Gottes Liebe zu allen Menschen zu         beiden Werke konnten übertragen wer-
Dach-Verband, Kurhessen-Waldeck eher als      bezeugen. Die Rechtsform ist davon unab-        den – im Sinne von Best Practice hat ein
Mitgliederverband. Da man den Fusions-        hängig. Aufgabe der Diakonie Hessen ist         Wissenstransfer stattgefunden – wir haben
zeitpunkt nicht verschieben wollte, wurde     es, ihre Mitglieder ebenso wie die regiona-     voneinander gelernt. Dessen ungeachtet
eine Entscheidung zum Arbeitsrecht und        len Diakonischen Werke zu begleiten und         gilt: Wir befinden uns auch weiterhin in
zu den regionalen Diakonischen Werken         zu beraten. Diakonie muss so organisiert        einem Prozess des innerverbandlichen Ler-
vertagt. In der Satzung wurde ein Auftrag     sein, dass die Bedürfnisse, Sorgen und          nens. Diese Suche bewerte ich positiv. Sie
zur rechtlichen Verselbstständigung der       Ängste der Menschen vor Ort erkannt und         eröffnet neue Perspektiven angesichts un-
regionalen Diakonischen Werke verankert.      ein inklusives Gemeinwesen so gut wie ir-       seres Auftrags, „dem Nächsten zu dienen“.
Das gemeinsame Arbeitsrecht haben wir         gend möglich gefördert werden kann.             l                 Fragen: Lothar Simmank

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