Kirche im Gespräch mit der Politik - FÜR MITARBEITENDE - Evangelische Kirche von ...
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2–2019 FÜR MITARBEITENDE Kirche im Gespräch Foto: medio.tv/Schauderna mit der Politik VOR ORT IN WIESBADEN Evangelisches Büro am Sitz der Landesregierung DIALOG AUF ALLEN EBENEN In Rathäusern, Synoden und Altkleiderläden
INHALT | EDITORIAL Inhalt Liebe Leserinnen, THEMA liebe Leser, S o wie auf unserem Titelbild stellt Foto: medio.tv/Schauderna 4 Evangelisches Büro Wiesbaden: man es sich vor – und das Foto- Sie mischen sich in die Politik ein motiv mit Bischof und Minster- 6 Die Diakonie-Diplomatin, der Rechtsexperte präsident bestätigt, dass es in der und unser Mann in Thüringen hessischen Wirklichkeit auch genauso funktioniert: Kirche und Politik treffen 7 MdL Karin Müller: sich in freundlicher Atmosphäre – und Die Welt nicht den anderen überlassen tauschen sich aus über wichtige Dinge. 8 Staatsminister Roth: Was die Kirche Dabei werden die Meinungen mit- mit der Lindenstraße zu tun hat unter auch mal aufeinanderprallen und 9 Staatssekretär Tauber: die Interessen nicht immer deckungsgleich sein. Egal – entschei- Er trägt seine Kirche immer auf dem Arm dend ist, dass man miteinander spricht, dass der Kontakt nicht abreißt. Dazu gibt es erprobte Wege der Kommunikation, die 10 Evangelische Akademie: Durch Bildung beide Seiten gern und regelmäßig bedienen. Man denke nur an und Diskussion Demokratie stärken das jährliche Treffen von Kirchenvertretern und Landesregierung, 12 Kleidertüte: Hand in Hand mit der Politik das zur Institution geworden ist, über dessen Inhalte allerdings wenig nach außen dringt. 13 Bischof Hein zur Europawahl Was auf der Leitungsebene professionelle Routine ist, muss 13 Kommentar zur Sache: Politisch predigen? sich im Alltag an der Basis bewähren. Tatsache ist: Wenn es gut läuft, suchen Kirche und Politik auch auf örtlicher und regiona- 28 Heiko Manz: Der Seitenwechsler ler Ebene das Gespräch. In Dörfern, Städten und Landkreisen ist es durchaus im Interesse des Gemeinwesens, wenn Pfarrer und Bürgermeister, Dekane und Landräte über das reden, was für alle LANDESKIRCHE das Beste sein kann – für Kirchenmitglieder ebenso wie für alle anderen Bürger. 14 Interview: Wie geht es weiter In dieser Ausgabe von blick in die kirche finden Sie eine Reihe mit der Diakonie Hessen? von Beispielen für solch einen fruchtbaren Dialog zwischen Kirche 15 Neue Wege gehen mit „7 Wochen ohne” und Politik. Und wir stellen Ihnen interessante Menschen vor, die an dieser Schnittstelle arbeiten. 15 Fasten fürs Klima Lothar Simmank 16 GAW: Hilfe in Elendsvierteln und Schulen Redakteur blick in die kirche 16 Förderverein: Posaunenarbeit sucht Freunde 17 Evangelische Bank: 50er- treffen 80er-Jahre 17 Aus der Betonkirche wurde die Kulturkirche Schauen Sie in Ihre Zeitung ... 18 Sieben Impulse für die Kirchengemeinde 19 Gewinner des Kirchenerhaltungsfonds • Frankfurter Rundschau (FR) im Main-Kinzig-Kreis 20 Neuer Blick auf die eigene Gemeinde • Fuldaer Zeitung (FZ) 21 Kirchentag in Dortmund • Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ) 22 Signale für die Ökumene • Hanauer Anzeiger (HA) • Hersfelder Zeitung (HZ) 23 Von Personen • Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) • Maintaler Tagesanzeiger SERVICE • Oberhessische Presse (OP) • Südthüringer Zeitung (STZ) 24 Termine / Kirchenmusik Am Samstag, 16. Februar • Waldeckische Landeszeitung 2019, erscheint das blick (WLZ) 26 Kirche im Radio in die kirche-magazin als • Werra-Rundschau (WR) 27 Neue Bücher Beilage in: 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
UMFRAGE | IMPRESSUM Wie wichtig ist der Dialog von Kirche und Politik? Foto: privat Foto: privat Foto: Stadt Hanau Foto: medio.tv/Schauderna „Suchet der Stadt Bestes; Ein gutes Verhältnis von Po- Hanau ist seit jeher durch Unbestreitbar wichtig und denn wenn’s ihr wohlgeht, so litik und Kirche ist mir sehr Zuwanderung und Toleranz unverzichtbar! Nicht nur geht’s auch euch wohl.“ Das wichtig. Wir arbeiten gemein- gegenüber unterschiedlichen dann, wenn drängende Pro- Wort des Propheten Jeremia sam für die Menschen in un- Kulturen und Religionen ge- bleme anstehen und schnel- ist nach wie vor aktuell: Kir- seren Städten und Dörfern. Es prägt. 2013 wurde der Runde le Lösungen verlangen. Der che sollte sich auf allen Ebe- geht uns gemeinsam darum, Tisch der Religionen gegrün- Dialog sollte langfristig auf nen an der Gestaltung des Gesellschaft zu gestalten. Ge- det, dem Vertreter aus mehr Kontinuität angelegt sein. Er Gemeinwesens aktiv beteili- rade in der Kommunalpolitik als 20 Religionen und Reli- sollte auch dann behutsam gen. Es geht dabei nicht da- zeigen sich hier immer wieder gionsgemeinschaften ange- gepflegt werden, wenn er für rum, für sich selbst gute Rah- große Gestaltungsmöglich- hören. Sein Ziel ist die Förde- alle Beteiligten entspannt menbedingungen zu schaffen, keiten und Spielräume. Da rung und Intensivierung des und ohne Not geführt wer- sondern um ein lebenswertes gilt es, alle gesellschaftlichen Dialogs zwischen den Religi- den kann. So entwickeln sich Umfeld, in dem Menschen Akteure mit ins Boot zu ho- onen. Die Kirchen und Religi- Partnerschaften, die wachsen gerne leben. Dies kommt len, gerade auch die Kirche. onsgemeinschaften bringen und Bestand haben. Kommen auch Kirchengemeinden und Wenn wir gemeinsam an ei- sich mit vielfältigen Angebo- Vertrauen und Wertschätzung ihren Mitgliedern zugute. nem Strang ziehen, lässt sich ten für alle Bevölkerungsgrup- unter den Dialogpartnern hin- Hierfür ist der Dialog mit der viel mehr erreichen, als wenn pen ein und gestalten somit zu, geschieht „die Suche nach Politik äußerst wichtig. In ei- man nebeneinander oder gar unsere Gesellschaft und auch der Stadt Bestem” zielführend, nem guten Gesprächsklima gegeneinander arbeitet. die Zukunft unserer Stadt mit. pragmatisch und schnell. Bei- lässt sich ganz viel gemein- Der Dialog von Kirche und Po- de Partner profitieren letzt- sam gestalten. Zum Wohle al- litik ist somit eine unverzicht- lich davon, den Dialog aufge- ler. Ich habe dies immer wie- bare Basis für eine gut funkti- schlossen, wertschätzend und der als großen Gewinn erlebt. onierende Stadtgesellschaft. geduldig zu führen. Ralf Gebauer (53), Thomas Kaminski (48, Claus Kaminsky (59, SPD), Dr. Martin Lückhoff (54), Dekan im Kirchenkreis parteilos), Bürgermeister Oberbürgermeister der Stadt Dekan im Kirchenkreis Hanau Schmalkalden der Stadt Schmalkalden Hanau IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit Herausgeber: Andrea Langensiepen Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Auflage: 18.500 Exemplare Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019 3
THEMA Sie mischen sich in die Politik ein – im Auftrag von Kirche und Diakonie Besuch im Wiesbadener Büro: Wie Kirche und Diakonie bei der Gesetzgebung mitwirken, wieso Lobbyismus nichts Negatives ist und warum bei vielen Gesprächen Vertraulichkeit so wichtig ist E igentlich war das Gespräch mit der besonders für drei blick-Redaktion in Wiesbaden für den Themen stark, wie Dezember geplant, doch dann kam Pfarrerin Graz er- der Koalitionsvertrag dazwischen. Für Pfar- läutert: Pflege, Teil- rerin Clarissa Graz, Oberkirchenrat Jörn Du- habe und bezahlba- lige und Justitiar Sven Hardegen bedeute- res Wohnen. te das Ende der Koalitionsverhandlungen Und Dulige Hektik und viel Arbeit. reichte für die Kir- In der Vertretung der evangelischen che, übrigens ge- Kirchen und der Diakonie am Sitz der hes- meinsam mit dem sischen Landesregierung begann am Mit- katholischen Kol- tag das große Lesen. Knapp 200 Seiten l e g e n , wä h r e n d hat der Vertrag, und bis zum Abend soll- der Verhandlun- ten die Leitungen von Kirche und Diakonie gen ihre Vorstel- eine Einschätzung des Vertrags vorliegen lungen schriftlich haben. Am Abend war es geschafft. ein. Dann war die Doch die Arbeit des Wiesbadener Bü- Spannung natür- ros begann natürlich nicht erst, als der lich groß, als der Vertrag ausverhandelt war. Die Diakonie Vertrag vorlag: Wie Hessen gab bereits im Wahlkampf schrift- würden Kirche und liche „Denkanstöße“ für die Abgeordne- Diakonie und ihre Auf Du und Du mit den Hessenlöwen: Die Interessen der evangelischen Kirchen un ten und machte sich in der heißen Phase Themen dor t vor- degen, Pfarrerin Clarissa Graz (Diakonie Hessen) und Oberkirchenrat Jörn Dulige (E kommen? In einer ersten Bilanz zeigten sich Graz, Dulige deswegen sei es sinnvoll, gemeinsam ei- und Hardegen jedenfalls zufrieden mit ne Anlaufstelle zu haben. Das ist nämlich dem Ergebnis. noch nicht lange so, Clarissa Graz kam erst im September 2017 in das Büro. Auch Jus- „Ich achte immer darauf, tiziar Hardegen ist noch nicht sehr lange im Boot, bis Mai 2016 war Dulige noch mich parteipolitisch nicht Einzelkämpfer in Wiesbaden, dabei sei einordnen zu lassen.“ klar: „Sechs Augen sehen mehr als zwei.“ Der 61-Jährige ist schon lange in die- Er betrachte das Büro in Wiesbaden sem Geschäft, 1993 trat er in Wiesbaden als Servicestelle in zweierlei Richtung, an. Und musste anfangs durchaus Lehr- sagt Dulige. Zum einen informiere es die geld in Sachen Diplomatie zahlen. Er er- Kirchen und die Diakonie über das, was innert sich noch an seinen ersten parla- in Wiesbaden gerade laufe und diskutiert mentarischen Abend, für den Pfarrer ein werde oder auch, welche Personen in der ziemlich aufregender Anlass, auch weil er Politik aus kirchlicher Sicht besonders niemanden kannte. So war Dulige froh, auffielen. Zum anderen aber sei das Büro als ihn ein Staatssekretär, den er aus der eben auch Ansprechpartner für Politiker, Nachbarschaft schon kannte, an den Tisch die Fragen zur Kirche hätten. holte. Es wurde ein gemütlicher Abend am Im immer säkularer werdenden Umfeld sozialdemokratischen Tisch. Als die Runde würden Kirche und Diakonie kaum noch aufbrach, sprach ein CDU-Mann Dulige an getrennt gesehen, ergänzt Dulige, schon und sagte: „Ich habe Sie beobachtet. Sie Hier lebte einst Martin Niemöller: Der Sitz des kirchlichen Beauftragten in Wiesbaden 4 wurde früher von NS-Gegner und EKHN-Präsident Niemöller bewohnt
THEMA die stattfinden, be- ZUR PERSON vor Gesetzentwürfe Jörn Dulige wurde 1957 in Bielefeld ge- ins Parlament ge- boren und studierte in Bethel und Münster hen. Dort werden Evangelische Theologie und Publizistik. Er gesellschaf tliche war zunächst Gemeindepfarrer in Roden- Gruppen angehört. bach bei Hanau, dann im Landeskirchen- Dann sitzt beispiels- amt in Kassel für die Öffentlichkeitsarbeit weise Justiziar Har- und Ausbildungsfragen zuständig. Seit degen mit im gro- 1993 ist Oberkirchenrat Dulige Beauf- ßen Saal 501 im tragter der Evangelischen Kirchen am Sitz Landtag. Er erin- der Landesregierung in Wiesbaden, so die offizielle Bezeichnung. nert sich an die An- Seit 1999 hat er einen Sitz im hr-Rund- hörung zum Spiel- funkrat, war von 2009 bis 2017 dessen hallengesetz. Die Vorsitzender und ist seitdem stellvertre- Spielhallenbetrei- tender Vorsitzender. Zu den Aufgaben ber seien dort sehr des Rundfunkrates gehört die Wahl des selbstbewusst, gera- Intendanten – derzeit Manfred Krupp – dezu als Wohltäter, sowie der Beschluss über den Haushalt aufgetreten. Doch der Rundfunkanstalt. Er nimmt an den Vertreter von Sucht- Programmausschüssen (Radio/Fernsehen) hilfe und eben der und am Telemedien-Ausschuss teil. Im Diakonie stellten Rundfunkrat sitze er nicht in erster Linie als Kirchenmann, sondern als Vertreter die Schicksale von der Allgemeinheit, erläutert Dulige. Er sei Spielsüchtigen dar auch – etwa bei einer Intendantenwahl – und sorgten so für nicht weisungsgebunden. In den Sitzungen mehr Ausgewogen- versuche er, unterschiedliche Lager zu ver- heit in der Debatte. binden und sich darum zu kümmern, dass Viele Gespräche Beschwerden von Zuschauern und -hörern seien aber auch ver- ernst genommen werden. Außerdem setze traulich und müss- er sich dafür ein, das im Zweifelsfall das ten es bleiben, Motto „Programm vor Quote“ gelte, also nd der Diakonie vertreten am Sitz der Landesregierung (v.l.) Justitiar Sven Har- erläutert Dulige. die Qualität zähle. ode Evangelische Kirchen von Kurhessen-Waldeck, Hessen und Nassau und Rheinland) Wenn Vertraulich- keit vereinbart sei können nicht den ganzen Abend bei den und nicht eingehalten werde, Roten sitzen!“ Das hat sich der Beauftrag- reiße der Gesprächsfaden. te zu Herzen genommen und überlegt heu- Gut sichtbar sind Graz te, wann er wo mit wem gesehen wird und und Dulige hingegen bei Got- wie lange. Und ganz wichtig: „Ich achte tesdiensten, so wie jüngst zu immer darauf, mich parteipolitisch nicht Beginn der neuen Legislatur- einordnen zu lassen.“ periode, wenn sie Andachten Pfarrerin Graz, die nun etwas mehr als halten oder auch beim Emp- ein Jahr im Politikfeld arbeitet, hat nicht fang, der alle zwei Jahre ge- das Gefühl, als „lästige Lobbyistin“ wahr- geben wird. Dann trifft man genommen zu werden. Auch Dulige sagt: sich im Garten von Duliges „Mit dem Begriff Lobbyist verbinde ich Dienstsitz (das gemeinsa- nichts Schmutziges.“ Zudem sei die Aufga- me Büro liegt zwei Straßen be umfassender; oft werde ein Gespräch weiter). Das Haus hat eine über Politik auch zu einem Seelsorgege- besondere Geschichte, denn spräch. Denn, ganz klar, Politiker sind Men- dort wohnte schon Martin schen und haben auch Sorgen und Nöte Niemöller, der sich als Pfarrer – etwa wenn es mit dem Mandat nicht ge- gegen die Nationalsozialisten klappt hat oder es familiäre Probleme gibt. gestellt hatte und später ers- Aber natürlich geht es auch darum, ter Kirchenpräsident in Hes- dass Kirche und Diakonie ihre Stimme ein- sen und Nassau wurde. l bringen. Ein Ort dafür sind Anhörungen, Olaf Dellit Neues Domizil: Als das Büro erweitert wurde, reichte der Büroraum im Niemöller-Haus nicht aus, die Vertretung zog ein paar Straßen weiter 5
THEMA Die Diakonie-Diplomatin Der Rechtsexperte S S eit anderthalb Jahren ist Clarissa ven Hardegen (52) ist seit 2016 Jus- Graz (47) für die Diakonie Hessen titiar im Evangelischen Büro Hes- im Evangelischen Büro am Sitz der sen. Der gebürtige Hannoveraner Landesregierung aktiv. Ihre Aufgabe ist es, war nach dem Jurastudium in Marburg Foto: Müller, Eltville den Anliegen der Diakonie eine politisch Referendar im Landgerichtsbezirk Darm- hörbare Stimme zu geben und sich für so- stadt und danach als Rechtsanwalt in ziale Gerechtigkeit in Hessen einzusetzen. Südhessen tätig. Kirchlich engagiert ist Pfarrerin Die Pfarrerin war nach ihrem Theolo- Justitiar er auf vielen Ebenen, unter anderem war Clarissa Graz giestudium zunächst als persönliche Re- Sven Hardegen er Vorsitzender der Darmstädter Johan- ferentin des Vorstandsvorsitzenden des nesgemeinde. Bis heute ist er ehrenamt- Diakonischen Werks in Hessen und Nassau tätig. Nach dem licher Geschäftsführer der Textilwerkstatt am Elisabethenstift Pfarrvikariat in Worms war Graz zwei Jahre lang persönliche in Darmstadt. Referentin des Präsidenten der Diakonie Deutschland in Berlin. In seinem Wiesbadener Job kümmert sich der verheirate- Zuletzt arbeitete sie wiederum elf Jahre lang als Gemeindepfar- te Rechtsassessor um Entwürfe und Verordnungen aus den rerin in Eltville-Erbach-Kiedrich im Rheingau. Ministerien, gibt seine Einschätzungen an die Referate der Was in ihrem jetzigen Job sicherlich hilfreich sein kann, ist, unterschiedlichen Landeskirchen weiter und macht Entwürfe dass Graz auch Psychologie studiert hat – wenn auch ohne Ab- für kirchliche Stellungnahmen. Im Vorfeld von Gesetzgebungs- schluss. Denn sie muss sich in ihrem „Diplomaten-Dienst” für verfahren wird der Jurist auch zu Anhörungen der Ministerien die Diakone auf unterschiedlichste Menschen und Gesprächs- eingeladen und um Statements zur Sache gebeten. Egal ob es partner einstellen, um im Sinne ihres Arbeitgebers „ein gutes dabei um die Integration von Flüchtlingen geht, um Gefängnis- Netz auf kurzem Weg” zu knüpfen. Vieles laufe eben über seelsorge, um Religionsunterricht oder um die Aufstellungs- persönliche Beziehungen, so die Theologin. Und manchmal orte von Windrädern – einzubringen ist immer das mitunter sei sie im Landtag sogar als Seelsorgerin gefragt. l mehrstimmige Votum der Kirchen. l Lothar Simmank Lothar Simmank Christhard Wagner vertritt die Unser Mann in Thüringen Interessen der EKKW in Erfurt D er Kirchen- Auch in seinem aktuellen Job geht es ihm Wie ist es in einem rot-rot-grün regier- kreis Schmal- auf politischer Ebene um gute Rahmen- ten Bundesland um das Klima zwischen kalden ist bedingungen für Schulen in freier Träger- Kirche und Politik bestellt? Ist die Situati- der Grund, warum schaft. Für Schmalkalden, wo die kurhessi- on für einen kirchlichen Beauftragten hier die Evangelische sche Kirche eine Grundschule betreibt und schwieriger als anderswo? „Die Sorgen, Kirche von Kurhes- derzeit die Bedingungen für die Gründung dass die Demokratie in Thüringen unter sen-Waldeck ihre einer weiterführenden Schule prüft, stehe einer von der Linken geführten Regierung Interessen nicht nur die schulische Bildung „ganz oben auf der in Gefahr gerät, habe ich nie geteilt”, sagt bei der hessischen, Liste”, sagt Wagner. Er unterstützt den Wagner. Er verweist auf die Andachten für sondern auch bei Wunsch vieler Eltern nach Alternativen die Abgeordneten, die er regelmäßig vor der thüringischen zu öffentlichen Schulen: „Ich ringe darum, den Landtagssitzungen anbietet: „Da sitzt Oberkirchenrat Christhard Landesregierung weil ich der Meinung bin, dass freie Schu- Bodo Ramelow als bekennender Christ ne- Foto: EKM Wagner, Beauftragter der vertritt. Christhard len gute Chancen haben sollten.” ben der Ex-CDU-Ministerpräsidentin Chris- Evangelischen Kirchen im Wagner (63), Ober- Zu den Aufgaben des Beauftragten ge- tine Lieberknecht, und es wird freundlich Freistaat Thüringen kirchenrat der Evan- hört auch der Blick in die Geschichte und miteinander gesungen und gebetet.” gelischen Kirchen in die Vergangenheitsbewältigung in Thürin- Als „sehr kirchenfreundlich” erlebt Mitteldeutschland (EKM), ist als Beauf- gen. So steht in seinem Terminkalender für Wagner auch die Fraktion der Grünen im tragter auch Ansprechpartner der EKKW Februar etwa die Organisation eines öku- Thüringer Landtag. Insbesondere in der für Politiker des Erfurter Landtags. menischen Gottesdienstes zum 100-jähri- Schulpolitik seien die Ziele der Kirchen Bis 2011 leitete der gebürtige Leipzi- gen Jubiläum der Weimarer Reichsverfas- und die der Partei nicht weit auseinander. ger das Bildungs-Dezernat der EKM. Das sung. Oder für Mai eine Tagung in Erfurt, Was noch aussteht, sei die im Koaliti- erklärt seine besondere Nähe zum Thema die sich 30 Jahre nach der friedlichen Re- onsvertrag vereinbarte Aufarbeitung der Schule. In Thüringen setzte er sich inten- volution mit den Ereignissen in den letzten Geschichte der Christen in der DDR. l siv für evangelische Schulgründungen ein. Tagen der DDR auseinandersetzt. Lothar Simmank 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
THEMA Die Welt nicht den andern überlassen Karin Müller, einst Mitarbeiterin im Evangelischen Stadtjugendpfarramt Kassel, sitzt heute für die Grünen im Hessischen Landtag F rühmorgens um 7.16 Uhr ab Kassel- gelischen Stadtju- Wilhelmshöhe, um Viertel vor zehn gendpfarramt 2003 in Wiesbaden – diese zwei Uhrzeiten schließlich Mitarbei- sind Karin Müller bestens vertraut. Bahn- tervertreterin wur- Eckdaten für die Kasseler Abgeordnete der de, in Konflikten Grünen, die nunmehr ihre dritte Landtags- vermittelte oder periode in der hessischen Landeshaupt- sich bei Einstel- stadt absolviert und dazu drei- bis viermal lungsgesprächen pro Woche ins Parlament pendelt. einbrachte, gehört Mit Verkehr hat sie auch in der Politik zu Karin Müllers zu tun, sie ist unter anderem verkehrspoli- Politikverständnis. tische Sprecherin ihrer Fraktion und privat „Wo man tätig ist, Foto: Anja Koehne seit Jahrzehnten überzeugte Radfahrerin – da will man mit- vor allem in ihrer Heimatstadt Kassel und ges t alt e n. Auch der gesamten Region Nordhessen, der sie wenn es mühsam auf überzeugende und unprätentiöse Art ist.“ Das ergänzt von klein auf treu geblieben ist. sie keineswegs mit Jetzt Landtagsvizepräsidentin: MdL Karin Müller aus Kassel Engagiert ist die 56-Jährige schon seit Leidensmiene, son- ihrer Jugend; begonnen hat sie damit aller- dern eher mit freundlicher, verlässlicher Stadtparlament und 2006 vier Jahre lang dings nicht in der Politik, sondern bei der Ausstrahlung – eine, der keine Mühe so Fraktionsvorsitzende. Ein langer Weg des Kirche. Vom Opa beeinflusst, der im Kir- schnell zu viel wird. Sich-Einsetzens für andere: von der Kirche chenvorstand mitwirkte, besuchte sie den über die Grünen in die Landespolitik. Wie Kindergottesdienst und später die Jung- sieht sie ihre kirchlichen Wurzeln heute? schar; „als Teenie dann“ machte sie in der »Wenn es keinen Spaß Die Kirche, sagt sie, betrachte sie vor Evangelischen Jugendarbeit mit. mehr macht, allem als soziales und politisches Instru- Mit 16 lag es nahe, eine Verwaltungs- dann muss man aufhören.« ment; sie habe einen wichtigen Auftrag in ausbildung bei der Kirche zu beginnen. der Wertevermittlung. Dass sich Bischof Karin Müllers Onkel arbeitete früher eben- Martin Hein in seiner letzten Synodalrede falls dort, und schließlich hatte sie immer So auch nicht die Wiesbaden-Pendelei klar gegen Rassismus und für eine offene wieder ihre Ferien auf evangelischen Ju- oder die oft zähe Arbeit dort in Plenum, Gesellschaft positionierte wie auch für die gendfreizeiten verbracht. Arbeitskreisen und Ausschüssen, bei den Ehe für alle eintrat, wertet die grüne Lan- Parallel zur Arbeit absolvierte Karin Grünen und seit einigen Jahren Seit' an despolitikerin als bemerkenswert und gut. Müller später das Abendgymnasium und Seit' mit der CDU. Das kriegt sie nur hin, Privat ist sie ehemaligen Kollegen aus studierte Soziologie und Politik – in Kas- weil es ihr tatsächlich Spaß macht, „und dem Kirchenamt oder anderen kirchlichen sel. Dort lebt sie also bis heute; gab es nie wenn es keinen Spaß mehr macht, dann Kreisen bis heute verbunden, sei es bei Gründe zum Wechseln? „Tja“, sagt sie ver- muss man aufhören!“ den schon weit im Voraus geplanten Dop- schmitzt, das habe sie durchaus überlegt, Sie genießt, dass sie als Radlerin ihr pelkopf-Runden oder anderen Aktivitäten. aber die Region sei einfach zu ideal: „Gut „Hobby zum Beruf“ machen konnte; schon Ihr Fazit aus vielen Jahren Einsatz für zum Radfahren, wenig Verkehr, kaum Flug- als Studentin landete sie in der Radler-Ini, andere: „Engagement lohnt sich!“ Was sie lärm, gut vernetzt“, das alles schätzt sie. war AstA-Vorsitzende, in Fachschaft und motiviert, ist neben dem positiven Echo Ebenso wie die menschliche Verbunden- Basisgruppen und schließlich über die in Mails auf ihre Arbeit auch die wunder- heit: „Die Nordhessen halten zusammen, Themen Frauen und Verkehr bei den Grü- bar knapp gefasste Einstellung: „Die Welt egal welcher Partei sie angehören.“ Dass nen – es sprach sie an, dass die alle Äm- nicht den andern überlassen!“ l sie als kirchliche Angestellte beim Evan- ter quotierten. Für sie war sie ab 2001 im Anne-Kathrin Stöber blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019 7
THEMA Spitzenpolitiker in Was die Kirche mit der Lindenstraße zu tun hat Michael Roth (SPD) ist Staatsminister im Auswärtigen Amt und Landessynodaler M ichael Roth steht auf, um zur Lan- dessynode zu sprechen. Er habe sich wieder mal nicht an die Ge- pflogenheiten gehalten, erklärt er, seinen Redebeitrag nicht schriftlich angemeldet und er werde auch nicht zu einzelnen Punkten des Bischofsberichtes sprechen, sondern gleich zu mehreren. Roth lobt eine Pointe des Berichts – und es wird deutlich: Hier spricht einer, der zu reden gelernt hat und der gerne für frischen Wind sorgt. Das Redetalent ist in seinem Beruf wichtig, denn Roth ist Bundestagsabge- ordneter und Staatsminister im Außenmi- nisterium. Wenn er nicht in Hofgeismar zur Bedeutung der Theologie oder zur Neuordnung der kurhessischen Sprengel Foto: medio.tv/Schauderna spricht, beschäftigt er sich mit dem Brexit, der Ukraine-Krise und der Freundschaft mit Frankreich. Zu Wochenbeginn veröffentlicht der 48-Jährige auf Twitter regelmäßig seinen Wochenplan, der zeigt, wie viele Termine Berlin, Paris, Hofgeismar: Als Staatsminister ist Michael Roth viel unterwegs, bemüht sich anstehen. Dennoch bemühe er sich, an aber, auch sein Synodalamt wahrzunehmen – so wie hier bei der Herbstsynode 2018 der Synode teilzunehmen, wenngleich er eigentlich nie die komplette Tagung schaf- Rücktritt bekannt ist: „Du kannst nicht tie- beiträge, mehr freie Rede, auch mal Streit, fe. Zu der Aufgabe sei er schlicht gekom- fer fallen als in Gottes Hand.“ das wünscht sich Roth – allerdings immer men, weil Bischof Hein ihn gefragt habe, Die beiden Sphären, in denen Roth ak- von Respekt getragen, da könne die Kirche ob er Synodaler werden wolle. tiv ist, haben oft miteinander zu tun. So in Zeiten von Hassreden Vorbild sein. Er sehe das Amt auch als eine Art gab es in der Synode eine Debatte über Hat er sich auch mal über seine Kir- Fortbildung über den Glauben, die Kirche die Möglichkeit von Abschiebungen nach che geärgert? Ja, sagt er. Bei der Trauung und die Theologie, sagt Roth. Sein eige- Afghanistan, und Roth brachte die Ein- gleichgeschlechtlicher Paare – Roth ist mit ner Glaube habe sich zwischen Distanz schätzung des Außenministeriums mit in einem Mann verheiratet – habe sie sich und Annäherung entwickelt und tue das die Debatte. Er freue sich, wenn die Kir- schwergetan. Und auch bei der Abschaf- bis heute: „Ich bin auch immer wieder in che gesellschaftliche Themen in den Fokus fung der Altersgrenze für den Kirchenvor- zweifelnden Situationen.“ nehme und er dazu beitragen könne. stand sei sie zunächst verzagt gewesen. Zugleich habe er nie ein Geheimnis da- Zum Abschluss des Gesprächs mit Roth raus gemacht, dass er in der Kirche sei und »Ich bin immer wieder in am Rande der Synode kommt man dann zu ihr stehe. Ein Grundsatz ist ihm wich- noch auf die Fernsehserie „Lindenstraße“ zweifelnden Situationen.« tig: „Ich verstehe Christsein so, dass man zu sprechen, die nach Jahrzehnten abge- auch eine Verantwortung für die diessei- setzt werden soll. Roth hatte sich per Twit- tige Welt hat.“ Also muss diese Welt ge- Der große Unterschied zwischen dem ter darüber beschwert. Die Lindenstraße staltet werden – in der säkularen wie der Kirchenparlament und dem Bundestag sei sei doch eigentlich immer da gewesen. kirchlichen Welt. der größere Wille zu Einigkeit und Zusam- Als eine Art Fazit sagt Roth: „Man reibt In der Politik spiele sein Glaube inso- menarbeit in der Synode. Manchmal, so sich an der Kirche, manchmal reibt man fern eine Rolle, als man sich auch dann Roth, wünsche er sich dort mehr Kontrover- sich auch an ihr auf; aber das ist besser, getragen fühlen könne, wenn man Fehler sen, denn: „In einer Demokratie gehören als wenn sie ignoriert wird.“ Und das gel- mache. Roth zitiert den Satz, der durch Konflikte dazu. Und nicht jede Kritik ist ein te für die Lindenstraße eigentlich auch. l Margot Käßmanns Statement zu ihrem persönliches Infragestellen.“ Kürzere Wort- Olaf Dellit 8 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
THEMA der Landessynode Er trägt seine Kirche immer auf dem Arm Peter Tauber (CDU) ist Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Landessynodaler Zwangspause wieder in die Politik ein und wurde Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. In der neuen Funktion habe er es eher mit existenziellen Erfahrungen zu tun als früher. So erinnert er sich an das Gespräch mit den Hinterbliebenen von zwei Hub- schrauberpiloten, die im Einsatz in Mali starben. Diese Begegnung habe ihn tief berührt, sagt Tauber und glaubt: „Meine eigene Erfahrung hilft mir, sensibler zu sein und zuzuhören.“ Große politische De- batten, mit denen er es als Generalsekre- tär zu tun hatte, seien sehr wichtig, aber diese direkten Kontakte erfüllten ihn: „Uns Christen muss es immer um den einzelnen Menschen gehen.“ Foto: medio.tv/Schauderna Berufspolitiker und ehrenamtlicher Kirchenmann – gibt das nicht manchmal Konflikte? Selten, sagt Tauber, denn zum Glück sei der christliche Glaube weitge- hend konform mit den gesellschaftlichen Am Rande der Synode: Peter Tauber mit Bischof Dr. Martin Hein. An der Bischofswahl im Normen in Deutschland. Natürlich könne Mai will Tauber teilnehmen, hat er angekündigt. es auch mal Gegensätze geben, meint er zum Stichwort Kirchenasyl, aber das müsse N 50° 12' 8.9 25“ O 9° 11' 30 97” lich schlecht, er musste mit einer Darm- die staatliche Ordnung aushalten. Diese Zeichenfolge steht auf dem entzündung ins Krankenhaus. Nach einer Die CDU, die das Christliche im Na- Arm des Parlamentarischen Staats- Operation kam es zu lebensgefährlichen men trägt, sei keine Kirchenpartei, aber sekretärs im Verteidigungsministerium. Pe- Komplikationen, eine Not-OP war nötig. eine kirchennahe Partei. Daher müsse sie ter Tauber hat sie sich tätowieren lassen Es habe Momente gegeben, in denen sich auch Kritik aus der Kirche besonders als Bekenntnis zu seiner Heimat und zu er abgeschlossen habe. Diese schwere Zeit ernsthaft stellen. „Gott sei Dank“, fügt seiner Kirche. Denn die Ziffern und Zei- war für ihn auch eine Zeit des Betens, er- Tauber hinzu, gebe es aber auch in den chen sind die geografischen Koordinaten zählt der Politiker. Er bete jeden Abend, anderen Parteien viele christliche Positio- der Gelnhäuser Marienkirche. Mit dem Tat- aber im Krankenhaus habe das noch eine nen. Manchmal höre er Kritik, dass Chris- too habe er die zwei wichtigsten Dinge in andere Bedeutung gewonnen. Unter ande- ten sich „einmischen“ wollten. Genau das Foto: MVg, HptBtsm Bartsch seinem Leben auf dem Arm, sagt Tauber: rem habe er Gebete von Luther auswendig wollten und sollten sie, sagt Tauber. die Heimat und den lieben Gott. gelernt und im Krankenzimmer oft zu Kir- In die Kirche mischt er selbst sich auch Tauber, der auch Landessynodaler in chenmusik gebetet. Im Berliner Kranken- ein, wenn er in der Synode sitzt. Manches Kurhessen-Waldeck ist, hat mit seinen 44 haus sei das für manche Menschen, Pfle- sei anders als im Bundestag, aber: „Es ist Jahren bereits eine wechselhafte politische ger etwa, durchaus gewöhnungsbedürftig auch kein völlig anderes Raumschiff, das Karriere erlebt, die ihn über den CDU-Lan- gewesen. Doch für Tauber ist völlig klar: man da besteigt.“ desvorstand in Hessen und den Bundestag „Wir sind als Christen dazu aufgefordert, l Olaf Dellit bis zum Generalsekretär der Bundes-CDU unseren Glauben zu bekennen.“ führte. Er galt als Shootingstar, der für die Als Bundespolitiker, der im Licht der Jungen in der Partei stand und Sätze sagte Öffentlichkeit und oft auch in der Kritik wie „Politik braucht mehr Punk“. stand, habe er sich eine Haltung zugelegt, Und dann, mitten in den Koalitions- die ihm eigene Stärke suggeriert habe. In verhandlungen 2017, verschwand Peter der Krankheit habe er gemerkt, dass das Tauber von der Bühne. Es ging ihm plötz- eine Illusion war. Tauber stieg nach der Im Einsatz: Peter Tauber bei einem Truppenbesuch in Niger, das Tattoo auf dem Arm mit den Koordinaten der Marienkirche Gelnhausen ist gut zu erkennen 9
THEMA Evangelische Akademie: Durch Bildung und Diskussion Demokratie stärken Fotos: medio.tv/Schauderna Das Schlösschen Schönburg ist Sitz der Evangelischen Akademie Hofgeismar A m Beginn stand die Krise: „Mit Nach diesen Kriterien wählt die Akademie Inhalte und Formen der Tagungen sind dem Zusammenbruch 1945 ist in die Themen ihrer rund 60 Veranstaltungen verschieden, ebenso vielfältig ihre Ergeb- Deutschland nicht nur die wirt- pro Jahr aus. Die meisten richten sich an nisse: In Kooperation mit der Universität schaftliche, politische und weltanschauli- eine allgemeine Öffentlichkeit jeden Alters Kassel wurde im vergangenen Jahr die che Ordnung gebrochen“, diagnostizierte und Berufs, andere wiederum haben eine „Hofgeismarer Erklärung“ zur Politischen im Juli 1946 der osthessische Pfarrer Hans- bestimmte Zielgruppe im Blick: Pädago- Bildung in den Schulen formuliert; ein Rudolf Müller-Schwefe. Er regte an, in der gen in leitenden Funktionen, Mitarbeiten- deutsch-polnisches Schülertreffen thema- Evangelischen Kirche von Kurhessen-Wal- de der Diakonie, Ärzte; weitere Formate tisiert den Umgang mit Traditionen und deck eine Evangelische Akademie zu grün- richten sich ausdrücklich an Studierende, Jubiläen. Ganz grundlegend fragt eine Ta- den. Nach deren Gründung 1947 wurde Schüler und Familien. gung „Demokratie – in der Krise!?“ (22. Müller-Schwefe ihr erster Direktor. Auf bis 24. Februar), sie richtet sich an alle In- Trümmern Neues aufbauen: Das war die „Mehr Demokratie wagen" teressierten. Idee, mit der in vielen Landeskirchen seit Demokratie verstehen und lernen, das 1945 Evangelische Akademien entstan- Die Gesellschaft ändert sich – und mit war die Herausforderung der Evangeli- den. Nicht nur die Infrastruktur Deutsch- ihr die Demokratie und die Herausforde- schen Akademie in ihrer Anfangszeit. Heu- lands war zerstört; NS-Staat und Ideologie rungen an sie. In den Anfangsjahren der te kommt es darauf an, die Demokratie zu hatten verheerend auf Politik und Moral Akademie galt es vor allem, Demokratie schützen, ihr zu neuem Leben zu verhelfen. gewirkt. Wie konnte in dieser Situation die zu verstehen und Menschen für sie zu ge- Hierzu gehört auch der Kirche das Evangelium der Gesellschaft winnen. In den 1970er-Jahren prägte der Umgang in kontroversen bezeugen? Durch Gottesdienst, Seelsorge Gedanke an Emanzipation und Partizi- Debatten: Es wird an der und Bildung; ein Ort gesellschaftlicher Bil- pation („Mehr Demokratie wagen“) viele Evangelischen Akade- dung ist die Evangelische Akademie Hof- Akademietagungen. Die Hoffnung, nach mie fair diskutiert und geismar. dem Ende des Ost-West-Konfliktes 1989 gestritten. Die Würde „Die Akademie bemüht sich um Bei- beginne eine Blütezeit der Demokratie, hat dessen, der anderer Mei- träge zum besseren Verständnis der Ge- sich nicht erfüllt. Die Demokratie ist mehr nung ist, bleibt gewahrt. Pfarrer Karl Wal- genwart, zur aktuellen Verkündigung des denn je gefährdet – durch autokratische Dies entspricht dem deck (60) leitet Evangeliums und zur Lösung der in Kirche Systeme, durch neue Nationalismen, Popu- christlichen Menschen- die Akademie und Gesellschaft anstehenden Aufgaben.“ lismus, Wohlstandsgefälle und Terrorismus. bild. Auch darin bezeugt seit 2011 und wurde kürzlich So formuliert es das Akademiegesetz der In einer Vielzahl von Veranstaltungen wid- die Evangelische Akade- für weitere vier Landeskirche. Verständnis von Gegenwart met sich die Evangelische Akademie Hof- mie das Evangelium. l Jahre im Amt und Evangelium, Kirche und Gesellschaft. geismar diesen Themen. Karl Waldeck bestätigt 10 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
THEMA Mit den Studienleitern der Evangelischen Akademie Konstantin Broese, Christina Interview Schnepel und Uwe Jakubczyk sprach Öffentlichkeitsreferentin Christine Lang-Blieffert „Wir wollen nicht nur vermitteln, sondern auch verändern” ? Es gibt eine Fülle politischer The- men. Welchen widmet die Akademie eine Tagung? auch: Wir müssen bescheidener leben. Das ist hochpolitisch und benötigt die theologi- sche Dimension, denn ansonsten werden Schnepel: Genau. So wichtig wie die Beteiligung der Teilnehmer ist die Frage, wen möchte ich miteinander ins Gespräch Broese: In diesem Jahr haben wir in wir es schwer haben, die Menschen zum bringen. Bei Tagungen zu Agrarpolitik oder allen drei Ressorts das Thema Demokratie Umdenken zu bewegen. „Dialog mit BAMF und Zivilgesellschaft“ ausgewählt, weil das derzeit obenaufliegt: Broese: Aus meiner Sicht gehört zu all sitzen Vertreter von Bundes- und Landesbe- Wo ist die Demokratie gefährdet? Und wie den politischen Themen auch die theolo- hörden, der Wirtschaft, Wissenschaft und können wir dazu beitragen, sie zu stärken? gische, philosophische Perspektive, denn von NGOs zusammen. Diese Vielfalt der Im Übrigen war das ein Grund, weshalb Religion, Gesellschaft und Politik sind eng Beteiligten zeichnet uns aus. die Akademien nach dem Zweiten Welt- miteinander verknüpft. Nehmen wir den Jakubczyk: Wir wollen aber nicht nur krieg gegründet wurden. interreligiösen Dialog: Worin liegt das Frie- vermitteln, sondern auch verändern. Es Schnepel: Für die Akademie sind dens-, aber auch das Konfliktpotenzial? geht nicht nur um Information, sondern christliche Werte ein Kriterium. Das heißt Und wie ist das mit dem sozialen Frieden? auch um Veränderungsprozesse – in der in meinem Ressort, dass ich mich vor al- Gesellschaft und im Einzelnen. Menschen, lem um Themen der Nachhaltigkeit, Be- wahrung der Schöpfung, Menschenrechte sowie Frieden und Gerechtigkeit kümmere. ? Wie werden die Tagungsteilnehmer einbezogen? Jakubczyk: Kinder und Jugendliche die aus unseren Tagungen kommen, sol- len klarer entscheiden können. Wir zeigen durch Perspektivwechsel Alternativen auf. Jakubczyk: Wir behandeln diese The- werden gerne aktiv, wenn man sie mit- Das macht demokratiefähig. l men auf unterschiedlichen Ebenen: lokal, gestalten lässt. Dann sind sie auch nicht Fragen: Christine Lang-Blieffert national und international, um damit zu politikverdrossen. Bei einem Planspiel zeigen: Politisches Handeln steht nicht isoliert da. ? Welches politische Thema greift der Bereich Kinder- und Schülerakade- mie dafür auf? Jakubczyk: Für mich steht das The- ma Demokratie ganz oben: Wie können Jugendliche mehr politisch gestalten und mitbestimmen? ? Aber diese Tagungen richten sich nicht nur an Schüler. Foto: C. Lang-Blieffert Jakubczyk: Richtig. Wir haben gerade eine „Hofgeismarer Erklärung“ im Nach- klang zu unserer Tagung „Politische Bil- dung in der Schule“ mit Lehrkräften, Erzie- hungswissenschaftlern und Vertretern aus Studienleiter im Gruppenbild (v.l.n.r.): der Politik veröffentlicht. schlüpfen sie in die Rolle der Akteure ei- Dr. Konstantin Broese, Ressort Recht, ner UN-Vollversammlung und verstehen Politik, Ethik in den Wissenschaften. Kon- ? Welche politischen Themen beschäf- tigen die Ressorts Nachhaltigkeit und Gesellschaft? dadurch Prozesse der Globalisierung bes- ser. In einem Escape Room zur Digitalisie- rung erleben sie hautnah, was Big Data takt: gesellschaft.akademie@ekkw.de Pfarrer Uwe Jakubczyk, Ressort Jugend- politische Bildung, Pädagogik, Kinder- Schnepel: Für mich ist die Verknüp- und Datenschutz bedeuten. und Schülerakademie. Kontakt: bildung. fung von Gerechtigkeit mit Nachhaltigkeit Broese: Auch wenn zu meinen Tagun- akademie@ekkw.de drängend. Wir sind nicht allein auf der gen mehr Vorträge gehören, so ist das dis- Pfarrerin Christina Schnepel, Ressort Welt und nach uns wollen unsere Kinder kursive Element ganz wichtig. Wir vertiefen Nachhaltige Entwicklung, weltweite auch noch hier leben. Generationen- und Themen und diskutieren sie interdiszipli- Ökumene, Landwirtschaft und Soziales. Nord-Süd-Gerechtigkeit bedeutet aber när. Das zeichnet die Akademie aus. Kontakt: nachhaltigkeit.akademie@ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019 11
THEMA Am Freitag ist viel los: Kunden und Mitarbeiter in der Kleidertüte in Ermetheis, hinten rechts Pfarrer Johannes Böttner Kleidertüte: Hand in Hand mit der Politik Aus der Flüchtlingshilfe entstand in Niedenstein ein kirchlicher Laden, in dem Kleidung günstig abgegeben wird D as mit den Flüchtlingen, das könn- kammer ein festes Angebot, das den Na- Abzug der Kosten übrig bleibt, wird für te doch eigentlich die Kirche ma- men Kleidertüte bekam und bald in einem unterschiedliche Zwecke gespendet. chen. So dachte es sich jedenfalls ehemaligen Landschulheim unterkam. Wenn man an einem Freitag, dem der damalige Ortsvorsteher, erzählt der Wichtig ist den Verantwortlichen, dass Öffnungstag, in Ermetheis ist, kann man Niedensteiner Pfarrer Johannes Böttner. Er nun alle Menschen mit geringem Einkom- erleben, wie beliebt der Kleiderladen ist. habe ihm entgegnet, das sei eine gesamt- men Kleidung gegen eine Spende bekom- Einige warten schon vor der Tür, bevor die gesellschaftliche Aufgabe – und so han- men können. Es sollte kein Angebot exklu- Kleidertüte geöffnet wird. Für viele Bewoh- delten sie dann in Niedenstein auch, wo siv für Flüchtlinge sein, um keinen Neid ner aus den Flüchtlingsunterkünften sei zwischenzeitlich drei größere Flüchtlings- aufkommen zu lassen, erläutert Pfarrer die Kleidertüte mehr als einfach nur ein unterkünfte bestanden – eine davon wird Böttner. Es wird auch auf Berechtigungs- Laden, sondern eine Begegnungsstätte, von der Evangelischen Kirche betrieben. scheine verzichtet. Wer Bedarf hat, kann berichten die Mitarbeiter. Eine Vielzahl von Ideen wurde in Nie- kommen. Die Spende ist im Konzept wich- Von Konflikten könne er nicht berich- denstein umgesetzt, darunter Sprachkurse tig, um niemanden als Almosenempfänger ten, sagt Pfarrer Böttner; man habe schnell und Sportangebote. Viele Menschen ka- dastehen zu lassen, sondern um ein Ange- gemerkt, dass die Flüchtlinge eigentlich men und brachten Kleiderspenden vorbei, bot auf Augenhöhe zu machen. vor alllem auf der Suche nach Ruhe sind. die zunächst in der Grundschule gelagert In mancher Hinsicht war es dennoch ein wurden. Das war anfangs eher chaotisch, »Es macht Spaß zu sehen, langsames Annähern. So waren Mitarbei- erinnert sich Martina Grunewald. Sie ge- terinnen befremdet, als Kunden trotz der wie sich die Menschen über hörte zu den Ehrenamtlichen, die sich der geringen Preisvorstellungen handeln woll- Sache annahmen und Ordnung ins Chaos Kleinigkeiten freuen.« ten. In deren Heimatländern gehört das brachten. So wurde aus der ersten Kleider- Handeln hingegen unbedingt dazu. Bei diesem Grundsatz ist es nach dem Doch diese kleinen Missverständnisse Umzug der Kleidertüte in den Stadtteil sind längst überwunden; der Erfolg der Ermetheis geblieben. Das Gelände des Kleidertüte ist an jedem Freitag sichtbar. Schulheims soll bebaut werden, ein neuer Und die Ehrenamtlichen sind mit Engage- Standort musste her. Nun kam wieder die ment und Freude bei der Sache. „Es macht Fotos: medio.tv/Dellit Politik ins Spiel, als Bürgermeister Frank Spaß zu sehen, wie sich die Menschen über Grunewald vorschlug, einen ehemaligen Kleinigkeiten freuen“, sagt Martina Grune- Dorfladen zu nutzen, der leer stand. Die- wald. Und ihre Kollegin Martina Wöll er- sen stellt die Stadt der Kirchengemeinde gänzt: „Im Kleinen funktioniert es, so sollte Ehrenamtlich im Einsatz: Martina Wöll mietfrei zur Verfügung, für die nur die Ne- es in der großen Politik auch sein.“ l (links) und Martina Grunewald benkosten anfallen. Das Geld, das nach Olaf Dellit 12 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
THEMA Bischof Hein: „Die Kirche soll nicht als siebte oder achte Partei auftreten” Foto: medio.tv/Schauderna Nur noch wenige Monate bis zu den he unter dem Titel „Europa im Gespräch”. er in der Diskussi- Europawahlen: Die Diskussion um Dem Geschrei setzte der Bischof ei- on mit dem Pub- die EU wird auch von Kirchen- ne aus christlicher Perspektive entwickel- likum: „Kirchen Persönlichkeiten geführt. Kirchen te praktische Ethik gegenüber, die er am machen nicht die machten jedoch nicht die bessere Apostel Paulus festmachte. Dieser habe bessere Politik.” Politik, warnte Bischof Martin Hein den Begriff der Demut entgegen der herr- Wohl aber könnten bereits Ende vergangenen Jahres schenden Deutung nicht als Unterord- sie Raum für Reflexion Bischof Prof. auf einer Tagung in Brüssel. nung verstanden, sondern als „freiwillige ermöglichen, zur Lang- Dr. Martin Hein Zuordnung von Menschen untereinander, samkeit ermutigen und B ischof Martin Hein hat zu einer Dis- die einander die gottgegebene Würde zu- so zur Versachlichung politischer Fragen kussionskultur der Besonnenheit gestehen”. Mit der Demut korrespondiere beitragen. aufgerufen. Es führe zu nichts, über die Bescheidenheit als Einsicht in die das Mit Blick auf die Diskussionen in der das in der Öffentlichkeit verbreitete Ge- Verstehen übersteigende Größe der Welt Europäischen Union warb der kurhessi- schrei ebenfalls ein Geschrei zu erheben, und die Besonnenheit. sche Bischof in der EU-Hauptstadt um sagte Hein. Denn Geschrei als „Produkt Konkreten Ausdruck findet die Be- ein zurückhaltendes Auftreten gegenüber des schnellen Denkens” bilde für die Ge- sonnenheit jedoch nicht im Verstummen, östlichen Mitgliedsländern. Man solle Ver- sellschaft „eine massive Bedrohung mit sondern sie ermögliche Hören und Reden. ständnis für Länder aufbringen, die noch enormer destabilisierender Energie, egal Menschen könnten dazu das Gebet su- keine jahrzehntelange Demokratie hinter ob in Chemnitz auf der Straße, im Feuille- chen, gerade wenn „sie von Ereignissen sich hätten. Er halte etwas mehr Beschei- ton einer etablierten Zeitung oder in einer heimgesucht werden, die geeignet sind, denheit und die Beachtung der Traditio- Talkshow”. im Geschrei zu enden”. Dieses erscheine nen, aus denen diese Staaten herausge- Wer schreie, müsse nicht Unrecht ha- geradezu als eine natürliche Reaktion, die kommen seien, für notwendig. So finde er ben, so der Bischof. Doch verstärke das die Kirche ernst nehmen solle, sagte Hein. zwar die ungarische Abschottungspolitik Geschrei sich selbst und verhindere den Man könne nicht unmittelbar aus der in der Migrationsfrage problematisch, sag- Kontakt, so dass es sein eigenes Problem Bibel Regeln für jede einzelne Situation te Hein. Die Politik lasse sich aber durch verstärke, argumentierte Hein Anfang No- ableiten. Die Kirche solle auch nicht als einen Blick in die Geschichte des Landes vember 2018 bei einer Veranstaltungsrei- „siebte oder achte Partei” auftreten, sagte besser verstehen. l epd Politisch predigen? Kommentar zur Sache von Lothar Simmank W ie politisch darf eine Predigt sein? Die Frage ist abso- Pfarrerinnen und Pfarrern gelingt es heute immer seltener, mit lut nicht neu, schon Martin Luther hatte mit Vorwür- Predigten Aufsehen zu erregen. „Schafft die Predigt ab!”, forderte fen in diese Richtung zu kämpfen. In jüngerer Zeit daher in radikaler Konsequenz die junge Theologin Hanna Jacobs kochte die Diskussion auf, als die 68er auf die Kanzeln stiegen kürzlich in der „Zeit”-Beilage „Christ & Welt” und machte mit ihrer und mit ihren Predigten direkt in die politischen Debatten ein- Zunft kurzen Prozess. Folgt man ihrer Argumentation, scheint die griffen. 2010 löste die frühere hannoversche Bischöfin Margot große Zeit der Predigt angesichts der sozialen Medien endgültig Käßmann in ihrer Neujahrspredigt mit dem Satz „Nichts ist gut vorbei zu sein – ungeachtet aller Inhalte. Denn Predigten kann der in Afghanistan” nachhaltigen politischen Trubel aus. Zuletzt Hörer nicht unmittelbar per Klick mit einem „Like” oder sonstwie geriet das Thema in die Schlagzeilen, als Ulf Poschardt, Chefre- kommentieren. Man muss sie sich einfach in Geduld anhören. dakteur der „Welt”, sich 2017 in einem Tweet über eine seiner Zuhören, das sagt auch Professor Lutz Friedrichs, der am Evan- Meinung nach zu politische Weihnachtspredigt aufregte. gelischen Studienseminar Hofgeismar den Pfarrer-Nachwuchs der Spannender als politische Aussagen in einer Predigt ist für EKKW ausbildet, müssen auch die zukünftigen Prediger lernen: „Ich für mich als Gottesdienstbesucher die Frage, ob die Kanzelrede bin fest davon überzeugt, dass das Gelingen einer Predigt von der überhaupt noch eine Wirkung zu entfalten vermag. Empfinde Fähigkeit abhängt, zuhören zu können”, so Friedrichs. Was also kann ich den Menschen auf der Kanzel als authentisch? Was bleibt die Qualität der Predigt verbessern? Mehr oder weniger Politik? Das hängen von dem, was er gesagt hat? War es schlüssig? Hatte ist nicht die Frage. Zuhören auf beiden Seiten ist gefragt. Dann es mit meinem Alltag zu tun? Oder wurden wieder Fragen be- kann die Predigt zur „religiösen Rede auf Augenhöhe” werden – und antwortet, die niemand gestellt hat? abschaffen wäre kein Thema mehr. l blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019 13
LANDESKIRCHE Wie geht es weiter mit der Diakonie Hessen? 2013 fusionierten die Diakonischen Werke in Kurhessen-Waldeck und Hessen und Nassau zur Diakonie Hessen. Nach rund zweieinhalb Jahren im Amt trat der Vorstandsvorsitzende, Pfarrer Horst Rühl, kürzlich zurück. Foto: bdks Im blick-Interview nimmt Pfarrer Joachim Bertelmann, Vorsitzender des Aufsichtsrats, Stellung zur Entwicklung des Wohlfahrtsverbands. ? Ende September vergangenen Jah- res ist Pfarrer Horst Rühl als Vor- standsvorsitzender zurückgetreten. im vergangenen Jahr mit der Konstituie- rung der Arbeitsrechtlichen Kommission Diakonie Hessen bereits eingeführt. ZUR PERSON Seit 2010 ist Pfarrer Joachim Bertelmann (62) Vorstandsvorsitzender der bdks – Baunataler Grund waren laut Pressemitteilung Für die rechtliche Verselbstständigung Diakonie Kassel. In dem Unternehmen arbeiten „unterschiedliche Auffassungen bezüg- der regionalen Diakonischen Werke in Hes- rund 1.400 Menschen mit Behinderung, es lich der strategischen Neuaufstellung sen und Nassau gibt es einen klaren Fahr- bietet über 900 Wohnplätze an. Zuvor war des Landesverbandes“. Können Sie dies plan. Eine Zuordnung zur Landeskirche Bertelmann Geschäftsführer des Diakonischen heute konkretisieren? wird von der Diakonie Hessen auch für Werks Kassel. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats Joachim Bertelmann: Mit Horst Rühl das Kirchengebiet in Hessen und Nassau der Diakonie Hessen bestimmt er die Richtlinien haben wir uns darauf verständigt, die De- vorgeschlagen. Dieser Vorschlag einer neu- und kontrolliert den Vorstand. Dem Mitglieder- tails zur Trennung vertraulich zu behan- en Gesellschaft mit Trägerschaft der EKHN verband gehören zurzeit 457 Rechtsträger an. deln. wird voraussichtlich in der Herbstsynode 2019 auf die Tagesordnung genommen. ? Im Fusionsprozess der Diakonie Hessen wurde die unterschiedli- che Struktur der regionalen Diakonie ? Warum ist dieses Problem so zentral für die Diakonie Hessen? ? Wie geht es nun weiter in der Diako- nie Hessen: Wann wird es einen neu- en Vorstandsvorsitzenden geben? von Anfang an ausgeklammert: In der Bertelmann: Wir betrachten die recht- Bertelmann: Das Auswahlverfahren EKKW gehört die Kreisdiakonie zur ver- liche Verselbstständigung nicht als Pro- – es wird bundesweit ausgeschrieben – fassten Kirche, in der EKHN sind die blem, sondern als einen Auftrag, der nicht startete im Januar. Wir rechnen mit einer Regional-DWs Bestandteil des Landes- zuletzt 2013 in der Satzung festgeschrie- Neubesetzung bis Herbst 2019. Durch verbands. Warum konnte hier keine ein- ben wurde. Es ist zweifelsfrei ein zentrales, die interimsmäßige Organisation der Di- heitliche Lösung gefunden werden? aber keineswegs das einzige isoliert zu be- akonie Hessen ist sichergestellt, dass die Bertelmann: Es wurde eine gute Lö- trachtende Element im Zuge der Weiter- richtungsweisenden Schritte im Prozess der sung für die regionalen Diakonischen entwicklung der Diakonie Hessen. Wichtig Weiterentwicklung der Diakonie Hessen Werke gefunden. Sie respektiert die unter- sind die Rollenklarheit und ein eindeutiges nicht von einzelnen Personen oder Posten schiedlichen Strukturen innerhalb der bei- Profil als Werk der Kirchen und als Mitglie- abhängig sind. den Landeskirchen. Nach einem intensiven derverband. Strategieprozess sind die unterschiedlichen Rollen der Diakonie Hessen als Werk der Kirche, als Mitglieder- und Spitzenverband ? Wie ist Ihre persönliche Position als Aufsichtsratsvorsitzender zur Frage ? Ist die Fusion der Diakonie Hessen aus Ihrer Sicht ein Erfolgsmodell? Bertelmann: Die Fusion ist definitiv der Wohlfahrtspflege definiert. der regionalen Diakonie? Was soll sie ein Erfolgsmodell und hat sich in vielerlei In den beiden Diakonischen Werken leisten, wie muss sie organisiert sein? Hinsicht bewährt. Als fusionierter Verband gab es vor der Fusion verschiedene Kul- Bertelmann: Diakonisches Handeln für ganz Hessen sind wir in der Außen- turen hinsichtlich der Funktion des jewei- hat den einen Auftrag: dem Nächsten wirkung und in unserer sozialpolitischen ligen Verbandes. Die Diakonie in Hessen zu dessen Heil und Wohl zu dienen und Arbeit wirksamer geworden. Stärken der und Nassau sah sich eher als Spitzen- bzw. damit Gottes Liebe zu allen Menschen zu beiden Werke konnten übertragen wer- Dach-Verband, Kurhessen-Waldeck eher als bezeugen. Die Rechtsform ist davon unab- den – im Sinne von Best Practice hat ein Mitgliederverband. Da man den Fusions- hängig. Aufgabe der Diakonie Hessen ist Wissenstransfer stattgefunden – wir haben zeitpunkt nicht verschieben wollte, wurde es, ihre Mitglieder ebenso wie die regiona- voneinander gelernt. Dessen ungeachtet eine Entscheidung zum Arbeitsrecht und len Diakonischen Werke zu begleiten und gilt: Wir befinden uns auch weiterhin in zu den regionalen Diakonischen Werken zu beraten. Diakonie muss so organisiert einem Prozess des innerverbandlichen Ler- vertagt. In der Satzung wurde ein Auftrag sein, dass die Bedürfnisse, Sorgen und nens. Diese Suche bewerte ich positiv. Sie zur rechtlichen Verselbstständigung der Ängste der Menschen vor Ort erkannt und eröffnet neue Perspektiven angesichts un- regionalen Diakonischen Werke verankert. ein inklusives Gemeinwesen so gut wie ir- seres Auftrags, „dem Nächsten zu dienen“. Das gemeinsame Arbeitsrecht haben wir gend möglich gefördert werden kann. l Fragen: Lothar Simmank 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 2–2019
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