Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
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Heft 1/2020 ISSN 0940-4163 Militärgeschichte im Bild: Spielende Kinder im kriegszerstörten Berlin vor der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914‑1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Impressum Inhalt Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Das Ende des Zweiten Weltkrieges Herausgegeben in Europa 4 vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann und Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.) Oberstleutnant PD Dr. John Zimmermann, geb. 1968 in Bruchsal/Baden, Verantwortliche Redakteure der aktuellen Leiter Forschungsbereich Deutsche Ausgabe: Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw Oberleutnant Helene Heldt M.A. Oberstleutnant Dr. Harald Potempa Redaktion: Cornelia Grosse M.A. (cg) Oberleutnant Helene Heldt M.A. (hh) Der Deutsch-Französische Major Chris Helmecke M.A. (ch) Krieg 1870/71 10 Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks) Wissenschaftlicher Oberrat Dr. Gerhard Bauer, Bildredaktion: Esther Geiger geb. 1963 in Erding, Sachgebietsleiter Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Uniformen/Feldzeichen am Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli, Militärhistorischen Museum Dresden Frank Schemmerling Layout: Carola Klinke Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Das Große Hauptquartier von Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam 1914 bis 1918 14 E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Homepage: www.zmsbw.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden Oberst a.D. Dr. Gerhard P. Groß, geb. 1958 an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein- in Mainz, ehemaliger Leiter des gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Forschungsbereiches Deutsche Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He- rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er- folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver- Der Kapp-Lüttwitz-Putsch vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach Krise der Weimarer Republik 18 vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die im März 1920 Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Webseiten und deren Unterseiten. Oberstleutnant Dr. Martin Hofbauer, geb. 1969 in Passau, Leiter Projektbereich Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis Einsatzunterstützung am ZMSBw von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner- halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün- digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie Service bitte an: Das historische Stichwort: Druckhaus Plagge GmbH An der Feuerwache 7, 49716 Meppen, Siegessäule und Friedensengel 22 E-Mail: info@druckhaus-plagge.de Neue Medien 24 © 2020 für alle Beiträge beim Lesetipps26 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Die historische Quelle 28 Druck: Geschichte kompakt 29 Druckhaus Plagge GmbH, Meppen Ausstellungen30 ISSN 0940-4163
Grußwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, 8. Mai oder 2. September 1945? Wann ge nau endete der Zweite Weltkrieg? In Eu ropa ist die Antwort klar: am 8. Mai. An je Militärgeschichte nem Tag trat die von Generaloberst Alfred Jodl gegenüber dem Oberbefehlshaber der im Bild alliierten Streitkräfte in Europa, General Dwight D. Eisenhower, am Tag zuvor un Mahnmal für Frieden terzeichnete bedingungslose Kapitulation und Versöhnung31 in Kraft. Am 8. Mai unterschrieb General feldmarschall Wilhelm Keitel eine zweite Kapitulationserklärung gegenüber der Sowjetunion. Im Pazifik kämpften die Alli ierten gegen Japan und seine Verbündeten indes weiter. Hier dauerte der Krieg noch bis zum Spätsommer 1945. Mit den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki fand er ein erschreckendes Ende. Japan kapitulierte am 2. Sep tember 1945. Beide Daten sind somit inhaltlich korrekt und verdeutlichen gleichwohl ei nes der Kernprobleme der Geschichtswissenschaft: Die Annäherung an eine historische Wahrheit – mehr als das ist nicht möglich – ist immer eine Frage der Perspektive. Diese, ob regional, national oder global, individuell oder kol lektiv, leitet die historische Interpretation des Faktischen und bestimmt dar über hinaus die Erinnerung. Der Blick auf das Ende eines historischen Ereignisses oder Prozesses ist zu Spielende Kinder im kriegszerstörten Berlin vor gleich oft mit einer Bilanzierung verknüpft. Und diese ist für den Zweiten der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Foto: akg-images/Fritz Eschen Weltkrieg nicht nur unvorstellbar in ihren Dimensionen, sondern durch nackte Zahlen auch kaum auszudrücken: 65 Millionen Kriegstote. Zusammen mit den Opfern von Verbrechen im Krieg sind es etwa 80 Millionen Tote. Über 30 Millionen Menschen verloren außerdem ihre Heimat, Städte und Regionen wurden völlig zerstört, Familien auseinandergerissen oder ausgelöscht. John Zimmermann blickt in der vorliegenden Ausgabe der Militärge- schichte auf das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Er beschreibt die Skrupellosigkeit der deutschen Kriegführung seit Beginn des Krieges und be leuchtet insbesondere die Ereignisse im letzten Kriegsjahr: Von den Versu chen der deutschen politischen und militärischen Führung, durch immer neue Operationen die unvermeidliche Niederlage hinauszuzögern, über den Umgang mit Deserteuren innerhalb der Wehrmacht bis hin zu den Teilkapi tulationen. Auch für die Wehrmacht wurde das letzte Kriegsjahr dadurch zum brutalsten: Die Verluste waren höher als in allen vorherigen Kriegsjah ren zusammen. In der kommenden Ausgabe der Militärgeschichte wird sich Takuma Mel ber mit dem Zweiten Weltkrieg nach dem Mai 1945 befassen und seinen Blick, weg von Europa, hin zum pazifischen Raum wenden. Dort befand sich Japan mit China bereits seit 1937 im Krieg. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 gerieten die USA in schwere Insel- und Flottengefechte mit dem japanischen Militär. Der Zweite Weltkrieg war ein globaler Krieg. So, wie man sein Ende aus un terschiedlichen Perspektiven betrachten kann, so auch seinen Anfang. Doch das ist wieder ein anderes Thema. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre! Ihr Chris Helmecke
Ende des Zweiten Weltkrieges IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo 5Mai 1945: Zwei Soldaten der Roten Armee in der Neuen Reichskanzlei in Berlin. Zu ihren Füßen liegt das zerstörte Symbol der nationalsozialistischen Herrschaft. Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa Unmittelbar kamen 65 Millionen Men- tungskrieg im Osten Europas. Im Un Der Anfang vom Ende schen zu Tode und mittelbar weitere terschied zum Ersten Weltkrieg kann 15 Millionen, mehr als 30 Millionen mus- man über das Motiv 1939 nicht strei Jenes hatte ihn und seine National sten als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen. ten. Adolf Hitler hatte nie einen Hehl sozialistische Deutsche Arbeiterpartei Ungezählte Menschen wurden an Körper daraus gemacht, wie er sich die Welt (NSDAP) in mehreren Wahlen hinter und Seele verletzt. Schon die nackten Zah- vorstellte und wie er diesen Zustand einander zur mit weitem Abstand len künden von den unvorstellbaren Di- herzustellen gedachte. Die militärische stärksten politischen Kraft gemacht. mensionen des Zweiten Weltkrieges, den Führung des Deutschen Reiches weihte Viele sehnten sich nach einem »starken die Aggressoren aus Deutschland und Ja- er bereits 1933 ein, vier Tage nachdem Mann«, der Ordnung, Sicherheit und pan über ihre Nachbarn gebracht hatten. er vom Reichspräsidenten Paul von Wohlstand versprach. Sie waren in der Hindenburg zum Reichskanzler er »Weimarer Republik« nie wirklich an I m Zweiten Weltkrieg sind beispiel nannt worden war: Es ging um die gekommen oder hatten sie gar von An lose Verbrechen von Deutschen oder Wiederherstellung des Großmachtsta fang an abgelehnt, nicht wenige be in deutschem Namen begangen wor tus und die Eroberung von Lebens kämpften sie aktiv. Zählt man die den: allen voran die Ermordung der raum im Osten Europas für das deut Stimmen derjenigen zusammen, die europäischen Juden und der Vernich sche Volk. bei den Reichstagswahlen 1932/33 für 4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Eine Kolonne sowjetischer Kriegsge- SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo fangener marschiert im Oktober 1941 in ein Sammellager. Parteien votierten, die im Kern Repu blik und Demokratie ablehnten, so war beides mit überwältigender Mehrheit abgewählt worden. Insofern wird die nach Kriegsende gelieferte Argumen tation, die Mehrheit der Deutschen habe Hitler nie gewählt, sehr deutlich relativiert. Zudem unterstützten die weitaus meisten die unter ihm rasch installierte Diktatur. Noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges meinte rund die Hälfte der Deutschen, der Na tionalsozialismus sei eine im Grunde gute Idee, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Insbesondere die Friedens jahre des NS-Regimes empfanden viele im Nachhinein als »die gute Zeit«, manche sogar als die beste Zeit in der deutschen Geschichte. Das erscheint unfassbar angesichts tionen bestehend durchstreiften mit der verhungern oder sich für die Deut der Tatsache, dass das NS-Regime von vorher zusammengestellten Listen schen zu Tode schuften. Der »slawische Anfang an ein verbrecherisches war, Polen, verhafteten und ermordeten Untermensch«, wie ihn die NS-Propag das seine Gegner oder zu solchen Er Menschen von der politischen über die anda bezeichnete, hatte nur als Arbeits klärte ausgrenzte, kriminalisierte und Bildungs- bis hin zur religiösen Elite. sklave eine Berechtigung, ansonsten ermordete. Über sechs Millionen Nicht nur das Land selbst wurde skru war er völlig entrechtet. Schon in den jüdische Männer, Frauen und Kinder pellos ausgeplündert, sondern die Befehlen an die Wehrmacht vor Beginn wurden umgebracht, die Mehrzahl in polnische Bevölkerung gleich mit. des Überfalls auf die Sowjetunion hob eigens dafür eingerichteten »Mord Hunderttausende wurden als Zwangs die militärische Führung jede Be fabriken«. arbeiterinnen und Zwangsarbeiter schränkung auf. Die programmatische Im Osten Europas führte die Wehr missbraucht. Und all das sollte doch Bezeichnung Unternehmen »Barba macht einen geplanten und organisier nur der »Auftakt zum Vernichtungs rossa« war dabei angelehnt an den ten Raub- und Vernichtungsfeldzug. krieg« (Jochen Böhler, Historiker) sein, Stauferkaiser Friedrich I. »Barbarossa«, Gefangene polnische Soldaten erschoss der 1941 in die Sowjetunion hineinge der im 12. Jahrhundert einen Kreuzzug man bereits 1939 nach dem Überfall tragen wurde. ins »Heilige Land« angeführt hatte. Zi auf ihr Land mitunter einfach. Mörder Über drei Millionen kriegsgefangene vilisten konnten nicht nur Opfer des banden aus Polizei- und NS-Organisa sowjetische Soldaten ließ man entwe Kriegsgeschehens werden, die Men schen in der Sowjetunion waren das SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo Ziel der militärischen Operationen. Rund 27 Millionen fielen der deut schen Kriegführung und ihren Folgen in der gesamten Sowjetunion zum Op fer! Nur etwa die Hälfte von ihnen wa ren Soldaten – und damit immer noch weit mehr als doppelt so viele, wie die Gesamtverluste der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ausmachten. Die Wehrmacht unterstützte die NS- Mörderbanden bei ihren Vernichtungs zügen nicht nur logistisch, sondern sie beteiligte sich oft genug direkt an den Kriegsverbrechen und beging sie selbst, vom Raub bis zu Vergewalti gung und Mord. Für so gut wie nichts mussten sich deutsche Soldaten ver Gefangene nach der Befreiung des Konzentrationslagers Wöbbelin bei Ludwigslust durch amerikanische Sol- daten (undatierte Aufnahme). Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 5
Ende des Zweiten Weltkrieges antworten. Im Gegenteil: Etliche Be zweite Front in Europa. Nach harten Die deutsche Kriegführung fehle verboten gar jedes Mitgefühl und Kämpfen gelang dort der Ausbruch ordneten ausdrücklich grausames aus dem Brückenkopf und von da an Ab der zweiten Jahreshälfte 1944 Handeln an. Bis auf ganz wenige Aus gab es kein Halten mehr. Im September konnte der Wehrmacht daher immer nahmen exekutierte die deutsche Ge 1944 war die Wehrmacht in die Nieder weniger geliefert werden, was sie für neralität und Admiralität Hitlers Wei lande und auf die Reichsgrenze zu eine noch so rudimentäre Kriegfüh sungen fraglos – und nicht nur an rückgedrängt, hatte zuvor in Frank rung benötigte. Für die Fahrzeuge dieser Front: Die Hakenkreuzfahne reich Hunderttausende Männer und fehlte es an Treibstoff, für die Panzer wehte an der Jahreswende 1942/43 nahezu ihr gesamtes Großgerät verlo und Geschütze noch dazu an Munition. vom höchsten Berg Europas, dem El ren. Nur weil der Nachschub den ra Bis hinunter zu den Handwaffen der brus im Kaukasus, über dem Balkan, santen Erfolgen der eigenen Verbände Soldaten setzte sich das Waffenarsenal den griechischen Inseln im Mittelmeer, nicht hinterherkam, musste die westal zu immer größeren Teilen aus Bestän über Nordafrika, West- und Nordeu liierte Führung den Vormarsch stop den aller von der Wehrmacht ausge ropa bis hinauf zum Nordkap. pen und ihre Truppen neu ordnen. plünderten Länder zusammen – mit Durch die vielen Eroberungen waren Nicht anders im Osten: Abgestimmt allen Folgeproblemen für den Nach die deutschen Linien am Ende völlig auf die Landung in der Normandie schub. Aus Kriegsgefangenen und überdehnt. Zwar gelang 1944 der deut überrannte die Rote Armee die Heeres Zwangsarbeitern mussten an wichti schen Rüstungsindustrie noch ein Re gruppe Mitte, drängte die deutsche gen Hangstraßen »Schiebekomman kordausstoß an Waffen und Munition Ostfront auf einer Breite von über tau dos« zusammengezogen werden, weil – auf dem Rücken der Zwangsarbeite send Kilometern bis zu 600 Kilometer es sich beim Fuhrpark der Wehrmacht rinnen und Zwangsarbeiter, die sich nach Westen zurück und schnitt die um eine denkwürdige Ansammlung im Reich zu Tode schuften mussten, Heeresgruppe Nord von allen Land von pferdebespannten Gefährten, aber auch durch die skrupellose Aus verbindungen ins Reich ab. Drei der landwirtschaftlichen Zugmaschinen beutung der besetzten Länder, vor al vier Armeen der Heeresgruppe Mitte und handelsüblichen Kraftfahrzeugen lem der Sowjetunion. wurden dabei aufgerieben, 28 ihrer 38 handelte, darunter so viele mit Holz Die Niederlage von Stalingrad An Divisionen zerschlagen, rund 190 000 vergasern, dass in jeder Ortschaft ent fang 1943 und die Kapitulation der Mann getötet oder verwundet und lang der Hauptstraßen Depots mit Heeresgruppe Afrika wenige Monate 160 000 gefangengenommen. Auch hier Tankholz angelegt werden mussten. später markierten die Kriegswende. erlaubten alleine sowjetische Nach Die meisten Fahrzeuge hatte außerdem Von da an befand sich die Wehrmacht schubschwierigkeiten den deutschen keine Gummireifen mehr, die solange auf dem Rückzug im Osten und nach Truppen, die Front noch einmal eini durch Holzreifen ersetzt wurden, bis den gelungenen Landungen der west germaßen zu stabilisieren. auch jene zur Mangelware wurden. lichen Alliierten in Italien im Sommer Zusätzlich bombardierten westalli Das Gros der Soldaten war aber oh 1943 allmählich auch im Westen, bis ierte Flugzeugflotten Tag und Nacht nehin zu Fuß unterwegs, wenn sie der Sommer 1944 schließlich die end deutsche Städte. Sie konnten nun von nicht zu den wenigen fahrradbewegli gültige Entscheidung brachte: Die Flugfeldern auf dem europäischen chen Verbänden gehörten, die allen Landung der Westalliierten in der Nor Kontinent starten, errangen bald die Ernstes als »Mittel der oberen Führung mandie und in Südfrankreich schuf die Luftüberlegenheit und zerstörten un zur beweglichen Bekämpfung durch von Stalin lange schon geforderte gehinderter vor allem die Infrastruktur. gebrochener Panzerkräfte« und zur »bewegliche[n] Reserve der oberen SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo Führung« eingesetzt wurden. Fast ist es müßig zu sagen, dass auch diese bald auf den Felgen daherkamen. Doch die Deutschen kämpften weiter – jedenfalls im Osten, wo sie die Rache der Roten Armee fürchteten und eine Evakuierung der Bevölkerung erst sehr spät erlaubt wurde. Im Westen hingegen hatte das Regime die Eva kuierung der Einwohner angeordnet, aber die meisten wollten nicht gehen: Die Menschen dort hatten vor den ei genen Soldaten bald mehr Angst als vor den gegnerischen, was nicht nur am teilweise marodierendem Verhal ten, sondern vor allem an der Art und Weise lag, wie die Wehrmacht den Krieg auf eigenem Boden fortsetzte. Angehörige der Wehrmacht auf Fahrrä- dern mit Panzerfäusten, eingesetzt als »fliegendes Jagdkommando« gegen so- wjetische Panzer in Breslau, März 1945. 6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Die während der deutschen Ardennen- offensive 1944 belagerte und bombar- dierte Stadt Bastogne. Bereits Mitte September 1944 hatte Hitler gefordert, dass das Erreichen der Reichsgrenzen die Kampfführung nicht nur der Truppen, sondern der ge samten Bevölkerung fanatisieren müsse. Jedes Haus, jedes Dorf und jede Stadt sollten zur Festung werden, un ter deren Ruinen sich die Verteidiger notfalls begraben zu lassen hätten. Die Aufstellung des »Volkssturms« im Ok tober 1944 mobilisierte alle noch nicht einberufenen männlichen Deutschen zwischen 16 und 60 Jahren. Der militä rische Wert des »Volkssturms« war ge ring, und oft genug erwiesen sich seine Verbände für die Wehrmacht mehr als Belastung denn Verstärkung. Kaum ausgerüstet und ausgebildet, kämpfte IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo die Miliz an der Ostfront stellenweise verzweifelt, im Westen hingegen löste um dessen Aussichtslosigkeit sie längst brach jedoch die Offensive zusammen; sie sich meist schnell wieder auf. wusste, verweist auf eine weitere Di knapp sechs Wochen nach dem Beginn Hatte Skrupellosigkeit die deutsche mension ihrer Verantwortungslosig standen die deutschen Verbände wie Kriegführung von Anfang an gekenn keit. Weder existierte ein Plan zur der in ihren Ausgangsstellungen. Bis zeichnet, wurde sie im Kontext der zu Reichsverteidigung noch standen nach zu diesem Zeitpunkt waren beiderseits nehmenden Unzulänglichkeiten sogar den Desastern an der West- und Ost der Fronten rund 143 000 Mann tot, zur Tugend umgedeutet. Der »Füh front ausreichend Bodentruppen zur verwundet, vermisst oder gefangen. rer«-Befehl vom 28. November 1944 Verfügung, Luftwaffe und Marine wa Militärisch bewirkt hat die Offensive verlangte den »rücksichtslosen Einsatz ren völlig ineffektiv. das genaue Gegenteil der eigentlichen jedes einzelnen, todesmutige Tapfer Stattdessen überboten sich die militä Absicht: Sie hatte endgültig alle deut keit der Truppen, standhaftes Aushar rischen Führer mit pathetischen schen Reserven aufgebraucht, von nun ren aller Dienstgrade und unbeugsame Durchhaltebefehlen. Ausschlaggebend an lebten die deutschen Truppen im überlegene Führung«. Dass die Wehr dafür, ob eine Maßnahme noch ange Westen nur noch »von der Hand in den machtführung einen Krieg fortsetzte, ordnet wurde, war kein militärischer Mund«. Nutzen mehr. Entscheidend war al Trotzdem wurde der Krieg fortge leine die Tatsache, dass die Mittel für setzt, mit noch jüngeren, noch schlech die befohlene Aktion noch vorhanden ter oder gar nicht ausgebildeten und waren. Daneben sekundierten die be ausgerüsteten Soldaten. Anfang 1945 fehlshabenden Offiziere ihrem »Füh war zunächst der Geburtsjahrgang rer« weiterhin beim Terror, jetzt auch 1928 an der Reihe, im Februar lief be gegen die eigene Bevölkerung und reits die Einziehung des Jahrganges Truppen, und schickten die ihnen an 1929 an. Die noch verbliebenen Ausbil vertrauten Soldaten in die aussichtslo dungs- und Ersatzeinheiten wurden an sesten Gefechte. die Front geworfen und sogar die Auf stellung eines Frauenbataillons ange Die letzte deutsche ordnet – ein Tabubruch, denn aus NS- Großoffensive Sicht sollten Frauen sich um Heim und Herd kümmern und den Männern die Als Paradebeispiel kann dafür die Ar Kriegführung überlassen. Statistisch dennenoffensive gelten: Als niemand betrachtet, hatte ein Anfang 1945 ein mehr mit einer solchen Operation rech gezogener Rekrut dieselbe Überleben nete, griffen drei deutsche Armeen am schance wie einer, der seit 1939 bereits 16. Dezember 1944 zwischen Mon Soldat war, nämlich vier Wochen. schau und Echternach Richtung Ant So avancierte die Ardennenoffensive werpen an. Kaum acht Tage später zum Menetekel für all das, was an Deutsche Soldaten, die von fliegenden Standgerichten zum Tode verurteilt und zur Abschreckung öffentlich gehängtwurden. Sie hatten geplant, Wien unter Vermei- SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo dung weiterer Kämpfe an die vorrückenden sowjetischen Truppen zu übergeben, Frühjahr 1945. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 7
Ende des Zweiten Weltkrieges »Kriegführung« im letzten halben Jahr Terrorisierung und Fanatismus Mehr als Menschenleben vermochte des Krieges in Europa noch kommen die deutsche Führung ihren Gegnern sollte. In einem Weltkrieg voller Tief Wer all das nicht mehr mitmachen in der letzten Phase des Krieges nicht punkte bildete sie einen weiteren in wollte, wurde zunehmend drangsa mehr entgegenzusetzen, als die Alli der Reihe der skrupellosen Unterneh liert. Bei abgeschnittenen Truppentei ierten im Januar 1945 ihre Großoffensi mungen der Wehrmachtführung. len räumte ein Befehl des Oberkom ven zur endgültigen Eroberung des Diese hatte vorher gewusst, dass es ih mandos der Wehrmacht Ende Januar Reichsgebietes starteten. Im Westen ren Verbänden längst an allem man 1945 jedem Soldaten gleich welchen setzten sie im März über den Rhein gelte, was für eine solche Operation ge Dienstgrades ein, die Kommandoge und erreichten im April die Elbe, wo braucht wurde. Sie war nicht einmal walt zu übernehmen, sofern er nur be sie auf die vorstoßende Rote Armee mehr fähig, die Pläne »handwerklich reit war, mit seiner Truppe weiterzu trafen – medienwirksam inszeniert bei korrekt« umzusetzen: Wegen der ange kämpfen. Im Monat darauf wurde Torgau. Hart gekämpft wurde aber ordneten Geheimhaltung fanden keine nicht nur verlangt, dass auf »Überläu weiterhin im Osten, im Westen nur Erkundungen statt und wegen der fer [...] von jedem sofort das Feuer zu dort, wo fanatisierte Endkämpfer dazu ständig drohenden alliierten Jagdbom eröffnen« sei, sondern auch verfügt, zwangen oder ein rechtzeitiges Aus bergefahr konnte nur nachts bis in die dass »[j]eder, der nicht schießt, [...] zu weichen nicht mehr möglich war. Re Angriffsräume marschiert werden. Die bestrafen« sei. Außerdem waren Solda lativ willkürlich kam es dabei zu bluti Truppen stießen in der Regel in ihnen ten, »die abseits ihrer Einheit auf Stra gen Gemetzeln wie jenem im völlig unbekanntes Terrain vor, und ßen, [...] ohne verwundet worden zu Hürtgenwald, manchmal auch in eini zudem auf einen Gegner, über den sie sein angetroffen werden und angeben, gen Städten, Dörfern oder auch nur nichts wussten; weder Absprachen Versprengte zu sein, standrechtlich zu Gehöften. noch Verbindungen untereinander erschießen«. Die jeweiligen Komman Anders als im Ersten Weltkrieg, gab funktionierten. deure hatten dazu wöchentlich zu mel es keinen in der militärischen Führung Doch auch damit nicht genug: Als den, nicht ob, sondern »wie viel [sic!] des Deutschen Reiches, der für einen die Ardennenoffensive längst abgebro Soldaten standrechtlich erschossen Waffenstillstand oder gar eine Kapitu chen war, starteten am 1. Januar 1945 wurden«. Deren tatsächliche Zahl wird lation die Verantwortung zu überneh rund 900 deutsche Kampfflugzeuge ei wohl nie genau ermittelt werden kön men bereit gewesen wäre. Die Männer nen Angriff auf alliierte Frontflug nen. und Frauen des 20. Juli 1944 waren es, plätze in Belgien, den Niederlanden Von allen Fronten liegen Beispiele doch nach dem gescheiterten Attentat und in Nordfrankreich. Fast ein Drittel vor, dass tatsächliche oder vermeintli und Putschversuch fand sich niemand der Maschinen wurden dabei abge che Deserteure, Befehlsverweigerer mehr. Selbst die verbrecherischen Pala schossen, auch von der eigenen Luftab oder sogenannte Defätisten kurzer dine des Regimes wie Hermann Gö wehr. Das Unternehmen »Boden hand an Bäumen und Laternen aufge ring, Heinrich Himmler oder Joseph platte« war so konspirativ vorbereitet hängt oder einfach niedergeschossen Goebbels dachten früher über eine worden, dass man die deutsche Luftab worden sind. Dabei stand die Wehr Aufgabe nach als die Generale und Ad wehr schlicht nicht informiert hatte. macht der NSDAP oder SS in nichts mirale. nach. Mit SS-Obergruppenführer und Ge bpk/US-Army Unter diesem Terror, aber auch aus neral der Waffen-SS Karl Wolff war ein Überzeugung, die Pflicht tun zu müs Angehöriger der NS-Nomenklatura sen, führten die Soldaten einen Krieg der Strippenzieher der ersten Teilkapi fort, der nach dem Juli 1944 fast ge tulation in Norditalien am 29. April nauso viele Tote von der Wehrmacht 1945. Sein Oberbefehlshaber Südwest, forderte, wie in den Jahren zuvor zu Generaloberst Heinrich von Vieting sammengerechnet, indem ab Dezem hoff – genannt von Scheel, der das ber 1944 monatlich noch etwa 300 000 Vorgehen absegnete, wurde dafür von deutsche Soldaten fielen, im Januar seinem Vorgesetzten, Generalfeldmar 1945 gar 450 000. Darüber hinaus kos schall Albert Kesselring, zwischenzeit tete dieses Weitermachen auch in den lich sogar festgenommen. Erst nach anderen an dem Krieg beteiligten der Selbsttötung Hitlers am 30. April Streitkräften Tote und Verletzte und wurde die unterzeichnete Kapitula ermöglichte außerdem die Fortfüh tionsurkunde bestätigt, am 2. Mai ka rung der eskalierenden Mordmaschi pitulierte der Kampfkommandant von nerie des NS-Regimes. Und bevor die Berlin, zwei Tage später der neu er SS die Vernichtungslager vor dem An nannte Oberbefehlshaber der Kriegs sturm der Rotarmisten zerstörte, um marine, Generaladmiral Hans-Georg die eigenen Blutspuren zu verwischen, von Friedeburg, im Hauptquartier des schickte man die noch Lebenden auf britischen Generalfeldmarschalls Ber Todesmärsche in Richtung der eigenen nard L. Montgomery bei Lüneburg für Frontlinien, was weitere mehr als alle im Nordraum kämpfenden Trup 700 000 Opfer forderte. pen; am 5./6. Mai gaben die deutschen In der Isenschnibber Feldscheune wurden 1016 KZ-Häftlinge am 13. April 1945 von der SS ermordet und anschließend verbrannt. 8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Das Foto eines amerikanischen Kriegsberichterstatters zeigt die in ihren Kampfstellungen im Hürtgen wald gefallenen Kindersoldaten von Hitlers letztem Aufgebot. davon aber nichts gewusst. Zwei Tage zuvor hatte er für Aussagen gegenüber den Alliierten Folgendes empfohlen: »Hunger, Seuchen, Kommunismus. Das ist die Parole.« Am 19. Mai folgte schließlich noch eine präzisierende Unterrichtung zur »Einstellung zur Frage des uneingeschränkten Gehor sams und damit gegen die Anschuldi gungen über die sogenannten Kriegs verbrecher«. »Unsauber« sei in diesem Krieg »die Menschenvernichtung Himmlers und Hitlers« gewesen, aber gegen sie habe er, Dönitz, »in der Hauptsache aus Unkenntnis« nichts unternommen. Mit den zentralen Stichworten »Hel dentum«, »Kameradschaft«, »Ehre«, »Pflicht«, »Volk«, »Vaterland« und Truppen im Süden auf – das alles ge Truppenbewegungen nicht stören »Familie« nahm Dönitz darüber hin schah freilich nicht im Sinne Hitlers: durften und der Transportraum für aus die Argumentationsmuster der Denn bevor er sich erschoss, hatte den militärischen Nachschub einge deutschen Memoirenliteratur vorweg, der deutsche Diktator den Oberbe setzt worden ist. Der ultimativen For die schließlich die Legende von der fehlshaber der Kriegsmarine, Großad derung des Oberbefehlshabers der »sauberen Wehrmacht« kreierten. Em miral Karl Dönitz, zu seinem Nachfol westalliierten Streitkräfte, Dwight D. pathiefrei gegenüber den Opfern eig ger ernannt. Dönitz forderte noch am Eisenhower, nach einer Gesamtkapitu neten sich die vormaligen Generale die 5. Mai zum Weiterkämpfen gegen die lation konnte sich aber schließlich auch Meinungsführerschaft an. Hier spre Rote Armee auf. Auch eine ganze Reihe Dönitz nicht mehr entziehen. Am chen schon die gewählten Titel für von Truppenführern wie der Nazi-Ge 7. Mai unterzeichnete Generaloberst sich: »Heer in Fesseln« (Siegfried West neral schlechthin, Generalfeldmar Alfred Jodl im westalliierten Haupt phal, 1950), »Erinnerungen eines Sol schall Ferdinand Schörner, schlossen quartier in Reims die Bedingungslose daten« (Heinz Guderian, 1950), »Sol jegliche Kapitulation aus, und wollten Kapitulation, am 8./9. Mai wurde der dat unter Soldaten« (Dietrich von wie die in Skandinavien kommandie Akt im Hauptquartier der Roten Ar Choltitz, 1951), »Soldat bis zum letzten renden Generale Franz Böhme und mee in Berlin-Karlshorst wiederholt. Tag« (Kesselring, 1953), »Verlorene Georg Lindemann lieber »die letzte an Damit war der Zweite Weltkrieg in Eu Siege« (Erich von Manstein, 1955) oder ständige Schlacht dieses Krieges schla ropa formal beendet. »Verratene Schlachten« (Hans Frieß gen« als aufzugeben. Auflösungser ner, 1956). Schließlich erklärten sich scheinungen wurden genauso rigide Das Ende und der Beginn der auch die Angehörigen der Waffen-SS bekämpft wie zuvor unter Hitler. An Legende zu »Soldaten wie andere auch« (Paul und hinter den Fronten wurde weiter Hausser, 1966). gemordet, auch durch Henker aus den In den Köpfen allzu vieler endete der Fast ein halbes Jahrhundert ge eigenen Reihen. Dabei ging es Dönitz Krieg so aber nicht, denn hinterher schichtswissenschaftlicher Forschung um eine wie auch immer geartete wollte kaum jemand die Verantwor und politischer Bildungsarbeit waren illusorische Vorstellung von einem ver tung für das Geschehene übernehmen. nötig, um das Konstrukt von der »sau handelbaren Kriegsende und die Fort Missbraucht sei man worden, ge beren Wehrmacht« als das zu dekonst schreibung der obskuren Traditions täuscht und terrorisiert, von den Ver ruieren, was es ist: eine infame Lüge linie eines vermeintlich besonderen brechen gewusst habe man bestenfalls und eine Verhöhnung der Opfer. deutschen Soldatentums. vom Hörensagen, verübt hätten sie oh Die Rückführung von ungefähr nehin »die Nazis«. Tatsächlich hatte je John Zimmermann 1,8 Millionen Soldaten und circa zwei doch das bis zum 23. Mai 1945 amtie Millionen Flüchtlingen aus dem Osten rende Staatsoberhaupt Dönitz die Literaturtipps in den letzten Kriegswochen als Erfolg Leitlinien dazu ausgegeben. Auf die Michael Epkenhans und John Zimmermann, Die Wehr- darzustellen, mag deswegen ihre funk Bekanntmachungen zu den Vorgängen macht – Krieg und Verbrechen, Ditzingen 2019 tionale Berechtigung haben, darf aber in den Konzentrationslagern hin ließ er (= Kriege der Moderne). nicht darüber hinwegtäuschen, dass am 14. Mai 1945 mitteilen, er verur Peter Lieb, Die Schlacht um Berlin und das Ende des Evakuierungen dort erst in letzter Mi teilte die Vernichtungsmaßnahmen in Dritten Reichs 1945, Ditzingen 2020 (= Kriege der Mo- nute gestattet wurden, weil sie die den Lagern zwar »schärfstens«, habe derne). Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 9
Der Deutsch-Französische Krieg akg-images Attacke der Brigade Bredow in der Schlacht bei Vionville am 16. August 1870. Farblithografie nach einem Aquarell von Franz Amling, 1890. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 Der Deutsch-Französische Krieg gilt nach Der Weg in den Krieg In Frankreich stieß diese Kandidatur dem Deutsch-Dänischen und dem Preu- auf Empörung. Man befürchtete eine ßisch-Österreichischen Krieg als der dritte Bei der Affäre, an der sich ihr Zorn preußische Umklammerung. Geschürt und letzte der »Reichseinigungskriege«, entzündete, handelte es sich zunächst wurden diese Ängste durch den fran aus denen der kleindeutsche Nationalstaat, um eine Erbfolgefrage. Um den nach zösischen Außenminister Antoine also ohne Österreich unter der Führung dem Sturz von Königin Isabella II. Alfred Agénor de Gramont. Schon Preußens hervorgegangen ist. seit 1868 vakanten spanischen Thron nach dem Preußisch-Österreichischen neu zu besetzen, suchte die Madrider Krieg von 1866, dem zweiten »Reichs D er Bauer Xaver Stegmeier, ge Übergangsregierung an europäischen einigungskrieg«, war es zu Verstim nannt »Glasl« wurde einberu Höfen nach einem Nachfolger, unter mungen zwischen Frankreich und fen, just als er im Begriff war, ei anderem im Fürstentum Hohenzol Preußen gekommen. Napoleon III. nen Hof zu übernehmen und zu heira lern-Sigmaringen. Vom preußischen hatte sich damals neutral verhalten, in ten. Am 21. Juli 1870 meldete er sich Ministerpräsidenten und Kanzler des der Hoffnung, dafür durch Gebietser zum Dienst beim 2. Infanterie-Regi Norddeutschen Bundes Otto von Bis weiterungen entschädigt zu werden. ment Kronprinz in München. Für ihn marck ermutigt, kandidierte daraufhin Jedoch konnte das französische Kaiser kam der Krieg überraschend. Viele an Prinz Leopold aus der Sigmaringer Ne reich dann weder vom erzwungenen dere Deutsche und Franzosen aber sa benlinie der auch in Preußen herr Rückzug Österreichs aus Italien profi hen den Krieg nicht nur kommen, son schenden Hohenzollern am 21. Juni tieren, noch 1867 Luxemburg erwer dern sie forderten ihn geradezu. 1870 für den spanischen Königsthron. ben. Napoleon III. realisierte aber vor 10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
allem, dass durch den preußischen Personal und Ausrüstung der nach heftigen Kämpfen zum Rückzug Sieg über Österreich die Vormachtstel gegnerischen Heere zu auf Châlons-sur-Marne gezwungen. lung Frankreichs auf dem europäi Kriegsbeginn am 31.8.1870 Am Tag von Wörth endete der fran schen Festland ins Wanken geraten 1 476 zösische Vorstoß auf preußisches Ge Französisches Heer war. Deutsches Heer biet. Teile der deutschen 1. Armee at Die Lage schien sich 1870 zunächst tackierten das französische II. Korps. zu beruhigen, als Prinz Leopold in Ab Sie gerieten jedoch in Bedrängnis, so sprache mit König Wilhelm I. von 1 000 dass sie von der deutschen 2. Armee Preußen am 12. Juli seinen Verzicht auf 900 © ZMSBw unterstützt werden mussten. Mit der 08286-02 die Thronkandidatur erklärte. 800 780 Erstürmung der Spicherer Höhen fan Dann eskalierte die Situation erneut. den diese Kämpfe ihren blutigen Hö Der französische Gesandte Vincent Be 700 hepunkt. Frossard, der durch Bazaine nedetti forderte vom in Bad Ems wei 600 keine Unterstützung mehr erhoffte, lenden Wilhlem I., sich förmlich zu 500 zog sich mit seinen Truppen in Rich entschuldigen und die Garantie zu ge 409 tung Sarreguemines (Saargemünd) zu ben, niemals wieder eine hohenzoller 400 332 354 rück und gab den Weg nach Metz frei. sche Thronkandidatur zu unterstüt 300 244 zen. Verärgert darüber informierte der 200 220 Vom Angreifer zum Verteidiger König seinen Ministerpräsidenten Bis 154 144 marck von seinem Kurort aus über 100 29,5 48 Der Krieg verlagerte sich von da an seine Weigerung der Aufforderung 0 Infan- Kaval- Pionier- Artillerie- Ge- 0 Mitrail- nach Frankreich hinein. Die deutsche nachzukommen. Bismarck kürzte, ver terie- batail- lerie- esca- kompa- batterien schütze nien leusen 2. Armee erhöhte stetig den Druck auf schärfte den Ton der Nachricht und lone dronen Bazaines Truppen. In mehreren rasch ließ die »Emser Depesche« zur Veröf Quellen: Regensberg, 1870/71, Bd. 1, Beilagen 1 bis 3. aufeinanderfolgenden Schlachten in fentlichung an die Presse weitergeben. der Umgebung von Metz war die fran Beide Seiten fühlten sich nun Preußens waren auf die 2. und vor al zösische Führung nicht imstande, brüskiert. In Frankreich wie in den lem auf die 3. Armee verteilt. Die 1. Ar Schwächen des Gegners auszunutzen. deutschen Staaten forderte die Öffent mee war vor Beginn der Kampfhand Die Schlacht bei Mars-la-Tour am lichkeit, mit Gewalt zu reagieren. Am lungen zwischen Saarlouis und 16. August, auch unter den Namen der 19. Juli erklärte Frankreich Preußen Blieskastel aufmarschiert. Die 2. Armee nahegelegenen Ortschaften Rezonville den Krieg. Die Entscheidung dazu aber stand zwischen Homburg und Eden und Vionville bekannt geworden, en war in Paris schon vor der Veröffentli koben und dazu aufschließend befand dete in einem Patt. chung des Schriftstücks gefallen. Nun sich die 3. Armee auf dem rechten Ufer Ungeachtet der nach wie vor starken aber schien es einen öffentlichkeits des Rheins in der Pfalz und Baden zwi französischen Position, ordnete Ba wirksamen Grund zu geben. Der schen Heidelberg und Landau. zaine einen Rückzug auf Stellungen Norddeutsche Bund hatte mit den süd Das deutsche Operationsziel war, die bei Gravelotte und Saint-Privat an, die deutschen Staaten Baden, Bayern, Hes Truppen Mac-Mahons und Bazaines jedoch am 18. August von Teilen der sen-Darmstadt und Württemberg be getrennt voneinander zu schlagen, um deutschen 1. und 2. Armee unter hor reits vorher ein Bündnis für den Fall so auch zu verhindern, dass sie sich renden Verlusten gestürmt wurden. eines französischen Angriffs geschlos vereinigen konnten. Zuerst ging Ba Besonders das preußische Gardekorps sen. zaine nur einen Tag nach der franzö verzeichnete viele Gefallene und Ver sischen Kriegserklärung in die Offen wundete. Das sächsische Armeekorps, Kriegsbeginn sive. Am 19. Juli 1870 rückte das das zur Unterstützung eingriff, erlitt französische II. Korps des Generals sogar an jenem Tag seine schwersten Frankreich hatte sein Feldheer zweige Charles Auguste Frossard im Beisein Verluste im gesamten Krieg. teilt. Die Armeekorps unter dem Befehl des Kaisers und seines Sohnes auf Bazaine beschloss nach der Schlacht von Marschall Patrice de Mac-Mahon preußisches Territorium vor und be bei Gravelotte–Saint-Privat, sich mit sei waren im Unterelsass konzentriert, im setzte am 2. August Saarbrücken. nen Truppen in die Festung Metz zu Vorfeld der nördlichen Vogesen. Sie Gleichzeitig waren Teile der deut rückzuziehen, anstatt zu versuchen, bildeten damit den rechten Flügel des schen 3. Armee gegen Wissembourg sich zur Armee Mac-Mahons durchzu französischen Aufmarsches. Das von (Weissenburg) vorgestoßen. Am 4. Au kämpfen. Metz wurde daraufhin von Marschall François-Achille Bazaine ge gust überrannten sie die dort lagern der deutschen 1. und von Teilen der führte Armeekorps bildete den linken den französischen Truppen. 2. Armee eingeschlossen. Aus den übri Flügel und bedrohte den Raum zwi Zwei Tage später entwickelte sich bei gen Teilen der 2. Armee wurde nun die schen Saarlouis und Saarbrücken. Wörth aus einem Schusswechsel zwi deutsche 4. Armee gebildet, die auch als Den Franzosen standen drei deut schen französischen und deutschen Pa »Maas-Armee« bekannt wurde. An ihre sche Armeen mit preußischen Genera trouillen eine der ersten großen Spitze trat Kronprinz Albert von Sach len an der Spitze gegenüber. Karl Schlachten des Krieges, ausgefochten sen, der bis dahin das XII. (königlich Friedrich von Steinmetz führte die von der 3., der »Kronprinzenarmee« sächsische) Armeekorps geführt hatte. 1. Armee, Prinz Friedrich Karl die 2. und drei französischen Korps unter Albert marschierte zuerst auf die Ar und der preußische Kronprinz Frie dem Oberbefehl von Marschall Mac- gonnen zu. Die 3. Armee unter Kron drich Wilhelm befehligte die 3. Armee. Mahon. Dieser hatte die Stärke des prinz Friedrich Wilhelm bildete im Sü Die Kontingente der Bündnispartner Gegners unterschätzt und sah sich den den linken Flügel des deutschen Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 11
Der Deutsch-Französische Krieg Vormarschs. Mac-Mahon hatte nun sich selbst zu den deutschen Linien nen kontrollierten Gebieten verstärkt keine Möglichkeit mehr, Bazaine im und führte mit dem preußischen Mi durch die Aktivitäten französischer belagerten Metz zu Hilfe zu kommen. nisterpräsidenten von Bismarck in ei Partisanen, von »Franctireurs«, be Seine »Armée de Châlons« rückte aber nem Weberhäuschen in Donchéry ein droht würden. Mit den Geländegewin auch nicht, wie nun geplant und auf vorbereitendes Gespräch, bevor er sich nen wurden die deutschen Nach deutscher Seite gemutmaßt, näher an mit dem König von Preußen beim na schublinien länger und damit Paris heran, um die Hauptstadt zu hegelegenen Schloss Bellevue traf und verwundbarer. schützen, sondern bezog auf politi sich gefangen gab. Die eigentlichen Somit waren die Deutschen gezwun schen Druck hin bei Sedan Stellung. Unterhandlungen fanden später dort gen, immer mehr Truppenkörper von ohne seine Beteiligung statt. Napoleon ihren vier Armeen abzuziehen. Belage Sedan reiste anschließend von Sedan aus als rungen mussten aufrechterhalten wer Kriegsgefangener nach Kassel, wo er den, eroberte oder besetzte Festungen Von diesem Manöver erfuhr die deut auf Schloss Wilhelmshöhe bis März und Städte mit Garnisonen versehen sche Führung nicht zuletzt aus franzö 1871 interniert blieb. und die Versorgungs- und Kommuni sischen Zeitungsberichten. Daraufhin kationslinien gesichert werden. Die bekamen Friedrich Wilhelms und Al September 1870 bis März 1871 verbliebenen Armeekräfte sollten die berts Armeen den Befehl, in Richtung Operationen vorantreiben, um den Sedan zu marschieren. Somit war Mac- Sedan brachte den Untergang des na Gegner zum Frieden zu zwingen. Mahon von überlegenen Kräften ein poleonischen Kaiserreichs, aber nicht Doch stark befestigte und mit be gekreist. Der deutsche Angriff begann das Ende des Krieges. In Paris wurde trächtlicher Artillerie versehene Städte am frühen Morgen des 1. September, am 4. September 1870 die Republik wie Straßburg und Metz waren in der begleitet von massiver Artillerieunter ausgerufen und eine Weiterführung Lage, die deutschen Operationen emp stützung. Die bayerischen Korps bis des Krieges verkündet. Die republika findlich zu stören. Deutsche Truppen sen sich an den von der französischen nische Regierung bemühte sich, neue unter dem Befehl des preußischen Ge Marinedivision verteidigten Ortschaf Armeen aufzustellen. Die deutschen nerals August von Werder schlossen ten Balan und Bazeilles fest. Die fran Streitkräfte sahen sich fortan mit einem Straßburg am 13. August 1870 ein. Um zösischen Truppen wurden immer Gegner konfrontiert, der sich aus den eine schnelle Übergabe zu erzwingen, weiter auf Sedan zurückgedrängt. Resten des kaiserlichen Heeres, der ließ Werder die Stadt beschießen. Napoleon III., krank und matt, nahm Marine und der Afrikaarmee, aber Straßburg kapitulierte schließlich am keinen Einfluss auf die Operationsfüh auch aus Mobilgarden und Freiwilli 28. September 1870 nach schweren Zer rung, fällte am Abend des 1. Septem genverbänden unterschiedlichster störungen. Ein Drittel der Einwohner ber aber die Entscheidung zur Kapitu Qualität zusammensetzte. Die deut war obdachlos geworden. lation. Angekündigt durch General schen Befehlshaber befürchteten nun In Metz entschied sich Marschall Ba André-Charles-Victor Reille, begab er auch, dass ihre Truppen in den von ih zaine, der zuvor wenig energisch ver Moulin la Breche Tannerie Fleigneux La Seierie Olly Schlacht bei Sedan am 1.9.1870 Givon Usine St. Menges xxx Verbois La Chapelle Illy ne St. Albert V. Maison rouge Die »Zange« zwischen Vrigne-aux-Bois xxx ing Maas-Armee und 3. Armee Flo La Virée Ferme XI. schließt sich um 11.30 Uhr Iges la Foulerie Montimont Briancourt xxx Floing xxx Givonne Garde Marancourt VII. xxx Villers Cernay I. xxxx Tour à Glaire Cazal xxx 3. Villette le Haybes xxxx Dancourt s- V. ung Glaire Ferme du Manil leit l Um kana Maas Torcy Daigny Bellevue La Rapille xxx Francheval Petite Moncelle Donchery Sedan La Ramorie XII. sächs. La Jonquette xxx Filature Auberge Maas-Übergang Teile Wadelincourt xxx Rubécourt de Condé 04.00 Uhr II. bayr. XII. La Platinerie Lamécourt ulle Forges Balan le R Frénois xx 7. IV. Bazeilles 0 1 000 2 000 3 000 m Maa s xxx Le Rulle Raffinerie I. bayr. Moulin de Montrutz Le Pont Maugy Cheveuges Filature xx Douzy Höhenangaben Noyers 340 m Maas-Übergang 8. IV. Chiers 310 m Foulerie 04.00 Uhr 280 m Coulan Ferme du Milieu 250 m Aillicourt 220 m 190 m Chaumont-St. Quelle: Kriegsgeschichtliche Abteilung Quentin des Großen General- 160 m stabes, Der Deutsch-französische Krieg 1870 – 71, Plan 9A. Thelonne Remilly © ZMSBw < 160 m 08285-02 12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
sucht hatte, den Belagerungsring auf war entschlossener und wagemutiger dem 28. Mai, dem letzten Tag der »blu zubrechen, am 28. Oktober 1870 zur als noch im Sommer. Die deutschen Ar tigen Woche«, erlebte Paris wiederum Kapitulation. Seine Soldaten empfan meen vermochten nicht mehr wie im schreckliche Bombardements und eine den dies als besonders schändlich, weil August und September, Erfolg an Er gewaltsame Eroberung. der Marschall das deutsche Angebot folg zu reihen. eines ehrenvollen Abzugs der Garni Ein letzter französischer Versuch, Pa Die Folgen son ausgeschlagen hatte. Neben ris zu befreien, scheiterte am 19. Januar 150 000 Kriegsgefangenen konnten die 1871 bei Saint Quentin. Schon am Der Krieg zwischen Deutschen und Sieger die größte Fahnenbeute des 12. Januar war in der Schlacht von Le Franzosen endete schließlich mit dem Krieges machen. Mans die französische Loire-Armee Frankfurter Frieden am 10. Mai 1871: Vor Belfort hingegen scheiterten die des Generals Alfred Chanzy als Bedro Frankreich trat das Elsass und Teile Lo deutschen Belagerer. Die Besatzung hung für die Belagerer von Paris end thringens an das Deutsche Reich ab. Es der Zitadelle hielt unter Colonel Pierre gültig ausgeschieden. hatte innerhalb von drei Jahren Repa Philippe Denfert-Rochereau bis zum Nahezu zur selben Zeit, zwischen rationen von 5 Milliarden Francs zu Waffenstillstand aus und übergab die dem 15. und 17. Januar 1871, wehrte die entrichten. Besatzungstruppen sollten Festung erst am 18. Februar 1871. Armee Werders an der Lisaine letzte in Frankreich stationiert bleiben, bis Angriffe von Charles-Denis-Sauter die Forderungen erfüllt waren. 1873, Paris Bourbakis Ostarmee ab. Da Edwin von früher als festgelegt, waren die Repara Manteuffels Truppen der Ostarmee den tionen gezahlt. Geleitet von der Annahme, die Ein Rückzugsweg Richtung Lyon versperr Die Ergebnisse des letzten der deut nahme von Paris würde das Krieg ten und Werders Armee die Verfolgung schen »Reichseinigungskriege« ver sende bringen, zielte der deutsche aufgenommen hatte, rückte Bourbaki schoben die Machtverhältnisse in Eu Hauptstoß auf die französische Haupt mit seiner Armee immer näher an die ropa und belasteten jahrzehntelang stadt. Die Belagerung von Paris begann Schweizer Grenze heran. Nach Ab das deutsch-französische Verhältnis. am 19. September 1870. Paris war stark schluss eines Abkommens mit dem Zu den damit verbundenen außenpoli befestigt und bewaffnet. 350 000 Mann Schweizer General Hans Herzog über tischen Problemen kamen Fragen der standen letztlich für die Verteidigung schritten die kaum noch kampfbereiten inneren Reichsgründung. Was machte zur Verfügung. Allerdings galt nur ein Reste der französischen Ostarmee bei die deutsche Nation aus und wer sollte Drittel von ihnen als kampfstark. Die Les Verrières zwischen dem 1. und zu ihr gehören? Auf den Vollzug der deutschen Belagerungstruppen von 3. Februar 1871 die Schweizer Grenze. staatlichen Einigung folgte eine Serie anfänglich 150 000 Mann wuchsen von Ausgrenzungsversuchen im In durch Verstärkungen ebenfalls bis auf Versailles 1871 nern des neu geschaffenen Reiches: 400 000 Mann an. Der Chef des preußi Bismarcks gegen die katholische Kir schen Generalstabes, Generalfeldmar Inzwischen war einer der wichtigsten che gerichteter »Kulturkampf« wie schall Helmuth von Moltke, hatte ge politischen Akte der Epoche, die Grün auch seine gegen die Arbeiterbewe hofft, Paris auszuhungern, um eine dung des deutschen Nationalstaats, gung gerichteten Sozialistengesetze. schnelle Kapitulation zu erzwingen. nahezu unbemerkt vollzogen worden. Außerdem belasteten ein unter dem Als es Ende 1870 noch keine Anzeichen Die Proklamation des preußischen Kö Vorwand der Gründerkrise 1873 für eine Bereitschaft zur Kapitulation nigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser aufkommender Antisemitismus, aber gab, eröffneten deutsche Batterien am am 18. Januar 1871 vereinte zwar Gäste auch der fortbestehende Ausschluss 27. Dezember das Feuer auf die Forts aus ganz Deutschland und Abordnun von Frauen von politischer Teilhabe und andere Befestigungsanlagen. Ab gen der deutschen 3. Armee im Schloss das Reich im Innern. dem 5. Januar 1871 fielen Granaten von Versailles, doch nahmen weder die Das Militär hingegen genoss im Deut auch auf die Viertel im Süden und Truppen auf den anderen Kriegsschau schen Kaiserreich höchstes Ansehen. Es Westen der Stadt. plätzen noch die Presse eine besondere galt nicht nur als das Instrument, das Abseits des Belagerungskordons um Notiz von diesem Ereignis. die Einigung ermöglicht hatte, sondern Paris konzentrierte sich die deutsche Kurz darauf, am 23. Januar, begannen auch als Garant nationaler Stärke. Operationsführung darauf zu verhin Verhandlungen unter Leitung Otto von Bis zum 31. Januar 2021 präsentiert dern, dass neu aufgestellte franzö Bismarcks und des französischen Au das Militärhistorische Museum der sische Armeen Paris zu Hilfe kamen. ßenministers Jules Favre, die am 28. Ja Bundeswehr die Ausstellung »Krieg Durch erneute Vorstöße in den Westen, nuar mit dem Abschluss der »Conven Macht Nation – Wie das deutsche Kai Süden und Norden der Republik soll tion von Versailles« endeten. Sie hatten serreich entstand«, die die »Reichseini ten weitere Mobilisierungen verhin die Einstellung der Kampfhandlungen gungskriege« zum Thema haben wird. dert werden. Die harschen Witterungs und faktisch die Übergabe von Paris bedingungen im Spätherbst und im zur Folge. Mit Erlaubnis und Unter Gerhard Bauer Winter 1870/71 zehrten die Soldaten stützung der Sieger wurden umgehend beider Seiten aus. Ausfälle, verursacht Lebensmittel in die Stadt geschafft. durch Krankheiten, nahmen zu. Paris kam jedoch nicht zur Ruhe. Auf Literaturtipps Dennoch trat keine Pause in den grund der Opposition der Kommune Tobias Arand, 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Fran- Kampfhandlungen ein. Die neuen fran von Paris gegen die Regierung der Re zösischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen, Hamburg zösischen Armeen waren aus Truppen publik wurde die Stadt ein weiteres 2018. teilen unterschiedlichster Qualität zu Mal belagert, nun durch französische Michael Epkenhans, Der Deutsch-Französische Krieg sammengesetzt, doch ihre Füh rung Truppen. Zwischen dem 18. März und 1870/71, Ditzingen 2020 (= Kriege der Moderne). Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 13
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