Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch

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Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Heft 1/2020
  ISSN 0940-4163

                   Militärgeschichte im Bild: Spielende Kinder im kriegszerstörten Berlin vor der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

                   Das Kriegsende 1945 in Europa
                   Deutsch-Französischer Krieg 1870/71
                   Das Große Hauptquartier 1914‑1918
                   Der Kapp-Lüttwitz-Putsch

                                                                                                                   ZMS
                                                                                                                   Zentrum für Militärgeschichte
                                                                                                                   und Sozialwissenschaften der
                                                                                                                   Bundeswehr
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Impressum                                          Inhalt
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung                Das Ende des Zweiten Weltkrieges
Herausgegeben                                      in Europa                                          4
vom Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr
durch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann und
Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.)                 Oberstleutnant PD Dr. John Zimmermann,
                                                                      geb. 1968 in Bruchsal/Baden,
Verantwortliche Redakteure der aktuellen                        Leiter Forschungsbereich Deutsche
Ausgabe:                                                     Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw
Oberleutnant Helene Heldt M.A.
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa

Redaktion:
Cornelia Grosse M.A. (cg)
Oberleutnant Helene Heldt M.A. (hh)
                                                   Der Deutsch-Französische
Major Chris Helmecke M.A. (ch)                     Krieg 1870/71                                      10
Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj)
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)
Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks)
                                                   Wissenschaftlicher Oberrat Dr. Gerhard Bauer,
Bildredaktion: Esther Geiger                                geb. 1963 in Erding, Sachgebietsleiter
Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić                                    Uniformen/Feldzeichen am
Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli,                              Militärhistorischen Museum Dresden
Frank Schemmerling
Layout: Carola Klinke
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr                Das Große Hauptquartier von
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam                   1914 bis 1918                                      14
E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@
bundeswehr.org
Homepage: www.zmsbw.de
Manuskripte für die Militärgeschichte werden
                                                       Oberst a.D. Dr. Gerhard P. Groß, geb. 1958
an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein-
                                                                   in Mainz, ehemaliger Leiter des
gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch
                                                                    Forschungsbereiches Deutsche
                                                            Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw
Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He-
rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung,
Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er-
folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak­
tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor.
Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen
Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver-
                                                   Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach      Krise der Weimarer Republik                        18
vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die   im März 1920
Redaktion übernimmt keine Verantwortung für
die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten
Webseiten und deren Unterseiten.                           Oberstleutnant Dr. Martin Hofbauer,
                                                         geb. 1969 in Passau, Leiter Projektbereich
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von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner-
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                                                   Das historische Stichwort:
Druckhaus Plagge GmbH
An der Feuerwache 7, 49716 Meppen,
                                                   Siegessäule und Friedensengel 22
E-Mail: info@druckhaus-plagge.de                   Neue Medien                   24
© 2020 für alle Beiträge beim                      Lesetipps26
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)        Die historische Quelle        28
Druck:                                             Geschichte kompakt            29
Druckhaus Plagge GmbH, Meppen                      Ausstellungen30
ISSN 0940-4163
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Grußwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
                                     8. Mai oder 2. September 1945? Wann ge­
                                     nau endete der Zweite Weltkrieg? In Eu­
                                     ropa ist die Antwort klar: am 8. Mai. An je­
                                                                                    Militärgeschichte
                                     nem Tag trat die von Generaloberst Alfred
                                     Jodl gegenüber dem Oberbefehlshaber der
                                                                                    im Bild
                                     alliierten Streitkräfte in Europa, General
                                     Dwight D. Eisenhower, am Tag zuvor un­         Mahnmal für Frieden
                                     terzeichnete bedingungslose Kapitulation       und Versöhnung31
                                     in Kraft. Am 8. Mai unterschrieb General­
                                     feldmarschall Wilhelm Keitel eine zweite
                                     Kapitulationserklärung gegenüber der
                                     Sowjetunion. Im Pazifik kämpften die Alli­
                                     ierten gegen Japan und seine Verbündeten
                                     indes weiter. Hier dauerte der Krieg noch
                                     bis zum Spätsommer 1945. Mit den beiden
                                     Atombombenabwürfen auf Hiroshima
und Nagasaki fand er ein erschreckendes Ende. Japan kapitulierte am 2. Sep­
tember 1945.
  Beide Daten sind somit inhaltlich korrekt und verdeutlichen gleichwohl ei­
nes der Kernprobleme der Geschichtswissenschaft: Die Annäherung an eine
historische Wahrheit – mehr als das ist nicht möglich – ist immer eine Frage
der Perspektive. Diese, ob regional, national oder global, individuell oder kol­
lektiv, leitet die historische Interpretation des Faktischen und bestimmt dar­
über hinaus die Erinnerung.
  Der Blick auf das Ende eines historischen Ereignisses oder Prozesses ist zu­      Spielende Kinder im kriegszerstörten Berlin vor
gleich oft mit einer Bilanzierung verknüpft. Und diese ist für den Zweiten          der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.
                                                                                    Foto: akg-images/Fritz Eschen
Weltkrieg nicht nur unvorstellbar in ihren Dimensionen, sondern durch
nackte Zahlen auch kaum auszudrücken: 65 Millionen Kriegstote. Zusammen
mit den Opfern von Verbrechen im Krieg sind es etwa 80 Millionen Tote. Über
30 Millionen Menschen verloren außerdem ihre Heimat, Städte und Regionen
wurden völlig zerstört, Familien auseinandergerissen oder ausgelöscht.
  John Zimmermann blickt in der vorliegenden Ausgabe der Militärge-
schichte auf das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Er beschreibt die
Skrupellosigkeit der deutschen Kriegführung seit Beginn des Krieges und be­
leuchtet insbesondere die Ereignisse im letzten Kriegsjahr: Von den Versu­
chen der deutschen politischen und militärischen Führung, durch immer
neue Operationen die unvermeidliche Niederlage hinauszuzögern, über den
Umgang mit Deserteuren innerhalb der Wehrmacht bis hin zu den Teilkapi­
tulationen. Auch für die Wehrmacht wurde das letzte Kriegsjahr dadurch
zum brutalsten: Die Verluste waren höher als in allen vorherigen Kriegsjah­
ren zusammen.
  In der kommenden Ausgabe der Militärgeschichte wird sich Takuma Mel­
ber mit dem Zweiten Weltkrieg nach dem Mai 1945 befassen und seinen Blick,
weg von Europa, hin zum pazifischen Raum wenden. Dort befand sich Japan
mit China bereits seit 1937 im Krieg. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor am
7. Dezember 1941 gerieten die USA in schwere Insel- und Flottengefechte mit
dem japanischen Militär.
  Der Zweite Weltkrieg war ein globaler Krieg. So, wie man sein Ende aus un­
terschiedlichen Perspektiven betrachten kann, so auch seinen Anfang. Doch
das ist wieder ein anderes Thema. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche
Lektüre!

Ihr
Chris Helmecke
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Ende des Zweiten Weltkrieges

                                                                                                                                              IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo
    5Mai 1945: Zwei Soldaten der Roten Armee in der Neuen Reichskanzlei in Berlin. Zu ihren Füßen liegt das zerstörte Symbol der
        nationalsozialistischen Herrschaft.

                                Das Ende des Zweiten
                                Weltkrieges in Europa
    Unmittelbar kamen 65 Millionen Men-                    tungskrieg im Osten Europas. Im Un­       Der Anfang vom Ende
    schen zu Tode und mittelbar weitere                    terschied zum Ersten Weltkrieg kann
    15 Millionen, mehr als 30 Millionen mus-               man über das Motiv 1939 nicht strei­      Jenes hatte ihn und seine National­
    sten als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen.            ten. Adolf Hitler hatte nie einen Hehl    sozialistische Deutsche Arbeiterpartei
    Ungezählte Menschen wurden an Körper                   daraus gemacht, wie er sich die Welt      (­NSDAP) in mehreren Wahlen hinter­
    und Seele verletzt. Schon die nackten Zah-             vorstellte und wie er diesen Zustand      einander zur mit weitem Abstand
    len künden von den unvorstellbaren Di-                 herzustellen gedachte. Die militärische   stärksten politischen Kraft gemacht.
    mensionen des Zweiten Weltkrieges, den                 Führung des Deutschen Reiches weihte      Viele sehnten sich nach einem »starken
    die Aggressoren aus Deutschland und Ja-                er bereits 1933 ein, vier Tage nachdem    Mann«, der Ordnung, Sicherheit und
    pan über ihre Nachbarn gebracht hatten.                er vom Reichspräsidenten Paul von         Wohlstand versprach. Sie waren in der
                                                           Hindenburg zum Reichskanzler er­          »Weimarer Republik« nie wirklich an­

   I
      m Zweiten Weltkrieg sind beispiel­                   nannt worden war: Es ging um die          gekommen oder hatten sie gar von An­
      lose Verbrechen von Deutschen oder                   Wiederherstellung des Großmachtsta­       fang an abgelehnt, nicht wenige be­
      in deutschem Namen begangen wor­                     tus und die Eroberung von Lebens­         kämpften sie aktiv. Zählt man die
    den: allen voran die Ermordung der                     raum im Osten Europas für das deut­       Stimmen derjenigen zusammen, die
    europäischen Juden und der Vernich­                    sche Volk.                                bei den Reichstagswahlen 1932/33 für

    4       Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Eine Kolonne sowjetischer Kriegsge-                                                                                     SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo
                                       fangener marschiert im Oktober 1941
                                       in ein Sammellager.

                                     Parteien votierten, die im Kern Repu­
                                     blik und Demokratie ablehnten, so war
                                     beides mit überwältigender Mehrheit
                                     abgewählt worden. Insofern wird die
                                     nach Kriegsende gelieferte Argumen­
                                     tation, die Mehrheit der Deutschen
                                     habe Hitler nie gewählt, sehr deutlich
                                     relativiert. Zudem unterstützten die
                                     weitaus meisten die unter ihm rasch
                                     installierte Diktatur. Noch nach dem
                                     Ende des Zweiten Weltkrieges meinte
                                     rund die Hälfte der Deutschen, der Na­
                                     tionalsozialismus sei eine im Grunde
                                     gute Idee, die nur schlecht ausgeführt
                                     worden sei. Insbesondere die Friedens­
                                     jahre des NS-Regimes empfanden viele
                                     im Nachhinein als »die gute Zeit«,
                                     manche sogar als die beste Zeit in der
                                     deutschen Geschichte.
                                        Das erscheint unfassbar angesichts    tionen bestehend durchstreiften mit             der verhungern oder sich für die Deut­
                                     der Tatsache, dass das NS-Regime von     vorher zusammengestellten Listen                schen zu Tode schuften. Der »slawische
                                     Anfang an ein verbrecherisches war,      Polen, verhafteten und ermordeten
                                                                              ­                                               Untermensch«, wie ihn die NS-Propag­
                                     das seine Gegner oder zu solchen Er­     ­Menschen von der politischen über die          anda bezeichnete, hatte nur als Arbeits­
                                     klärte ausgrenzte, kriminalisierte und    Bildungs- bis hin zur religiösen Elite.        sklave eine Berechtigung, ansonsten
                                     ermordete. Über sechs Millionen          Nicht nur das Land selbst wurde skru­           war er völlig entrechtet. Schon in den
                                     ­jüdische Männer, Frauen und Kinder      pellos ausgeplündert, sondern die               Befehlen an die Wehrmacht vor Beginn
                                     wurden umgebracht, die Mehrzahl in        polnische Bevölkerung gleich mit.
                                                                               ­                                              des Überfalls auf die Sowjetunion hob
                                     eigens dafür eingerichteten »Mord­        Hunderttausende wurden als Zwangs­             die militärische Führung jede Be­
                                     fabriken«.                                arbeiterinnen und Zwangsarbeiter               schränkung auf. Die programmatische
                                        Im Osten Europas führte die Wehr­      missbraucht. Und all das sollte doch           Bezeichnung Unternehmen »Barba­
                                     macht einen geplanten und organisier­     nur der »Auftakt zum Vernichtungs­             rossa« war dabei angelehnt an den
                                     ten Raub- und Vernichtungsfeldzug.        krieg« (Jochen Böhler, Historiker) sein,       Stauferkaiser Friedrich I. »Barbarossa«,
                                     Gefangene polnische Soldaten erschoss     der 1941 in die Sowjetunion hineinge­          der im 12. Jahrhundert einen Kreuzzug
                                     man bereits 1939 nach dem Überfall        tragen wurde.                                  ins »Heilige Land« angeführt hatte. Zi­
                                     auf ihr Land mitunter einfach. Mörder­      Über drei Millionen kriegsgefangene          vilisten konnten nicht nur Opfer des
                                     banden aus Polizei- und NS-Organisa­     sowjetische Soldaten ließ man entwe­            Kriegsgeschehens werden, die Men­
                                                                                                                              schen in der Sowjetunion waren das
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                                                                                                                              Ziel der militärischen Operationen.
                                                                                                                                Rund 27 Millionen fielen der deut­
                                                                                                                              schen Kriegführung und ihren Folgen
                                                                                                                              in der gesamten Sowjetunion zum Op­
                                                                                                                              fer! Nur etwa die Hälfte von ihnen wa­
                                                                                                                              ren Soldaten – und damit immer noch
                                                                                                                              weit mehr als doppelt so viele, wie die
                                                                                                                              Gesamtverluste der Wehrmacht im
                                                                                                                              Zweiten Weltkrieg ausmachten.
                                                                                                                                Die Wehrmacht unterstützte die NS-
                                                                                                                              Mörderbanden bei ihren Vernichtungs­
                                                                                                                              zügen nicht nur logistisch, sondern sie
                                                                                                                              beteiligte sich oft genug direkt an den
                                                                                                                              Kriegsverbrechen und beging sie
                                                                                                                              selbst, vom Raub bis zu Vergewalti­
                                                                                                                              gung und Mord. Für so gut wie nichts
                                                                                                                              mussten sich deutsche Soldaten ver­

                                                                                                                              Gefangene nach der Befreiung des
                                                                                                                                 Konzentrationslagers Wöbbelin bei
                                                                                                                                 Ludwigslust durch amerikanische Sol-
                                                                                                                                 daten (undatierte Aufnahme).

                                                                                                  Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020       5
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Ende des Zweiten Weltkrieges

                                       antworten. Im Gegenteil: Etliche Be­                zweite Front in Europa. Nach harten        Die deutsche Kriegführung
                                       fehle verboten gar jedes Mitgefühl und              Kämpfen gelang dort der Ausbruch
                                       ordneten ausdrücklich grausames                     aus dem Brückenkopf und von da an          Ab der zweiten Jahreshälfte 1944
                                       Handeln an. Bis auf ganz wenige Aus­                gab es kein Halten mehr. Im September      konnte der Wehrmacht daher immer
                                       nahmen exekutierte die deutsche Ge­                 1944 war die Wehrmacht in die Nieder­      weniger geliefert werden, was sie für
                                       neralität und Admiralität Hitlers Wei­              lande und auf die Reichsgrenze zu­         eine noch so rudimentäre Kriegfüh­
                                       sungen fraglos – und nicht nur an                   rückgedrängt, hatte zuvor in Frank­        rung benötigte. Für die Fahrzeuge
                                       dieser Front: Die Hakenkreuzfahne                   reich Hunderttausende Männer und           fehlte es an Treibstoff, für die Panzer
                                       wehte an der Jahreswende 1942/43                    nahezu ihr gesamtes Großgerät verlo­       und Geschütze noch dazu an Munition.
                                       vom höchsten Berg Europas, dem El­                  ren. Nur weil der Nachschub den ra­        Bis hinunter zu den Handwaffen der
                                       brus im Kaukasus, über dem Balkan,                  santen Erfolgen der eigenen Verbände       Soldaten setzte sich das Waffenarsenal
                                       den griechischen Inseln im Mittelmeer,              nicht hinterherkam, musste die westal­     zu immer größeren Teilen aus Bestän­
                                       über Nordafrika, West- und Nordeu­                  liierte Führung den Vormarsch stop­        den aller von der Wehrmacht ausge­
                                       ropa bis hinauf zum Nordkap.                        pen und ihre Truppen neu ordnen.           plünderten Länder zusammen – mit
                                         Durch die vielen Eroberungen waren                   Nicht anders im Osten: Abgestimmt       ­allen Folgeproblemen für den Nach­
                                       die deutschen Linien am Ende völlig                 auf die Landung in der Normandie            schub. Aus Kriegsgefangenen und
                                       überdehnt. Zwar gelang 1944 der deut­               überrannte die Rote Armee die Heeres­       Zwangs­arbeitern mussten an wichti­
                                       schen Rüstungsindustrie noch ein Re­                gruppe Mitte, drängte die deutsche          gen Hangstraßen »Schiebekomman­
                                       kordausstoß an Waffen und Munition                  Ostfront auf einer Breite von über tau­     dos« zusammengezogen werden, weil
                                       – auf dem Rücken der Zwangsarbeite­                 send Kilometern bis zu 600 Kilometer        es sich beim Fuhrpark der Wehrmacht
                                       rinnen und Zwangsarbeiter, die sich                 nach Westen zurück und schnitt die          um eine denkwürdige Ansammlung
                                       im Reich zu Tode schuften mussten,                  Heeresgruppe Nord von allen Land­           von pferdebespannten Gefährten,
                                       aber auch durch die skrupellose Aus­                verbindungen ins Reich ab. Drei der         landwirtschaftlichen Zugmaschinen
                                       beutung der besetzten Länder, vor al­               vier Armeen der Heeresgruppe Mitte          und handelsüblichen Kraftfahrzeugen
                                       lem der Sowjetunion.                                wurden dabei aufgerieben, 28 ihrer 38       handelte, darunter so viele mit Holz­
                                         Die Niederlage von Stalingrad An­                 Divisionen zerschlagen, rund 190 000        vergasern, dass in jeder Ortschaft ent­
                                       fang 1943 und die Kapitulation der                  Mann getötet oder verwundet und             lang der Hauptstraßen Depots mit
                                       Heeresgruppe Afrika wenige Monate                   160 000 gefangengenommen. Auch hier         Tankholz angelegt werden mussten.
                                       später markierten die Kriegswende.                  erlaubten alleine sowjetische Nach­         Die meisten Fahrzeuge hatte außerdem
                                       Von da an befand sich die Wehrmacht                 schubschwierigkeiten den deutschen          keine Gummireifen mehr, die solange
                                       auf dem Rückzug im Osten und nach                   Truppen, die Front noch einmal eini­        durch Holzreifen ersetzt wurden, bis
                                       den gelungenen Landungen der west­                  germaßen zu stabilisieren.                  auch jene zur Mangelware wurden.
                                       lichen Alliierten in Italien im Sommer                 Zusätzlich bombardierten westalli­         Das Gros der Soldaten war aber oh­
                                       1943 allmählich auch im Westen, bis                 ierte Flugzeugflotten Tag und Nacht         nehin zu Fuß unterwegs, wenn sie
                                       der Sommer 1944 schließlich die end­                deutsche Städte. Sie konnten nun von        nicht zu den wenigen fahrradbewegli­
                                       gültige Entscheidung brachte: Die                   Flugfeldern auf dem europäischen            chen Verbänden gehörten, die allen
                                       Landung der Westalliierten in der Nor­              Kontinent starten, errangen bald die        Ernstes als »Mittel der oberen Führung
                                       mandie und in Südfrankreich schuf die               Luftüberlegenheit und zerstörten un­        zur beweglichen Bekämpfung durch­
                                       von Stalin lange schon geforderte                   gehinderter vor allem die Infrastruktur.    gebrochener Panzerkräfte« und zur
                                                                                                                                       »bewegliche[n] Reserve der oberen
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                                                                                                                                       Führung« eingesetzt wurden. Fast ist
                                                                                                                                       es müßig zu sagen, dass auch diese
                                                                                                                                       bald auf den Felgen daherkamen.
                                                                                                                                         Doch die Deutschen kämpften weiter
                                                                                                                                      – jedenfalls im Osten, wo sie die Rache
                                                                                                                                      der Roten Armee fürchteten und eine
                                                                                                                                      Evakuierung der Bevölkerung erst
                                                                                                                                      sehr spät erlaubt wurde. Im Westen
                                                                                                                                      hingegen hatte das Regime die Eva­
                                                                                                                                      kuierung der Einwohner angeordnet,
                                                                                                                                      aber die meisten wollten nicht gehen:
                                                                                                                                      Die Menschen dort hatten vor den ei­
                                                                                                                                      genen Soldaten bald mehr Angst als
                                                                                                                                      vor den gegnerischen, was nicht nur
                                                                                                                                      am teilweise marodierendem Verhal­
                                                                                                                                      ten, sondern vor allem an der Art und
                                                                                                                                      Weise lag, wie die Wehrmacht den
                                                                                                                                      Krieg auf eigenem Boden fortsetzte.

                                                                                                                                      Angehörige der Wehrmacht auf Fahrrä-
                                                                                                                                        dern mit Panzerfäusten, eingesetzt als
                                                                                                                                        »fliegendes Jagdkommando« gegen so-
                                                                                                                                        wjetische Panzer in Breslau, März 1945.

                                       6    Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Die während der deutschen Ardennen-
  offensive 1944 belagerte und bombar-
  dierte Stadt Bastogne.

  Bereits Mitte September 1944 hatte
Hitler gefordert, dass das Erreichen
der Reichsgrenzen die Kampfführung
nicht nur der Truppen, sondern der ge­
samten Bevölkerung fanatisieren
müsse. Jedes Haus, jedes Dorf und jede
Stadt sollten zur Festung werden, un­
ter deren Ruinen sich die Verteidiger
notfalls begraben zu lassen hätten. Die
Aufstellung des »Volkssturms« im Ok­
tober 1944 mobilisierte alle noch nicht
einberufenen männlichen Deutschen
zwischen 16 und 60 Jahren. Der militä­
rische Wert des »Volkssturms« war ge­
ring, und oft genug erwiesen sich seine
Verbände für die Wehrmacht mehr als
Belastung denn Verstärkung. Kaum
ausgerüstet und ausgebildet, kämpfte              IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo

die Miliz an der Ostfront stellenweise
verzweifelt, im Westen hingegen löste             um dessen Aussichtslosigkeit sie längst               brach jedoch die Offensive zusammen;
sie sich meist schnell wieder auf.                wusste, verweist auf eine weitere Di­                 knapp sechs Wochen nach dem Beginn
  Hatte Skrupellosigkeit die deutsche             mension ihrer Verantwortungslosig­                    standen die deutschen Verbände wie­
Kriegführung von Anfang an gekenn­                keit. Weder existierte ein Plan zur                   der in ihren Ausgangsstellungen. Bis
zeichnet, wurde sie im Kontext der zu­            Reichsverteidigung noch standen nach                  zu diesem Zeitpunkt waren beiderseits
nehmenden Unzulänglichkeiten sogar                den Desastern an der West- und Ost­                   der Fronten rund 143 000 Mann tot,
zur Tugend umgedeutet. Der »Füh­                  front ausreichend Bodentruppen zur                    verwundet, vermisst oder gefangen.
rer«-Befehl vom 28. November 1944                 Verfügung, Luftwaffe und Marine wa­                   Militärisch bewirkt hat die Offensive
verlangte den »rücksichtslosen Einsatz            ren völlig ineffektiv.                                das genaue Gegenteil der eigentlichen
jedes einzelnen, todesmutige Tapfer­                Stattdessen überboten sich die militä­              Absicht: Sie hatte endgültig alle deut­
keit der Truppen, standhaftes Aushar­             rischen Führer mit pathetischen                       schen Reserven aufgebraucht, von nun
ren aller Dienstgrade und unbeugsame              Durchhaltebefehlen. Ausschlaggebend                   an lebten die deutschen Truppen im
überlegene Führung«. Dass die Wehr­               dafür, ob eine Maßnahme noch ange­                    Westen nur noch »von der Hand in den
machtführung einen Krieg fortsetzte,              ordnet wurde, war kein militärischer                  Mund«.
                                                  Nutzen mehr. Entscheidend war al­                       Trotzdem wurde der Krieg fortge­
                                                  leine die Tatsache, dass die Mittel für               setzt, mit noch jüngeren, noch schlech­
                                                  die befohlene Aktion noch vorhanden                   ter oder gar nicht ausgebildeten und
                                                  waren. Daneben sekundierten die be­                   ausgerüsteten Soldaten. Anfang 1945
                                                  fehlshabenden Offiziere ihrem »Füh­                   war zunächst der Geburtsjahrgang
                                                  rer« weiterhin beim Terror, jetzt auch                1928 an der Reihe, im Februar lief be­
                                                  gegen die eigene Bevölkerung und                      reits die Einziehung des Jahrganges
                                                  Truppen, und schickten die ihnen an­                  1929 an. Die noch verbliebenen Ausbil­
                                                  vertrauten Soldaten in die aussichtslo­               dungs- und Ersatzeinheiten wurden an
                                                  sesten Gefechte.                                      die Front geworfen und sogar die Auf­
                                                                                                        stellung eines Frauenbataillons ange­
                                                  Die letzte deutsche                                   ordnet – ein Tabubruch, denn aus NS-
                                                  Großoffensive                                         Sicht sollten Frauen sich um Heim und
                                                                                                        Herd kümmern und den Männern die
                                                  Als Paradebeispiel kann dafür die Ar­                 Kriegführung überlassen. Statistisch
                                                  dennenoffensive gelten: Als niemand                   betrachtet, hatte ein Anfang 1945 ein­
                                                  mehr mit einer solchen Operation rech­                gezogener Rekrut dieselbe Überleben­
                                                  nete, griffen drei deutsche Armeen am                 schance wie einer, der seit 1939 bereits
                                                  16. Dezember 1944 zwischen Mon­                       Soldat war, nämlich vier Wochen.
                                                  schau und Echternach Richtung Ant­                      So avancierte die Ardennenoffensive
                                                  werpen an. Kaum acht Tage später                      zum Menetekel für all das, was an

                                                  Deutsche Soldaten, die von fliegenden Standgerichten zum Tode verurteilt und zur
                                                    Abschreckung öffentlich gehängt​wurden. Sie hatten geplant, Wien unter Vermei-
             SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo
                                                    dung weiterer Kämpfe an die vorrückenden sowjetischen Trupp​en zu übergeben,
                                                   Frühjahr 1945.

                                                                            Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020   7
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Ende des Zweiten Weltkrieges

    »Kriegführung« im letzten halben Jahr               Terrorisierung und Fanatismus                   Mehr als Menschenleben vermochte
    des Krieges in Europa noch kommen                                                                die deutsche Führung ihren Gegnern
    sollte. In einem Weltkrieg voller Tief­             Wer all das nicht mehr mitmachen             in der letzten Phase des Krieges nicht
    punkte bildete sie einen weiteren in                wollte, wurde zunehmend drangsa­             mehr entgegenzusetzen, als die Alli­
    der Reihe der skrupellosen Unterneh­                liert. Bei abgeschnittenen Truppentei­       ierten im Januar 1945 ihre Großoffensi­
    mungen der Wehrmachtführung.                        len räumte ein Befehl des Oberkom­           ven zur endgültigen Eroberung des
    Diese hatte vorher gewusst, dass es ih­             mandos der Wehrmacht Ende Januar             Reichsgebietes starteten. Im Westen
    ren Verbänden längst an allem man­                  1945 jedem Soldaten gleich welchen           setzten sie im März über den Rhein
    gelte, was für eine solche Operation ge­            Dienstgrades ein, die Kommandoge­            und erreichten im April die Elbe, wo
    braucht wurde. Sie war nicht einmal                 walt zu übernehmen, sofern er nur be­        sie auf die vorstoßende Rote Armee
    mehr fähig, die Pläne »handwerklich                 reit war, mit seiner Truppe weiterzu­        trafen – medienwirksam inszeniert bei
    korrekt« umzusetzen: Wegen der ange­                kämpfen. Im Monat darauf wurde               Torgau. Hart gekämpft wurde aber
    ordneten Geheimhaltung fanden keine                 nicht nur verlangt, dass auf »Überläu­       weiterhin im Osten, im Westen nur
    Erkundungen statt und wegen der                     fer [...] von jedem sofort das Feuer zu      dort, wo fanatisierte Endkämpfer dazu
    ständig drohenden alliierten Jagdbom­               eröffnen« sei, sondern auch verfügt,         zwangen oder ein rechtzeitiges Aus­
    bergefahr konnte nur nachts bis in die              dass »[j]eder, der nicht schießt, [...] zu   weichen nicht mehr möglich war. Re­
    Angriffsräume marschiert werden. Die                bestrafen« sei. Außerdem waren Solda­        lativ willkürlich kam es dabei zu bluti­
    Truppen stießen in der Regel in ihnen               ten, »die abseits ihrer Einheit auf Stra­    gen Gemetzeln wie jenem im
    völlig unbekanntes Terrain vor, und                 ßen, [...] ohne verwundet worden zu          Hürt­genwald, manchmal auch in eini­
    zudem auf einen Gegner, über den sie                sein angetroffen werden und angeben,          gen Städten, Dörfern oder auch nur
    nichts wussten; weder Absprachen                    Versprengte zu sein, standrechtlich zu        Gehöften.
    noch Verbindungen untereinander                     erschießen«. Die jeweiligen Komman­             Anders als im Ersten Weltkrieg, gab
    funktionierten.                                     deure hatten dazu wöchentlich zu mel­         es keinen in der militärischen Führung
      Doch auch damit nicht genug: Als                  den, nicht ob, sondern »wie viel [sic!]       des Deutschen Reiches, der für einen
    die Ardennenoffensive längst abgebro­               Soldaten standrechtlich erschossen            Waffenstillstand oder gar eine Kapitu­
    chen war, starteten am 1. Januar 1945               wurden«. Deren tatsächliche Zahl wird         lation die Verantwortung zu überneh­
    rund 900 deutsche Kampfflugzeuge ei­                wohl nie genau ermittelt werden kön­          men bereit gewesen wäre. Die Männer
    nen Angriff auf alliierte Frontflug­                nen.                                          und Frauen des 20. Juli 1944 waren es,
    plätze in Belgien, den Niederlanden                   Von allen Fronten liegen Beispiele         doch nach dem gescheiterten Attentat
    und in Nordfrankreich. Fast ein Drittel             vor, dass tatsächliche oder vermeintli­      und Putschversuch fand sich niemand
    der Maschinen wurden dabei abge­                    che Deserteure, Befehlsverweigerer           mehr. Selbst die verbrecherischen Pala­
    schossen, auch von der eigenen Luftab­              oder sogenannte Defätisten kurzer­           dine des Regimes wie Hermann Gö­
    wehr. Das Unternehmen »Boden­                       hand an Bäumen und Laternen aufge­           ring, Heinrich Himmler oder Joseph
    platte« war so konspirativ vorbereitet              hängt oder einfach niedergeschossen          Goebbels dachten früher über eine
    worden, dass man die deutsche Luftab­               worden sind. Dabei stand die Wehr­           Aufgabe nach als die Generale und Ad­
    wehr schlicht nicht informiert hatte.               macht der NSDAP oder SS in nichts            mirale.
                                                        nach.                                           Mit SS-Obergruppenführer und Ge­
                                       bpk/US-Army
                                                          Unter diesem Terror, aber auch aus          neral der Waffen-SS Karl Wolff war ein
                                                        Überzeugung, die Pflicht tun zu müs­          Angehöriger der NS-Nomenklatura
                                                        sen, führten die Soldaten einen Krieg         der Strippenzieher der ersten Teilkapi­
                                                        fort, der nach dem Juli 1944 fast ge­         tulation in Norditalien am 29. April
                                                        nauso viele Tote von der Wehrmacht           1945. Sein Oberbefehlshaber Südwest,
                                                        forderte, wie in den Jahren zuvor zu­        Generaloberst Heinrich von Vieting­
                                                        sammengerechnet, indem ab Dezem­             hoff – genannt von Scheel, der das
                                                        ber 1944 monatlich noch etwa 300 000         ­Vorgehen absegnete, wurde dafür von
                                                        deutsche Soldaten fielen, im Januar           seinem Vorgesetzten, Generalfeldmar­
                                                        1945 gar 450 000. Darüber hinaus kos­         schall Albert Kesselring, zwischenzeit­
                                                        tete dieses Weitermachen auch in den          lich sogar festgenommen. Erst nach
                                                        anderen an dem Krieg beteiligten              der Selbsttötung Hitlers am 30. April
                                                        Streitkräften Tote und Verletzte und          wurde die unterzeichnete Kapitula­
                                                        ermöglichte außerdem die Fortfüh­             tionsurkunde bestätigt, am 2. Mai ka­
                                                        rung der eskalierenden Mordmaschi­            pitulierte der Kampfkommandant von
                                                        nerie des NS-Regimes. Und bevor die           Berlin, zwei Tage später der neu er­
                                                        SS die Vernichtungslager vor dem An­          nannte Oberbefehlshaber der Kriegs­
                                                        sturm der Rotarmisten zerstörte, um           marine, Generaladmiral Hans-Georg
                                                        die eigenen Blutspuren zu verwischen,        von Friedeburg, im Hauptquartier des
                                                        schickte man die noch Lebenden auf           britischen Generalfeldmarschalls Ber­
                                                        Todesmärsche in Richtung der eigenen         nard L. Montgomery bei Lüneburg für
                                                        Frontlinien, was weitere mehr als            alle im Nordraum kämpfenden Trup­
                                                        700 000 Opfer forderte.                      pen; am 5./6. Mai gaben die deutschen

                                                        In der Isenschnibber Feldscheune wurden 1016 KZ-Häftlinge am 13. April 1945 von
                                                          der SS ermordet und anschließend verbrannt.

    8    Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

                                                                                                                              Das Foto eines amerikanischen
                                                                                                                                 Kriegsberichterstatters zeigt die in
                                                                                                                                 ihren Kampfstellungen im Hürtgen­
                                                                                                                                 wald gefallenen Kinder­soldaten von
                                                                                                                                 Hitlers letztem Aufgebot.

                                                                                                                              davon aber nichts gewusst. Zwei Tage
                                                                                                                              zuvor hatte er für Aussagen gegenüber
                                                                                                                              den Alliierten Folgendes empfohlen:
                                                                                                                              »Hunger, Seuchen, Kommunismus.
                                                                                                                              Das ist die Parole.« Am 19. Mai folgte
                                                                                                                              schließlich noch eine präzisierende
                                                                                                                              Unterrichtung zur »Einstellung zur
                                                                                                                              Frage des uneingeschränkten Gehor­
                                                                                                                              sams und damit gegen die Anschuldi­
                                                                                                                              gungen über die sogenannten Kriegs­
                                                                                                                              verbrecher«. »Unsauber« sei in diesem
                                                                                                                              Krieg »die Menschenvernichtung
                                                                                                                              Himmlers und Hitlers« gewesen, aber
                                                                                                                              gegen sie habe er, Dönitz, »in der
                                                                                                                              Hauptsache aus Unkenntnis« nichts
                                                                                                                              unternommen.
                                                                                                                                Mit den zentralen Stichworten »Hel­
                                                                                                                              dentum«, »Kameradschaft«, »Ehre«,
                                                                                                                              »Pflicht«, »Volk«, »Vaterland« und
                                    Truppen im Süden auf – das alles ge­      Truppenbewegungen nicht stören                  »Familie« nahm Dönitz darüber hin­
                                    schah freilich nicht im Sinne Hitlers:    durften und der Transportraum für               aus die Argumentationsmuster der
                                       Denn bevor er sich erschoss, hatte     den militärischen Nachschub einge­              deutschen Memoirenliteratur vorweg,
                                    der deutsche Diktator den Oberbe­         setzt worden ist. Der ultimativen For­          die schließlich die Legende von der
                                    fehlshaber der Kriegsmarine, Großad­      derung des Oberbefehlshabers der                »sauberen Wehrmacht« kreierten. Em­
                                    miral Karl Dönitz, zu seinem Nachfol­     westalliierten Streitkräfte, Dwight D.          pathiefrei gegenüber den Opfern eig­
                                    ger ernannt. Dönitz forderte noch am      Eisenhower, nach einer Gesamtkapitu­            neten sich die vormaligen Generale die
                                    5. Mai zum Weiterkämpfen gegen die        lation konnte sich aber schließlich auch        Meinungsführerschaft an. Hier spre­
                                    Rote Armee auf. Auch eine ganze Reihe     Dönitz nicht mehr entziehen. Am                 chen schon die gewählten Titel für
                                    von Truppenführern wie der Nazi-Ge­       7. Mai unterzeichnete Generaloberst             sich: »Heer in Fesseln« (Siegfried West­
                                    neral schlechthin, Generalfeldmar­        Alfred Jodl im westalliierten Haupt­            phal, 1950), »Erinnerungen eines Sol­
                                    schall Ferdinand Schörner, schlossen      quartier in Reims die Bedingungslose            daten« (Heinz Guderian, 1950), »Sol­
                                    jegliche Kapitulation aus, und wollten    Kapitulation, am 8./9. Mai wurde der            dat unter Soldaten« (Dietrich von
                                    wie die in Skandinavien kommandie­        Akt im Hauptquartier der Roten Ar­              Choltitz, 1951), »Soldat bis zum letzten
                                    renden Generale Franz Böhme und           mee in Berlin-Karlshorst wiederholt.            Tag« (Kesselring, 1953), »Verlorene
                                    Georg Lindemann lieber »die letzte an­    Damit war der Zweite Weltkrieg in Eu­           Siege« (Erich von Manstein, 1955) oder
                                    ständige Schlacht dieses Krieges schla­   ropa formal beendet.                            »Verratene Schlachten« (Hans Frieß­
                                    gen« als aufzugeben. Auflösungser­                                                        ner, 1956). Schließlich erklärten sich
                                    scheinungen wurden genauso rigide         Das Ende und der Beginn der                     auch die Angehörigen der Waffen-SS
                                    bekämpft wie zuvor unter Hitler. An       Legende                                         zu »Soldaten wie andere auch« (Paul
                                    und hinter den Fronten wurde weiter                                                       Hausser, 1966).
                                    gemordet, auch durch Henker aus den       In den Köpfen allzu vieler endete der             Fast ein halbes Jahrhundert ge­
                                    eigenen Reihen. Dabei ging es Dönitz      Krieg so aber nicht, denn hinterher             schichtswissenschaftlicher Forschung
                                    um eine wie auch immer geartete           wollte kaum jemand die Verantwor­               und politischer Bildungsarbeit waren
                                   ­illusorische Vorstellung von einem ver­   tung für das Geschehene übernehmen.             nötig, um das Konstrukt von der »sau­
                                    handelbaren Kriegsende und die Fort­      Missbraucht sei man worden, ge­                 beren Wehrmacht« als das zu dekonst­
                                    schreibung der obskuren Tra­ditions­      täuscht und terrorisiert, von den Ver­          ruieren, was es ist: eine infame Lüge
                                    linie eines vermeintlich besonderen       brechen gewusst habe man bestenfalls            und eine Verhöhnung der Opfer.
                                    deutschen Soldatentums.                   vom Hörensagen, verübt hätten sie oh­
                                       Die Rückführung von ungefähr           nehin »die Nazis«. Tatsächlich hatte je­                                   John Zimmermann
                                   1,8 Millionen Soldaten und circa zwei      doch das bis zum 23. Mai 1945 amtie­
                                   Millionen Flüchtlingen aus dem Osten       rende Staatsoberhaupt Dönitz die                Literaturtipps
                                   in den letzten Kriegswochen als Erfolg     Leitlinien dazu ausgegeben. Auf die             Michael Epkenhans und John Zimmermann, Die Wehr-
                                   darzustellen, mag deswegen ihre funk­      Bekanntmachungen zu den Vorgängen               macht – Krieg und Verbrechen, Ditzingen 2019
                                   tionale Berechtigung haben, darf aber      in den Konzentrationslagern hin ließ er         (= Kriege der Moderne).
                                   nicht darüber hinwegtäuschen, dass         am 14. Mai 1945 mitteilen, er verur­            Peter Lieb, Die Schlacht um Berlin und das Ende des
                                   Evakuierungen dort erst in letzter Mi­     teilte die Vernichtungsmaßnahmen in             ­Dritten Reichs 1945, Ditzingen 2020 (= Kriege der Mo-
                                   nute gestattet wurden, weil sie die        den Lagern zwar »schärfstens«, habe              derne).

                                                                                                  Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020        9
Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914 1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch
Der Deutsch-Französische Krieg

                                                                                                                                              akg-images
     Attacke der Brigade Bredow in der Schlacht bei Vionville am 16. August 1870. Farblithografie nach einem Aquarell von Franz
       Amling, 1890.

          Der Deutsch-Französische Krieg
                     1870/71
     Der Deutsch-Französische Krieg gilt nach             Der Weg in den Krieg                      In Frankreich stieß diese Kandidatur
     dem Deutsch-Dänischen und dem Preu-                                                            auf Empörung. Man befürchtete eine
     ßisch-Österreichischen Krieg als der dritte          Bei der Affäre, an der sich ihr Zorn      preußische Umklammerung. Geschürt
     und letzte der »Reichseinigungskriege«,              entzündete, handelte es sich zunächst     wurden diese Ängste durch den fran­
     aus denen der kleindeutsche Nationalstaat,           um eine Erbfolgefrage. Um den nach        zösischen Außenminister Antoine
     also ohne Österreich unter der Führung               dem Sturz von Königin Isabella II.        Alfred Agénor de Gramont. Schon
     Preußens hervorgegangen ist.                         seit 1868 vakanten spanischen Thron       nach dem Preußisch-Österreichischen
                                                          neu zu besetzen, suchte die Madrider      Krieg von 1866, dem zweiten »Reichs­

     D
           er Bauer Xaver Stegmeier, ge­                  ­Übergangsregierung an europäischen       einigungskrieg«, war es zu Verstim­
           nannt »Glasl« wurde einberu­                    Höfen nach einem Nachfolger, unter       mungen zwischen Frankreich und
           fen, just als er im Begriff war, ei­            anderem im Fürstentum Hohenzol­          Preußen gekommen. Napoleon III.
     nen Hof zu übernehmen und zu heira­                   lern-Sigmaringen. Vom preußischen        hatte sich damals neutral verhalten, in
     ten. Am 21. Juli 1870 meldete er sich                 Ministerpräsidenten und Kanzler des      der Hoffnung, dafür durch Gebietser­
     zum Dienst beim 2. Infanterie-Regi­                   Norddeutschen Bundes Otto von Bis­       weiterungen entschädigt zu werden.
     ment Kronprinz in München. Für ihn                    marck er­mutigt, kandidierte daraufhin   Jedoch konnte das französische Kaiser­
     kam der Krieg überraschend. Viele an­                 Prinz Leopold aus der Sigmaringer Ne­    reich dann weder vom erzwungenen
     dere Deutsche und Franzosen aber sa­                  benlinie der auch in Preußen herr­       Rückzug Österreichs aus Italien profi­
     hen den Krieg nicht nur kommen, son­                  schenden Hohenzollern am 21. Juni        tieren, noch 1867 Luxemburg erwer­
     dern sie forderten ihn geradezu.                      1870 für den spanischen Königsthron.     ben. Napoleon III. realisierte aber vor

     10    Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
allem, dass durch den preußischen          Personal und Ausrüstung der                                              nach heftigen Kämpfen zum Rückzug
Sieg über Österreich die Vormachtstel­        gegnerischen Heere zu                                                 auf Châlons-sur-Marne gezwungen.
lung Frankreichs auf dem europäi­           Kriegsbeginn am 31.8.1870                                                 Am Tag von Wörth endete der fran­
schen Festland ins Wanken geraten                                                                       1 476       zösische Vorstoß auf preußisches Ge­
                                                    Französisches Heer
war.                                                Deutsches Heer
                                                                                                                    biet. Teile der deutschen 1. Armee at­
  Die Lage schien sich 1870 zunächst                                                                                tackierten das französische II. Korps.
zu beruhigen, als Prinz Leopold in Ab­                                                                              Sie gerieten jedoch in Bedrängnis, so­
sprache mit König Wilhelm I. von          1 000
                                                                                                                    dass sie von der deutschen 2. Armee
Preußen am 12. Juli seinen Verzicht auf    900     © ZMSBw                                                          unterstützt werden mussten. Mit der
                                                   08286-02
die Thronkandidatur erklärte.              800
                                                                                                  780               Erstürmung der Spicherer Höhen fan­
  Dann eskalierte die Situation erneut.                                                                             den diese Kämpfe ihren blutigen Hö­
Der französische Gesandte Vincent Be­      700
                                                                                                                    hepunkt. Frossard, der durch Bazaine
nedetti forderte vom in Bad Ems wei­       600                                                                      keine Unterstützung mehr erhoffte,
lenden Wilhlem I., sich förmlich zu        500
                                                                                                                    zog sich mit seinen Truppen in Rich­
entschuldigen und die Garantie zu ge­                   409                                                         tung Sarreguemines (Saargemünd) zu­
ben, niemals wieder eine hohenzoller­      400
                                                  332
                                                                    354                                             rück und gab den Weg nach Metz frei.
sche Thronkandidatur zu unterstüt­         300
                                                                                            244
zen. Verärgert darüber informierte der     200
                                                              220
                                                                                                                    Vom Angreifer zum Verteidiger
König seinen Ministerpräsidenten Bis­
                                                                                      154                144

marck von seinem Kurort aus über           100
                                                                          29,5
                                                                                 48                                 Der Krieg verlagerte sich von da an
seine Weigerung der Aufforderung             0
                                                  Infan-      Kaval-      Pionier- Artillerie- Ge-
                                                                                                                0
                                                                                                         Mitrail-
                                                                                                                    nach Frankreich hinein. Die deutsche
nachzukommen. Bismarck kürzte, ver­                terie-
                                                  batail-
                                                               lerie-
                                                               esca-
                                                                          kompa- batterien schütze
                                                                            nien
                                                                                                         leusen     2. Armee erhöhte stetig den Druck auf
schärfte den Ton der Nachricht und                  lone      dronen                                                Bazaines Truppen. In mehreren rasch
ließ die »Emser Depesche« zur Veröf­       Quellen: Regensberg, 1870/71, Bd. 1, Beilagen 1 bis 3.
                                                                                                                    aufeinanderfolgenden Schlachten in
fentlichung an die Presse weitergeben.                                                                              der Umgebung von Metz war die fran­
  Beide Seiten fühlten sich nun           Preußens waren auf die 2. und vor al­                                     zösische Führung nicht imstande,
brüskiert. In Frankreich wie in den       lem auf die 3. Armee verteilt. Die 1. Ar­                                 Schwächen des Gegners auszunutzen.
deutschen Staaten forderte die Öffent­    mee war vor Beginn der Kampfhand­                                         Die Schlacht bei Mars-la-Tour am
lichkeit, mit Gewalt zu reagieren. Am     lungen zwischen Saarlouis und                                             16. August, auch unter den Namen der
19. Juli erklärte Frankreich Preußen      Blieskastel aufmarschiert. Die 2. Armee                                   nahegelegenen Ortschaften Rezonville
den Krieg. Die Entscheidung dazu aber     stand zwischen Homburg und Eden­                                          und Vionville bekannt geworden, en­
war in Paris schon vor der Veröffentli­   koben und dazu aufschließend befand                                       dete in einem Patt.
chung des Schriftstücks gefallen. Nun     sich die 3. Armee auf dem rechten Ufer                                      Ungeachtet der nach wie vor starken
aber schien es einen öffentlichkeits­     des Rheins in der Pfalz und Baden zwi­                                    französischen Position, ordnete Ba­
wirksamen Grund zu geben. Der             schen Heidelberg und Landau.                                              zaine einen Rückzug auf Stellungen
Norddeutsche Bund hatte mit den süd­        Das deutsche Operationsziel war, die                                    bei Gravelotte und Saint-Privat an, die
deutschen Staaten Baden, Bayern, Hes­     Truppen Mac-Mahons und Bazaines                                           jedoch am 18. August von Teilen der
sen-Darmstadt und Württemberg be­         getrennt voneinander zu schlagen, um                                      deutschen 1. und 2. Armee unter hor­
reits vorher ein Bündnis für den Fall     so auch zu verhindern, dass sie sich                                      renden Verlusten gestürmt wurden.
eines französischen Angriffs geschlos­    vereinigen konnten. Zuerst ging Ba­                                       Besonders das preußische Gardekorps
sen.                                      zaine nur einen Tag nach der franzö­                                      verzeichnete viele Gefallene und Ver­
                                          sischen Kriegserklärung in die Offen­                                     wundete. Das sächsische Armeekorps,
Kriegsbeginn                              sive. Am 19. Juli 1870 rückte das                                         das zur Unterstützung eingriff, erlitt
                                          fran­zösische II. Korps des Generals                                      sogar an jenem Tag seine schwersten
Frankreich hatte sein Feldheer zweige­    Charles Auguste Frossard im Beisein                                       Verluste im gesamten Krieg.
teilt. Die Armeekorps unter dem Befehl    des Kaisers und seines Sohnes auf                                           Bazaine beschloss nach der Schlacht
von Marschall Patrice de Mac-Mahon        preußisches Territorium vor und be­                                       bei Gravelotte–Saint-Privat, sich mit sei­
waren im Unterelsass konzentriert, im     setzte am 2. August Saarbrücken.                                          nen Truppen in die Festung Metz zu­
Vorfeld der nördlichen Vogesen. Sie         Gleichzeitig waren Teile der deut­                                      rückzuziehen, anstatt zu versuchen,
bildeten damit den rechten Flügel des     schen 3. Armee gegen Wissembourg                                          sich zur Armee Mac-Mahons durchzu­
französischen Aufmarsches. Das von        (Weis­sen­burg) vorgestoßen. Am 4. Au­                                    kämpfen. Metz wurde daraufhin von
Marschall François-Achille Bazaine ge­    gust überrannten sie die dort lagern­                                     der deutschen 1. und von Teilen der
führte Armeekorps bildete den linken      den französischen Truppen.                                                2. Armee eingeschlossen. Aus den übri­
Flügel und bedrohte den Raum zwi­           Zwei Tage später entwickelte sich bei                                   gen Teilen der 2. Armee wurde nun die
schen Saarlouis und Saarbrücken.          Wörth aus einem Schusswechsel zwi­                                        deutsche 4. Armee gebildet, die auch als
  Den Franzosen standen drei deut­        schen französischen und deutschen Pa­                                     »Maas-Armee« bekannt wurde. An ihre
sche Armeen mit preußischen Genera­       trouillen eine der ersten großen                                          Spitze trat Kronprinz Albert von Sach­
len an der Spitze gegenüber. Karl         Schlachten des Krieges, ausgefochten                                      sen, der bis dahin das XII. (königlich
Fried­rich von Steinmetz führte die       von der 3., der »Kronprinzenarmee«                                        sächsische) Armeekorps geführt hatte.
1. Ar­mee, Prinz Friedrich Karl die 2.    und drei französischen Korps unter                                          Albert marschierte zuerst auf die Ar­
und der preußische Kronprinz Frie­        dem Oberbefehl von Marschall Mac-                                         gonnen zu. Die 3. Armee unter Kron­
drich Wilhelm befehligte die 3. Armee.    Mahon. Dieser hatte die Stärke des                                        prinz Friedrich Wilhelm bildete im Sü­
Die Kontingente der Bündnispartner        Gegners unterschätzt und sah sich                                         den den linken Flügel des deutschen

                                                                                  Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020   11
Der Deutsch-Französische Krieg

     Vormarschs. Mac-Mahon hatte nun                                                            sich selbst zu den deutschen Linien                                                         nen kontrollierten Gebieten verstärkt
     keine Möglichkeit mehr, Bazaine im                                                         und führte mit dem preußischen Mi­                                                          durch die Aktivitäten französischer
     belagerten Metz zu Hilfe zu kommen.                                                        nisterpräsidenten von Bismarck in ei­                                                       Partisanen, von »Franctireurs«, be­
     Seine »Armée de Châlons« rückte aber                                                       nem Weberhäuschen in Donchéry ein                                                           droht würden. Mit den Geländegewin­
     auch nicht, wie nun geplant und auf                                                        vorbereitendes Gespräch, bevor er sich                                                      nen wurden die deutschen Nach­
     deutscher Seite gemutmaßt, näher an                                                        mit dem König von Preußen beim na­                                                          schublinien länger und damit
     Paris heran, um die Hauptstadt zu                                                          hegelegenen Schloss Bellevue traf und                                                       verwundbarer.
     schützen, sondern bezog auf politi­                                                        sich gefangen gab. Die eigentlichen                                                           Somit waren die Deutschen gezwun­
     schen Druck hin bei Sedan Stellung.                                                        Unterhandlungen fanden später dort                                                          gen, immer mehr Truppenkörper von
                                                                                                ohne seine Beteiligung statt. Napoleon                                                      ihren vier Armeen abzuziehen. Belage­
     Sedan                                                                                      reiste anschließend von Sedan aus als                                                       rungen mussten aufrechterhalten wer­
                                                                                                Kriegsgefangener nach Kassel, wo er                                                         den, eroberte oder besetzte Festungen
     Von diesem Manöver erfuhr die deut­                                                        auf Schloss Wilhelmshöhe bis März                                                           und Städte mit Garnisonen versehen
     sche Führung nicht zuletzt aus franzö­                                                     1871 interniert blieb.                                                                      und die Versorgungs- und Kommuni­
     sischen Zeitungsberichten. Daraufhin                                                                                                                                                   kationslinien gesichert werden. Die
     bekamen Friedrich Wilhelms und Al­                                                         September 1870 bis März 1871                                                                verbliebenen Armeekräfte sollten die
     berts Armeen den Befehl, in Richtung                                                                                                                                                   Operationen vorantreiben, um den
     Sedan zu marschieren. Somit war Mac-                                                       Sedan brachte den Untergang des na­                                                         Gegner zum Frieden zu zwingen.
     Mahon von überlegenen Kräften ein­                                                         po­leonischen Kaiserreichs, aber nicht                                                        Doch stark befestigte und mit be­
     gekreist. Der deutsche Angriff begann                                                      das Ende des Krieges. In Paris wurde                                                        trächtlicher Artillerie versehene Städte
     am frühen Morgen des 1. September,                                                         am 4. September 1870 die Republik                                                           wie Straßburg und Metz waren in der
     begleitet von massiver Artillerieunter­                                                    ausgerufen und eine Weiterführung                                                           Lage, die deutschen Operationen emp­
     stützung. Die bayerischen Korps bis­                                                       des Krieges verkündet. Die republika­                                                       findlich zu stören. Deutsche Truppen
     sen sich an den von der französischen                                                      nische Regierung bemühte sich, neue                                                         unter dem Befehl des preußischen Ge­
     Marinedivision verteidigten Ortschaf­                                                      Armeen aufzustellen. Die deutschen                                                          nerals August von Werder schlossen
     ten Balan und Bazeilles fest. Die fran­                                                    Streitkräfte sahen sich fortan mit einem                                                    Straßburg am 13. August 1870 ein. Um
     zösischen Truppen wurden immer                                                             Gegner konfrontiert, der sich aus den                                                       eine schnelle Übergabe zu erzwingen,
     weiter auf Sedan zurückgedrängt.                                                           Resten des kaiserlichen Heeres, der                                                         ließ Werder die Stadt beschießen.
       Napoleon III., krank und matt, nahm                                                      Marine und der Afrikaarmee, aber                                                            Straßburg kapitulierte schließlich am
     keinen Einfluss auf die Operationsfüh­                                                     auch aus Mobilgarden und Freiwilli­                                                         28. Sep­tem­ber 1870 nach schweren Zer­
     rung, fällte am Abend des 1. Septem­                                                       genverbänden unterschiedlichster                                                            störungen. Ein Drittel der Einwohner
     ber aber die Entscheidung zur Kapitu­                                                      Qualität zusammensetzte. Die deut­                                                          war obdachlos geworden.
     lation. Angekündigt durch General                                                          schen Befehlshaber befürchteten nun                                                           In Metz entschied sich Marschall Ba­
     André-Charles-Victor Reille, begab er                                                      auch, dass ihre Truppen in den von ih­                                                      zaine, der zuvor wenig energisch ver­

                                       Moulin la Breche
                                                                                                                  Tannerie
                                                                                                                                   Fleigneux La Seierie
                                                                                                                                                                       Olly
                                                                                                                                                                                           Schlacht bei Sedan am 1.9.1870
                                                                                                                                                                              Givon

              Usine                                                                                  St. Menges               xxx
                                       Verbois                                                                                                                                                                                   La Chapelle
                                                                                                                                                    Illy
                                                                                                                                                                               ne

                                                                                St. Albert                                     V.
                                                       Maison rouge                                                                                            Die »Zange« zwischen
          Vrigne-aux-Bois                                                                                 xxx                   ing                          Maas-Armee und 3. Armee
                                                                                                                             Flo                                                                                   La Virée Ferme
                                                                                                           XI.                                               schließt sich um 11.30 Uhr
                                                                        Iges                                                                                           la Foulerie
                                        Montimont
                       Briancourt                                                                                                                                                                                      xxx
                                                                                             Floing                                xxx                                                          Givonne               Garde
      Marancourt
                                                                                                                                     VII.                         xxx                                                                               Villers Cernay
                                                                                                                                                                    I.
                           xxxx                                       Tour à Glaire                                  Cazal

                                                                                                                                xxx
                               3.                    Villette le
                                                                                                                                                                                                 Haybes                         xxxx
                                                     Dancourt               s-                                                       V.
                                                                         ung Glaire
      Ferme du Manil
                                                                     leit l
                                                                   Um kana
                                                                                                                                                                                                                                Maas
                                                                                                 Torcy
                                                                                                                                                                                                  Daigny
                                                                   Bellevue                                                                                                                 La Rapille
                                                                                                                                                                                                                      xxx                                    Francheval
                                                                                                                                                                                                 Petite Moncelle
                                      Donchery
                                                                                                                   Sedan                                                                   La Ramorie                 XII.      sächs.              La Jonquette
                                                                                      xxx                                                                                                                                                                Filature
           Auberge                  Maas-Übergang                                            Teile Wadelincourt                                                        xxx                                                              Rubécourt
          de Condé                  04.00 Uhr                                         II.    bayr.
                                                                                                                                                                       XII.                La Platinerie      Lamécourt          ulle                                  Forges
                                                                                                                                            Balan                                                                            le R
                                                              Frénois                                                                                                                                   xx
                                                                                                                                                                                                        7. IV.
                                                                                                                                                           Bazeilles
                                                 0             1 000              2 000              3 000 m                          Maa
                                                                                                                                            s
                                                                                                                                                                                                 xxx                 Le Rulle
                                                                                                                                                                                                                                              Raffinerie
                                                                                                                                                                                                   I.      bayr.
      Moulin de Montrutz                                                                                                Le Pont Maugy
                                           Cheveuges                                                                                            Filature                                         xx                                                                 Douzy
       Höhenangaben                                                                                            Noyers
                340 m                                                                                                                                           Maas-Übergang                    8. IV.             Chiers
                310 m                                                                                                     Foulerie                                   04.00 Uhr
                280 m                            Coulan Ferme                                                            du Milieu
                250 m                                                                                                                                                  Aillicourt
                220 m
                190 m
                                                             Chaumont-St.
                             Quelle: Kriegsgeschichtliche Abteilung       Quentin
                                                                    des Großen General-
                160 m
                             stabes, Der Deutsch-französische Krieg 1870 – 71, Plan 9A.                                       Thelonne                                                Remilly
                                                                                                                                                                                                                                                             © ZMSBw
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     12         Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020
sucht hatte, den Belagerungsring auf­      war entschlossener und wagemutiger              dem 28. Mai, dem letzten Tag der »blu­
zubrechen, am 28. Oktober 1870 zur         als noch im Sommer. Die deutschen Ar­           tigen Woche«, erlebte Paris wiederum
Ka­pitulation. Seine Soldaten empfan­      meen vermochten nicht mehr wie im               schreckliche Bombardements und eine
den dies als besonders schändlich, weil    August und September, Erfolg an Er­             gewaltsame Eroberung.
der Marschall das deutsche Angebot         folg zu reihen.
eines ehrenvollen Abzugs der Garni­          Ein letzter französischer Versuch, Pa­        Die Folgen
son ausgeschlagen hatte. Neben             ris zu befreien, scheiterte am 19. Januar
150 000 Kriegsgefangenen konnten die       1871 bei Saint Quentin. Schon am                Der Krieg zwischen Deutschen und
Sieger die größte Fahnenbeute des          12. Januar war in der Schlacht von Le           Franzosen endete schließlich mit dem
Krieges machen.                            Mans die französische Loire-Armee               Frankfurter Frieden am 10. Mai 1871:
  Vor Belfort hingegen scheiterten die     des Generals Alfred Chanzy als Bedro­           Frankreich trat das Elsass und Teile Lo­
deutschen Belagerer. Die Besatzung         hung für die Belagerer von Paris end­           thringens an das Deutsche Reich ab. Es
der Zitadelle hielt unter Colonel Pierre   gültig ausgeschieden.                           hatte innerhalb von drei Jahren Repa­
Philippe Denfert-Rochereau bis zum           Nahezu zur selben Zeit, zwischen              rationen von 5 Milliarden Francs zu
Waffenstillstand aus und übergab die       dem 15. und 17. Januar 1871, wehrte die         entrichten. Besatzungstruppen sollten
Festung erst am 18. Februar 1871.          Armee Werders an der Lisaine letzte             in Frankreich stationiert bleiben, bis
                                           Angriffe von Charles-Denis-Sauter               die Forderungen erfüllt waren. 1873,
Paris                                      Bourbakis Ostarmee ab. Da Edwin von             früher als festgelegt, waren die Repara­
                                           Manteuffels Truppen der Ostarmee den            tionen gezahlt.
Geleitet von der Annahme, die Ein­         Rückzugsweg Richtung Lyon versperr­               Die Ergebnisse des letzten der deut­
nahme von Paris würde das Krieg­           ten und Werders Armee die Verfolgung            schen »Reichseinigungskriege« ver­
sende bringen, zielte der deutsche         aufgenommen hatte, rückte Bourbaki              schoben die Machtverhältnisse in Eu­
Hauptstoß auf die französische Haupt­      mit seiner Armee immer näher an die             ropa und belasteten jahrzehntelang
stadt. Die Belagerung von Paris begann     Schweizer Grenze heran. Nach Ab­                das deutsch-französische Verhältnis.
am 19. September 1870. Paris war stark     schluss eines Abkommens mit dem                 Zu den damit verbundenen außenpoli­
befestigt und bewaffnet. 350 000 Mann      Schweizer General Hans Herzog über­             tischen Problemen kamen Fragen der
standen letztlich für die Verteidigung     schritten die kaum noch kampfbereiten           inneren Reichsgründung. Was machte
zur Verfügung. Allerdings galt nur ein     Reste der französischen Ostarmee bei            die deutsche Nation aus und wer sollte
Drittel von ihnen als kampfstark. Die      Les Verrières zwischen dem 1. und               zu ihr gehören? Auf den Vollzug der
deutschen Belagerungstruppen von           3. Februar 1871 die Schweizer Grenze.           staatlichen Einigung folgte eine Serie
anfänglich 150 000 Mann wuchsen                                                            von Ausgrenzungsversuchen im In­
durch Verstärkungen ebenfalls bis auf      Versailles 1871                                 nern des neu geschaffenen Reiches:
400 000 Mann an. Der Chef des preußi­                                                      Bismarcks gegen die katholische Kir­
schen Generalstabes, Generalfeldmar­       Inzwischen war einer der wichtigsten            che gerichteter »Kulturkampf« wie
schall Helmuth von Moltke, hatte ge­       politischen Akte der Epoche, die Grün­          auch seine gegen die Arbeiterbewe­
hofft, Paris auszuhungern, um eine         dung des deutschen Nationalstaats,              gung gerichteten Sozialistengesetze.
schnelle Kapitulation zu erzwingen.        nahezu unbemerkt vollzogen worden.              Außerdem belasteten ein unter dem
Als es Ende 1870 noch keine ­Anzeichen     Die Proklamation des preußischen Kö­            Vorwand der Gründerkrise 1873
für eine Bereitschaft zur Kapitulation     nigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser            aufkom­mender Antisemitismus, aber
gab, eröffneten deutsche Batterien am      am 18. Januar 1871 vereinte zwar Gäste          auch der fortbestehende Ausschluss
27. Dezember das Feuer auf die Forts       aus ganz Deutschland und Abordnun­              von Frauen von politischer Teilhabe
und andere Befestigungsanlagen. Ab         gen der deutschen 3. Armee im Schloss           das Reich im Innern.
dem 5. Januar 1871 fielen Granaten         von Versailles, doch nahmen weder die             Das Militär hingegen genoss im Deut­
auch auf die Viertel im Süden und          Truppen auf den anderen Kriegsschau­            schen Kaiserreich höchstes Ansehen. Es
Westen der Stadt.                          plätzen noch die Presse eine besondere          galt nicht nur als das Instrument, das
  Abseits des Belagerungskordons um        Notiz von diesem Ereignis.                      die Einigung ermöglicht hatte, sondern
Paris konzentrierte sich die deutsche        Kurz darauf, am 23. Januar, begannen          auch als Garant nationaler Stärke.
Operationsführung darauf zu verhin­        Verhandlungen unter Leitung Otto von              Bis zum 31. Januar 2021 präsentiert
dern, dass neu aufgestellte franzö­        Bismarcks und des französischen Au­             das Militärhistorische Museum der
sische Armeen Paris zu Hilfe kamen.        ßenministers Jules Favre, die am 28. Ja­        Bundeswehr die Ausstellung »Krieg
Durch erneute Vorstöße in den Westen,      nuar mit dem Abschluss der »Conven­             Macht Nation – Wie das deutsche Kai­
Süden und Norden der Republik soll­        tion von Versailles« endeten. Sie hatten        serreich entstand«, die die »Reichseini­
ten weitere Mobilisierungen verhin­        die Einstellung der Kampfhandlungen             gungskriege« zum Thema haben wird.
dert werden. Die harschen Witterungs­      und faktisch die Übergabe von Paris
bedingungen im Spätherbst und im           zur Folge. Mit Erlaubnis und Unter­                                              Gerhard Bauer
Winter 1870/71 zehrten die Soldaten        stützung der Sieger wurden umgehend
beider Seiten aus. Ausfälle, verursacht    Lebensmittel in die Stadt geschafft.
durch Krankheiten, nahmen zu.                Paris kam jedoch nicht zur Ruhe. Auf­         Literaturtipps
  Dennoch trat keine Pause in den          grund der Opposition der Kommune                Tobias Arand, 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Fran-
Kampfhandlungen ein. Die neuen fran­       von Paris gegen die Regierung der Re­           zösischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen, Hamburg
zösischen Armeen waren aus Trup­pen­       publik wurde die Stadt ein weiteres             2018.
teilen unterschiedlichster Qualität zu­    Mal belagert, nun durch französische            Michael Epkenhans, Der Deutsch-Französische Krieg
sammengesetzt, doch ihre Füh­     rung     Truppen. Zwischen dem 18. März und              1870/71, Ditzingen 2020 (= Kriege der Moderne).

                                                               Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020       13
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