Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO

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Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
ZAHNMEDIZIN AKTUELL              989

                                                                     Der Vizepräsident der SSO, Olivier Marmy, ist
  Zu alt, um neu zu                                                  mit seiner Praxis JO2 médecine dentaire SA

  starten, zu jung,                                                  der Zahnärztekette Adent beigetreten. Im
                                                                     Interview erklärt er seine Beweggründe.
  um aufzuhören
                                                                     Interview: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ
                                                                     Fotos: Annette Boutellier, Fotografin

Olivier Marmy, seit Anfang Oktober ist Ihre     In welchem Masse haben Sie künftig noch              niemals akzeptiert, weder für mich noch
Praxis JO2 Teil von Adent. Wie kam es zu        Einfluss auf die Unternehmensführung?                für meine Angestellten.
­diesem Schritt?                                Meine Praxis wird wie bisher funktionie-
 Ende 2016 habe ich erfahren, dass das Ge-      ren. Ich bleibe der Chef der Praxis, mit             Müssen Sie klinische oder produktive Vor-
 bäude, in dem sich meine Praxis befindet,      meinen Werten und Qualitätskriterien.                gaben erfüllen?
 2022 totalsaniert wird. Alle Mieter müs-       Auf der betriebswirtschaftlichen und or-             Es ist klar, dass ich meiner Art zu prakti-
 sen ausziehen. Das war eine sehr schlim-       ganisatorischen Ebene hingegen kann ich              zieren und meiner Ethik im Umgang mit
 me Nachricht! Anfang 2017 bot mir der          von der Infrastruktur der Gruppe profi-              Patienten treu bleibe. Das war nicht ver-
 Eigentümer der Liegenschaft andere Räu-        tieren und Synergien nutzen, etwa bei                handelbar. Andernfalls hätte ich das Zu-
 me an – nicht weit entfernt, sehr zentral,     Bestellungen, beim technischen Support,              sammengehen mit Adent nicht realisiert.
 unterhalb des Bahnhofs von Lausanne.           bei internen Fortbildungsprogrammen                  Als SSO-Mitglied halte ich mich wie
 Aber ein Umzug wäre mit erheblichen            und bei der Regelung der Stellvertretung.            ­meine Berufskollegen und -kolleginnen
 Investitionen für Einrichtung, Umzugs-                                                               an unsere Standesordnung und unsere
 organisation und Neuinstallierung ver-         Was ändert sich für Ihre Patienten?                   Statuten.
 bunden. Ausserdem hätte ich dort schon         Mein Team bleibt bestehen. Meine Art,
 2018 einziehen müssen. Ich prüfte wei-         wie ich mich um Patienten kümmere,                   Ist die Situation (Auslastung, Praxisfinan­
 tere Optionen: Teilhaberschaft, gemein-        wird sich auch nicht ändern – nur eben               zierung, Amortisationskosten, Konkurrenz
 sam mit den Kollegen aus dem bisherigen        ab August 2018 mit einer komplett neuen              usw.) in gewissen Regionen so schwierig,
 Gebäude neue Räume beziehen, Unter-            Praxiseinrichtung!                                   dass die sogenannt traditionellen Praxen
 miete … Alle diese Möglichkeiten haben                                                              verschwinden werden?
 sich nicht konkretisiert. Dann habe ich        Müssen Umsatz- und Renditeziele verfolgt             Die Einzelpraxis bleibt weiterhin das
 erfahren, dass die Gruppe Adent plant,         werden?                                              Hauptmodell. Zahnärzteketten wie Adent
 beim Bahnhof Lausanne eine Praxis zu           Ich habe mich nicht verpflichtet, finan-             sind ein weiteres mögliches Modell. Aber
 eröffnen. Es gab also offensichtlich ein       zielle Ziele zu erreichen. Das hätte ich             ich sehe tatsächlich eine zusätzliche wirt-
 gemeinsames Interesse zu prüfen. Das
 haben wir getan, und wir sind uns einig
 geworden.

Das war für Sie ein folgenreicher Ent-
schluss …
Ja, ich wollte vor allem das Weiterbeste-
hen meines Unternehmens sichern. Ich
praktiziere seit 30 Jahren als Zahnarzt.
Seit 27 Jahren habe ich eine eigene Praxis.
Vor 14 Jahren konnte ich in eine grössere
Praxis ziehen, und vor sechs Jahren grün-
dete ich eine AG. Heute bin ich für 15 An-
gestellte verantwortlich. Meine Praxis hat
eine lange Geschichte und ist ein wichti-
ger Teil meines Lebens. Sie einfach aufzu-
geben, war für mich keine Option. Ich bin
53 Jahre alt; leider ein schlechtes Alter für
eine solche unliebsame Überraschung: Es
ist zu spät – vor allem in finanzieller Hin-
sicht –, um neu zu starten, und zu früh,
um aufzuhören. Dies hat mich veranlasst,
alle Möglichkeiten ohne Vorurteile zu           Olivier Marmy: «Es ist für die SSO wichtig, dass wir nicht nur zu traditionellen Praxen Verbindungen
prüfen.                                         knüpfen, sondern auch zu anderen Unternehmensmodellen.»

                                                                                                            SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017   P
Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
990     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

      schaftliche Herausforderung. Verglichen       Einzelpraxen ausgeübt. Doch die SSO ver-       nen gibt es bereits Mitglieder, die als
      mit unseren Vorgängern sind wir dem           schliesst sich der Realität nicht: Wir sehen   Zahnärzte bei Ketten angestellt sind –
      technologischen Wandel viel stärker un-       natürlich, dass sich die Welt verändert.       und das werte ich positiv. Es sind in ers-
      terworfen. Kaufte ein Zahnarzt in den         Schon seit Jahren suchen wir konstruktive      ter ­Linie die Sektionen, die darüber ent-
      1970er-Jahren eine Behandlungseinheit,        Antworten auf die Herausforderungen der        scheiden, ob sie diese Kollegen aufneh-
      war diese zwar teurer als heute, sie hielt    sich beschleunigenden Entwicklung. Uns         men oder nicht. Diesbezüglich gibt es
      aber 25 bis 30 Jahre. Heutzutage hat man      ist nicht entgangen, dass viele junge Kol-     grosse Unterschiede zwischen den ein-
      den Eindruck, man müsse alle drei bis         leginnen und Kollegen, die in Zentren ar-      zelnen Sektionen, und der SSO als föde-
      fünf Jahre eine grosse Investition tätigen,   beiten, nicht Mitglied der SSO sind. Um        ralem Dachverband ist es wichtig, diese
      um technisch auf der Höhe zu bleiben.         genau diese Kolleginnen und Kollegen           Autonomie zu respektieren. Die Sektio-
                                                    verstärkt zu integrieren, hat die SSO ihre     nen sind vor Ort und kennen diese Insti-
      Dann sind die Gründe für die Zunahme von      Statuten betreffend Mitgliedschaftskate-       tutionen und deren Angestellte. Die Sek-
      Gruppenpraxen und Zahnzentren also wirt-      gorien vor einigen Jahren angepasst.           tionen können auch am besten einschät-
      schaftlicher Natur?                                                                          zen, ob eine Mitgliedschaft dem Image
      Ja, aber nicht nur. Junge Zahnärztinnen       Im Spätsommer haben Sie den Zentralvor-        der SSO schaden würde.
      und Zahnärzte haben auch andere Erwar-        stand der SSO über Ihr Vorhaben informiert.
      tungen an den Beruf als ältere Kollegen.      Wie hat er reagiert?                           Welches sind die Risiken für die SSO?
      Die Generation Y hat nicht mehr dasselbe      Meine Kollegen im Zentralvorstand rea­         Das Überangebot in gewissen Regionen
      Verhältnis zu ihrer Arbeit, und die mit der   gierten sehr nüchtern und besonnen.            kann zu Überversorgung führen. Aber
      Selbstständigkeit verbundene Belastung        Das hat mich beeindruckt. Sie kamen            diese Gefahr besteht unabhängig von der
      und die Risiken haben offensichtlich nicht    zum Schluss, dass sich an meiner Rolle         Grösse der Unternehmen. Als spezielles
                                                                                                   Risiko in grossen Institutionen sehe ich
                                                                                                   die unterschiedlichen Ausbildungsniveaus
                                                                                                   der Behandler. Es ist bekannt, dass die
      «Ziel des Zentralvorstands ist es, dass die SSO als                                          Schweiz zu wenig Zahnärztinnen und
      Berufs- und Standesorganisation weiterhin die                                                Zahnärzte ausbildet. Zentren und Ketten
                                                                                                   haben deshalb Mühe, in der Schweiz aus-
      grosse Mehrheit der in der Schweiz praktizierenden                                           gebildetes Personal zu finden. In der Folge
      Zahnärztinnen und Zahnärzte repräsentiert.»                                                  rekrutieren sie im europäischen Raum.
                                                                                                   Wir erinnern uns: Es ist nachgewiesen,
                                                                                                   dass die Ausbildung in den verschiedenen
                                                                                                   Ländern grosse Unterschiede aufweist.
      mehr denselben Stellenwert. Ein anderer       als Vize­präsident der SSO und als Kollege     Und die Ausbildung kann die Behand-
      Aspekt, der bei dieser Entwicklung mit-       nichts ändern wird. Vielmehr sehen sie         lungsqualität beeinflussen. Das ist eine
      spielt, ist die Feminisierung des Berufs.     das Ganze als Chance, sich an reale Gege-      grosse Herausforderung für jene Zahn­
      Heute ist die grosse Mehrheit der Studien-    benheiten anzupassen. Meine Kollegen           ärzte­zentren, denen eine hohe Behand-
      abgänger in der Zahnmedizin weiblich.         vertrauen mir weiterhin. Aber natürlich        lungsqualität wichtig ist. Es gilt Lösungen
      Viele davon wollen nicht alleine arbeiten     hat die Delegiertenversammlung bei Wah-        zu finden, welche sowohl die Interessen
      und das Familienleben mit dem Beruf ver-      len das letzte Wort; das ist Demokratie.       der Patienten als auch den Respekt vor
      einbaren. Und diesen Wunsch teilen sie                                                       unserer Berufsethik wahren.
      zum Glück immer häufiger mit den Män-         Wird Ihr Engagement für die SSO unter der
      nern … Es ist offensichtlich, dass ein Be-    neuen Situation leiden?                        Welchen Weg soll aus Ihrer Sicht die SSO
      rufsverband diese Veränderungen nicht         Im Gegenteil. Die neue Situation gibt mir      betreffend Zentren und Ketten gehen?
      steuern kann; er kann sie aber als Heraus-    mehr Freiheiten, weil ich jetzt nicht mehr     Ziel des Zentralvorstands ist es, dass die
      forderung begreifen und begleiten.            im selben Masse wirtschaftliche Verant-        SSO als Berufs- und Standesorganisation
                                                    wortung trage. Auch habe ich meine Ar-         weiterhin die grosse Mehrheit der in der
      Die Konkurrenzierung der sogenannt tradi-     beitszeit reduziert, um mehr Zeit für mein     Schweiz praktizierenden Zahnärztinnen
      tionellen SSO-Mitglieder durch Kliniken und   Engagement in der SSO zu haben. Man            und Zahnärzte repräsentiert. Meines Er-
      Ketten wurde in der jüngeren Vergangenheit    muss wissen, dass die Tätigkeit im Zen-        achtens hat die SSO keine andere Wahl,
      kontrovers diskutiert.                        tralvorstand zeitintensiv ist und den Pra-     als sich noch stärker für alle wirtschaftli-
      Ja, darüber habe ich natürlich nachge-        xisalltag wirtschaftlich und organisato-       chen Modelle zu öffnen, welche mit unse-
      dacht, und es hat mir einige schlaflose       risch beeinflusst.                             ren berufsethischen Regeln und Statuten
      Nächte bereitet. Ich habe mich gefragt,                                                      vereinbar sind. Dabei gilt es zu unter­
      welche Tragweite meine Entscheidung           Unterminieren die Zahnärztezentren nicht       streichen, dass nicht die Institutionen
      hat. Handle ich statutenkonform? Halte        den Repräsentationsgrad der SSO?               SSO-Mitglied sind, sondern die Zahnärz-
      ich mich an die Standesordnung? Deshalb       Es ist für die SSO wichtig, dass wir nicht     tinnen und Zahnärzte selbst. Die Heraus-
      habe ich mein Vorhaben juristisch prüfen      nur zu traditionellen Praxen Verbindun-        forderung ist, die SSO so flexibel und stark
      lassen. Es zeigte sich: Rechtlich spricht     gen knüpfen, sondern auch zu anderen           zu positionieren, dass wir diese neuen
      nichts dagegen. Aber historisch gesehen       Unternehmensmodellen. Denn die neuen           Modelle integrieren können, ohne unsere
      war die SSO natürlich immer ein Verband       Modelle existieren ja bereits! In diesem       Werte zu verraten oder unserer Standes-
      für Einzelzahnärzte. Dieser liberale Beruf    Bereich bleibt noch einiges zu tun. Dazu       ordnung untreu zu werden. Ich bin über-
      wurde früher nahezu ausschliesslich in        kann ich beitragen. In mehreren Sektio-        zeugt, dass dies möglich ist.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL            991

SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
992     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

      Ob medizinische Forschung von der Industrie
      finanziell unterstützt wird, sollte keine Rolle
      spielen – solange die Bedürfnisse der Patienten
      im Vordergrund bleiben.

                                                                         Die Industrie ist ein wichtiger Geldgeber
        Zwischen gesund                                                  der medizinischen Forschung. Doch diese

        und gewinn­                                                      Kooperationen stehen seit geraumer Zeit
                                                                         in Verruf. Ist patientenorientierte Forschung
        orientiert                                                       eine Illusion?
                                                                         Text: Gabriela Troxler, Presse- und Informationsdienst SSO
                                                                         Foto: ­iStock
                                                                         Dieser Artikel erschien erstmals in doc.be 3/2017, dem Magazin
                                                                         der Ärztegesellschaft des Kantons Bern.

      «Pharma ignoriert Kinder mit Krebs»               dass Pharmafirmen zu wenig in seltene       Medizinische Forschung am Gängelband
      titelte unlängst die «Berner Zeitung».            Erkrankungen investieren – zu hohe          der Industrie
      ­Immer öfter prangern Medien die von              Kosten, zu kleiner Markt. Emotionale        Tatsächlich ist das nur die Spitze des Eis-
       Pharma- und Bioindustrie geförderte              Einzelfälle treffen auf kühle Berechnung,   bergs. Die Industrie beeinflusst nicht nur
       medizinische Forschung an. Von Interes-          ethische Verpflichtungen auf gewinn­        die Forschungsagenda in der Medizin,
       senkonflikten ist die Rede und davon,            orientiertes Denken.                        weiss Dr. Matthias Egger. Der Professor

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL            993

                                            «Tatsache ist: Ohne die Industrie
                                            wäre hochstehende medizinische
                                            Forschung undenkbar.»

                                            ment erst zwei ausländische Studien hän­       Studien, die zur wirksamen Bekämpfung
                                            gig. Patienten werde vorgegaukelt, sie         von HIV führten. Erst die Tripletherapie
                                            nähmen an einer Studie teil. Sie stiegen       HAART, die drei Medikamente wirksam
                                            auf ein Medikament um, nur damit sich          kombinierte, brachte 1996 den Durch-
                                            dieses im Markt etabliert.                     bruch. Heute unterscheidet sich die Le-
                                            Laut Matthias Egger ist auch die Wahl der      benserwartung von HIV-Infizierten kaum
                                            Studienteilnehmer nicht vor Einflussnah-       von der von gesunden Menschen. Ohne
                                            me gefeit. Es werden nur die Probanden         die gezielte Zusammenarbeit von Indus-
                                            ausgewählt, mit denen die Studie wahr-         trie und Wissenschaft und eine Vielzahl
                                            scheinlich besonders günstig ausfällt.         von klinischen Studien wäre dieser Erfolg
                                            Nicht zuletzt herrsche eine Verzerrung         nicht möglich gewesen.
                                            der Studienlage, auch «publication bias»
                                            genannt. Das heisst, abweichende Ergeb-        Grauzonen umgehen
                                            nisse würden gar nicht erst publiziert.        Die von der Industrie unterstützte For-
                                                                                           schung ist heute stark reglementiert. Es
                                            Böse, böse Pharmaindustrie?                    gibt wenig Raum für Verfehlungen. In-
                                            Die Ausführungen werfen kein gutes             dustrie und Wissenschaft arbeiten daran,
                                            Licht auf die industriegeförderte medizi-      das zwielichtige Image ihrer Zusammen-
                                            nische Forschung. Dem hält André Da-           arbeit abzulegen. Zugleich aber investiert
                                            hinden, General Manager von Amgen              die Industrie zunehmend in langfristige
                                            Schweiz, entgegen, Pharmafirmen gebe           Kooperationen, um die Forschung früher
                                            es nur, um Patientinnen und Patienten          in erfolgsversprechende Bahnen lenken
                                            zu helfen. Die Industrie fragt nach dem        zu können. «Eine an sich gute Sache»,
                                            Grund für eine Krankheit. Um effektive         meint Matthias Egger, «aber mehr Regu-
                                            Therapien ableiten zu können, arbeitet sie     lierung wäre wünschenswert.»
                                            eng mit der Medizin und den Universitä-        Wenn es um Patienten gehe, betont Erika
                                            ten zusammen. Aus dieser Optik gestaltet       Ziltener, sei die medizinische Indikation
                                            sich der Forschungsprozess ein wenig           die einzige Legitimation für eine Thera-
                                            ­anders: Er beginnt nicht mit einem Medi-      pie. Egger und Ziltener sind sich einig:
für Epidemiologie präsidiert den For-        kament, sondern endet damit. «Nicht           Was Patientinnen und Patienten brau-
schungsrat des Schweizerischen Natio-       das Medikament begleitet den Patienten,        chen, ist mehr Transparenz. Sie müssen
nalfonds. Bei Arthrose beispielsweise,      sondern der Arzt», stellt André Dahinden       gründlich über Risiken und mögliche
­einer durchaus häufigen und gut er-        denn auch klar. Die Industrie gebe den         Alternativen aufgeklärt werden, damit
 forschten Krankheit, beträfen 81 Prozent   Ärzten lediglich Hilfsmittel an die Hand.      sie selbst eine mündige Entscheidung
 der Studien die Wirksamkeit von Medika-    Der Arzt entscheide gemeinsam mit dem          treffen können. Das nimmt nicht mehr
 menten. Ärzte und Patienten dagegen        Patienten, welche Therapie angemessen          die Industrie, sondern besonders ihre
 wünschten sich mehr Daten zum Nutzen       sei. Zudem, so Dahinden, böten klinische       Ärztinnen und Ärzte in die Pflicht.
 von Physiotherapie und Chirurgie. Statt-   Studien eine Chance für Patienten, die
 dessen geht weitere Forschungskapazität    sonst keinen Ausweg mehr sehen. Und
 an unzählige Me-too-Studien verloren –     auch der Publication Bias sei heute nicht
 Studien, die Medikamente in der gleichen   mehr gegeben. Eine gewisse Selbstregu-
 Substanzklasse untersuchen.                lierung verhindere das, aber auch die
                                            Existenz von Social Media.
Gegenstimmen werden nicht gehört
Richtig unschön wird es, wenn sich Pro-     Innovationsland Schweiz – dank der             Dieser Artikel entstand im Anschluss an die
duktemarketing als Forschung verkleidet.    ­Industrie                                     Veranstaltung «Berner Dialog Medizin und
«9 von 10 Patientinnen wollen das Medi-      Tatsache ist: Ohne die Industrie wäre         Gesellschaft» der Schweizerischen Stiftung
kament XY gegen Brustkrebs», zitiert        hochstehende medizinische Forschung,           für Gefässmedizin vom 2. Mai 2017. Er gibt die
Patientenschützerin Erika Ziltener ein      wie sie in der Schweiz betrieben wird,         Auffassungen der Exponentinnen und Expo-
Inserat aus der «Schweizerischen Ärzte-     undenkbar. Das sieht auch Matthias             nenten wieder, die den Ansichten der SSO
zeitung». Dabei seien zu diesem Medika-      ­Egger ein. Er nennt als Beispiel klinische   nicht zu entsprechen brauchen.

                                                                                                SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
                                                                                                                                     P
Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
994     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                   Sie sind 7 cm hoch, 18 cm breit und bieten
        Rote Boxen für                                             Platz für gesunde Knabbereien: die Znüni-

        gesunde Znüni                                              boxen. Schulzahnpflege-Instruktorinnen im
                                                                   Kanton Solothurn verteilten diesen Herbst
                                                                   wieder rund 2000 Exemplare an Schüler
                                                                   und Kindergärtler.

                                                                   Text: Markus Gubler, Andrea Renggli, Presse- und Informations-
                                                                   dienst SSO; Fotos: Martin Bichsel, Fotograf

      Heute ist die Schulzahnpflege-Instrukto-    sund für Zähne und Körper ist alles, was    Bewusstsein für gesunde Zwischen­
      rin Caroline Jaeggi zu Gast im Kindergar-   weissen Zucker enthält: Gummibärchen,       mahlzeiten
      ten. Anhand von farbigen Kärtchen und       Milchschnitte und Cola. «Davon wird         Mit den Znüniboxen wollen die Instruk-
      einem kleinen Spiel zeigt sie den Kin-      man schlapp», sagen die Kinder im Chor.     torinnen die Kinder zur regelmässigen
      dern, welche Znüni gesund sind. Es stellt   Isst man hingegen Gesundes zum Znüni,       Zahnpflege und zu gesunden Zwischen-
      sich heraus, dass die Kinder bereits viel   bleibt man fit und kann sich gut konzen-    mahlzeiten anleiten. Denn sie beobachten
      über das Thema wissen. Gesunde Znüni        trieren. All das haben die Kinder bereits   ein sinkendes Bewusstsein für die Mass-
      sind Äpfel, Gurken, Rüebli, Kiwi, Nüsse,    von ihrer Schulzahnpflege-Instruktorin      nahmen, die in den letzten 30 Jahren zu
      oder ein Käsebrot, zählen sie auf. Unge-    gelernt.                                    einem Rückgang der Karies bei Schwei­zer

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
ZAHNMEDIZIN AKTUELL            995

Schulkindern beigetragen haben. «Kinder
konsumieren in der Schule und im Kin-
dergarten wieder vermehrt zuckerhaltige
Zwischenmahlzeiten – häufig ohne es zu
wissen», erklärte Caroline Jaeggi bei der
Präsentation des Projekts Znünibox in
­Solothurn. «Viele Nahrungsmittel sind
 nur vermeintlich gesund. Gerade die be-
 liebten Smoothies und Quetschies – pü-
 riertes Obst im Plastikbeutel – enthalten
 viel Zucker. Und weil sich das Ess- und
 Trinkverhalten verändert, ist ständige
 Aufklärung und Prävention wichtig.»

Ideen fürs Znüni
Am Ende der Lektion schenkt Caroline
Jaeggi jedem Kind seine eigene Znünibox,
die es mit seinem Namen anschreibt. Sie
können darin ihr Znüni transportieren.
Für die Eltern hat die Instruktorin einen
Flyer in die Box gelegt. Er vermittelt ei-
nerseits Informationen und soll anderer-
seits Ideen für gesunde Zwischenmahl-
zeiten geben und so für Abwechslung
sorgen. «Schaut den Flyer mit euren
­Eltern oder Grosseltern gut an», fordert
 Caroline Jaeggi die Kinder auf. «Sagt
 ­ihnen, welche Znüni auf dem Flyer ihr
  gerne esst.»

Zu viel Fett, zu viel Zucker
Heute wird immer weniger Zeit für die
Zubereitung und den Genuss von Mahl­
zeiten aufgewendet. Besonders fertig zu-
bereitete Snacks gewinnen an Bedeutung.
Damit verbunden ist das Risiko einer ein-
seitigen, zu fett- und zuckerreichen Er-
nährung. Deshalb macht das Projekt Znü­
ni­box seit 2011 Schulkinder und ihre Eltern
auf zahnschonende Zwischenmahlzeiten
aufmerksam. Die Instruktorinnen besu-
chen die Primarklassen bis zu viermal im
Jahr und greifen dabei auch das Thema ge-
sunde Ernährung auf. Knapp 14 000 Boxen
sind im Kanton Solothurn seit 2011 über-
geben worden, weitere Boxen werden im
Kanton Bern verteilt.
Finanziert wird die Aktion Znünibox von
der Schweizerischen Zahnärzte-Gesell-
schaft SSO, dem Amt für soziale Sicher-
heit des Kantons Solothurn und der Stif-
tung Gesundheitsförderung Schweiz. Die
Berner Kantonalbank BEKB produziert
die Boxen und stellt sie für die Aktion
gratis zur Verfügung.

Foto links: Schulzahnpflege-Instruktorin Caroline
Jaeggi verteilt rote Znüniboxen an Kindergärtler
in Solothurn.
Foto rechts: Mit den Znüniboxen wollen die Instruk-
torinnen die Kinder zur regelmässigen Zahnpflege
und zu gesunden Zwischenmahlzeiten anleiten.

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Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
996     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                        Irgendwann trifft wohl jeder Mediziner im
         Klassische                                                     Berufsalltag auf ethische Fragen und Pro-

        ­P hilosophie                                                   bleme. In einem CAS-Lehrgang der Univer-
                                                                        sität Luzern lernen Ärzte die Perspektive
         als Wegweiser                                                  der akademischen Philosophie zu nutzen,
                                                                        um eine Neuorientierung zu schaffen.
         im Praxis­a lltag
                                                                        Text: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ; Foto: iStock

      Moderne Medizin ist hochspezialisiert          Medizin als Heilkunst                           Magdalena Hoffmann. «Vielmehr sind die
      und durch Technologie geprägt. Jedoch          Ein weiteres Thema, das auch Teilnehmer         Dozierenden dazu angehalten, Gründe für
      werden Ärzte auch immer wieder mit             selbst immer wieder in den Lehrgang             und gegen eine bestimmte Position auf-
      grundlegenden, existenziellen Fragen           eingebracht haben, ist die Entmenschli-         zuführen und so Orientierung anzubie-
      konfrontiert. Sterblichkeit, Schmerz, das      chung des Arztberufs. «Wir wollen den           ten.»
      Verhältnis zwischen Arzt und Patient –         Mediziner wieder stärker als Arzt anspre-       Andererseits gehe es oft auch nur darum,
      alles Themen, die im Medizinstudium            chen, der sich mit dem Menschen be-             die Frage richtig zu verstehen und Begrif-
      kaum oder nur am Rande angesprochen            schäftigt. Er soll die Medizin als Heilkunst    fe zu klären, fährt Magdalena Hoffman
      werden. Die Universität Luzern bietet in       wahrnehmen dürfen. Viele Ärzte empfin-          fort: «Beim Thema Gerechtigkeit zum
      diesem Spannungsfeld Orientierung mit          den die Reduktion der Medizin auf die           Beispiel laufen Diskussionen häufig ins
      dem berufsbegleitenden Zertifikatslehr-        blosse Auswertung von Laborparametern           Leere, weil die beteiligten Gruppen einen
      gang CAS Philosophie und Medizin. Zur-         als unbefriedigend. Denn sie selbst erle-       völlig unterschiedlichen Gerechtigkeits-
      zeit läuft bereits der sechste Durchgang.      ben die Praxis als komplexer. Vor allem,        begriff verwenden. Die Philosophie kann
      Die meisten Teilnehmer sind Ärzte, ver-        wenn es um den Anspruch der Medizin             dazu beitragen, eine begriffliche Klärung
      einzelt auch Pflegefachkräfte oder Perso-      geht, Leid und Schmerzen zu lindern und         vorzunehmen.» Auch ethische Probleme
      nen aus dem Versicherungswesen.                Gesundheit zu fördern. Das sind Konzep-         müsse man häufig erst einmal einord-
                                                     te, die sehr viel mehr umfassen als die         nen, bevor man sich eingehend damit
      Sterblichkeit, Wirtschaftlichkeit, Vertrauen   Biologie des Menschen», so Magdalena            beschäftigen könne. Oder die Begriffe
      Dr. Magdalena Hoffmann ist die Studien-        Hoffmann. Auch Vorgaben der Bürokrati-          Krankheit und Gesundheit: Deren Defi-
      leiterin des Lehrgangs. «Wir versuchen         sierung und der Qualitätsmessung wür-           nition hätte beispielsweise Einfluss auf
      mit diesem Angebot, drängende Fragen zu        den als entfremdend wahrgenommen,               den Leistungskatalog einer Krankenver-
      beantworten oder sie zumindest anzudis-        weil sie die Ärzte von ihrer Kernaufgabe        sicherung.
      kutieren», erzählt sie. «Dabei bewegen         ablenken.                                       Wichtig ist den Verantwortlichen des
      wir uns im Bereich Medizin und Ethik,                                                          Lehrgangs der Praxisbezug. Medizinern
      aber auch im Spannungsfeld von Medizin         Keine klaren Antworten                          stellen sich im Praxisalltag häufig her-
      und Ökonomie oder im Gebiet der Medi-          Der Lehrgang der Universität Luzern will        ausfordernde Fragen zur individuellen
      zin als Wissenschaft.» Insgesamt umfasst       mithilfe der Philosophie drängende Fra-         Beziehung zwischen Arzt und Patient.
      der modulartig aufgebaute Lehrgang zwölf       gen aus dem Praxisalltag angehen. Die           Je nach Fachgebiet können aber auch
      Kurstage, verteilt auf ein Jahr.               behandelten Texte stammen von klassi-           ganz andere Fragen im Vordergrund ste-
      Drei Themen beschäftigten die Ärzte im         schen Philosophen sowie von zeitgenös-          hen. Um den Transfer vom Hörsaal in den
      Kurs am meisten, weiss Hoffmann: «Ers-         sischen Autoren. Aber: «Wir vermitteln          Alltag zu realisieren, schreiben die Teil-
      tens die Frage nach der Verletzlichkeit        keine klaren Antworten. Wir sagen nicht,        nehmer zum Abschluss des Kurses eine
      und Sterblichkeit des Menschen. Zwei-          das ist richtig, und das ist falsch», erklärt   Arbeit. Dort sind sie aufgefordert, ihren
      tens die Frage nach der Wirtschaftlichkeit,
      nach der gerechten Verteilung von medi-
      zinischer Betreuung. Wofür soll die All-
      gemeinheit aufkommen? Wie viel darf              CAS Philosophie und Medizin
      Medizin überhaupt kosten? Als wie wert-
      voll erachten wir das Gut der Gesund-            Der Lehrgang wird mit einem Certificate of Advances Studies in Philosophie und Medi-
      heit? Und drittens Fragen zur individuel-        zin abgeschlossen. Neben dem CAS bietet die Universität Luzern auch einen MAS Philo-
      len Arzt-­Patienten-Beziehung: Ist der Pa-       sophie und Medizin an. Er soll voraussichtlich 2018 wieder angeboten werden; derzeit
      tient autonom? Wenn ja, bis zu welchem           wird der Inhalt und die Struktur überarbeitet. Ziel der Umstrukturierung ist eine grös­
      Grad?» Die individuellen Vorlieben der           sere Flexibilität bei der Studienorganisation sowie die inhaltliche Optimierung des Stu-
      Teilnehmer variieren natürlich je nach           dienangebots.
      Spezialisierung.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL          997

ganz konkreten Berufsalltag mithilfe der             früher oder später gelangten die meisten             rungen, die Allgemeinheit, zum Teil
Philosophie zu reflektieren. Ausserdem               Ärzte in eine Situation, in der ihr natur-           auch Kollegen. Ihre Arbeit ist sicher
enthält jedes Modul eine Transferdiskus-             wissenschaftlich ausgerichtetes Studium              schwieriger geworden. Dazu kommt,
sion.                                                sie an Schranken bringe. Sei dies eine               dass sie sich immer stärker in ihrer Ex-
                                                     schwierige Diagnose oder wenn in einem               pertise infrage gestellt sehen. Patienten
Die Schranken der Naturwissenschaft                  Fall die Grenzen der Medizin erreicht                informieren sich im Internet und kon-
Das Bedürfnis nach Beschäftigung mit                 sind. «Dann merken sie, dass im hekti-               frontieren den Arzt mit einer ausführli-
solchen grundlegenden Fragen sei unter               schen Berufs­alltag kaum Zeit für Refle-             chen Frageliste oder lassen ihn rechtfer-
den Medizinern durchaus vorhanden,                   xion oder Diskussion bleibt. Viele fühlen            tigen, warum er gerade diese Therapie
erzählt Magdalena Hoffmann weiter.                   sich dann mit ihren Fragen allein gelas-             wählt.» Die Medizin sei im Umbruch,
Auch wenn dies häufig erst einige Jahre              sen.»                                                glaubt Magdalena Hoffmann. Umso
nach dem Berufseinstieg offenkundig                                                                       nützlicher kann es für einen Arzt sein,
werde. «Jüngere Ärzte sind mit ihrer                 Ärzte unter Druck                                    durch die Philosophie eine neue, über-
Fach­arzt­aus­bil­dung beschäftigt. Sie              Magdalena Hoffmann sagt: «Ich habe                   geordnete Perspektive einnehmen zu
müssen sich etablieren und ­setzen an­               den Eindruck, dass viele Ärzte sich unter            können.
dere Prioritäten. Es bedarf einiger Zeit             Druck fühlen, weil immer mehr An-
praktischer Tätigkeit, bis diese Fragen              spruchsgruppen auf sie einwirken. Nicht
als drängend empfunden werden.» Aber                 nur Patienten, sondern auch Versiche-                Weitere Informationen: www.philomedizin.ch

Der Eid des Hippokrates – hier der griechische Arzt als Kühlschrankmagnet – ist die wohl bekannteste ethische Verpflichtung für Ärzte.

                                                                                                                SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
                                                                                                                                                   P
Zu alt, um neu zu starten, zu jung, um aufzuhören - Swiss Dental Journal SSO
998     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                    I N T E R N AT I O N A L E S

                                                                     Der 105. Weltkongress der FDI fand in Madrid
        Weltkongress                                                 statt. Vom 29. August bis zum 1. September

        2017 der FDI                                                 fanden sich Tausende von Tagungsteilneh-
                                                                     mern in der spanischen Hauptstadt ein.

                                                                     Text und Fotos: Dr. Philippe Rusca, SSO-Abgeordneter in der FDI

      Bereits am Sonntag, 27. August, kamen die Delegierten aus der
      ganzen Welt in der IFEMA (Feria de Madrid) für die Generalver-
      sammlung des Weltparlaments der Zahnärzte zusammen. Zur
      Erinnerung: Die FDI umfasst über 200 Mitgliedsverbände aus
      über 130 Ländern.
      Der abtretende Präsident Patrick Hescot (F) schloss seine Amts-
      periode mit dem Tätigkeitsbericht ab. Die FDI ist gut aufgestellt,
      und die Aufwertung der Regionalorganisationen in Afrika, im
      asiatisch-pazifischen Raum und in Lateinamerika ist auf gutem
      Weg. Der Welttag der Mundgesundheit ist in der ganzen Welt
      bekannt, und die zentrale Botschaft «Mundgesundheit = Le-
      bensqualität» wird überall immer bekannter. Die Finanzen
      ­sehen wieder etwas rosiger aus, und die Zeit der budgetären         Der Vorstand der ERO
       Einschränkungen hat einer Politik Platz gemacht, die stärker
       auf vielversprechende Projekte setzt. Zu den grössten Heraus-
       forderungen, vor denen die FDI steht, gehört die Überalterung
       der Bevölkerung und deren Auswirkungen auf die Gesundheit.
       Leider wachsen die Probleme, die sich aus dieser Entwicklung
       ergeben, schneller als die Lösungen, die die Akteure des Ge-
       sundheitswesens anbieten können.
       Die neue Präsidentin der FDI, Kathryn Kell (USA), ist eine sehr
       erfahrene Frau, die lange Zeit für die mächtige American Dental
       Association (ADA) tätig war und die Funktionsweise der FDI bes-
       tens kennt. Erwähnt sei an dieser Stelle auch noch, dass der bei
       den Europäern bestens bekannte Gerhard Seeberger (I) glanzvoll
       zum «President-elect» gewählt wurde. Damit wird der FDI-­
       Vorsitz 2019 wieder in europäischer Hand sein.
       Die ERO (Europäische Regionalorganisation) nutzte den Um-
       stand, dass die meisten ihrer Mitglieder anwesend waren, um
       ebenfalls ihre Vollversammlung durchzuführen.                       Viele junge Kollegen
       Ich lade Sie dazu ein, die Website der FDI, www.fdiworlddental.
       org, zu besuchen, wo Sie weiterführende Informationen zu lau-
       fenden Projekten und die in Madrid verabschiedeten Grund­           Hinzu kam, dass die Räumlichkeiten in der riesigen «Feria de
       satz­erklä­run­gen finden sowie weitere für unseren Beruf nütz­     Madrid» nicht wirklich bequem waren und den Tagungsteil-
       liche Hinweise.                                                     nehmern kaum Komfort boten. Unvollständige Trennwände
       Der Kongress selbst gehörte nicht unbedingt zur Kategorie           führten zu einer Akustik, die angesichts des Umgebungslärms,
       «unvergesslich». 3723 Personen nahmen teil (darunter                den die Messe produzierte, sehr zu wünschen übrig liess. Auch
       64 Schweizer), aber praktisch keine Spanier – das war schon         die kahlen Betonböden wirkten nicht einladend. Das war umso
       sehr enttäuschend. Die Vereinigung der spanischen Zahnärzte         bedauerlicher für die Redner, die unter schwierigen Bedingun-
       zählt über 35 000 Mitglieder, und einmal mehr sind die lokalen      gen auftreten mussten.
       Mitglieder der Veranstaltung ferngeblieben. Es war leider nicht     Der nächste Kongress der FDI findet vom 5. bis zum 8. Septem-
       das erste Mal, dass dies passiert, mit entsprechend negativen       ber 2018 in Buenos Aires (Argentinien) statt. Hoffen wir, dass
       finanziellen Folgen für die Veranstalter. Neben den wissen-         die Organisatoren dort ein besseres Händchen haben und den
       schaftlichen Veranstaltungen ermöglichen es diese Anlässe,          Details einer derart wichtigen Veranstaltung mehr Aufmerk-
       Kontakte zu Kollegen aus der ganzen Welt zu knüpfen.                samkeit schenken.

      SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
                                         P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL              999

                                   KO N G R E S S E / FAC H TAG U N G E N

                                                                    Die Schweizerische Gesellschaft für
  Minimalinvasive                                                   ­Parodontologie (SSP) veranstaltete ihre

  Behandlungen in                                                   Jahrestagung im Forum Fribourg. Nach
                                                                    dem interessanten Kongress 2016 waren
  der Parodontologie                                                die Erwartungen hoch. Konnten die Ver-
                                                                    anstalter sie erfüllen?

  47. Jahrestagung der SSP                                          Text und Fotos: med. dent. Daniel Nitschke, Bonstetten

Der Willen, zwei Kongresstage mit rele-        eine Behandlung mit EDTA (24%) und          Verwendung der entsprechenden tech­
vanten und praxisbezogenen Vorträgen           mit Chlorhexidin-­Gel (1%).                 nischen Hilfsmittel. Zuhr erklärte, dass
zu füllen, war zu erkennen. Doch das           Auch die Dimensionen der Transplantate      schon die heute verwendeten Instrumen-
Feuerwerk des letzten Jahres an ausser­        sind gleich: eine Höhe von vier Millime-    te eigens für die zahnärztliche Mikrochi-
gewöhnlich interessanten Vorträgen blieb       tern und eine Dicke von bis zu einem        rurgie entwickelt werden mussten. Die
diesmal aus.                                   Millimeter. Die Grösse des CTG (nicht       Herausforderung war die Verbindung von
Dazu kam der Veranstaltungsort. Das Fo-        die Dicke) habe im Übrigen praktisch        Grazilität und Stabilität. So konnten bei-
rum Fribourg besitzt in etwa den Charme        keine Auswirkung auf die Erfolgsrate.       spielsweise Instrumente aus der Neuro-
des verlassenen Flughafens aus Steven          Diese liege bei 96 Prozent nach einem       chirurgie oder Augenchirurgie nicht ver-
Kings Horrorfilm «The Langoliers – Ver-        Jahr. Es sei jedoch zu beachten, dass die   wendet werden, da sie bei Kontakt mit
schollen im Zeitloch». Da auch die Lage        Dicke von Lappen und Transplantat bei       den rigiden Geweben der Mundhöhle
nicht ideal ist, ist es nicht ganz nachvoll-   der Deckung von Rezessionen am Im-          schnell verbogen. Optisch reiche meist
ziehbar, weshalb dieses Jahr neben dem         plantat mindestens zwei Millimeter be-      die Lupenbrille, ein Mikroskop sei nicht
SSO-Kongress nun schon die zweite              tragen muss, um ein ästhetisch zufrie-      grundsätzlich erforderlich.
grosse Veranstaltung dort stattfinden          denstellendes Ergebnis zu erreichen. Bei    Bezüglich der operativen Faktoren legte
durfte.                                        Zähnen spielt dieser Faktor eine unter-     der Referent den Fokus auf die Blutver-
                                               geordnete Rolle. Nach der Entnahme des      sorgung im Operationsgebiet und die
Mukogingivalchirurgie                          CTG werden das submukosale Gewebe           primäre Wundstabilität. Dies seien zwei
Über die Unterschiede bezüglich der Mu-        und das Epithel entfernt. Die Naht er-      der wenigen Faktoren, die vom Chirur-
kogingivalchirurgie an Zähnen und Im-          folgt bei der Deckung von Zahnberei-        gen überhaupt beeinflusst werden kön-
plantaten referierte in der Folge Prof. Dr.    chen nur koronal, während am Implan-
Giovanni Zuchelli von der Universität Bolo-    tat sowohl vertikal als auch horizontal
gna. Er erklärte, dass es vom chirurgi-        vernäht werde. Danach folge bei Zähnen
schen Standpunkt aus nicht besonders           eine einfache und bei Implantaten eine
viele Unterschiede gebe. Bei Rezessionen       doppelte Umschlingungsnaht. Im An-
entstehe im sichtbaren Bereich bei Im-         schluss an die Behandlung müsse der
plantaten jedoch eine schnellere Behand-       Patient in ein strenges Recall-Programm
lungsindikation aus Gründen der Ästhe-         eingebunden werden. Ausserdem sollte
tik.                                           die Operation nicht bei Rauchern oder
Der Professor formulierte drei Schlüssel-      Patienten mit generalisierter Parodonti-
faktoren für die Deckung von Rezessio-         tis durchgeführt werden.
nen an Implantaten. Die Positionierung
des CTG (connective tissue graft, Binde-       Erfolgsfaktoren in der Mikrochirurgie
gewebstransplantat), die Dicke und             Für den Privatpraktiker Dr. Otto Zuhr ist
Qualität des CTG und die Erhöhung des          das Schlüsselthema in der rekonstrukti-
Volumens des interproximalen Gewebes.          ven Parodontalchirurgie die klinische
Das Design des Lappens sei dasselbe –          Relevanz. Anders ausgedrückt: Nützt der
ein Trapezlappen. Nach der Präparation         Eingriff dem Patienten wirklich? Und
des Lappens erfolgt bei Zähnen ein SRP         können die Zahnärzte mit der Mikrochi-
(scaling and root planning) und eine           rurgie voraussagbare Ergebnisse errei-
zweiminütige Behandlung mit EDTA               chen? Für den Referenten liegen die Er-
                                                                                           Für Dr. Otto Zuhr ist das Schlüsselthema in der
(24%). Bei Implantaten erfolge eine            folgsparameter in der Symbiose zwischen     ­rekonstruktiven Parodontalchirurgie die klinische
Glättung mit einem Titan-Mikrobrush,           den Fähigkeiten des Zahnarztes und der       Relevanz.

                                                                                                 SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017P
1000     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

   nen. Die postoperative Blutversorgung
   könne beispielsweise mit einer kürzeren
   vertikalen Inzision positiv beeinflusst
   werden. Die Primärstabilität sei u.a. von
   der Lappendicke und der Qualität des
   CTG (beides vom Chirurgen nicht oder
   kaum beeinflussbar) und der Nahttech-
   nik bzw. der Wahl des Nahtmaterials ab-
   hängig. Vordergründig sei auf eine atrau-
   matische und präzise Arbeitsweise zu
   achten.

   Rekonstruktive Parodontalchirurgie – lohnt
   sich der Aufwand?
   Prof. Dr. Anton Sculean von der Universität
   Bern sprach in seinem Referat über die
   rekonstruktive Parodontalchirurgie und
   verglich die Langzeiterfolge mit anderen
   Behandlungen. Das primäre Ziel der Be-
                                                      Prof. Dr. Anton Sculean verglich die Langzeiterfolge   Prof. Dr. Giovanni Salvi erörterte, ob die Ablehnung
   handlung sei die Reduzierung der Son-              der rekonstruktiven Parodontalchirurgie mit an-        der minimalinvasiven Periimplantitistherapie noch
   dierungstiefen (auf weniger als fünf Milli-        deren Behandlungen.                                    zeitgemäss ist.
   meter), so Sculean. Ausserdem sollen
   Nischen, beispielsweise Furkationen,
   ­eliminiert werden. Gerade Furkationen             sere. Notabene bei kluger Indikations-                 tis (!) an der periimplantären Gingiva dia-
    seien ein Hauptgrund für den späteren             stellung und adäquater Durchführung.                   gnostiziert, sei die Plaquekontrolle mit
    Zahnverlust, da diese Zähne für den Pa-           Darüber hinaus biete die Behandlung                    mechanischer Reinigung die empfohlene
    tienten kaum zu reinigen sind.                    deutliche finanzielle Vorteile von teil­               Therapie.
    Ein weiteres Ziel sei eine Situation ohne         weise mehr als fünfzig Prozent gegenüber               Der Referent zeigte anhand einer Studie
    Blutung auf Sondieren (BoP). Sculean              einer Extraktion mit an­schlies­sen­der                (Costa et al. 2012), dass die mechanische
    zeigte anhand einer eigenen Studie von            Augmentation, Implantation und Supra-                  Reinigung im Recall die Langzeitprognose
    2008, dass die Kombinationstherapie aus           konstruktion.                                          von Implantaten mit diagnostizierter Mu-
    gesteuerter Geweberegeneration (GTR)                                                                     kositis verbessert. So waren 30,5 Prozent
    und der Verwendung von Schmelz-Ma-                 Minimalinvasive Therapie auch bei Peri­               der Implantate nach fünf Jahren und re-
    trix-Proteinen oder Knochenersatzmate-             implantitis möglich?                                  gelmässiger Reinigung entzündungsfrei.
    rialien zu besseren Ergebnissen führt als          Die minimalinvasive Parodontitistherapie              Zu einer Periimplantitis kam es nur in
    eine Open-Flap-Therapie, also dem ope-             gehört zur Standardtherapie der meisten               18 Prozent der Fälle. Fand keine regel-
    rativen Scaling unter Aufklappung. Das             Zahnarztpraxen. Auch weil die Effekti­                mässige Plaqueentfernung in der Praxis
    gilt sowohl für Kurzzeit- als auch für            vität der Behandlung als gesichert gilt.               statt, war kein einziges der Implantate
    Langzeitergebnisse. Die Studie bezog sich         Zahnärzte haben mit SRP ohne adjuvante                 mit Mukositis nach fünf Jahren entzün-
    auf intraossäre Defekte. Der Referent er-          Antibiotikatherapie gute Erfahrungen                  dungsfrei. Dafür führte die Mukositis
    klärte, dass es für diese Art von Defekten        ­gemacht. Bei der Periimplantitis galt die             bei 43,9 Prozent der Implantate zu einer
    eine deutlich bessere Datenlage gebe als           gleiche Therapie bisher hingegen als nicht            Periimplantitis. Die Ergebnisse waren bei
    für Furkationen.                                   ausreichend. Prof. Dr. Giovanni Salvi erör-           supramukösen Kronenrändern besser.
    In einer anderen, noch unveröffentlich-            terte in seinem Referat, ob die Ablehnung             Selbstverständlich bleibe jedoch die täg­
    ten Studie ist erkennbar, dass Kombina-            der minimalinvasiven Periimplantitisthe-              liche mechanische Plaqueentfernung
    tionstherapien offenbar auch zu besseren           rapie noch zeitgemäss ist. Salvi beschrieb            durch den Patienten die Grundlage der
    Ergebnissen führen als rekonstruktive              folgende Erfolgskriterien: Sondierungs-               Periimplantitisprophylaxe. Es gebe aller-
    Einzeltherapien (GTR, Schmelz-Matrix-­             tiefen unter fünf Millimetern, kein Bluten            dings keine Hinweise, dass die Verwen-
    Proteine, Knochenersatzmaterialien).               auf Sondieren und kein weiterer Verlust               dung von elektrischen Zahnbürsten zu
    Zusammenfassend könne man sagen,                   von Alveolarknochen. Um es nicht zur                  besseren Ergebnissen führe. Gleiches gel-
    dass die rekonstruktive Parodontalchi-             Periimplantitis kommen zu lassen, sei ein             te für die Verwendung von Antiseptika
    rurgie die Langzeitprognose von paro-              regelmässiger Recall und eine frühzeitige             durch den Patienten. Auch bestehe keine
    dontal beeinträchtigten Zähnen verbes-             Diagnostik elementar. Wird eine Mukosi-               Evidenz für bessere Ergebnisse durch die
                                                                                                             Verwendung von Antiseptika, lokalen
                                                                                                             Antibiotika oder Pulverstrahlgeräten in
                                                                                                             der Praxis (bei Mukositis).
         Drei neue Vorstands­mitglieder                                                                      Wird letztlich dennoch eine Periimplan-
                                                                                                             titis diagnostiziert, führe eine mecha­
         An ihrer Mitgliederversammlung wählte die SSP drei neue Vorstandsmitglieder: Dr. ­Antje             nische Reinigung kaum zu einer Ver­
         Straub, Aarau, Prof. Dr. Clemens Walter, Basel, und PD Dr. Christoph Ramseier, Bern. Sie            besserung. Auch die Verwendung von
         ersetzen Prof. Dr. Anton Sculean, Dr. Kathrin Lampe-Bless und Dr. Frauke Berres.                    Chlorhexidin habe nur einen minimalen
                                                                                                             Effekt. Dagegen führe eine zehntägige

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ZAHNMEDIZIN AKTUELL              1001

Wie viele Implantate brauchen wir, und wie lang      Prof. Dr. Andrea Mombelli (l.) mit Prof. Dr. Thomas Hart
müssen sie sein?, fragte PD. Dr. Philipp Sahrmann.

systematische Antibiotikatherapie                    Ausserdem könne unter Umständen auf                    Knochen, sondern wohl an periimplan-
scheinbar zu geringeren Sondierungs­                 eine Augmentation verzichtet werden.                   tären Knochenfrakturen. Das könnte an
tiefen. Salvi wies allerdings darauf hin,            Nachteilig sind dagegen mögliche Frak-                 der stärkeren Verdichtung des umgeben-
dass die zugrunde­liegende Studie für die            turen (von Implantat oder Gerüst) und                  den Knochens liegen, was sich besonders
 Antibiotikatherapie sehr klein sei und              Lockerungen aufgrund der stärkeren                     bei kürzeren Implantaten als Problem er-
ohne Kontrollgruppe durchgeführt wur-                ­Belastung.                                            weise.
de. Lokale Antibiotika würden ebenfalls               Eine kontrovers diskutierte Behand-
zu einer Reduktion von Sondierungs­                  lungsoption, die mit der Anzahl an Im-                   Weiter sprachen am SSP-Kongress 2017:
tiefen und BoP führen, genauso wie die               plantaten in Zusammenhang stehen                         Prof. Dr. Thomas Hart referierte über gene-
Therapie mit einem photodynamischen                  kann, ist der distale Cantilever. Dabei                  tische Testmöglichkeiten und deren Ein-
Laser. Bei fortgeschrittenen Fällen sei              wird in Studien besonders die Gefahr von                 teilung in gute und überflüssige Tests. Er
­jedoch eine chirurgische Therapie not-              Alveolarknochenverlust erwähnt. Grund-                   erklärte, dass es mehr als 8000 geneti-
 wendig. Ausserdem müsse zum Teil aus                sätzlich handle es sich aber um eine gut                 sche Störungen gebe, von denen 30 bis
 prothetischen Gründen über eine Ex-                 funktionierende Option ohne grös­sere                    40 Prozent Auswirkungen auf die Zähne
 plantation nachgedacht werden.                      Probleme, wobei die Studienlage über                   hätten.
                                                     mehr als fünf Jahre dürftig sei. Dies gelte            Dr. Norbert Cionca erklärte, dass es eine
Notwendige Anzahl und Länge von Implan-              sowohl für die Option ein Implantat und                  0,6-prozentige Prävalenz für Titanaller-
taten                                                ein Cantilever als auch für grössere Ver-                gien gebe. Ausserdem könne eine lang-
Wie viele Implantate brauchen wir, und               sorgungen. Bei der 1+1-Lösung zeige sich                 fristige Bakterienkontamination auf der
wie lang müssen sie sein? Dies war das               aber nur eine sehr geringe negative Ab-                  Implantatoberfläche zu Korrosion führen.
Thema von PD Dr. Philipp Sahrmann, der               weichung von der Erfolgsrate einer Lö-                   Darüber hinaus könne sich die Oberfläche
erklärte, dass ihn die Diskussion an An-             sung mit zwei Implantaten.                               der Implantate bei der Insertion verän-
te’s Law von 1926 erinnert. Wie viele                Bei geringem Knochenangebot, gerade                      dern – unter Umständen mit Auswirkun-
Pfeiler und wieviel Wurzeloberfläche                 im Bereich des Sinus maxillaris, des                     gen auf die Biokompatibilität.
wird für den Ersatz eines bestimmten                 N. alveolaris inferior oder des N. mentalis,             Prof. Dr. Francesco D’Aiuto sprach über den
Zahnes benötigt? Heute wisse man, dass                können kurze Implantate (d.h. ≤8 mm)                    Zusammenhang zwischen systemischen
Antes Gesetzmässigkeiten für Zähne kei-               eine Lösung sein. Diese seien billiger bei              Entzündungen und der Parodontalthera-
ne Relevanz haben. Auch bei Implanta-                 einfacherer Insertion. Nachteile bestehen               pie. So könne eine länger persistierende
ten sei keine allgemeingültige Aussage                in der geringeren Osteointegrationsflä-                 Parodontitis ein Risiko für chronische
möglich. So sei die Maximalanzahl an                  che und der damit verbundenen hohen                   ­Erkrankungen bergen. Das Management
Implantaten meist durch Anatomie,                     Ratio von der Krone zum Implantat. Laut                ­einer Parodontitis könnte Teil der medizi-
Platz- und Knochenangebot vorgegeben                  Sahrmann ist die Erfolgsrate recht gut.               nischen Behandlung von Patienten mit
(und nicht zuletzt durch das Budget des               Etwas problematischer sei die Anwen-                  systemischen entzündlichen Erkrankun-
Patienten). Auch für die minimale An-                 dung unter Prothesen. Einige neue Stu-                gen werden.
zahl könne vorerst kein Limit genannt                 dien zeigten jedoch einen signifikant                 Ausserdem referierten: Prof. Dr. Morgan
werden. Vor- und Nachteile müssten                    ­höheren Implantatverlust bei kurzen                    Kilian, Prof. Dr. Flavia Teles, Prof. Dr. Bjarni
­individuell miteinander abgewogen                     ­Implantaten – bei einer Funktionsdauer                Pjetursson, Prof. Dr. Clemens Walter, Dr. Pat-
 werden. So führe eine geringere Anzahl                 von mehr als fünf Jahren. Der Grund                   rick Gugerli, Dagmar Else Slot und PD Dr.
 zu niedrigeren Kosten für den Patienten.               liege nicht im Verlust von marginalem                 Christoph Ramseier.

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1002     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

                                                                           Einen besonderen Stellenwert hat die
         Kinderonkologie                                                   Mund- und Zahnpflege während einer

         und Kinderzahn­                                                   onkologischen Erkrankung. Der Privat­
                                                                           praktiker muss in der interdisziplinären
         medizin                                                           Zusammenarbeit geschult werden und die
                                                                           für die Praxis relevanten Strategien und
                                                                           Empfehlungen kennen.

                                                                           Text: Dr. Fabio Saccardin, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin
                                                                           ­Basel (UZB); Fotos: Dr. Fabio Saccardin (UZB) und Franziska Fischler
         Update on Oral Health Management                                   Universitäts-Kinderspital beider Basel

       Unter dem Titel «Update on Oral Health          ist es zum dritten Mal gelungen, den Saal          Mund- und Kieferheilkunde, UZB, sprach
       Management» wurde den Pädiatern,                vollständig zu füllen. Mit Fachvorträgen           in seinem Referat über die Relevanz der
       Zahnärzten, Prophylaxeassistentinnen            wurde aktuelles Forschungswissen ver-              Zungenreinigung. Onkologische Behand-
       und dem Pflegefachpersonal aus Kinder-          mittelt. In den Workshops «Zahnmedi-               lungen führen häufig zu Zungenbrennen,
       krankenhäusern mit onkologischer Sta-           zin» und «Zahnpflege» wurde die pra­               Geschmacksstörungen und zum An-
       tion eine ideale Plattform geboten, um          xis­orientierte Schulung fortgesetzt. Für          schwellen der Zunge. Dies kann die Le-
       sich über die verschiedenen Aspekte der         weitere Fragen traf man sich zur ab-               bensqualität betroffener Patienten deut-
       oralen Gesundheit aus wissenschaftlicher        schliessenden Plenumsdiskussion und                lich beeinträchtigen. Im Mund befinden
       Sicht zu informieren und Erfahrungen            hatte beim Apéro Gelegenheit zum Ge-               sich – durch klinische Untersuchungen
       aus dem Klinikalltag auszutauschen. Die         dankenaustausch.                                   nachgewiesen – 60 Prozent der Mikro­
       Veranstalterinnen Dr. med. Tamara Diesch,                                                          orga­nis­men auf der Zungenoberfläche.
       Spezialärztin Onkologie/Hämatologie,            Besonderheiten der Zungenreinigung bei             Die tägliche Zungenreinigung mit Kinder-
       Universitätskinderspital beider Basel           onkologischen Patienten                            zahnbürsten (niedrigem Bürstenkopf) und
       (UKBB), und Dr. med. dent. Cornelia Filippi,    Prof. Dr. med. dent. Andreas Filippi, Klinik       Zungenpaste können das Ausmass einer
       Kinderzahnärztin UZB-Schulzahnklinik,           für Zahnärztliche Chirurgie, -Radiologie,          Mukositis, Gingivitis, Pilzinfektion sowie

       Eröffnung des Symposiums durch Marco Fischer,   Einleitende Worte von Andreas Stutz, CEO des UZB   Prof. Dr. med. dent. Andreas Filippi wies auf die
       CEO des UKBB                                                                                       ­Bedeutung und Notwendigkeit der Zungenreini-
                                                                                                           gung hin.

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ZAHNMEDIZIN AKTUELL             1003

Insgesamt nahmen rund 100 Besucher aus verschiedenen Fachdisziplinen teil. Das gut besuchte Symposium deutete auf einen offensichtlichen Austausch-
bedarf seitens der pädiatrischen Ärzte, Zahnärzte sowie des Pflegefachpersonals bezüglich oraler Gesundheit hin.

die Entstehung von Karies reduzieren.                Die entstandene Haarzunge wird durch das        ziiert werden können. Cvikl wies darauf
Grund hierfür ist die Reduktion von Kei-             vorsichtige Abtragen mit der Zahnbürste         hin, dass es sich um eine In-vitro-Studie
men. Bei parenteraler Ernährung wachsen              reduziert. Zungenschaber sollten hinge-         handelt und somit keine direkten Rück-
die Zungenpapillen häufig ungebremst.                gen während onkologischer Behandlung            schlüsse auf die Wirkung im Mund ge­
                                                     wegen der Verletzungsgefahr und damit
                                                     verbundenen Eintrittspforten vermieden
                                                     werden. Wichtig sei, so sein Fazit, die
                                                     Zungenreinigung zum festen Bestandteil
                                                     der täglichen Mundpflege auch bei onko-
                                                     logisch erkrankten Patienten zu machen.

                                                     Wirkung von Zahnpastabestandteilen auf
                                                     Zellen der Mundschleimhaut
                                                     Prof. Dr. med. dent. Barbara Cvikl, Abteilung
                                                     für Zahnerhaltung und Parodontologie,
                                                     Universität Wien, und Klinik für Zahn-
                                                     erhaltung, Präventiv- und Kinderzahn-
                                                     medizin, ZMK Bern, zeigte die Wirkung
                                                     von Zahnpastabestandteilen auf die
                                                     Mundschleimhaut. Zahnpasten enthalten
                                                     als Hauptkomponenten Tenside, Schleif-
                                                     mittel und Fluorid. Die vorgestellte Studie
                                                     untersuchte die In-vitro-Zytotoxizität
                                                     von neun handelsüblichen Zahnpasten
                                                     mit vier verschiedenen Detergenzien. Es
                                                     konnte gezeigt werden, dass Natriumlau-
                                                     rylsulfat (SLS) und Aminfluorid die Zell-
                                                     lebensfähigkeit von Fibroblasten signifi-
                                                     kant hemmen. Diese Ergebnisse geben
                                                     einen Hinweis darauf, dass die Art der
Prof. Dr. med. dent. Barbara Cvikl referierte über                                                   Lynn Leppla stellte ein erfolgreiches Mundpflege-
die Wirkung von Zahnpasten auf die Mund-             Tenside in den Zahnpasten mit Verände-          protokoll vor.
schleimhaut.                                         rungen der In-vit­ro-Zytotoxizität asso-

                                                                                                           SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
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1004     ZAHNMEDIZIN AKTUELL

       Welche Produkte soll man bei der professionellen Zahnreinigung verwenden? Sarah Zimmermann steht Rede und Antwort.

       zogen werden dürfen. Weitere klinische           tokoll etabliert und validiert. Dieses bein-      setzte und die Anzahl der schwer ver­
       Untersuchungen sind nötig, da im Mund            haltet die systematische Erhebung des             laufenden Mukositiden abnahm. Somit
       noch andere Einflüsse (z.B. Speichel) eine       Mundstatus, Schulung der Bass-Zahn-               konnte gezeigt werden, dass ein syste-
       möglicherweise schützende Wirkung auf            putztechnik, Zungenreinigung, die An-             matisches Zahn- und Mundpflegeproto-
       die Fibroblasten ausüben und eine to­xi­         wendung von Zahn- und Mundpflege-                 koll bei onkologisch erkrankten Patienten
       sche Wirkung gegebenenfalls ausglei-             produkten und die Anweisung, wie diese            für den Heilungsverlauf von Bedeutung
       chen. Bei der Auswahl einer Zahnpaste            verwendet werden sollen. Nach dem                 ist und dies die Dauer der Therapie ver-
       zur Anwendung während onkologischer              Schulungsprogramm wurde mit verhal-               kürzen kann.
       Therapie empfiehlt sie, während dieser           tensändernden Techniken von Michie et.
       Zeit tensidfreie und aminfluoridfreie            al. gearbeitet. Im Konkreten erhielten alle         Praktische Anwendung und interdisziplinäre
       Zahnpasten zu wählen.                            Patienten zwei Schulungen. Sie lernten,             Zusammenarbeit
                                                        eine orale Mukositis zu beurteilen, wie sie       Wie in Basel ein Mundpflegeprotokoll bei
       Mundpflegeprotokolle entwickeln und              entsteht, welche Konsequenzen sie haben           Kindern umgesetzt wird, zeigten Sibylle
       ­überprüfen                                      kann und allgemeine präventive Mass-              Chettata, Pflegeexpertin MScN, und Edith
        Um die Vermeidung von Mukositis bei             nahmen. Darauf aufbauend lernten sie,             Corneo, Pflegefachfrau HF am Universi-
        Erwachsenen ging es im Beitrag von Lynn         selbstständig ihren Mundstatus zu erhe-           tätskinderspital beider Basel. So ging be-
        Leppla, Pflegeexpertin für Hämatologie/         ben und das Mundpflegeprotokoll an den            reits der Vortrag «Hand in Hand» mit
        Onkologie und Stammzelltransplanta-             erhobenen Mundstatus anzupassen. Alle             ­einer Zusammenarbeit der UZB-Schul-
        tion, Universitätsklinikum Freiburg im          Patienten der Interventionsgruppe er-              zahnklinik, die von Sarah Zimmermann,
        Breisgau. Trotz intensiver Forschung sind       hielten ein Necessaire mit den für ihren           Prophylaxeassistentin UZB, vorgestellt
        bisher nur wenige präventive Massnah-           Aufenthalt benötigten Materialien. Dazu            wurde. Ab dem Zeitpunkt der Erkran-
        men bekannt, die den Patienten wirklich         ein laminiertes Heftchen, das die Ein-             kung folgt die Betreuung dem Verlauf
        helfen. Je nach onkologischem Behand-           schätzungsskala und das Protokoll ent­             ­einer Einteilung nach Intensivphase, Er-
        lungsprotokoll leiden 40 bis 99 Prozent         hielt, und Informationen zur Benutzung.             haltungsphase und Nachsorge. Mit dem
        der behandelten Patienten an Mukositis.         Nach einer Übungsphase wurden Remin-                Eintritt ins Spital werden Eltern und Kin-
        Die klinischen Folgen sind verminderte          der etabliert.                                      der durch die Pflegemitarbeiterinnen des
        Lebensqualität, Therapieverzögerung,            Das Ergebnis der durchgeführten Studie              UKBB in der Zahnpflege geschult. Pro­
        Dosisreduktionen, Hospitalisation und           war, dass bei jenen Patienten, die das              fessionelle Zahnreinigung und zahnärztli-
        bei schwerem Verlauf eine erhöhte Mor-          standardisierte Mundpflegeprogramm                  che Kontrollen führen die Zahnärzte der
        talitätsrate. Aus diesem Grund wurde in         mit zusätzlicher Selbstbeobachtung                  Schulzahnklinik durch. Dies muss koor-
        Freiburg im Breisgau ein Mundpflegepro-         durchführten, eine Mukositis später ein-            diniert werden. Die zahnärztlichen Be-

       SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 127 11 2017
                                            P
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