Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand - SWP-Studie Johannes Thimm - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Studie Johannes Thimm Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand Die USA im Kampf gegen den Terrorismus Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 16 August 2018
Kurzfassung Der von den USA geführte Krieg gegen den Terrorismus befindet sich in seinem 17. Jahr und bestimmt nun schon fünf Amtszeiten dreier höchst unterschiedlicher Präsidenten. Ein Ende ist nicht in Sicht. Mit zunehmen- dem zeitlichen Abstand zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist der anfängliche Schock nach und nach einer neuen Normalität gewichen, und so scheint der Zeitpunkt geeignet für eine Bestandsaufnahme – wie sie in der vorliegenden Studie erfolgt. Ein zentrales Ergebnis ist dabei, dass der globale Krieg gegen den Terroris- mus nicht nur andauert, sondern dass es auch immer schwieriger wird, ihn zu beenden. Was als geheimer Krieg begann, ist heute rechtlich und institu- tionell fest in der amerikanischen Politik verankert. Während europäische Staaten in den ersten Jahren nach dem 11. Septem- ber immer wieder deutliche Kritik an einigen zentralen Methoden des Anti- Terror-Kampfes geübt haben, ist diese inzwischen weitgehend verstummt. Inhaftierungen ohne Gerichtsurteil, gezielte Tötungen, anlasslose Überwa- chung – all das wird zumindest toleriert, zum Teil sogar unterstützt. Diese Entwicklung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zu ihren Folgen gehören die systematische Aushöhlung von Menschen- und Bürger- rechten; die Konzentration von Entscheidungsgewalt in den Händen der Exekutive zu Lasten des Prinzips der Gewaltenteilung; ebenso der Ausbau des nationalen Sicherheitsstaates. Da ein baldiges Ende des Krieges durch einen Sieg unwahrscheinlich ist, stellt sich für die europäischen Regierun- gen die Frage, ob sie den Kurs der USA weiter mittragen wollen.
SWP-Studie Johannes Thimm Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand Die USA im Kampf gegen den Terrorismus Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 16 August 2018
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Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 7 Einleitung: Kontinuität und Wandel im Kampf gegen den Terrorismus 9 Die Normalisierung des globalen Krieges gegen den Terrorismus 9 Eine Resolution als Ermächtigung für den Krieg gegen den Terrorismus 10 Entscheidungen im kleinen Kreis 10 Verdeckte Einsätze als Wesensmerkmal 11 Begrenzte Kurskorrekturen als Reaktion auf zunehmende Kritik 13 Die Evolution des Anti-Terror-Kampfs unter drei Präsidenten 13 Das Haft- und Verhörprogramm 13 Folter im Namen der Terrorismusbekämpfung 16 Widerstand aus der Zivilgesellschaft und von den anderen Gewalten 18 Beendigung von Folter unter Obama 19 Anlasslose Überwachung von Kommunikation 19 Überblick über die gesetzlichen Grundlagen des Überwachungsregimes 20 Entwicklung der Praxis seit dem 11. September 22 Neue Debatte durch Snowden-Enthüllungen 24 Gezieltes Töten 25 Ursprünge und Entwicklung der Politik gezielter Tötung 26 Mehr Tötungen und mehr Transparenz 28 Erste Tendenzen unter Trump 30 Der nationale Sicherheitsstaat und die Macht der Exekutive 30 Expansion des nationalen Sicherheitsstaates nach 9/11 31 Ausnahmezustand 33 Geheimhaltung 36 Straflosigkeit 37 Fazit: Die Kosten des Krieges 39 Abkürzungen 39 Literaturhinweise
Dr. Johannes Thimm ist Senior Fellow in der Forschungs- gruppe Amerika.
Problemstellung und Schlussfolgerungen Vom Ausnahmezustand zum Normal- zustand. Die USA im Kampf gegen den Terrorismus Der von den USA geführte Krieg gegen den Terroris- mus befindet sich in seinem 17. Jahr und bestimmt nun schon fünf Amtszeiten dreier höchst unter- schiedlicher Präsidenten. Ein Ende ist nicht in Sicht. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu den Terror- anschlägen vom 11. September 2001 ist der anfäng- liche Schock nach und nach einer neuen Normalität gewichen, und so scheint der Zeitpunkt geeignet für eine Bestandsaufnahme. Dabei geht es um die Kon- sequenzen, welche der von den USA über die letzten bald zwei Jahrzehnte verfolgte Ansatz der Terroris- musbekämpfung für den Rechtsstaat, die Demokratie und die Menschenrechte hat. Eine solche Bestandsaufnahme ist aus drei Grün- den angeraten. Erstens haben die Mittel der Terroris- musbekämpfung eine Reihe von Wandlungen erlebt. Die Methoden wurden immer wieder verändert, neue eingeführt und bestehende abgeschafft, der Rechts- rahmen wurde angepasst und der Kampf auf neue terroristische Gruppen ausgedehnt. Diese Studie soll helfen, bei den vielen Wendungen den Überblick zu behalten und die gegenwärtige Situation einzuord- nen. Zweitens haben die Methoden des Kampfes gegen den Terrorismus inzwischen Nachahmer gefunden. Nicht nur rechtfertigen es Autokraten aller Art als Anti-Terror-Maßnahmen, wenn unter ihrer Verant- wortung politische Gegner verfolgt und Menschen- rechte verletzt werden – auch die europäischen Demokratien sind vom Wandel nicht unberührt ge- blieben. Während europäische Staaten in den An- fangsjahren nach dem 11. September immer wieder deutliche Kritik an einigen zentralen Methoden des Kampfes geübt haben, ist diese inzwischen weitge- hend verstummt. Inhaftierungen ohne Gerichtsurteil, gezielte Tötungen, anlasslose Überwachung – all das wird zumindest toleriert, zum Teil unterstützt. Mehr noch: Europäische Regierungen eifern in vielem den USA nach. In Frankreich galt nach einer Serie von Terroranschlägen 2015 fast zwei Jahre lang ein ver- fassungsrechtlicher Ausnahmezustand; anschließend wurden viele der damals erlassenen Befugnisse für Polizei und Militär in einem Anti-Terror-Gesetz dauer- haft verankert. Großbritannien hat im Irak einen SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 5
Problemstellung und Schlussfolgerungen seiner Staatsbürger durch einen Drohnenangriff töten legalisiert. Obwohl jedes der genannten Felder – lassen, ohne auch nur den Versuch einer juristischen Inhaftierung, Tötung, Überwachung – eine jeweils Begründung zu unternehmen. Und in nahezu allen eigene Dynamik aufweist und die einzelnen Maß- europäischen Ländern fordern die Sicherheitsbehör- nahmen stetig weiterentwickelt wurden, überwiegt den immer neue Kompetenzen zur Überwachung der in der Summe die Kontinuität. Kommunikation. All dies führt zu einer Normalisie- Diese Entwicklung ist in mehrfacher Hinsicht prob- rung bedenklicher Praktiken, ohne dass diese aus- lematisch. Zu ihren Folgen gehört die systematische reichend reflektiert werden. Drittens hat die Problema- Aushöhlung von Menschen- und Bürgerrechten; die tik des Kampfes gegen den Terrorismus durch die Prä- Konzentration von Entscheidungsgewalt in den Hän- sidentschaft Donald Trumps neue Dringlichkeit erhal- den der Exekutive zu Lasten des Prinzips der Gewal- ten. Von seinen Vorgängern hat Trump in der Sicher- tenteilung; ebenso der Ausbau des nationalen Sicher- heitspolitik eine bemerkenswerte Machtfülle geerbt. heitsstaates. Dieser verschlingt nicht nur beachtliche Anders als bei Barack Obama ist jedoch nicht gewähr- Ressourcen, sondern ist in Gestalt eines nachrichten- leistet, dass er damit überlegt umgehen wird. Von dienstlich-industriellen Komplexes selbst zu einem Trumps Kontrolle über den metaphorischen roten Machtfaktor in der US-Sicherheitspolitik geworden. Knopf zum Einsatz des US-Nukleararsenals ist viel die Trotz vereinzelter Korrekturen und der Beendigung Rede; dagegen nimmt seine Macht über die Joysticks, einiger der schlimmsten Exzesse, insbesondere der die mit Hellfire-Raketen bestückte Predator-Drohnen Anwendung von Folter, hat sich über die letzten zwei lenken, in der Debatte nur relativ wenig Raum ein. Jahrzehnte in der amerikanischen Außenpolitik das Ein zentrales Ergebnis der Bestandsaufnahme ist, Maß dessen, was im Namen der Sicherheit möglich dass der globale Krieg gegen den Terrorismus nicht ist, nachhaltig verschoben. Rechtliche und moralische nur andauert, sondern dass es auch immer schwieri- Normen, die in den USA lange als unumstößlich gal- ger wird, ihn zu beenden. Was als geheimer Krieg ten, wurden dauerhaft beschädigt. einer (stark ideologisch geprägten) Präsidentschaft be- Die Effektivität dieser Art der Terrorismusbekämp- gann, ist heute rechtlich und institutionell fest in der fung bleibt umstritten. Sie abschließend zu beurtei- amerikanischen Politik verankert. Der Anti-Terror- len ist ausdrücklich nicht das Ziel der vorliegenden Kampf wird nach wie vor auch mit militärischen Mit- Analyse, denn dafür müsste man kontrafaktisch argu- teln und dem Anspruch geführt, terroristische An- mentieren, ob es heute weniger Terrorismus gäbe, schläge vollständig zu verhindern. Die Logik des wenn der Krieg nicht in dieser Form geführt worden Krieges und der Prävention hat die USA nach dem wäre – ein wissenschaftlich zweifelhaftes Unterfan- 11. September 2001 zu einer Reihe umstrittener Maß- gen. Doch erscheint es zumindest fraglich, ob man nahmen veranlasst. Im Rahmen eines teilweise ge- dem Ziel eines Sieges über den Terrorismus heute heim gehaltenen Haft- und Verhörprogramms wur- näher ist als 2001. Da also ein baldiges Ende des Krie- den mutmaßliche Terroristen verschleppt, inhaftiert ges durch einen Sieg unwahrscheinlich ist, stellt sich und gefoltert, um Informationen über geplante An- die Frage nach der Fortsetzung des eingeschlagenen schläge zu erhalten. Die geheimen Gefängnisse sind Kurses umso drängender. inzwischen außer Betrieb, und es wird nicht mehr Obwohl sich an den Gründen wenig geändert hat, gefoltert, aber in Guantánamo besteht die Praxis der aus denen die US-Politik nach dem 11. September unbegrenzten Haft von Verdächtigen ohne rechts- 2001 von europäischen Regierungen zunächst kriti- kräftiges Gerichturteil fort. Gezielte Tötungen mut- siert wurde, hat das Thema an Dringlichkeit einge- maßlicher Terroristen, häufig durch Drohnen, wur- büßt. Präsident Obama stand aufgrund seines hohen den aufgrund verbesserter technischer Möglichkeiten Ansehens in Europa nicht unter demselben Rechtfer- ausgeweitet und sind ein kaum noch hinterfragter tigungsdruck wie sein Vorgänger, obwohl er viele um- Bestandteil dieses Krieges. Nachdem bekannt gewor- strittene Maßnahmen fortsetzte. Nun, mit Trump im den war, dass die US-Nachrichtendienste den Kommu- Weißen Haus, haben europäische Regierungen ande- nikationsverkehr von Nicht-Amerikanern wie Ameri- re Sorgen und wollen kein weiteres Konfliktfeld mit kanern umfassend und auf umstrittener Rechtsgrund- Washington öffnen. Doch von alleine wird sich an lage überwachen, gab es auf diesem Gebiet einige den Praktiken der US-Regierung nichts ändern, und je kleinere Kurskorrekturen. Die weitreichenden Kom- länger man dazu schweigt, desto mehr verhindert die petenzen der Sicherheitsbehörden blieben aber über- fortschreitende Normalisierung die Möglichkeit eines wiegend unangetastet und wurden nachträglich noch Politikwechsels. SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 6
Einleitung: Kontinuität und Wandel im Kampf gegen den Terrorismus Einleitung: Kontinuität und Wandel im Kampf gegen den Terrorismus »We will […] unite the civilized world against Radical Islamic effektives Mittel zur Informationsgewinnung sei. 4 Die Terrorism, which we will eradicate completely from the face of Absicht, wieder CIA-betriebene Geheimgefängnisse the Earth.« zur Folter von Terrorverdächtigen zu nutzen, war be- Donald Trump, 2017 1 reits Gegenstand eines an die Öffentlichkeit gelangten Entwurfs für ein Dekret. 5 Trump hat nicht vor, das »We have to be mindful of James Madison’s warning that Gefängnis auf dem Militärstützpunkt in Guantánamo ›No nation could preserve its freedom in the midst of con- Bay auf Kuba zu schließen, und erwägt offen, neue tinual warfare.‹ […] This war [on terror], like all wars, must Häftlinge dorthin zu bringen. end. That’s what history advises. That’s what our democracy Wie so oft hat Trump nicht alles, worüber er laut demands.« nachgedacht hat, in die Tat umgesetzt, doch ist auch Barack Obama, 2013 2 nicht alles nur Rhetorik. Eine seiner ersten Amts- handlungen bestand darin, eine Operation von Spe- »It [the war on terror] is different than the Gulf War was, in zialkräften gegen eine Al-Qaida-Zelle im Jemen the sense that it may never end. At least, not in our lifetime.« anzuordnen; bei dem Einsatz wurden 14 Menschen – Dick Cheney, 2001 3 darunter mehrere Zivilisten – getötet. 6 Der Präsident soll Jemen und Somalia zu Kampfzonen (»areas of active hostilities«) erklärt und so die Kriterien für den In der nationalistischen Weltanschauung von Präsi- dortigen Einsatz tödlicher Gewalt gelockert haben. 7 dent Donald Trump nimmt die Bedrohung durch den Die umstrittene Praxis, dass der Nachrichtendienst Terrorismus einen zentralen Platz ein. In typisch pro- CIA mit Hilfe eigener bewaffneter Drohnen gezielte vokanter Manier hat Trump allerlei Gedankenspiele Tötungen ausführt, wurde nicht wie zuvor geplant über drastische Maßnahmen zur Terrorismusbekämp- fung angestellt. Er erklärte gegenüber der Presse, 4 »Transcript: ABC News Anchor David Muir Interviews dass die kontroverse Methode des Waterboarding ein President Trump«, ABC News, 25.1.2017, . Im Wahlkampf äußerte er zudem Überlegungen, nicht nur Terroristen, sondern 1 The White House, »The Inaugural Address: Remarks of auch deren Familienangehörige zu verfolgen. Vgl. Tom President Donald J. Trump – as Prepared for Delivery«, LoBianco, »Donald Trump on Terrorists: ›Take Out Their 20.1.2017. Families‹«, cnn.com, 3.12.2015, . National Defense University«, 23.5.2013, . . 3 Bob Woodward, »CIA Told to Do ›Whatever Necessary‹ 6 Eric Schmitt, »U.S. Commando Killed in Yemen in to Kill Bin Laden«, in: Washington Post, 21.10.2001, . 7 Siehe Abschnitt »Gezieltes Töten«, S. 24. SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 7
Einleitung: Kontinuität und Wandel im Kampf gegen den Terrorismus zurückgefahren, sondern ausgeweitet. Zur neuen Direktorin der Agency ernannte Trump Gina Haspel, die in George W. Bushs erster Amtszeit ein Geheim- gefängnis der CIA geleitet hatte. Dass dort mutmaß- liche Terroristen auch gefoltert wurden, bescheinigt Haspel nach Trumps Meinung Stärke. Die Instrumente des mittlerweile über 16 Jahre andauernden Krieges gegen den Terrorismus wurden immer wieder angepasst. In zweierlei Hinsicht herrscht jedoch Kontinuität. Zum einen hat die Ter- rorgefahr präventives Handeln in den Fokus gerückt. Weil Abschreckung gegen Terroristen unwirksam ist, die ihr eigenes Leben zu opfern bereit sind, werden künftige Anschläge durch nachträgliche Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung bereits geschehener Verbrechen nicht verhindert. Doch ist eine entspre- chende Vorbeugung der Anspruch von Gesellschaft und Politik; daher wird auf Methoden zurückgegrif- fen, die zu Lasten von rechtsstaatlichen Prinzipien und Menschenrechten gehen. Zum anderen führen die USA den Kampf in Teilen der Welt mit militäri- schen Mitteln. Der Ausdruck »Krieg gegen den Terro- rismus« ist keine Metapher; vielmehr bildet das Kriegsparadigma die rechtliche und moralische Vor- aussetzung für den Einsatz militärischer Mittel ein- schließlich tödlicher Gewalt. Die Anwendung präven- tiver Maßnahmen und das Kriegsparadigma haben dazu geführt, dass sich die Wahrnehmung dessen, was in der Terrorismusbekämpfung als legitim er- scheint, nachhaltig verschoben hat. Darin besteht der gemeinsame Nenner aller US-Regierungen seit dem 11. September 2001. SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 8
Eine Resolution als Ermächtigung für den Krieg gegen den Terrorismus Die Normalisierung des globalen Krieges gegen den Terrorismus Nach den Terroranschlägen auf das New Yorker haben«. 9 Neu war, dass Gewalt nicht nur gegen Staa- World Trade Center und das Pentagon 2001 war in ten, sondern auch gegen Organisationen oder Indivi- der US-Regierung die Sorge groß, dass weitere Atten- duen bewilligt wurde. 10 Die Resolution autorisierte tate bereits geplant seien. Die Verantwortlichen han- die Militärintervention in Afghanistan, die zunächst delten unter dem Eindruck einer akuten Bedrohung zum Ziel hatte, das Taliban-Regime zu stürzen, und daraus resultierendem Zeitdruck, und der Kon- Al-Qaida zu zerschlagen und die Hintermänner des gress gab dem Präsidenten weitgehend freie Hand bei 11. September gefangen zu nehmen oder zu töten. der Wahl der Mittel. Sowohl die Ermächtigung durch Doch die Befugnis zum Einsatz militärischer Ge- den Kongress als auch die von der Exekutive daraus walt beschränkte sich nicht auf Afghanistan oder abgeleitete Politik überdauerten den Schock unmit- auf bestimmte Länder bzw. Einsatzgebiete. Der Krieg telbar nach 9/11. Sie bilden bis heute die Grundlage gegen den Terrorismus war von Anfang an global. 11 des Krieges gegen den Terrorismus. 9 »That the President is authorized to use all necessary and appropriate force against those nations, organizations, or Eine Resolution als Ermächtigung für persons he determines planned, authorized, committed, or den Krieg gegen den Terrorismus aided the terrorist attacks that occurred on September 11, 2001, or harbored such organizations or persons, in order to Die rechtliche Grundlage für den Krieg gegen den prevent any future acts of international terrorism against the Terrorismus ist die Authorization for Use of Military United States by such nations, organizations or persons.« Force (AUMF), die am 14. September 2001 als gemein- 10 Richard F. Grimmet, Authorization for Use of Military Force same Resolution von beiden Kammern des Kongresses in Response to the 9/11 Attacks (P.L. 107-40): Legislative History, verabschiedet und am 18. September 2001 von Präsi- Washington, D.C.: Congressional Research Service (CRS), 2017, CRS Report for Congress (RS22357), updated 16.1.2007. dent George W. Bush unterzeichnet wurde. 8 Die 11 Im Jahr 2005 versuchte die Bush-Administration, aus- AUMF ermächtigt den Präsidenten zum Einsatz von gehend vom Verteidigungsministerium, den Begriff »global Gewalt gegen »diejenigen Nationen, Organisationen war on terror« (GWAT) durch den Terminus »global struggle oder Personen, von denen er feststellt, dass sie die against violent extremism« (G-SAVE) zu ersetzen. Auch die terroristischen Anschläge am 11. September 2001 ge- Obama-Administration war bemüht, den Begriff »war on plant, autorisiert, ausgeführt oder unterstützt haben terror« zu vermeiden, sprach jedoch weiter vom Krieg gegen oder solche Organisationen oder Personen beherbergt Al-Qaida und deren Verbündete. Eric Schmitt/Thom Shanker, »US Officials Retool Slogan for Terror War«, in: New York Times, 26.7.2005, ; Jay Solomon, »US Drops ›War on Terror‹ Phrase, Clinton Says«, in: Wall 8 Joint Resolution to Authorize the Use of United States Armed Street Journal, 31.3.2009, ; Trevor B. McCrisken, »Ten Years against the United States, Public Law 107-40, 18.9.2001. Vgl. auch on: Obama’s War on Terrorism in Rhetoric and Practice«, in: Daniel Bethlehem, »Self-Defense against an Imminent or International Affairs, 87 (2011) 4, S. 781–801. Donald Trump Actual Armed Attack by Nonstate Actors«, in: American Jour- benutzt den Begriff »radical Islamic terrorism«. Peter Holley, nal of International Law, 106 (2012) 4, S. 770–777. »›Radical Islamic Terrorism‹: Three Words That Separate SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 9
Die Normalisierung des globalen Krieges gegen den Terrorismus Die Entscheidung, wer legitimes Ziel sei, lag primär cutive«). Nach dem Watergate-Skandal Anfang der beim Präsidenten. In einer Rede vor dem Kongress er- 1970er Jahre waren die Aufsichts- und Kontrollfunk- klärte Bush, der Krieg werde andauern, bis jede global tionen des Kongresses gegenüber der Exekutive ge- agierende Terrorgruppe gefunden und besiegt sei. 12 stärkt worden. Die Enthüllung, dass das Weiße Haus unter Präsident Richard Nixon zahlreiche Gesetze verletzt und insbesondere die Sicherheitsbehörden Entscheidungen im kleinen Kreis für eigene politische Zwecke missbraucht hatte, führ- te zu legislativen Reformen. Sie kulminierten 1980 in Zentrale Entscheidungen über die Art der Kriegfüh- der Verabschiedung eines Gesetzes, nach dem neu rung traf der Präsident meist in einer kleinen Gruppe eingerichtete Nachrichtendienstausschüsse in beiden von Vertrauten. Neben Vizepräsident Dick Cheney, Kammern des Kongresses über jede verdeckte Opera- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der tion der CIA informiert werden mussten. Die Anhän- nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice war ger des Modells der einheitlichen Exekutive lehnten besonders ein Kreis von Beratern einflussreich, der solche Aufsichtsfunktionen des Kongresses als nicht sich selbst Kriegsrat (»war council«) nannte. Dieser verfassungskonform ab. 14 So argumentierte John Yoo bestand aus dem Rechtsberater des Weißen Hauses, in einem Gutachten des Justizministeriums, die Rolle Alberto Gonzales; dessen Stellvertreter Tim Flanigan; des obersten Befehlshabers erlaube es dem Präsiden- Vizepräsident Dick Cheneys Stabschef und Rechts- ten, sich über bestehende Gesetze wie das Folter- berater, David Addington; dem Chefjuristen im Ver- verbot hinwegzusetzen. 15 Die allgemeine Bedrohungs- teidigungsministerium, William »Jim« Haynes II; wahrnehmung nach dem 11. September und der und John Yoo, dem stellvertretenden Leiter des Office Rückgriff auf geheime Maßnahmen ermöglichten es of the Legal Counsel im Justizministerium – jener den Anhängern der unitären Exekutive, ihre Extrem- Abteilung, deren Auslegung amerikanischer Gesetze position zur Macht des Präsidenten zunächst ohne für die gesamte Exekutive autoritativ und bindend ist. großen Widerstand umzusetzen. Teilweise stimmten sich die Mitglieder ab, bevor sie die zuständigen Ministerien einbezogen; teilweise verzichteten sie ganz auf die üblichen Koordinations- Verdeckte Einsätze als Wesensmerkmal prozesse in und zwischen den Ministerien, die norma- lerweise einen großen Kreis von Regierungsmitarbei- Präsident Bush machte verdeckte Operationen zu tern involvieren. 13 einem zentralen Bestandteil des Kampfes gegen den Die im Kriegsrat vertretenen Personen wurden Terrorismus. 16 Am 17. September 2001 unterschrieb wohl auch wegen ihrer extremen Positionen hinsicht- lich der Kompetenzen des Präsidenten im System der 14 Ebd., S. 85f: »Addington had no such instincts. To the Gewaltenteilung ausgewählt. Vizepräsident Cheney contrary, long before 9/11 he and his boss had set out to und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld waren reverse what they saw as Congress’s illegitimate decades-long der Auffassung, dass der Präsident in Fragen nationa- intrusions on ›unitary‹ executive power.« 15 »Even if an interrogation method arguably were to ler Sicherheit eine nahezu uneingeschränkte Hand- violate Section 2340A [›committing or attempting to commit lungsautonomie genieße, basierend auf der Vor- torture‹], the statute would be unconstitutional if it imper- stellung einer einheitlichen Exekutive (»unitary exe- missibly encroached on the President’s constitutional power to conduct a military campaign. As Commander-in-Chief, the Trump from Most of Washington«, in: Washington Post, President has the constitutional authority to order interroga- 1.3.2017, . tions of enemy combatants to gain intelligence information 12 »On September the 11th, enemies of freedom committed concerning the military plans of the enemy.« Jay S. Bybee an act of war against our country […]. Our war on terror (Assistant Attorney General), »Memorandum for Alberto R. begins with al Qaeda, but it does not end there. It will not Gonzales, Counsel to the President«, 1.8.2002, in: Karen J. end until every terrorist group of global reach has been Greenberg/Joshua L. Dratel (Hg.), The Torture Papers. The Road found, stopped and defeated.« George W. Bush, »Address to Abu Ghraib, Cambridge 2005, S. 172–217 (200). to a Joint Session of Congress and the American People«, 16 Eine vollständige offizielle Darstellung dieser Aktivi- 20.9.2001, . sogenannte Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA, 13 Vgl. Jack L. Goldsmith, The Terror Presidency: Law and waren Gegenstand offizieller Untersuchungen und Regie- Judgment inside the Bush Administration, New York 2007, S. 22. rungsberichte. Durch sie und durch die Arbeit von investiga- SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 10
Begrenzte Kurskorrekturen als Reaktion auf zunehmende Kritik er eine geheime Direktive, mit der die CIA weit- Kongress wurden nur die Parteispitzen und die füh- reichende Befugnisse erhielt, um Terroristen gefan- renden Mitglieder der entsprechenden Ausschüsse gen zu nehmen oder zu töten. 17 Im Rahmen des dazu- informiert, und auch sie wohl nur sehr allgemein gehörigen Programms mit dem Namen Operation (siehe Abschnitt »Das Haft- und Verhörprogramm«, Greystone erhielt die CIA zusätzliche Mittel in Höhe S. 13). Worin die neuen Kompetenzen genau bestan- von einer Milliarde US-Dollar. 18 Anders als bei frühe- den, erfuhr die Öffentlichkeit erst Jahre später. ren verdeckten Operationen verzichtete der Präsident Neben der CIA wurden auf Betreiben von Verteidi- darauf, bestimmte Maßnahmen im Einzelnen zu gungsminister Rumsfeld auch verstärkt Spezialkräfte autorisieren. Stattdessen delegierte er die Genehmi- des Militärs herangezogen. Die Spezialeinheiten der gung konkreter Einsätze bis hin zu gezielten Tötun- verschiedenen Teilstreitkräfte wurden ausgebaut und gen an den Leiter des Counterterrorism Center der bekamen unter einem gemeinsamen Kommando, CIA. 19 Vor der Öffentlichkeit wurden Details geheim dem Joint Special Operations Command (JSOC), mehr gehalten. Vizepräsident Cheney erklärte in einem Autonomie bei der Durchführung von Operationen. Fernsehinterview, die Geheimdienste müssten im Nach dem 11. September wuchsen die dem JSOC Dunkeln und ohne große Diskussion mit ihren eige- unterstellten Truppen von 30 000 auf ca. 70 000 Per- nen Methoden arbeiten, um Erfolg zu haben. 20 Im sonen an. 21 Auch haben sich CIA und Spezialkräfte des Militärs im Laufe der Zeit bei der Durchführung tiven Journalisten und Menschenrechtsorganisationen, eben- von Operationen immer enger miteinander verzahnt so durch Untersuchungen der EU ist inzwischen ein relativ – ein Phänomen, das in der Fachliteratur unter dem umfangreiches Bild entstanden, zum Teil befördert durch Schlagwort »Konvergenz« diskutiert wird (siehe Kapi- Enthüllungen von Regierungsmitarbeitern. Auf dieses Spek- tel »Der nationale Sicherheitsstaat«, S. 30). trum an Dokumenten stützt sich auch vorliegende Studie. 17 Nach dem Gesetz ist für verdeckte Operationen ein »Memorandum of Notification« des Präsidenten erforderlich, Begrenzte Kurskorrekturen als Reaktion verbunden mit der Feststellung (Finding), dass eine solche auf zunehmende Kritik Operation im Interesse der nationalen Sicherheit sei. James M. McCormick, American Foreign Policy and Process, 4. Auflage, Mit zunehmender Öffentlichkeit wuchs auch der Belmont, Cal., 2004; Robert Chesney, »Military-Intelligence Convergence and the Law of the Title 10/Title 50 Debate«, in: Widerstand gegen die extremen Methoden der Bush- Journal of National Security Law and Policy, 5 (2012), 17.10.2011, Administration. Am stärksten war dieser im Hinblick S. 539–629 (University of Texas Law, Public Law Research auf die Bedingungen, die für Haft, Behandlung und Paper no. 212), . Verhöre von Terrorverdächtigen galten, und hier gab 18 Dana Priest/William M. Arkin, Top Secret America. The Rise es auch die deutlichsten Korrekturen. US-Gerichte of the New American Security State, New York u.a. 2011, S. 6. beanspruchten gegen den Willen des Weißen Hauses 19 Jeremy Scahill, Dirty Wars. The World Is a Battlefield, Lon- die Jurisdiktion über die Gefangenen, unabhängig don 2013, S. 20. Mit den Worten des späteren stellvertreten- vom Ort ihrer Inhaftierung. Sowohl Klagen von Häft- den CIA-Direktors Michael Morell: »Never before had the lingen gegen ihre Inhaftierung und die Haftbedingun- Agency had as much latitude to conduct paramilitary opera- gen als auch Strafprozesse gegen Terrorismusbeschul- tions, and it used those authorities aggressively to protect digte führten zu einer Reihe von Urteilen, welche the country.« Michael Morell/Bill Harlow, The Great War of Our nach und nach die Flexibilität der Regierung ein- Time: The CIA’s Fight against Terrorism. From Al Qa’ida to ISIS, New York 2015, S. 73. schränkten und die Rechte der Gefangenen stärkten. 20 »We also have to work, though, sort of the dark side, In dem Maße, wie die systematische Misshandlung if you will. We’ve got to spend time in the shadows in the bekannt wurde, schritt auch der Kongress ein, um intelligence world. A lot of what needs to be done here will gewaltsame Praktiken zu verbieten. Dies war kein have to be done quietly, without any discussion, using geradliniger Prozess; vielmehr gab es ein jahrelanges sources and methods that are available to our intelligence agencies, if we’re going to be successful. That’s the world these folks operate in, and so it’s going to be vital for us to 21 Mark Danner u.a., »In the Darkness of Dick Cheney«, in: use any means at our disposal, basically, to achieve our The New York Review of Books, 6.3.2014, ; Meet the Press with Tim Russert«, 16.9.2001, . (CRS Report 7-5700). SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 11
Die Normalisierung des globalen Krieges gegen den Terrorismus Tauziehen zwischen den Gewalten über den richtigen müssen. Gleichzeitig blieb so verschleiert, dass die juristischen Umgang mit potentiellen und tatsäch- Luftschläge der USA von verbündeten Regierungen lichen Terroristen. In entscheidenden Punkten wurde wie jenen Pakistans oder des Jemen stillschweigend die Administration zum Einlenken gezwungen; die geduldet wurden. Die Expansion des Drohnenpro- Situation der Gefangenen war zum Ende der Bush-Ära gramms unter Obama provozierte trotz zahlreicher eine andere als kurz nach dem 11. September. Doch Kampagnen von Menschenrechtsorganisationen trotz der Korrekturen blieben die rechtsstaatlichen ebenfalls nur wenig politischen Widerstand. und menschenrechtlichen Standards deutlich niedri- Von der Obama-Regierung wurden die Maßnah- ger als vor Beginn des globalen Krieges gegen den men nicht nur angepasst, sondern auch stärker insti- Terrorismus. Daran änderte auch die Amtsübernahme tutionalisiert. Während die Bush-Regierung manche von Präsident Obama wenig. Methoden im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen Ein entscheidender Unterschied zwischen Obama eingeführt und – sofern sie überhaupt begründet und seinem Vorgänger bestand darin, dass der neue wurden – mit den inhärenten Kompetenzen der Exe- Präsident das System der Geheimgefängnisse und der kutive gerechtfertigt hatte, stellte Obama seine Politik Folter unmissverständlich verurteilte und beendete. auf eine solidere institutionelle Basis. Er etablierte Doch auch unter Obama blieb es bei zeitlich unbe- neue Entscheidungsverfahren innerhalb der Exekuti- grenzten Inhaftierungen ohne rechtskräftiges Gerichts- ve, ließ neue juristische Begründungen für die Legali- urteil – ob in Guantánamo oder anderswo –, bei tät von Maßnahmen ausarbeiten und erreichte unter Prozessen durch Militärkommissionen mit einge- Einbeziehung des Kongresses, dass eine neue gesetz- schränkten Rechten für die Angeklagten sowie bei der liche Grundlage für bereits bestehende Praktiken Möglichkeit außerordentlicher Auslieferung mutmaß- entstand. Der Journalist Charlie Savage hat überzeu- licher Terroristen an Drittstaaten. gend dargelegt, dass sich die Kritik Obamas an Bushs Vorgehensweise im Kampf gegen den Terrorismus Obama kritisierte weniger die von Anfang an weniger auf substantielle Aspekte wie Menschenrechtsverstöße als vielmehr die Verletzung von Bürger- oder Menschenrechten das Fehlen gesetzlicher Grundlagen. bezog, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass Bush dabei im Alleingang, ohne gesetzliche Grundlage In der Frage nachrichtendienstlicher Überwachung und unter Umgehung von Verfassung wie Gewalten- von Kommunikation wurde eine kritische Diskussion kontrolle handelte. Entsprechend stellte Obama nach lange dadurch verhindert, dass die Öffentlichkeit seiner Amtsübernahme die Anti-Terror-Politik Bushs kaum Kenntnis über Ausmaß und juristische Grund- nicht grundsätzlich in Frage; vielmehr schuf er eine lagen entsprechender Maßnahmen der Regierung ausgefeiltere rechtliche Begründung, häufig durch besaß. Der Amtsantritt Obamas hatte hier zunächst neue Rechtfertigungen für bestehende Praktiken. 22 keine Konsequenzen. 2013 wurde dann mit der Ver- Die Politik von Präsident Trump hat noch keine öffentlichung interner Dokumente durch den ehema- klaren Konturen. Einerseits war auch in seinem ligen Nachrichtendienstmitarbeiter Edward Snowden Wahlkampf die terroristische Bedrohung ein zentra- bekannt, welche Kompetenzen der Überwachung die les Thema, andererseits scheint er den Beziehungen Regierung auch im Inneren beanspruchte und wie zwischen den Großmächten wieder mehr Aufmerk- zweifelhaft die rechtliche Begründung für diesen samkeit zu widmen. Seine Äußerungen haben jedoch Machtanspruch war. Erst jetzt gab es politischen Pro- deutlich gemacht, dass ihm jegliches Bewusstsein test, der auch zu einigen Kurskorrekturen führte. für die Problematik des dauerhaften Kriegszustandes Das Mittel der gezielten Tötung löste dagegen nie fehlt. Jenseits der Rhetorik scheinen auch unter einen größeren öffentlichen Aufschrei aus, selbst Trump die Kontinuitäten zu überwiegen; die Stoß- nachdem die Regierung Obama sich öffentlich dazu richtung seiner bisherigen Politik deutet eher auf bekannt hatte. Dass mutmaßliche Terroristen durch Eskalation als auf Einschränkung des Krieges. Zu- Drohnen ausgeschaltet wurden, war von Anfang an gleich bieten sein Desinteresse und seine Ignoranz kein echtes Geheimnis gewesen. Vielmehr hatte die der Sicherheitsbürokratie allerlei Gelegenheit, ihre Klassifizierung solcher Maßnahmen als verdeckte eigene Agenda zu verfolgen. Operationen den Zweck, keine klaren Kriterien für die Legalität einzelner Einsätze festlegen und keine 22 Charlie Savage, Power Wars. Inside Obama’s Post-9/11 Verantwortung für zivile Opfer übernehmen zu Presidency, New York u.a. 2015. SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 12
Das Haft- und Verhörprogramm Die Evolution des Anti-Terror- Kampfs unter drei Präsidenten Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum 11. Sep- aber die Direktive bildete die Grundlage für das so- tember 2001 wurden also manche Maßnahmen rück- genannte High Value Detainee Program. 24 Damit gängig gemacht (wie die Anwendung von Folter), erhielt der Geheimdienst maximale Flexibilität, um manche abgeschwächt (wie die anlasslose Überwa- Gefangene weltweit außerhalb normaler Prozesse chung von US-Bürgern), manche beibehalten (wie und wenn nötig ohne Einverständnis des Aufenthalts- zeitlich unbeschränkte Inhaftierung ohne Gerichts- staates festzusetzen, beliebig von einem Land zum urteil) und manche ausgebaut (wie gezielte Tötungen anderen zu transportieren, selbst zu inhaftieren oder durch Drohnen). an Drittstaaten zu übergeben. Die CIA schuf, über verschiedene Länder verteilt, ein System von Geheim- gefängnissen, in denen ohne rechtsstaatliche Kontrol- Das Haft- und Verhörprogramm le und ohne Kontakt zur Außenwelt solche Gefange- ne festgehalten und verhört wurden, von denen sich In einer Anordnung vom 7. Februar 2002 konstatierte die USA wichtige Informationen zur Terrorismus- Präsident Bush, dass der Krieg gegen den Terrorismus bekämpfung versprachen (»high value detainees«). 25 ein »neues Paradigma« begründe, bei dem die Genfer Konventionen keine Anwendung fänden. 23 Die CIA etablierte auf Basis der von Bush am 17. September Folter im Namen der Terrorismus- 2001 abgezeichneten Geheimdirektive ein Programm, bekämpfung um »Individuen, die eine andauernde, ernste Gewalt- bedrohung für US-Personen und -Interessen darstellen Nicht nur Häftlinge im Rahmen des CIA-Programms, oder terroristische Aktivitäten planen«, gefangen zu sondern auch Gefangene des Militärs wurden an nehmen. Verhörmethoden wurden nicht erwähnt, Orten festgehalten, wo sie keinen Zugang zu US- Gerichten hatten. Sie wurden entweder in Militär- gefängnissen in Afghanistan inhaftiert oder auf den 23 So gelte die dritte Genfer Konvention im Konflikt mit Al- Marinestützpunkt Guantánamo Bay gebracht. Zu- Qaida nicht, denn das Terrornetzwerk sei weder ein Staat nächst ersuchte die CIA die Regierung um Instruktio- noch Unterzeichner. Artikel 3 der Konvention gelte weder nen, welche Verhörmethoden erlaubt seien. Zwischen für Al-Qaida noch für die Taliban, da der Konflikt mit diesen den CIA-Mitarbeitern im Feld und den im War Coun- Gruppen internationalen Charakter habe, Artikel 3 sich je- doch nur auf nicht-internationale Konflikte beziehe; auch cil vertretenen Entscheidungsträgern scheint schnell genössen die Taliban und Al-Qaida als ungesetzliche Kämp- fer keinen Kriegsgefangenen-Schutz nach Artikel 4 der Kon- 24 Senate Select Committee on Intelligence, Committee Study vention. The White House, »Memorandum by the President«, of the Central Intelligence Agency’s Detention and Interrogation Pro- 7.2.2002, in: Greenberg/Dratel (Hg.), The Torture Papers [wie gram, 9.12.2014 (S. Rpt. 113-288), S. xviii, 11. Die Direktive Fn. 15], S. 134f. Besonders Außenminister Colin Powell und (»Memorandum of Notification«) selbst ist nach wie vor dessen Rechtsberater William H. Taft IV hatten dieser Ein- geheim. schätzung widersprochen. Bush folgte jedoch Justizminister 25 Ebd. Vgl. auch Stephen Grey, Ghost Plane: The True Story John Ashcroft, der auch von den Rechtsberatern Gonzales of the CIA Torture Program, New York 2006; eine Landkarte mit (Weißes Haus) und Haynes (Pentagon), beide Mitglieder des den Standorten der »Black Sites« und deren jeweiliger Nut- Kriegsrates, unterstützt wurde. Zur Kontroverse über die zungsdauer ist enthalten in: Matt Apuzzo/Sheri Fink/James Anwendbarkeit der Genfer Konventionen vgl. die Memoran- Risen, »How U.S. Torture Left a Legacy of Damaged Minds«, den der entsprechenden Akteure in ebd., S. 38–133. in: New York Times, 9.10.2016, . SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 13
Die Evolution des Anti-Terror-Kampfs unter drei Präsidenten Einigkeit darüber bestanden zu haben, dass auch war ebenso erlaubt, Gefangene extremer Hitze oder gewaltsame Verhörtechniken zur Informations- Kälte auszusetzen; sie stundenlang in Kisten zu sper- gewinnung eingesetzt werden sollten. ren, in die sie kaum hineinpassten; sie gegen Wände Das für die Interpretation der Rechtslage zuständi- zu stoßen und mit der flachen Hand ins Gesicht zu ge Office of the Legal Counsel im Justizministerium schlagen; ihre Ängste etwa vor Hunden oder Insekten erstellte eine Reihe von Gutachten mit dem Ziel, der auszunutzen – und sie dem sogenannten Water- Regierung maximale Flexibilität im Umgang mit boarding auszusetzen, 29 dessen Anwendung im Ein- Gefangenen zu geben. Durch neue Interpretationen zelfall genehmigt werden musste und dessen Einsatz bestehender Gesetze wurden (1) das Folterverbot so bei drei Verdächtigen bestätigt ist. 30 Gefangene wur- eng ausgelegt, dass viele der beabsichtigten Methoden den auch an die Sicherheitsbehörden von Partnerlän- vermeintlich nicht darunter fielen; (2) rechtliche dern im Anti-Terror-Kampf übergeben, darunter zahl- Schlupflöcher konstruiert, die es erlaubten, das Ver- reiche Staaten, bei denen die Anwendung von Folter bot von grausamer, unmenschlicher und erniedrigen- dokumentiert ist, wie Ägypten, Syrien und Usbeki- der Behandlung zu umgehen; und (3) die für die Verhöre verantwortlichen Personen, von den politi- schen Entscheidungsträgern bis zu den Ausführen- 29 Beim Waterboarding wird der Gefangene auf einem den, vor strafrechtlicher Verfolgung immunisiert. 26 Brett fixiert, und durch ein Tuch wird ihm Wasser über Nase und Mund gegossen, so dass er dieses beim Versuch, Luft zu Erlaubt war etwa, Gefangene holen, in die Lunge bekommt und nicht mehr atmen kann. stundenlang in Kisten zu sperren, In der Presse wird Waterboarding häufig als »simuliertes in die sie kaum hineinpassten. Ertränken« bezeichnet; allerdings besteht der Simulations- aspekt lediglich darin, dass der Vorgang kurz vor dem Ersti- Die CIA durfte unter dem Euphemismus »erweiter- cken des Gefangenen abgebrochen wird. Vgl. Christopher te Verhörtechniken« (enhanced interrogation tech- Hitchens, »Believe Me, It’s Torture«, in: Vanity Fair, 2.7.2008, ; niques) zunächst zehn Zwangsmethoden bei Befra- Malcolm Nance, »I Know Waterboarding Is Torture – gungen anwenden. 27 Zwar ist die offizielle Liste der Because I Did It Myself«, in: New York Daily News, 31.10.2007, Techniken nach wie vor geheim, aber wie bekannt . Aus CIA-Dokumenten geht hervor, lange Zeiträume, häufig erreicht durch Fesseln im dass Abu Zubaydah nach einer Waterboarding-Session von Stehen oder in anderen schmerzhaften Haltungen, medizinischem Personal wiederbelebt werden musste. Siehe durch ohrenbetäubenden Lärm oder grelles Licht. 28 Es Senate Select Committee on Intelligence, Committee Study [wie Fn. 24], S. 423. 30 Die US-Regierung hat die Anwendung von Waterboar- 26 Johannes Thimm, Abschied vom Folterverbot? Der amerika- ding durch die CIA in drei Fällen zugegeben. Morell (mit nische Umgang mit Gefangenen im Kampf gegen den Terrorismus, Harlow, The Great War of Our Time [wie Fn. 19], S. 246) behaup- Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2005 tet, diese drei Fälle seien die einzigen gewesen, man habe (SWP-Aktuell 11/2005); Department of Justice, Office of Pro- die Technik zum letzten Mal 2003 angewandt, und sie sei ab fessional Responsibility, Investigation into the Office of the Legal 2006 nicht mehr autorisiert gewesen. Senatorin Dianne Fein- Counsel’s Memoranda Concerning Issues Relating to the Central stein zweifelt Morells Version an: »Fact Check: Inaccurate Intelligence Agency’s Use of »Enhanced Interrogation Techniques« on and Misleading Assertions Related to the CIA Detention and Suspected Terrorists, 29.7.2009; vgl. auch Goldsmith, The Terror Interrogation Program in ›The Great War of Our Time: The CIA’s Presidency [wie Fn. 13]; Greenberg/Dratel (Hg.), The Torture Fight against Terrorism – From al Qa’ida to ISIS‹ by Michael Papers [wie Fn. 15]. Morell and William Harlow«, . Der Journalist Study [wie Fn. 24]. Das Internationale Komitee des Roten James Risen berichtet, Spezialkräfte in Afghanistan hätten Kreuzes (ICRC) stellte 2007 fest, dass die von Gefangenen be- Waterboarding angewandt: James Risen, Pay Any Price. Greed, schriebene Behandlung und die beschriebenen Verhör- Power, and Endless War, Boston, Mass., 2014, S. 172. Vgl. auch techniken einzeln und in Kombination Folter und/oder Human Rights Watch, Delivered into Enemy Hands. US-Led Abuse grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung and Rendition of Opponents to Gaddafi’s Libya, September 2012, konstituierten. ICRC Report on the Treatment of 14 »High Value . SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 14
Folter im Namen der Terrorismusbekämpfung Die für Guantánamo zuständige Taskforce beantragte Entwicklung der Foltertechniken beim Central Command der US-Streitkräfte die Bewil- ligung aggressiver Verhörtechniken; zuvor war ihr Die gewaltsamen Verhörtechniken wurden einem Aus- Personal von denselben Verantwortlichen des SERE- bildungsprogramm entnommen, das US-Soldaten auf den Fall ihrer Kriegsgefangenschaft vorbereiten soll – Programms ausgebildet worden, die schon die CIA dem sogenannten »Survival – Evasion – Resistance – beraten hatten (siehe Kasten). Obwohl die Juristen Escape« (SERE)-Training. Um ihre Widerstandsfähigkeit aller Teilstreitkräfte rechtliche und politische Beden- zu steigern, werden Soldaten bei diesem Training unter ken gegen aggressive Verhörtechniken anmeldeten, anderem einer Behandlung ausgesetzt, die ihnen in der empfahl der führende Rechtsberater des Pentagon, Gefangenschaft durch feindliche Truppen drohen könnte. William Haynes, eine Reihe solcher Praktiken zu Ebendiese Methoden, die nach gängiger Auffassung genehmigen. Verteidigungsminister Rumsfeld bewil- außerhalb des Trainings gegen Kriegsrecht verstoßen – ligte am 2. Dezember 2002 per Memo eine Liste mit sie beruhen auf Praktiken, die China im Korea-Krieg zur 15 von 18 beantragten Verhörtechniken, die über die Erpressung von Geständnissen anwandte –, wurden nun gewaltfreien Standardtechniken des entsprechenden zum Vorbild für die US-Techniken gegen mutmaßliche Handbuchs der Armee hinausgingen. 34 Terroristen. Im Zentrum standen zwei Psychologen, die Methoden, die ursprünglich nur für Guantánamo SERE-Trainer für die Air Force gewesen waren: James Mitchell und Bruce Jessen. Sie überzeugten die Verant- genehmigt waren, fanden schnell ihren Weg in die wortlichen in der Regierung, dass diese Techniken die Militärgefängnisse in Afghanistan und dem Irak. Es Gefangenen einerseits dazu bringen könnten, die Wahr- herrschte Verwirrung, welches Vorgehen im Einzel- heit zu sagen, und andererseits keine Folter darstellten. 32 nen erlaubt war. Beispielsweise galten im Irak formal 2002/2003 schulte Personal aus dem SERE-Programm die Genfer Konventionen zum Schutz von Kriegs- die für Afghanistan, Irak und Guantánamo zuständigen gefangenen, doch Angehörige von CIA und militäri- Führungskommandos sowie Mitarbeiter der CIA und der schen Nachrichtendiensten nutzten dennoch gewalt- Defense Intelligence Agency (DIA) in der Anwendung same Verhörmethoden. In der Folge misshandelte aggressiver Verhörtechniken. 33 Nach einiger Zeit im auch das einfache Wachpersonal dort Gefangene, Dienst der Regierung machten sich Mitchell und Jessen sowohl auf Anweisung im Zusammenhang mit Ver- als private Berater für Militär und Geheimdienste selb- hören als auch eigenmächtig. Ein direktes Resultat ständig. Die Honorare für ihre Beratungstätigkeit erreich- dieser Entwicklung waren die Misshandlungen im ten über die Jahre fast 70 Millionen Dollar. irakischen Gefängnis Abu Ghraib, deren Bilder weltweit für Schlagzeilen sorgten. 35 Grausame Haftbedingungen, Misshandlungen und stan. Dies geschah sowohl zu Verhörzwecken – eine Folter waren wohl die Todesursache bei an die hun- Praxis, die als »Outsourcing von Folter« bezeichnet dert zwischen 2001 und 2006 in US-Haft gestorbenen wurde – als auch um Menschen, die als Bedrohung Gefangenen. Die Menschenrechtsorganisation Human galten, dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. 31 Für die Verhöre von Gefangenen, die auf dem 34 »Action Memo for Secretary of Defense from William Militärstützpunkt Guantánamo inhaftiert waren, J. Haynes II, General Council re Counter-Resistance Tech- wurden ebenfalls gewaltsame Methoden genehmigt. niques«, 27.11.2002 (genehmigt am 2.12.2002), in: Green- berg/Dratel (Hg.), The Torture Papers [wie Fn. 15], S. 236f; vgl. 31 Grey, Ghost Plane [wie Fn. 25]; Open Society Justice Initia- auch United States Senate, Inquiry into the Treatment of Detain- tive, Globalizing Torture: CIA Secret Detention and Extraordinary ees in U.S. Custody. Report of the Committee On Armed Services, Rendition, New York: Open Society Foundations, Februar 20.11.2008, . 800th Military Police Brigade (Tabuga Report), März 2004; 32 Der Chef des Office of the Legal Counsel, Steven Brad- Final Report of the Independent Panel to Review DoD Detention bury, argumentierte gegenüber dem CIA-Juristen John Rizzo, Operations (Schlesinger Report), August 2004; Investigation of dass die SERE-Methoden sicher seien und keine mentalen Intelligence Activities at Abu Gharaib/Investigation of the Abu Ghraib Schäden verursachten. Risen, Pay Any Price [wie Fn. 30], Prison and 205th Military Intelligence Brigade, LTG Anthony R. S. 187. Jones/Investigation of the Abu Ghraib Detention Facility and 205th 33 Senate Select Committee on Intelligence, Committee Study Military Intelligence Brigade, MG George R. Fay (Fay-Jones Report), [wie Fn. 24]. August 2004. SWP Berlin Vom Ausnahmezustand zum Normalzustand August 2018 15
Die Evolution des Anti-Terror-Kampfs unter drei Präsidenten Rights First kommt zu dem Ergebnis, dass 34 Fälle als Widerstand aus der Zivilgesellschaft und Totschlag zu werten sind; bei weiteren elf ist dem- von den anderen Gewalten nach wahrscheinlich, dass Häftlinge an den Folgen ihrer Behandlung in Haft starben. 36 Bei acht bis zwölf In dem Maße, wie Informationen über Gefängnisse Fällen geht die Organisation davon aus, dass Gefan- und Haftbedingungen an die Öffentlichkeit drangen, gene zu Tode gefoltert wurden. In fünf Todesfälle ist wuchs die Kritik. Das Gefangenenlager in Guantá- die CIA verwickelt. 37 Das Militär räumte 2005 ein, in namo stand früh im Zentrum der Aufmerksamkeit. 26 Fällen – Afghanistan und den Irak betreffend – Anwaltsvereine begannen damit, Gefangene juristisch wegen Totschlags (criminal homicide) zu ermitteln. 38 zu vertreten und für ihre Rechte und den Zugang Im Jahr 2006 verteidigte Präsident Bush das Vor- zu Gerichten zu streiten. Investigative Journalisten gehen der CIA öffentlich mit Blick auf das Al-Qaida- und Menschenrechtsorganisationen betrieben Auf- Mitglied Abu Zubaydah, einen der ersten Gefangenen, klärung; immer wieder sickerten auch Informationen die in einem Geheimgefängnis gefoltert worden aus Regierungskreisen an die Presse durch – ein waren. Bush behauptete, die »alternativen Methoden« Indiz für interne Kontroversen. seien notwendig gewesen, um Leben zu retten, und In das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit beharrte auf ihrer Legalität. 39 wurde die Situation der Gefangenen katapultiert, als im Mai 2004 Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu 36 Hina Shamsi, Command’s Responsibility. Detainee Deaths in Ghraib an die Presse gelangten. Detailliert dokumen- U.S. Custody in Iraq and Afghanistan, hg. von Deborah Pearstein, tierten die Aufnahmen grausame Misshandlung und Human Rights First, Februar 2006, . hatte eine Reihe von internen Untersuchungen des 37 Ebd., S. 9. Militärs zur Folge, die wiederum ergaben, dass in Ver- 38 Douglas Jehl/Eric Schmitt, »U.S. Military Says 26 Inmate hören systematisch Gewalt angewandt wurde. Kurz Deaths May Be Homicide«, in: New York Times, 16.3.2005, darauf sickerten auch die ersten Rechtsgutachten aus . Die Datenbank »The Torture dem Justizministerium durch, in denen gewaltsame Database« der American Civil Liberties Union enthält Hun- Verhörmethoden für rechtmäßig erklärt worden derte von Berichten über strafrechtliche Untersuchungen innerhalb der US-Streitkräfte, . Investigative Reporter deckten schließlich das 39 The White House, »President Discusses Creation of Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA auf. Military Commissions to Try Suspected Terrorists«, 6.9.2006, Aussagen von freigelassenen Gefangenen und Recher- : »We knew that Zubaydah zwischen verschiedenen Geheimgefängnissen trans- had more information that could save innocent lives, but he portiert hatte, halfen dabei, das Puzzle zusammen- stopped talking. As his questioning proceeded, it became zufügen. 41 Die Justizbehörden betroffener Staaten er- clear that he had received training on how to resist interro- gation. And so the CIA used an alternative set of procedures. These procedures were designed to be safe, to comply with regarding-the-cycle-of-interrogations-of-abu-zubaydah-on- our laws, our Constitution, and our treaty obligations. The august-6-2002-august-2002>. Department of Justice reviewed the authorized methods 40 Im Dezember 2004 veröffentlichte das »Wall Street extensively and determined them to be lawful. I cannot Journal« ein von John Yoo verfasstes und von Jay Bybee describe the specific methods used – I think you understand abgezeichnetes Gutachten für Bushs Rechtsberater Alberto why – if I did, it would help the terrorists learn how to Gonzales. Darin wird unter anderem argumentiert, dass die resist questioning, and to keep information from us that we Verursachung von Schmerzen, die unterhalb des Niveaus need to prevent new attacks on our country. But I can say von Organversagen oder Tod bleiben, keine Folter konstitu- the procedures were tough, and they were safe, and lawful, iere. Die durchgesickerten Memoranden sind zusammenge- and necessary.« Das CIA-Protokoll eines Verhörs von Abu fasst in Greenberg/Dratel (Hg.), The Torture Papers [wie Fn. 15]. Zubaydah ist hier verfügbar: »Details Regarding the Cycle of 41 Frühe Hinweise auf das CIA-Programm waren die Fälle Interrogations of Abu Zubaydah on August 6, 2002«, August des kanadischen Staatsbürgers Maher Arar und des Deut- 2002, bereitgestellt von UC Davis Center for the Study of schen Khaled El-Masri, die nach langer CIA-Haft wieder Human Rights in the Americas,
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