Das strategische Konzept der NATO: gemässigte Ambitionen
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CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 309, September 2022 Das strategische Konzept der NATO: gemässigte Ambitionen Das Ziel des strategischen Konzepts ist die Vorbereitung der NATO für den Umgang mit einem Sicherheitsumfeld, das sich in den letzten zehn Jahren angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine und des Aufstiegs von China verschlechtert hat. Die Umsetzung hängt hauptsäch- lich von den Modalitäten der verbesserten Abschreckung und Verteidi- gung des Bündnisses ab. Von Henrik Larsen Im Juni 2022 stellte die NATO am Gipfel- treffen in Madrid ihr neues «Strategisches Konzept» vor – das wichtigste Dokument der NATO nach dem Nordatlantikvertrag. Das Konzept ist für die Ausrichtung des Bündnisses bis 2030 massgebend. Den- noch wird vieles von seiner Umsetzung ab- hängen. Ein neues strategisches Konzept war längst überfällig, denn das Vorgänger- konzept aus dem Jahr 2010 nannte Russ- land einen «strategischen Partner» und er- wähnte China überhaupt nicht. Das neue Konzept spiegelt das sich verschlechternde strategische Umfeld der NATO wider, in dem Russland und China sich zunehmend der vom Westen dominierten Ordnung wi- dersetzen. Das Bündnis versteht Russlands Angriff auf die Ukraine eher als einen Hö- hepunkt als eine grundlegende Wende, denn die Bedrohung seitens Moskau hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg präsentiert das Strategische Konzept während seiner Pressekon- sich über die letzten Jahre markant ver- ferenz auf dem NATO-Gipfel in Madrid, Spanien, im Juni 2022. Susana Vera / Reuters schärft. Das Konzept definiert das strategische Umfeld des Bündnisses und umschreibt eines Angriffs auf die Souveränität und keiten von China und das Land versucht anschliessend die Kernaufgaben. Es unter- territoriale Unversehrtheit von Verbünde- seinen Einfluss zu vergrössern, beispiels- scheidet klar zwischen Bedrohungen, die ten nicht ausgeschlossen werden. Anschlie- weise durch die Kontrolle kritischer Infra- eine direkte militärische Reaktion erfor- ssend wird mit Blick auf die südliche struktur. Dies fordert die Interessen, die dern, und Herausforderungen, bei denen Nachbarschaft der Terrorismus als die un- Sicherheit und die Werte der NATO her- ein breiteres Spektrum der Einsatzbereit- mittelbarste asymmetrische Bedrohung für aus. schaft nötig ist. Das neue strategische die Sicherheit der Bevölkerung in NATO- Konzept benennt Russland als «die grösste Ländern und für den internationalen Frie- Der Veröffentlichung des strategischen und unmittelbarste Bedrohung», wegen der den genannt. Schliesslich benennt das Konzeptes ging ein langer Beratungspro- im euro-atlantischen Raum kein Frieden Konzept China als Herausforderung. Es zess voraus, der während der Amtszeit des herrsche. Deshalb könne die Möglichkeit bestehen gewisse strategische Abhängig- früheren US-Präsidenten Donald Trump © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 1
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 309, September 2022 pausiert worden war. Er hatte die NATO Das NATO-Streitkräfte-Modell geringgeschätzt. 2020 beauftragte NATO- Generalsekretär Jens Stoltenberg eine Ex- pertengruppe mit einem Bericht und brachte so den Prozess erneut ins Rollen. Die Empfehlung des Berichts war, die NATO solle zu ihrer Rolle von vor 1989 als Bollwerk der Demokratie gegen autori- täre Herausforderer zurückkehren. Dazu sollte sie eine breite Palette an Aktivitäten aufnehmen – unter anderem auch durch eine führende Rolle im Bereich technolo- gischer Verteidigungsinnovation – und die gemeinsame Resilienz sowie die Anzahl politischer Konsultationen unter den Ver- bündeten und mit gleichgesinnten Part- nern erhöhen. Überraschenderweise ent- hält nun das strategische Konzept zu den Themen neue Technologien und Resilienz nur zurückhaltende Äusserungen und we- nige Anhaltspunkte zu den externen Be- ziehungen des Bündnisses. Die drei Kernaufgaben des früheren Kon- zepts werden beibehalten und nacheinan- Schwedens und Finnlands. Das Konzept sserung der Kontingente in den letztge- der aufgegriffen: Abschreckung und Ver- streicht die Notwendigkeit eines angemes- nannten Ländern von der vorherigen teidigung, Krisenprävention und bewälti- senen Gleichgewichts zwischen vor Ort Bataillonsgrösse (1000 bis 1500) auf Briga- gung sowie kooperative Sicherheit. Das stationierten Kräften und Verstärkung her- dengrösse (rund 4000). Die USA beschlos- Konzept bietet vor dem Hintergrund der aus, wobei die Umsetzung aber der Inter- sen zudem die Einrichtung des ständigen grössten Sicherheitskrise in Europa seit pretation überlassen wird. Hauptsitzes für eines ihrer Armeekorps in dem Ende des Kalten Krieges wichtige Polen. Einblicke in die NATO-Strategie bis 2030 Am Gipfeltreffen in Madrid stellten die und darüber hinaus. Verbündeten ein neues NATO Force Model Militärexpertinnen und experten sind sich (NATO-Streitkräfte-Modell) vor. Es soll uneinig darüber, ob die moderate Verstär- Abschreckung und Verteidigung ab 2023 für eine höhere Bereitschaft sor- kung der NATO-Truppen vor Ort ausrei- Darüber, dass Verteidigung und Abschre- gen als die der aktuellen NATO Response chen wird, um einen möglichen Angriff ckung im strategischen Konzept den Force mit 40 000 Soldatinnen und Solda- Russlands auf das Baltikum und Polen – höchsten Stellenwert einnehmen, besteht ten. Das Streitkräfte-Modell beinhaltet ein die wahrscheinlichsten Ziele für Russlands kein Zweifel: Der Grossteil des Textes ist in drei Teile aufgesplittetes Bereitschafts- Expansionsbestrebungen – zu verhindern. dieser ersten Kernaufgabe gewidmet. Laut modell (siehe Grafik). Ob und wie Europa Das Bündnis scheint nicht auf das traditio- Konzept soll niemand an der Stärke und dieses Niveau der Bereitschaft zur Trup- nelle 1:3-Verhältnis abzuzielen gegenüber Entschlossenheit zweifeln, NATO-Bünd- penentsendung erreichen wird, hängt den an der Ostgrenze (im Oblast Kalinin- nisgebiet zu verteidigen. Die Grundlage grösstenteils von nationalen Budgetzuwei- grad und im westlichen Militärbezirk von Abschreckung und Verteidigung sei sungen an die verlegbaren Streitkräfte ab; Russlands) stationierten russischen Streit- eine geeignete Mischung aus nuklearen, und dies in einem komplexen Wirtschafts- kräften. Dieses Verhältnis ist die bewährte konventionellen und Raketenabwehrfähig- umfeld. Faustregel von Militäranalystinnen und keiten. Nach dem Angriff Russlands auf analysten für eine erfolgreiche Verteidi- die Ukraine versucht die NATO mit kon- Das Konzept plant eine Verstärkung der gung ohne nennenswerte Gebietsverluste. ventionellen Mitteln, Russland von ähnli- seit Russlands Annexion der Krim 2014 Die NATO bräuchte im Baltikum und in chen Ambitionen und Zielen auf NATO- etablierten rotierenden Vornepräsenz, des Polen vermutlich eine höhere, mindestens «Stolperdraht», an der Ostgren- 30 000-köpfige Truppenpräsenz, um dieses Die NATO setzt eher auf ze vor, um «mit robusten, im Verhältnis zu erreichen. Einsatzgebiet stationierten, di- Verstärkung als auf Streitkräfte mensionsübergreifenden und Den Beschlüssen des Madrid-Gipfels nach vor Ort zur Abwehr eines kampfbereiten Streitkräften» zu urteilen, setzt die NATO eher auf Ver- abzuschrecken. Als Reaktion stärkung als auf Streitkräfte vor Ort. Da- möglichen russischen Angriffs. auf die Ukraine-Invasion 2022 mit Streitkräfte im Krisenfall zur Verteidi- entsandte die NATO Streit- gung unverzüglich ostwärts an die Grenzen Gebiet abzuhalten. Dies ist das wichtigste kräfte nach Bulgarien, Rumänien, in die des NATO-Gebiets gebracht werden kön- und wesentlichste Element der derzeitigen Slowakei und nach Ungarn und verstärkte nen, muss die militärische Mobilität drin- Anpassung des Bündnisses, insbesondere die bestehenden Vornepräsenz-Streitkräfte gend verstärkt werden. Hier verfügt die EU angesichts der Verlängerung seiner Grenze im Baltikum sowie in Polen. In Madrid be- über die notwendigen Finanzmittel und zu Russland durch den absehbaren Beitritt schlossen die Bündnispartner eine Vergrö- regulatorischen Kompetenzen, um büro- © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 309, September 2022 kratische Hindernisse zu beseitigen und die sich mit kollektiver Verteidigung befas- Weiterführende Literatur die Schienenkorridore zu stärken. So kön- sen, und seinen südlich orientierten Mit- nen viele Truppen sowie schweres Gerät gliedern, die sich auf Instabilität an der Robert Bell et al., «Still fit for purpose? transportiert werden. Die EU hat ausser- südlichen Randzone konzentrieren wollen. Reassessing and revising NATO’s core tasks», dem die finanziellen Mittel, um die Militä- in: Defence Studies (2022). reinrichtungen an der Ostgrenze etwa Im Konzept legt die NATO ihr Bestreben Jo Inge Bekkevold, «NATO’s New Division of durch die Bereitstellung von Unterkünften dar, das nötige Potenzial für den Einsatz Labour of Russia and China Won’t Be Easy», für Streitkräfte, Ausrüstungslagern, Muni- und die Aufrechterhaltung von «Stabilisie- Foreign Policy, 11.07.2022. tion, multinationalen Kampftrainings und rung und Terrorismusbekämpfung, auch in Sean Monaghan, «The Sword, the Shield, and Übungen oder auch durch die Aufrüstung strategischer Entfernung», beizubehalten. the Hedgehog: Strengthening Deterrence in NATO’s New Strategic Concept», War on the der Militärflugplätze zu stärken. Die NATO sollte sich auf ihre Erkenntnis- Rocks, 23.08.2022. se aus den letzten drei Jahrzehnten stützen Hinsichtlich nuklearer Abschreckung wird – darunter der Afghanistan-Einsatz, der John R. Deni und Michael O’Hanlon, «NATO im Konzept hauptsächlich die frühere Hal- im Hinblick auf die militärische Umgestal- Is Hedging on Its Promise to Protect the Baltics», Wall Street Journal, 10.08.2022. tung bekräftigt, wonach Atomwaffen für tung ein ziemlicher Erfolg war, jedoch mit die Abschreckung und Verteidigung zent- der vollständigen Übernahme durch die ral seien. Russland übe Zwang aus, um sei- Taliban 2021 tragisch endete. Aus dem Af- nen Einflussbereich aufrechtzuerhalten. ghanistan-Einsatz isolierte, von den ande- Dies könnte sich auf die impliziten nukle- ren westlichen Interventionen im Nahen Osten (Irak, Libyen und Syri- hervor. Nicht zur EU gehörende NATO- en) abgesonderte Lehren zu Länder (wahrscheinlich die Türkei, Kanada, Die Bezeichnung der EU als ziehen, wäre schwierig für die Grossbritannien und die USA) sollen «einzigartiger und unentbehrlicher NATO. In diesem Zusammen- grösstmöglich in die Anstrengungen der hang wird im Konzept von EU im Verteidigungsbereich eingebunden Partner» ist bemerkenswert. 2022 stärker auf Prävention ge- werden. Dies soll die NATO ergänzen und setzt. Das Konzept von 2010 sei entscheidend für die Entwicklung der aren Drohungen des russischen Präsiden- hatte die Kernaufgabe hingegen als «Kri- strategischen Partnerschaft zwischen der ten Wladimir Putin gegenüber allen bezie- senmanagement» beschrieben, wie etwa NATO und der EU. Die Bündnismitglie- hen, die eine Intervention in der Ukraine Kapazitätsaufbau und Resilienz in Län- der scheinen zu erwarten, dass die vermehr- beabsichtigen. Russland stärkt die Option dern, die anfällig für Destabilisierung und ten Investitionen der EU in verteidigungs- eines konventionellen Angriffs, wenn es Terrorismus sind. Möglicherweise spiegelt relevante Forschung und Zusammenarbeit gleichzeitig mit dem Einsatz von Atom- dies nun eine grössere interventionistische – darunter auch im Bereich strategischer waffen droht. Das Konzept beschreibt die Zurückhaltung wider. Katalysatoren wie etwa militärische Mobi- zentrale Bedeutung der Beiträge von Ver- lität – im Laufe der Zeit für die Verteidi- bündeten an Flugzeugen mit dualer Ein- Aufgrund des wachsenden Einflusses Russ- gungskapazität der NATO von grosser Be- satzfähigkeit für den NATO-Auftrag der lands, Irans und Chinas in der südlichen deutung sein könnten. Infolgedessen nuklearen Abschreckung. Es betont die NATO-Randzone muss das Bündnis seine könnte das Bündnis der Ansicht sein, die Wichtigkeit, nukleare Risiken zu mindern, Interessen im Bereich des Krisenmanage- Zeit sei reif, stärker Interoperabilität zu ge- da Rüstungskontrolle schwindet und sich ments und der Prävention genauer definie- währleisten und Doppelarbeit in den bei- die russisch-amerikanischen Beziehungen ren, sofern dies überhaupt möglich ist. den Organisationen zu vermeiden. über die letzten Jahre verschlechtert haben. Mittlerweile steht das Bündnis durch die Das Konzept vermittelt nicht den Ein- russische Invasion in der Ukraine nicht an Abgesehen von der Neuerung bezüglich druck, das Sicherheitsumfeld sei günstig der südlichen, sondern an der östlichen der Partnerschaft mit der EU unterschei- für neue Vereinbarungen zur Rüstungs- Grenze vor einer bedeutenden Krise. Waf- det das Konzept hinsichtlich der engeren kontrolle und Nichtverbreitung, hält je- fenlieferungen haben sich als sehr wirksam Zusammenarbeit im Bereich bestimmter doch den Weg offen für Risikominderung für die Selbstverteidigung der Ukraine her- Verteidigungs- oder technologischer Fä- und vertrauensbildende Massnahmen (sie- ausgestellt. Möglicherweise ziehen die Ver- higkeiten nicht zwischen anderen Part- he CSS Policy Perspectives Nr. 9/3). bündeten deshalb dieses Vorgehen als Mo- nern, ob in Europa oder im asiatisch-pazi- dell in Betracht für Krisenmanagement fischen Raum. Es verweist lediglich auf Krisenprävention und bewältigung ohne eigene Beteiligung an bewaffneten gemeinsame Werte und die Aufrechterhal- Obwohl das Bündnis seine kollektive Ver- Auseinandersetzungen. Das Bündnis ist da- tung der regelbasierten internationalen teidigung im Osten, inmitten der russi- ran interessiert, die Souveränität und Unab- Ordnung sowie auf den Erfolg der Erwei- schen Invasion der Ukraine, verstärkt, hält hängigkeit der Ukraine zu schützen. In terungspolitik. Letztere Aussage bereitet es es an seinem «360-Grad-Ansatz» fest, der ähnlicher Weise könnte es die Verteidigung den Boden für den erwarteten Beitritt Fähigkeit zur Abwehr von Bedrohungen in anderer Partner unterstützen, ohne dabei Schwedens und Finnlands. Über diesen allen Bereichen und aus allen Richtungen übermässig Ressourcen zu strapazieren. Verweis hinaus jedoch greift das Konzept beschreibt. Verständlicherweise muss die nicht auf, was der zuvor genannte Exper- NATO bei der Ausarbeitung eines strate- Kooperative Sicherheit tenbericht an die NATO aus dem Jahr gischen Dokuments die unterschiedlichen Das Konzept bekräftigt die kooperative Si- 2020 empfahl, nämlich einen stärker inter- Interessen und Sichtweisen ihrer Bündnis- cherheit als dritte Kernaufgabe der NATO. essengetriebenen Ansatz in ihren Partner- partner berücksichtigen. Das Bündnis hält Die Bezeichnung der EU als «einzigartiger schaften, indem Einsätze auf der Grundla- naturgemäss das Gleichgewicht zwischen und unentbehrlicher Partner» hebt sich als ge strategischer Bedürfnisse und begrenzter seinen ostwärts orientierten Mitgliedern, bemerkenswerter Aspekt der Anpassung Ressourcen priorisiert würden. © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 309, September 2022 Die kooperative Sicherheit beruht auf einerUSA und Europa gelingt. Derzeit sind die zeigen, dass die Lastenteilung im Kern da- langen Tradition. Sie wurde mit dem Har- USA darauf ausgerichtet, eine Grossmacht rin besteht, dass die europäischen Länder mel-Bericht aus den Jahren 1966 und 1967 an einem Schauplatz zu besiegen und eine einzeln oder gemeinsam in militärische eingeführt, wonach das Bündnis sich aus andere Grossmacht an einem anderen Fähigkeiten investieren, um ihre Verteidi- einer starken militärischen Position herausSchauplatz abzuschrecken. Befänden sich gungsfähigkeit gegenüber Russland zu ver- die USA in Asien in einem bessern. Idealerweise sollte die Diskussion Die Lastenteilung besteht im Krieg gegen China, müsste Eu- über die Lastenteilung nicht so stark auf Kern darin, dass die europäischen ropa im Falle eines gleichzeiti- gen Krieges gegen Russland die quantitativen Ausgaben fokussiert wer- den wie in den Trump-Jahren, sondern ver- Länder einzeln oder gemeinsam den eigenen Kontinent alleine mehrt auf Qualität ausgerichtet sein. So verteidigen. Darüber hinaus könnte definiert werden, wie die Europäer in militärische Fähigkeiten werfen die innenpolitischen zunehmend und schliesslich vielleicht investieren. Tendenzen in den USA und hauptsächlich die Verteidigung ihres eige- eine mögliche (Wieder-)Wahl nen Kontinents übernehmen können. weiterhin zum politischen Dialog mit an- Donald Trumps oder einer Kandidatur mit deren Ländern verpflichtet. In diesem Sin- ähnlichen Ansichten Fragen über die Ver- Dennoch können die europäischen Staaten ne sieht das Konzept zwar eine verstärkte pflichtung der USA zur Verteidigung und sich nicht nur auf Russland und die USA Verteidigung gegen Russland vor, bekräf- Abschreckung der NATO auf, insbesonde- nur auf China konzentrieren: Es besteht tigt jedoch auch das Bestreben der NATO, re, falls die europäischen Mitgliedsstaaten die Gefahr einer transatlantischen Spal- die Kommunikationskanäle mit Moskau nicht erheblich in ihre gemeinsame Vertei- tung und einer divergierenden militäri- offen zu halten, um Gefahren zu verringern digung investieren. schen Umgestaltung. Einerseits besitzen und Eskalation zu verhindern. Im Gegen- die USA strategische Katalysatoren wie satz zum Konzept aus dem Jahr 2010 wird Zwar ist die Diskussion über die Lastentei- etwa Luftbrücken, Kommandostrukturen die NATO-Russland-Grundakte nicht lung so alt wie das Bündnis selbst, doch sowie Aufklärungsfähigkeiten, die Europa mehr erwähnt. Diese wurde 1997 verein- durch den Aufstieg zweier Grossmächte im in absehbarer Zukunft nicht durch Investi- bart, um nach dem Kalten Krieg das Wie- Wettkampf gegen den Westen und die tionen ersetzen kann. Andererseits verfügt deraufflammen von Spannungen zu verhin- schwankende US-amerikanische Führung Europa über den Grossteil der Streitkräfte dern, und wurde von Russland nun ohnehin gewinnt diese Frage heute zusätzlich an und kann die militärische Mobilität zur endgültig gebrochen. Ebenso sieht das Dringlichkeit. Das Konzept hält fest, dass Umsetzung des NATO Force Model verbes- Konzept eine gemeinsame Resilienz gegen die Verbündeten die Verantwortlichkeiten sern. Russland wird auf absehbare Zeit die Chinas Taktik des Zwangs vor, hält jedoch und Risiken für die gemeinsame Verteidi- oberste Priorität des Bündnisses bleiben. fest, das Bündnis bleibe für konstruktive gung und Sicherheit teilen werden, und be- Darum ist ein nachhaltiges Abschre- Gespräche mit Peking offen. Allerdings kräftigt die Verpflichtung der NATO zu ckungs- und Verteidigungsmodell für die zeigt die ablehnende Reaktion Chinas auf Versprechen zur Verteidigungsinvestition Umsetzung des strategischen Konzepts die Veröffentlichung des strategischen von 2 Prozent des BIP bis 2024. Dennoch von zentraler Bedeutung. Konzepts, wie schwierig solche Gespräche wird keine qualitative Diskussion über die in der Praxis sind. funktionellen Bedürfnisse und verhältnis- mässigen Vorteile von Nordamerika gegen- Vom Konzept zur Realität über Europa und umgekehrt angestossen, Die drei Kernaufgaben umschreiben die um das Bündnis auf die gleichzeitige Ab- Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer genauen Elemente der Anpassung der wehr Russlands und Chinas vorzubereiten. Sicherheit, siehe CSS Themenseite. NATO. Sie sind für sich genommen be- deutsam, die Frage der Lastenteilung unter Es bleibt abzuwarten, wie stark der russi- den Bündnismitgliedern wird jedoch nicht sche Einmarsch die europäischen Länder Henrik Larsen ist Senior Researcher im Team genügend berücksichtigt. Die NATO ist zu Investitionen animiert und ob nun In- Schweizerische und Euro-Atlantische Sicherheit durch die kombinierte Militärmacht Russ- flation und die steigenden Energiepreise am Center for Security Studies (CSS) der ETH lands und Chinas gefordert. Ihre Weiter- die Ausgabenfreudigkeit bremsen. Die Zürich. Davor war er politischer Berater der entwicklung wird davon abhängen, inwie- spärlichen Worte des Konzepts über Resi- EU-Delegation und der EU-Beratungsmission in fern ihr die Arbeitsteilung zwischen den lienz und militärische Hochtechnologie der Ukraine. Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom Zuletzt erschienene CSS-Analysen: Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz- Geopolitische Dimensionen der Energiewende Nr. 308 zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden Frankreichs Verteidigungspolitik am Scheideweg Nr. 307 Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Die Anpassung der NATO an die russische Bedrohung Nr. 306 Der russische Krieg in der Ukraine: Indiens Balanceakt Nr. 305 Herausgeberin: Névine Schepers Europäische Verteidigungspolitik: Zeitenwende mit Vorbehalt Nr. 304 Lektorat: Benno Zogg Der russische Krieg in der Ukraine: Chinas Kalkül Nr. 303 Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000568582 4
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