DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk

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DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
MITTEILUNGSBLATT DES LEIPZIGER MISSIONSWERKES
der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

KIRCHE
3/21                         weltweit

                    DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN
                    Am 20. Oktober 1896 wurden zwei Missionare und fünf ihrer Begleiter am Mount
                    Meru in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) ermordet, wo sie
                    eine neue Missionsstation begründen wollten. Eine Strafexpedition der deutschen Ko-
                    lonialherrschaft kostete 600 Waarusha das Leben. Eine Geschichte über die Verwick-
                    lungen von Mission und Kolonialismus.

                    WECHSEL IN DER ARBEITSSTELLE EINE WELT
                    25 Jahre leitete Christine Müller als sächsische Beauftragte für den Kirchlichen Ent-
                    wicklungsdienst die im Missionshaus ansässige Arbeitsstelle Eine Welt. Im Juli 2021
                    ging sie in den Ruhestand. Im Interview blickt sie auf ihre Arbeit zurück.
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
EDITORIAL & INHALT

    Liebe Leserinnen                                            Inhalt
    und Leser,
    „Vergib uns unsere Schuld, so                                2 Editorial
    wie auch wir vergeben unse-
                                                                 3 Elias Kitoi Nasari
    ren Schuldigern“ – mit diesen
                                                                		 Meditation
    Worten nahm Direktor Joachim
    Schlegel 1993 das Makonde-                                   4 Dr. Joseph Parselaw
    Kreuz entgegen, das ihm der                                 		Als Spione der Kolonialmacht verdächtigt
    Bischof der tansanischen Meru-                              		 Hintergründe zum tödlichen Überfall am
    Diözese Paulo Akyoo überreich-                              		 Mount Meru vor 125 Jahren
    te. Bischof Akyoo war davon bewegt, dass 97 Jahre zuvor
                                                                 8 Emmanuel Majola
    die Missionare Ewald Ovir und Karl Segebrock ums Leben
                                                                   Namen noch immer im Gedächtnis
    gekommen waren: „Wenn die Meru-Christen heute zu-
                                                                		 Wie die Geschichte am Meru weiterging
    rückschauen, wie die Geschichte mit dem Töten von Gottes
    Gesandten begann, empfinden wir, dass diese Schuld noch     10 Elisabeth Müller
    auf uns liegt. Wir warten auf den Zuspruch der Vergebung,      „Man dachte an keine Gefahr“
    den wir in der Liturgie erbitten wollen.“                   		 Erinnerungen von Elisabeth Müller
    Die Worte Direktor Schlegels lassen das erahnen, was wir    		 an den Überfall am Meru
    125 Jahre nach dem Tod von Ovir, Segebrock und fünf
                                                                11 Elias Kitoi Nasari
    weiteren Zivilisten besonders in den Blick nehmen wol-
                                                                		 Zeit war noch nicht reif
    len: Die Verwicklung der Leipziger Mission in den deut-
                                                                		Wer sich bedroht fühlt, wehrt sich
    schen Kolonialismus. Joseph Parsalaws Beitrag hebt das
    besonders hervor, wenn er das nachfolgende Massaker         12 Fürbitte konkret
    der Deutschen Schutztruppe an den Ilarusa und Massai
                                                                14   kristina Ece
    aus Anlass des Tods der beiden Leipziger Missionare be-
                                                                   Von Lettland über Leipzig nach Ostafrika
    schreibt – und mit der Feststellung endet: „Die anderen
                                                                		 Eine Perspektive aus dem Heimatland
    Leipziger Missionare wären in der Lage gewesen, dieses
                                                                		 von Karl Segebrock
    Massaker zu verhindern … aber sie schwiegen einfach,
    als ob nichts Schlimmes passieren würde.“ – Die Spur der    16 Daniel Keiling
    fünf Zivilisten von den Chagga, die ebenfalls ums Leben        WANAPANDA – Konfis pflanzen Bäume
    kamen, verblasst in der Leipziger Erinnerung. Nur zwei      		 Konfigruppen für Pilotphase gesucht
    der Namen – Karava und Mrio – sind mit Mühe auffind-
                                                                17 Botschafter*innen der Liebe Christi
    bar. – Zählten sie nicht?
                                                                		 Programm zur Vollversammlung des
    Mission stellt die Frage nach unserer Identität, betonte
                                                                		 Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)
    Dorottya Nagy in ihrer Predigt zu unserem Jahresfest am
    18. Juli: Wenn wir wirklich „eins in Christus sind, alle    18 Interview
    gemeinsam Hausgenossen Gottes“, warum unterschei-           		 „Wir haben verlässlich und konstruktiv
    den wir dann zum Beispiel zwischen Gemeinden unserer        		geschuftet“
    Landeskirchen und „Migrationsgemeinden“, zwischen           		 Ein Rückblick auf 25 Dienstjahre in der
    „Menschen von hier“ und „denen, die zuwandern“? Wir         		 Arbeitsstelle Eine Welt
    sind gerufen, Christi Friede und Versöhnung auszubreiten,
                                                                20 Nachrichten
    so Nagy, und diese in Vielfalt, ohne Zwiespalt, auszule-
    ben. Als Menschen, deren Identität sich in Christus grün-   22 Geburtstage, Impressum
    det, sind wir gesandt, Menschen in unserer Gesellschaft     23 Termine
    als Hausgenossen Gottes zu lieben und zu behandeln.
    Ihr                                                         24 Vierteljahresprojekt

                                                                Das Titelbild zeigt eine historische Karte der Leipziger
    Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes     Missionsstationen am Kilimanjaro aus dem Jahr 1895.

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DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
MEDITATION

Meditation
Von Pfarrer Elias Kitoi Nasari, Bischof der Meru-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania

                          Lasst uns aufeinander achthaben
                und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken.
                                  Monatsspruch Oktober 2021: Hebräer 10,24

  Das Verb „anspornen“, wie es im Monatsspruch            dieser Krankheit ein Ende zu
für diesen Oktober vorkommt, ist ein starker theo-        setzen. Während wir auf Hei-
logischer Begriff. Kein Wunder, dass dieser Bibelvers     lung warten, beten wir, dass
für diesen Monat ausgewählt wurde! Das Wort hat           alle Menschen – Arme und
mehrere Bedeutungen, zum Beispiel bringt es zum           Reiche – sich eine Impfung
Ausdruck, dass jemand einen starken Wunsch ver-           gegen diese Krankheit leisten
spürt, die Menge im Glauben aufzurütteln. Wir sollen      und sie erhalten können.
aufeinander achten und uns umeinander kümmern.              Wir reichen uns gegensei-
Überlegen Sie doch einmal, wie Sie sich gegenseitig       tig die Hände als Menschen
zur Liebe motivieren können. Wie können Sie einan-        des Glaubens, um uns ein-
der helfen, gute Werke zu tun, so wie es Christus uns     ander unsere gegenwärtigen
als Christinnen und Christen geboten hat? Wir sollen      und vergangenen Sünden zu
uns als christliche Partner auf der ganzen Welt gegen-    vergeben.
seitig im Glauben stärken.                                  In diesem Zusammenhang denken wir vor allem an
  All dies sind starke Worte. Sie bringen uns Men-        den Todestag der zwei Missionare, die im Oktober 1896
schen, die wir freundschaftlich und partnerschaftlich     – also vor 125 Jahren – im Dorf Akeri am Meru getötet
in der Mission verbunden sind, eine wichtige Bot-         wurden. Sie brachten das Wort Gottes zu unserem Volk,
schaft – gerade im Angesicht dieser herausfordernden      den Meru. Das Evangelium von Jesus Christus ist stark
Zeiten der COVID-19-Pandemie.                             gewachsen. Heute hat unsere Diözese mehr als 100.000
  Der Bibelspruch ruft uns dazu auf, einander zu um-      Mitglieder, 59 Pfarreien und mehr als 120 Gemeinden,
armen; im Glauben zusammen zu gehen; uns gegen-           80 Pastor*innen und mehr als 150 Evangelist*innen
seitig zu trösten – vor allem, wenn wir an Mitglieder     und andere Gemeindemitarbeitende. Die kleine Bil-
unserer eigenen Kirchen oder Mitarbeitende von bei-       dungseinrichtung, die von unseren frühen christlichen
den Seiten denken, die an Corona gestorben sind; uns      Missionaren in Nkoaranga gegründet wurde, hat sich
gegenseitig zu unterstützen; aneinander zu denken         zu sechs Sekundarschulen, einer Sondergrundschule
und einander im Gebet zu erheben.                         und drei Berufsschulen entwickelt.
  Als Christinnen und Christen müssen wir uns ge-           Mit dem Kommen der Missionare haben wir so
genseitig ermutigen, anstatt die Hoffnung zu verlieren    viele Segnungen erfahren! Preiset den Herrn! Als He-
oder uns von Angst und einem Gefühl der Hoffnungs-        rausforderung sehe ich Folgendes: Die Mission darf
losigkeit treiben zu lassen – wie Paulus schreibt: „Da-   kein „Einwegunternehmen“ bleiben. Ich schlage vor,
rum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest        dass wir nach Wegen suchen, wie sie in beide Rich-
und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem            tungen funktionieren kann. Lasst uns einander im
Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht    Gebet ermutigen für eine kontinuierliche Unterstüt-
vergeblich ist in dem Herrn.“ (1. Korinther 15,58).       zung im Dienst und der Mission Gottes – zur Liebe
  Im Lichte eines solchen Geistes des Einander-An-        und zu guten Werken – „und [wenn] dann mein Volk,
spornens müssen wir zum Gebet auf die Knie gehen.         über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass
Wir müssen Gott bitten, Licht zu bringen, wo es Dun-      sie beten und mein Angesicht suchen und sich von
kelheit gibt; Heilung im Krankheitsfall – insbesondere    ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Him-
für diejenigen, die an COVID-19 leiden oder ihre Lie-     mel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land
ben durch Corona verloren haben. Wir bitten Gott,         heilen.“ (2. Chronik 7, 14 ).

                                                                                      KIRCHE weltweit 3/2021      3
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
ÜBERFALL AM MERU

    Als Spione der Kolonialmacht verdächtigt
    Hintergründe zum tödlichen Überfall am Mount Meru vor 125 Jahren
    In seiner Doktorarbeit erforschte Joseph Parsalaw die Geschichte der lutherischen Kirche in der
    Region Arusha. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Ermordung der beiden Leipziger Missio-
    nare Ewald Ovir und Karl Segebrock vor 125 Jahren und die folgende Strafexpedition.
    Von Prof. Dr. Joseph Parsalaw, Vizekanzler der Tumaini Universität Makumira, Tansania

      Die Geschichte der Stadt Arusha reicht zurück bis in                 angegriffen oder ausgeraubt, wie es in anderen Tei-
    das Jahr 1896. Damals wurden die beiden jungen Mis-                    len des Landes geschah. Es wurde als gutes Zeichen
    sionare Ewald Ovir und Karl Segebrock ermordet. Sie                    angesehen, dass die Missionsarbeit im Meru-Land
    waren von der Leipziger Mission im Dienst des Herrn                    ohne Angst vor den Massai und Waarusha begon-
    Jesus Christus gesandt, um eine neue Missionsstation                   nen werden konnte. Damals kleideten und benah-
    im Land der Wameru (oder auch Waro) aufzubauen.                        men sich die Wameru wie ihre Maa-Nachbarn. Für
                                                                           einen Außenstehenden war es schwer, einen Meru-
                                                                           Krieger von einem Maa-Krieger zu unterscheiden.
                                                                           Tatsächlich aber sind die Wameru eng mit den Ki-
                                                                           kuyu, Shira und Machame verwandt.

                                                                            Auseinandersetzungen mit der Kolonialmacht
                                                                             1896 erkundete Missionar Ewald Ovir das Land
                                                                           der Wameru. Mangi Matunda, das Oberhaupt der
                                                                           Wameru, begegnete ihm und seinen Bedienste-
                                                                           ten sehr freundlich. Als er zu seinem Vorgesetzten
                                                                           [Missionar Emil Müller] in Machame zurückkehrte,
                                                                           berichtete Ovir über den herzlichen Empfang durch
                                                                           die Wameru und deren Oberhaupt im Meru-Land.1
                                                                           Die Missionare waren sich auch bewusst, dass bei
                                                                           Schwierigkeiten mit den Indigenen die deutsche
    Der Mount Meru erhebt sich 4.562 Meter über der Stadt Arusha. In       Administration im Land helfen würde. Obwohl die
    der drittgrößten Stadt Tansanias leben rund zwei Millionen Menschen.   Deutschen unmittelbar nach der Berliner Konferenz
                                                                           und den Verträgen von Carl Peters die Kontrolle
                                                                           über Deutsch-Ostafrika übernommen hatten, war
      Die Wameru bewohnen die Ostseite des Mount                           ihre Macht nur in den sich entwickelnden Klein-
    Meru. Sie sprechen einen Dialekt, der dem der Chag-                    städten und am Küstenstreifen spürbar. Im Landes-
    ga am Kilimanjaro ähnelt. Die Missionare, die bereits                  inneren war ihr Einfluss noch nicht zu spüren, mit
    einige Monate auf dem Leipziger Missionsfeld am                        Ausnahme von Geschichten über ihre Grausamkeit,
    Kilimanjaro tätig waren, waren in der Lage, mit den                    die sich unter der Bevölkerung im Landesinneren
    Wameru zu kommunizieren. Auch eigneten sich die                        verbreiteten. Den Waarusha und Massai war nur
    Hänge des Berges, weil sie frei von Malaria waren –                    bekannt, dass es weiße Männer gab, die wussten,
    dem Feind Nummer Eins der Weißen.                                      wie man kämpft. Das freute die Maa, denn auch ihr
      Zwischen 1890 und 1894 lebten schon einige weni-                     Ruf als Krieger war den Weißen bekannt. Sie hatten
    ge deutsche Siedler auf dem flachen Land im Westen                     nicht die leiseste Ahnung, dass diese weißen Männer
    des Kilimanjaro und bewirtschafteten es. Die Mas-                      eines Tages ihre neuen Herren werden würden.
    sai und Arusha [auch Ilarusa], zwei Maa-Völker,                          Die Ankunft der Weißen war bereits von einem
    die den westlichen Teil des Meru bewohnten, waren                      Wahrsager der Maa, einem Loiboni, vorausgesagt
    gefürchtete Krieger. Dennoch wurden Karawanen,                         worden. Er prophezeite, dass Weiße aus den Meeren
    die von der Küste nach Tabora und zu den Seen im                       kommen und viele Dinge ins Land bringen würden.2
    Westen zogen, nicht von den genannten Stämmen                          Die Ankunft dieser „Geschöpfe“ im Massailand und

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DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
ÜBERFALL AM MERU

in Arusha wurde von den beiden Maa-Stämmen mit
Feindseligkeit und Misstrauen gesehen. Ihre Gegen-
wart würde nur Unglück bringen.
  Vor der Besetzung Deutsch-Ostafrikas, des heu-
tigen Tansanias, durch die Deutschen gehörten die
Maa zu den gefürchtetsten und angesehensten Völ-
kern des Landes.3 Ihre Krieger waren für die Vertei-
digung ihrer Grenzen verantwortlich und verhin-
derten das Eindringen von Arabern und Weißen
in ihr Land. Als die Deutschen ankamen, waren die
Massai (nicht die Waarusha) durch Cholera und
kleine Pockenepidemien geschwächt. Auch hatten
sie fast ihr gesamtes Vieh durch schwere Dürren
und eine Rinderpest-Epidemie verloren, wie Oscar
Baumann 1890 berichtete.4
  Die deutsche Besetzung Tanganjikas geschah mit
                                                         Hauptmann Johannes (Mitte sitzend) und rechts hinter ihm Oberleut-
der Absicht einer wirtschaftlichen Entwicklung
                                                         nant Merker bei einem Besuch von Hans Meyer (rechts sitzend) 1898.
der Kolonie. Die Erschließung des Landes galt als
Hauptanliegen. Zu diesem Zweck wurden bestimm-
te Gebiete mit gutem Ackerland an deutsche Siedler       gleitung von Leutnant Merker und mehreren su-
veräußert, damit sie für den Verkauf geeignete Feld-     danesischen Askaris [Söldner] im Meru-Land an.
früchte anbauten. 1895 erließen die Kolonialherren       Sie schlugen ihre Zelte nicht weit entfernt von den
ein Dekret, das alles Land zu Kronland erklärte. Die     Missionaren Ovir und Segebrock auf. Diese waren
angestammte Bevölkerung an den Hängen des Kili-          ungefähr fünf Tage zuvor mit einer kleinen Gruppe
manjaro und des Mount Kenya wurden auf die hö-           von Trägern vom Kilimanjaro im Meru-Land einge-
heren Lagen zurückgedrängt. In der unteren Region        troffen. Bevor die Missionare Moshi verließen, er-
waren sie von einem Kreis weißer Siedler umringt,        hielten sie für den Notfall Waffen und Munition zur
die große Ländereien besaßen. Ausgenommen wa-            Selbstverteidigung.
ren die Felder (Shambas) und Grundstücke, die be-          Die Leipziger Missionare waren auf Frieden und
reits den Waarusha gehörten.                             Sicherheit im Meru- und Arusha-Land eingestellt,
  Die Zuweisung von Land an Deutsche und andere          nachdem Hauptmann Johannes und Leutnant Mer-
europäische Siedler führte zu Unruhe und Hass ge-        ker schon im Oktober 1895 eine Strafexpedition ge-
gen die Europäer im Allgemeinen. Einige Stämme           gen die Waarusha an vorderster Front geführt hatten.
versuchten es mit passivem Widerstand, während           Doch sowohl die Missionare als auch Hauptmann
andere wie die Wameru und Waarusha einen sehr            Johannes selbst täuschten sich. Die Anwesenheit von
aktiven Widerstand gegen alle Weißen leisteten.          Hauptmann Johannes und seiner kleinen Gruppe su-
  Die Waarusha wurden im Meru-Land und in der            danesischer Askaris ließ den Verdacht aufkommen,
Gegend von Oldonyo Sambu den dort angesiedel-            dass beide Missionare, Ovir und Segebrock, Spione
ten deutschen Bauern zu einer großen Belastung.          von Hauptmann Johannes seien. Sie trugen Waffen;
Arusha-Krieger stahlen immer wieder deren Vieh           so machte es keinen Unterschied, ob sie Soldaten oder
in der Hoffnung, dass die weißen Farmer dessen           Männer Gottes waren, die das Licht des Evangeliums
überdrüssig ihre Farmen verlassen würden. Der in         brächten. In der Gewissheit, dass alle Weißen in Akeri
Moshi stationierte Hauptmann Kurt Johannes und           Feinde waren, wurden beide Lager angegriffen.
Leutnant Moritz Merker unternahmen erfolglos               Hauptmann Johannes hatte Glück, dass die su-
mehrere Strafexpeditionen gegen die Maa mit dem          danesischen Askaris hart kämpften und die heran-
Ziel, sie unter Kontrolle zu bringen. Das führte dazu,   nahenden Waarusha- und Wameru-Krieger fern-
dass der gesamte Stamm jederzeit bereit war, auf         hielten. So überlebte er. Aus dem Lager der Missi-
Überraschungsangriffe der am Kilimanjaro leben-          onare aber hörte man das Zerschlagen von Kisten
den deutschen Soldaten zu reagieren.5                    und Utensilien. Das war das tragische Ende von
  Auf einer seiner regulären Reisen nach Umbug-          Ovir und Segebrock, die jeweils mit über dreißig
we über Arusha kam Hauptmann Johannes in Be-             Speerstichen getötet wurden.6

                                                                                           KIRCHE weltweit 3/2021             5
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
ÜBERFALL AM MERU

      Strafexpedition aus Rache für die Ermordung                           Johannes repräsentierte. Die Deutschen wurden von
                                                                            den Briten gewarnt, dass der in Kenia lebende spi-
      Hauptmann Kurt Johannes verstand den Tod der
                                                                            rituelle Führer der Loita-Massai, Loiboni (Prophet/
    beiden Missionare, die in seiner Gegenwart gefallen
                                                                            Priester) Sendeyo, dazu neige, die Tötung von Hun-
    waren, als persönlichen Angriff auf seinen Rang und
                                                                            derten seiner blutsverwandten Waarusha zu rächen.
    seine Stellung. Aus Rache für die Ermordung von

                                                                                     Bau der Militärstation in Arusha
                                                                              Ab dem Jahr der Niederlage 1896/97 lernten es alle
                                                                            Waarusha, sich respektvoll zu verbeugen, wenn sie
                                                                            ihren neuen weißen Herren begegneten. Um den
                                                                            kriegerischen Stamm genauer im Auge zu behalten,
                                                                            beschlossen die Deutschen, in der heutigen Stadt
                                                                            Arusha einen Militärposten zu errichten.
                                                                              Die Vorbereitungen dafür begannen 1899. Vorher
                                                                            waren dort nur einige Askaris stationiert, um die
                                                                            Waarusha und ihre verwandten Massai zu überwa-
                                                                            chen. Ein Swahili-Mann namens Efendi Moham-
                                                                            med war mit der Bauleitung beauftragt.
                                                                              1900 war die Boma fertig. Es waren die Waarusha
                                                                            selbst, die die Boma bauten, nicht weil sie es wollten,
                                                                            sondern weil sie dazu gezwungen wurden. Nicht die
    Die Boma in Arusha beherbergt heute das Naturkundemuseum. Eine          geringste Widerstandskraft war geblieben, um den
    kleine Ausstellung erinnert an die koloniale Geschichte des Gebäudes.   deutschen Befehlen ein „Nein“ entgegenzusetzen.
                                                                            Wenn der große Gebieter sagte, tu dies, taten die
    Ovir und Segebrock organisierte er eine Strafexpedi-                    Krieger das sofort, ohne mit der Wimper zu zucken.
    tion gegen die renitenten Waarusha. Mehrere Anfüh-                        Der Bau der Boma in Arusha war die schlimmste
    rer und Wortführer des Stammes mussten sich dem                         Strafe für den gesamten Stamm. Männer und Frauen
    Hochmut des Hauptmanns unterwerfen. Krieger                             errichteten unter Gewaltandrohung den Militärpos-
    wurden ausgepeitscht oder in der Öffentlichkeit ge-                     ten. Die ruhmreichen Arusha-Krieger wurden vor
    hängt, um seine Grausamkeit zu demonstrieren. Die                       den Augen ihrer eigenen Kinder und anderer Stämme
    Oberhäupter der anderen Stämme wurden angewie-                          gedemütigt. Die stolzen Krieger wurden gezwungen,
    sen, in Moshi zu erscheinen. Einige von ihnen wur-                      Steine mit ihren Kampfwaffen, den Speeren, auszu-
    den für mehrere Monate ins Gefängnis gesteckt. Ein                      graben. Ihre reich geschmückten Schilde verrichteten
    paar Glückliche flohen in den Meru-Wald und ließen                      die Arbeit von Schubkarren, um Steine zur Boma zu
    ihre Familien zurück. Deutsche Soldaten wurden be-                      bringen. Sie benutzten ihre Schwerter, um große Bäu-
    auftragt, die Waarusha abzuschlachten. Sie verrich-                     me zu fällen. Junge Frauen und Kinder wurden ge-
    teten ihre Arbeit zur Zufriedenheit. Sie töteten alles,                 zwungen, Bananenblätter zum Dachdecken zu brin-
    was sich bewegte. Rinder, Häuser, Maisfelder und Ba-                    gen. Älteren Frauen und Männern wurde die Arbeit
    nanenhaine wurden angezündet, um sicherzustellen,                       übertragen, den feuchten Lehm zu stampfen, mit dem
    dass Überlebende bei der Rückkehr aus ihren Verste-                     bei den Bauarbeiten der Boma die Steine vermauert
    cken weder Unterkunft noch Nahrung fanden. Tau-                         wurden. Missionar L[eonhard]Blumer, der viele Jahre
    sende Rinder, Ziegen, Schafe und Menschen wurden                        in der Missionsstation Ilboru arbeitete, schrieb in Be-
    von den neuen Herren mitgenommen.7 [...]                                zug auf die Waarusha und den Bau der militärischen
      Die Ermordung von Ovir und Segebrock 1896                             Boma: „Mit ihren Speeren mussten sie die Kalksteine
    und die folgende Bestrafung der Waarusha durch                          brechen und auf ihren Schilden dann hierhertragen,
    Hauptmann Johannes beendeten die Unruhen der                            wo der Kalk dann gebrannt wurde. Das Brennholz
    Waarusha und anderer Massai nicht. Waarusha und                         mussten sie ringsum //in der Steppe// zusammen-
    Massai in Mpwapwa (Dodoma), Tanga, Kondoa und                           suchen und mit ihren grossen Seitenmessern fällen.
    Ngorongoro weigerten sich, die strenge deutsche                         Von hier wurde dann der gebrannte Kalk nach Aru-
    Kolonialregierung anzuerkennen, die Hauptmann                           sha für die Festungsbauten (=boma) hingetragen.“8

6   KIRCHE weltweit 3/2021
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
ÜBERFALL AM MERU

  Seitdem wuchs die Bedeutung von Arusha bestän-                                   Quellen
dig. Dazu trugen besonders die Küstenbewohner
                                                          1.   H. Adolphi: Am Fuße der Bergriesen Ostafrikas, Leipzig
bei, die eine Anstellung als Hausangestellte oder
                                                               1912, S. 47
eine andere verfügbare Arbeit suchten. Die Präsenz        2.   Interview mit Wilson Saiguran im Alter von 85 am
des Militärpostens im Arusha-Land veränderte das               12.09.1998
Erscheinungsbild der Gegend völlig. Die Boma war          3.   J. P. Moffet (Hrsg.): Handbook of Tanganyika, Dar es
das erste moderne Gebäude in der gesamten Region               Salaam 1958, S. 64
Arusha. Um das Gebäude wurde ein tiefer Graben            4.   I. N. Kimambo/A. J. Temu (Hrsg.): A history of Tanzania,
ausgehoben und außerhalb des Grabens ein Stachel-              Nairobi 1969, S. 89. Siehe auch J. W. Parsalaw: A history
drahtzaun angelegt, um Feinde auf Abstand zu hal-              of the Lutheran Church Diocese in the Arusha Region
ten. In der Boma lebten die Militäroffiziere mit einer         from 1904 -1958, Dissertation Erlangen 1997, S. 37
kleinen Gruppe von etwa dreißig Askaris, größten-         5.   ebd.
teils Nubier. Die Erfordernisse des Militärpostens        6.   Evangelisch-Lutherisches Missionsblatt, Leipzig 1897, S.
ließen um ihn herum ein kleines Dorf entstehen,                12-19
dessen Häuser im Swahili-Stil in Reihen angeord-          7.   Information von Wilson Saiguran
net waren. Abgesehen von den wenigen Einheimi-            8.   Tagebucheintrag der Missionsstation Ilboro, 4. Okt.
schen, die in der Nähe der Boma lebten, eröffneten             1922 (Akte ALMW II/32/311 C II)
einige wenige Küstenbewohner und Inder aus Goa            9.   Carl Uhling, in: Mitteilungen aus den Deutschen
kleine Läden.9 Aus dem 1900 von den Deutschen                  Schutzgebieten, Berlin 1909, S. 249
gegründeten kleinen Militärposten hat sich heute                              Der Beitrag wurde 2000 veröffentlicht
eine Großstadt entwickelt. Die Stadt Arusha ist der-                          in dem Buch „Mission und Gewalt.
zeit [Stand 1997] die Heimat von nicht weniger als                            Der Umgang christlicher Missionen mit
fünfhunderttausend Einwohnerinnen und Einwoh-                                 Gewalt und die Ausbreitung des Chris-
nern. Sie liegt auf der Hälfte der Great North Road,                          tentums in Afrika und Asien in der Zeit
die als Fernverkehrsstraße Kapstadt und Kairo mit-                            von 1792 bis 1918/19“ von Ulrich van
einander verbindet.                                                           der Heyden (Herausgeber), Jürgen Be-
                                                                              cher (Herausgeber). Wir danken dem
                        Fazit                             Franz Steiner Verlag Stuttgart für die freundliche Freigabe
                                                          zur Übersetzung und Veröffentlichung. Es handelt sich
  Die anderen Leipziger Missionare in Machame, Mo-        hier um eine leicht gekürzte und redigierte Fassung.
shi und Mamba wären in der Lage gewesen, das Mas-         Professor Dr. Joseph Wilson Parsalaw referiert am 30. Ok-
saker des Hauptmanns Johannes an Unschuldigen             tober 2021 bei unserem internationalen Online-Symposi-
zu verhindern, wenn sie gewollt hätten. Sie wussten,      um (siehe Seite 11).
wann Johannes vorhatte, seine Rache zu vollziehen.
Sie schwiegen aber, als sollte nichts Schlimmes passie-
ren. So wurde die Ermordung der beiden Missionare
                                                          Literaturempfehlungen
mit dem Leben von sechshundert Menschen bezahlt.                              Joseph Wilson Parsalaw (1999): A his-
Fest steht, dass Ovir und Segebrock weder im Dienst                           tory of the Lutheran Church Dio-
der deutschen Kolonialregierung standen noch unter                            cese in the Arusha Region from
dem Schutz der Kanonen und Waffen von Haupt-                                  1904 to 1958. – Erlanger Verlag für
mann Johannes. Diese beiden jungen Männer waren                               Mission und Ökumene (403 Seiten)
davon überzeugt, den Menschen in Afrika um jeden
                                                                              derzeit nur antiquarisch erhältlich
Preis Christus zu bezeugen, selbst um den Preis ihres
Lebens. Aber es ist wichtig, wenn wir an die Anfänge
der Stadt Arusha denken, die Entstehung dieser Stadt                          Helge Wendt (Hg.), Ulrich Heyden (Hg.)
auch als eine Folge des Racheaktes für die beiden Mis-                        (2020): Mission und dekoloniale
sionare zu verstehen.                                                         Perspektive. Der Erste Weltkrieg als
                                                                              Auslöser eines globalen Prozesses, Reihe
 Übersetzung aus dem Englischen: Antje Lanzendorf,                            „Missionsgeschichtliches Archiv“, Band
 mit Dank an Pfarrer i.R. Gerhard Richter, ehemaliger                         30. – Franz Steiner Verlag: Stuttgart
 Tansania-Referent des LMW, für wertvolle Hinweise                            ISBN: 978-3-515-12070-8

                                                                                          KIRCHE weltweit 3/2021           7
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
PARTNERPERSPEKTIVE

    Namen noch immer im Gedächtnis
    Wie die Geschichte am Meru weiterging
    Der Tod der beiden Missionare 1896 wurde in Tansania nicht vergessen. Dankbar wird darauf zu-
    rückgeblickt, dass fünf Jahre später ein zweiter Versuch am Meru gestartet wurde. Heute ist die
    Meru-Diözese eine lebendige Kirche mit Schulen und Krankenstationen.
    Von Pfarrer Emmanuel Majola, Direktor des Ailanga Lutheran Junior Seminary, Meru-Diözese, Tansania

     Die Reise zur Verkündigung des Wortes Christi                        körperliche Bestrafung des Waarusha-Stammes im
    durch die Pfarrer Ewald Ovir und Karl Segebrock                       Oktober 1895 durch die Kolonialmacht (siehe Beitrag
    von der Leipziger Mission ins Meru-Land im Nor-                       von Dr. Joseph Parsalaw S. 4ff) (Anm. der Red.: Waa-
    den des heutigen Tansanias endete vor genau 125                       rusha = Swahili, Ilarusa = Maa, beide Begriffe bezeich-
                                                                          nen dieselbe Ethnie in den verschiedenen Sprachen).
                                                                            Die Ermordung der Missionare ist in dem 2002
                                                                          veröffentlichten Buch „Historia ya Miaka 100 ya Injili
                                                                          Meru“ (100 Jahre Evangelium am Meru) gut doku-
                                                                          mentiert. Die Beziehung zwischen den Missionaren
                                                                          und den Kolonialherren war sehr gut. Aus unter-
                                                                          schiedlichen Quellen gibt es zwei Belege für die Ver-
                                                                          schränkung von Missionstätigkeit und Kolonialherr-
                                                                          schaft: Zum einen versuchte Hauptmann Johannes,
                                                                          die Sicherheit der Missionare zu gewährleisten. Tage
                                                                          vor der Mordnacht in Akeri gab er den Missionaren
                                                                          Waffen und Munition zur Selbstverteidigung mit auf
                                                                          den Weg. Zum anderen unterstützte die Kolonial-
                                                                          herrschaft die Missionstätigkeit bei wirtschaftlichen
                                                                          Tätigkeiten. So kauften die Missionare am 19. Okto-
                                                                          ber 1896 Land in Akeri im Wert von 25 Stoffballen. Im
    Das baulich mehrfach erweiterte Grab der beiden Missionare Ovir und   Beisein von Hauptmann Johannes wurde das Land
    Segebrock in Akeri wird bis heute in Ehren gehalten und gepflegt.     für die Mission vermessen und der Kauf abgewickelt.
                                                                            Es ist unmöglich, im 19. Jahrhundert zwischen poli-
                                                                          tischen Erkundungen und den Aktivitäten der Missi-
    Jahren. Am 20. Oktober 1896 verloren sie im Dorf                      onare zu trennen. Erst durch die Berliner Konferenz
    Akeri ihr Leben. Die Geschichte spiegelt Aspek-                       von 1884 wurde die Tür für die Leipziger Mission in
    te des menschlichen Miteinanders, die auch heute                      Ostafrika geöffnet. Gouverneure oder andere Koloni-
    noch zu finden sind. Das heutige spirituelle und so-                  alherren garantierten die sichere Reise der Missiona-
    zio-ökonomische Leben offenbart jedoch den Wert                       re. Ebenso erging es Ewald Ovir und Karl Segebrock.
    dieses Blutvergießens.                                                Gouverneur von Tanganjika war zur damaligen Zeit
      Die Namen der verstorbenen Missionare sind noch                     Hermann von Wissmann (April 1895 bis Dezember
    immer im Gedächtnis der Meru-Christen verankert.                      1896). Der Verantwortliche in der Boma (Militärsta-
    Ihre Gräber in Akeri tragen die lebendige Botschaft                   tion) in Moshi war Hauptmann Kurt Johannes. Er
    in unserem Geist durch die Meru-Diözese und sogar                     sorgte für die sichere Reise von Ovir und Segebrock.
    darüber hinaus. Die Namen der Chagga, die eben-
    falls zu Tode kamen, sind uns nicht bekannt. In Ake-
                                                                            Der Samen des Evangeliums auf Meru-Land
    ri sind keine weiteren Gräber überliefert.
      Die lutherischen Christinnen und Christen am                          Am 15. Oktober 1896 kamen die Missionare als
    Meru trauern bis heute und fühlen sich durch den                      Ehrengäste des Mangi Matunda des Meru-Volkes in
    Tod der Missionare beschämt. Es waren keine Meru-                     Akeri an. Es gab Gerüchte, dass die Missionare ange-
    Leute, die die beiden umgebracht haben. Sie wurden                    griffen werden würden. Aber sowohl die Missionare
    von Ilarusa-Kriegern ermordet aus Rache für die                       als auch Hauptmann Johannes negierten die Berich-

8   KIRCHE weltweit 3/2021
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
PARTNERPERSPEKTIVE

te über einen bevorstehenden Kampf.                                    Mai 1902 wurde der erste Sonntagsgot-
Am 20. Oktober 1896 wurden Ovir und                                    tesdienst gehalten. So begannen im Mai
Segebrock getötet. Am frühen Morgen                                    1902 zwei Kernaktivitäten; das Predigen
begruben Johannes und seine Soldaten                                   des Evangeliums von Jesus Christus so-
die Leichen der beiden Missionare und                                  wie das Lehren von Schreiben und Lesen.
machten sich auf den Weg nach Moshi.
  Der Bericht über den Tod von Ovir
                                                                               Die Meru-Diözese heute
und Segebrock traf am 21. Oktober 1896
in Machame bei Missionar Emil Mül-                                       Nach 125 Jahren kann die lutherische
ler ein. Er schrieb einen Brief an das                                 Kirche eine enorme Entwicklung feiern.
Leipziger Missionskollegium, in dem                                    Diese muss parallel zur staatlichen erfol-
zwei Dinge erwähnt wurden; a) Die                                      gen. Im Allgemeinen stehen die kirch-
Missionsarbeit im Meru-Land wurde                                      lichen Aktivitäten im Einklang mit den
abgebrochen, aber das Grundstück ist                                   Entwicklungszielen der Regierung.
mit dem Blut unserer Brüder gesegnet                                     Von den ersten elf Taufen im Meru-
b) Lasst uns zu Gott beten, dass er das                                Gebiet am 18. Juni 1905 hat das Lehren
Evangelium von Christus zu gegebener                                   und Predigen des Evangeliums zu einem
Zeit in das Meru-Land bringt.                                          enormen Wachstum der Kirche geführt.
  Die Kolonialherrschaft wendete als                                   Es gibt 159 Predigtstellen, 59 Gemeinden
Strafmaßnahme massive Macht an, um                                     und fünf Kirchenbezirke. Derzeit hat
das Leben von Menschen und Eigentum                                    die Meru-Diözese 72.083 Kirchenmit-
zu zerstören. Dies zeigt die Verwicklung                               glieder. In den 125 Jahren hat es 75 Pas-
                                          Arno Krause und Kurt Fickert
der Missionare im Zusammenhang mit kamen 1902 an den Meru.             toren, 156 Evangelisten, 42 Gemeinde-
der Kolonialherrschaft. Andererseits                                   mitarbeitende und 64 Gemeindesekre-
kooperierte auch die tansanische Kir-                                  täre gegeben. Sie predigten und tauften,
che in den 1960/70er Jahren mit der Regierung, als engagierten sich in der Bildung und medizinische
es darum ging, den afrikanischen Sozialismus „Uja- Versorgung der Menschen. Zur Diözese gehören
maa“ aufzubauen.                                         sechs Sekundarschulen, zwei Grundschulen und
                                                         vier Berufsschulen. Seit der ersten Aufnahme von
                                                         acht Patienten im Krankenhaus Nkoaranga im Mai
            Zweite Missionsreise 1902
                                                         1904 entstanden weitere fünf Gesundheitsstationen
  Die Blutsamen von Ovir und Segebrock offenbaren und ein Gesundheitszentrum im Besitz der Kirche.
die Macht des Wortes Gottes. Jesus Christus erhörte        Ausgehend vom Kern der Missionstätigkeit war der
die Gebete von Missionar Müller, das Evangelium zu Hauptzweck das Wohlergehen der Menschen; ein
gegebener Zeit in das Meru-Land zu bringen. Pfarrer besseres Leben für alle und eine gut strukturierte Ge-
Arno Krause und Kurt Fickert trafen am 24. Februar sellschaft. Von 1896 bis heute sind die Fortschritte der
1902 während der Regierungszeit von Gouverneur Kirche und der Regierung bemerkenswert. Der Weg
Gustav Adolf von Götzer (März 1901 bis April 1906) der Missionare unter den Kolonialherren ermögli-
in Tanganjika ein. Die beiden Missionare besuchten che die Umsetzung der Ziele: Predigt des Evangeli-
Mangi Nyereu im Dorf Mbembe-Nkoaranga auf ums, Bildung und Gesundheit. Unabhängig von dem
Befehl von Leutnant Merker, dem Nachfolger von schwerwiegenden Rachefeldzug gehört die Entwick-
Hauptmann Johannes. Die Einsetzung von Nyereu lung im Meru-Land, der heutigen Meru-Diözese im
und der Bau eines Gästehauses in Mbembe noch vor Meru District Council, zu den besten in Tansania. Das
der Ankunft der Missionare zeigen, dass die Koloni- Wachstum ist überwältigend. Gott sei Dank, wurde
almacht hinter den Missionsaktivitäten stand.            nach dem Tod der beiden Missionare die Tür für die
   Die Missionare und ihre Delegation baten den zweite Reise geöffnet und das Christentum verbreitet
Mangi um Erlaubnis, den Menschen das Wort Gottes sowie das sozioökonomische Wachstum im Meru-
lehren zu dürfen. Sie wurden willkommen geheißen Land herbeigeführt.
und am folgenden Tag, dem 25. Februar 1902, übergab
ihnen Nyereu das Gebiet in der Nähe des Mbembe- Pfarrer Emmanuel Majola referiert am 30. Oktober 2021
Flusses. Im April begann der Lehrbetrieb und am 2. beim internationalen Online-Symposium (siehe Seite 11).

                                                                                       KIRCHE weltweit 3/2021       9
DER ÜBERFALL AM MERU VOR 125 JAHREN - Leipziger Missionswerk
BERICHT

     „Man dachte an keine Gefahr“
     Erinnerungen von Elisabeth Müller an den Überfall am Meru
     In einem Rückblick auf ihr Leben als Missionsfamilie am Kilimanjaro berichtet Elisabeth Müller,
     Frau des Missionars Emil Müller, auch vom Überfall am Meru. Es lässt sich nicht nur herauslesen,
     wie überrascht alle waren, sondern auch wie eng das Verhältnis zur Kolonialmacht war.
     Ausschnitt aus einem Originaltext von Elisabeth Müller, geschrieben 1949

       Im Januar 1896 kamen wir an. Anfang September               unter unserem Schutz stehen. Hauptmann Johannes
     wurde unser kleines Steinhaus fertig. Ebenfalls Ende          hatte 30 farbige Soldaten bei sich, auch seine Frau.
     September wurde unser Töchterchen geboren. Inzwi-             Hätte er an Gefahr geglaubt, hätte er sie sicher nicht
     schen war noch ein junger Missionar angekommen,               mitgenommen.
     ein anderer hatte uns verlassen, um eine neue Station           Drei Tagereisen galt es zu marschieren. Bald nach
     anzulegen. Am 13. Oktober wurde unser Töchterchen             unseren zwei Missionaren kam der Hauptmann
     getauft. Am Nachmittag wollten dann 2 unserer neu-            mit seiner Begleitung auch an und schlug sein La-
     angekommenen, jungen Missionare aufbrechen, um                ger nahe dem der Missionare auf. Bald nach seiner
     weiter im Westen eine neue Station anzulegen. Als wir         Ankunft wurde der Hauptmann von verschiedenen
     beim Kaffee saßen, sagte der eine von ihnen: „Viel-           Seiten durch Eingeborene gewarnt, die Massai- und
     leicht bringen sie uns dort um?“ Wir wehrten ihnen            Menileute hätten etwas Böses gegen ihn vor. Er ließ
     lächelnd ab, denn man dachte an keine Gefahr. Wir             darauf die beiden Missionare, die ganz nahe mit ih-
     gaben ihnen noch ein Stück das Geleit und verab-              ren Zelten dort lagerten, rufen, und bot ihnen an, zu
     schiedeten uns froh, ohne Sorge um sie!                       ihm zu kommen. Er selbst hielt es nicht für ernst,
       Hauptmann Johannes von der deutschen Schutz-                da solche Reden immer kamen, wenn er da war. So
                 truppe, dessen junge Frau eben erst von           blieben die beiden in ihren Zelten.
                   daheim angekommen war, wollte am                  Gegen Morgen geschah dann der Überfall. Zu Tau-
                   nächsten Tag den beiden Missionaren             senden waren die Eingeborenen gekommen, da sie
                   nachziehen. Der Hauptmann meinte,               aber dem Lager des Hauptmannes nichts anhaben
                      er habe keine Sorge um die Herren,           konnten, da er mit seinen Soldaten ja Gewehre hatte,
                         aber es gibt dort, wo die Missio-         überfielen sie die zwei in ihren Zelten ruhig schla-
                                  nare die Station anle-           fenden Missionare und ermordeten sie.
                                      gen wollen, so einen           Hauptmann Johannes kam später nach dem Ki-
                                       Stamm, der immer            limandscharo zurück und traf alle Vorbereitungen
                                       gern Späne macht.           zur Bestrafung der Eingeborenen. Es dauerte jedoch
                                          Es ist schon bes-        bis Januar 1897, ehe er soviel Krieger beisammen hat-
                                               ser, daß ich        te, um seinen Kriegszug antreten zu können. Mein
                                                  auch hin-        Mann, unser Kindchen und ich waren nun ganz
                                                    gehe,          allein unter den Tausenden von Eingeborenen. Es
                                                     damit         konnte Wochen dauern, ehe der Hauptmann zu-
                                                     m a n         rückkehrte. So schrieb uns die Militärstation, wir
                                                     merkt,        möchten doch zu ihnen kommen, da sie uns sonst
                                                     daß die       nicht schützen könnten, weil alles mit auf dem
                                                     Missi-        Kriegszug sei. So packten wir zusammen, unser 7
                                                     onare         Wochen altes Töchterchen wurde in einen Holzkorb,
                                                                   an dem ich Träger angebracht hatte, gesetzt, und von
                                                                   einem Arbeiter auf dem Rücken getragen. Über die
                                                 Das Foto zeigt    klitschigen Baumstämme mußte der Mann hinüber,
                                                die junge Mis-
                                                                   während ich – 7 Wochen nach der Geburt der Klei-
                                               sionarsfamilie
                                             Elisabeth und Emil    nen – von den Eingeborenen gehalten, bis unter die
                                           Müller mit ihren bei-   Arme durch die hochgehenden Flüsse stapfen muß-
                                         den ersten Kindern.       te [...] Gott gab, dass es mir nicht geschadet hat.

10 KIRCHE weltweit 3/2020
BEGEGNUNG

Zeit war noch nicht reif                                                        Symposium
Wer sich bedroht fühlt, wehrt sich                              Climbing high mountains.
Für Bischof Nasari war der Tod der Missionare                     Colonial entanglement &
nicht beabsichtigt. Es war die Reaktion, die auf                   postcolonial reflections
die Brutalität der Kolonialmacht folgte.
Von Bischof Elias Kitoi Nasari, Meru-Diözese
                                                                October 29 – 30, 2021 – ONLINE
  Die Ermordung der beiden ersten lutherischen                 - main event in English language only -
Missionare 1896 in Akeri am Meru, die von der
Leipziger Mission geschickt wurden, geschah mei-         Thursday 28 October, 2021 – 18:00 h CEST (UTC+2)
ner Meinung nach zufällig. Sie offenbart die Un-         (preparatory session in German language only)
kenntnis und das fehlende gegenseitige Verständnis       Geschichtswerkstatt – Jürgen Günther (DE): Missi-
der Kulturen der beiden Nationen (Wameru und             on im kolonialen Kontext. Karl von Schwartz und der
Deutsche). Die entsandten Missionare gingen, so          Eintritt (der Leipziger Mission) in die Kolonie Deutsch-
glaube ich, davon aus, dass die Bevölkerung dieses       Ostafrika
kleinen und weit im Inneren des Landes gelegenen,
deutsch-kolonisierten Territoriums sicher nachge-        Friday, 29 October 2021 – 16:00-20:00 h CEST
ben und die neue christliche Religion, die aus Eu-       (UTC+2)
ropa mitgebracht wurde, zu schätzen wissen würde.        Welcome and introduction
  Die einheimischen Autoritäten und Führungsper-         Konstantin Gerber (DE): Mission – white, western, colo-
sönlichkeiten, angeführt von Mangi Matunda, sahen        nial? Mission in the contemporary theological discourse
darin hingegen eine große Bedrohung, die ihnen           in Germany
von der regionalen Kolonialbehörde Arusha (deren
                                                         Kristina Ecis (LV): Rediscovery and reevaluation of mission
Aktionen große Brutalität gezeigt hatten) auferlegt
                                                         understanding of the Courland Lutheran Consistory and
wurde. Also wurden die jungen Krieger organisiert,
                                                         missionary martyr Karl Segebrock
um dem Ankommen der beiden Missionare entge-
genzuwirken: Sie töteten sie. Ihrer Meinung nach         Key lecture I: Moritz Fischer (DE): Unavoidable entan-
taten sie das Richtige. Sie hielten das Kolonialregime   gled into the machinery of war? – Missionaries squeezed
von der Herrschaft ab. Sie ließen sich nicht diktie-     between their supposed African addressees and the Ger-
ren, was zu tun ist. Ich bedauere das Chaos, das         man colonial military
durch diesen schlechten Ansatz verursacht wurde!         Evening blessing
  Ich denke, es wäre besser gewesen, wenn die Mis-
sionare und die Leipziger Mission als sendende Or-       Saturday, 30 October 2021 – 9:00-13:00 h CEST
ganisation zunächst den Kontakt und das Gespräch         (UTC+2)
mit der örtlichen Autorität gesucht hätten, statt mit    Morning prayer
oder im Namen der damaligen deutschen Kolonial-          Key lecture II: Prof. Dr. Joseph W. Parsalaw (TZ): The
herrschaft aufzutreten!                                  Akeri Killings of 1896
  Der Zeitpunkt war 1896 nicht reif. Als Gottes Zeit
                                                         Rev. Emmanuel Majola (TZ): The geographical and
gekommen war, gelang es den später entsandten
                                                         chronological perspectives of Leipzig missionaries’ activi-
Missionaren, gute Beziehungen zu Mangi Matunda
                                                         ties, around Meru land for about 125 years ago
in Nkoaranga aufzubauen. Dieses Volk Gottes aus
Deutschland wurde am Fuße des Nkoya (einem               Moni Parisius (DE): 125 years death at Mt. Meru – a
kleinen Hügel bei Nkoaranga) herzlich aufgenom-          discourse analysis of the reception of the killing of two
men und gut bewirtet. Die „zweiten“ Missionare           Leipzig missionaries from a postcolonial perspective
leisteten sehr wichtige und geschätzte Dienste für       Thanks and Farewell
die Verbreitung der Frohen Botschaft von Jesus
                                                         Kindly register yourselves by Monday, 25 October at
Christus durch die Verkündigung des Evangeliums
                                                         info@LMW-Mission.de. Following your registration, you
in ihrem ganzheitlichen Sinn – spirituelle, körperli-
                                                         will receive the link for your digital access.
che und soziale Entwicklung.

                                                                                       KIRCHE weltweit 3/2021 11
FÜRBITTE KONKRET

   Partnerkirche in Tansania
     Die Zeit zwischen dem 1. September und dem 4.
   Oktober wird in immer mehr Kirchen als „Schöp-
   fungszeit“ begangen. Die Gemeinden sind vor dem
   Erntedankfest dazu aufgerufen, für den Schutz der
   Schöpfung Gottes zu beten, sich auf ihre Verantwor-
   tung für sie zu besinnen und daraus praktische Ta-
   ten folgen zu lassen.
     Die Kampagne „WANAPANDA – Konfis pflanzen
   Bäume“ startet deshalb bewusst am Ökumenischen
   Tag der Schöpfung Anfang September. Mit dieser
   Aktionen nehmen die Evangelische Kirche in Mit-
   teldeutschland und die sächsischen Landeskirche
   eine Idee aus Tansania auf.
     Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Partner-          Die Erderwärmung führt auch in Tansania zu Unwettern. Bei außer-
   schaftsreisen nach Tansania berichten immer wie-      gewöhnlich schweren Regenfällen wurden viele Familien obdachlos.
   der fasziniert von der überwältigenden Flora und
   Fauna in Ostafrika. Und zugleich wissen wir, dass       In der Begegnung und im Gespräch mit Menschen
   die „Wunder der Natur“ in Tansania, wie das Selous-   aus unserer Partnerkirche in Tansania haben wir er-
   Wildreservat oder der Gletscher auf dem Gipfel-       kannt, dass wir alle unter Deinem Himmel auf der ei-
   massiv des Kilimanjaro, durch menschliches Han-       nen Erde zusammenleben und einander beeinflussen.
   deln gefährdet sind. Auch die Menschen in unseren       Die Art, wie wir leben, hat Auswirkungen bis an die
   Partnerdiözesen waren in den vergangenen Jahren       Enden der Erde. Wir bitten Dich für alle Menschen,
   in zunehmendem Maße von Wetterextremen wie            die in Tansania und anderen Ländern unter den Fol-
   Dürreperioden oder außergewöhnlich starken Re-        gen der Umweltzerstörung leiden, um Hilfe. Erwecke
   genfällen und Flutkatastrophen betroffen.             in uns die Nachdenklichkeit über die weltweiten Fol-
                                                         gen unseres Lebensstils.
     Gott, Du Quelle des Lebens auf unserer Erde, lass     Schenke uns neue Ideen zur Bewahrung Deiner
   uns staunen über das Wunder Deiner Schöpfung und      Schöpfung hier und in Tansania. Gib uns den Mut
   achtsam werden gegenüber der Natur, die die Grund-    zum Umdenken und Handeln für eine nachhaltige
   lage unseres Lebens ist.                              und zukunftsfähige Lebensweise. Amen.

  Kirchliche Partnerschaften
     Wir freuen uns über die vielen Gemeinde-, Kir-        Darum lasst uns gemeinsam beten:
   chenkreis- und Schulpartnerschaften, die es zwi-        Dreieiniger Gott, wir danken Dir für die vielen Mög-
   schen Deutschland und anderen Ländern gibt.           lichkeiten, die wir haben, um Partnerschaft lebendig
   Weltweite Ökumene lebt von Beziehungen unter-         werden zu lassen.
   einander und von persönlichen Begegnungen. Um           Wir danken Dir für alle, die sich für lebendige Be-
   Projekte, Besuchsreisen und die nötige Kommuni-       ziehungen zwischen unterschiedlichen Nationen und
   kation zu organisieren, braucht es oft einen langen   Kulturen engagieren. Schenke ihnen immer wieder
   Atem, Geduld und Flexibilität. Dankbar sehen wir      die nötige Motivation und Kreativität, um angedachte
   die vielen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeite-      Vorhaben umzusetzen.
   rinnen und Mitarbeiter der Mission, die mit großem      Schenke ihnen Phantasie, um in diesen Zeiten der
   Engagement die Partnerschaftsarbeit befördern.        räumlichen Kontaktsperren und verschobener Vorha-
     In der Zeit der Corona-Pandemie sind ein beson-     ben neue Ideen zu entwickeln, um Partnerschaft zu
   ders gutes Durchhaltevermögen und viel Kreativität    leben und sich gegenseitig zu ermutigen und im Glau-
   gefragt, um Beziehungen aufrecht zu erhalten und      ben zu stärken. Gerade in schwierigen Zeiten ist die
   trotz räumlicher Ferne beieinander zu bleiben.        Fürbitte füreinander wichtig. Amen.

12 KIRCHE weltweit 3/2021
FÜRBITTE KONKRET

Partnerkirche in Tamil Nadu, Südindien
  Das Leipziger Missionswerk verbindet eine über               Gott der Liebe, in großer Dankbarkeit blicken wir auf
hundertjährige Partnerschaft mit dem Süden Indi-             die bereichernden Jahrzehnte der Begegnung und des
ens. Mitarbeitende wurden ausgesandt, kirchliche             Austauschs mit unseren Geschwistern in Tamil Nadu
Institutionen aufgebaut, Projekte durchgeführt,              in Südindien. Wir nehmen all diese Erfahrungen mit in
Besuchsreisen hin- und her organisiert und vieles            unsere Gegenwart und bitten Dich für unsere gemein-
mehr. Die Erinnerungen füllen viele Bücher, Akten            same Zukunft.
und Fotoarchive. Hinter allem stehen menschliche               Wir bitten Dich für unsere Partnerkirche in Tamil
Begegnungen und großes Engagement.                           Nadu. Es herrscht große Angst vor der nächsten Pan-
  In den letzten Monaten haben wir bedingt durch             demiewelle. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung konnte
das verheerende Corona-Virus erlebt, wie Pläne und           bislang geimpft werden. Viele Menschen fürchten auch
Vorhaben verschoben und umstrukturiert werden                die Nebenwirkungen der Impfungen.
mussten. Wir haben viele Menschen nur auf dem                  Die Konsequenzen der Einschränkungen der letzten
Monitor bei Videokonferenzen gesehen oder am Te-             Monate haben viele Familien an den Rand ihrer Exis-
lefon gehört, die wir eigentlich persönlich begrüßen         tenz gebracht. Die christlichen Gemeinden steuern der
und herzlich umarmen wollten.                                Zukunftsangst entgegen und lindern Leid, wo es geht.
  Todesnachrichten haben uns erschüttert. Viele              Lass uns an ihrer Seite bleiben und auch diese Phase
Menschen trauern um Angehörige und kämpfen um                unserer Partnerschaft mit lebendiger Hoffnung füllen.
das wirtschaftliche Überleben.                               Amen.

Partnerkirche in Papua-Neuguinea
  Unsere Partnerkirche in Papua-Neuguinea entstand
aus der Arbeit australischer, amerikanischer, kanadi-
scher und deutscher Missionen. Die Leipziger Missi-
on ist seit 1953 in der Partnerschaftsarbeit beteiligt. In
besonderer Weise wird das Hochlandseminar in Ogel-
beng unterstützt. Weitere Anliegen sind die Jugend-
und Frauenarbeit im Land, in dessen Umfeld immer
wieder neue Projekte aufgelegt werden.

  Gott des Lebens, über so lange Zeit hinweg gibt es das
Band der Fürbitte, der Zusammenarbeit und der Part-
nerschaften zwischen Papua-Neuguinea und seinen
Partnern in Europa, Amerika und Australien. Soviel Se-
gensreiches ist seitdem entstanden und aus der Kraft des
Evangeliums heraus wurden viele gemeinsame Vorhaben
gestartet und durchgeführt. Gemeinden wurden gestärkt,
                                                             Im Lutherischen Seminar Ogelbeng im Hochland von Papua-Neugui-
kirchliche Institutionen wurden weiterentwickelt.            nea leben viele Studenten gemeinsam mit ihren Familien.
  Die Pandemie bremst vieles aus. Die finanziellen
Möglichkeiten werden stets neu geprüft. Viele Men-           land und an der Küste, für die Projekte unter Frau-
schen haben so viel mit sich selbst zu tun, dass part-       en und Jugendlichen, für das Freiwilligenprogramm
nerschaftliches Engagement in weiter Ferne zu liegen         zwischen unseren Kirchen, für das Gelingen der Be-
scheint. Und doch brauchen wir einander. Möge uns            ratungsdienste in Verwaltung und Finanzwesen der
DEIN Heiliger Geist motivieren und mit der nötigen           Evangelisch-Lutherischen Kirche von Papua-Neugui-
Freude und Phantasie ausrüsten.                              nea. Lass uns dankbar die Früchte dieses gemeinsamen
  Wir bitten Dich konkret für das Hochlandseminar in         Weges sehen und dabei die Zukunft im Blick haben, wie
Ogelbeng, für die Gemeindepartnerschaften im Hoch-           wir die weiteren Schritte gehen. Amen.

                                                                                             KIRCHE weltweit 3/2021 13
PERSPEKTIVE AUS LETTLAND

   Von Lettland über Leipzig nach Ostafrika
   Eine Perspektive aus dem Heimatland von Karl Segebrock
   Ewald Ovir und Karl Segebrock stammten aus dem Baltikum. Dass die dortigen lutherischen Kir-
   chen einst die Leipziger Mission unterstützen, ist in Vergessenheit geraten. Nun wird versucht, die
   Geschichte der lettischen Mission aufzuarbeiten und ihren Beitrag zu würdigen.
   Von Kristina Ece, Theologische Fakultät der Universität Lettlands, Riga

     Es war Februar dieses Jahres und ich war eine Stu-
   dentin der Theologischen Fakultät der Universität
                                                                                            Ewald Ovir
   Lettlands, die sich für die Geschichte der lettischen                                    (1873-1896)
   Mission interessiert. Beim Lesen der verschiede-
   nen Quellen, die während der Pandemie verfügbar                                            Ewald Ovir kam
   waren, entdeckte ich den Namen von Karl Sege-                                            am 18. Februar
   brock. Tatsächlich haben wir in Lettland aufgrund                                        1873 in Jaggowall
   verschiedener trauriger historischer Umstände viel                                       im heutigen Est-
   über die Geschichte der lettischen Mission verloren.                                     land zur Welt, das
   Daher ist jeder dieser Funde ein Juwel.                                                  damals zum Kai-
     Lettland als Land existiert erst seit etwas mehr als                                   serreich Russland
   100 Jahren. Auf der Suche nach Materialien über                                          gehörte. Er war das
   die Geschichte dieses Territoriums muss man nach                                         fünfte von sieben
   Livonia, dem Herzogtum Kurland und Semgallen                                             Kindern. Sein Va-
   sowie den Provinzen Kurland und Livland als Teil             ter war Gerichtsschreiber.
   des Russischen Reiches. Später wurde die Republik              Von 1883 bis 1890 besuchte er das Gouver-
   Lettland gebildet, die in die Sowjetunion eingeglie-         nements-Gymnasium in Reval (heute Tallinn)
   dert wurde. Aufgrund der atheistischen Einstellun-           und wurde dann Hauslehrer. Die Ausbildung
   gen der Sowjetmacht konnte die Auslandsmission               erfolgte unter schwierigen finanziellen Verhält-
   als solche nicht existieren. Für die Kirche ging es          nissen und nach dem Tod der Mutter getrennt
   ums Überleben. Die Archive der Lettischen Evan-              von der Familie, worunter Ovir auch gesund-
   gelisch-Lutherischen Kirche wurden 1944 am Ende              heitlich sehr litt. Durch einen englischen Arzt
   des Zweiten Weltkriegs zerstört, so dass es schwierig        bekam er Kontakt zur „Äußeren“ Mission. Er
   ist, Informationen über die Kirche und auch über             erschien ihm als Bote Gottes, der ihn den Weg
   die Missionare zu finden, die aus Lettland entsandt          zur Mission weisen sollte.
   wurden. Im historischen Kontext muss verstanden                Am 30. November 1891 trat er in das Leipziger
   werden, dass die meisten Lutheraner Ende des 19.             Missionsseminar ein. Er bestand am 28. März
   Jahrhunderts Letten waren. Nur 5,5 Prozent waren             1895 die Abgangsprüfung und wurde am 2.
   Deutschbalten. Allerdings waren die meisten Pasto-           Juni 1895 gemeinsam mit Karl Segebrock in der
   ren Deutsche. Wahrscheinlich schafft dieser Aspekt           Leipziger Thomaskirche ordiniert. Am 5. Juni
   auch zusätzliche Schwierigkeiten, die Geschichte der         1895 wurden beide Missionare in die Chagga-
   lettischen Mission zu verstehen.                             Mission nach Deutsch-Ostafrika, dem heuti-
                                                                gen Tansania, abgeordnet. Sie landeten am 10.
                                                                August 1895 in Mombasa an. Am 21. September
            Enge Verbindungen nach Leipzig
                                                                1895 kam Ewald Ovir in Madschame (heute
     Da Karl Segebrock aus Kurland stammt, lohnt es             Machame) an, wo er zusammen mit Missionar
   sich, die Entwicklung der Auslandsmission im Kur-            Emil Müller arbeitete.
   ländischen Konsistorium im 19. Jahrhundert zu be-              Er brach am 13. Oktober 1896 mit Missionar
   trachten. Die ersten Kontakte knüpfte 1837 Friedrich         Segebrock zum Meru auf, wo sie eine neue
   Eduard Neander (1802-1895), Pfarrer der St. Trinita-         Station gründen wollten. Beide wurden in der
   tis Kirche Jelgava (Mitau). Zunächst gab es eine Zu-         Nacht zum 20. Oktober 1896 ermordet. Ewald
   sammenarbeit mit der Barmer Mission, ab 1865 gin-            Ovir wurde nur 23 Jahre alt.

14 KIRCHE weltweit 3/2021
PERSPEKTIVE AUS LETTLAND

gen die Spenden an die Leipziger Mission. Es gab so-     gewesen war, war es für Segebrock zunächst schwer,
gar Besuche der damaligen Missionsdirektoren auf         wieder ein Schüler zu sein, der sich an die Regeln hal-
den Synoden des Kurländischen Konsistoriums –            ten musste. Da ein Missionar jedoch darauf vorberei-
Dr. Karl Graul 1856 und Julius Hardeland 1863. Har-      tet sein muss, unter anderen Bedingungen zu leben,
deland besuchte Kurland nochmals 1874 sowie 1882.        musste er auch in der Schule lernen, sich zu diszipli-
Die Missionsarbeit in Kurland entwickelte sich. Die      nieren. Später war er jedoch dankbar für die Zeit, die
Gemeinden veranstalteten ein Missionsfestival und        er im Seminar verbrachte, einschließlich der Schwie-
beteiligten sich an Missionsspenden. Wenn man            rigkeiten. Karl war ein fleißiger Schüler, schloss die
sich die Protokolle der Synoden des Konsistoriums        Ausbildung ab und
im Laufe der Zeit ansieht, kann man den Schluss zie-     wurde am 2. Juni 1895
hen, dass die Auslandsmission gedieh, wenn es min-       ordiniert.
destens einen Pastor gab, der dafür „brannte“, in den      Drei Tage später wur-
Synoden über die Mission berichtete und andere zur       de er während einer
Teilnahme einlud. Das sehen wir auch im Leben von        Missionsfeier beauf-
Karl Segebrock.                                          tragt, zu den Wachagga
                                                         im Kilimanjaro-Gebiet
                                                         zu gehen. Seine Rei-
       Karl Segebrocks Weg in die Mission
                                                         se begann am 17. Juni
  Karl Segebrock wurde am 4. Januar 1872 in Jelgava      gemeinsam mit Ewald
(Mitau), der Hauptstadt von Kurland, geboren. Sein       Ovir, einem Missionar
Vater war Tischler und er hatte einen älteren Bru-       aus Estland. Im Au-
der. Er besuchte die Grundschule und dann die so-        gust erreichten sie das
genannte Kreisschule. Bereits während der Schulzeit      britisch kontrollierte
interessierte sich Segebrock für die Missionsarbeit.     Mombasa. Am 2. September reisten sie weiter zum
Damals war Ludwig Katterfeld (1843-1910) Pfarrer in      Kilimanjaro. Segebrock beschreibt in seinem Ta-
der St. Johanneskirche Mitau. Dass Pastor Katterfeld     gebuch diese Reise, die voller Schwierigkeiten und
für die Auslandsmission brannte, zeigt sein Bericht      kriegerischen Gefahren war. Am 19. September ka-
auf der Synode des Kurländischen Konsistoriums           men sie an der Missionsstation Mamba an. Die bei-
von 1885. Segebrock weist darauf hin, dass er in der     den Missionare lernten die Landessprachen, hielten
Kirche eine leidenschaftliche Predigt eines Missio-      Gottesdienste ab und begannen, das Evangelium zu
nars gehört und sich entschlossen hätte, selbst Mis-     predigen.
sionar zu werden. Das zeigt, dass Segebrock in einer       Nach etwa einem Jahr Arbeit erhielten sie den
Kirche war, die die Flamme der Auslandsmission           Ruf, die Missionsarbeit nach Westen auszudehnen.
gepflegt und gefördert hat.                              So machten sie sich im Oktober 1896 auf den Weg
  Segebrock besuchte den Konfirmandenunterricht.         zum Mount Meru für eine neue Missionsstation.
Seine Kenntnisse der biblischen Geschichte und des       Doch völlig unerwartet wurden sie in der Nacht
Katechismus wurden als „sehr gut“ bewertet. Am           vom 19. auf den 20. Oktober angegriffen und fanden
Palmsonntag 1887 wurde er konfirmiert. Nach der          den Märtyrertod. Über dieses sehr traurige Ereig-
Konfirmation äußerte Karl gegenüber seinem Pfar-         nis wurde sowohl in der lettischen als auch in der
rer Katterfeld den Wunsch, Missionar zu werden und       deutschen Presse im Baltikum berichtet. Aber es gab
denen, die es noch nicht gehört hätten, das Licht des    kein Echo und keine Bewertungen der kolonialen
Evangeliums zu bringen. Da der bloße Wille nicht         Zusammenhänge. Dies liegt wahrscheinlich daran,
reicht, arbeitete Segebrock ein Jahr als Lehrassistent   dass das Baltikum selbst eine Kolonie innerhalb des
an einer kirchlichen Schule, um seine Ausdauer und       Russischen Reiches war.
sein Talent zu beweisen. Er zeigte Eifer und Fleiß und     Wir als lettische Lutheranerinnen und Lutheraner,
bestand die Probezeit mit Bravour. Ostern 1889 trat      Erben dieser Mission, haben noch einen langen Weg
Karl Segebrock in das Leipziger Missionsseminar ein.     vor uns, Karl Segebrock und seinen Eifer und Bei-
  Er verbrachte sechs Jahre im Missionsseminar. Aus      trag zur Mission zu erwähnen.
dem Baltikum kommend war Segebrock mehr Frei-
heiten gewohnt. Manches im Seminar war ihm zu            Kristina Ece referiert am 29. Oktober 2021 beim interna-
akribisch und kleinkariert. Da er zuvor selbst Lehrer    tionalen Online-Symposium (siehe Seite 11).

                                                                                      KIRCHE weltweit 3/2021 15
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