Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
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Der Faire Handel in Deutschland Grundsätze. Wirkungen. Akteure. DAS FORUM FAIRER HANDEL - DIE STIMME DES FAIREN HANDELS 100 % FAIR / 1
Inhalt 03 Editorial 46 Kontroll- und Sicherungs- systeme im Fairen Handel 04 Grundlagen 47 Glaubwürdigkeit absichern Fairer Handel – Warum eigentlich? 48 Die World Fair Trade Organization 06 Entstehung einer Bewegung (WFTO) – Weltweites Netzwerk für 07 Menschen im Mittelpunkt – 100 % Fairen Handel Die Grundsätze des Fairen Handels 50 Fairtrade – Ein weltweites Siegel für 09 Fairer Handel wirkt den Fairen Handel 10 Fairer Handel schafft Perspektiven 52 Naturland Fair – Vereint Bio und Fair 11 APROLMA in Honduras –Wie aus in einem Siegel Kaffeebäuerinnen Unternehmerinnen 53 Der Katalog anerkannter Weltladen- werden Lieferanten – Grundlage für den Ein- 14 ANAPQUI in Bolivien – Quinoa- kauf der Weltläden Produzent*innen trotzen dem 54 Fairen Handel weiter denken Klimawandel 55 Der Faire Handel geht neue Wege 17 PANAY FAIR TRADE CENTER 56 Faire Textilien – Ein weiter Weg auf den Philippinen – Stärkung von Kleinbäuer*innen durch Handel und 58 Unfairer Welthandel, Klimawandel, politische Arbeit Transparenz – Herausforderungen für den Fairen Handel 21 YADAWEE in Ägypten – Traditionelles Handwerk und modernes Marketing 60 Fairer Handel und der Klimawandel – Gemeinsam gegen die Klimakrise 25 Fair gehandelte Produkte aus dem Norden? 61 Anders statt mehr – Gesellschaftliche Transformation durch Fairen Handel? 29 Fairer Handel bewegt 62 Informationen und Service 30 Fairer Handel bewegt – Menschen und Politik 63 Das Forum Fairer Handel – Die Stimme des Fairen Handels 31 Globale Zusammenhänge begreifen – Bildungsarbeit im Fairen Handel 64 Daten und Fakten über den Fairen Handel 33 Politische Veränderungen bewirken – Die dritte Säule des Fairen Handels 66 Mitmachen leicht gemacht 68 Fairer Handel: Noch Fragen? 35 Der Weg der Produkte 70 Weitere Akteure, die den Fairen 36 Von fairen Gaumenfreuden und Handel in Deutschland vorantreiben schönen Dingen 71 Woran erkenne ich fair gehandelte 37 Lieferketten im Fairen Handel – Produkte? Integrierte Lieferkette und Produktzertifizierung 72 Impressum 41 Die Fair-Handels-Unternehmen 44 Weltläden – Orte des Wandels
EDITORiAL Liebe Leserin, lieber Leser, der Handel mit fairen Produkten boomt. Mit der Veröffentlichung ihrer neuen Inter- Immer mehr Menschen kaufen fair ein, weil nationalen Charta hat die Fair-Handels- sie Wert auf eine menschenwürdige und Bewegung im September 2018 ihr Wertefun- ökologische Produktion ihrer Alltagsgüter dament erweitert. Die Charta verdeutlicht legen. Die Tatsache, dass faire Produkte den Anspruch der Bewegung, nachhaltige mittlerweile fast überall erhältlich sind, Produktions- und Handelsmethoden zu befördert diesen positiven Trend. Doch fördern sowie die Menschen und Umwelt der Faire Handel ist weit mehr als die gute vor den finanziellen Profit zu stellen. Der Alternative im unfairen System, er ist eine Faire Handel möchte noch stärker zu einer internationale Bewegung für mehr Gerech- Veränderung unseres wirtschaftlichen und tigkeit im Welthandel: Er bietet benachtei- gesellschaftlichen Systems beitragen und ligten Produzent*innen eine faire Chance, engagiert sich gemeinsam mit gleichge- ihre wirtschaftliche und soziale Existenz sinnten Organisationen für einen sozial- nachhaltig zu sichern. Dabei sind gute Pro- ökologischen Wandel. dukte zu fairen Preisen, die ein Leben in Mit „100 % fair“ geben wir Ihnen einen Würde sowie Investitionen in die Zukunft aktualisierten Leitfaden zum Fairen Handel ermöglichen, das erste Standbein. Das in Deutschland an die Hand. Lesen Sie, was zweite ist, über Bildungs- und Informati- ihn ausmacht, woran Sie ein fair gehandel- onsarbeit Schritte hin zu einem gerechte- tes Produkt erkennen, wie Sie sich im Fairen ren Welthandel aufzuzeigen und politische Handel engagieren können und wie er wirkt Forderungen auf allen Ebenen zu stellen. – im Süden wie im Norden. Wie notwendig dies ist, zeigen die vielfach Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dokumentierten Menschen- und Arbeits- den Welthandel gerechter zu gestalten. rechtsverletzungen in den Lieferketten des konventionellen Welthandels. „100 % fair“ steht für einen Handel, der für alle Beteiligten gerecht ist und ihnen ein Leben in Würde ermöglicht. Stück für Stück arbeiten wir auf verschiedenen Ebenen an seiner Realisierung. Langfristig besteht die größte Herausforderung in der Klimakrise. Sie trifft besonders die Menschen im Glo- balen Süden, die von der Landwirtschaft abhängig und so wichtig für die globale Andrea Fütterer Ernährungssicherheit sind. Die Handels- Vorstandsvorsitzende Forum Fairer Handel e.V. partner bei der Bewältigung der Klima- krise zu unterstützen und gleichzeitig für eine ambitionierte Klimapolitik weltweit zu kämpfen, ist eine wichtige Aufgabe für den Fairen Handel.
Fairer Handel – warum eigentlich? Ungerechter Welthandel Der Faire Handel als Beitrag für Der globale Handel und der globale Reich- ein gerechtes und nachhaltiges tum nehmen zu. Doch dieser Wohlstand Wirtschaftssystem ist ungleich verteilt. Die Kluft zwischen Gemeinsam mit dem Pariser Klimaab- Arm und Reich wächst immer mehr. Armut, kommen bieten die 2015 verabschiedeten Hunger und Klimakatastrophen gehören UN-Nachhaltigkeitsziele eine einmalige für viele Menschen zum Alltag. Die aktuel- Chance, die Weltwirtschaft neu zu gestal- len Welthandels-Beziehungen tragen nicht ten und nachhaltige Lebens- sowie Wirt- zur Beseitigung dieser Probleme bei – viel- schaftsweisen zu etablieren. Die aktuelle mehr verschärfen sie diese. Klimakrise, genauso wie die steigende Zahl Die konventionelle Wirtschaft verfolgt das der Hungernden weltweit, zeigt allerdings, Ziel, den Umsatz zu steigern und die Pro- dass ambitionierte Ziele allein nicht ausrei- duktionskosten immer weiter zu senken. chen. Dafür müssen wir unsere Art zu leben Verlierer*innen sind Millionen von Men- und zu wirtschaften grundlegend verän- schen, die unsere Waren anbauen und pro- dern. Dass ein nachhaltiges Wirtschafts- duzieren. Trotz harter Arbeit haben viele system ohne Ausbeutung möglich ist, zeigt von ihnen kaum Chancen, ihre Lebensum- der Faire Handel seit nunmehr 50 Jahren. stände zu verbessern. Diese Ungerechtig- Die Fair-Handels-Bewegung setzt sich für keit betrifft vor allem Kleinbäuer*innen, langfristige und gleichberechtigte Handels- Kleinproduzent*innen und Arbeiter*innen partnerschaften ein und zeigt, wie Welt- im Globalen Süden. handel unter der Berücksichtigung sozi- aler und ökologischer Kriterien gestaltet werden kann. 4 / 100 % FAIR GRUNDLAGEN
Vision des Fairen Handels Grenzen des Fairen Handels Die Fair-Handels-Bewegung setzt sich für Doch die „Politik mit dem Einkaufskorb“ eine Welt ein, in der Gerechtigkeit und kann strukturelle Probleme nicht lösen. nachhaltige Entwicklung im Zentrum der Ungerechte Rahmenbedingungen und Handelsstrukturen und -praktiken stehen. grundlegende politische Probleme können Sie zielt darauf, dass alle Menschen welt- aber vom Fairen Handel nur thematisiert, weit durch ihre Arbeit in Würde leben und nicht gelöst werden. Wissend um seine ihr Entwicklungspotenzial voll entfalten praktischen Grenzen setzt sich der Faire können. Im Fairen Handel steht also ein- Handel für politische Veränderungen ein: deutig der Mensch im Mittelpunkt. Das durch Informations- und Bildungsarbeit, unterscheidet diesen Ansatz von Nachhal- die handelspolitische Zusammenhänge tigkeitsansätzen, die etwa Umweltaspekte aufzeigt und zu entwicklungspolitischem in den Vordergrund stellen. Engagement motiviert, und durch Kampa- gnen, die gerechte Regeln in der internati- Der Faire Handel schafft onalen Handelspolitik einfordern. Die Fair- Perspektiven Handels-Bewegung arbeitet daran, dass Der Faire Handel zielt darauf ab, die Lebens- der Handel gerechter wird. Zusammen mit und Arbeitsbedingungen der Menschen am Verbraucher*innen sowie anderen Organi- Anfang der Lieferketten zu verbessern und sationen setzen wir uns dafür ein, dass sich ihre politische und wirtschaftliche Position die Welthandelspolitik an den Menschen- zu stärken. Durch die Berücksichtigung rechten und dem Schutz der Umwelt orien- von sozialen, ökologischen und wirtschaft- tiert – zum Wohle von Mensch und Natur. lichen Aspekten schafft er Perspektiven für Produzent*innen weltweit. Über den Nutzen für die direkten Handelspartner „Fairer Handel“ ist die deutsche hinaus, strahlen die Verbesserungen der Übersetzung des englischen Begriffs wirtschaftlichen Situation auch auf andere „Fair Trade“, nicht zu verwechseln Bereiche der Gesellschaft aus und geben mit „Fairtrade“ (in einem Wort). Impulse für die regionale Entwicklung. Damit ist das internationale Fair- trade-System gemeint, welches u. a. das gleichnamige Siegel vergibt (siehe S. 18). GRUNDLAGEN 100 % FAIR / 5
Entstehung einer Bewegung Vom Protest zum Weltladen Gründung von TransFair Als Ausgangspunkt des Fairen Handels in Durch den Zusammenbruch des Kaffee- Deutschland gelten die von den konfessi- abkommens 1989 stürzte der Weltmarkt- onellen Jugendverbänden organisierten preis für Kaffee bis Anfang der 90er Jahre „Hungermärsche“, an denen 1970 ca. 30.000 ab. Die Handelspartner im Süden fragten Menschen bundesweit teilnahmen. Ihr Pro- daher verstärkt nach zusätzlichen Ver- test richtete sich gegen die wachsende Be- marktungsmöglichkeiten. Als erstes Fair- nachteiligung von Produzent*innen aus Handels-Unternehmen weitete die GEPA dem Globalen Süden am Weltmarkt. Sie daraufhin ihren Vertrieb auf Supermärkte, gründeten die „Aktion Dritte Welt Han- Bio- und Naturkostläden sowie auf Groß- del“ mit dem Ziel, politische Bewusstseins- verbraucher und den Versandhandel aus. bildung zu betreiben. Deren Motto lautete 1992 gründeten verschiedene Nichtregie- “Lernen durch Handeln“. In den Folgejah- rungsorganisationen den Verein TransFair. ren boten immer mehr Aktionsgruppen und Die Idee dahinter: Mit Hilfe eines Siegels Weltläden fair gehandelte Waren an. Heute für fair gehandelte Produkte sollten auch gibt es rund 900 Weltläden. konventionelle Vertriebswege für den Absatz fair gehandelter Produkte erschlos- Fair-Handels-Unternehmen sen werden. Im Supermarktregal konnten entstehen Verbraucher*innen fortan fair gehandelte Um die Einfuhr der Waren zu erleichtern, Produkte am TransFair- (heute: Fairtrade-) nahmen zu Beginn der 1970er Jahre die Siegel erkennen. ersten Fair-Handels-Unternehmen ihre Arbeit auf. So gründeten sich 1973 die Fairer Handel immer gefragter Firma GLOBO – Fair Trade Partner sowie Fair gehandelte Produkte sind heutzutage die „Gesellschaft für Handel mit der Dritten fast überall erhältlich. Das Sortiment wird Welt“, aus der zwei Jahre später die GEPA kontinuierlich ausgeweitet und der Umsatz entstand. Nur wenig später wurde aus dem mit fair gehandelten Produkten wächst ste- Verein El Puente heraus die gleichnamige tig. Dennoch ist deren Anteil am Gesamt- Importorganisation gegründet. Seit 1986 markt nach wie vor gering. Selbst Kaffee, vertreibt der Verein BanaFair in Deutsch- das wichtigste Produkt des Fairen Handels, land fair gehandelte Bananen. Im Jahr 1988 hat erst einen Marktanteil von 5 % erreicht. wurde die dritte-welt partner GmbH (heute: Das zeigt, dass gerechtere Strukturen im WeltPartner eG) gegründet. Inzwischen Welthandel durch Umsatzwachstum alleine bieten über 70 anerkannte Fair-Handels- nicht zu erreichen sind. Die Bildungs- und Unternehmen ein vielfältiges Sortiment fair politische Kampagnenarbeit bleiben wich- gehandelter Waren an. tige Säulen, die die Ausweitung des Ver- kaufs flankieren. Insbesondere um die poli- tische Arbeit zu stärken, wurde das Forum Fairer Handel 2002 gegründet. 6 / 100 % FAIR GRUNDLAGEN
Menschen im Mittelpunkt Die Grundsätze des Fairen Handels Der Faire Handel zielt darauf ab, die Lebens- Im Jahr 2001 haben sich vier internatio- und Arbeitsbedingungen der Menschen am nale Dachorganisationen des Fairen Han- Anfang der Lieferkette zu verbessern und dels1 auf folgende gemeinsame Definition ihre politische und wirtschaftliche Posi- verständigt: tion zu stärken. Um diese Entwicklung zu ermöglichen, bedarf es – je nach Ausgangs- „Der Faire Handel ist eine Handels- lage der Produzent*innen – unterschied- partnerschaft, die auf Dialog, Trans- licher Strategien. Im Laufe der Jahre haben parenz und Respekt beruht und nach sich so zahlreiche Organisationen und ver- mehr Gerechtigkeit im internationa- schiedene Ansätze des Fairen Handels ent- len Handel strebt. Durch bessere Han- wickelt. Sie beziehen sich jedoch auf über- delsbedingungen und die Sicherung einstimmende Grundsätze und Werte und sozialer Rechte für benachteiligte basieren auf den jahrzehntelangen prak- Produzent*innen und Arbeiter*innen tischen Erfahrungen gemeinsamer Arbeit – insbesondere in den Ländern des Sü- und dem Dialog der Fair-Handels-Akteure dens – leistet der Faire Handel einen in Nord und Süd. Sie machen den Fairen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Handel einzigartig und heben ihn von anderen Nachhaltigkeitsansätzen ab. Fair-Handels-Organisationen enga- gieren sich (gemeinsam mit Verbrau- cher*innen) für die Unterstützung der Produzent*innen, die Bewusstseinsbil- dung sowie die Kampagnenarbeit zur Veränderung der Regeln und der Pra- xis des konventionellen Welthandels.“ Diese sogenannte FINE-Definition wurde 1 verabschiedet von: FLO – Fairtrade Labelling Organizations International, heute Fairtrade International, www.fairtrade.net I FAT – International Federation for Alterna- tive Trade, heute World Fair Trade Organiza- tion, www.wfto.com N EWS! – Network of European Worldshops (2008 aufgelöst) EFTA – European Fair Trade Association, www.eftafairtrade.org GRUNDLAGEN 100 % FAIR / 7
Ausführlicher sind die grundlegenden Werte der globalen Fair-Handels-Bewegung · leistet Bildungs- und politische Kam- in der „Internationalen Charta des Fairen pagnenarbeit, um die Regeln des Handels“ definiert. Sie wurde gemeinsam Welthandels gerechter zu gestalten von der World Fair Trade Organization und und Fairtrade International erarbeitet. · stellt durch Überprüfungsmechanis- Die Charta enthält auch eine gemeinsame men sicher, dass diese Kriterien ein- Vision zur Umsetzung der Nachhaltigen gehalten werden. Entwicklungsziele der Vereinten Natio- nen (SDG). Seit ihrer Veröffentlichung in 2018 ist sie das Referenzdokument des Bei diesen Prinzipien steht der Mensch im Fairen Handels. In dieser Charta sind die Mittelpunkt. Fairer Handel zielt darauf ab, wichtigsten Prinzipien des Fairen Handels Produzent*innen zu stärken. Das geschieht dargelegt: beispielsweise durch Zahlung eines Min- destpreises für viele Fairtrade-zertifizierte Produkte, den die Produzent*innen erhal- Der Faire Handel ten, auch wenn der Weltmarktpreis darun- · schafft Marktzugang für benachtei- ter liegt. Fair gehandelte Produkte stammen ligte Produzent*innen, von Genossenschaften, Produzent*innen- · unterhält langfristige, transparente Netzwerken und Unternehmen, die sich und partnerschaftliche Handels- diesen Fair-Handels-Grundsätzen ver- beziehungen und schließt unfairen pflichten. Der Handel und die Vermark- Zwischenhandel aus, tung erfolgen über zwei komplementäre · zahlt den Produzent*innen faire Kanäle: Die integrierte Lieferkette stützt Preise, die ihre Produktions- und sich auf spezialisierte Unternehmen, die Lebenshaltungskosten decken, und ausschließlich Fairen Handel betreiben. Der leistet auf Wunsch Vorfinanzierung, zweite Weg ist die Zertifizierung und Siege- · stärkt die Position und sichert die lung ausgewählter Produkte (Mehr darüber Rechte von Arbeiter*innen und erfahren Sie ab S. 37). Kleinbäuer*innen sowie ihrer Orga- nisationen im Süden, · trägt zur Qualifizierung von Pro- duzent*innen und Handelspartnern im Süden bei, · gewährleistet bei der Produktion die Einhaltung der acht ILO-Kern- arbeitsnormen, · sichert die Rechte von Kindern und fördert die Gleichberechtigung von Frauen, · fördert den Umweltschutz, z. B. in Form der Umstellung auf biologische Landwirtschaft, 8 / 100 % FAIR GRUNDLAGEN
Fairer Handel schafft Perspektiven Die Produzent*innen stehen beim Fairen Neben der Vermarktung der Produkte set- Handel im Mittelpunkt. So vielfältig wie zen sich die Genossenschaften bzw. ihre das fair gehandelte Produktsortiment sind Dachverbände z. B. für die Förderung von auch ihre Geschichten, Hintergründe und Frauen und den Schutz der natürlichen Res- Herausforderungen. Denn je nach Produkt sourcen ein. und Land sind die Rahmenbedingungen für Bei Produkten, die zumeist von Plantagen sie sehr unterschiedlich. Der Faire Handel stammen wie Tee, Orangen, Blumen oder kommt daher nicht mit einem Patentrezept Bananen sowie bei weiterverarbeiteten Pro- für alle aus, sondern hat unterschiedliche dukten wie beispielsweise Sportbällen, pro- Instrumente, um Produzent*innen dabei fitieren insbesondere die abhängig beschäf- zu unterstützen, ihre eigene Entwicklung tigten Arbeiter*innen vom Fairen Handel. in die Hand zu nehmen. Diese Instrumente Die Betriebe und Plantagenbesitzer*innen entwickeln die Akteure des Fairen Handels verpflichten sich zur Einhaltung von sozi- ständig weiter, um auf Herausforderungen alen und ökologischen Mindeststandards. wie z. B. den Klimawandel mit passenden Die Arbeiter*innen bilden ein Gremium, Maßnahmen reagieren zu können. Die Bei- das über die Verwendung der Fair-Handels- spiele auf den folgenden Seiten zeigen, wie Prämien entscheidet. unterschiedlich der Faire Handel für die Im Handwerksbereich arbeiten meist Produzent*innen wirkt. Kleinunternehmer*innen oder Nichtregie- Wer sind die Handelspartner am Anfang der rungsorganisationen mit Produzentengrup- Lieferkette? Der Faire Handel ermöglicht es pen zusammen und organisieren die Ver- insbesondere den im Welthandel benach- marktung sowie den Export der Produkte. teiligten Kleinbäuer*innen, unter fairen Sie unterstützen die Handwerker*innen mit Bedingungen am Marktgeschehen teilzu- Fortbildungen und sozialen Projekten und nehmen und aus eigener Kraft für ihren setzen sich auch politisch für die Rechte Lebensunterhalt zu sorgen. Sie schließen von Kleinproduzent*innen ein. sich in der Regel in Genossenschaften zu- In den letzten Jahren nehmen die Weiter- sammen, wo sie an allen wichtigen Ent- verarbeitung der Rohprodukte und ihr Ver- scheidungen demokratisch beteiligt sind. trieb im Süden sowie der Handel zwischen Darunter sind kleine Organisationen mit verschiedenen Ländern des Südens zu. ein paar Dutzend Mitgliedern, aber auch Gleichzeitig sind Produzentengruppen aus sehr große Genossenschaften, die von meh- dem Norden hinzugekommen, wie z. B. die reren zehntausend Mitgliedern getragen Molkereigenossenschaft Berchtesgadener werden. Einige vertreiben nur einen kleinen Land. Über die Herstellung ihrer Waren hin- Teil ihrer Produktion über den Fairen Han- aus sind viele Produzentenorganisationen del, andere wiederum fast den kompletten in Nord und Süd auch im Bereich der politi- Ertrag. schen Lobbyarbeit aktiv und vernetzen sich mit anderen Organisationen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. 10 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
APROLMA in Honduras Wie aus Kaffeebäuerinnen Unternehmerinnen werden FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 11
Im Kaffeesektor sind Frauenorganisatio- um das überschüssige Regenwasser aufzu- nen äußerst selten. Eine von ihnen ist die fangen und die Erosion zu verhindern. Um Kooperative APROLMA (Asociación de Pro- die Folgen des Klimawandels abzumildern, ductoras Libres de Marcala) in der Region werden die Bäuerinnen beraten, wie sie die Marcala in Honduras. Die Frauen gründe- Blätter behandeln, die Bewirtschaftung der ten ihren Verband 2013, um sich für ihre Fincas planen und Bäume pflanzen. Fast Rechte einzusetzen. In einer stark von alle Mitglieder haben bereits ein Bio-Zer- Männern dominierten Gesellschaft muss- tifikat für ihr Land. APROLMA gibt unent- ten sie viel Durchsetzungskraft beweisen. geltlich Bio-Dünger und Setzlinge an die Mit dem Anbau und der Weiterverarbeitung Mitglieder ab. Der Kaffee wird in Gärten mit ihres hochwertigen Kaffees haben sie sich Schattenbäumen angebaut, die die Erosion mehr Unabhängigkeit erkämpft und wur- verhindern und die Kaffeekirschen vor zu den sogar zu Pionierinnen des Bioanbaus in viel Sonne schützen. ihrer Region. Die Frauenkooperative bietet ihren Mitgliedern vielfältige Weiterbildun- Mehr Chancen für Frauen durch gen an. Neben der landwirtschaftlichen Weiterbildung Schulung und der Fortbildung in Men- Das Beispiel von APROLMA zeigt auch, schen- und Frauenrechten stehen inzwi- wie Frauen im Fairen Handel ihre Chancen schen auch das Führen eines eigenen Betrie- durch Weiterbildung erhöhen können. Der bes und die Organisation von Arbeitsabläu- Verkauf des Kaffees ist wichtig für das Fami- fen auf dem Plan. So können die Frauen ihr lien-Einkommen. Um den Produzentinnen Wissen und ihre Fähigkeiten weiter aus- mehr Wertschöpfung vor Ort zu ermögli- bauen. Das wirkt sich auch auf zukünftige chen, haben das Fair-Handels-Unterneh- Generationen aus. Viele Töchter erhielten men GEPA und APROLMA gemeinsam ein bereits eine bessere Ausbildung. Sie sind „Röstprojekt“ gestartet. Das ist immer noch zum Beispiel als Juristin oder Betriebswir- eine Seltenheit auf dem Kaffeemarkt. Insge- tin tätig und bauen zugleich Kaffee an. samt zwölf Frauen haben sich weitergebil- det und alle Arbeitsschritte erlernt, die für Vorreiterinnen der ökologischen das Rösten, die Qualitätssicherung bis hin Landwirtschaft zum Verpacken und Etikettieren notwen- Für die Frauen von APROLMA stand von dig sind. Die Frauen produzieren seit 2018 Anfang an fest, dass ihr Leben und Arbei- ihren eigenen regalfertigen Kaffee in einer ten in Harmonie mit der Natur stattfinden kleinen Verarbeitungsanlage in Marcala. und diese bewahren soll. In den Kaffeegär- Dies sorgt für mehr Beschäftigung – in der ten haben die Frauen etwa Gräben gezogen, Kooperative und in den Zulieferbetrieben. 12 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
Auf dem Weg zum gemeinsamen Kleinun- ternehmen qualifizieren die Frauen sich weiter und erhalten durch das Verpacken und Etikettieren ein Zusatzeinkommen. Mehr Wertschöpfung im Ursprungsland Die Frauenkooperative verkauft ihren Kaf- fee überwiegend an den Fairen Handel. Dadurch, dass die Mitglieder von APROLMA den Kaffee selbst rösten und verpacken, erhalten sie nicht nur faire Preise und Bio- Prämien, sondern insgesamt einen höhe- Gladyx Hernández ren Preis für ihr Produkt. Im Vergleich zu Präsidentin von APROLMA einem konventionellen Kaffee, der nur zum Hier erzählt Gladyx Hernández, wie die Ent- Weltmarktpreis und als Rohware einge- scheidung für das gemeinsame Röstprojekt mit kauft wird, bleibt im Falle von APROLMA der GEPA zustande kam: fast dreimal so viel Geld im Land. Doch das „APROLMA ist eine demokratisch organisierte Röstprojekt schafft nicht nur mehr Einkom- Genossenschaft, also haben die Mitglieder men und Selbstbewusstsein. Es bietet auch gemeinsam darüber entschieden, ob sie diesen den Kindern der Bäuerinnen neue Chan- Schritt gehen wollen. Wir haben über Kosten cen durch eine bessere Schulbildung. Für und Preise diskutiert. Außerdem sprachen wir die Zukunft ist der Aufbau einer eigenen darüber, was wir importieren müssten, wie Verarbeitungsanlage für die Frauen von z. B. Etiketten und Verpackungen. Wir haben APROLMA geplant. schließlich eine Chance darin gesehen, uns geeinigt und dafür entschieden. Insbesondere jüngere Mitglieder waren dafür.“ APROLMA - Steckbrief Inzwischen sind zwölf Frauen ausgebildet Name: APROLMA (Asociación de worden. Productoras Libres de Marcala) Produkte: Bio Arabica-Kaffee „Die Frauen wurden in drei Versammlungen aus den insgesamt 69 Mitgliedern ausgewählt. Ort: Region Marcala, Honduras Engagement, Zeit und der Wunsch zu lernen Organisationsform: waren die ausschlaggebenden Kriterien. Ich Frauenkooperative habe selbst an der Schulung teilgenommen. Mitglieder: 64 Frauen Neben dem Rösten an sich und Qualitäts- Tätig seit: 2013 kontrolle umfasste die Ausbildung auch den Im Fairen Handel seit: 2015 Umgang mit rechtlichen Themen. Weiter ging Absatzmärkte: Die Frauenkooperative es mit Verkosten, Verpacken, Abfüllen und verkauft ihren Bio Arabica-Kaffee über- Etikettieren. Der praktische Teil umfasste ins- wiegend an den Fairen Handel. gesamt 60 Stunden. Dabei lag der Schwerpunkt vor allem darauf, zunächst zwei, später dann zwei weitere Röstmeisterinnen auszubilden.“ Weitere Informationen unter: www.gepa.de/mehr-wertschoepfung FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 13
ANAPQUI In Bolivien Quinoa-Produzent*innen trotzen dem Klimawandel 14 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
Wer im kargen bolivianischen Hochland Außerdem profitieren die Mitglieder von lebt, ist den Launen der Natur nahezu ANAPQUI in technischer Hinsicht. So schutzlos ausgeliefert. Auf etwa 3.500 m erhalten Sie beispielsweise Beratung zur Höhe herrscht ein extremes Wetter. Pro Jahr Anpassung an die Folgen des Klimawan- fallen gerade einmal 250 Liter Regen pro dels, Weiterbildung in den Bereichen Buch- m², im Vergleich dazu sind es in Deutsch- haltung und Verwaltung sowie beim Ver- land 700. Zudem weht ein starker Wind. trieb. In den letzten Jahren ist die weltweite Nachts liegen die Temperaturen oft unter Nachfrage nach Quinoa stark angestiegen dem Gefrierpunkt, am Tag erreichen sie – auch in Bolivien selbst. Da Quinoa zur- höchstens 15 Grad, je nach Höhenlage sogar zeit sehr im Trend liegt, gehen manche Fir- deutlich weniger. Doch eine Pflanze trotzt men dazu über, sie in großem Stil und ohne diesen widrigen Bedingungen: Die Quinoa. Rücksicht auf die karge Landschaft anzu- Das sogenannte „Wunderkorn der Inka“ ist bauen. Die Mitglieder von ANAPQUI legen sehr vielfältig einsetzbar, nährstoffreich hingegen großen Wert auf einen nachhalti- und benötigt kaum Pflege. Quinoa ist seit gen Anbau. Um den Boden nicht auszulau- etwa 5.000 Jahren als Kulturpflanze in gen, wird immer nur ein Drittel der vorhan- den Anden bekannt. Ihr Gehalt an Eiweiß, denen Ackerfläche bepflanzt. Mineralien, Vitaminen und ungesättigten Fettsäuren übertrifft alle europäischen Herausforderungen durch den Getreidearten und sicherte damit über viele Klimawandel Jahrtausende das Überleben der Menschen Doch die Quinoa-Bäuer*innen stehen vor in den Anden. großen Herausforderungen. Denn der Kli- Außer dem Anbau von Quinoa bietet die mawandel hat Bolivien mit voller Härte karge Landschaft kaum andere Einkom- erwischt. Zum einen nehmen die Nieder- mensmöglichkeiten. Doch lange hatten die schläge in der Regenzeit immer weiter ab, Bauern keinen Markt für ihr Produkt. Um zum anderen hat der Wind zugenommen. ihr „Wunderkorn“ vor dem Vergessen zu Der Wasserspiegel des Lago Poopo, einst der bewahren und gemeinsam Verbesserun- zweitgrößte See des Landes, schwankt sehr gen beim Anbau und der Vermarktung zu stark und zeitweise ist er ganz ausgetrock- erreichen, schlossen sich acht – hauptsäch- net. Das Wasser des Sees war zwar immer lich indigene – Genossenschaften aus dem schon sehr salzig und eignete sich nicht zur südlichen Hochland Boliviens 1983 zum Bewässerung, doch die Verdunstung sorgte Dachverband ANAPQUI (Asociation Nacio- für etwas Feuchtigkeit im Hochland. Nun ist nal de Productores de Quinoa) zusammen. es noch trockener, was den Quinoa-Anbau Der Faire Handel ermöglichte es ihnen, noch schwieriger macht. Auch der heftige Quinoa nach Europa zu exportieren, später Wind bereitet große Probleme, besonders sogar in Bioqualität. Für die Bäuer*innen zur Aussaatzeit im September. Er fegt Sand bietet die Mitgliedschaft große Vorteile. und Staub über die Ebene, wodurch die Durch die Vermarktung über den Fairen kleinen Triebe verschüttet werden. Scheint Handel kann ANAPQUI höhere Preise als dann die erbarmungslose Sonne auf den auf dem Weltmarkt üblich zahlen und bei Sand, heizt dieser sich auf und verbrennt Bedarf auch eine Vorfinanzierung der Ernte förmlich die kleinen Triebe. ermöglichen. FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 15
Mit Nutzpflanzen gegen den Eine andere Pflanze verliert im Winter ihre Klimawandel Blätter, so dass die karge Erde ein wenig gedüngt wird. Viele Landwirt*innen halten Den seit Generationen betriebenen auch Lamas. Diese Viehherden sind wichtig, Quinoaanbau aufzugeben, ist für die um die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhal- Kleinbäuer*innen von ANAPQUI jedoch ten. Oft wird auf einer Fläche ein Jahr lang keine Option. Stattdessen entwickeln sie Quinoa kultiviert und im darauffolgenden Maßnahmen, um sich an die veränderten Jahr stehen die Lamas auf der Fläche. klimatischen Bedingungen anzupassen. Dafür hat ANAPQUI das Forschungsinstitut PROQUINAT gegründet. Es beschäftigt 12 ANAPQUI - Steckbrief Techniker*innen und Agrarökonom*innen, Name: Asociation Nacional de die die Kleinbäuer*innen beraten, z. B. im Productores de Quinoa Hinblick auf Anpassungsmöglichkeiten an Produkte: rote, schwarze und weiße die veränderten klimatischen Bedingun- Quinoa, überwiegend in Bio-Qualität gen, Fortbildungen organisieren und ver- Ort: La Paz, Bolivien besserte Produktionsmethoden erforschen. Der Klimawandel ist ein großes Problem Organisationsform: Kooperativen-Dachverband und der Wind setzt den Bauern enorm zu. Daher haben sie beispielsweise anspruchs- Mitglieder: Acht Kleinbauerngenos- lose Pflanzen gezüchtet, die unter den ex- senschaften, die rund 2.000 Familien in 90 Gemeinden vertreten tremen Bedingungen gedeihen. Eine dieser Pflanzen setzen die Bäuer*innen nun im Tätig seit: 1983 Abstand von 100 Metern als Schutzwälle in Im Fairen Handel seit: 1988 die Äcker, um damit die starken Winde zu Absatzmärkte: Europa ist für bremsen. Die Blätter der Muña Muña zum ANAPQUI der größte Absatzmarkt – Beispiel sind gut bei Verdauungsproblemen 40 % des Exportes werden über den und bei gereizten Atemwegen und ihr Duft Fairen Handel vertrieben, der Rest wehrt Schädlinge ab. größtenteils über den Bio-Markt. Website: www.anapqui.org.bo 16 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
PANAY FAIR TRADE CENTER Auf den Philippinen Stärkung von Kleinbäuer*innen durch Handel und politische Arbeit FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 17
Für die meisten Menschen auf den Philippi- Ein besonderer Fokus des PFTC, das 1991 nen stellt die Arbeit in der Landwirt- aus der philippinischen Frauenbewegung schaft die Haupteinnahmequelle dar. Viele KABALAKA hervorgegangen ist, liegt auf Kleinbäuer*innen sind jedoch der Willkür der Stärkung von Frauen. Sie sind sowohl von Großgrundbesitzer*innen ausgesetzt, bei PFTC als auch in den lokalen Mitglieds- die Politik und Wirtschaft dominieren und kooperativen in allen Gremien vertreten. auch den größten Teil der Agrarflächen be- sitzen. Ohne eigenes Land müssen viele Kleinbäuer*innen – oft unter unmensch- lichen Bedingungen – auf großen Farmen arbeiten oder als Kleinpächter*innen den Großteil ihrer bescheidenen Einkommen an die Landbesitzer*innen entrichten. Das Panay Fair Trade Center (PFTC) auf der philippinischen Insel Panay hat zum Ziel, durch Handel und politische Arbeit eine strukturelle Veränderung der Situation für Kleinproduzent*innen auf dem Land und für verarmte Bevölkerungsgruppen in der Stadt herbeizuführen, um so ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu ver- bessern. PFTC ist eine Vermarktungs- und Beratungsorganisation für die Basisgrup- pen, die gleichzeitig Träger von PFTC sind. Politische Arbeit ist Neben der Frauenorganisation „Gabriela“ lebensgefährlich zählen auch Kleinbauernkooperativen, die Über die konkrete Unterstützung in Bezug Bananen, Zuckerrohr, Ingwer und weitere auf Produktion und Vermarktung hinaus landwirtschaftliche Produkte anbauen trägt das PFTC auch durch vielfältige Kam- dazu. Sie werden von PFTC beraten, z. B. pagnen und Serviceleistungen zur Stärkung bei der Umstellung auf ökologischen Land- der Mitgliedsgruppen bei. Die Organisation bau sowie zu Landrechtsfragen und in der führt z. B. Veranstaltungen und Trainings- Organisationsentwicklung. Darüber hinaus programme im Bereich der politischen Bil- organisiert PFTC die Weiterverarbeitung dung durch mit dem Ziel, benachteiligten bzw. Verpackung der Produkte, was über- Kleinbäuer*innen – darunter vor allem den wiegend von Frauen aus städtischen Slum- Frauen – eine Stimme zu geben. Ein wich- gebieten übernommen wird, sowie den Ver- tiges Thema dabei ist die Forderung nach trieb und Export über den Fairen Handel. einer umfassenden Landreform, die die Der Anbau und die Weiterverarbeitung der ungerechten Besitzverhältnisse abschaf- Produkte verbindet und stärkt somit be- fen und Kleinbäuer*innen bessere Chan- nachteiligte Kleinbäuer*innen auf dem cen einräumen soll, sich auf dem Markt zu Land und Menschen in den städtischen behaupten. Armutsvierteln und schafft Einkommens- möglichkeiten für sie. Genau das ist den mächtigen und einfluss- reichen Familienclans der Region jedoch ein Dorn im Auge. 18 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
Sie fürchten um ihre Privilegien und Der sogenannte „Drogenkrieg“ hat zusätz- behindern die Arbeit der Kooperativen lich Tausende Menschen auf den Philippi- und Kleinbäuer*innen, z. B. durch Sabo- nen das Leben gekostet. tage und Einschüchterungsversuche. So wurden bereits mehrfach Brandanschläge Eigene Weiterverarbeitung erhöht auf Zuckerrohrmühlen verübt und auch Wertschöpfung und Transparenz vor politisch motivierten Morden schre- Für das PFTC und die angeschlossenen cken die Clans nicht zurück. 2014 wurden Kleinkooperativen ist es wichtig, die Wei- zwei PFTC-Mitglieder – der damalige Vor- terverarbeitung der eigenen Produkte standvorsitzende Romeo Capalla und der weitgehend in den eigenen Händen zu hal- Bauer Dionisio Garete – auf offener Straße ten, z. B. durch den Bau und Betrieb eige- erschossen. Die frühere PFTC-Vorstandvor- ner Zuckermühlen. Zum einen erhöht sich sitzende Ruth Fe Salditos wurde als „Terro- dadurch für die Kleinproduzent*innen ristin“ beschuldigt und steht seitdem unter die Wertschöpfung, was in einer Region, Beobachtung. Ihr Ehemann, Felix Salditos, die kaum Einkommensmöglichkeiten bie- sowie sechs Mitstreiter*innen wurden am tet, ein wichtiger Faktor ist. Außerdem 15. August 2018 ermordet. Sie waren auf macht die eigene Weiterverarbeitung die der Insel Panay unterwegs, um der Zerstö- Kleinbäuer*innen unabhängig von Zwi- rung von Slums und steigenden Preisen für schenhändlern, denen sie ihre Rohprodukte Grundnahrungsmittel nachzugehen sowie verkaufen müssten. Und schließlich bringt die Armutssituation von Fischern und die Weiterverarbeitung und Verpackung Arbeiter*innen auf den Zuckerrohrplanta- einen weiteren Vorteil mit sich, der auch für gen vor Ort zu untersuchen. Diese politi- die Verbraucher*innen von großem Wert schen Morde wurden bis heute nicht aufge- ist: Sie macht den sogenannten Mengen- klärt. Die genannten Fälle sind leider keine ausgleich, der laut Fairtrade-Richtlinien bei Ausnahme: Die Menschenrechtslage auf Zucker erlaubt ist, überflüssig. Das heißt, den Philippinen hat sich seit der Amtsein- die Produzent*innen müssen ihr Zucker- führung des Präsidenten Rodrigo Duterte rohr nicht an eine große Fabrik liefern, wo noch einmal sehr verschlechtert. Polizei er gemeinsam mit Zuckerrohr von Groß- und Militär gehen nicht nur massiv gegen farmen vermischt wird. Stattdessen stellen diejenigen vor, die sich für Menschen- und sie ein zu 100 % fair gehandeltes Produkt Kleinbauernrechte einsetzen. her. FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 19
100 x 1.000 – Nachhaltige Katastro- Durch die neue Genossenschaft konnte dau- phenhilfe durch Weltläden nach erhaft Arbeit für mehrere hundert Familien Wirbelsturm in einer benachteiligten Region geschaf- fen werden. Gleichzeitig war sie ein poli- Ende 2013 richtete der Taifun Haiyan in tisches Signal an die lokalen Machthaber, weiten Teilen der Philippinen große Ver- dass Kleinbäuer*innen mit Hilfe des Fairen wüstungen an. Mehr als 8.000 Menschen Handels ihre Zukunft selbst in die Hand kamen ums Leben, über vier Millionen wur- nehmen können. den obdachlos und viele Kleinbäuer*innen verloren ihre Existenzgrundlage. Im Zuge der Katastrophenhilfe für die Taifunopfer Panay Fair Trade Center im Norden der Insel Panay entstand in - Steckbrief Zusammenarbeit mit der dwp eG Fairhan- Name: Panay Fair Trade Center delsgenossenschaft (heute WeltPartner Produkte: Bananenchips, Mascobado- eG) in Ravensburg der Plan, mit der Grün- Zucker, gezuckerte Ingwer-Würfel, dung einer neuen Genossenschaft und dem Ananas, Mangos Aufbau einer eigenen Zuckerrohrmühle Ort: Iloilo, Insel Panay, Philippinen den betroffenen Familien eine nachhaltige Organisationsform: GmbH, die von Einkommensmöglichkeit zu schaffen. Im den Mitgliedskooperativen und der Rahmen der daraufhin initiierten Kampa- Frauenorganisation „Gabriela“ getragen gne „100 x 1.000“ spendeten 100 Weltläden wird. aus Deutschland und Österreich je 1.000 Mitglieder: 9 Kooperativen Euro für den Bau der Mühle, die es den Tätig seit: 1991 Bäuer*innen nun ermöglicht, ihr Zucker- rohr eigenständig weiterzuverarbeiten und Im Fairen Handel seit: 1992 so eine höhere Wertschöpfung zu erzielen. WFTO-Mitglied Die Mühle konnte bereits im April 2015 in Betrieb genommen werden. Der fertig verar- beitete Vollrohrzucker wird über Weltläden in Deutschland und Österreich vermarktet. 20 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
YADAWEE IN ÄGYPTEN Traditionelles Handwerk und modernes Marketing FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 21
Ägyptisches Kunsthandwerk hat eine lange Denn für Yadawee ist klar, dass eine erfolg- Tradition. Produkte aus Glas, Alabaster und reiche internationale Vermarktung der Holz sowie Textilien gehören zur ägypti- Waren nur über eine hohe Produktquali- schen Kulturgeschichte und haben im Laufe tät gelingen kann. Die regelmäßigen Trai- der Jahrhunderte eine hohe Qualität und nings für die Handwerker*innen betreffen Vollendung erreicht. Doch die Wertschät- alle Fragen der Produktion und Vermark- zung für die Produkte und damit einherge- tung, vom Design über kaufmännische hend auch das Wissen über deren Herstel- Aspekte und Qualitätskontrolle bis hin zu lung haben in den letzten Jahren deutlich Messepräsentationen. abgenommen. Stattdessen bevorzugen viele Kund*innen eher billige Produkte oder Waren aus dem (westlichen) Ausland. Die ägyptische Vermarktungsorganisation Yadawee hat es sich zur Aufgabe gemacht, ägyptisches Kunsthandwerk zu erhalten und weiterzuentwickeln sowie internati- onal zu vertreiben. Yadawee wurde 2003 von Hisham El Gazzar und Tarek Sheta gegründet und hat heute zehn Ange- stellte. Die Firma versteht sich explizit als gewinnorientiertes Unternehmen, für das die Verbesserung der Lebens- und Arbeits- bedingungen der Produzent*innen jedoch ein zentrales Anliegen ist. Auf diese Weise will Yadawee auch jungen Menschen eine Perspektive schaffen, die ihre Zukunft in der Regel nicht im Kunsthandwerk sehen und andere Berufe ergreifen oder abwandern. Yadawee bedeutet übersetzt „handgemacht“. Yadawee arbeitet landesweit mit rund 100 Kunsthandwerker*innen eng zusammen, die sich auf zehn Gruppen verteilen. Sie „Ich bin froh über die Zusammenarbeit mit stellen u. a. hochwertige und aufwendig Yadawee. Die Organisation hat mir geholfen, verzierte Glasgefäße, Schalen aus Alabas- meine Kreativität weiterzuentwickeln. Ich ter sowie Webwaren wie Schals und Tisch- erarbeite nun neue Designs und kombiniere decken her. Die Handwerkergruppen exis- andere Farben, während ich gleichzeitig die tieren teilweise schon länger, als es Yadawee alten Techniken und Geräte für das Weben gibt, aber durch die enge Zusammenar- verwende“, erzählt beispielsweise Adel beit mit der Vermarktungsorganisation Habashi, der im Dorf Naqada Webwaren profitieren sie auf vielfältige Weise. An für Yadawee herstellt. oberster Stelle steht die Weiterbildung der Kunsthandwerker*innen. 22 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
Wichtig für eine hohe Produktqualität sind Es hat sich bereits früh der MADE51-Ini- außerdem sichere und gute Arbeitsbedin- tiative angeschlossen. Die Initiative gibt gungen, weswegen Yadawee in den ver- verschiedenen Projekten mit Geflüchteten gangenen Jahren in die Produktionsstätten einen Rahmen und unterstützt die Ver- investiert hat. Bei der Produktion achten marktung der Produkte. die Handwerker*innen außerdem auf öko- Und wie steht es bei Yadawee um wichtige logische Aspekte. So verwenden sie viele Grundprinzipien des Fairen Handels wie natürliche Rohstoffe und recycelte Materi- z. B. die demokratische Struktur der Organi- alien wie z. B. Altglas. Ein weiterer Punkt, sation und die Bezahlung? Gründer Hisham der Yadawee wichtig ist, ist die Förderung El Gazzar betont, dass Fragen rund um die der Frauen. Die Gleichberechtigung der Produktentwicklung und die Weiterbil- Geschlechter ist ein wichtiges Prinzip im dungen mit den Produzent*innen bespro- Umgang untereinander. Frauen nehmen chen und im Team gemeinsam entschieden selbstverständlich an Weiterbildungs- werden. „Bei uns wird Teamarbeit groß maßnahmen teil. Die Vermarktung ihrer geschrieben“, sagt er. Die Bezahlung der Produkte verschafft ihnen Einkommens- Handwerker*innen erfolgt monatlich oder möglichkeiten und stärkt ihre Rolle in der bei der wöchentlichen Übergabe der pro- Gemeinschaft. duzierten Waren. Sie liegt über dem Durch- Seit 2014 arbeitet Yadawee am Projekt schnitt dessen, was andere Arbeiter*innen Nilufrat mit. Mehr als 15 geflüchtete Frauen für vergleichbare Aufgaben erhalten. Darü- aus Syrien und dem Sudan arbeiten mitt- ber hinaus erhalten die Handwerker*innen lerweile in dem Projekt. Sie stellen in Kairo für die Beschaffung der Rohmaterialien Baumwoll-Kollektionen mit Wohntextilien entweder eine Vorfinanzierung oder sie und Schals her. Nach anfänglicher Beratung bekommen die Materialien von Yadawee durch den UNHCR trägt sich das Projekt kostenlos zur Verfügung gestellt. heute unter der Leitung von Yadawee selbst. FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 23
Für ein erfolgreiches Unternehmen ist ein professionelles Marketing essenziell. Yada- Yadawee - Steckbrief wee vertreibt die Produkte zum einen direkt Name: Yadawee in Ägypten und hat dafür in Kairo einen Produkte: Webwaren, Glas- und Showroom eingerichtet. Die internationale Alabaster-Produkte Vermarktung erfolgt über Wiederverkäu- Ort: Kairo, Ägypten fer, wobei der Faire Handel ein wichtiger Organisationsform: Kommandit- Vertriebszweig ist. Um die internationale gesellschaft (KG) Bekanntheit zu erhöhen, stellt Yadawee Mitglieder: Zusammenarbeit mit seine Produkte bei großen Messen aus, wie 10 Gruppen mit insgesamt rund 100 beispielsweise bei der Konsumgütermesse Kunsthandwerker*innen Ambiente in Frankfurt/Main, wo das Unter- Tätig seit: 2003 nehmen bereits mehrmals vertreten war. Im Fairen Handel seit: 2003 Die politischen und gesellschaftlichen Absatzmärkte: 95 % Export, Umbrüche der letzten Jahre in Ägypten davon 75 % über den Fairen Handel; haben die Produktions- und Vermark- nationaler Markt 5 % tungsmöglichkeiten für Yadawee stark Website: www.yadawee.com beeinträchtigt. Das Unternehmen musste deutliche Umsatzrückgänge hinnehmen. Die Vermarktung über den Fairen Handel kann zur Stabilisierung und Weiterentwick- lung des Unternehmens beitragen – und damit bessere Zukunftsperspektiven für die Produzent*innen schaffen. 24 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
FAIR GEHANDELTE PRODUKTE AUS DEM NORDEN? Die Fair-Handels-Bewegung hat ihre Wur- Gemeinsame europäische Agrarpo- zeln im Kampf gegen Ungerechtigkeiten litik fördert große Betriebe im Handel zwischen Globalem Norden und Die europäische Agrarpolitik kommt vor Süden. Da Kleinproduzent*innen jedoch allem großen landwirtschaftlichen Betrie- auch im Norden zunehmend strukturell ben zugute. Auch in Deutschland sind die benachteiligt werden, stellt sich die Frage Auswirkungen dieser verfehlten Politik zu gerechter Handelsstrukturen inzwischen spüren: Durch den Preisverfall von Roh- global. Denn ökonomische Unterschiede stoffen und Lebensmitteln stehen immer zwischen Staaten verlieren durch die fort- mehr bäuerliche Existenzen auf dem Spiel. schreitende Globalisierung immer mehr an In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Bedeutung. Parallel dazu nimmt das ökono- Zahl der Höfe hierzulande halbiert. Einzi- mische Gefälle innerhalb von Gesellschaf- ger „Vorteil“ für Bauernfamilien im Globa- ten zu. len Norden: Meistens gibt es für sie funk- Fairer Handel für Produzent*innen tionierende staatliche Sicherungssysteme, aus dem Globalen Norden was im Globalen Süden in der Regel nicht zutrifft. Auch wenn die Situation bäuerlicher Produzent*innen und Arbeiter*innen im Mit dem Höfesterben zerfallen zunehmend Süden und Norden sehr unterschiedlich auch ländliche Regionen und Kulturland- ist, sollten sie überall von ihrer Arbeit gut schaften. Viele Bäuer*innen leiden unter leben und nachhaltig produzieren können. dem permanenten Wachstumsdruck, der Ein gerechteres Handelssystem, das sozi- auf ihnen lastet. Folgeerscheinungen dieser ale und ökologische Leitplanken für die Situation sind schlechte Arbeitsbedingun- Globalisierung setzt, muss also weltweit gen in der Landwirtschaft. Besonders dras- greifen. Die Diskussion über den Bedarf tisch zeigt sich diese Entwicklung an der einer solchen Erweiterung des Fairen Han- Ausbeutung von Saisonarbeitskräften wie dels wurde in den letzten Jahren intensiv zum Beispiel in Italien und Spanien. geführt. Die World Fair Trade Organization „Öko-Landbau hat nur hat 2017 entschieden, dass auch Organisa- dann Zukunft, wenn die tionen von Kleinproduzent*innen aus dem Bauern davon leben kön- Globalen Norden Mitglied werden können. nen. Daher brauchen wir Das Forum Fairer Handel hat 2019 ein Posi- faire Partnerschaften – in tionspapier dazu verabschiedet. Im Sys- den Ländern des Südens tem von Fairtrade International ist hinge- sowie bei uns.“ gen klar festgeschrieben, dass Produkte, Hubert Heigl die das Fairtrade-Siegel tragen, aus einem Öko-Bauer und Naturland Präsident sogenannten Entwicklungsland kommen müssen. FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 25
Wachsender Preisdruck im Öko, Sozial und Fair aus einer Hand Bio-Bereich – die Naturland Fair Zertifizierung Auch der Bio-Bereich bietet nicht immer Die Naturland Fair Zertifizierung bringt eine ausreichende Absicherung für ökologischen Anbau, soziale Verantwor- Bäuer*innen. Die steigende Nachfrage tung und Fairen Handel in einem Siegel führt zu einem ähnlichen Preisdruck durch zusammen. Naturland Fair Produkte wer- den Handel wie auf dem konventionellen den nach den strengen Naturland Öko-, Markt. Während große Lebensmitteleinzel- Sozial- und Fair-Richtlinien angebaut, ver- händler Milliardengewinne einfahren, kön- arbeitet und in allen Schritten fair gehan- nen viele Bäuer*innen kaum noch die Pro- delt. Dabei werden auch Erzeuger*innen duktionskosten decken. Angesichts dieser aus dem Norden einbezogen. Durch Misch- Entwicklung gewinnt die bio-faire Alter- produkte, wie öko-faire Milchschoko- native für die bäuerliche Landwirtschaft an lade entstehen Synergieeffekte für Süd- Bedeutung. Deren Ziel ist eine gerechte und und Nord-Produzent*innen, z. B. erschlie- angemessene Entlohnung der Bäuer*innen ßen sich neue Absatzmärkte für Süd- und die Existenzsicherung von benachtei- Produzent*innen. Zudem erlaubt die Er- ligten Produzent*innen. Mit langfristigen gänzung um geeignete Zutaten aus dem Partnerschaften und einem fairen Preis will Norden eine Annäherung an das Ziel, Pro- sie dem Preisdruck entgegenwirken und dukte anzubieten, die zu 100 % fair sind. dazu beitragen, dass die Leistung der bäu- Für die Bäuer*innen im Norden kann die erlichen Landwirtschaft und deren Erzeug- Fair-Zertifizierung, und damit die Zahlung nisse stärker honoriert werden. Wichtige angemessener Preise, dem Höfesterben ent- Aspekte dieses Konzeptes sind Regionalität gegenwirken. Auch der Erhalt und die Stär- und die Förderung der bäuerlichen Land- kung kleiner Betriebe im Norden sind Ziele wirtschaft in Abgrenzung zur industriali- der Fair-Zertifizierung. Denn sie leisten sierten Variante. sehr viel für Umweltschutz und den Erhalt von Kulturlandschaften sowie im Bereich gesellschaftlichen Engagements für die Region. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, warum Fairer Handel auch im Norden not- wendig ist und wie er wirkt. 26 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
Die Molkerei Berchtesgadener Land: Fairer Milchpreis stärkt kleine Betriebe Ein großer Teil der Milchviehbetriebe in Deutschland hat weniger als fünfzig Kühe. Die EU-Agrarsubventionen bevorteilen große Betriebe mit viel Fläche, während Umwelt- und Tierschutzleistungen nicht ausreichend honoriert werden. Dazu kommt, dass der konventionelle Milch- markt ein globaler Markt ist, mit stark „Seit vielen Jahren kommt immer die gleiche schwankenden Preisen, die oft nicht die Familie zur Erntezeit zu uns. Kinderarbeit Produktionskosten decken. Dem versuchen gibt es nicht. Die Kinder werden betreut und die Landwirt*innen durch Investitionen können in die Schule gehen.“ in größere Ställe für mehr Kühe zu ent- Behcet Albayrak kommen. Tatsächlich geraten sie so aber Naturland Bauer nur immer tiefer in die Schuldenfalle. Ein Gegenmodell dazu sind Molkereien, die Haselnüsse von ISIK aus der Türkei: partnerschaftliche und langfristige Han- Es geht auch ohne Kinderarbeit delsbeziehungen mit den Milchbäuer*innen Drei Viertel der geernteten Haselnüsse eingehen. Die genossenschaftlich orga- weltweit stammen aus der Türkei. Die nisierte Molkerei Berchtesgadener Land Haselnussbäuer*innen profitieren davon bezahlt ihren Erzeuger*innen seit Jahren am wenigsten. Durch die starke Abhän- einen überdurchschnittlich hohen und gigkeit von Zwischenhändlern und einem fairen Milchpreis. Sie nimmt auch kleinen Staat, der kleinbäuerliche Strukturen fast Bauernhöfen in entlegenen und schwer nicht unterstützt, ist ihr finanzieller Spiel- erreichbaren Bergregionen die Milch ab. raum sehr gering. Das wirkt sich dann auch Das sichert bäuerliche Exis-tenzen und den auf die Situation der Wanderarbeiter*innen Fortbestand kleinstrukturierter bäuerlicher aus. Für die harte Arbeit bei der Hasel- Landwirtschaft in der Region. Dies ist wich- nussernte verdienen sie viel zu wenig – so tig für den Erhalt der Kulturlandschaft. wenig, dass oft sogar die Kinder mitarbeiten müssen. Öko-Produktion und Fairer Han- „Fairer Handel del geben den Menschen wieder eine Pers- heißt für mich, pektive in der Landwirtschaft. Das Unter- von der Arbeit, nehmen ISIK in Izmir ist Naturland Fair die ich liebe, zertifiziert und vermarktet die ökologisch auch vernünftig und fair produzierten Haselnüsse, Sultani- leben zu können nen, Feigen, Pflaumen und Aprikosen über und Planungs- die WeltPartner eG. Die sichere Abnahme sicherheit. und ein fairer Preis bringen nicht nur den Damit auch die nächste Generation eine Bäuer*innen selbst etwas, sondern auch den Perspektive auf dem Hof hat.“ Erntehelfer*innen und deren Familien: bes- Jakob Sichler sere Löhne, sichere Arbeitsbedingungen, Öko-Milchbauer und Naturland Delegierter aus gute Unterbringung und Kinderbetreuung. Grassau (Berchtesgadener Land) FAIRER HANDEL WIRKT 100 % FAIR / 27
Mani Bläuel: Schafft Perspektiven für griechische Kleinbäuer*innen Fritz und Burgi Bläuel kamen in den 60er Jahren aus Österreich nach Griechenland und lernten als Erntehelfer*innen die Oli- venkultur kennen. Daraus entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit den Olivenbäuer*innen aus der Region Mani. Fritz Bläuel überzeugte die Landwirt*innen von den Vorzügen der ökologischen Land- wirtschaft und gründete 1976 das Unter- nehmen Mani Bläuel. Inzwischen haben über 300 Bäuer*innen auf ökologischen Landbau umgestellt und erhalten einen fai- ren Preis für ihre Ernte. „Gerade in SpeiseGut: Solidarische Landwirt- ländlichen schaft schafft Gemeinschaft Regionen wie Seit 2013 bewirtschaftet Christian Hey- der Mani, in mann zusammen mit seinem Team zwölf denen noch auf Hektar gepachtete Fläche in der Nähe traditionelle Art von Berlin nach den Prinzipien der Soli- und Weise und darischen Landwirtschaft. Dabei bilden viel per Hand Erzeuger*innen und Verbraucher*innen gearbeitet wird, sind faire Preise enorm eine Gemeinschaft, die auf die Bedürfnisse wichtig. Eine faire Bezahlung bildet auch aller ausgerichtet ist – die der Menschen die Grundlage für den ökologischen Oliven- wie auch der Umwelt. Bei SpeiseGut wer- anbau. Er ist die Voraussetzung für eine den Gemüse, Kräuter und Obst nach öko- gesunde und lebenswerte Umwelt, fördert logischen und fairen Naturland Kriterien die Biodiversität und bedeutet aktiven Was- angebaut. Die Mitglieder der Verbraucher- ser- sowie Klimaschutz. Die drei tragenden gemeinschaft sichern durch Abos ein regel- mäßiges und faires Gehalt für Bäuer*innen Säulen ökologisch, sozial und fair spiegeln und Mitarbeiter*innen, welches alle Kos- die Essenz unseres wirtschaftlichen Han- ten der Landwirtschaft deckt. Im Gegen- delns – die Wertschätzung von Mensch und zug bekommen sie Anteile der Ernte. Doch Natur – perfekt wider. Das Unternehmen nicht nur das – mehrmals im Jahr stehen sie Mani Bläuel wurde gegründet, um mehr auch selbst mit auf dem Acker. Der direkte Menschen in der Mani ein gutes Leben zu Kontakt stärkt nicht nur die Gemeinschaft, ermöglichen. Seit 40 Jahren arbeiten wir mit sondern gibt auch wertvolles Wissen weiter den Maniot*innen zusammen, tragen so zum und die Menschen erleben direkt, wie öko- Erhalt des traditionellen Olivenanbaus bei logische Landwirtschaft funktioniert. Das und schaffen sinnvolle Arbeitsplätze.“ zeigt Christian Heymann auch immer wie- Felix Bläuel der gerne Kindern, die SpeiseGut besuchen. Junior-Chef des Familienunternehmens Mani Die Solidarische Landwirtschaft fördert Bläuel in Griechenland eine bäuerliche und vielfältige Landwirt- schaft, die auf Zusammenhalt basiert. 28 / 100 % FAIR FAIRER HANDEL WIRKT
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