Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.

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Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Der Faire Handel
      in Deutschland
       Grundsätze. Wirkungen. Akteure.

DAS FORUM FAIRER HANDEL - DIE STIMME DES FAIREN HANDELS   100 % FAIR / 1
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Inhalt
03 Editorial                               46	Kontroll- und Sicherungs-
                                               systeme im Fairen Handel
04 Grundlagen
                                           47 Glaubwürdigkeit absichern
    Fairer Handel – Warum eigentlich?
                                           48	Die World Fair Trade Organization
06 Entstehung einer Bewegung
                                               (WFTO) – Weltweites Netzwerk für
07	Menschen im Mittelpunkt –
                                               100 % Fairen Handel
    Die Grundsätze des Fairen Handels
                                           50	Fairtrade – Ein weltweites Siegel für
09 Fairer Handel wirkt                         den Fairen Handel
10 Fairer Handel schafft Perspektiven      52	Naturland Fair – Vereint Bio und Fair
11	APROLMA in Honduras –Wie aus               in einem Siegel
     Kaffeebäuerinnen Unternehmerinnen     53	Der Katalog anerkannter Weltladen-
     werden                                    Lieferanten – Grundlage für den Ein-
14	ANAPQUI in Bolivien – Quinoa-              kauf der Weltläden
     Produzent*innen trotzen dem
                                           54	Fairen Handel weiter denken
     Klimawandel
                                           55 Der Faire Handel geht neue Wege
17	PANAY FAIR TRADE CENTER
                                           56 Faire Textilien – Ein weiter Weg
     auf den Philippinen – Stärkung von
     Kleinbäuer*innen durch Handel und     58	Unfairer Welthandel, Klimawandel,
     politische Arbeit                         Transparenz – Herausforderungen für
                                               den Fairen Handel
21	YADAWEE in Ägypten – Traditionelles
     Handwerk und modernes Marketing       60	Fairer Handel und der Klimawandel –
                                               Gemeinsam gegen die Klimakrise
25	Fair gehandelte Produkte
     aus dem Norden?                       61	Anders statt mehr – Gesellschaftliche
                                               Transformation durch Fairen Handel?
29 Fairer Handel bewegt
                                           62 Informationen und Service
30	Fairer Handel bewegt – Menschen
    und Politik                            63	Das Forum Fairer Handel –
                                               Die Stimme des Fairen Handels
31	Globale Zusammenhänge begreifen –
    Bildungsarbeit im Fairen Handel        64	Daten und Fakten über den
                                               Fairen Handel
33	Politische Veränderungen bewirken –
    Die dritte Säule des Fairen Handels    66 Mitmachen leicht gemacht
                                           68 Fairer Handel: Noch Fragen?
35	Der Weg der Produkte
                                           70	Weitere Akteure, die den Fairen
36	Von fairen Gaumenfreuden und
                                               Handel in Deutschland vorantreiben
    schönen Dingen
                                           71	Woran erkenne ich fair gehandelte
37	Lieferketten im Fairen Handel –
                                               Produkte?
    Integrierte Lieferkette und
    Produktzertifizierung                  72 Impressum
41	Die Fair-Handels-Unternehmen
44 Weltläden – Orte des Wandels
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
EDITORiAL
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Handel mit fairen Produkten boomt.         Mit der Veröffentlichung ihrer neuen Inter-
Immer mehr Menschen kaufen fair ein, weil      nationalen Charta hat die Fair-Handels-
sie Wert auf eine menschenwürdige und          Bewegung im September 2018 ihr Wertefun-
ökologische Produktion ihrer Alltagsgüter      dament erweitert. Die Charta verdeutlicht
legen. Die Tatsache, dass faire Produkte       den Anspruch der Bewegung, nachhaltige
mittlerweile fast überall erhältlich sind,     Produktions- und Handelsmethoden zu
befördert diesen positiven Trend. Doch         fördern sowie die Menschen und Umwelt
der Faire Handel ist weit mehr als die gute    vor den finanziellen Profit zu stellen. Der
Alternative im unfairen System, er ist eine    Faire Handel möchte noch stärker zu einer
internationale Bewegung für mehr Gerech-       Veränderung unseres wirtschaftlichen und
tigkeit im Welthandel: Er bietet benachtei-    gesellschaftlichen Systems beitragen und
ligten Produzent*innen eine faire Chance,      engagiert sich gemeinsam mit gleichge-
ihre wirtschaftliche und soziale Existenz      sinnten Organisationen für einen sozial-
nachhaltig zu sichern. Dabei sind gute Pro-    ökologischen Wandel.
dukte zu fairen Preisen, die ein Leben in      Mit „100 % fair“ geben wir Ihnen einen
Würde sowie Investitionen in die Zukunft       aktualisierten Leitfaden zum Fairen Handel
ermöglichen, das erste Standbein. Das          in Deutschland an die Hand. Lesen Sie, was
zweite ist, über Bildungs- und Informati-      ihn ausmacht, woran Sie ein fair gehandel-
onsarbeit Schritte hin zu einem gerechte-      tes Produkt erkennen, wie Sie sich im Fairen
ren Welthandel aufzuzeigen und politische      Handel engagieren können und wie er wirkt
Forderungen auf allen Ebenen zu stellen.       – im Süden wie im Norden.
Wie notwendig dies ist, zeigen die vielfach
                                               Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten,
dokumentierten Menschen- und Arbeits-
                                               den Welthandel gerechter zu gestalten.
rechtsverletzungen in den Lieferketten des
konventionellen Welthandels.
„100 % fair“ steht für einen Handel, der für
alle Beteiligten gerecht ist und ihnen ein
Leben in Würde ermöglicht. Stück für Stück
arbeiten wir auf verschiedenen Ebenen an
seiner Realisierung. Langfristig besteht die
größte Herausforderung in der Klimakrise.
Sie trifft besonders die Menschen im Glo-
balen Süden, die von der Landwirtschaft
abhängig und so wichtig für die globale        Andrea Fütterer
Ernährungssicherheit sind. Die Handels-        Vorstandsvorsitzende Forum Fairer Handel e.V.
partner bei der Bewältigung der Klima-
krise zu unterstützen und gleichzeitig für
eine ambitionierte Klimapolitik weltweit zu
kämpfen, ist eine wichtige Aufgabe für den
Fairen Handel.
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Fairer Handel –
warum eigentlich?
Ungerechter Welthandel                        Der Faire Handel als Beitrag für
Der globale Handel und der globale Reich-     ein gerechtes und nachhaltiges
tum nehmen zu. Doch dieser Wohlstand          Wirtschaftssystem
ist ungleich verteilt. Die Kluft zwischen     Gemeinsam mit dem Pariser Klimaab-
Arm und Reich wächst immer mehr. Armut,       kommen bieten die 2015 verabschiedeten
Hunger und Klimakatastrophen gehören          UN-Nachhaltigkeitsziele eine einmalige
für viele Menschen zum Alltag. Die aktuel-    Chance, die Weltwirtschaft neu zu gestal-
len Welthandels-Beziehungen tragen nicht      ten und nachhaltige Lebens- sowie Wirt-
zur Beseitigung dieser Probleme bei – viel-   schaftsweisen zu etablieren. Die aktuelle
mehr verschärfen sie diese.                   Klimakrise, genauso wie die steigende Zahl
Die konventionelle Wirtschaft verfolgt das    der Hungernden weltweit, zeigt allerdings,
Ziel, den Umsatz zu steigern und die Pro-     dass ambitionierte Ziele allein nicht ausrei-
duktionskosten immer weiter zu senken.        chen. Dafür müssen wir unsere Art zu leben
Verlierer*innen sind Millionen von Men-       und zu wirtschaften grundlegend verän-
schen, die unsere Waren anbauen und pro-      dern. Dass ein nachhaltiges Wirtschafts-
duzieren. Trotz harter Arbeit haben viele     system ohne Ausbeutung möglich ist, zeigt
von ihnen kaum Chancen, ihre Lebensum-        der Faire Handel seit nunmehr 50 Jahren.
stände zu verbessern. Diese Ungerechtig-      Die Fair-Handels-Bewegung setzt sich für
keit betrifft vor allem Kleinbäuer*innen,     langfristige und gleichberechtigte Handels-
Kleinproduzent*innen und Arbeiter*innen       partnerschaften ein und zeigt, wie Welt-
im Globalen Süden.                            handel unter der Berücksichtigung sozi-
                                              aler und ökologischer Kriterien gestaltet
                                              werden kann.

4 / 100 % FAIR                                                                     GRUNDLAGEN
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Vision des Fairen Handels                       Grenzen des Fairen Handels
Die Fair-Handels-Bewegung setzt sich für        Doch die „Politik mit dem Einkaufskorb“
eine Welt ein, in der Gerechtigkeit und         kann strukturelle Probleme nicht lösen.
nachhaltige Entwicklung im Zentrum der          Ungerechte Rahmenbedingungen und
Handelsstrukturen und -praktiken stehen.        grundlegende politische Probleme können
Sie zielt darauf, dass alle Menschen welt-      aber vom Fairen Handel nur thematisiert,
weit durch ihre Arbeit in Würde leben und       nicht gelöst werden. Wissend um seine
ihr Entwicklungspotenzial voll entfalten        praktischen Grenzen setzt sich der Faire
können. Im Fairen Handel steht also ein-        Handel für politische Veränderungen ein:
deutig der Mensch im Mittelpunkt. Das           durch Informations- und Bildungsarbeit,
unterscheidet diesen Ansatz von Nachhal-        die handelspolitische Zusammenhänge
tigkeitsansätzen, die etwa Umweltaspekte        aufzeigt und zu entwicklungspolitischem
in den Vordergrund stellen.                     Engagement motiviert, und durch Kampa-
                                                gnen, die gerechte Regeln in der internati-
Der Faire Handel schafft                        onalen Handelspolitik einfordern. Die Fair-
Perspektiven                                    Handels-Bewegung arbeitet daran, dass
Der Faire Handel zielt darauf ab, die Lebens-   der Handel gerechter wird. Zusammen mit
und Arbeitsbedingungen der Menschen am          Verbraucher*innen sowie anderen Organi-
Anfang der Lieferketten zu verbessern und       sationen setzen wir uns dafür ein, dass sich
ihre politische und wirtschaftliche Position    die Welthandelspolitik an den Menschen-
zu stärken. Durch die Berücksichtigung          rechten und dem Schutz der Umwelt orien-
von sozialen, ökologischen und wirtschaft-      tiert – zum Wohle von Mensch und Natur.
lichen Aspekten schafft er Perspektiven
für Produzent*innen weltweit. Über den
Nutzen für die direkten Handelspartner            „Fairer Handel“ ist die deutsche
hinaus, strahlen die Verbesserungen der           Übersetzung des englischen Begriffs
wirtschaftlichen Situation auch auf andere        „Fair Trade“, nicht zu verwechseln
Bereiche der Gesellschaft aus und geben           mit „Fairtrade“ (in einem Wort).
Impulse für die regionale Entwicklung.            Damit ist das internationale Fair-
                                                  trade-System gemeint, welches u. a.
                                                  das gleichnamige Siegel vergibt (siehe
                                                  S. 18).

GRUNDLAGEN                                                                         100 % FAIR / 5
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Entstehung einer Bewegung
Vom Protest zum Weltladen                      Gründung von TransFair
Als Ausgangspunkt des Fairen Handels in        Durch den Zusammenbruch des Kaffee-
Deutschland gelten die von den konfessi-       abkommens 1989 stürzte der Weltmarkt-
onellen Jugendverbänden organisierten          preis für Kaffee bis Anfang der 90er Jahre
„Hungermärsche“, an denen 1970 ca. 30.000      ab. Die Handelspartner im Süden fragten
Menschen bundesweit teilnahmen. Ihr Pro-       daher verstärkt nach zusätzlichen Ver-
test richtete sich gegen die wachsende Be-     marktungsmöglichkeiten. Als erstes Fair-
nachteiligung von Produzent*innen aus          Handels-Unternehmen weitete die GEPA
dem Globalen Süden am Weltmarkt. Sie           daraufhin ihren Vertrieb auf Supermärkte,
gründeten die „Aktion Dritte Welt Han-         Bio- und Naturkostläden sowie auf Groß-
del“ mit dem Ziel, politische Bewusstseins-    verbraucher und den Versandhandel aus.
bildung zu betreiben. Deren Motto lautete      1992 gründeten verschiedene Nichtregie-
“Lernen durch Handeln“. In den Folgejah-       rungsorganisationen den Verein TransFair.
ren boten immer mehr Aktionsgruppen und        Die Idee dahinter: Mit Hilfe eines Siegels
Weltläden fair gehandelte Waren an. Heute      für fair gehandelte Produkte sollten auch
gibt es rund 900 Weltläden.                    konventionelle Vertriebswege für den
                                               Absatz fair gehandelter Produkte erschlos-
Fair-Handels-Unternehmen                       sen werden. Im Supermarktregal konnten
entstehen                                      Verbraucher*innen fortan fair gehandelte
Um die Einfuhr der Waren zu erleichtern,       Produkte am TransFair- (heute: Fairtrade-)
nahmen zu Beginn der 1970er Jahre die          Siegel erkennen.
ersten Fair-Handels-Unternehmen ihre
Arbeit auf. So gründeten sich 1973 die         Fairer Handel immer gefragter
Firma GLOBO – Fair Trade Partner sowie         Fair gehandelte Produkte sind heutzutage
die „Gesellschaft für Handel mit der Dritten   fast überall erhältlich. Das Sortiment wird
Welt“, aus der zwei Jahre später die GEPA      kontinuierlich ausgeweitet und der Umsatz
entstand. Nur wenig später wurde aus dem       mit fair gehandelten Produkten wächst ste-
Verein El Puente heraus die gleichnamige       tig. Dennoch ist deren Anteil am Gesamt-
Importorganisation gegründet. Seit 1986        markt nach wie vor gering. Selbst Kaffee,
vertreibt der Verein BanaFair in Deutsch-      das wichtigste Produkt des Fairen Handels,
land fair gehandelte Bananen. Im Jahr 1988     hat erst einen Marktanteil von 5 % erreicht.
wurde die dritte-welt partner GmbH (heute:     Das zeigt, dass gerechtere Strukturen im
WeltPartner eG) gegründet. Inzwischen          Welthandel durch Umsatzwachstum alleine
bieten über 70 anerkannte Fair-Handels-        nicht zu erreichen sind. Die Bildungs- und
Unternehmen ein vielfältiges Sortiment fair    politische Kampagnenarbeit bleiben wich-
gehandelter Waren an.                          tige Säulen, die die Ausweitung des Ver-
                                               kaufs flankieren. Insbesondere um die poli-
                                               tische Arbeit zu stärken, wurde das Forum
                                               Fairer Handel 2002 gegründet.

6 / 100 % FAIR                                                                     GRUNDLAGEN
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Menschen im Mittelpunkt
 Die Grundsätze des Fairen Handels

Der Faire Handel zielt darauf ab, die Lebens-   Im Jahr 2001 haben sich vier internatio-
und Arbeitsbedingungen der Menschen am          nale Dachorganisationen des Fairen Han-
Anfang der Lieferkette zu verbessern und        dels1 auf folgende gemeinsame Definition
ihre politische und wirtschaftliche Posi-       verständigt:
tion zu stärken. Um diese Entwicklung zu
ermöglichen, bedarf es – je nach Ausgangs-
                                                    „Der Faire Handel ist eine Handels-
lage der Produzent*innen – unterschied-
                                                    partnerschaft, die auf Dialog, Trans-
licher Strategien. Im Laufe der Jahre haben
                                                    parenz und Respekt beruht und nach
sich so zahlreiche Organisationen und ver-
                                                    mehr Gerechtigkeit im internationa-
schiedene Ansätze des Fairen Handels ent-
                                                    len Handel strebt. Durch bessere Han-
wickelt. Sie beziehen sich jedoch auf über-
                                                    delsbedingungen und die Sicherung
einstimmende Grundsätze und Werte und
                                                    sozialer Rechte für benachteiligte
basieren auf den jahrzehntelangen prak-
                                                    Produzent*innen und Arbeiter*innen
tischen Erfahrungen gemeinsamer Arbeit
                                                    – insbesondere in den Ländern des Sü-
und dem Dialog der Fair-Handels-Akteure
                                                    dens – leistet der Faire Handel einen
in Nord und Süd. Sie machen den Fairen
                                                    Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung.
Handel einzigartig und heben ihn von
anderen Nachhaltigkeitsansätzen ab.                 Fair-Handels-Organisationen enga-
                                                    gieren sich (gemeinsam mit Verbrau-
                                                    cher*innen) für die Unterstützung der
                                                    Produzent*innen, die Bewusstseinsbil-
                                                    dung sowie die Kampagnenarbeit zur
                                                    Veränderung der Regeln und der Pra-
                                                    xis des konventionellen Welthandels.“

                                                	Diese sogenannte FINE-Definition wurde
                                                1

                                                  verabschiedet von:
                                                    FLO – Fairtrade Labelling Organizations
                                                     International, heute Fairtrade International,
                                                     www.fairtrade.net
                                                    I FAT – International Federation for Alterna-
                                                     tive Trade, heute World Fair Trade Organiza-
                                                     tion, www.wfto.com
                                                 N EWS! – Network of European Worldshops
                                                	
                                                 (2008 aufgelöst)
                                                 EFTA – European Fair Trade Association,
                                                	
                                                 www.eftafairtrade.org

GRUNDLAGEN                                                                               100 % FAIR / 7
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Ausführlicher sind die grundlegenden
Werte der globalen Fair-Handels-Bewegung        ·	leistet Bildungs- und politische Kam-
in der „Internationalen Charta des Fairen          pagnenarbeit, um die Regeln des
Handels“ definiert. Sie wurde gemeinsam            Welthandels gerechter zu gestalten
von der World Fair Trade Organization              und
und Fairtrade International erarbeitet.         ·	stellt durch Überprüfungsmechanis-
Die Charta enthält auch eine gemeinsame            men sicher, dass diese Kriterien ein-
Vision zur Umsetzung der Nachhaltigen              gehalten werden.
Entwicklungsziele der Vereinten Natio-
nen (SDG). Seit ihrer Veröffentlichung in
2018 ist sie das Referenzdokument des         Bei diesen Prinzipien steht der Mensch im
Fairen Handels. In dieser Charta sind die     Mittelpunkt. Fairer Handel zielt darauf ab,
wichtigsten Prinzipien des Fairen Handels     Produzent*innen zu stärken. Das geschieht
dargelegt:                                    beispielsweise durch Zahlung eines Min-
                                              destpreises für viele Fairtrade-zertifizierte
                                              Produkte, den die Produzent*innen erhal-
    Der Faire Handel                          ten, auch wenn der Weltmarktpreis darun-
    ·	schafft Marktzugang für benachtei-     ter liegt. Fair gehandelte Produkte stammen
       ligte Produzent*innen,                 von Genossenschaften, Produzent*innen-
    ·	unterhält langfristige, transparente   Netzwerken und Unternehmen, die sich
       und partnerschaftliche Handels-        diesen Fair-Handels-Grundsätzen ver-
       beziehungen und schließt unfairen      pflichten. Der Handel und die Vermark-
       Zwischenhandel aus,                    tung erfolgen über zwei komplementäre
    ·	zahlt den Produzent*innen faire        Kanäle: Die integrierte Lieferkette stützt
       Preise, die ihre Produktions- und      sich auf spezialisierte Unternehmen, die
       Lebenshaltungskosten decken, und       ausschließlich Fairen Handel betreiben. Der
       leistet auf Wunsch Vorfinanzierung,    zweite Weg ist die Zertifizierung und Siege-
    ·	stärkt die Position und sichert die    lung ausgewählter Produkte (Mehr darüber
       Rechte von Arbeiter*innen und          erfahren Sie ab S. 37).
       Kleinbäuer*innen sowie ihrer Orga-
       nisationen im Süden,
    ·	trägt zur Qualifizierung von Pro-
       duzent*innen und Handelspartnern
       im Süden bei,
    ·	gewährleistet bei der Produktion
       die Einhaltung der acht ILO-Kern-
       arbeitsnormen,
    ·	sichert die Rechte von Kindern und
       fördert die Gleichberechtigung von
       Frauen,
    ·	fördert den Umweltschutz, z. B. in
       Form der Umstellung auf biologische
       Landwirtschaft,

8 / 100 % FAIR                                                                     GRUNDLAGEN
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Fairer Handel wirkt

FAIRER HANDEL WIRKT             100 % FAIR / 9
Der Faire Handel in Deutschland - Grundsätze. Wirkungen. Akteure.
Fairer Handel
schafft Perspektiven
Die Produzent*innen stehen beim Fairen        Neben der Vermarktung der Produkte set-
Handel im Mittelpunkt. So vielfältig wie      zen sich die Genossenschaften bzw. ihre
das fair gehandelte Produktsortiment sind     Dachverbände z. B. für die Förderung von
auch ihre Geschichten, Hintergründe und       Frauen und den Schutz der natürlichen Res-
Herausforderungen. Denn je nach Produkt       sourcen ein.
und Land sind die Rahmenbedingungen für       Bei Produkten, die zumeist von Plantagen
sie sehr unterschiedlich. Der Faire Handel    stammen wie Tee, Orangen, Blumen oder
kommt daher nicht mit einem Patentrezept      Bananen sowie bei weiterverarbeiteten Pro-
für alle aus, sondern hat unterschiedliche    dukten wie beispielsweise Sportbällen, pro-
Instrumente, um Produzent*innen dabei         fitieren insbesondere die abhängig beschäf-
zu unterstützen, ihre eigene Entwicklung      tigten Arbeiter*innen vom Fairen Handel.
in die Hand zu nehmen. Diese Instrumente      Die Betriebe und Plantagenbesitzer*innen
entwickeln die Akteure des Fairen Handels     verpflichten sich zur Einhaltung von sozi-
ständig weiter, um auf Herausforderungen      alen und ökologischen Mindeststandards.
wie z. B. den Klimawandel mit passenden       Die Arbeiter*innen bilden ein Gremium,
Maßnahmen reagieren zu können. Die Bei-       das über die Verwendung der Fair-Handels-
spiele auf den folgenden Seiten zeigen, wie   Prämien entscheidet.
unterschiedlich der Faire Handel für die
                                              Im Handwerksbereich arbeiten meist
Produzent*innen wirkt.
                                              Kleinunternehmer*innen oder Nichtregie-
Wer sind die Handelspartner am Anfang der     rungsorganisationen mit Produzentengrup-
Lieferkette? Der Faire Handel ermöglicht es   pen zusammen und organisieren die Ver-
insbesondere den im Welthandel benach-        marktung sowie den Export der Produkte.
teiligten Kleinbäuer*innen, unter fairen      Sie unterstützen die Handwerker*innen mit
Bedingungen am Marktgeschehen teilzu-         Fortbildungen und sozialen Projekten und
nehmen und aus eigener Kraft für ihren        setzen sich auch politisch für die Rechte
Lebensunterhalt zu sorgen. Sie schließen      von Kleinproduzent*innen ein.
sich in der Regel in Genossenschaften zu-
                                              In den letzten Jahren nehmen die Weiter-
sammen, wo sie an allen wichtigen Ent-
                                              verarbeitung der Rohprodukte und ihr Ver-
scheidungen demokratisch beteiligt sind.
                                              trieb im Süden sowie der Handel zwischen
Darunter sind kleine Organisationen mit
                                              verschiedenen Ländern des Südens zu.
ein paar Dutzend Mitgliedern, aber auch
                                              Gleichzeitig sind Produzentengruppen aus
sehr große Genossenschaften, die von meh-
                                              dem Norden hinzugekommen, wie z. B. die
reren zehntausend Mitgliedern getragen
                                              Molkereigenossenschaft Berchtesgadener
werden. Einige vertreiben nur einen kleinen
                                              Land. Über die Herstellung ihrer Waren hin-
Teil ihrer Produktion über den Fairen Han-
                                              aus sind viele Produzentenorganisationen
del, andere wiederum fast den kompletten
                                              in Nord und Süd auch im Bereich der politi-
Ertrag.
                                              schen Lobbyarbeit aktiv und vernetzen sich
                                              mit anderen Organisationen, die sich für
                                              eine nachhaltige Entwicklung einsetzen.

10 / 100 % FAIR                                                             FAIRER HANDEL WIRKT
APROLMA
                      in Honduras
                      Wie aus Kaffeebäuerinnen
                      Unternehmerinnen werden

FAIRER HANDEL WIRKT                              100 % FAIR / 11
Im Kaffeesektor sind Frauenorganisatio-       um das überschüssige Regenwasser aufzu-
nen äußerst selten. Eine von ihnen ist die    fangen und die Erosion zu verhindern. Um
Kooperative APROLMA (Asociación de Pro-       die Folgen des Klimawandels abzumildern,
ductoras Libres de Marcala) in der Region     werden die Bäuerinnen beraten, wie sie die
Marcala in Honduras. Die Frauen gründe-       Blätter behandeln, die Bewirtschaftung der
ten ihren Verband 2013, um sich für ihre      Fincas planen und Bäume pflanzen. Fast
Rechte einzusetzen. In einer stark von        alle Mitglieder haben bereits ein Bio-Zer-
Männern dominierten Gesellschaft muss-        tifikat für ihr Land. APROLMA gibt unent-
ten sie viel Durchsetzungskraft beweisen.     geltlich Bio-Dünger und Setzlinge an die
Mit dem Anbau und der Weiterverarbeitung      Mitglieder ab. Der Kaffee wird in Gärten mit
ihres hochwertigen Kaffees haben sie sich     Schattenbäumen angebaut, die die Erosion
mehr Unabhängigkeit erkämpft und wur-         verhindern und die Kaffeekirschen vor zu
den sogar zu Pionierinnen des Bioanbaus in    viel Sonne schützen.
ihrer Region. Die Frauenkooperative bietet
ihren Mitgliedern vielfältige Weiterbildun-
                                              Mehr Chancen für Frauen durch
gen an. Neben der landwirtschaftlichen        Weiterbildung
Schulung und der Fortbildung in Men-          Das Beispiel von APROLMA zeigt auch,
schen- und Frauenrechten stehen inzwi-        wie Frauen im Fairen Handel ihre Chancen
schen auch das Führen eines eigenen Betrie-   durch Weiterbildung erhöhen können. Der
bes und die Organisation von Arbeitsabläu-    Verkauf des Kaffees ist wichtig für das Fami-
fen auf dem Plan. So können die Frauen ihr    lien-Einkommen. Um den Produzentinnen
Wissen und ihre Fähigkeiten weiter aus-       mehr Wertschöpfung vor Ort zu ermögli-
bauen. Das wirkt sich auch auf zukünftige     chen, haben das Fair-Handels-Unterneh-
Generationen aus. Viele Töchter erhielten     men GEPA und APROLMA gemeinsam ein
bereits eine bessere Ausbildung. Sie sind     „Röstprojekt“ gestartet. Das ist immer noch
zum Beispiel als Juristin oder Betriebswir-   eine Seltenheit auf dem Kaffeemarkt. Insge-
tin tätig und bauen zugleich Kaffee an.       samt zwölf Frauen haben sich weitergebil-
                                              det und alle Arbeitsschritte erlernt, die für
Vorreiterinnen der ökologischen               das Rösten, die Qualitätssicherung bis hin
Landwirtschaft                                zum Verpacken und Etikettieren notwen-
Für die Frauen von APROLMA stand von          dig sind. Die Frauen produzieren seit 2018
Anfang an fest, dass ihr Leben und Arbei-     ihren eigenen regalfertigen Kaffee in einer
ten in Harmonie mit der Natur stattfinden     kleinen Verarbeitungsanlage in Marcala.
und diese bewahren soll. In den Kaffeegär-    Dies sorgt für mehr Beschäftigung – in der
ten haben die Frauen etwa Gräben gezogen,     Kooperative und in den Zulieferbetrieben.

12 / 100 % FAIR                                                              FAIRER HANDEL WIRKT
Auf dem Weg zum gemeinsamen Kleinun-
ternehmen qualifizieren die Frauen sich
weiter und erhalten durch das Verpacken
und Etikettieren ein Zusatzeinkommen.

Mehr Wertschöpfung im
Ursprungsland
Die Frauenkooperative verkauft ihren Kaf-
fee überwiegend an den Fairen Handel.
Dadurch, dass die Mitglieder von APROLMA
den Kaffee selbst rösten und verpacken,
erhalten sie nicht nur faire Preise und Bio-
Prämien, sondern insgesamt einen höhe-         Gladyx Hernández
ren Preis für ihr Produkt. Im Vergleich zu     Präsidentin von APROLMA
einem konventionellen Kaffee, der nur zum      Hier erzählt Gladyx Hernández, wie die Ent-
Weltmarktpreis und als Rohware einge-          scheidung für das gemeinsame Röstprojekt mit
kauft wird, bleibt im Falle von APROLMA        der GEPA zustande kam:
fast dreimal so viel Geld im Land. Doch das
                                               „APROLMA ist eine demokratisch organisierte
Röstprojekt schafft nicht nur mehr Einkom-
                                               Genossenschaft, also haben die Mitglieder
men und Selbstbewusstsein. Es bietet auch      gemeinsam darüber entschieden, ob sie diesen
den Kindern der Bäuerinnen neue Chan-          Schritt gehen wollen. Wir haben über Kosten
cen durch eine bessere Schulbildung. Für       und Preise diskutiert. Außerdem sprachen wir
die Zukunft ist der Aufbau einer eigenen       darüber, was wir importieren müssten, wie
Verarbeitungsanlage für die Frauen von         z. B. Etiketten und Verpackungen. Wir haben
APROLMA geplant.                               schließlich eine Chance darin gesehen, uns
                                               geeinigt und dafür entschieden. Insbesondere
                                               jüngere Mitglieder waren dafür.“
   APROLMA - Steckbrief
                                               Inzwischen sind zwölf Frauen ausgebildet
    Name: APROLMA (Asociación de
                                               worden.
    Productoras Libres de Marcala)
    Produkte: Bio Arabica-Kaffee               „Die Frauen wurden in drei Versammlungen
                                               aus den insgesamt 69 Mitgliedern ausgewählt.
    Ort: Region Marcala, Honduras
                                               Engagement, Zeit und der Wunsch zu lernen
    Organisationsform:                         waren die ausschlaggebenden Kriterien. Ich
    Frauenkooperative                          habe selbst an der Schulung teilgenommen.
    Mitglieder: 64 Frauen                      Neben dem Rösten an sich und Qualitäts-
    Tätig seit: 2013                           kontrolle umfasste die Ausbildung auch den
    Im Fairen Handel seit: 2015                Umgang mit rechtlichen Themen. Weiter ging
    Absatzmärkte: Die Frauenkooperative        es mit Verkosten, Verpacken, Abfüllen und
    verkauft ihren Bio Arabica-Kaffee über-    Etikettieren. Der praktische Teil umfasste ins-
    wiegend an den Fairen Handel.              gesamt 60 Stunden. Dabei lag der Schwerpunkt
                                               vor allem darauf, zunächst zwei, später dann
                                               zwei weitere Röstmeisterinnen auszubilden.“

                                               Weitere Informationen unter:
                                               www.gepa.de/mehr-wertschoepfung

FAIRER HANDEL WIRKT                                                                 100 % FAIR / 13
ANAPQUI
In Bolivien
Quinoa-Produzent*innen trotzen dem Klimawandel

14 / 100 % FAIR                                  FAIRER HANDEL WIRKT
Wer im kargen bolivianischen Hochland         Außerdem profitieren die Mitglieder von
lebt, ist den Launen der Natur nahezu         ANAPQUI in technischer Hinsicht. So
schutzlos ausgeliefert. Auf etwa 3.500 m      erhalten Sie beispielsweise Beratung zur
Höhe herrscht ein extremes Wetter. Pro Jahr   Anpassung an die Folgen des Klimawan-
fallen gerade einmal 250 Liter Regen pro      dels, Weiterbildung in den Bereichen Buch-
m², im Vergleich dazu sind es in Deutsch-     haltung und Verwaltung sowie beim Ver-
land 700. Zudem weht ein starker Wind.        trieb. In den letzten Jahren ist die weltweite
Nachts liegen die Temperaturen oft unter      Nachfrage nach Quinoa stark angestiegen
dem Gefrierpunkt, am Tag erreichen sie        – auch in Bolivien selbst. Da Quinoa zur-
höchstens 15 Grad, je nach Höhenlage sogar    zeit sehr im Trend liegt, gehen manche Fir-
deutlich weniger. Doch eine Pflanze trotzt    men dazu über, sie in großem Stil und ohne
diesen widrigen Bedingungen: Die Quinoa.      Rücksicht auf die karge Landschaft anzu-
Das sogenannte „Wunderkorn der Inka“ ist      bauen. Die Mitglieder von ANAPQUI legen
sehr vielfältig einsetzbar, nährstoffreich    hingegen großen Wert auf einen nachhalti-
und benötigt kaum Pflege. Quinoa ist seit     gen Anbau. Um den Boden nicht auszulau-
etwa 5.000 Jahren als Kulturpflanze in        gen, wird immer nur ein Drittel der vorhan-
den Anden bekannt. Ihr Gehalt an Eiweiß,      denen Ackerfläche bepflanzt.
Mineralien, Vitaminen und ungesättigten
Fettsäuren übertrifft alle europäischen
                                              Herausforderungen durch den
Getreidearten und sicherte damit über viele   Klimawandel
Jahrtausende das Überleben der Menschen       Doch die Quinoa-Bäuer*innen stehen vor
in den Anden.                                 großen Herausforderungen. Denn der Kli-
Außer dem Anbau von Quinoa bietet die         mawandel hat Bolivien mit voller Härte
karge Landschaft kaum andere Einkom-          erwischt. Zum einen nehmen die Nieder-
mensmöglichkeiten. Doch lange hatten die      schläge in der Regenzeit immer weiter ab,
Bauern keinen Markt für ihr Produkt. Um       zum anderen hat der Wind zugenommen.
ihr „Wunderkorn“ vor dem Vergessen zu         Der Wasserspiegel des Lago Poopo, einst der
bewahren und gemeinsam Verbesserun-           zweitgrößte See des Landes, schwankt sehr
gen beim Anbau und der Vermarktung zu         stark und zeitweise ist er ganz ausgetrock-
erreichen, schlossen sich acht – hauptsäch-   net. Das Wasser des Sees war zwar immer
lich indigene – Genossenschaften aus dem      schon sehr salzig und eignete sich nicht zur
südlichen Hochland Boliviens 1983 zum         Bewässerung, doch die Verdunstung sorgte
Dachverband ANAPQUI (Asociation Nacio-        für etwas Feuchtigkeit im Hochland. Nun ist
nal de Productores de Quinoa) zusammen.       es noch trockener, was den Quinoa-Anbau
Der Faire Handel ermöglichte es ihnen,        noch schwieriger macht. Auch der heftige
Quinoa nach Europa zu exportieren, später     Wind bereitet große Probleme, besonders
sogar in Bioqualität. Für die Bäuer*innen     zur Aussaatzeit im September. Er fegt Sand
bietet die Mitgliedschaft große Vorteile.     und Staub über die Ebene, wodurch die
Durch die Vermarktung über den Fairen         kleinen Triebe verschüttet werden. Scheint
Handel kann ANAPQUI höhere Preise als         dann die erbarmungslose Sonne auf den
auf dem Weltmarkt üblich zahlen und bei       Sand, heizt dieser sich auf und verbrennt
Bedarf auch eine Vorfinanzierung der Ernte    förmlich die kleinen Triebe.
ermöglichen.

FAIRER HANDEL WIRKT                                                               100 % FAIR / 15
Mit Nutzpflanzen gegen den                   Eine andere Pflanze verliert im Winter ihre
Klimawandel                                  Blätter, so dass die karge Erde ein wenig
                                             gedüngt wird. Viele Landwirt*innen halten
Den     seit   Generationen    betriebenen
                                             auch Lamas. Diese Viehherden sind wichtig,
Quinoaanbau aufzugeben, ist für die
                                             um die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhal-
Kleinbäuer*innen von ANAPQUI jedoch
                                             ten. Oft wird auf einer Fläche ein Jahr lang
keine Option. Stattdessen entwickeln sie
                                             Quinoa kultiviert und im darauffolgenden
Maßnahmen, um sich an die veränderten
                                             Jahr stehen die Lamas auf der Fläche.
klimatischen Bedingungen anzupassen.
Dafür hat ANAPQUI das Forschungsinstitut
PROQUINAT gegründet. Es beschäftigt 12         ANAPQUI - Steckbrief
Techniker*innen und Agrarökonom*innen,
                                               Name: Asociation Nacional de
die die Kleinbäuer*innen beraten, z. B. im     Productores de Quinoa
Hinblick auf Anpassungsmöglichkeiten an
                                               Produkte: rote, schwarze und weiße
die veränderten klimatischen Bedingun-
                                               Quinoa, überwiegend in Bio-Qualität
gen, Fortbildungen organisieren und ver-
                                               Ort: La Paz, Bolivien
besserte Produktionsmethoden erforschen.
Der Klimawandel ist ein großes Problem         Organisationsform:
                                               Kooperativen-Dachverband
und der Wind setzt den Bauern enorm zu.
Daher haben sie beispielsweise anspruchs-      Mitglieder: Acht Kleinbauerngenos-
lose Pflanzen gezüchtet, die unter den ex-     senschaften, die rund 2.000 Familien
                                               in 90 Gemeinden vertreten
tremen Bedingungen gedeihen. Eine dieser
Pflanzen setzen die Bäuer*innen nun im         Tätig seit: 1983
Abstand von 100 Metern als Schutzwälle in      Im Fairen Handel seit: 1988
die Äcker, um damit die starken Winde zu       Absatzmärkte: Europa ist für
bremsen. Die Blätter der Muña Muña zum         ANAPQUI der größte Absatzmarkt –
Beispiel sind gut bei Verdauungsproblemen      40 % des Exportes werden über den
und bei gereizten Atemwegen und ihr Duft       Fairen Handel vertrieben, der Rest
wehrt Schädlinge ab.                           größtenteils über den Bio-Markt.
                                               Website: www.anapqui.org.bo

16 / 100 % FAIR                                                              FAIRER HANDEL WIRKT
PANAY
           FAIR TRADE
           CENTER
           Auf den Philippinen
           Stärkung von Kleinbäuer*innen
           durch Handel und politische Arbeit

FAIRER HANDEL WIRKT                             100 % FAIR / 17
Für die meisten Menschen auf den Philippi-    Ein besonderer Fokus des PFTC, das 1991
nen stellt die Arbeit in der Landwirt-        aus der philippinischen Frauenbewegung
schaft die Haupteinnahmequelle dar. Viele     KABALAKA hervorgegangen ist, liegt auf
Kleinbäuer*innen sind jedoch der Willkür      der Stärkung von Frauen. Sie sind sowohl
von Großgrundbesitzer*innen ausgesetzt,       bei PFTC als auch in den lokalen Mitglieds-
die Politik und Wirtschaft dominieren und     kooperativen in allen Gremien vertreten.
auch den größten Teil der Agrarflächen be-
sitzen. Ohne eigenes Land müssen viele
Kleinbäuer*innen – oft unter unmensch-
lichen Bedingungen – auf großen Farmen
arbeiten oder als Kleinpächter*innen den
Großteil ihrer bescheidenen Einkommen
an die Landbesitzer*innen entrichten. Das
Panay Fair Trade Center (PFTC) auf der
philippinischen Insel Panay hat zum Ziel,
durch Handel und politische Arbeit eine
strukturelle Veränderung der Situation
für Kleinproduzent*innen auf dem Land
und für verarmte Bevölkerungsgruppen
in der Stadt herbeizuführen, um so ihre
Lebens- und Arbeitsbedingungen zu ver-
bessern. PFTC ist eine Vermarktungs- und
Beratungsorganisation für die Basisgrup-
pen, die gleichzeitig Träger von PFTC sind.   Politische Arbeit ist
Neben der Frauenorganisation „Gabriela“       lebensgefährlich
zählen auch Kleinbauernkooperativen, die      Über die konkrete Unterstützung in Bezug
Bananen, Zuckerrohr, Ingwer und weitere       auf Produktion und Vermarktung hinaus
landwirtschaftliche Produkte anbauen          trägt das PFTC auch durch vielfältige Kam-
dazu. Sie werden von PFTC beraten, z. B.      pagnen und Serviceleistungen zur Stärkung
bei der Umstellung auf ökologischen Land-     der Mitgliedsgruppen bei. Die Organisation
bau sowie zu Landrechtsfragen und in der      führt z. B. Veranstaltungen und Trainings-
Organisationsentwicklung. Darüber hinaus      programme im Bereich der politischen Bil-
organisiert PFTC die Weiterverarbeitung       dung durch mit dem Ziel, benachteiligten
bzw. Verpackung der Produkte, was über-       Kleinbäuer*innen – darunter vor allem den
wiegend von Frauen aus städtischen Slum-      Frauen – eine Stimme zu geben. Ein wich-
gebieten übernommen wird, sowie den Ver-      tiges Thema dabei ist die Forderung nach
trieb und Export über den Fairen Handel.      einer umfassenden Landreform, die die
Der Anbau und die Weiterverarbeitung der      ungerechten Besitzverhältnisse abschaf-
Produkte verbindet und stärkt somit be-       fen und Kleinbäuer*innen bessere Chan-
nachteiligte Kleinbäuer*innen auf dem         cen einräumen soll, sich auf dem Markt zu
Land und Menschen in den städtischen          behaupten.
Armutsvierteln und schafft Einkommens-
möglichkeiten für sie.                        Genau das ist den mächtigen und einfluss-
                                              reichen Familienclans der Region jedoch
                                              ein Dorn im Auge.

18 / 100 % FAIR                                                             FAIRER HANDEL WIRKT
Sie fürchten um ihre Privilegien und           Der sogenannte „Drogenkrieg“ hat zusätz-
behindern die Arbeit der Kooperativen          lich Tausende Menschen auf den Philippi-
und Kleinbäuer*innen, z. B. durch Sabo-        nen das Leben gekostet.
tage und Einschüchterungsversuche. So
wurden bereits mehrfach Brandanschläge
                                               Eigene Weiterverarbeitung erhöht
auf Zuckerrohrmühlen verübt und auch           Wertschöpfung und Transparenz
vor politisch motivierten Morden schre-        Für das PFTC und die angeschlossenen
cken die Clans nicht zurück. 2014 wurden       Kleinkooperativen ist es wichtig, die Wei-
zwei PFTC-Mitglieder – der damalige Vor-       terverarbeitung der eigenen Produkte
standvorsitzende Romeo Capalla und der         weitgehend in den eigenen Händen zu hal-
Bauer Dionisio Garete – auf offener Straße     ten, z. B. durch den Bau und Betrieb eige-
erschossen. Die frühere PFTC-Vorstandvor-      ner Zuckermühlen. Zum einen erhöht sich
sitzende Ruth Fe Salditos wurde als „Terro-    dadurch für die Kleinproduzent*innen
ristin“ beschuldigt und steht seitdem unter    die Wertschöpfung, was in einer Region,
Beobachtung. Ihr Ehemann, Felix Salditos,      die kaum Einkommensmöglichkeiten bie-
sowie sechs Mitstreiter*innen wurden am        tet, ein wichtiger Faktor ist. Außerdem
15. August 2018 ermordet. Sie waren auf        macht die eigene Weiterverarbeitung die
der Insel Panay unterwegs, um der Zerstö-      Kleinbäuer*innen unabhängig von Zwi-
rung von Slums und steigenden Preisen für      schenhändlern, denen sie ihre Rohprodukte
Grundnahrungsmittel nachzugehen sowie          verkaufen müssten. Und schließlich bringt
die Armutssituation von Fischern und           die Weiterverarbeitung und Verpackung
Arbeiter*innen auf den Zuckerrohrplanta-       einen weiteren Vorteil mit sich, der auch für
gen vor Ort zu untersuchen. Diese politi-      die Verbraucher*innen von großem Wert
schen Morde wurden bis heute nicht aufge-      ist: Sie macht den sogenannten Mengen-
klärt. Die genannten Fälle sind leider keine   ausgleich, der laut Fairtrade-Richtlinien bei
Ausnahme: Die Menschenrechtslage auf           Zucker erlaubt ist, überflüssig. Das heißt,
den Philippinen hat sich seit der Amtsein-     die Produzent*innen müssen ihr Zucker-
führung des Präsidenten Rodrigo Duterte        rohr nicht an eine große Fabrik liefern, wo
noch einmal sehr verschlechtert. Polizei       er gemeinsam mit Zuckerrohr von Groß-
und Militär gehen nicht nur massiv gegen       farmen vermischt wird. Stattdessen stellen
diejenigen vor, die sich für Menschen- und     sie ein zu 100 % fair gehandeltes Produkt
Kleinbauernrechte einsetzen.                   her.

FAIRER HANDEL WIRKT                                                               100 % FAIR / 19
100 x 1.000 – Nachhaltige Katastro-          Durch die neue Genossenschaft konnte dau-
phenhilfe durch Weltläden nach               erhaft Arbeit für mehrere hundert Familien
Wirbelsturm                                  in einer benachteiligten Region geschaf-
                                             fen werden. Gleichzeitig war sie ein poli-
Ende 2013 richtete der Taifun Haiyan in
                                             tisches Signal an die lokalen Machthaber,
weiten Teilen der Philippinen große Ver-
                                             dass Kleinbäuer*innen mit Hilfe des Fairen
wüstungen an. Mehr als 8.000 Menschen
                                             Handels ihre Zukunft selbst in die Hand
kamen ums Leben, über vier Millionen wur-
                                             nehmen können.
den obdachlos und viele Kleinbäuer*innen
verloren ihre Existenzgrundlage. Im Zuge
der Katastrophenhilfe für die Taifunopfer      Panay Fair Trade Center
im Norden der Insel Panay entstand in         - Steckbrief
Zusammenarbeit mit der dwp eG Fairhan-         Name: Panay Fair Trade Center
delsgenossenschaft (heute WeltPartner
                                               Produkte: Bananenchips, Mascobado-
eG) in Ravensburg der Plan, mit der Grün-      Zucker, gezuckerte Ingwer-Würfel,
dung einer neuen Genossenschaft und dem        Ananas, Mangos
Aufbau einer eigenen Zuckerrohrmühle
                                               Ort: Iloilo, Insel Panay, Philippinen
den betroffenen Familien eine nachhaltige
                                               Organisationsform: GmbH, die von
Einkommensmöglichkeit zu schaffen. Im
                                               den Mitgliedskooperativen und der
Rahmen der daraufhin initiierten Kampa-
                                               Frauenorganisation „Gabriela“ getragen
gne „100 x 1.000“ spendeten 100 Weltläden
                                               wird.
aus Deutschland und Österreich je 1.000
                                               Mitglieder: 9 Kooperativen
Euro für den Bau der Mühle, die es den
                                               Tätig seit: 1991
Bäuer*innen nun ermöglicht, ihr Zucker-
rohr eigenständig weiterzuverarbeiten und      Im Fairen Handel seit: 1992
so eine höhere Wertschöpfung zu erzielen.      WFTO-Mitglied
Die Mühle konnte bereits im April 2015 in
Betrieb genommen werden. Der fertig verar-
beitete Vollrohrzucker wird über Weltläden
in Deutschland und Österreich vermarktet.

20 / 100 % FAIR                                                              FAIRER HANDEL WIRKT
YADAWEE
       IN ÄGYPTEN
      Traditionelles Handwerk
      und modernes Marketing

FAIRER HANDEL WIRKT             100 % FAIR / 21
Ägyptisches Kunsthandwerk hat eine lange        Denn für Yadawee ist klar, dass eine erfolg-
Tradition. Produkte aus Glas, Alabaster und     reiche internationale Vermarktung der
Holz sowie Textilien gehören zur ägypti-        Waren nur über eine hohe Produktquali-
schen Kulturgeschichte und haben im Laufe       tät gelingen kann. Die regelmäßigen Trai-
der Jahrhunderte eine hohe Qualität und         nings für die Handwerker*innen betreffen
Vollendung erreicht. Doch die Wertschät-        alle Fragen der Produktion und Vermark-
zung für die Produkte und damit einherge-       tung, vom Design über kaufmännische
hend auch das Wissen über deren Herstel-        Aspekte und Qualitätskontrolle bis hin zu
lung haben in den letzten Jahren deutlich       Messepräsentationen.
abgenommen. Stattdessen bevorzugen
viele Kund*innen eher billige Produkte oder
Waren aus dem (westlichen) Ausland.
Die ägyptische Vermarktungsorganisation
Yadawee hat es sich zur Aufgabe gemacht,
ägyptisches Kunsthandwerk zu erhalten
und weiterzuentwickeln sowie internati-
onal zu vertreiben. Yadawee wurde 2003
von Hisham El Gazzar und Tarek Sheta
gegründet und hat heute zehn Ange-
stellte. Die Firma versteht sich explizit als
gewinnorientiertes Unternehmen, für das
die Verbesserung der Lebens- und Arbeits-
bedingungen der Produzent*innen jedoch
ein zentrales Anliegen ist. Auf diese Weise
will Yadawee auch jungen Menschen eine
Perspektive schaffen, die ihre Zukunft
in der Regel nicht im Kunsthandwerk
sehen und andere Berufe ergreifen oder
abwandern. Yadawee bedeutet übersetzt
„handgemacht“.
Yadawee arbeitet landesweit mit rund 100
Kunsthandwerker*innen eng zusammen,
die sich auf zehn Gruppen verteilen. Sie        „Ich bin froh über die Zusammenarbeit mit
stellen u. a. hochwertige und aufwendig         Yadawee. Die Organisation hat mir geholfen,
verzierte Glasgefäße, Schalen aus Alabas-       meine Kreativität weiterzuentwickeln. Ich
ter sowie Webwaren wie Schals und Tisch-        erarbeite nun neue Designs und kombiniere
decken her. Die Handwerkergruppen exis-         andere Farben, während ich gleichzeitig die
tieren teilweise schon länger, als es Yadawee   alten Techniken und Geräte für das Weben
gibt, aber durch die enge Zusammenar-           verwende“, erzählt beispielsweise Adel
beit mit der Vermarktungsorganisation           Habashi, der im Dorf Naqada Webwaren
profitieren sie auf vielfältige Weise. An       für Yadawee herstellt.
oberster Stelle steht die Weiterbildung der
Kunsthandwerker*innen.

22 / 100 % FAIR                                                                FAIRER HANDEL WIRKT
Wichtig für eine hohe Produktqualität sind      Es hat sich bereits früh der MADE51-Ini-
außerdem sichere und gute Arbeitsbedin-         tiative angeschlossen. Die Initiative gibt
gungen, weswegen Yadawee in den ver-            verschiedenen Projekten mit Geflüchteten
gangenen Jahren in die Produktionsstätten       einen Rahmen und unterstützt die Ver-
investiert hat. Bei der Produktion achten       marktung der Produkte.
die Handwerker*innen außerdem auf öko-          Und wie steht es bei Yadawee um wichtige
logische Aspekte. So verwenden sie viele        Grundprinzipien des Fairen Handels wie
natürliche Rohstoffe und recycelte Materi-      z. B. die demokratische Struktur der Organi-
alien wie z. B. Altglas. Ein weiterer Punkt,    sation und die Bezahlung? Gründer Hisham
der Yadawee wichtig ist, ist die Förderung      El Gazzar betont, dass Fragen rund um die
der Frauen. Die Gleichberechtigung der          Produktentwicklung und die Weiterbil-
Geschlechter ist ein wichtiges Prinzip im       dungen mit den Produzent*innen bespro-
Umgang untereinander. Frauen nehmen             chen und im Team gemeinsam entschieden
selbstverständlich an Weiterbildungs-           werden. „Bei uns wird Teamarbeit groß
maßnahmen teil. Die Vermarktung ihrer           geschrieben“, sagt er. Die Bezahlung der
Produkte verschafft ihnen Einkommens-           Handwerker*innen erfolgt monatlich oder
möglichkeiten und stärkt ihre Rolle in der      bei der wöchentlichen Übergabe der pro-
Gemeinschaft.                                   duzierten Waren. Sie liegt über dem Durch-
Seit 2014 arbeitet Yadawee am Projekt           schnitt dessen, was andere Arbeiter*innen
Nilufrat mit. Mehr als 15 geflüchtete Frauen    für vergleichbare Aufgaben erhalten. Darü-
aus Syrien und dem Sudan arbeiten mitt-         ber hinaus erhalten die Handwerker*innen
lerweile in dem Projekt. Sie stellen in Kairo   für die Beschaffung der Rohmaterialien
Baumwoll-Kollektionen mit Wohntextilien         entweder eine Vorfinanzierung oder sie
und Schals her. Nach anfänglicher Beratung      bekommen die Materialien von Yadawee
durch den UNHCR trägt sich das Projekt          kostenlos zur Verfügung gestellt.
heute unter der Leitung von Yadawee selbst.

FAIRER HANDEL WIRKT                                                               100 % FAIR / 23
Für ein erfolgreiches Unternehmen ist ein
professionelles Marketing essenziell. Yada-   Yadawee - Steckbrief
wee vertreibt die Produkte zum einen direkt   Name: Yadawee
in Ägypten und hat dafür in Kairo einen       Produkte: Webwaren, Glas- und
Showroom eingerichtet. Die internationale     Alabaster-Produkte
Vermarktung erfolgt über Wiederverkäu-        Ort: Kairo, Ägypten
fer, wobei der Faire Handel ein wichtiger
                                              Organisationsform: Kommandit-
Vertriebszweig ist. Um die internationale
                                              gesellschaft (KG)
Bekanntheit zu erhöhen, stellt Yadawee
                                              Mitglieder: Zusammenarbeit mit
seine Produkte bei großen Messen aus, wie
                                              10 Gruppen mit insgesamt rund 100
beispielsweise bei der Konsumgütermesse
                                              Kunsthandwerker*innen
Ambiente in Frankfurt/Main, wo das Unter-
                                              Tätig seit: 2003
nehmen bereits mehrmals vertreten war.
                                              Im Fairen Handel seit: 2003
Die politischen und gesellschaftlichen
                                              Absatzmärkte: 95 % Export,
Umbrüche der letzten Jahre in Ägypten
                                              davon 75 % über den Fairen Handel;
haben die Produktions- und Vermark-
                                              nationaler Markt 5 %
tungsmöglichkeiten für Yadawee stark
                                              Website: www.yadawee.com
beeinträchtigt. Das Unternehmen musste
deutliche Umsatzrückgänge hinnehmen.
Die Vermarktung über den Fairen Handel
kann zur Stabilisierung und Weiterentwick-
lung des Unternehmens beitragen – und
damit bessere Zukunftsperspektiven für die
Produzent*innen schaffen.

24 / 100 % FAIR                                                             FAIRER HANDEL WIRKT
FAIR GEHANDELTE PRODUKTE
AUS DEM NORDEN?
Die Fair-Handels-Bewegung hat ihre Wur-         Gemeinsame europäische Agrarpo-
zeln im Kampf gegen Ungerechtigkeiten           litik fördert große Betriebe
im Handel zwischen Globalem Norden und
                                                Die europäische Agrarpolitik kommt vor
Süden. Da Kleinproduzent*innen jedoch
                                                allem großen landwirtschaftlichen Betrie-
auch im Norden zunehmend strukturell
                                                ben zugute. Auch in Deutschland sind die
benachteiligt werden, stellt sich die Frage
                                                Auswirkungen dieser verfehlten Politik zu
gerechter Handelsstrukturen inzwischen
                                                spüren: Durch den Preisverfall von Roh-
global. Denn ökonomische Unterschiede
                                                stoffen und Lebensmitteln stehen immer
zwischen Staaten verlieren durch die fort-
                                                mehr bäuerliche Existenzen auf dem Spiel.
schreitende Globalisierung immer mehr an
                                                In den letzten zwanzig Jahren hat sich die
Bedeutung. Parallel dazu nimmt das ökono-
                                                Zahl der Höfe hierzulande halbiert. Einzi-
mische Gefälle innerhalb von Gesellschaf-
                                                ger „Vorteil“ für Bauernfamilien im Globa-
ten zu.
                                                len Norden: Meistens gibt es für sie funk-
Fairer Handel für Produzent*innen               tionierende staatliche Sicherungssysteme,
aus dem Globalen Norden                         was im Globalen Süden in der Regel nicht
                                                zutrifft.
Auch wenn die Situation bäuerlicher
Produzent*innen und Arbeiter*innen im           Mit dem Höfesterben zerfallen zunehmend
Süden und Norden sehr unterschiedlich           auch ländliche Regionen und Kulturland-
ist, sollten sie überall von ihrer Arbeit gut   schaften. Viele Bäuer*innen leiden unter
leben und nachhaltig produzieren können.        dem permanenten Wachstumsdruck, der
Ein gerechteres Handelssystem, das sozi-        auf ihnen lastet. Folgeerscheinungen dieser
ale und ökologische Leitplanken für die         Situation sind schlechte Arbeitsbedingun-
Globalisierung setzt, muss also weltweit        gen in der Landwirtschaft. Besonders dras-
greifen. Die Diskussion über den Bedarf         tisch zeigt sich diese Entwicklung an der
einer solchen Erweiterung des Fairen Han-       Ausbeutung von Saisonarbeitskräften wie
dels wurde in den letzten Jahren intensiv       zum Beispiel in Italien und Spanien.
geführt. Die World Fair Trade Organization                         „Öko-Landbau hat nur
hat 2017 entschieden, dass auch Organisa-                          dann Zukunft, wenn die
tionen von Kleinproduzent*innen aus dem                            Bauern davon leben kön-
Globalen Norden Mitglied werden können.                            nen. Daher brauchen wir
Das Forum Fairer Handel hat 2019 ein Posi-                         faire Partnerschaften – in
tionspapier dazu verabschiedet. Im Sys-                            den Ländern des Südens
tem von Fairtrade International ist hinge-                         sowie bei uns.“
gen klar festgeschrieben, dass Produkte,        Hubert Heigl
die das Fairtrade-Siegel tragen, aus einem      Öko-Bauer und Naturland Präsident
sogenannten Entwicklungsland kommen
müssen.

FAIRER HANDEL WIRKT                                                                 100 % FAIR / 25
Wachsender Preisdruck im                       Öko, Sozial und Fair aus einer Hand
Bio-Bereich                                    – die Naturland Fair Zertifizierung
Auch der Bio-Bereich bietet nicht immer        Die Naturland Fair Zertifizierung bringt
eine    ausreichende     Absicherung     für   ökologischen Anbau, soziale Verantwor-
Bäuer*innen. Die steigende Nachfrage           tung und Fairen Handel in einem Siegel
führt zu einem ähnlichen Preisdruck durch      zusammen. Naturland Fair Produkte wer-
den Handel wie auf dem konventionellen         den nach den strengen Naturland Öko-,
Markt. Während große Lebensmitteleinzel-       Sozial- und Fair-Richtlinien angebaut, ver-
händler Milliardengewinne einfahren, kön-      arbeitet und in allen Schritten fair gehan-
nen viele Bäuer*innen kaum noch die Pro-       delt. Dabei werden auch Erzeuger*innen
duktionskosten decken. Angesichts dieser       aus dem Norden einbezogen. Durch Misch-
Entwicklung gewinnt die bio-faire Alter-       produkte, wie öko-faire Milchschoko-
native für die bäuerliche Landwirtschaft an    lade entstehen Synergieeffekte für Süd-
Bedeutung. Deren Ziel ist eine gerechte und    und Nord-Produzent*innen, z. B. erschlie-
angemessene Entlohnung der Bäuer*innen         ßen sich neue Absatzmärkte für Süd-
und die Existenzsicherung von benachtei-       Produzent*innen. Zudem erlaubt die Er-
ligten Produzent*innen. Mit langfristigen      gänzung um geeignete Zutaten aus dem
Partnerschaften und einem fairen Preis will    Norden eine Annäherung an das Ziel, Pro-
sie dem Preisdruck entgegenwirken und          dukte anzubieten, die zu 100 % fair sind.
dazu beitragen, dass die Leistung der bäu-     Für die Bäuer*innen im Norden kann die
erlichen Landwirtschaft und deren Erzeug-      Fair-Zertifizierung, und damit die Zahlung
nisse stärker honoriert werden. Wichtige       angemessener Preise, dem Höfesterben ent-
Aspekte dieses Konzeptes sind Regionalität     gegenwirken. Auch der Erhalt und die Stär-
und die Förderung der bäuerlichen Land-        kung kleiner Betriebe im Norden sind Ziele
wirtschaft in Abgrenzung zur industriali-      der Fair-Zertifizierung. Denn sie leisten
sierten Variante.                              sehr viel für Umweltschutz und den Erhalt
                                               von Kulturlandschaften sowie im Bereich
                                               gesellschaftlichen Engagements für die
                                               Region.
                                               Die folgenden Beispiele verdeutlichen,
                                               warum Fairer Handel auch im Norden not-
                                               wendig ist und wie er wirkt.

26 / 100 % FAIR                                                              FAIRER HANDEL WIRKT
Die Molkerei Berchtesgadener Land:
Fairer Milchpreis stärkt kleine
Betriebe
Ein großer Teil der Milchviehbetriebe in
Deutschland hat weniger als fünfzig Kühe.
Die EU-Agrarsubventionen bevorteilen
große Betriebe mit viel Fläche, während
Umwelt- und Tierschutzleistungen nicht
ausreichend honoriert werden. Dazu
kommt, dass der konventionelle Milch-
markt ein globaler Markt ist, mit stark        „Seit vielen Jahren kommt immer die gleiche
schwankenden Preisen, die oft nicht die        Familie zur Erntezeit zu uns. Kinderarbeit
Produktionskosten decken. Dem versuchen        gibt es nicht. Die Kinder werden betreut und
die Landwirt*innen durch Investitionen         können in die Schule gehen.“
in größere Ställe für mehr Kühe zu ent-        Behcet Albayrak
kommen. Tatsächlich geraten sie so aber        Naturland Bauer
nur immer tiefer in die Schuldenfalle. Ein
Gegenmodell dazu sind Molkereien, die          Haselnüsse von ISIK aus der Türkei:
partnerschaftliche und langfristige Han-       Es geht auch ohne Kinderarbeit
delsbeziehungen mit den Milchbäuer*innen       Drei Viertel der geernteten Haselnüsse
eingehen. Die genossenschaftlich orga-         weltweit stammen aus der Türkei. Die
nisierte Molkerei Berchtesgadener Land         Haselnussbäuer*innen profitieren davon
bezahlt ihren Erzeuger*innen seit Jahren       am wenigsten. Durch die starke Abhän-
einen überdurchschnittlich hohen und           gigkeit von Zwischenhändlern und einem
fairen Milchpreis. Sie nimmt auch kleinen      Staat, der kleinbäuerliche Strukturen fast
Bauernhöfen in entlegenen und schwer           nicht unterstützt, ist ihr finanzieller Spiel-
erreichbaren Bergregionen die Milch ab.        raum sehr gering. Das wirkt sich dann auch
Das sichert bäuerliche Exis-tenzen und den     auf die Situation der Wanderarbeiter*innen
Fortbestand kleinstrukturierter bäuerlicher    aus. Für die harte Arbeit bei der Hasel-
Landwirtschaft in der Region. Dies ist wich-   nussernte verdienen sie viel zu wenig – so
tig für den Erhalt der Kulturlandschaft.       wenig, dass oft sogar die Kinder mitarbeiten
                                               müssen. Öko-Produktion und Fairer Han-
                           „Fairer Handel
                                               del geben den Menschen wieder eine Pers-
                           heißt für mich,
                                               pektive in der Landwirtschaft. Das Unter-
                           von der Arbeit,
                                               nehmen ISIK in Izmir ist Naturland Fair
                           die ich liebe,
                                               zertifiziert und vermarktet die ökologisch
                           auch vernünftig     und fair produzierten Haselnüsse, Sultani-
                           leben zu können     nen, Feigen, Pflaumen und Aprikosen über
                           und Planungs-       die WeltPartner eG. Die sichere Abnahme
                           sicherheit.         und ein fairer Preis bringen nicht nur den
Damit auch die nächste Generation eine         Bäuer*innen selbst etwas, sondern auch den
Perspektive auf dem Hof hat.“                  Erntehelfer*innen und deren Familien: bes-
Jakob Sichler                                  sere Löhne, sichere Arbeitsbedingungen,
Öko-Milchbauer und Naturland Delegierter aus   gute Unterbringung und Kinderbetreuung.
Grassau (Berchtesgadener Land)

FAIRER HANDEL WIRKT                                                                100 % FAIR / 27
Mani Bläuel: Schafft Perspektiven
für griechische Kleinbäuer*innen
Fritz und Burgi Bläuel kamen in den 60er
Jahren aus Österreich nach Griechenland
und lernten als Erntehelfer*innen die Oli-
venkultur kennen. Daraus entwickelte
sich eine enge Zusammenarbeit mit den
Olivenbäuer*innen aus der Region Mani.
Fritz Bläuel überzeugte die Landwirt*innen
von den Vorzügen der ökologischen Land-
wirtschaft und gründete 1976 das Unter-
nehmen Mani Bläuel. Inzwischen haben
über 300 Bäuer*innen auf ökologischen
Landbau umgestellt und erhalten einen fai-
ren Preis für ihre Ernte.

                               „Gerade in          SpeiseGut: Solidarische Landwirt-
                               ländlichen          schaft schafft Gemeinschaft
                               Regionen wie        Seit 2013 bewirtschaftet Christian Hey-
                               der Mani, in        mann zusammen mit seinem Team zwölf
                               denen noch auf      Hektar gepachtete Fläche in der Nähe
                               traditionelle Art   von Berlin nach den Prinzipien der Soli-
                               und Weise und       darischen Landwirtschaft. Dabei bilden
                               viel per Hand       Erzeuger*innen und Verbraucher*innen
gearbeitet wird, sind faire Preise enorm           eine Gemeinschaft, die auf die Bedürfnisse
wichtig. Eine faire Bezahlung bildet auch          aller ausgerichtet ist – die der Menschen
die Grundlage für den ökologischen Oliven-         wie auch der Umwelt. Bei SpeiseGut wer-
anbau. Er ist die Voraussetzung für eine           den Gemüse, Kräuter und Obst nach öko-
gesunde und lebenswerte Umwelt, fördert            logischen und fairen Naturland Kriterien
die Biodiversität und bedeutet aktiven Was-        angebaut. Die Mitglieder der Verbraucher-
ser- sowie Klimaschutz. Die drei tragenden         gemeinschaft sichern durch Abos ein regel-
                                                   mäßiges und faires Gehalt für Bäuer*innen
Säulen ökologisch, sozial und fair spiegeln
                                                   und Mitarbeiter*innen, welches alle Kos-
die Essenz unseres wirtschaftlichen Han-
                                                   ten der Landwirtschaft deckt. Im Gegen-
delns – die Wertschätzung von Mensch und
                                                   zug bekommen sie Anteile der Ernte. Doch
Natur – perfekt wider. Das Unternehmen
                                                   nicht nur das – mehrmals im Jahr stehen sie
Mani Bläuel wurde gegründet, um mehr
                                                   auch selbst mit auf dem Acker. Der direkte
Menschen in der Mani ein gutes Leben zu            Kontakt stärkt nicht nur die Gemeinschaft,
ermöglichen. Seit 40 Jahren arbeiten wir mit       sondern gibt auch wertvolles Wissen weiter
den Maniot*innen zusammen, tragen so zum           und die Menschen erleben direkt, wie öko-
Erhalt des traditionellen Olivenanbaus bei         logische Landwirtschaft funktioniert. Das
und schaffen sinnvolle Arbeitsplätze.“             zeigt Christian Heymann auch immer wie-
Felix Bläuel                                       der gerne Kindern, die SpeiseGut besuchen.
Junior-Chef des Familienunternehmens Mani          Die Solidarische Landwirtschaft fördert
Bläuel in Griechenland
                                                   eine bäuerliche und vielfältige Landwirt-
                                                   schaft, die auf Zusammenhalt basiert.

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