Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog

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Kein Spitzenplatz für Ärzte und Spitäler Seite 4

 as Qualitätsgesetz des Bundesrates – Anspruch
D
und Wirkung Seite 8

                                             dialog
                                               im

               Wir sind gut. Oder?
                      Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen

                                                               Ausgabe
                                                                1 / 2014
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Echo
Wladimir Iljitsch Lenin

Klasse statt                                                                     Schweizerische Akademie

Masse
                                                                                 der Medizinischen Wissenschaften

«Wieder und wieder bitte ich: Non multa,                                         Studien?
                                                                                 Wo?
sed multum. Weniger Zahlen, aber gescheitere.»
                                              russischer Politiker und
                                       Revolutionsführer (1870–1924)
                                                                                 «Für zahlreiche seit langem
                                                                                 etablierte medizinische
                                                                                 Verfahren gibt es keine Studien,
                                                                                 die einen Nutzen nachweisen
                                                                                 konnten.»
                                                                                    Positionspapier «Nachhaltige Medizin»,
         Felix Schneuwly, Head of Public Affairs Comparis                                                 Dezember 2012

        Leistung
        zählt (nicht)
         «Es werden keine Spitäler oder Arztpraxen geschlossen,
         wenn deren Leistungen ungenügend sind.»
                                                                         Handelszeitung, 7. Mai 2013

                                                                          Heinz Locher, Gesundheitsökonom

                                                                          Dunkelkammer
Bundesrat                                                                 «Bislang aber haben Spitäler
                                                                          und Ärzte die Veröffentlichung

Wettbewerb?                                                               von Qualitätsdaten erfolgreich
                                                                          verhindert. Das Gesundheits-
                                                                          wesen ist die Dunkelkammer

Fehlanzeige!                                                              der Nation.»
                                                                                    Neue Luzerner Zeitung, 18. August 2014

«Es fehlt ein echter Qualitätswettbewerb,
der sich positiv auf die Behandlungs­qualität
und die Kosten auswirkt.»
                          Bericht «Gesundheit 2020» des Bundesrates
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Editorial/Inhalt

                                                                            Folgen Sie uns auf Twitter:
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                                            Sind wir die                                                                            Riccarda Schaller ist Leiterin

                                            Besten?                                                                                 Gesundheitspolitik der CSS
                                                                                                                                       riccarda.schaller@css.ch

Inhaltsverzeichnis                                                       «Schon wieder ein neues Magazin», mögen Sie vielleicht denken.
                                                                         «Aber was für eines», entgegne ich. Denn mit der neuen
  4	Qualität im Gesundheitswesen                                        Publi­kation «im dialog» möchte sich die CSS nicht einfach in eine
     Kein Spitzenplatz für Ärzte und Spitäler                            lange Liste von Gesundheitspublikationen einreihen. Viel-
  7         Standpunkt                                                  mehr will sie – wie der Titel schon sagt – dazu beitragen, dass
             «CSS hat jedes Interesse an Qualität»                       zentrale Themen des Schweizer Gesundheits­wesens aus
                                                                         verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und vor allem auch disku-
  8         Hintergrund                                                 tiert werden. In die Tiefe gehen statt bloss an der Oberfläche
            Das Qualitätsgesetz des Bundesrates –                        kratzen – das ist unser Anspruch.
            Anspruch und Wirkung
10          Praxis                                                      Die erste Ausgabe widmen wir dem Thema Qualität, sozusagen
             Was bringt die Veröffentlichung von                         dem Herzstück eines jeden Gesundheitssystems. Die Schweiz
             Qualitätsindikatoren wirklich?                              habe das beste Gesundheitswesen der Welt, wird oft und gerne
                                                                         betont. Aber wie steht es wirklich um die Qualität? Ist sie
   Die andere Sicht
11	
                                                                         mess- und vergleichbar? Und wie steht es um die Transparenz?
   Du bist, was du isst
                                                                         Auf diese und weitere Fragestellungen gehen wir auf den
12          Im Gespräch                                                 folgenden Seiten ein. Die gesundheitspolitische Diskussion in der
             «Am liebsten hätte ich eine Art                             Schweiz beschränkt sich allzu oft nur auf die Kostenfrage.
             TripAdvisor für Spitäler»                                   Und die Krankenversicherungen sind in der Grundversicherung
   Persönlich
16	                                                                     verpflichtet, die Leistungen zu bezahlen – auch wenn die
   Warum sind zufriedene Patienten                                       not­wendige Qualität nicht in jedem Fall transparent ausgewiesen
   so wichtig?                                                           wird. Gerade in einem System, wo (sehr) viele Anbieter das
                                                                         Gleiche machen, müsste aber die Qualität zu einem entscheiden-
18          Santé!                                                       den Wett­bewerbsfaktor werden. Und Wettbewerb könnte
            «Ein Akt der Solidarität»                                    mithelfen, dass sich die Kostenspirale im Gesundheitswesen etwas
19 Wissenschaft                                                          lang­samer dreht.
	Klinisches Risikomanagement
   in Schweizer Spitälern                                                Ich wünsche Ihnen viel Lesespass mit unserer neuen Publikation.

Impressum
Erscheint dreimal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Herausgeber: CSS Versicherung, Tribschenstrasse 21, CH-6002 Luzern,
E-Mail: dialog@css.ch, Internet: www.css.ch, Chefredaktion: Riccarda Schaller, Roland Hügi; Redaktionelle Mitarbeit, Produktion und Grafik:
Infel Corporate Media, Claudia Sebald (Text) und Franziska Neugebauer (Art Direction) | Bildnachweis: zVg, Keystone / Gaëtan Bally,
Zeljko Gataric, Grafilu, iStock/inakiantonama, getty/Simon Greenwood | Lithos: n c ag, 8902 Urdorf | Druck: Kromer Print AG, 5600 Lenzburg.
Diese Publikation wird vollständig aus Mitteln aus dem Zusatzversicherungsgeschäft (VVG) finanziert.

                                                                                                                                                 im dialog 1/2014    3
Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog
Qualität im Gesundheitswesen

Mit der Qualität der medizinischen Behandlung in der Schweiz
hapert es gewaltig. Es geht um Tausende von vermeidbaren
Todesfällen und Zehntausende von Komplikationen. Die Reaktion
von Spitälern, Ärzten und Behörden ist lau.
Von Urs P. Gasche

Kein Spitzenplatz für Ärzte
und Spitäler

         N
                             ach einem Flugzeugabsturz oder Zug-     Medikamente gleichzeitig einnehmen. Über 5000 von
                             unglück überbieten sich die Schlag-     ihnen sterben jährlich an einem gefährlichen Arznei-
                             zeilen. Ursachen werden untersucht      mix, schätzt Gerd Kullak, Professor für klinische Phar-
                             und Sicherheitsvorkehrungen ver-        makologie am Universitätsspital Zürich.
                             stärkt. Solche Ereignisse nehmen wir        Nicht immer bestimmt das effektive Leiden, wel-
                             als grössere Gefahr wahr als Risiken,   che Untersuchungen, Diagnosen und Behandlungen
            die ihre Opfer «nur» im Laufe der Zeit fordern, wie      folgen, sondern die zufällige Wahl des Arztes. Mit dem
            in Spitälern und Arztpraxen. Jedes Jahr sterben rund     gleichen Hautleiden ging eine Tessiner Patientin ge-
            5000 Menschen wegen eines Fehlers in einem Akut-         mäss der Konsumentenzeitschrift «Scelgo Io» nach-
            spital. Dazu kommen über 120 000 Patienten, die im       einander zu zehn dortigen Dermatologen: Drei haben
            Spital einen gesundheitlichen Schaden erleiden, noch-    Schuppen untersucht, zwei Blut- und Allergietests
            mals operiert oder nachbehandelt werden müssen.          gemacht, einer hat einen Pilz diagnostiziert und eine
                                                                     Pilzsalbe verschrieben, einer hat eine Narbensalbe ver-
            «Die Hälfte der Schäden wäre vermeidbar»                 schrieben und vier andere eine befeuchtende Crème.
            Schuld an dieser hohen Opferzahl sind Infektionen, die Ein weiterer hat zusätzlich ein Eisenpräparat verordnet.
            man im Spital aufliest, Behandlungsfehler, unzweck-          In einem Operationssaal landen Patienten häufi-
            mässige Medikation, falsche oder verspätete Diag- ger, wenn viele Arztpraxen mit Chirurgen in der Nähe
            nosen sowie Fehler in der Pflege. Den Ernst der Lage sind. Tessiner wurden vergleichsweise selten am Her-
            fasst das Bundesamt für Gesundheit (BAG) wie folgt zen operiert. Seit aber Kardiologen und Herzchirur-
            zusammen: «Jeder zehnte Spitalpatient erleidet ei- gen 1999 ein Herzzentrum eröffneten, sind Eingriffe
            nen gesundheitlichen Schaden und                                                 am Herzen – mit all ihren Ri-
            die Hälfte dieser Schäden wäre ver-                                              siken – im Tessin viel häufi-
            meidbar.» Das sind 2000 bis 3000                                                 ger als in den meisten andern
            Todesfälle und rund 60 000 Scha-         In Kürze                                Kantonen – ohne einen er-
            densfälle, die jedes Jahr verhindert                                             wiesenen Nutzen. Im Kanton
            werden könnten. Über diese vielen        • Jeder zehnte Spitalpatient           Freiburg haben fast doppelt so
            Opfer gibt es keine Schlagzeilen,           erleidet einen gesundheit-           viele 60-jährige Frauen keine
            keinen öffentlichen Druck. Deshalb          lichen Schaden, und                  Gebärmutter mehr als im Kan-
            tun Politiker, Behörden und Spital-         die Hälfte dieser Schäden            ton Graubünden.
            verantwortliche zu wenig, um die            wäre vermeidbar.
            Sicherheit zu verbessern.                                                        «Kaum ein gleichwertiges
                                                     • Obwohl er dies könnte,               Gesundheitssystem»
            Risiken auch ausserhalb der                verlangt der Bundesrat               Unser Land leistet sich die teu-
            Spitäler                                                                        erste Gesundheitsversorgung
                                                       keine systematischen
            Zu weiteren Schäden kommt es                                                    Europas, aber nicht die beste.
            in Arztpraxen oder Pflegeheimen.
                                                       wissenschaftlichen                   Wer daran verdient, verbreitet
            An fünf von hundert Spitaleinwei-          Kontrollen zur Sicherung             aus dem hohlen Bauch her-
            sungen sind falsch verschriebene           der Qualität.                        aus, die Schweiz sei spitze. Die
            Medikamente schuld. Abrechnun-                                                  Zürcher Chefärzte-Gesellschaft
            gen von Krankenkassen zeigen, dass       • Streben diverse europäi-             rechtfertigte die hohen Kosten
            150 000 Patienten mehr als zwanzig         sche Länder die beste                mit «einem der besten, wenn
                                                       Qualität an, streitet man
                                                       bei uns vor allem um die
4   im dialog 1/2014                                   Kosten.
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Qualität im Gesundheitswesen

Zu viele Spitäler mit zu wenig Übung

                                                         1
                                versitätsspital), Anz. 5
                                Zentrumsversorgung

                                                              Zentrumsversorgung

                                                                                                                 (Niveau 4), Anz. 32

                                                                                                                                                 (Niveau 5), Anz. 33
                                                                                         (Niveau 3), Anz. 21
                                                              (Niveau 2), Anz. 25

                                                                                         Grundversorgung

                                                                                                                 Grundversorgung

                                                                                                                                                 Grundversorgung
                                Allgemeinspital,

                                                                                         Allgemeinspital,

                                                                                                                 Allgemeinspital,

                                                                                                                                                 Allgemeinspital,
                                                              Allgemeinspital,

                                                                                                                                                                               Spezialkliniken,
                                (Niveau 1, Uni-

                                                                                                                                                                                                             2
                                                                                                                                                                                                             Anzahl Fälle
                                                                                                                                                                               Anz. 35
                                                                         3                                           4                                                            3
                                                                                                                                     7
                                                                                                           7
Schlaganfall alle                         5                  13                                                                              15                  18                                         3 093
Formen, Alter 45–64                                                                 9   14
                                                                                                                         21                                                         32

                                                                       1                                                     1
                                                                                                    3                                                 2                        4
Operative Entfernung der                                                                                                                                         12
Gallenblase (ohne Tumor)                  5                                                                     18                   13      12                           11                      20     11 531
                                                                   24                         18                                                         7

                                                                       1                                                 1                                                        1
                                                                                             3          5       6
                                                                                                                              4                   22
                                                                                                                                                                          8
Operative Entfernung                                                                9                                                        7
der Schilddrüse
                                          5                  15                                                                                                                                            3 400
                                                                                                                                                               22                           26
                                                                                                 13                      21

                                                                                                   1
                                                                       2                                                     2                       3                         4
Laparoskopische/vaginale OP                                                  2                           3
                                                                                                                12
bei Gebärmutterentfernungen               5                                                                                                  10                  16       9
                                                                                                                                                                                                  22       7 511
(ohne Plastik)                                                21                         17                                       18
                                                                                                                                                     4

                                                                                                                             1
                                                                        2                                                        2                    2                        22
                                                                               3                                                             7
Entfernung der weiblichen                                                                                       11
Brust bei Brustkrebs
                                          5                                             10               11                                                       15      11                      20       7 469
                                                              20                                                                 18               9

                                                                       1 11
                                                                                                       4                     2                       3                            3
                                                                                                                                     4                                     3
                                                                                                                10                           6
Entfernung der Prostata
über die Harnröhre (TUR)
                                          5                                                                                                                      18       4
                                                                                                                                                                                              25          9 993
                                                                                         17                                                   6
                                                                   22                                                        16

                                                                       11
                                                  1                                                                          22
Erstimplantation eines                                                                                                                       11                 12
künstlichen Hüftgelenks
(TEP, nicht bei Frakturen)
                                    4                              23
                                                                                                 21
                                                                                                                21
                                                                                                                                         7
                                                                                                                                                               3
                                                                                                                                                                          14                      14
                                                                                                                                                                                                       17 452
                                                                                                                                                    7                          2 5

                                                                       11
                                                  1                                                                          3
                                                                                                                                     2
                                                                                                                                             11
                                                                                                                                                                                                       16 902
Erstimplantation eines                                                                                                                                           13       15                      14
                                                                                                 21                                      6
künstlichen Kniegelenks (TEP)                                                                                   21
                                    4                              23                                                                              7         2                     4 2

                                                                         4                                                                         4
                                                                                                       5                                      2                            9

                                                                                                                                                                                                       18 240
                                                                                    2                           13                   12      2                                                    16
OP an der Wirbelsäule                     5                                             10
                                                             17                     2
                                                                                                        5                                                     25          8
                                                                                                                      5          2                                                    2
                                                                                                 1
                                                                                                  1                          3                         1
                                    1                             2                                                  4                                                        7
                                                                             6
Schenkelhalsfraktur,                                  2                                                                                                          13
                                                                                        11                  9                                                                                               1 144
Alter 85–89                                                                                                                                  19
                                    2                             17                                                     25                                                               28

                                     Anzahl Spitäler mit mindestens einem Fall pro Woche (≥52 Fälle)
                                     Anzahl Spitäler mit weniger als einem Fall pro Woche (12–51 Fälle)
                                     Anzahl Spitäler mit weniger als einem Fall pro Monat (
Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog
Qualität im Gesundheitswesen

                                                                      Grund, weshalb es in den Niederlanden im Verhältnis
                                                                      zur Bevölkerung nur ein Viertel so viele Spitäler braucht
                                                                      wie in der Schweiz. Niederländerinnen und Niederlän-
                           In der Schweiz                             der müssen weniger häufig ins Spital, werden seltener
                         sterben jedes Jahr                           operiert und gehen entsprechend weniger Risiken ein.
                       5000 Menschen                                  Lebenserwartung und Gesundheitszustand vergleich-
                        wegen eines Fehlers                           barer sozialer Schichten sind identisch.
                        in einem Akutspital.
                                                                      Schweiz schlechter als Nachbarländer
                                                                      In der Schweiz kommt es zu vielen Überbehandlungen
                                                                      ohne Nutzen. Und während ihrer Zeit im Spital sind Pa-
                                                                      tientinnen und Patienten grösseren Risiken ausgesetzt.
                                                                      Es kommt bei uns häufiger zu Infektionen als in den Nie-
                                                                      derlanden, in Deutschland oder Frankreich. Jedes Jahr
                       15 000                                         könnte man rund 600 Todesfälle und 15 000 Infektions-
              Infektionserkrankungen                                  erkrankungen vermeiden, wenn in Operationssälen mi-
                       liessen sich mit                               nimale hygienische Standards eingehalten würden. Das
               besseren hygienischen Standards                        geht aus einer Erhebung von Swissnoso hervor, einer
                          vermeiden.                                  Gruppe von leitenden Hygiene- und Infektionsspezia-
                                                                      listen. Bei den insgesamt rund 9700 jährlichen Darm-
                                                                      operationen käme es zu fast 400 Infektionen weniger,
                                                                      wenn die Behandlungsqualität in der Schweiz so gut
            nicht dem besten Gesundheitssystem der Welt». Sie         wäre wie in Deutschland, und sogar zu fast 500 we-
            meinten wohl das Angebot: Laut OECD gibt es bei uns       niger, wenn die Qualität auf dem Niveau französischer
            pro Einwohner ein Viertel mehr berufstätige Ärzte als     Spitäler wäre. Bei diesen Werten handle es sich um eine
            in andern Industrieländern und einen Rekord an hoch-      «robuste statistische Aussage», erklärte Swissnoso.
            technischen Apparaten wie MRI, CT u.a.
                                                                      Versagen der Bundesbehörden
            Ärzte verdienen an unnötigen Behandlungen                 Das Risiko für Infektionen, für ungeplante Nachbehand-
            Patientinnen und Patienten interessiert etwas anderes:    lungen oder Medikamentenfehler kann im einen Spital
            Wie rasch und dauerhaft werden sie wieder gesund,         fünfmal grösser sein als in einem andern, doch wir wis-
            oder wie gut bekommen sie ihre chronischen Krank-         sen nicht in welchem. Denn Behandlungsresultate wer-
            heiten in den Griff. Die meisten Ärzte tun ihr Bestes,    den noch immer nicht vergleichbar erhoben, und dort,
            doch ihre Einkommen hängen davon ab, wie häufig sie       wo sie es wurden, wie bei den Infektionen, erfuhr die
            Untersuche machen lassen, behandeln und operieren.        Öffentlichkeit die Zahlen der einzelnen Spitäler nicht.
            Unnötige Diagnosetests, Behandlungen und sogar                Umfassende Daten über Behandlungsergebnisse
            Komplikationen erhöhen den Kontostand der Ärzte.          sollten längst im Internet zugänglich sein. Das Kran-
            Umgekehrt kommen gute Ärzte, die nur das Sinnvol-         kenversicherungsgesetz (KVG) gab dem Bundesrat
            le machen und damit Erfolg haben, finanziell schlecht     1996 die Kompetenz, «systematische wissenschaftli-
            weg. In den meisten andern Ländern sind Spezialärzte      che Kontrollen zur Sicherung der Qualität» durchzu-
            nach ihrer Präsenzzeit bezahlt. Am Aufklären einer Pa-    führen. Für diese Kontrollen hätte er einheitlich erfass-
            tientin über Nutzen und Risiken eines Eingriffs verdie-   te Daten über die Behandlungsergebnisse einfordern
            nen sie gleich viel wie am Operieren.                     können. Seit 2009 sind die Spitäler sogar verpflichtet,
                Die falschen Anreize bleiben bei uns tabu, auch bei
            den Spitälern. Deren Ertragsrechnung sieht besser aus,
            wenn sie kompliziertere Diagnosen stellen als nötig
                                                                      Wer am System verdient, be-
            und wenn sie aufwändiger behandeln und eilig ope-         hauptet aus dem hohlen
            rieren statt abwarten. Und weil Fallpauschalen nur die
            Spitalkosten decken, haben die Spitäler kein Interesse
                                                                      Bauch, die Schweiz sei spitze.
            daran, das Genesen der Patienten nach Austritt weiter-
            zuverfolgen. Deshalb wird nicht transparent, welche       Statistiken zur Überwachung der Qualität zu liefern.
            Spitäler die Patienten am besten behandeln.               Doch trotz rund 5000 Menschen, die jedes Jahr in
                Anders in den Niederlanden: Dort umfassen die         einem Akutspital wegen eines Fehlers sterben, und
            Fallpauschalen alle Kosten – auch nach dem Spital-        trotz mindestens 120 000 Behandelten, die einen ge-
            austritt – bis zur endgültigen Genesung. Die Spitäler     sundheitlichen Schaden erleiden, hatte der Bundesrat
            haben ein Interesse daran, dass ihre Patienten bald       nicht den Mut, sich gegen die Lobbys der Spitäler und
            wieder fit sind, und kümmern sich um die beste Nach-      Ärzte durchzusetzen und vergleichbare Daten zu ver-
            behandlung oder die beste Reha. Die endgültigen Be-       langen. Das ist kein gutes Omen für die, welche mit
            handlungsresultate werden erfasst und verglichen. Sol-    einer Einheitskasse auf mehr Staatsmedizin setzen. Ein
            che Patientendaten besitzt in der Schweiz nur die Suva.   regulierter Wettbewerb wie in den Niederlanden wür-
            Sie könnte ohne weiteres bekannt machen, welche Be-       de die Qualität schneller verbessern. Dazu müssten die
            handlungsteams in welchen Spitälern die Unfallpatien-     Kassen über die Vertragsfreiheit verfügen.
            ten am erfolgreichsten behandeln. Doch aus politischer
            Rücksicht wertet die Suva ihre Zahlen nicht aus. Sie      Nicht einmal vergleichbare Fallzahlen
            habe «keinen Auftrag des Gesetzgebers», redet sie sich    Wenn Chirurgen und Spitalteams eine bestimm-
            heraus. Die unterschiedlichen Anreizsysteme sind ein      te Operation nur selten durchführen und zu wenig

6   im dialog 1/2014
Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog
Standpunkt

Das Schweizer Gesundheitswesen braucht einen Kulturwandel:
Die Qualität muss zu einem zentralen Faktor werden.

«CSS hat jedes Interesse
an Qualität»
Es scheint, als hätten viele Akteure im          der Leistungserbringer verantwortlich
Gesundheitswesen Angst vor dem Thema             ist, direkten Einfluss nehmen zu können.
Qualität. Gilt dies auch für die CSS?            Trotzdem bewirkt das Interesse der Kran-
Hinter der Intransparenz bezüglich Qualität      kenversicherung an Qualitätsindikatoren                             Dr. Christian Affolter ist
steht in erster Linie ein kulturelles Problem:   und deren Messung bei der Ärzteschaft                         Verantwortlicher Public Affairs
die Angst vor Transparenz des eigenen            eine zunehmende Auseinandersetzung                                   Tarifstrukturen der CSS
Schaffens oder die Angst vor Missbrauch          mit Qualitätsfragen.                                               christian.affolter@css.ch
von Qualitätskriterien für das Durchsetzen
von preislichen, politischen und struktu-        Es wird immer wieder von unnötigen
rellen Massnahmen. Es braucht also einen         Behandlungen gesprochen, die viel kos-
raschen Kulturwandel: Qualität muss ein          ten und schlimmstenfalls den Patienten
zentraler Faktor werden im Schweizer Ge-         schaden. Wie geht die CSS damit um?
sundheitswesen. Die CSS hat alles Interesse      Überversorgung und nicht indizierte
daran. Denn gute Behandlungsqualität             Behandlungen sind bezüglich Risiken und
wirkt sich unmittelbar auf die Patienten und     Kosten problematisch und das Resultat
letztlich auch positiv auf die Gesundheits-      falscher Anreize. Wer mehr macht, be-
kosten und damit auf die Prämien aus.            kommt mehr Geld. Wer schlechte Qualität
                                                 abliefert, wird nicht diskriminiert. Und
Welchen Beitrag leistet die CSS, um die          auch Patienten sind nicht ganz unschul-
Qualität der medizinischen Behandlun-            dig, denn oft werden Behandlungen ohne
gen für ihre Versicherten zu verbessern?         zwingende Indikation schlicht verlangt.
Im Schweizer Gesundheitswesen herrscht           Die CSS setzt sich für die Patienten ein:
die freie Wahl, und die Grundversiche-           Die verhandelten Tarife und Verträge
rung muss letztlich qualitätsunabhängig          sollen Qualität und nicht Menge belohnen,
die Kosten übernehmen. Deshalb ist es            Leistungen sollen breit auf ihren Nutzen
für eine Krankenversicherung schwierig,          überprüft werden, und Zweitmeinungen
auf die Behandlungsqualität, für die allein      zu Eingriffen werden unterstützt.

            Übung haben, kann dies zu Nachoperationen, Nach-           38 Spitäler diese Operation weniger als zehnmal pro
            blutungen, Wundinfektionen oder im schlimmsten Fall        Jahr durch. Insgesamt verteilten sich 3400 Operatio-
            zum Tod führen. Bereits vor Jahren stellte das «British    nen auf 98 Spitäler (siehe Grafik Seite 5).
            Medical Journal» fest, dass es für etliche Operationen
            nicht nur einen «Chirurgen, der viel operiert», sondern    Nulltoleranz
            auch ein «Spital, das viel operiert» brauche, um Risiken   Vor sieben Jahren startete Schottland ein nationales
            zu verringern. In den Niederlanden müssen Kranken-         Programm, um «alle vermeidbaren Ärzte- und Spital-
            kassen Operationen nicht zahlen, wenn sie ein Spital       fehler auszurotten». Bis 2015 sollen nur noch 5 von
            zu selten durchführt. Das war ein wirksamer Anreiz für     100 Patienten im Spital zu Schaden kommen – halb
            die Spitäler, sich zu spezialisieren.                      so viele wie in der Schweiz. Während Schottland und
                In der Schweiz verlangte der Bundesrat bisher nicht    andere Länder die beste Qualität anstreben, streitet
            einmal, dass die Zahl der Operationen pro Spital erho-     man bei uns vor allem um die Kosten. Doch Spitäler,
            ben wird. Das BAG vergleicht die Fallzahlen einzelner      Ärzte und Behörden dürfen nicht mehr tolerieren, dass
            Spitäler mit denen ganzer Spitalgruppen. Die Zahlen        es bei Behandlungen zu so vielen vermeidbaren Ver-
            sind trotzdem alarmierend genug. Zwei Beispiele:           letzten und Todesfällen kommt. Wie nach Abstürzen
            Entfernen der Bauchspeicheldrüse: In der Deutsch-          von Flugzeugen muss aus Fehlern gelernt werden.
            schweiz führten 19 Spitäler oder Spitalgruppen die-        Nur freiwillige Datenerhebungen, Rücksichtnahmen
            sen heiklen Eingriff im Jahr 2012 weniger als zehnmal      und Verschweigen unter dem Deckmantel des Daten-
            durch. Insgesamt verteilten sich 700 Operationen auf       schutzes sind verantwortungslos.
            über 50 Spitäler. Teilweise oder ganze Entfernung der
            Schilddrüse: Diese Operation birgt das Risiko der Ver-
            letzung eines oder beider Nerven des Stimmbandes.
            Je nach Spital kann das Risiko 1:50 oder 1:200 sein,
                                                                       —
                                                                       Urs P. Gasche ist ein auf Gesundheitsfragen spezialisier-
            wie ausländische Zahlen zeigen. Im Jahr 2012 führten       ter Publizist und Redaktor bei Infosperber.ch.

                                                                                                                         im dialog 1/2014    7
Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog
Hintergrund

Mit einem neuen Gesetz will der Bundesrat die Qualität im Gesundheits-
wesen optimieren. Ein Vorschlag mit grossem Potenzial oder doch eher
Wunschtraum? Eine Kurzanalyse.
Von Matthias Schenker

Das Qualitätsgesetz des
Bundesrates – Anspruch
und Wirkung

                                                                                  häufig an Transparenz aufgrund fehlender Vergleich-
                                                                                  barkeit oder mangelnden Willens zur Veröffentlichung.
                                                                                  Dabei müssten gerade im Gesundheitswesen transpa-
Matthias Schenker                                                                 rente Qualitätsdaten eine zentrale Rolle spielen.
ist stellvertretender Leiter
Gesundheitspolitik der CSS                                                        Grundlage für nachhaltigen Wettbewerb
    matthias.schenker@css.ch                                                      Klar ist also: Es braucht transparente, aussagekräftige
                                                                                  und vergleichende Daten über die Qualität von Leis-

                       B
                                                                                  tungen. Sie bilden die Grundlage für einen fundierten
                                                                                  Entscheid von Patientinnen und Patienten, wenn es
                                    ei der Lebenserwartung und weiteren           um die Wahl eines Leistungserbringers und das Ein-
                                    Messwerten des Gesundheitszustandes           verständnis für oder gegen eine Behandlung geht.
                                    belegt die Schweiz weltweit einen Spit-       Aber auch Leistungserbringer und Versicherer sind
                                    zenplatz. Dies zeigen unter anderem die       auf Qualitätsdaten angewiesen. Nur so können sie ge-
                                    Zahlen der OECD. Haben wir dies der me-       meinsam eine faire und wirtschaftliche Abgeltung der
                        dizinischen und pflegerischen Qualität im schweizeri-     Leistungen vereinbaren. Denn in einem nachhaltigen
                        schen Gesundheitswesen zu verdanken? Die Vermu-           Wettbewerb sollten sich die erstatteten Preise nicht
                        tung liegt nahe – die Beweisführung aber ist schwierig.   nur an einem Kosten-, sondern auch an einem Qua-
                                                                                  litätsbenchmark orientieren.
                        Fehlende Daten, mangelnde Transparenz
                        Um eine solche Aussage zu stützen, bräuchte es kon-       Ziele des Bundesrates unbestritten
                        krete Daten zur Outcome-Qualität der erbrachten me-       Aufgrund der bestehenden Defizite hat der Bundesrat
                        dizinischen Leistungen. Zwar existieren (seit kurzem)     das Bundesgesetz über das Zentrum für Qualität in
                        entsprechende Daten in einzelnen Leistungsberei-          der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in die
                        chen – unter anderem dank des Nationalen Vereins für      Vernehmlassung geschickt. Das Parlament wird sich
                        Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ).     voraussichtlich 2015 mit der Vorlage befassen. Die im
                        Trotzdem gleicht die Suche nach Qualitätsangaben          Vernehmlassungsentwurf formulierten Ziele sind fol-
                        in weiten Teilen des schweizerischen Gesundheits-         gerichtig. Unter anderem fordert der Bundesrat in der
                        wesens – insbesondere im ambulanten Bereich – der         Grundversicherung eine «Förderung der Transparenz
                        Wanderung durch eine Datenwüste. Es existieren ent-       in Bezug auf die Qualität und den zweckmässigen
                        weder keine Qualitätsdaten und falls doch, mangelt es     Einsatz der Leistungen». Auch die Förderung der Pa-

8   im dialog 1/2014
Dialog - Wir sind gut. Oder? Im Fokus: Qualität im Gesundheitswesen - CSS Dialog
Hintergrund

                                                                                              Das Qualitätsgesetz alleine garantiert
                                                                                                   noch lange nicht, dass sich die
                                                                                               hohen Ansprüche an die Qualität in
                                                                                                   der Wirklichkeit widerspiegeln.

        tientensicherheit und die Bereitstellung von systema-    de Institution. Schlagen sich die vom Zentrum erarbei-
        tischen wissenschaftlichen Grundlagen zur Bewertung      teten Grundlagen bezüglich Qualität und Bewertung
        von Gesundheitstechnologien machen Sinn. Denn            von Gesundheitstechnologien nicht in der Praxis der
        gerade im Bereich der konsequenten Beurteilung der       Vertragspartner und des BAG nieder, werden die Ziele
        Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit      des Gesetzes nicht erreicht.
        medizinischer Leistungen hat auch die Politik grosse          In der Verantwortung stehen also sowohl Leis-
        Defizite festgestellt.*                                  tungserbringer als auch Versicherer und BAG. Sie
                                                                 alle müssen die erarbeiteten Grundlagen verbind-
        Zentrum allein reicht nicht aus                          lich in ihre operative Tätigkeit einfliessen lassen.
         Die Aufgaben und Ziele des geplanten Qualitätszen-      Das Zentrum kann und soll also nur unterstützend
         trums sind im Gesetz also klar definiert und entspre-   wirken. Es macht deshalb Sinn, die erwähnten An-
         chen einem grossen Bedürfnis. Allerdings werden die     spruchsgruppen bereits frühzeitig in die Arbeiten des
         Zielsetzungen mit den Tätigkeiten des neuen Quali-      Zentrums einzube-
         tätszentrums alleine unerreichbar bleiben. Dies liegt   ziehen. Dadurch er-
         nicht am geplanten Zentrum oder an dessen Aufgaben.     höhen sich dessen
                                                                                        Die Anspruchsgruppen
         Grund ist vielmehr, dass sich mit dem neuen Gesetz      Akzeptanz und die      müssen frühzeitig
         nichts an der heutigen Kompetenzverteilung ändert.      Wirkung seiner Ak-
         Bezüglich Qualität sind nach wie vor die Leistungser-   tivitäten. Zwingend
                                                                                        mitarbeiten können.
                                      bringer gefordert, ent-    ist auch eine paritä-
                                      sprechende Indikatoren     tische Finanzierung des Zentrums. Nicht allein die
In Kürze                              zu erarbeiten und deren    Prämienzahlenden sollen die Kosten tragen, sondern
                                      Überprüfung mit den        auch die in der Verantwortung stehenden Institutio-
• Die Ziele des Gesetzes              Vertragspartnern, sprich   nen – zumindest in Bezug auf die Grundlagenarbeiten
  sind folgerichtig.                  den Versicherern, zu       zur Qualität. Die Bewertung von Gesundheitstechnolo-
                                      vereinbaren. Wenn es       gien soll wie vorgeschlagen eine vom Bund finanzierte
• Das Qualitätszentrum                um die Bewirtschaftung     Aufgabe bleiben.
  kann die Ziele nicht alleine        von Leistungen zulasten
  erreichen.                          der Grundversicherung
                                      geht, bleibt das Bun-      * GPK-N,
                                                                   
                                                                          Inspektion «Bestimmung und Überprüfung
                                      desamt für Gesundheit      ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Kranken-
• Leistungserbringer und
                                      (BAG) die entscheiden-     pflegeversicherung». Brief an den Bundesrat, 26.1.2009
 Versicherer müssen
 deshalb die erarbeiteten
 Grundlagen umsetzen.
                                                                                                                 im dialog 1/2014      9
Praxis

Die Erhebung von Qualitätsdaten im schweizerischen
Gesundheitssystem ist vordringlich. Doch ohne
entsprechende Rahmenbedingungen besteht die Gefahr
eines nicht interpretierbaren Datenfriedhofs.
Von Michael Schlander

Was bringt die Veröffentlichung
von Qualitätsindikatoren wirklich?

          G                emäss «NZZ» vom 23. Juli 2009 weiss im
                           schweizerischen Gesundheitssystem «die
                           eine Hand […] nicht, was die andere tut».
                           Gefragt ist deshalb grösstmögliche Trans-
                           parenz. Geschehen soll das durch die
            Erhebung und Veröffentlichung geeigneter Qualitätsin-
            dikatoren. Dabei ist Qualitätssicherung im Schweizer Ge-
                                                                         Erfahrungen in anderen Ländern zeigen aber, dass diese
                                                                         überwiegend Faktoren wie Erreichbarkeit und Hotelleis-
                                                                         tungen als Entscheidungsgrundlage für die Wahl eines
                                                                         Spitals verwenden. Andere Adressaten sind Zuweiser,
                                                                         Krankenhäuser, Kostenträger sowie Legislative und Exe-
                                                                         kutive. Sie sind für Entscheide auf verlässliche Daten
                                                                         angewiesen. Es stellt sich das Problem der Fehlanreize
            sundheitswesen kein neues Thema und bereits seit 1996        und der Manipulationsmöglichkeiten; Stichworte sind
            in KVG und KVV verankert. Seit 2009 sind Leistungser-        etwa zu frühe Entlassungen zur Reduktion von berichts-
            bringer verpflichtet, «den zuständigen Bundesbehörden        pflichtiger Letalität und Komplikationen, Verlegung von
            die Daten bekannt zu geben, die benötigt werden, um die      Hochrisikopatienten, Unterlassung riskanter, obgleich
            Anwendung dieses Gesetzes über die Wirtschaftlichkeit        indizierter Prozeduren, Reduktion der Behandlung bis
            und Qualität der Leistungen zu überwachen». Ebenfalls        hin zur Datenmanipulation.
            2009 hat die SAMW (Akademie für medizinische Wissen-
            schaften) eine Stellungnahme zur «Erhebung, Analyse          Wettbewerb um bestmögliche Qualität
            und Veröffentlichung von Daten über die medizinische         Zentral ist die Idee vom Wettbewerb um bestmögliche
            Behandlungsqualität» herausgegeben.                          Qualität, der letztlich zu ergebnisorientierten Vergü-
                                                                         tungsmodellen führt. Praktische Erfahrungen mit ent-
            Gefahr eines Datenfriedhofs                                  sprechenden Modellen liegen vor allem aus den USA
            Qualitätssicherung besteht wesentlich aus Soll-Ist-Ver-      und England vor. Die Datenlage zu den Effekten ist in-
            gleichen; ohne eine Bezugsnorm führt die Erhebung            ternational unübersichtlich und hat wiederholt zu der
            von Qualitätsindikatoren zu einem nicht interpretierba-      Schlussfolgerung veranlasst, dass die Veröffentlichung
            ren Datenfriedhof. Deshalb ist es grundsätzlich richtig,     von Qualitätsdaten keine nachweisbaren positiven Fol-
            dass der Bund die Schaffung eines «Zentrums für Quali-       gen habe und folglich der Qualitätswettbewerb ins-
            tät in der OKP» vorbereitet, dem auch die Zuständigkeit      gesamt nicht trage. «Pay for Performance» geht noch
            für Health Technology Assessments (HTAs) zugewiesen          einen Schritt über den Qualitätswettbewerb hinaus, in-
            werden soll. Denn nur bestmöglich faktenbasierte Stan-       dem statt bloss immaterieller auch finanzielle Anreize
            dards sind geeignet, als Bausteine einer nachhaltigen        zur Verbesserung von Qualitätsindikatoren gesetzt wer-
            Qualitätssteigerung und -sicherung im Gesundheits-           den. Auch hier ist die Datenlage heterogen. Anders aus-
            wesen zu dienen. Doch der Bund will mehr, nämlich die        gedrückt, entspricht der Stand der internationalen wis-
            «Förderung der Transparenz in Bezug auf die Qualität         senschaftlichen Erkenntnisse zugunsten der Wirkungen
            und den zweckmässigen Einsatz der Leistungen».               von veröffentlichten Qualitätsindikatoren (noch) nicht
                 Damit stellt sich die Frage, wer von Transparenz pro-   den anerkannten Standards der evidenzbasierten Me-
            fitiert. Zunächst wird man wohl an die Patienten denken.     dizin. Das sollte nicht davon abhalten, bestehende
                                                                         Chancen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswe-
                                                                         sen auszuschöpfen. Es sollte aber zu einer realistischen
                                                                         Einschätzung des Potenzials beitragen, um späteren
                                                                         Enttäuschungen aufgrund überzogener Erwartungen
                                                                         vorzubeugen.

                          Die Sicherstellung
                          der Qualität in der
                                                                         —
                                                                         Der Arzt und Wirtschaftswissenschaftler Professor
                             Leistungserbringung                         Dr. med. Michael Schlander, MBA, ist Gesundheitsöko-
                                                                         nom an der Universität Heidelberg und der Hoch-
                           ist bereits seit 1996                         schule für Wirtschaft sowie Gründungsvorsitzender des
                             im Gesetz verankert.                        gemeinnützigen Institute for Innovation & Valuation
                                                                         in Health Care (InnoValHC) in Wiesbaden.

10   im dialog 1/2014
Die andere Sicht

Gut kochen hat mit Können zu
tun. Eine erfolgreiche Köchin muss ohne
Zweifel alle Regeln der Kochkunst
beherrschen. Das allein reicht aber bei
Weitem nicht aus – doch was ist
das Geheimnis von Haute Cuisine? Und
warum zahlt sich Qualität aus?
Von Irma Dütsch

Du bist, was du isst

F            ür ein exzellentes Gericht braucht es mehr ger, der Käser, der Weinbauer sind ebenso wichtig für
             als nur ein gutes Rezept. Kochen ist Lei- qualitativ hochstehende Gerichte. Sie alle haben ein
             denschaft, benötigt Liebe, Zeit und Geduld. grosses Wissen, von dem wir Köche profitieren. Dieser
             Dasselbe gilt für das Essen. Wer sich kei- Wissensaustausch und die Auseinandersetzung mit lo-
             ne Zeit nimmt und nur Fertigprodukte isst, kalen Produkten bedingen freilich Zeit – aber Qualität
weiss gar nicht mehr, wie richtiges Essen schmeckt. kennt keine Eile.
Dabei gibt es doch nichts Wichtigeres als qualitatives,        In meinem Metier erlebt man die Qualitätsprü-
wohlschmeckendes Essen. Denn die Nahrungsmit- fung unmittelbar: Wenn der Gast die Rechnung zahlt,
tel führen wir unseren Körpern zu, sie sind in unseren merken wir sehr genau, ob er gerne zahlt. Und es gibt
Körpern. Somit bist du tatsächlich, was du isst.           nichts Schöneres als zufriedene Gäste. Dazu müssen
     Für eine ausgezeichnete Küche sind verschiedene Preis und Qualität übereinstimmen. Ich frage meine
Faktoren entscheidend: das Produkt, die Art zu ko- Köche oft: «Würdest du für das Gericht, das du ge-
chen, das Abschmecken, die Aromen. Und vor allem rade an den Tisch schickst,
eine Köchin, die fähig ist, aus diesen Komponenten diesen Preis bezahlen?» Als
eine harmonische Kreation zu schaffen. Aber auch gute Köchin muss man Kon-
                                                                                            Kochen ist Wissen.
Dinge, die vermeintlich nichts mit Kochen zu tun ha- takt zu seinen Gästen haben.           Kunstfertigkeit.
ben, sind für eine «Haute Cuisine» wichtig. So hat die Sie müssen spüren, dass sie
Art, wie man als Gast begrüsst wird, wie der Tisch de- uns wichtig sind. Auch das
                                                                                            Eine Vision. Kochen
koriert ist und welche Gläser aufgetischt sind, Einfluss ist ein Qualitätsmerkmal. Wir      ist Persönlichkeit.
auf die Qualität. Dazu gehört auch, wie die Speisen auf müssen unsere Gäste gern
dem Teller angerichtet sind – denn unser Auge isst haben und alles transparent machen. Nicht nur woher
mit. Kurz: Einer der Schlüssel für eine ausgezeichnete die Produkte stammen, sondern auch unsere Persön-
Küche liegt in den Details.                                lichkeit. Dies schafft Vertrauen. Denn wie gesagt: Es
     Ein weiteres Schlüsselmoment sind die Zutaten. Ein gibt nichts Intimeres als Nahrung. Du bist, was du isst.
Gericht ist nur so gut wie die Qualität seiner einzelnen
Komponenten. Sinnvollerweise wählen wir saisonale
Produkte, die frisch sind und im ei-
genen Land wachsen. Die Schweiz
                                                                              —
                                                                              Irma Dütsch gehört zur absoluten
hat glücklicherweise vier Jahres-           In Kürze                          Spitzenklasse der Schweizer Köche.
zeiten. Wenn der Frühling kommt,                                              Sie wuchs als jüngstes Kind einer
                                            • Verlieren Sie nie die          Bauernfamilie in Gruyères auf. Bereits
freuen wir uns auf Spargeln, Bär-             Details aus dem Blick.          als kleines Mädchen wollte sie
lauch und Erdbeeren. Doch wer hat
                                              Erst die Summe der              Köchin werden – und erlernte als eine
im Sommer schon Lust auf Sauer-                                               der ersten Schweizerinnen den
                                              Einzelteile macht das
kraut, Safran und Scampi? Im Win-                                             Kochberuf. Für ihre Kochkunst wurde
ter aber ist das ein hervorragendes
                                              Ganze aus.                      Irma Dütsch unter anderem mit
Gericht. Eine gute Köchin lässt sich                                          einem Michelin-Stern und von Gault-
von den lokalen Märkten und dem             • Qualität benötigt               Millau mit 18 Punkten ausgezeich-
                                               Wissen – viel Wissen –         net. Während 30 Jahren führte sie zu-
Angebot inspirieren. So trifft sie erst                                       sammen mit ihrem Mann das
noch auf ihre Lieferanten und Pro-             und Zeit.                      Restaurant Fletschhorn in Saas-Fee.
duzenten. Dieser persönliche Kon-                                             Heute arbeitet sie als Beraterin,
takt ist essenziell, denn der Metz-         • Qualität ist kein über-         Autorin und Gastköchin.
                                             flüssiger Luxus, son-
                                             dern zahlt sich aus.
                                                                                                           im dialog 1/2014   11
Im Gespräch

Braucht es in Qualitätsfragen mehr Transparenz? Über diese
Frage debattieren der Luzerner Gesundheitsdirektor
Guido Graf und Nello Castelli, Generalsekretär des Genolier
Swiss Medical Network.
Interview Patrick Rohr

«Am liebsten hätte
ich eine Art TripAdvisor
für Spitäler»
                                      Vorweg, damit wir vom Gleichen reden:       Das klingt überzeugend! Nur ist das
                                      Wie definieren Sie, Herr Castelli, als      Problem, dass der Patient, die Patientin
                                      Leistungserbringer und Sie, Herr Graf,      heute nicht weiss, was gemessen und
                                      als Leistungseinkäufer den Begriff          verglichen wird. Es gibt diesbezüglich
                                      «Qualität»?                                 keine Transparenz!
                                      Guido Graf (GG): «Unter Qualität in der     NC: «Es gibt Transparenz, aber es stimmt,
                                      Medizin verstehe ich nichts anderes, als    für die Patienten sind die Resultate
                                      ich auch zum Beispiel unter Qualität        schwer zu evaluieren. Man spricht zum
                                      beim Autokauf verstehe: Die gewünschte      Beispiel von ISO-Zertifizierungen, aber
                                      Leistung muss gut erbracht werden,          das sagt den meisten Patienten nicht viel.
                                      und das Resultat muss messbar sein. Wie     Wir sind der Meinung, dass ein Label
                                      im Sport, da ist klar messbar, wer der      wie ‹Swiss Leading Hospitals› oder viel-
                                      Beste ist. Und deshalb kann man verglei-    leicht eine Genolier-interne und -externe
                                      chen.»                                      unabhängige Zertifizierung erfolgreicher
                                      Nello Castelli (NC): «Das sehe ich auch     sein könnten.»
—
Guido Graf, Regierungsrat (CVP) des
                                      so. Die Qualität muss auch in der Medizin
                                      messbar sein, denn die Gesundheit ist       Aber das würde ja nicht mehr Vergleichs-
Kantons Luzern, seit 2010 Vorsteher
des Gesundheits- und Sozialdepar-
                                      das Wichtigste für den Menschen, also       möglichkeiten bringen.
tements. Davor war der gelernte       muss man die Qualität nach klaren           NC: «Wahrscheinlich nicht, das stimmt.
Bautechniker und diplomierte Ver-     Vorgaben eruieren können.»                  Deshalb dürfen wir nicht nur Prozesse und
bands-/NPO-Manager Unternehmer.                                                   Strukturen bewerten, sondern müssen
                                                                                  auch die Ergebnisse betrachten. Und das
                                                                                  ist der Teil, der schwierig ist.»

                                                                                  Warum?
                                                                                  NC: «Es gibt von den Ärzten einen grossen
                                                                                  Widerstand dagegen. Als Direktionsmit-
                                                                                  glied der Genolier-Gruppe finde ich aller-
                                                                                  dings, solche Messungen und Vergleiche
                                                                                  sollten möglich sein und publik gemacht
                                                                                  werden. Am liebsten hätte ich eine Art
                                                                                  TripAdvisor für Spitäler. Bis in einigen Jah-
                                                                                  ren sollte jeder Patient und jede Patien-
                                                                                  tin ganz einfach herausfinden können, wie
                                                                                  hoch die Garantie für die Qualität in die-
                                                                                  sem oder jenem Spital ist.»

                                                                                  Das überrascht mich jetzt! Sie scheitern
                                                                                  mit diesem Anspruch an den Ärzten?
                                                                                  NC: «Ja. Und ich sage das ganz generell
                                                                                  für alle Ärzte, nicht nur für unsere. Natür-
                                                                                  lich ist die Evaluation der medizinischen

12   im dialog 1/2014
Im Gespräch

                     —
     Nello Castelli, Gene-
  ralsekretär des Genolier
  Swiss Medical Network.
   Bis 2013 war der Jurist
  stv. Geschäftsführer bei
 der Vereinigung Schwei-
  zerischer Privatbankiers
und Direktionsmitglied bei
               santésuisse.

Leistungen nicht einfach, aber sie ist       vermeiden. In diesem Punkt müssen wir        immer verbessern, und vielleicht müsste
möglich. Die Equam-Stiftung in Basel         uns noch etwas bewegen.»                     man das Thema am besten national an-
macht sie zum Beispiel bereits.»                                                          gehen.»
                                             Allerdings! Das Bundesamt für Gesund-
Herr Graf, wir hören hier ein klares         heit spricht konkret von jährlich 5000       Das ist der Punkt: Seit 2012 haben wir die
Statement von einem Leistungs-               Todesfällen und 120 000 Schadensfällen       freie Spitalwahl. Es nützt wenig, wenn
erbringer. Sehen Sie das als Leistungs-      in Schweizer Spitälern. Und es sagt          ich weiss, dass Regierungsrat Graf im Kan-
einkäufer gleich?                            auch, dass mehr Transparenz zu einer         ton Luzern ganz genau hinschaut, aber
GG: «Ich übernehme in diesem Bereich         Reduktion von etwa der Hälfte dieser         es im Nachbarkanton möglicherweise
ja eine andere Rolle, ich übernehme die      Fälle führen würde.                          ganz anders läuft.
Aufsicht über die Spitäler, welche auf der   GG: «Bei uns im Kanton müssen alle Lis-      GG: «Richtig, es gibt Qualitätskriterien,
Spitalliste sind.»                           tenspitäler dem Verein ANQ ange-             die für alle gleich sein sollten und die man
                                             schlossen sein, dem nationalen Verein für    offen auf den Tisch legen sollte.»
Dann müssten Sie ja umso mehr ein            Qualitätsentwicklung in Spitälern
hohes Interesse an möglichst grosser         und Kliniken. Die Erhebungen des ANQ         Zum Beispiel?
Transparenz haben.                           kann man miteinander vergleichen.            GG: «Die ‹blutige Entlassung›, also wenn
GG: «Ja, dieses Interesse habe ich auch.     Ausserdem verlange ich von unseren           ein Patient oder eine Patientin zu früh
Aber ich muss Ihnen auch sagen, dass         Spitälern jährlich die Beschwerden           aus dem Spital entlassen wird. Das will ja
ich denke, dass die Qualität in unseren      der Patienten. Wenn es da Punkte gibt, die   auch das Spital nicht, sonst gibt es
Spitälern im Vergleich zu unseren            die Qualität betreffen, kann ich rea-        eine sogenannte ‹Garantiearbeit› – das
Nachbarländern nicht schlechter ist. Aber    gieren. Ich stelle in dieser Beziehung bei   heisst, der Patient kommt zurück ins
natürlich, was wir vermeiden können –        unseren Spitälern eine grosse Offen-         Spital, und dieses bekommt dafür keine
Todesfälle, Schadensfälle –, müssen wir      heit fest. Aber klar, Qualität kann man      neue Pauschale.»

                                                                                                                 im dialog 1/2014   13
Im Gespräch

Aber ist nicht genau das das Problem?          anderes Spital. Der Wettbewerb bietet         im Jahr durchführen. So gesehen sagt
Mit der Fallpauschale wird jeder               bereits genug Anreiz für gute Qualität.»      die Liste wenig aus über die Qualität.
vergleichbare Fall gleich abgegolten,                                                        Bräuchte es nicht viel mehr spezialisierte
egal, wie die Qualität ist. Müsste             Moment, das scheint mir jetzt doch            Zentren, damit der Patient wirklich auf die
der Preis nicht viel eher ein Abbild der       etwas gar einfach: Wenn etwas schief-         Qualität vertrauen kann?
Qualität sein, damit die Spitäler              geht, kann sich der Patient für ein           GG: «In der hoch spezialisierten Medizin
auch wirklich einen Anreiz haben, gute         anderes Spital entscheiden – er hat ja        wurde schon sehr viel zusammen-
Qualität zu liefern?                           die Wahl? Damit stellen Sie sich              gelegt. Aber ich bin mit Ihnen einig, dass
NC: «Diesen Anreiz haben wir doch              eben doch gegen mehr Transparenz!             wir hier Nachholbedarf haben. Es ist
heute schon. Der Patient kann frei ent-        GG: «Herr Rohr, jetzt hören Sie mal:          klar, dass jemand, der zwei oder drei Fälle
scheiden, in welches Spital er gehen           Glauben Sie, ein Spital ist auf der Spital-   im Jahr behandelt, nicht die gleiche
will. Und er wählt das Spital, das die beste   liste, wenn es die Qualität nicht sicher-     Qualität bieten kann wie jemand, der für
Qualität liefert. Aber es ist schon klar,      stellen kann? Wenn es eine Gefahr gibt für    50 Fälle zuständig ist. Doch die Zu-
um wirklich entscheiden zu können,             die Patienten, nehme ich dieses Spital        sammenarbeit unter den Spitälern funktio-
bräuchte er mehr Transparenz.»                 von der Spitalliste oder schliesse es. Hier
GG: «Nehmen wir zum Beispiel an,               hat die Aufsicht eine Verantwortung,
jemand geht bei uns im Kanton Luzern           und der Patient muss darauf vertrauen,
ins Kantonsspital und wird zu früh             dass wir diese wahrnehmen.»                   «Der Wettbewerb bie-
entlassen. Dieser Patient will dann sicher                                                   tet bereits genug Anreiz
nicht mehr zurück ins Kantonsspital.           Auf die Liste kommen aber auch Spitäler,
Wer nicht zufrieden ist mit einer Leistung,    die in einem bestimmten Bereich               für gute Qualität.»
der sucht sich beim nächsten Mal ein           höchstens ein bis zwei Operationen            Guido Graf

14   im dialog 1/2014
Im Gespräch

niert in diesem Bereich schon heute.         Sie, dass das Qualitätszentrum eine Ver-      lieber. Einerseits würden wir Aufwände
Die Kantone Luzern und Nidwalden tau-        besserung bringen könnte?                     einsparen, andererseits hätte es auch
schen zum Beispiel Spezialisten aus.         GG: «Das sehe ich auf jeden Fall so, und      der Patient etwas einfacher, wenn er ver-
Aber das ist erst der Anfang, da wird sich   ich unterstütze dieses Zentrum daher          gleichen möchte.»
noch einiges bewegen.»                       auch. Mir ist aber wichtig, dass die Kanto-
                                             ne und vor allem auch die Medizin in          Das müssten Sie doch unterstützen, Herr
Herr Graf, mir fällt auf, dass Sie das       den Prozess eingebunden werden.»              Castelli?
bestehende System verteidigen. Hat das                                                     NC: «Nein. Ich mache gerne den Ver-
auch mit der schwierigen Rolle zu            Was könnte das Qualitätszentrum               gleich mit anderen Bereichen, in denen es
tun, in der Sie sich befinden? Der Kanton    denn an Verbesserungen gegenüber              einen Wettbewerb gibt. Ich kaufe zum
ist einerseits Leistungseinkäufer und        heute bringen?                                Beispiel gern Biogemüse. Da habe ich die
Aufsichtsorgan – und auf der anderen         GG: «Wir haben 26 Kantone und gleich          Wahl zwischen verschiedenen Labels,
Seite auch Leistungserbringer.               viele Systeme für die Qualitätssicherung.     das finde ich gut.»
Können Sie da überhaupt ein Interesse an     Wenn das künftig jemand zentral be-
vollständiger Transparenz haben?             wirtschaftet und laufend weiterentwickelt,    Sie plädieren für völlige Transparenz –
GG: «In meinem früheren Leben war ich        ist das eine grosse Unterstützung für         und sagen gleichzeitig, dass Sie einen
Unternehmer. Als ich vor bald fünf           die Kantone.»                                 Wettbewerb wie bei den Biolabels
Jahren in die Regierung kam, sagte ich:                                                    begrüssen würden? Gerade die Biolabels
Bei mir haben alle die gleich langen         Herr Castelli, sehen Sie das gleich?          sind für mich etwas vom Intranspa-
Spiesse. Das Luzerner Kantonsspital ist      NC: «Nein, ich bin total gegen das natio-     rentesten, als Kunde weiss ich nicht, wer
eine eigene Firma mit einem eigenen          nale Qualitätszentrum.»                       hinter welchem Label und wofür
Spitalrat. Es hat von uns einen Leistungs-                                                 welches Label steht.
auftrag wie ein privates Spital auch. Im     Wie bitte?                                    NC: «Wenn wir keinen Wettbewerb haben,
Gegenzug erhalten die privaten Spitäler      NC: «Ja, weil man in diesem Vorschlag         wie sollen wir dann die Ärzte motivie-
die gleichen gemeinwirtschaftlichen          Qualität und Wirtschaftlichkeit vermischt.    ren, sich für mehr Transparenz einzuset-
Leistungen wie das Kantonsspital. Ich        Wir haben doch schon heute genügend           zen? Wenn es nur eine nationale Stelle
mache ja auch keine Bettenplanung,           Qualitätskriterien und Möglichkeiten, die     gibt, gibt es keinen Wettbewerb und folg-
wie das einige Kantone machen, sondern       Qualität zu messen. Das ist nicht das         lich nicht mehr Transparenz. Wir brauchen
ich will wirklich den Wettbewerb             Problem. Das Qualitätszentrum ist höchs-      den Wettbewerb, auch bei der Qualitäts-
spielen lassen. Und damit habe ich           tens ein Schritt Richtung Verstaatli-         messung.»
früher als Unternehmer und auch jetzt als    chung, es bringt nicht mehr Transparenz.»
Gesundheitsdirektor gute Erfahrungen         GG: «Aber, Herr Castelli, schauen wir
gemacht.»                                    uns doch einmal die heutige Situation an.

                                                                                           —
                                             Wir haben viele verschiedene Quali-
Herr Castelli, denken Sie als Leistungser-   tätssysteme: den ANQ, das Medical Board
                                                                                           Patrick Rohr, Journalist, Fotograf und Kom-
bringer, dass die Kantone diese Doppel-      in Zürich, die ISO-Standards etc. Sie
                                                                                           munikationsberater. Bis 2007 Moderator und
rolle glaubhaft wahrnehmen können?           haben ja selber gesagt, dass der Patient      Redaktor beim Schweizer Fernsehen (u.a.
NC: «Ich bin mit der Einstellung von Herrn   das gar nicht verstehen kann. Da wäre         «Arena», «Quer»). Autor von drei Kommunika-
Regierungsrat Graf sehr zufrieden.           mir ein nationales Qualitätszentrum viel      tionsratgebern.
Mich freut zu hören, dass er das Gesund-
heitswesen als Unternehmer anschaut
und den Wettbewerb spielen lässt. Genau
so sollte es auch mit den Qualitäts-
kriterien sein. Denn schliesslich liegt es
in unserem Interesse als Unterneh-
mer, gute Qualität zu bieten, denn wenn
die Leistungen schlecht sind, wird
niemand zu uns kommen.
    Das Problem der Rolle des Kantons
besteht in der unterschiedlichen Praxis
zwischen den Kantonen. In der Romandie
sieht man oft, dass einige Ihrer Kollegen,
Herr Graf, sagen: Als Regierungsrat
bin ich der Chef des Kantonsspitals, also
entscheide ich für mein Spital! Das
führt zu Protektionismus und verhindert
den Wettbewerb. Und dann hat der
Patient gar keine freie Wahl.»

Künftig soll die Qualitätssicherung nicht
mehr nur Sache der Kantone, sondern
auch des Bundes sein. Der Bundesrat hat
ein Gesetz für ein nationales Quali-
tätszentrum in Auftrag gegeben, welches
das Parlament voraussichtlich im
Frühling 2015 behandeln wird. Denken

                                                                                                                 im dialog 1/2014   15
Persönlich

          60

                                 95%-Konfidenz-
          55                                      signifikant höher als «Spital Schweiz»: 5 Spitäler
                                                  höher als «Spital Schweiz»: 19 Spitäler

                                    intervall
                     Mittel-
          50                                      gleich wie «Spital Schweiz»: 1 Spital
                     wert
                                                  tiefer als «Spital Schweiz»: 25 Spitäler
          45                                      signifikant tiefer als «Spital Schweiz»: 3 Spitäler

          40
Prozent

          35

          30

          25

          20

          15

          10

           5
               Ospedale della Beata Vergine Mendrisio
                                             Spital Thun
                  Ospedale San Giovanni Bellinzona
                          Kantonsspital Graubünden
                                           Spital Bülach
                             Kantonsspital Nidwalden
                         Ospedale La Carità Locarno
                             Kantonsspital Obwalden
                             Ospedale Civico Lugano
                                          Spital Herisau
                                     Spital Zollikerberg
                         Kantonales Spital Appenzell
                               Kantonsspital Fribourg
                                       Spital Limmattal
                                               Spital Wil
                                    Hôpital de Morges
                                            Spital Grabs
                                        Spital Wetzikon
                                   St. Claraspital Basel
                                          Spital Schwyz
                             Kantonsspital Winterthur
                                     Zieglerspital Bern
                                       Spital Interlaken
                                      Kantonsspital Uri
                                 Kantonsspital Glarus
                                        Spital Zofingen
                        Kantonsspital Münsterlingen
                                      Spital Sion-Sitten
                             Kantonsspital Frauenfeld
                                      «Spital Schweiz»
                                      Spital Männedorf
                                            Spital Uster
                               Stadtspital Waid Zürich
                     Hôpital de Pourtalès Neuchâtel
                           Spitalzentrum Biel-Bienne
                         Kantonsspital Schaffhausen
                                 Kantonsspital Luzern
                                  Kantonsspital Aarau
                     Hôpital de La Chaux-de-Fonds
                              Kantonsspital St. Gallen
                                  Zuger Kantonsspital
                            Kantonsspital Bruderholz
                               Universitätsspital Basel
                               Bürgerspital Solothurn
                             Stadtspital Triemli Zürich
                                   Kantonsspital Olten
                                  Kantonsspital Baden
                                   Tiefenauspital Bern
                                        Inselspital Bern
                              Spital Sursee-Wolhusen
                                  Kantonsspital Liestal
                              Universitätsspital Zürich
                                       CHUV Lausanne
                  Hôpitaux Universitaires de Genève
                                                                                                                  Spitalranking 2007 von Comparis: Kombinierte
                                                                                                                     Wiedereintritts-, Infektions- und Fehlerrate.

Comparis möchte die Zufriedenheit von Patienten
systematisch messen. Damit erhielte die Diskussion
über Qualität in den Spitälern neuen Auftrieb.
Von Felix Schneuwly

Warum sind zufriedene
Patienten so wichtig?

                               W                    er den Wettbewerb um medizini-
                                                    sche Qualität gewinnen will, darf
                                                    eines nicht aus den Augen ver-
                                                    lieren: die zufriedenen Patienten.
                                                    Die Tarifpartner dürfen also in ih-
                               ren Verhandlungen über die Vergütung medizinischer
                               Leistungen nicht nur auf die Kosten fokussieren. Auch
                                                                                                        zinischer Qualität wichtig, die Patientenzufriedenheit
                                                                                                        (PaZu) systematisch zu messen und transparent zu
                                                                                                        machen. PaZu-Daten sind eine wichtige Vorausset-
                                                                                                        zung, damit die freie Arzt- und Spitalwahl nicht bloss
                                                                                                        auf blindem Vertrauen basiert. Der Vergleichsdienst
                                                                                                        Comparis möchte daher künftig gemeinsam mit den
                                                                                                        Krankenversicherern Patienten nach ihrem Klinikauf-
                               das Preis-Leistungs-Verhältnis muss eine Rolle spielen.                  enthalt anonym befragen.
                               Die jetzige Vergütungspraxis lässt nämlich ausser Acht,
                               dass die Qualität der medizinischen Leistungen nicht                     Ranking sorgte für Aufsehen
                               bei jedem Leistungserbringer und zu jedem Zeitpunkt                      Bereits 2007 hatte Comparis mit einem Spitalver-
                               die gleiche ist. Darum ist es für die Bewertung medi-                    gleich (vgl. Abbildung oben) für Aufsehen gesorgt und

16        im dialog 1/2014
Persönlich

         die Ärzte sowie die Spitäler provoziert. Trotz massiver    nem zertifizierten Lettershop die Angaben liefern,
         Kritik am Studiendesign und an der Aussagekraft der        welche Versicherten kürzlich im Spital waren und den
         publizierten Infektions-, Rehospitalisations- und Feh-     PaZu-Fragebogen per Post oder elektronisch erhalten
         lerraten gelang es mit diesem Spitalranking, auf die       sollen. Comparis bekommt vom Lettershop für jeden
         «Dunkelkammer» Qualität aufmerksam zu machen               Empfänger eine ID-Nummer. So bleibt die Anonymi-
         und positive Entwicklungen anzustossen.                    tät der Patienten gesichert. Gleichzeitig kann so einer
              Selbstverständlich können Laien nicht beurteilen,     Person X via Lettershop eine Erinnerung geschickt
         ob eine Operation fachlich korrekt und nach dem            werden, falls diese den Fragebogen noch nicht aus-
         neusten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse          gefüllt hat.
         durchgeführt wurde. Aber sie können sehr wohl be-              Comparis wertet die PaZu-Daten für die teilneh-
         urteilen, ob die ihnen in Aussicht gestellten Behand-      menden Versicherer, für den PaZu-Vergleich, für die
         lungsziele erreicht, ihre Anliegen ernst genommen          Versorgungsforschung sowie
         und ihre Fragen beantwortet worden sind. Genauso           für die Öffentlichkeit aus. Auf
         können sie berichten, ob sie ihre Krankengeschichte        dem PaZu-Rechner kann
         mehrmals erzählen mussten oder Untersuchungen              also jeder Patient vor einer
                                                                                                           Patienten können
         mehrmals durchgeführt wurden, weil der Informati-          Operation sehen, wie zufrie-           beurteilen, ob die
         onsfluss zwischen Hausarzt und Spital oder im Spital       den die bisher operierten Pa-
         nicht klappte.                                             tienten in einem Spital waren.
                                                                                                           Behandlungsziele
                                                                    Ein wissenschaftlicher Beirat          erreicht wurden.
         Zufriedenheit systematisch erfassen                        wird dafür sorgen, dass PaZu
         An diesen Punkten setzt Comparis an. Die PaZu soll         nach State of the Art konzi-
         künftig nicht nur in einer einmaligen Umfrage gemes-       piert, durchgeführt und weiterentwickelt wird, wie es
         sen werden, sondern mit einer systematischen, von          vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) verlangt wird.
         Leistungserbringern und Versicherern unabhängigen          Das eigens ausgefertigte Konzept erfüllt die Anforde-
         Befragung der Patienten nach Spitalaufenthalten. Die       rungen des Datenschutzes.
         Ergebnisse der Umfrage unterstützen Patienten bei              Die Verhandlungen mit den Krankenversicherern
         einer fundierten freien Arzt- oder Spitalwahl. Denn zu     laufen bereits. Sobald die entsprechenden Verträge
         wissen, in welchem Spital und bei welchem Operati-         unterzeichnet sind, wird der Beirat aktiv, und der Auf-
         onsteam die Patienten mit der Operation des Meniskus       bau von PaZu kann beginnen. Die ersten Befragungen
         zufrieden sind, ist für Patienten ebenso wichtig wie die   sollen nach jetzigem Stand bereits im kommenden
         Empfehlung des Hausarztes.                                 Jahr durchgeführt werden. Die ersten Ergebnisse wer-
             PaZu-Daten sind aber nicht nur für Patienten hilf-     den publiziert, sobald genügend Daten vorliegen, um
         reich, sondern auch für Versicherer und Leistungs-         statistisch signifikante Aussagen machen zu können.
         erbringer. Spitäler können sich dank dieser Informa-
         tionen in den Tarifverhandlungen mit den Kassen in         Auswertung
         bestimmten Leistungsbereichen von der Konkurrenz           Patientenzufriedenheit
                                                                    im Vergleich
         abheben. Den Versicherern wiederum dienen PaZu-                                     Krankenversicherer
         Daten bei den Vertragsverhandlungen mit den Spi-                                                                 Patienten
         tälern und bei der Unterstützung und Beratung ihrer                                                              (Namen und
         Kunden, damit diese im Krankheitsfall die besten me-                4                                     1      Adressen)

         dizinischen Angebote wählen können.

         Solide Basis für Wettbewerb
         Das Vergütungssystem mit Fallpauschalpreisen nach
                                                                    comparis.ch                                   Lettershop
         SwissDRG ermöglicht ebenso eine Risikoadjustierung
         der PaZu wie Mortalitäts-, Infektions- und Fehlerda-
         ten. Dadurch werden Spitäler mit den eher schweren
         Krankheitsfällen nicht benachteiligt. Zusammen mit
         einem morbiditätsorientierten Risikoausgleich ist das
         eine solide Basis für einen Wettbewerb unter Versiche-                3                                  2
                                        rern und unter Spitälern.                                                       Fragebogen,
                                        Sie kommen auf diese        Fragebogen                                          Login-Anleitung (ID),
                                                                                                  Patient/-in           Begleitbrief,
                                                                    ausfüllen und per Post
In Kürze                                Weise weg vom Kosten-
                                                                    senden oder Fragebogen                              Antwortcouvert
                                        runter-Fokus, hin zum       online ausfüllen
• Comparis will mit Kran-               besten Preis-Leistungs-
  kenversicherern Patienten             Verhältnis. PaZu-Daten
  anonym und systema-                   werden selbstverständ-
  tisch befragen.                       lich auch der Versor-
                                        gungsforschung zur Ver-
                                                                    —
                                                                    Felix Schneuwly, Berufslehre als Sanitärinstallateur,
• Ziel: Wettbewerb weg                  fügung gestellt.            Studium in Psychologie, Berufsberatung und Jour-
  vom Kosten-runter-Fokus,                  Comparis möchte         nalistik sowie berufsbegleitendes Nachdiplomstudi-
                                        PaZu-Umfragen im Auf-       um in Business and Administration (Executive MBA).
  hin zum Preis-Leistungs-
                                        trag der Krankenversi-      Tätigkeit in verschiedenen Verbänden des Sozial- und
  Verhältnis.                           cherer durchführen. Da-     Gesundheitswesens, u.a. als Leiter Politik und Kom-
                                        zu würden die teilneh-      munikation bei santésuisse und seit 2012 Head of
• Ergebnisse sollen die                 menden Versicherer ei-      Public Affairs der comparis.ch AG.
 Patienten bei fundierter
 Arzt- und Spitalwahl
 unterstützen.
                                                                                                                      im dialog 1/2014    17
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