Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...

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Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
HR Today Special                 2016

Betriebliches
Gesundheitsmanagement
Die themenspezifische Beilage zum HR Today

Strategie: Flexibles BGM in einer beschleunigten Arbeitswelt – Best Case Axa Winterthur
Prozesse: Wie sich Romande Energie mit dem S-Tool einem Stresstest unterzieht
Ergebnisse: Micarna über ihre erprobten BGM-Erfolgsfaktoren
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Das Label Friendly Work Space ist ein Qualitätssiegel für Firmen, die das
                                                                             Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) in ihre Unternehmensstra-
                                                                             tegie integriert haben und dieses systematisch umsetzen. Betriebliches
                                                                             Gesundheitsmanagement umfasst die Gestaltung betrieblicher Struktu-
                                                                             ren und Prozesse mit dem Ziel, die Voraussetzungen für die Gesundheit
                                                                             der Mitarbeitenden nachhaltig zu optimieren und damit zum Unterneh-
Systematisches BGM zahlt sich aus                                            menserfolg beizutragen.

SCHRITT FÜR SCHRITT ZUM SYSTEMATISCHEN BGM

                                                                             KONZEPT /
   I   SENSIBILISIERUNG             II   ANALYSE                       III   KONKRETISIERUNG            IV   UMSETZUNG

                                                                             BGM-Ziele setzen /
       Vorstellung BGM                   Standortbestimmung                                                  Self-Assessment
                                                                             Kennzahlen aufbauen

       Kundenbesuch &
                                         GAP-Analyse                         Workshop                        Readyness-Test
       Präsentation

       Wissen aufbauen                   Mitarbeiterbefragung                Konzept erstellen               Assessment

       Weiterbildung                     S-Tool                              Beratung                        Beratung

       Sensibilisierung GL /             Analyse
       Kader / Mitarbeitende             Gesundheitszahlen

       Workshop                          Beratung

       Commitment GL
                                         Gesamtanalyse                       BGM-Konzept                     systematisches BGM
       für BGM-Projekt

  V    EVALUATION /

       BGM-KOMMUNIKATION

       To Do             Produkte/Massnahmen           optionale Beratung
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Inhalt/Editorial Betriebliches Gesundheitsmanagement

Inhalt
Einleitung

04 	Gesundheitskultur Ein strategisch verankertes Gesundheits-
     management ist (nur) ein erster Schritt hin zu einer gesunden
     Unternehmenskultur. Ein Gastbeitrag von Dr. Thomas Mattig,
     Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz.

05	Job Crafting Ist Arbeit gesünder, wenn wir sie selbst gestal-
    ten können? Die Professorin für Arbeits- und Organisationspsy-
    chologie Gudela Grote setzt sich im Interview dafür ein, dass
    alle Mitarbeitenden ihre Arbeit mitgestalten können.

06	Be healthy! Viele Unternehmen sind krank. Die Symptome
    sind wenig engagierte und resignierte Mitarbeitende. Michael
    Sonntag, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, fordert    Liebe Leserinnen, liebe Leser
    im Interview eine Abkehr von alten Managementsystemen.
                                                                     Nichts prägt die Gesundheit der Mitarbeitenden so sehr wie das
Strategie                                                            Verhalten und der Führungsstil ihrer Vorgesetzen. Dabei spielt die
                                                                     Unternehmenskultur eine nicht zu vernachlässigende Rolle: Sie ist
08	Best Case Axa Winterthur Geschäftsstrategien ändern sich.       entweder gesundheitsförderlich, das heisst wertschätzend und aner-
     Auch das private Umfeld der Mitarbeitenden ist vor Umwäl-       kennend, oder sie lässt ihre Mitarbeitenden ausbrennen. In Zeiten, in
     zungen nicht gefeit. Dies macht ein flexibles BGM notwendig.    denen sich viele Unternehmen schwer damit tun, qualifizierte Fach-
     Regula Keller und Esther Graf erläutern die BGM-Strategien      kräfte zu finden, werden im Wettlauf um die besten Arbeitskräfte
     der Axa Winterthur.                                             jene gewinnen, die in die Weiterentwicklung ihrer Unternehmens-
                                                                     kultur investieren und diese menschengerecht gestalten.
Prozesse
                                                                     Weshalb aber haben so viele Unternehmen Mühe, eine gesunde
11	Best Case Romande Energie Das S-Tool ist ein Instrument,        Unternehmenskultur zu schaffen? Für Michael Sonntag, Facharzt für
     mit dem Arbeitgeber Stress im Unternehmen ausfindig ma-         Psychiatrie, und Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organi-
     chen können. Jean-Georges Walter und Christian Bieri haben      sationspsychologie, ist es das «falsche Menschenbild», das in vielen
     ihr Unternehmen damit auf Herz und Nieren geprüft.              traditionell organisierten Unternehmen allzu oft vorherrsche: Dieses
                                                                     gehe vom Menschenbild X nach McGregor aus, wonach Menschen
Massnahmen                                                           nicht von sich aus handeln, sondern belohnt, angetrieben oder gar
                                                                     bestraft werden müssen (Seite 5/6).
14	Neue Officewelten Um das interne Silodenken zu überwin-
     den, setzen Unternehmen vermehrt auf Multispace-Büroflä-        Werte, Normen und Überzeugungen mögen zwar nicht direkt mess-
     chen. Daniel Schweingruber, Leiter Arbeitswelten beim Büro-     bar sein, sie sind aber spürbar und haben Auswirkungen. Beispiels-
     ausstatter Witzig, und Nathalie Bourquenoud, Leiterin Human     weise auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens und damit
     Development bei der Mobiliar, über die neuen Arbeitswelten.     auf dessen Fortbestehen. Drei Fallbeispiele, jenes der Axa Winterthur,
                                                                     Romande Energie und Micarna, zeigen auf, wie eine gesundheitsför-
Ergebnisse                                                           derliche Kultur wahrnehmbar wird.

17	Best Case Micarna Während viele Unternehmen erst BGM-           Auch die Gesundheitsförderung Schweiz setzt auf den Kulturwan-
     Gehversuche machen, wurde Micarna bereits zum dritten Mal       del. So steht die Nationale Tagung für betriebliches Gesundheitsma-
     mit dem Label Friendly Work Space ausgezeichnet. HR-Leiter      nagement am 24. August 2016 in Zürich ganz im Zeichen der Unter-
     Stefan Harder über die Erfolgsfaktoren eines erprobten BGM-     nehmenskultur.
     Systems.
                                                                     Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre
19	BGM als Employer-Branding-Faktor Die Jobplattformen             Im Namen der Redaktion
     jobs.ch und jobup.ch von Jobcloud sind mit Gesundheitsförde-
     rung Schweiz eine Kooperation eingegangen. Der Jobcloud-        Corinne Päper, Redaktorin HR-Today
     CEO Renato Profico im Gespräch.                                 Verantwortliche Special «Betriebliches Gesundheitsmanagement»

HR Today Special 2016                                                                                                                    3
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Betriebliches Gesundheitsmanagement Strategie

         Gesundheitskultur
         Ein strategisch verankertes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist der erste Schritt zu einer gesunden
         Unternehmenskultur. Das genügt jedoch nicht. Der Kulturwandel erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit
         der gelebten Kultur. Ein Gastbeitrag von Thomas Mattig, Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz.

                                 Schaut man sich in der Wirtschaftsliteratur um,     können diese Zahlen nur bestimmte Aspekte des Kultur-
                                 stösst man auf unterschiedliche Definitionen und    wandels abbilden. So lässt sich belegen, dass Krankheits-
                         Beschreibungen: Da ist von der «Grundgesamtheit ge-         absenzen durch ein systematisches BGM zurückgehen.
                         meinsamer Werte, Normen und Einstellungen» die Rede.        Befragungen zeigen auch, dass die Zufriedenheit der
                         Die Unternehmensethnologie sieht die Kultur als ein so-     Mitarbeitenden steigt.
                         ziales Phänomen, das «funktional, erlernbar und wan-            Doch all das sind nur Teilaspekte der Unternehmens-
                         delbar» ist. Die Kultur einer Organisation oder eines       kultur. Messbar sind Verhaltensweisen, aber nicht die
                         Unternehmens wird gar mit der «Persönlichkeit» eines        «Werte, Normen und Überzeugungen», die laut Wirt-
                         Menschen verglichen.                                        schaftslexikon eine Unternehmenskultur ausmachen.
Dr. Thomas Mattig             Klar ist: Kultur wird von Menschen gemacht. Men-       Diese Tiefenstruktur mag nicht messbar sein, spürbar ist
ist seit 2007 Direktor   schen sind komplexe Wesen, und die Komplexität ver-         sie aber. Sie zeigt sich in der Atmosphäre eines Betriebs,
der Stiftung Gesund-     vielfacht sich, wenn Menschen in einem Unternehmen          äusserlich sichtbar in der Möblierung, wahrnehmbar in
heitsförderung
                         zusammenarbeiten. Mit dieser Komplexität müssen wir         der Art, wie die Menschen in einem Betrieb miteinander
Schweiz und Lehr­
beauftragter an der      rechnen, wenn wir mit Betrieblichem Gesundheitsma-          umgehen.
Universität Genf.        nagement einen Kulturwandel in Gang setzen wollen.
Er ist Autor mehrerer                                                                Gesundheitskultur ist keine Monokultur
Werke und publizierte    Stressherde entdecken                                       Gesundheitsförderung Schweiz schlägt den Betrieben
zuletzt das Buch
                         Der Begriff der Kultur stammt aus dem Ackerbau. Das         eine Roadmap vor. Der erste Schritt ist die Analyse des
«Healthy Economy –
Neue Denkformen für      heisst: Kultur ist etwas Gewachsenes. Hinter jeder Un-      Ist-Zustands. Die weiteren Schritte werden auf die je-
eine gesunde Wirt-       ternehmenskultur steckt eine Geschichte. Die Frage ist:     weiligen Betriebe angepasst, denn Gesundheitskultur
schaft» im Verlag        Wie erkennen wir diese Geschichte, wie können wir sie       ist keine Monokultur, die über alle Betriebe verhängt
Neue Zürcher Zeitung.    gebührend berücksichtigen?                                  werden kann. Das zentrale Element dafür ist die Kom-
                             Seit rund zehn Jahren befasst sich Gesundheitsförde-    munikation. Und damit ist nicht gemeint, mit wohlfor-
                         rung Schweiz intensiv mit Betrieblichem Gesundheitsma-      mulierten Leitsätzen die Kultur von oben zu steuern.
                         nagement. In dieser Zeit sind die Analyseinstrumente        Sondern es bedeutet, gute Rahmenbedingungen für
                         systematisch verfeinert und weiterentwickelt worden.        Meinungsaustausch und Auseinandersetzungen zu
                         Mit Befragungen können Stressherde entdeckt und sys­        schaffen.
                         tematisch angegangen werden. Unternehmen aus den                 Gesundheitskultur ist ein Stück weit auch Konflikt-
                         unterschiedlichsten Branchen erkennen die Bedeutung         kultur, in der Menschen als komplexe Persönlichkeiten
                         der Gesundheit und führen ein systematisches Gesund-        wahrgenommen werden und die anerkennt, dass Pro-
                         heitsmanagement ein.                                        duktivität aus dem Zusammenspiel von Unterschieden
                             BGM ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem      entsteht.                                             n
                         Kulturwandel. Vollzogen ist er damit allerdings noch                                                Thomas Mattig
                         nicht. Wenn wir Unternehmenskultur als etwas über die
                         Jahre Gewachsenes betrachten, braucht auch der Wan-           www.gesundheitsfoerderung.ch
                         del seine Zeit. Es gibt in einer Unternehmenskultur –
                                                                                       Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die
                         nicht anders als bei einer Persönlichkeit – Tiefenstruk-      von Kantonen und Versicherern getragen wird und
                         turen, die schwer zu erkennen sind. Das Wort «Gesund-         einen gesetzlichen Auftrag hat, Massnahmen zur För-
                         heitsmanagement» suggeriert, dass Gesundheit in               derung der Gesundheit zu initiieren, koordinieren
                         einem Betrieb gemanagt werden kann wie andere Un-             und evaluieren. Die Stiftung unterliegt der Kontrolle
                         ternehmensziele. Erwartet wird auch, dass die Ergeb-          des Bundes. Mit einem Beitrag von 20 Rappen pro
                                                                                       Monat leistet jede Person in der Schweiz einen Bei-
                         nisse gemessen und verglichen werden können.                  trag an die Gesundheitsförderung. Dieser wird von
                                                                                       den Krankenversicherern eingezogen. Die Standorte
                         Spürbare Tiefenstruktur                                       von Gesundheitsförderung Schweiz befinden sich in
                         Auch in dieser Hinsicht sind Fortschritte erzielt worden.     Bern und Lausanne.
                         Die Wirkung von BGM lässt sich nachweisen. Allerdings

4                                                                                                                     HR Today Special 2016
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Strategie Betriebliches Gesundheitsmanagement

                            Job Crafting
                            Wird Arbeit gesünder und besser, wenn wir sie selbst gestalten?
                            Dieser Frage stellt sich Gudela Grote in ihrem Referat an der
                            Nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement.

       Frau Grote, Sie setzen sich für «ge-                                                  im besten Fall sogar fördern. Die Beschäf-
       sundheitsförderliche Unterneh-                                                        tigten sollen alle ihnen zur Verfügung ste-
menskultur» ein. Was verstehen Sie da-                                                       henden Mittel nutzen, um mitzugestalten.
runter?                                                                                      Wichtig ist auch, dass sie ein Gespür dafür
    Gudela Grote: Die Unternehmenskultur                                                     entwickeln, wann ihnen zu viel oder zu we-
beinhaltet alle Grundannahmen, die sich im                                                   nig zugemutet wird oder sie das mit sich
Umgang mit täglichen Problemen herausge-                                                     selbst tun. Eine gezielte Beeinflussung der
bildet haben. Sie werden von den Beschäf-                                                    Unternehmenskultur ist jedoch nur begrenzt
tigten als gültig angesehen und neuen Mit-                                                   möglich. Man kann beispielsweise durch
arbeitenden weitervermittelt. Wenn daraus                                                    eine gezielte Personalselektion versuchen,
Werte und Handlungsweisen erwachsen, die                                                     neue Grundannahmen zu pflanzen. Dass da-
den gegenseitigen Respekt, die adäquate
Einschätzung von Stärken und Schwächen                                                         «Auch hundert Jahre nach Frederick
der Mitarbeitenden sowie das gemeinsame                                                       Taylor werden Menschen noch oft als
Lernen beinhalten, ist dies eine gute Aus-                                                    Maschinen gesehen, die immer zu hun-
gangslage dafür, Arbeitsbedingungen ent-                                                      dert Prozent zu funktionieren haben.»
sprechend den Bedürfnissen und Möglich-
                                                                                              Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und
keiten der Mitarbeitenden zu gestalten.
                                                                                                Organisationspsychologie, ETH Zürich

Was sind die Bedingungen, damit eine
gesundheitsförderliche Kultur entsteht?                                                      raus eine neue Kultur entsteht, ist aber oft
    Die genannten Grundannahmen müssen                                                       ein schwieriger und langwieriger Prozess.
sich entwickeln können. Dazu sind Vorbilder                                                  Die Überprüfung von gesundheitsförder-
im Unternehmen hilfreich, die diese Annah-                                                   lichen Grundannahmen ist hingegen ein-
men verkörpern, aber auch die gemeinsame                                                     facher: Krankheitsstände, Präsentismus und
                                               Gudela Grote ist Professorin für Arbeits-
Erfahrung, dass Verhalten, das diesen          und Organisationspsychologie an der
                                                                                             Kündigungen sind negative, individuelles
Grundannahmen folgt, geschätzt und be-         ETH Zürich.                                   Engagement, Teamgeist, Lernen und konti-
lohnt wird.                                                                                  nuierliche Verbesserung dagegen positive
                                               «Die Grundannahmen, wie Menschen              Indikatoren.
Woran krankt es aus Ihrer Sicht in der         ‹funktionieren›, und die im Unterneh-
                                               mensalltag daraus abgeleiteten Werte
Praxis am häufigsten?                          prägen das Handeln in Firmen. Wenn
                                                                                             Was ist die Rolle des HR?
    Meiner Meinung nach werden auch            diese Werte gegenseitigen Respekt, ge-            HR-Fachleuten kommt die spezielle Rolle
hundert Jahre nach Frederick Taylor Men-       meinsames Lernen und eine angemes-            zu, den Prozess der Kulturveränderung zu
schen immer noch oft als Maschinen gese-       sene Einschätzung von Stärken und             reflektieren und dadurch möglicherweise
hen, die immer zu hundert Prozent zu funk-     Schwächen fördern, ist das eine gute Ba-      bewusster zu gestalten. Ob dies zugelassen
                                               sis für eine Arbeitgestaltung, bei der sich
tionieren haben.                               betriebliche Vorgaben und individuelles
                                                                                             oder gewünscht wird, hängt wiederum von
                                               Job Crafting ergänzen. Job Crafting           der bestehenden Kultur ab. Eine Kultur zu
Wie lassen sich diese Verhältnisse verän-      sollte zudem nicht nur ‹Talenten› oder        verändern, ist ein Sich-am-eigenen-Schopf-
dern?                                          Schlüsselpersonen, sondern allen Mitar-       aus-dem-Wasser-ziehen-Prozess. Wenn HR-
    Organisationen entwickeln immer eine       beitenden offen stehen.»                      Fachleute Einfluss nehmen wollen, müssen
Eigendynamik. Diese zu beobachten, zu re-      Nationale Tagung für betriebliches
                                                                                             sie dies unter Berücksichtigung der beste-
flektieren und zu beeinflussen, ist eine der   Gesundheitsmanagement 2016                    henden Kultur tun, aber auch versuchen,
wichtigsten und schwierigsten Führungsauf-     Datum: 24. August 2016                        Vorstellungen zu verändern, wenn die Un-
gaben. Die Entscheidungsträger sind dafür      Zeit: 11:45 Uhr                               ternehmenswerte zu Arbeitsbedingungen
verantwortlich, dass die Arbeitsbedingun-      Ort: Universität Irchel, Zürich               führen, die der Gesundheit der Beschäf-
                                               www.gesundheitsfoerderung.ch
gen die physische und psychische Gesund-                                                     tigten schaden.                         n
heit der Mitarbeitenden nicht schädigen und                                                                  Interview: Corinne Päper

HR Today Special 2016                                                                                                                  5
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Betriebliches Gesundheitsmanagement Strategie

                             Be healthy!
                             Warum Firmen ohne radikalen Wandel des Managementsystems nicht
                             gesunden können, erläutert Michael Sonntag in seinem Referat an der
                             Nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement.

      Herr Sonntag, Sie setzen sich für                                                      Wie liessen sich die Verhältnisse verän-
      «gesunde        Unternehmenskul-                                                       dern?
turen» ein. Was verstehen Sie darunter?                                                          Das gelingt nur, wenn wir konsequent
    Michael Sonntag: In einem gesunden                                                       mit und nicht gegen die menschliche Natur
System gibt es keinen Widerspruch zwischen                                                   arbeiten. Alle Menschen haben genetisch
der Gesundheit eines Mitarbeitenden und                                                      und neurobiologisch tief verankerte Prin-
der eines Unternehmens. Im Gegenteil: In                                                     zipien in sich, die sich über Hunderttausende
einem gesunden System verstärken sie sich                                                    von Jahren entwickelt haben. Diese bewe-
gegenseitig. Sind die Rahmenbedingungen                                                      gen uns dazu, mit Mitmenschen zu koope-
förderlich, engagieren sich die Mitarbeiten-                                                 rieren, um Lösungen für unsere Probleme zu
den und bleiben gesund. Bei den meisten                                                      finden. Wenn wir mit der menschlichen Na-
Firmen ist aber das Gegenteil der Fall. Häufig                                               tur arbeiten wollen, müssen wir gesund-
verunmöglicht das Umfeld den Mitarbeiten-                                                    heitsförderliche Grundregeln kennen und
den, sich zu engagieren. Das verursacht viel                                                 dann die geeigneten Strukturen und Pro-
chronischen Stress und dementsprechend                                                       zesse schaffen.
hoch fallen auch die Krankheitsquoten aus.
                                                                                             Worin sehen Sie die Verantwortung der
Können Sie diese Aussage anhand eines                                                        Geschäftsleitung und des Manage-
Beispiels illustrieren?                          Michael Sonntag ist Facharzt für Psychi-    ments?
    Wenn ein engagierter Mitarbeitender          atrie und Psychotherapie bei Sonntag            Die Geschäftsleitung und das Manage-
verwarnt wird, weil er zusammen mit einem        Consulting, Bern.                           ment sind dafür verantwortlich, eine Firma
Kunden eine einfache und kostengünstige                                                      so zu gestalten, dass ihre Mitarbeitenden mit
                                                 «Unternehmen zeigen oft Krankheits-
Lösung ohne Einwilligung seines Vorgesetz-                                                   minimalem Energieaufwand ein Maximum
                                                 symptome: Sie haben wenig engagierte
ten erarbeitet hat, wird er sich sofort weni-    und viele resignierte Mitarbeitende, sind   an Mehrwert schaffen. Die traditionellen
ger engagiert verhalten und in einen passiv-     wenig anpassungsfähig und leiden an         Managementsysteme sind dafür höchst un-
angepassten Überlebensmodus wechseln.            einer blockierten Innovationskultur. Von    geeignet. Sie sind ineffizient, kostenintensiv
Das schadet ihm auf Dauer gesundheitlich         lebendigen und gesunden Systemen aus-       und verhindern eine schnelle Anpassung.
                                                 gehend, sollen die Teilnehmenden er-
– und der Kunde wird vermutlich enttäuscht                                                   Zudem unterdrücken sie das Potenzial der
                                                 kennen, weshalb traditionelle Manage-
sein und sich einen besseren Geschäftspart-      mentsysteme häufig die Ursachen sol-        Mitarbeitenden. Das muss die Geschäftslei-
ner suchen.                                      cher Erscheinungen sind. Statt gegen die    tung als Erstes erkennen und sich entschlies-
                                                 menschliche Natur zu arbeiten, müssen       sen, dies zu ändern.
Worin sehen Sie die Ursachen für solche          Rahmenbedingungen das Miteinander
                                                 der Mitarbeitenden ermöglichen. Nicht
Phänomene?                                                                                   Was ist die Rolle des HR?
                                                 nur ihrer Gesundheit zuliebe, sondern
    Eines der grössten Probleme sehe ich da-     auch, um konkurrenzfähig zu bleiben.            Das HR muss die kulturellen Zusammen-
rin, dass wir immer noch von einem völlig        Ohne Paradigmawechsel und radikale          hänge kennen und das «working with hu-
veralteten, falschen und simplifizierenden       Abkehr von traditionellen Management-       man nature» in allen Unternehmensbe-
Menschenbild ausgehen. Zwar würde keine          systemen ist eine Genesung jedenfalls       reichen vertreten. Es muss vermitteln, wie
                                                 nicht möglich – auch nicht mit viel gutem
Führungsperson sagen, dass er das Men-                                                       sich eine gesundheitsförderliche Kultur aus-
                                                 Willen.»
schenbild X nach Douglas McGregor verin-                                                     wirkt. So sind Prozesse, die sich nach diesen
nerlicht hätte, das davon ausgeht, dass Mit-     Nationale Tagung für betriebliches          Prinzipien orientieren, ganz anders als ein
                                                 Gesundheitsmanagement 2016
arbeitende anzutreiben seien, weil sie von                                                   traditionelles Prozessmanagement. Das er-
                                                 Datum: 24. August 2016
sich aus nicht handeln. Praktisch sämtliche      Zeit: 11:15 Uhr                             fordert ein ganzheitliches Verständnis dafür,
unserer Entscheide, Prozesse und Strukturen      Ort: Universität Irchel, Zürich             was eine «gesunde» Organisation ist. Das
gehen jedoch von diesem Menschenbild             www.gesundheitsfoerderung.ch                HR wird dann zum aktiven Mitgestalter. n
aus.                                                                                                          Interview: Corinne Päper

6                                                                                                                 HR Today Special 2016
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Nationale Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement 2016

        Unternehmenskultur und Gesundheits-
        management – Wie sich Unternehmen
         langfristig erfolgreich positionieren
                 Mittwoch, 24. August 2016, Universität Irchel, Zürich

09.15 Uhr                           09.45 Uhr                     10.15 Uhr                          16.30 Uhr
Auf dem Weg zur Gesund-             Meine Trisa – wie eine        Wann Arbeit froh macht?            Gesundheitsförderliche
heitskultur – ihre Komponen-        Unternehmenskultur Einfluss   In erster Linie, wenn sie allen    Unternehmenskultur
ten und Verankerung                 auf die Absenzquote nehmen    Mitarbeitenden der öffentli-       zwischen Optimierung
Prof. em. Dr. Norbert Thom,         kann                          chen Hand Sinn stiftet,            und Erneuerung
ehemaliger Direktor des Instituts   Lucien Baumgaertner, Leiter   Vergnügen bereitet und sie         PD Dr. Georg Bauer, Abteilungs-
für Organisation und Personal       Human Resources, Trisa AG,    mit Stolz erfüllt!                 leiter, Institut für Epidemiologie,
(IOP) der Universität Bern          Triengen                      Véronique Lagrange, Leiterin       Biostatik und Prävention,
                                                                  Mobilität, FÖD Mobilität und       Universität Zürich
                                                                  Transportwesen, Brüssel, Belgien

                  30 weitere Symposien aus Wirtschaft und Wissenschaft
                         www.gesundheitsfoerderung.ch/bgm-tagung

Tagungspartner                                         Hauptsponsoren
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Betriebliches Gesundheitsmanagement Strategie

                Best Case Axa Winterthur
                Gut verwurzelt
                Alles verändert sich. Geschäftsstrategien, aber auch das Privatleben der Mitarbeitenden. Um den
                gesundheitlichen Bedürfnissen der Mitarbeitenden dabei gerecht zu werden, ist ein flexibles
                Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) notwendig. Wir haben die BGM-Verantwortlichen
                der Axa Winterthur Regula Keller und Esther Graf b­ efragt, welche strategischen Schwerpunkte
                sie setzen.

      Frauen und Männer unterschiedlichs-         views immer wieder fallen: Wertschätzung,        Safety­Report» an die Geschäftsleitung über
      ten Alters, Privatkunden und Firmen:        Vertrauen und «Straight Talk», eine Fehler-      aktuelle Fallzahlen, geleistete Beratungs-
Die Axa-Kundschaft ist divers. Ebenso unter-      kultur, die Lernen zulässt, flexible Arbeits-    stunden oder über die BGM-Angebote, die
schiedliche Menschen trifft man beim Ver­         zeitmodelle und familienfreundliche Struk-       am meisten Anklang finden. Mitarbeitende
sicherer intern an. Diese Mitarbeiterdurch­       turen.                                           und Vorgesetzte werden zudem wiederkeh-
mischung bilde die Schweizer Bevölkerung               Ein solch bunt durchmischtes Unterneh-      rend zur Leistung und Gesundheit befragt.
fast genau ab, erklären die beiden BGM-           men lässt sich nicht alleine über eine Dienst-   Wichtig sei, «dass das BGM integriert ist und
Verantwortlichen der Axa Regula Keller und        stelle managen. Während das Betriebliche         nicht als ‹Sonderzügli› durchs Unternehmen
Esther Graf. Mitarbeitende der Axa Win-           Gesundheitsmanagement der Axa mit acht           fährt», ergänzt Keller. «Erst dann hat man
terthur stammen aus 33 Nationen, rund 26          Mitarbeitenden im HR angesiedelt ist, sorgt      Chancen, Gehör zu finden.» Deshalb fliesse
Prozent von ihnen arbeiten Teilzeit und sind      eine Steuerungsgruppe dafür, dass sich die       das BGM bei der Axa auf verschiedenen Ebe-
in über hundert unterschiedlichen Berufs-         verschiedenen Bereiche wie die Axa Acade-        nen ins Unternehmen ein: ins Leitbild, ins
feldern tätig.                                                                                     Personalreglement und in die Führungsschu-
                                                                                                   lungen. Mit dem Ziel, Bestandteil des Mitar-
Blaue Kultur                                             «Wichtig ist, dass das BGM                beiter- und des Führungsverhaltens zu wer-
Eine Vielfalt, die ihre betriebswirtschaftliche                                                    den.
                                                        nicht als ‹Sonderzügli› durchs
Berechtigung hat, denn um den ständig än-
dernden Kundenbedürfnissen gerecht zu
                                                            Unternehmen fährt.»                    Eine Frage des Alters
werden und innovative Kundenlösungen zu                   Regula Keller, Leiterin BGM,             Wie sehr unterscheiden sich die Bedürfnisse
erarbeiten, braucht es verschiedene Blick-                     Axa Winterthur                      der Mitarbeitenden bei der flexiblen
winkel und mehr Agilität. Dabei gilt es, die                                                       Arbeitsgestaltung?«Nicht alle Frauen sind
Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Auge zu                                                          gleich, nicht alle 55 Plus sind gleich», meint
behalten: «Blaue Kultur» heisst das Erfolgs-      my, die interne Schule für Mitarbeitende und     Esther Graf: «Es kommt eher auf das Umfeld
rezept der Axa. Die offene, direkte und res­      Führungskräfte, das Diversity Management,        oder die Lebensumstände an, weniger auf
pektvolle Unternehmens­kultur bilde einen         die Personaldelegation sowie die Corporate       das Alter.» So gäbe es Axa-Mitarbeitende,
Pfeiler des Betrieblichen Gesundheitsma-          Responsibility und das Case Management           die mit 55 im Ausland arbeiten wollten,
                                                                                                                                                    Fotos: Jeroen Singer

nagements, sagen Regula Keller und Esther         zwei- bis fünfmal jährlich austauschen. «Die-    während sich andere frühpensionieren lies-
Graf. «Sie beeinflusst, ob die Mitarbeiten-       se Vernetzung hilft uns, frühzeitig zu erken-    sen, oder solche, die bereits mit zwanzig
den ihre Arbeit als verständlich, sinnhaft und    nen, wo die Probleme liegen», betont Esther      oder erst mit vierzig Kinder haben. «Ich
handhabbar erleben», ergänzt Regula Keller.       Graf. Einmal jährlich rapportieren die beiden    selbst habe beispielsweise erst mit 39 Jahren
Stichworte, die hierzu im Verlauf des Inter-      BGM-Spezialistinnen mit dem «Health &            zu studieren begonnen», wirft Re­gula Keller

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Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Strategie Betriebliches Gesundheitsmanagement

                                                                     Weit verzweigt und geerdet:
                                                                     Bei der Axa Winterthur sorgen
                                                                     Regula Keller und Esther Graf
                                                                     als Co-BGM-Leiterinnen
                                                                     für *Diversität im Gesundheits­-
                                                                     management.
Fotos: Jeroen Singer

                       HR Today Special 2016                                                   9
Betriebliches Gesundheitsmanagement - Gesundheitsförderung ...
Betriebliches Gesundheitsmanagement Strategie

       «Gesundheit ist nicht erst seit gestern ein Thema.                              «Heute meinen viele Mitarbeitende,
           Was es braucht, um gesund zu bleiben,                                           dass alles möglich sein muss.
                verändert sich nicht gross.»                                         Sie ‹mosten› ihren Terminkalender voll.»
            Regula Keller, Leiterin BGM, Axa Winterthur                               Esther Graf, Leiterin BGM, Axa Winterthur

ein. Während für viele ältere Mitarbeitende      Mittag zu Eltern-Lunches, wo sich die Mitar-    keiten neuer Technologien. «Früher sorgten
«die Karriere nicht mehr im Vordergrund          beitenden über alle Hierarchiestufen hinweg     fest vorgegebene Strukturen dafür, dass sich
steht», so Esther Graf, «wollen die Älteren      zu Themen wie der Kinderbetreuung wäh-          Mitarbeitende abgrenzten», sagt Esther
genauso wie die Jungen Spass an der Arbeit       rend der Schulferien beratschlagen.             Graf. Entweder sei man ins Büro gegangen
haben, wertgeschätzt werden und Arbeits-                                                         oder eben nicht und am Wochenende blieb
sowie Privatleben so gut wie möglich unter       Evergreens statt Trends                         die Türe zu. «Heute meinen viele Mitarbei-
einen Hut bringen.» Flexibel zu arbeiten, sei    Während Massage- und Fitnessaboange-            tende, dass alles möglich sein muss. Sie
für alle gleich wichtig, ebenso eine gesunde     bote von Jüngeren und Älteren gleichermas-      ‹mos­ten› ihren Terminkalender voll.» Jede
Unternehmens- und Fehler­     kultur. Neben      sen genutzt werden, nehmen an den Semi-         Minute ihres Tages sei verplant. Fürs Mittag­
einem breiten Spektrum an individuellen          naren eher ältere Mitarbeitende teil. Eine      essen bliebe dann keine Zeit mehr, weil sie
BGM-Beratungsangeboten zur Wiederein-            Erklärung dafür hat Esther Graf schon bereit:   früher nach Hause gehen müssten um X und
gliederung bei Krankheit und Unfall, bei         «Anfangs ist die Karriere sehr wichtig. Es      Y zu erledigen. Dieses Verhalten führe dazu,
Konflikten oder bei ungenügender Leis­tung       kann nicht schnell genug gehen.» Gesund-        dass sich viele Mitarbeitende wie in einem
eines Mitarbeitenden bietet die Axa Semi-        heit sei für jüngere Mitarbeitende oft zweit-   Hamsterrad fühlten: «Sie rennen von Termin
nare für alle Mitarbeitenden an. Diese rei-      rangig, etwas, das man einfach habe.            zu Termin.» Die Menschen müssten lernen,
chen vom «Sport-über-Mittag» über einen              «Gesundheit ist nicht erst seit gestern     sich wieder mit ihren Werten auseinanderzu-
medizinische Checkup bis hin zu einem            ein Thema», beantwortet Regula Keller un-       setzen und auch mal zu sagen: «Ich laufe
«Lunch & Learn-Achtsamkeitskurs» oder ei-        sere Frage nach BGM-Trends. «Was es             bald im roten Bereich.» Dazu böten sich
ner Ergonomieschulung. Daneben offeriert         braucht, um gesund zu bleiben, verändert        regelmäs­ sig stattfindende Gespräche mit
das Unternehmen Aus- und Weiterbildun­           sich nicht gross.» Statt neuer Trends beo-      den Vorgesetzten an. Es sei keine Schande
gen, die sich an den Karrierepfaden oder den     bachten sie vielmehr Evergreens in der Be-      einzugestehen, wenn man seine Grenzen
Lebensphasen der Mitarbeitenden orientie-        wegung, Ernährung, Entspannung und              erreicht habe. «Das kann jedem passieren»,
ren. Für Mitarbeitende, die kurz vor der Pen-    Stressprävention. Letztere habe an Bedeu-       so Esther Graf. Da werde der offene Dialog
sionierung stehen, gibt es spezielle Vorberei-   tung gewonnen. Die Ursachen dafür lokali-       umso wichtiger.                           n
tungsseminare und Eltern treffen sich über       sieren beide in den vielfältigen Möglich-                                   Corinne Päper

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Prozesse Betriebliches Gesundheitsmanagement

              Best Case Energie Romande
              Unter Strom
               Das Westschweizer Energieversorgungsunternehmen Romande Energie investiert traditionellerweise
               viel in die S­ icherheit und Gesundheit ihrer rund 700 Mitarbeitenden. Um die gesundheitsfördernden
               Bemühungen auch auf dem Gebiet der psychosozialen Risiken weiter zu verstärken, hat sich das
               Unternehmen mit dem S-Tool der ­Gesundheitsförderung Schweiz auf Herz und Nieren prüfen lassen.

                                                                              Im Tandem: Jean-Georges Walter
                                                                              und Christian Bieri sind bei Romande
                                                                              Energie für das Gesundheitsmanage-
                                                                              ment verantwortlich.

HR Today Special 2016                                                                                                11
Betriebliches Gesundheitsmanagement Prozesse

       Die Sonne und der wolkenlose Him-        Habegger. Und dies nicht zum Selbstzweck:        und zwar auf allen Hierarchiestufen. In An-
       mel spiegeln sich im Glasbau des         «Wir erhoffen uns von den ausserberuf-           betracht der neuen Herausforderungen, die
Hauptsitzes von Romande Energie in              lichen Aktivitäten sicher auch Effekte für die   auf uns im Energiemarkt zukommen, haben
Morges. Jean-Georges Walter, der im sechs-      Konfliktlösungskultur und damit indirekt         wir beschlossen, den Stresslevel in unserem
köpfigen HR-Team für das operative Perso-       auch eine Senkung der Absenzquote.» Ob           Unternehmen zu messen und uns dabei als
nalmanagement verantwortlich ist, führt uns     die BGM-Massnahmen, auch abgesehen               Werkzeug für das S-Tool der Gesundheits-
blendend gelaunt ins Büro seines Vorgesetz-     von der Absenzentwicklung, wirklich greifen      förderung Schweiz entschieden», erklärt
ten HR-Direktor Jean-Daniel Habegger mit        und über alle Hierarchie- und Funktionsstu-      Jean-Georges Walter. «Der Stress hat eine
Blick über die gepflegte Uferpromenade von      fen hinweg gelebt werden, wird bei Roman-        psychosoziale Dimension, die wir mit der S-
Morges und den Genfersee bis hin zu den                                                          Tool-Umfrage ebenfalls analysieren konnten.
französischen Alpen. Mit am Tisch sitzt Chri-                                                    Das S-Tool erlaubt es uns nun auch, die ver-
stian Bieri, der beim grössten Westschweizer         «Es geht uns nicht nur um                   schiedenen Faktoren zu untersuchen: Etwa
Energieunternehmen für die Gesundheit            Gesundheitsförderung im physischen              change-bedingter Stress verbunden mit
und Arbeitssicherheit verantwortlich zeich-       und ergonomischen Sinn, sondern                einem Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit
net.                                                                                             oder Überbelastung.»
                                                 auch um Fragen des Wohlbefindens
                                                                                                      Der fundamentale Umbruch in der Ener-
Absenzen als Stressindikator                              ganz allgemein.»                       giewirtschaft geht auch an Romande Ener-
«In unserem Business können Fehler am Ar-                 Jean-Daniel Habegger                   gie nicht spurlos vorbei. So ist das Unterneh-
beitsplatz schwere Folgen haben», erklärt              HR-Direktor, Romande Energie              men – welches sich im Mehrheitsbesitz des
Jean-Georges Walter, der sich vor seiner HR-                                                     Kantons Waadt und der Waadtländer Ge-
Karriere bei Romande Energie als Ingenieur                                                       meinden befindet und wie alle staatlichen
um den Schutz der Hochspannungsnetze            de Energie regel­mässig mit Mitarbeiterum-       Stromgesellschaften lange Jahre in einem
kümmerte. «Das entsprechend hohe Sicher-        fragen überprüft: «Wir haben festgestellt,       geschützten Umfeld operieren konnte –
heitsbewusstsein ist Teil unserer Unterneh-     dass jene Abteilungen, die in Mitarbeiterbe-     heute durch die Liberalisierung des Elektrizi-
menskultur und bietet eine gute Basis, um       fragungen die höchsten Zufriedenheitswerte       tätsmarktes mit grösserer Konkurrenz und
auch auf dem Gebiet der psychosozialen          aufweisen, auch die tiefsten Absenzquoten        veränderten Kundenansprüchen konfron-
Risiken gesundheitsfördernde Massnahmen         haben», erklärt Jean-Georges Walter. «Da         tiert. Die neuen Umstände zwingen zur stän-
zu etablieren», ergänzt Christian Bieri, der    gibt es eine Korrelation. Absenzen haben         digen Anpassung der Prozesse, um wettbe-
sich seit 2006 mit diversen Präventionskam-     nicht immer nur individuelle gesundheitliche     werbsfähig zu bleiben, was wiederum zu-
pagnen um die Sicherheits- und Gesund-          Ursachen, sondern sehr oft auch eine soziale     nehmend neue Kompetenzen und Profile
heitsthematik kümmert, die von Sport-­          Dimension, die mit den Arbeitsbedingungen        erfordert. Diese Faktoren können einen Ein-
Förderungsmassnahmen über Diätberatun­          und der Atmosphäre im Team und mit den           fluss auf das Wohlbefinden der Mitarbeiten-
gen bis hin zu Rauchstoppaktionen reichen.      Vorgesetzten zu tun hat.» Ein Blick auf die      den haben, deren Durchschnittsalter bei
«Ausserdem pflegen wir eine Unterneh-           interne Statistik mit ständig sinkenden          Romande Energie bei 48 Jahren liegt. «Das
menskultur, die auch ausserhalb des Jobs mit    Absen­zen­zahlen während den letzten zehn        S-Tool erlaubt es uns nun, den Stresslevel
sportlichen und kulturellen Aktivitäten hie-    Jahren, zeigt dabei eine durchaus ermuti-        und die Lebensqualität am Arbeitsplatz zu
rarchie- und abteilungsübergreifend den         gende Tendenz.                                   messen. Damit lassen sich auch die Auswir-
Austausch und Zusammenhalt fördert», sagt                                                        kungen von Veränderungsprozessen in un-
Jean-Georges Walter. «Es geht uns jedoch        Mit «S-Tool» Stresslevel messen                  serem Unternehmen besser erkennen und
nicht nur um Gesundheitsförderung im phy-       Für die BGM-Verantwortlichen von Roman-          zwar heruntergebrochen auf die einzelnen
sischen und ergonomischen Sinn, sondern         de Energie jedoch kein Grund, sich auf den       Geschäftseinheiten», erklärt Christian Bieri.
auch um Fragen des Wohlbefindens ganz           Lorbeeren auszuruhen: «Wir hatten in den              Nun ist Jean-Georges Walter am Zug:
allgemein», betont HR-Direktor Jean-Daniel      letzten Jahren mehrere Erschöpfungsfälle –       «Nachdem wir die Resultate der Mitarbeiter-

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Prozesse Betriebliches Gesundheitsmanagement

Fotos: Jeroen Singer

                                «In Anbetracht der neuen Herausforderungen,                          «Ein hohes Sicherheitsbewusstsein ist Teil unserer
                             die im Energiemarkt auf uns zukommen, haben wir                          Unternehmenskultur und bietet eine gute Basis,
                             beschlossen, den Stresslevel zu messen und uns als                    um auch auf dem Gebiet der Prävention psychosozialer
                            Instrument für das S-Tool der Gesundheitsförderung                          Risiken gesundheitsfördernde Massnahmen
                                           Schweiz entschieden.»                                                      zu etablieren.»
                                             Jean-Georges Walter,                                        Christian Bieri, Verantwortlicher Gesundheit und
                                      HR-Veranwortlicher Romande Energie                                        Arbeitssicherheit Romande Energie

                       befragung der Direktion präsentiert haben,       der Ansatz darin, bottom-up mit den betrof-   wir mehr über die psychosozialen Risiken
                       treffe ich jetzt jeden einzelnen Direktor und    fenen     Mitarbeitern    Verbesserungs­      und Stressfaktoren erfahren, die unsere Mit-
                       gehe mit ihm die Detailresultate seiner Busi-    lösungsansätze zu entwickeln, die dann dem    arbeitenden betreffen können. Zweitens
                       ness-Einheit durch.» Dabei sollen insbeson-      Management präsentiert werden. Bis Au-        erhiel­ten wir Ansatzpunkte, wie sich eine
                       dere die kritischen Themenfelder beleuchtet      gust wird Romande Energie rund ein Dut-       bessere Work-/Life-Balance herbeiführen
                       werden, die im S-Tool orange markiert wer-       zend solcher Workshops durchführen. Dank      lässt und drittens, wie wir mit Arbeits­
                       den. Das S-Tool visualisiert die Dringlichkeit                                                 platzverlust­ ängsten umgehen können»,
                       des Handlungsbedarfs auf einer Skala von 1                                                     zieht Christian Bieri eine positive Zwischen-
                       bis 100 mit den Farben Grün, Orange und              «Wir sind überzeugt, mit unseren          bilanz.
                       Rot. Wobei der orange Bereich bei 60 von            Aktivitäten Effekte für die Konflikt-           Kollege Jean-Georges Walter ergänzt:
                       100 Punkten einsetzt, während es ab 90             lösungskultur auszulösen und damit          «Das S-Tool hat uns mehr Informationen ge-
                       Punkten es in den roten Bereich kippt. «Die                                                    liefert als wir uns je vorstellen konnten. Dank
                                                                             indirekt auch eine Senkung der
                       kritischen Handlungsfelder variieren inner-                                                    dem Benchmark-Vergleich mit der Schwei-
                       halb unseres Unternehmens von Einheit zu
                                                                                    Absenzenquote.»                   zerischen Gesamtsituation wissen wir nun
                       Einheit», erklärt Walter. «Wenn man über-                 Jean-Daniel Habegger                 auch, wo wir uns im nationalen Kontext ver-
                       einkommt, dass auf einem Gebiet besonde-               HR-Direktor, Romande Energie            orten können. Insgesamt hat die Auswer-
                       rer Handlungsbedarf besteht, haben wir die                                                     tung der S-Tool-Umfrage bestätigt, was wir
                       Möglichkeit auf externe Berater der Gesund-                                                    eigentlich schon wussten. Das hat uns ge-
                       heitsförderung Schweiz zurückzugreifen.          dem S-Tool haben sich für Romande Energie     zeigt, dass wir bereits über gute Antennen
                       Diese führen dann mit der Belegschaft spe-       drei Themenfelder herauskristallisiert, wo    verfügen.»                                   n
                       zifische Workshops durch.» Dabei besteht         man nun aktiv werden will: «Erstens haben                                      Simon Bühler

                       HR Today Special 2016                                                                                                                      13
Betriebliches Gesundheitsmanagement Massnahmen

Neue Officewelten
Um innovativer sowie agiler zu werden und das interne «Silodenken» zu überwinden, verwandeln viele Unternehmen ihre
­Büros in offene Multispaces, die den zwischenmenschlichen Austausch vereinfachen sollen. Wer sich für ein solches Büro­
 konzept entscheidet, muss jedoch auch seine Unternehmens- und Führungskultur anpassen. Wir haben mit Daniel Schwein­
 gruber, Leiter des Zentrums neue Arbeitswelten bei Witzig The Office Company über diese neuen Arbeitswelten gesprochen.

       Wie sieht für Sie die optimale Ar-                                                      seine Optionen kennen und sich selbst orga-
       beitsumgebung aus?                                                                      nisieren. Eigenverantwortlich zu handeln,
    Daniel Schweingruber: Eine ideale Ar-                                                      stellt Mitarbeitende, die über viele Jahre hin-
beitsumgebung bietet dem Mitarbeitenden                                                        weg klare Aufträge und Anweisungen erhal-
verschiedene Arbeitsorte, wo er je nach Be-                                                    ten haben, vor erhebliche Herausforde-
darf konzentriert arbeitet, sich Inspiration                                                   rungen. Dafür müssen das HR und die Vor-
holt, mit seinen Kollegen kommuniziert oder                                                    gesetzten sensibel sein und mit
sich zurückzieht. Der Mitarbeitende sollte                                                     Weiterbildungen die Mitarbeitenden befähi-
jedenfalls selbst bestimmen können, wo er                                                      gen, in Multispaces produktiv zu arbeiten. In
seine Aufgabe löst. Das kann sowohl inner-                                                     der Praxis wird die Wirkung einer solchen
halb des Unternehmens als auch im Home-                                                        Veränderung jedoch oft unterschätzt, weil
Office oder in einer Co-Working-Location          «Büroflächen leer stehen zu lassen,          die Führung davon ausgeht, dass sich die
sein. Viele Unternehmen haben dieses Po-                                                       Mitarbeitenden einfach so an die Multi-
                                                      ergibt aus ökologischer und
tenzial erkannt und sind dabei, die entspre-                                                   space-Bürolandschaften gewöhnen werden.
chenden Voraussetzungen zu schaffen. Es            ­ökonomischer Sicht keinen Sinn.»           Da wird eine Chance vertan.
gibt aber noch viel Nachholbedarf.                         Daniel Schweingruber,
                                                    Leiter Zentrum neue Arbeitswelten          In welchen Räumlichkeiten werden wir
                                                        und Workspace Consulting,
Was sind für Sie die wesentlichen Vor-                                                         im Jahr 2020 arbeiten?
                                                        Witzig The Office Company
teile von flexibel nutzbaren Büroland-                                                             Die Funktion des Büros wandelt sich
schaften?                                                                                      stark vom Arbeitsort zum Ort der Begeg-
    Wir wissen, dass über 30 Prozent der Ar-                                                   nung, des persönlichen Austauschs und der
beitsplätze in der Schweiz nicht genutzt wer-   Agenda hilft, dass über wichtige und kri-      Co-Kreation. Während der Flächenanteil für
den, weil die Mitarbeitenden in Meetings        tische Punkte gesprochen wird. Oft wird zu-    «Schreibtischarbeit» abnimmt, steigt die Be-
sind, bei Kunden arbeiten, in den Ferien wei-   dem moniert, dass Mitarbeitende ohne eige-     deutung für Kommunikationsflächen und
len, krank sind oder eine Ausbildung ma-        nen Schreibtisch keinen Ankerpunkt hätten.     Räumlichkeiten für kreatives Arbeiten. Mit
chen. Büroflächen leer stehen zu lassen, er-    In solchen Fällen könnte im Büro ein Bereich   der Digitalisierung reduziert sich der Stau-
gibt aus ökologischer und ökonomischer          eingerichtet werden, wo die Mit­arbeitenden    raumbedarf noch weiter. Bildschirme aller
Sicht jedoch keinen Sinn. Das bedeutet          ihre eigenen Möbelstücke hinstellen oder an    Art werden in Tischen und Wänden einge-
nicht, dass Fläche zwingend eingespart wer-     einer Pinnwand ihre persönlichen Gegen-        baut, wodurch die digitale Zusammenarbeit
den muss, sie könnte als Kommunikations-        stände anbringen können.                       noch attraktiver wird. Vielleicht sehen wir
fläche verwendet werden, damit informell                                                       dann bereits die ersten Roboter im Office.■
und spontan eine neue Dynamik entsteht.         Wirkt die Vielfalt an Arbeitsmöglich-                            Interview: Corinne Päper
Das bringt den Unternehmen in Bezug auf         keiten nicht überfordernd?
die Kommunikation, Akzeptanz und Innova-            Mitarbeitende werden überfordert sein,
                                                                                                 Gut zu wissen
tionskraft grosse Vorteile, von denen alle      wenn sie den Sinn von Multispace-Büroland-
Anspruchsgruppen profitieren.                   schaften nicht sehen und das Konzept nicht       «Neue Arbeitswelten – Kompetenzent-
                                                verstehen. Deshalb müssen sie von Projekt-       wicklung für geringeres Stresserleben»
                                                                                                 heisst das Arbeitspapier, das
… und die Nachteile?                            start an auf die neuen Arbeitsmöglichkeiten      ­Gesundheitsförderung Schweiz
     Je nach Grösse und Multispace-Konzept      vorbereitet werden. Werden Multispace-            ­zu­sammen mit der FHNW und Witzig
ist es nicht mehr gegeben, dass sich Vorge-     Bürolandschaften eingeführt und wird die           entwickelt hat. ­Dieses gibt Anhalts-
setzte und Mitarbeitende täglich sehen. Da-     Unternehmenskultur verändert, steigen die          punkte zur künftigen Arbeits- und Füh-
rum muss der 1:1-Austausch geplant wer-         Arbeitsoptionen erheblich an. So entschei-         rungsgestaltung.
den. Dabei ist es wichtig, dass nicht «nur»     det jeder Mitarbeitende x-mal täglich, wann      www.gesundheitsfoerderung.ch
informelle Lunchmeetings stattfinden. Eine      und wo er arbeiten wird. Er muss deshalb

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Massnahmen Betriebliches Gesundheitsmanagement

                    Multispace-Büros bei der Mobiliar
 Im Dezember 2015 sind 160 Mobiliar-Mit-                                                             «Sie ist die sichtbare Veränderung in eine
 arbeitenden in ihr neues Büro-Reich ein-                                                            neue Arbeitsphilosophie.» Begonnen habe
 gezogen. Nathalie Bourquenoud, Leite-                                                               der Change-Prozess schon einige Monate vor
 rin Human Development der Mobiliar,                                                                 dem Einzug. Heute arbeiten die Mitarbeiten-
 über ihre Erfahrungen mit der neuen Ar-                                                             den in der neuen Arbeitswelt kaum noch mit
 beitswelt.                                                                                          Papier, haben keinen festen Arbeitsplatz und
                                                                                                     leben eine Clean- und Clear-Desk-Kultur.
 Nicht nur die Mitarbeitenden und Führungs-
 kräfte der Bereiche Unternehmensentwick-                                                            Leistung statt Arbeitsplatzpräsenz
 lung, Unternehmenskommunikation, Corpo-                                                             Auch die Führung habe sich stark verändert:
 rate Social Responsibility und Human Deve-             «Wir haben nicht nur Wände                   «Leistung zählt heute mehr als Präsenzzeit.»
 lopment haben ihre festen Arbeitsplätze bei                                                         Niemand müsse seine Zeit im Büro «absit-
                                                     eingerissen, sondern mit der neuen
 der Mobiliar aufgegeben, auch der CEO des                                                           zen», sondern könne überall arbeiten. Sich zu
 Versicherungsunternehmens, Markus Hong-
                                                     Arbeitswelt die Grundlagen für die              vernetzen und miteinander zu kommunizie-
 ler, räumte sein Büro und arbeitet nun in der       künftige Arbeitskultur geschaffen.»             ren, sei dank der neuen Technologien überall
 neuen, offen gestalteten Arbeitsumgebung.                    Nathalie Bourquenoud,                  möglich. Bis es soweit war, arbeitete ein be-
 Was war der Grund für diesen radikalen                   Leiterin Human Development,                reichsübergreifendes Team knapp ein Jahr
 Schritt? «Mit der Digitalisierung haben sich                        Mobiliar                        lang daran, um das Pilotprojekt umzusetzen.
 auch neue Arbeitsformen aufgetan», sagt Na-                                                         Involviert waren Mitarbeitende des Ge-
 thalie Bourquenoud. «Die Mitarbeitenden                                                             schäftsleitungsbereichs Human Develop-
 verlangen nach Flexibilität und wollen zeitlich   wurden am Berner Hauptsitz innerhalb eines        ment, die das Projekt koordinierten, sowie
 und ortsunabhängig arbeiten.» Die neuen           halben Jahres in eine Multispace-Landschaft       aus dem Facility Management, dem Bau, der
 Technologien veränderten zudem die Berufe,        verwandelt. In einer weiteren Umbauetappe         IT und Corporate Responsibility. Der Mehr-
 die Prozesse und die Kommuni­kation.              folgen bis 2019 weitere Büroflächen im Gebäu-     wert der neuen Officewelten liegt für die
                                                   de sowie der Direktionsstandort in Nyon. Das      45-Jährige heute in der «Begeisterung der
 Neugier und Offenheit                             Konzept der neuen Office-Landschaften ist         Mitarbeitenden.» Die Belegungsrate von 80
 Das erfordere neue Kompetenzen wie Neu-           durchdacht: Um ein arbeitsförderliches Ambi-      Prozent scheint ihr recht zu geben: Damit
 gier und Offenheit. «Wir wollten die gesamte      ente zu schaffen, wurden viele Wände entfernt     nutze die Mobiliar nicht nur die zur Verfü-
 Organisation und unsere Mitarbeitenden auf        und Holz, warme Farben und geschwungene           gung stehende Arbeitsfläche optimal, son-
 diese Entwicklung vorbereiten und dabei be-       Formen eingesetzt. Der offene Bürobereich ist     dern verfolge eine klare Vision und investiere
 gleiten.» Die neue Arbeitsumgebung solle          in Arbeitszonen unterteilt: für Ruhe und Kon-     in die Zukunft: «Wir haben nicht nur Wände
 «inspirieren und den Mitarbeitenden ermög-        zentration sowie Austausch und Gruppenar-         eingerissen, sondern mit der neuen Arbeits-
 lichen, sich weiterzuentwickeln, mitzuge-         beit. Die neue Arbeitswelt wirkt sich sichtlich   welt die Grundlagen für die künftige Arbeits-
 stalten und innovativ zu sein», betont Natha-     auf das Miteinander aus: «Raum prägt die Ar-      kultur geschaffen.»                        ■
 lie Bourquenoud. Rund 2000 m2 Büro­flächen        beitskultur», findet Nathalie Bourquenoud.                                      Corinne Päper

                                                                                                       Event

                                                                                                       Nationale Tagung für betriebliches
                                                                                                       ­Gesundheitsmanagement 2016
                                                                                                        Move, Speed und Inspiration im Work-
                                                                                                        space der Mobiliar-Versicherung.
                                                                                                        Anna Coradi, Projektleiterin Workspace
                                                                                                        ­Solutions, Witzig The Office Company,
                                                                                                         Claudia Giorgetti Del Monte, Leiterin
                                                                                                         Organisations- und Kulturentwicklung,
                                                                                                         Schweizerische Mobiliar.
 Foto: Nik Hunger

                                                                                                       Datum: 24. August 2016
                                                                                                       Ort: Universität Irchel, Zürich
                                                                                                       Weitere Infos:
                                                                                                       www.gesundheitsfoerderung.ch

HR Today Special 2016                                                                                                                            15
Betriebliches Gesundheitsmanagement Ergebnisse

                             Best Case Micarna
                             Gesundheitskultur
                             mit Tradition
                              Während viele Unternehmen mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung erste
                              Gehversuche machen, wurde die Micarna bereits zum dritten Mal mit dem
                              Label Friendly Work Space ausgezeichnet. Wir haben den Fleischverarbeiter
                              in Bazenheid besucht.

       Wer sich auf den Weg zur Micarna,         die anderswo automatisiert oder in Länder        der. Um diese miteinander in Einklang zu
       dem Fleischverarbeitungsbetrieb der       mit tieferen Lohnkosten verlagert wird. Nicht    bringen, legt das Unternehmen ein Augen-
Migros, in Bazenheid macht, gelangt nicht        so bei der Micarna: «Uns und unserer Kund-       merk auf die gemeinsame Weiterentwick-
unbemerkt aufs Gelände. Ein Zaun um-             schaft ist die Qualität wichtig», erläutert      lung des Gesundheitsmanagements: «Wir
schliesst das Werksgelände und ein bedien-       Harder die strategische Ausrichtung. «Daher      lernen bei der Integration neuer Firmen von-
tes Portierhäuschen dient als «Single Point of   halten wir am Standort Schweiz fest.» Die        einander», sagt Harder. Etwa, indem Kader-
Entry.» Vom Hauptgebäude, das sich in einer      Micarna hält nicht nur am Standort fest, son-    mitarbeitende sich mit der Kultur der neu
grosszügig angelegten Parklandschaft befin-      dern investiert dort auch. Mit der wachsen-      dazugestossenen Firmen vertraut machen
det, ist von aussen nur das Micarna-Schild       den Fleischeslust der Schweizerin­nen und        und sich untereinander austauschen. Oder
wahrzunehmen. Am Spätnachmittag ist                                                               indem Mitarbeitende der neuen Firmen an
nichts mehr von der frühmorgendlichen Be-                                                         Führungsseminaren der Micarna-Gruppe
triebsamkeit zu spüren, wenn zahlreiche Ca-                                                       teilnehmen. «Wir setzen dort an, wo die Be-
mions das Warenlager mit frischen Fleisch-                «Es ist die Summe aller                 reitschaft da ist, über den eigenen Bereich
produkten beladen verlassen. Auch im Ge-                BGM-Massnahmen, die den                   hinauszuschauen», so Harder.
bäude des Fleischverarbeiters ist es um diese               Erfolg ausmacht.»
Zeit ruhig: geschlossene Türen, lange, we-                                                        Tägliches Aufwärmtraining
                                                      Stefan Harder, HR-Leiter, Micarna
nig beleuchtete Flure und der Geruch von                                                          Dass eine gesundheitsförderliche Kultur
Desinfektionsmittel, der an Spitalaufenthalte                                                     nicht von heute auf morgen entsteht, ver-
erinnert.                                                                                         steht sich von selbst: Diese wächst über Jah-
                                                 Schweizer wächst auch die Micarna als Un-        re hinweg. Bei der Micarna hat die Gesund-
Anstrengende Arbeit                              ternehmen. Erst im vergangenen Jahr hat          heitskultur Tradition: «Wir haben uns als
Von den 700 Mitarbeitenden, die in diesem        der Fleischverarbeiter die Rudolf Schär in       eines der ersten Industrieunternehmen mit
Gebäude in verschiedenen Berufsgruppen           Thal mit 90 Mitarbeitenden übernommen.           dem Label Friendly Work Space von Gesund-
von der Fleischverarbeitung über die Infor-      Einen Fleisch- und Wurstspezialisten, der zu     heitsförderung Schweiz auszeichnen las-
matik bis hin zur Hauswirtschaft arbeiten,       den langjährigen Partnern der Micarna ge-        sen», erklärt Harder nicht ohne Stolz. Inzwi-
sind 150 in der Zerlegerei beschäftigt: Dort     hört. Dazu gesellten sich drei weitere Famili-   schen sogar zum dritten Mal, denn ein mit
                                                                                                                                                  Fotos: Jeroen Singer

verarbeiten sie täglich etwa 1300 bis 1500       enunternehmen mit rund hundert Mitarbei-         dem Label ausgezeichnetes ­Unternehmen
Schweine zu verschiedenen Fleisch­               tenden.                                          muss alle drei Jahre zum «­Gesundheitstest»
produkten wie Koteletts oder Brühwürsten.            Mit dem Ausbau der Geschäftstätig-           antreten. Das erprobte Betriebliche Gesund-
«Eine anstrengende Arbeit», betont Stefan        keiten treffen innerhalb der Micarna ver-        heitsmanagement der Micarna erweist sich
Harder, HR-Leiter der Micarna. Eine Arbeit,      schiedene Gesundheitskulturen aufeinan-          auch bei der Integration der neuen Unter-

16                                                                                                                     HR Today Special 2016
Ergebnisse Betriebliches Gesundheitsmanagement

                                                             Bei der Weiterentwicklung ihrer
                                                             Gesundheitskultur zeigen sich Stefan
Fotos: Jeroen Singer

                                                             Harder, HR-Leiter der Micarna, und
                                                             sein Team experimentierfreudig.

                       HR Today Special 2016                                                    17
Betriebliches Gesundheitsmanagement Ergebnisse

  «Im Vordergrund steht stets,
     die Mitarbeitenden im
   gewohnten Arbeitsprozess
 zu halten. Denn das Risiko für
 Langzeitausfälle steigt bereits
 ab dem 15. Abwesenheitstag
         markant an.»
          Stefan Harder
        HR-Leiter, Micarna

nehmensmitglieder zunehmend als Vorteil:       fälle nutzt das Unternehmen, um am Ge-          Langzeitausfälle steigt bereits ab dem 15.
Die kleinen, oft von Familien geführten Be-    sundheitsmanagement zu feilen: Wie im           Abwesenheitstag markant an.» Massnah-
triebe profitieren vom grossen BGM-Erfah-      Spitalbereich werden schon Beinahe-Unfälle      men, die Erfolg zeigen: So konnte die Ab-
rungsschatz und den etablierten BGM-Pro-       rapportiert und daraus Verbesserungen ab-       senzquote innerhalb kurzer Zeit beinahe um
grammen des Fleischverarbeiters.               geleitet.                                       einen Prozentpunkt verringert werden. Er-
     Um die Gesundheitskultur weiterzuent-                                                     folgsindikatoren für ein erfolgreiches Ge-
wickeln, schwört Harder auf das Prinzip        Bonusrelevante Gesundheitskultur                sundheitsmanagement sind für den HR-­
«ausprobieren und Erfahrungen sammeln.»        Bei der Gestaltung der Gesundheits­kultur       Leiter aber auch die gesunkene Mitarbeiter-
Dabei sind alle Mitarbeitenden vom Produk-     nimmt das Micarna-Kader eine aktive Rolle       fluktuation oder die gestiegene Rücklauf-
tionsmitarbeitenden bis zum Kadermitglied      ein: Vorgesetzte absolvieren als Bestandteil    quote der Mitarbeiterbefragung.
eingebunden. So auch in der Pouletverarbei-    der internen Kaderweiterbildung nicht nur
tung in Courtepin. Dort startet in Kürze ein   Betriebliche-Gesundheitsmanagement-Kur-         Nicht alles ist messbar
Pilotprojekt für ein gemeinsames morgend-      se, sondern haben auch Gesundheitsziele:        Daneben erschliessen sich für Harder vor
liches Aufwärmtraining: «Das war eine Idee     Sie sind beispielsweise dafür verantwortlich,   allem im Austausch mit den Betriebssanitä-
unserer Mitarbeitenden», erklärt Harder.       die unternehmensweit vorgegebenen Ab-           tern, die etwa bei Verletzungen oder Unfäl-
«Sie haben die Parallelen zum Sport erkannt,   senzquoten einzuhalten. Wird die Quote          len beigezogen werden, weitere Erkennt-
wo man sich ja auch aufwärmt, bevor man        Micarna-weit erreicht oder sogar unter-         nisse: «Wenn es technische Störungen oder
aktiv ist.» Micarna habe diesen Mitarbeiter-   schritten, fällt der Bonus für die gesamte      Probleme in der Zusammenarbeit gibt, sind
vorschlag aufgegriffen. Gleichzeitig inves­    Belegschaft höher aus. Zur allgemeinen          unsere Sanitäter oft die Ersten, die diese In-
tiert das Unternehmen auch finanziell in die   Übersicht erstellt das HR dazu monat­liche      formationen erhalten.» Nicht alles sei im
Gesundheit der Mitarbeitenden. So wurde        Auszüge der aktuellen Absenzzahlen. Das         Betrieblichen Gesundheitsmanagement klar
die in die Jahre gekommene Fleischproduk-      ermöglicht den Vorgesetzten, ohne langes        erfassbar, meint Harder. So sei kaum nach-
tionsanlage in Bazenheid gegen eine ergo-      Zuwarten mit den Betroffenen Rückkehrge-        weisbar, inwiefern eine einzelne Massnahme
nomisch anpassbare ausgetauscht, die den       spräche zu führen, mit ihnen gesundheits-       wie ein Gesundheitstag die Absenzquote
Mitarbeitenden die körperliche Arbeit in der   förderliche Lösungen zu erarbeiten und da-      direkt beeinflusst oder das Wohlbefinden
Zerlegerei erleichtert. Zudem schulen zu       mit Langzeiterkrankungen zu vermeiden.          der Mitarbeitenden steigert. «Es ist die Sum-
Coaches ausgebildete Mitarbeitende ihre        «Im Vordergrund steht stets, die Mitarbei-      me aller BGM-Massnahmen, die den Erfolg
Kollegen darin, wie man Lasten korrekt hebt    tenden im gewohnten Arbeitsprozess zu           ausmacht», ist Harder überzeugt.           n
und transportiert. Fehlermeldungen und Un-     halten», sagt Harder, denn «das Risiko für                                  Corinne Päper

18                                                                                                                  HR Today Special 2016
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