Brandauer - Stadt Kaiserslautern
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Nº 17 02 | 2019 www.lutra-kl.de Kulturmagazin Kaiserslautern Kultur für alle | Stadt für alle La Traviata | B r a n d a u e r All the best | Berufsorientierung
70 Jahre Nº 17 Konzerte der Stadt Kaiserslautern in der Fruchthalle 02 | 2019 Die neue Konzertbroschüre 2019/20 ist da! THEMA ”” Über Hilmar Hoffmanns bildungsorientierte Kulturpolitik���������������� 03 ”” Jan Gehl: Die Stadt von den Menschen her denken���������������������� 06 Kultur für alle: Kaiserslauterer Kulturakteure nehmen Stellung_____________ 09 © Daniel Pasche ”” ”” „La Traviata“ am Pfalztheater���������������������������������������� 16 Vorverkauf T H E AT E R U N D MUSIK ”” Historische Gewänder im modernen Bühnenraum: „Minna von Barnhelm“� 18 läuft! ”” Im Gespräch mit Uwe Sandner��������������������������������������� 20 ”” Konzerthighlights in der Fruchthalle���������������������������������� 24 Jetzt Abos KUNST UND L I T E R AT U R ”” Eva Jospin: Ausstellung im mpk�������������������������������������� 26 ”” „all the best“: Highlights aus dem Kabinett���������������������������� 28 buchen! ”” Purrmann, Waldschmidt & Co.��������������������������������������� 29 ”” Das Stadtmuseum zeigt: Judith Boy����������������������������������� 30 ”” Für Kinder: TIM – Theater im Museum��������������������������������� 32 ”” Historische Postkartensammlung: Kaiserslautern in allen Facetten�������� 34 u. a. Annette Dasch | casalQuartett ”” Der dritte Ort: Pfalzbibliothek Kaiserslautern��������������������������� 36 Im Blickpunkt: Die Fliegerstraße�������������������������������������� 38 Martin Stadtfeld | Sebastian Knauer STA DTG ES CH I CH T E ”” ”” Licht-Luft: Vom Naturheilverein zum Paradies für Kleingärtner_____________ 41 German Brass | Steven Isserlis ”” Bestandsaufnahme: Pfaffarchiv im Stadtarchiv������������������������� 44 Impression der „Langen Nacht der Kultur“ in der Fruchthalle Tzimon Barto | Noa Wildschut ”” Julie Schäffer: ein historischer Mord, der Kaiserslautern bewegte���������� 46 BILDUNG UND ”” ASG: „Literatur zwischen Tür und Angel“������������������������������ 50 Katja Riemann | Klaus Maria Brandauer FORSCHUNG ”” Welches Handwerk passt zu mir? – Berufsorientierungswerkstatt__________ 52 ”” Begegnungen im Zeichen der Kultur: der AStA der TU Kaiserslautern ������ 54 Jazzbühne | Deutsche Radio Philharmonie ”” Ernst Ulrich von Weizsäcker an der TU Kaiserslautern�������������������� 56 Orchester des Pfalztheaters | Deutsche © Stadt Kaiserslautern ”” CampusKultur: Fotowettbewerb������������������������������������� 60 Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ”” Hochschule KL: preisgekrönte Visualisierung der Kaiserpfalz�������������� 62 ”” Stadt für alle – Kultur für alle – Fraunhofer für alle_______________________ 64 WWW. F R U C H T H A L L E . D E ”” Fraunhofer-Simulationswerkzeug für qualitativ hochwertige Filamente���� 68 MINISTERIUM FÜR WISSENSCHAFT, WEITERBILDUNG UND KULTUR
02 03 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA LUTRA 17 „ K U LT U R F Ü R A L L E “ ? "Kultur für alle?!" – Mit diesem Thema beschäftigt sich LUTRA im aktuellen Themenschwer- punkt. Exemplarisch setzen wir uns mit Hilmar Hoffmans Gedanken einer bildungsorientierten Kulturpolitik auseinander und beschäftigen uns damit, was dies nun für Kaiserslautern bedeu- tet. Was meint "Kultur für alle" konkret und wie geht das? Diesen Fragen gehen wir in einem weiteren Artikel im Gespräch mit Kaiserslauterer Kulturakteuren nach. Der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl spannt den Bogen noch weiter und spricht im LUTRA-Interview über seine Vorstellungen einer "Stadt für alle". "Die Stadt von den Menschen her denken" ist einer seiner Ansätze, den wir näher beleuchten werden. Das Pfalztheater eröffnet seine neue Saison mit der Oper „La Traviata“ und dem Lustspiel „Minna von Barnhelm“. Über seine letzte Konzertsaison als künstlerischer Leiter am Pfalztheater sprechen wir mit Generalmusikdirektor Uwe Sandner und kommen dabei auch auf die Frage zurück, wie sich der klassische Konzertbetrieb für alle öffnet. In der Fruchthalle lädt die 70. Saison der Konzerte der Stadt Kaiserslautern zu vielen Höhepunk- ten ein, darunter mit Gästen wie Klaus Maria Brandauer, Annette Dasch, Katja Riemann und vielen weiteren international profilierten Künstlerinnen und Künstlern. Im Museum Pfalzgalerie wird die französische Künstlerin Eva Jospin ihre erste Ausstellung in Deutschland präsentieren, im Stadtmuseum (Theodor-Zink-Museum | Wadgasserhof) verspricht die Künstlerin Judith Boy mit ihren Kleiderkreationen ein Fest für die Sinne. Hilmar Hoffman plädierte für eine stark bildungsorientierte Kulturpolitik. © picture alliance / dpa, Fotograf: Frank Rumpenhorst Spannendes aus der Geschichte Kaiserslauterns berichtet wieder das Stadtarchiv. Die Hand- werkskammer der Pfalz stellt ihre Berufsorientierungswerkstatt vor, CampusKultur lädt zum Was auch nach 40 Jahren noch heute fast wie ein aufgelisteten Defiziten einer planlosen Kulturpo- Fotowettbewerb ein und die Hochschule Kaiserslautern zeigt uns die Kaiserpfalz 3D. Schlachtruf klingt, fand Hilmar Hoffmann 1979 als litik besser begegnen zu können“. Bereits in seiner Titel seines inzwischen berühmten Buches selbst Rede zur Amtseinführung in Frankfurt forderte er Im Gespräch mit dem AStA der Technischen Universität zeigt sich, dass die Studierenden mit zunächst „spröde“. Aus amerikanischer Kriegsge- die Abkehr vom sogenannten Bildungsbürgertum fangenschaft zurückgekehrt, studierte er erst Thea- und entwarf das Programm einer stark bildungs- ihrem Engagement nicht nur das kulturelle Leben auf dem Campus prägen, sondern auch mar- terregie, um dann 1951 mit 26 Jahren in Oberhausen orientierten Kulturpolitik, in Bibliotheken und mit kante Veranstaltungsimpulse in der Stadt setzen. Ebenso schlagen die Fraunhofer-Institute IESE Deutschlands jüngster Volkshochschuldirektor zu pädagogischen Kursen und Einführungen an den und ITWM die Brücke zwischen Wissenschaft und Kultur, durch Beteiligungen an verschiedenen werden. Von 1965 bis 1970 war er dort dann Kultur- Theatern und Museen. Auf diesen Gebieten hat sich kulturellen Formaten oder Kooperationen mit Künstlern. dezernent, bevor er auf die gleiche Position nach in den seither vergangenen Jahrzehnten sehr viel Frankfurt wechselte, wo er 20 Jahre lang bis 1990 entwickelt. Kein Theater und kaum ein Museum Kultur ist allgegenwärtig. Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei dieser spannenden Lektüre! ungemein prägend wirkte. Dieser große Kulturpoli- mehr ohne fest angestellte Theater- und Museums- tiker und Vordenker schrieb sein Buch vornehmlich pädagogen und regelmäßige Angebote an Kinder, Ihr Redaktions-Team. als Handreichung für Politiker und Mandatsträger, Jugendliche, Schulklassen und Familien, keine Biblio- um diesen „Argumente anzubieten, um den im Buch thek ohne Leseeinführungen für diese Zielgruppen.
04 05 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA THEMA Kultureinrichtungen waren und sind alle sehr gut Teil erreichbar und zum Kulturgenuss vor allem dann besucht; während in der Bundesliga-Saison 2018/19 zu ermutigen, wenn sie in der Kindheit bereits mit etwa 18 Millionen Zuschauer die Spiele der ersten ästhetischen Erfahrungen und vor allem auch eige- und zweiten Liga in den Stadien miterlebten, ver- nen künstlerischen Aktivitäten unter Anleitung wie zeichneten allein deutsche Theater, Orchester und Malen und Musizieren vertraut gemacht wurden. Museen jährlich über 130 Millionen Besucher. Aller- Und dies geschieht auch heute noch immer vor allem dings darf man diese Zahlen nicht gleichsetzen mit in bereits kulturaffinen Familien des sogenannten der Anzahl einzelner, verschiedener Menschen, man Bildungsbürgertums und zu wenig in der Schule und sollte in allen Fällen eher von „Besuchen“ sprechen, in anderen sozialen Milieus. Es kann dabei sogar kon- da sowohl der Fußball- als auch der Kulturfan pro traproduktiv sein, wenn einzelne, motivierte Lehr- Saison sicher mehrmals kommt. kräfte mit ihren Klassen oder Kursen ein bis zweimal pro Schuljahr von ihren Schulen die Möglichkeit be- kommen, ein Konzert oder eine Theatervorstellung M I T K U LT U R P O L I T I K N I C H T E R S T zu besuchen, dabei aber die Mehrzahl der Kinder und I M E R WA C H S E N E N A LT E R A N S E T Z E N Jugendlichen zu wenig vorbereitet werden konnten Die Musikakademie bietet zahlreiche Workshops für Kinder und Jugendliche. und dem Erlebnis mit Unverständnis und Unsicher- © Stadt Kaiserslautern Hoffmann konstatierte 2005 zu seinem 80. Geburts- heit begegnen, woraus dann Frustration und Ableh- tag selbstkritisch, dass es zumindest quantitativ nung erwachsen können. In der Schule geht es, ganz Prozent bezifferte, festzuschreiben. In Rheinland- nicht gelungen sei, das große Ziel einer „Kultur für anders als in der Kunst, vor allem um „richtig“ und Pfalz betrug dieser Anteil durchschnittlich im Haus- Jugendkulturmeile vernetzt, die ihrerseits eng mit alle“ zu erreichen. Er stellte immerhin einen Bewusst- „falsch“, um Fakten und Verstehen, im besten Fall halt von Land und Kommunen 2005 1,43 Prozent den Allgemeinbildenden Schulen zusammenarbei- seinswandel in der Politik in Bezug auf die Wich- um rationales, wissenschaftliches Denken und Vor- und 2015 nur noch 1,28 Prozent. Hoffmanns Ideen tet. Ein neuer Anstoß „Kultur für alle“ sollte nun ein tigkeit von öffentlich geförderter Kultur fest. 2016 gehen. Kreatives, freies Denken, das Erfinden von sind dabei gar nicht so neu, er selbst bezog sich auf ganzheitliches Konzept der kulturellen Bildung ent- kam eine Studie des Kulturforschers Thomas Renz, Neuem, zweck- und nutzenfreies Spielen kommt in Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung des wickeln, das Kultureinrichtungen, Allgemeinbilden- Kulturwissenschaftler am Institut für Kulturpolitik der Schule, Kindheit und Jugend überall zu kurz, das Menschen“ vom Ende des 18. Jahrhunderts, wenn er de Schulen sowie Träger und Einrichtungen, die mit der Universität Hildesheim, zu dem ernüchternden eigentliche „Be-greifen“ von formbarem Material, anlässlich seines 90. Geburtstages 2015 feststellte, Kindern aus Risikolagen, z. B. mit einem erwerbslo- Ergebnis, dass etwa 50 Prozent aller Deutschen nie Farbe, Instrumenten. Hier gilt es anzusetzen, wenn bereits Schiller habe geschrieben, dass „ein tabellar- sen Elternteil, zu tun haben, zusammenbringt und eine Kultureinrichtung besuchen, der Anteil der wir möglichst viele kreative, sinnsuchende, demo- ischer Verstand und mechanische Fertigkeiten nicht Antworten gibt auf die zentrale Frage: wie können Gelegenheitsbesucher liegt zwischen 35 und 45 kratiefähige junge Menschen heranziehen möchten. ausreichen, um ein ganzer Mensch zu werden." wir Kinder und Jugendliche aus finanziell benach- Prozent. Nur 5 bis 15 Prozent besuchen regelmäßig Es bedarf einer großen Überzeugungsarbeit und ei- teiligten, vor allem aber noch kulturfernen Familien kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen. Hoff- ner konzertierten Aktion aller an Bildung beteiligten erreichen und ihnen Wege zur kulturellen Teilhabe mann hat in der Rückschau klar erkannt, dass es zu Akteure und Institutionen, um hier etwas zu bewe- WA S BEDEUTE T DIES NUN FÜR und besonders zum eigenen künstlerischen Tun auf- spät sei, mit der Kulturpolitik im Erwachsenenalter gen und zu verändern, um Kinder und Jugendliche K AISERSL AUTERN? zeigen? Dies wird dem Wohl und dem Ansehen einer anzusetzen. Er betont, dass ja alle Bürger mit ihren zu erreichen, die nicht von Haus aus an Kunst und Stadt dienen, die bereits ein profilierter Hochtech- Steuergeldern zur Kulturfinanzierung beitrügen. Da- Kultur herangeführt werden. Und natürlich müssen Abgesehen von der sehr niedrigen finanziellen Aus- nologie-Standort ist und ein Klima der Kreativität her müsse sich Kulturpolitik auch an alle richten. Er Ressourcen bereitgestellt werden, haben alle nicht stattung vieler Kultureinrichtungen gibt es bei uns und Innovationsfreudigkeit schaffen möchte. Auch sieht das Hauptdefizit in der unzureichenden und gewinnorientierten kulturellen und pädagogischen doch viele gute Voraussetzungen. Unsere Stadt der Schillersche Gedanke, „dass der Mensch nur mangelhaften ästhetischen Erziehung in den Schu- Aktivitäten auch finanzielle, personelle und zeitliche verfügt über eine leistungsfähige und stark nach- durch die Schönheit zur Freiheit gelangen kann“, hat len. Kulturpolitik greift also zu kurz, wenn sie Teil- Voraussetzungen. Zuletzt stellte Hoffmann die For- gefragte Musikschule, eine ebenso gut aufgestellte bis heute nicht an Gültigkeit verloren. habe vor allem durch niedrige Eintrittspreise und derung auf, angesichts der hohen Verschuldung vie- Volkshochschule, sehr gut besuchte Museen, The- Sozialermäßigungen ermöglichen möchte, während ler Kommunen und den daraus resultierenden Kür- ater und Konzertstätten mit fest angestellten Kul- Christoph Dammann erzieherische und pädagogische Maßnahmen sozu- zungen der sogenannten freiwilligen Leistungen den turpädagogen und vielen guten Angeboten für Kin- sagen nur zu den bereits Bekehrten predigen. Die Anteil der Kulturfinanzierung am gesamten kommu- der und Jugendliche. Alle kulturellen Einrichtungen Menschen sind offensichtlich nur zu einem kleinen nalen Haushalt, den er 2005 in Frankfurt bei etwa 9 sind seit 2013 in der fünf Jahre zuvor gegründeten
06 07 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA THEMA Bürgermeisterin Beate Kimmel nutzt die „Bank für alle“ – als Einladung zur Rast und symbolhaft für ein partizipatives Verständnis von Stadt und städtischem Raum. stellung führt laut Gehl in die Irre. Denn in seiner für alle“ errichtet – als Einladung zur Rast und sym- © Andreas Erb Gedankenwelt stehen nicht die baulichen Fragen an bolhaft für ein partizipatives Verständnis von Stadt erster Stelle, sondern die Bedürfnisse der Menschen, und städtischem Raum. Um diese Bank überhaupt nach denen sich die Bauten in der Stadt richten im Stadtraum belassen zu können, hat die Stadt nun müssten. Es geht ihm darum, Begegnungsräume für mit der Bürgerinitiative einen Gestattungsvertrag Menschen zu schaffen. „Attraktive Räume, in denen abgeschlossen, der bezüglich der Bank Reparatur- Menschen interagieren können, ziehen sie an“, sagt und Pflegemaßnahmen sowie haftungsrechtliche Gehl. „Es ist auch gut für die Demokratie und ein Ge- Grundlagen regelt. „Es ist nichts komplizierter, als meinwesen, wenn sich die Menschen Angesicht zu die Ansprüche an den öffentlichen Raum auszutarie- Angesicht treffen.“ ren“, meint Kimmel. Das hängt auch damit zusam- men, dass die Nutzungsinteressen vielgestaltig sind Ein wesentliches Element in Gehls Ansatz ist die Be- und sich teils zuwider laufen. freiung vom Auto. Er verteufelt nicht das Automobil – für das Überbrücken längerer Distanzen hält er es Es liegt in der Zeit, dass die Wünsche der Bürger nach für notwendig. Aber in einer Stadt, in der alles ver- Partizipation wachsen. Verwaltung und Lokalpolitik dichtet ist und vieles so nahe beieinander liegt? Hier müssten dabei vermitteln, meint Kimmel. Die Bür- D I E S TA D T VO N D E N sei das Auto eine regelrechte Zivilisationskrankheit, germeisterin fühlt sich von Gehls Ideen inspiriert. MENSCHEN HER DENKEN vielerorts schlichtweg überflüssig und belaste die In diesem Geist möchte sie sich „die Stadt erlaufen“, Lebensqualität. Kopenhagen ist bekannt für eine wie sie sagt, um sich neue Perspektiven auf die ur- massive Förderung fußläufiger Wegbeziehungen bane Gestalt Kaiserslauterns zu eröffnen. Unter dem und der Fahrradinfrastruktur in Verbindung mit dem Motto „Stadtbege(h)gnung“ spaziert sie nacheinan- Der dänische Stararchitekt Jan Gehl fordert, den Mitte des 20. Jahrhunderts viele Städte geplant wur- öffentlichen Personennahverkehr. der durch verschiedene Lauterer Viertel, kommt dort Menschen in den Mittelpunkt der Stadtplanung zu den, ist offenkundig gescheitert. Gehl setzt dem mit den Anwohnern ins Gespräch und sammelt Im- rücken – nicht Autos oder Bauten. Wie korrespondie- seine eigene Forderung entgegen, die einfach klingt, „Als ich 2011 nach Moskau kam, war ich geschockt, pressionen. ren diese Gedanken mit Kaiserslautern? doch deren Umsetzung hochkomplex ist: „Den Men- denn ich hatte nie zuvor eine Stadt gesehen, die der- schen in den Mittelpunkt!“ – nicht Autos, Malls oder art überfüllt mit Fahrzeugen war.“ Es habe keine Re- Dies tut sie in erster Linie in ihrer Rolle als Dezernen- „Schauen Sie aus dem Fenster!“, sagt Jan Gehl. Er Wolkenkratzer. geln, keine Kontrolleure, nicht einmal Parkgebühren tin für Sicherheit und Ordnung, um die Aufmerksam- weiß genau, was sich draußen abspielt, ohne selbst gegeben. Überall „stapelten“ sich die Autos, erinnert keit für Gefahrenquellen, für Unsicherheitsfaktoren hinsehen zu müssen: enge Straßen im Stadtkern, Der dänische Stadtplaner und Architekt, 1936 gebo- sich Gehl. Doch Moskau habe mit ähnlichen Ansät- oder für das Thema Sauberkeit im Stadtgebiet zu darauf eine Schlange aus blechernen Autos, die sich ren, gilt als visionärer Vordenker seiner Zeit. Gehl hat zen wie Kopenhagen die Trendwende geschafft. schärfen. Für das Ressort Stadtentwicklung sei sie durch das Zentrum schiebt, und entnervtes Hupen. unter anderem die Stadt Kopenhagen mit seinen Dies zeige, dass selbst eine große Metropole eine nicht zuständig, betont Kimmel, sieht aber durchaus Dazu lärmende Baustellen, Radfahrer, deren Fahrt Gestaltungsideen geprägt – und dazu beigetragen, solch gravierende Veränderung realisieren könne: durch die City zum waghalsigen Ritt wird, und Fuß- sie zu einer der Städte mit der weltweit höchsten Le- „Fünf Jahre später haben die Straßen Grünzonen, gänger, die durch die von Abgasen belastete Atmo- bensqualität zu machen. In Kopenhagen zielten alle anstelle der vielen Fahrzeuge sind Sitzbänke zur Rast Jan Gehl: sphäre wuseln. Wer auf die stickigen und verstopf- städtebaulichen Maßnahmen konsequent darauf aufgestellt, und es gibt große Schaukeln, die jeder dänischer ten Straßen der meisten deutschen Großstädte ab, die Lebensqualität zu erhöhen, nachhaltig und nutzen kann.“ Architekt und schaut, kommt nicht umhin, das Chaos zu erkennen. gesundheitsfördernd zu wirken und den sozialen Zu- Stadtplaner. sammenhalt zu begünstigen, erklärt der Architekt. © Jovis Verlag/Jan „Stellen wir uns so eine lebenswerte Stadt vor?“, „ D I E S TA D T E R L AU F E N “ Gehl/Asley Bristowe fragt Gehl. Im Publikum, das dem Stararchitekten „Jeder Bürgermeister will eine lebendige und le- bei einer Fachveranstaltung im Berliner Humboldt- benswerte Stadt“, sagt Gehl. Nur: Wie diese ge- Von Sitzbänken weiß auch die Kaiserslauterer Bür- Carré unlängst lauschte, zucken einige der Zuhörer stalten? Wie mit dem urbanen Raum umgehen, germeisterin Beate Kimmel zu berichten. Gerade hat mit den Schultern. Die Antwort erübrigt sich. Das nach welchen Kriterien ihn bebauen, nach welchen die Bürgerinitiative „Stadt für alle Kaiserslautern“ Konzept einer autogerechten Stadt, mit dem in der Maßstäben Gebäude errichten? Allein diese Frage- mitten in der City vor der Stiftskirche eine „Bank
08 09 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA THEMA auch Schnittmengen zu anderen Bereichen der Ver- nige Positionen. Erst seit im Zuge des Mallbaus eine waltung, die in ihrem Beritt liegen, etwa zur Kultur. neue Verkehrsführung in Kraft getreten ist, öffnet FUNKTIONIERT K U LT U R F Ü R A L L E ? So habe sich bei ihrem Besuch im Unionsviertel in sich nun im Gegenverkehr der Blick auf das beein- der Arbeit für die Attraktivierung der Straßenzüge druckende Bauwerk und bringt dessen Antlitz zur ein starkes kulturelles Engagement der Bürger ge- Geltung. zeigt. Kimmel will „die Stadt von den Menschen her Der Begriff „Kultur für alle“ geht von einer Kulturarbeit aus, die alle umfasst. Doch wie geht das? denken“. Das klingt vertraut nach Gehl. Es geht um Apropos Mallbau und Autoverkehr: Auf der anderen Und was bedeutet „Kultur für alle“ konkret? Dazu befragt LUTRA Lauterer Kulturakteure. Begegnungen, Kommunikation und Räume dafür. Seite des Einkaufstempels indes schlängeln sich die Und es geht um die Wahrnehmung dieser Räume. Autos und Busse zwischen Häuserschluchten durch das enge Nadelöhr im Bereich Maxstraße, Pariser Wie leicht sich diese Wahrnehmung des Stadtraums Straße und Mühlstraße. Fußgänger hetzen über Ze- manchmal mit nur kleinen Veränderungen beein- brastreifen, und Radfahrer schieben ihr Vehikel si- flussen lässt, zeigt sich am Beispiel der Marienkirche. cherheitshalber über Ampelquerungen. Vermutlich Wer in der Lauterer City mit dem Auto unterwegs ist, meinte Gehl Straßenzüge wie diesen, als er seine dem war es aufgrund einer Einbahnstraßenregelung Forderung „Menschen in den Mittelpunkt!“ formu- lange Jahre verwehrt, die imposante Marienkirche lierte. in voller Pracht vor sich zu erleben – höchstens im Rückspiegel war ihre Silhouette erkennbar. Selbst Andreas Erb Fußgängern ließ die Straßenführung dafür nur we- Die „Lange Nacht der Kultur“ vernetzt Kaiserslauterns Kulturakteure und bietet Programme aus allen kulturellen Sparten. © Stadt Kaiserslautern Alle können teilhaben, für jeden ist etwas dabei, und das Ergebnis von Entscheidungen – etwa für eine keiner geht leer aus. So einfach geht „Kultur für alle“. Zielgruppe, für ein Format, für ein Genre, für einen Oder etwa nicht? Was bedeutet „Kultur für alle“ ei- Künstler –, die naturgemäß auch einen ausschlie- gentlich in der Praxis? Und ist „Kultur für alle“ über- ßenden Charakter haben. Eine Programmatik kann haupt möglich? Beschäftigt man sich näher mit dem wohl niemals „für alle“ stehen. Aber nicht nur die Postulat, Kultur allen zugänglich zu machen, trifft Anbieter und Veranstalter treffen selektive Ent- man auf größere Hürden, als es anfangs scheint, und scheidungen – auch das Publikum selbst selektiert, gleichzeitig kommt man zu erstaunlichen Ansätzen für welches Kulturprogramm – ob Theater, ob Mu- dafür, wie „Kultur für alle“ doch funktionieren kann. seum, ob Musik, und wenn, welche Musik et cetera Dies zeigt eine Umfrage des Kulturmagazins LUTRA – es sich interessiert. Auf der Seite des Publikums unter Kaiserslauterer Kulturaktivisten mit der Frage- finden also ebenfalls Entscheidungen statt, die aus- stellung, wie diese „Kultur für alle“ interpretieren. schließen und abgrenzen. Hinzu kommen organisa- Demnach scheinen bewährte Formate für das Kon- torische „Hemmschwellen“, wie die Erreichbarkeit zept „Kultur für alle“ eher ungeeignet zu sein. Denn von Veranstaltungsstätten oder die Erhebung von jedes Kulturprogramm ist per se eine Auswahl und Eintrittspreisen. Diese können ebenfalls bestimmte
10 11 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA THEMA gesellschaftliche Sphären ausschließen – nämlich daher kein rein programmatischer sein, sondern be- Raum für Intimität. Zweitens den Raum für Arbeit. das selbstorganisierte Lernen oder als soziokulturelle diejenigen, die eben nicht mobil sind, oder diejeni- schreibt eine Haltung. Voraussetzung für „Kultur für Und drittens den Raum für Begegnungen, einen Begegnungsstätten“, sagt Staudt. „Die kommunale gen, die es sich schlicht nicht leisten können, Geld alle“ ist der Raum: Raum für Kommunikation, für Re- kommunalen Treffpunkt, der – im Gegensatz bei- Daseinsfürsorge der Gegenwart und Zukunft muss für einen Museumsbesuch, ein Theaterstück oder flexion, für Begegnung. spielsweise zu einem gastronomischen Lokal – frei diese Komponente berücksichtigen und fördern.“ ein Konzert auszugeben. von kommerziellen Interessen und kostenlos zu- Der kommunale Treffpunkt gewinne an Bedeutung. gänglich ist. Ein solches Raumangebot unterbreitet Ist die Realisierung des Anspruchs „Kultur für alle“ „ K U LT U R F Ü R A L L E “ ? – D A S S A G E N auch die Lauterer VHS. Sie hat einen Raum eingerich- Für Michael Halberstadt ist der Ansatz, „Kultur für also überhaupt möglich? Ja. Dafür bedarf es aller- L A U T E R E R K U LT U R A K T I V I S T E N tet, der den Besuchern zur freien Verfügung steht, alle“ unabhängig von finanziellen Mitteln, sozialem dings eines Perspektivwechsels. Dieser betrifft so- es gibt keine Vorgaben zur Nutzung. Diese ist indi- Status und Bildungsgrad zugänglich zu machen, wohl die Kulturhäuser und Veranstalter als auch das viduell; sie kann mit den sonstigen Programmen gescheitert. „Ich habe nicht den Eindruck, dass das Publikum. Es geht um ein erweitertes Begriffsver- der VHS korrespondieren, etwa treffen sich Kurs- funktioniert.“ Halberstadt ist als Gitarrist nicht nur ständnis. „,Kultur für alle’ bedeutet nicht, dass Pro- teilnehmer spontan zur Vor- oder Nachbespre- selbst Künstler, sondern macht auch Programm im gramme allen gefallen müssen. Auch wenn einem chung, muss dies aber nicht. Staudt spricht von Szenelokal „Salon Schmitt“ und ist einer der Treiber etwas nicht gefällt, kann man demgegenüber eine einem „grundlegenden Perspektivenwechsel“ in für die Band „Shaian“, die als Projekt der Flüchtlings- Position einnehmen und sich damit auseinanderset- der Bildungsarbeit hin zu offenen Lernräumen und arbeit begann und sich längst als multikulturelle For- zen“, sagt Pfalzgalerie-Direktorin Britta Buhlmann. offenen Strukturen im Zusammenhang mit einem mation etabliert hat. Bei Konzerten im Salon Schmitt Vom Publikum ist eine Offenheit zum Diskurs zu er- sich verändernden Lernverhalten der Menschen. zeige es sich, dass sich das Publikum nach Genres warten – nur so kann „Kultur für alle“ funktionieren. „Für die Volkshochschule heißt das, neben dem orga- sortiere und es selbst in familiären Lokalitäten wie Gleiches gilt aber auch für die Kulturmacher und de- nisierten Lernen zunehmend Räume zu schaffen für dieser sehr schwer sei, Publikumsgruppen stilüber- ren Bereitschaft dazu, Brücken über Genregrenzen greifend miteinander zu verschmelzen. Außerdem zu schlagen und möglichst vielen Zielgruppen ein herrsche nach wie vor ein bildungsbürgerlich ge- programmatisches Angebot zu machen. prägtes Verständnis des Kulturbegriffs, das andere gesellschaftliche Sphären oft ausschließe und dazu Wer darüber hinaus die Idee von „Kultur für alle“ in geeignet sei, bestehende Hemmschwellen zu er- ihrer Reinform vertritt, muss sich gedanklich nicht höhen. Halberstadt plädiert also dafür, von einem nur von bewährten Formaten, sondern am besten elitären Kulturbegriff Abstand zu nehmen. „Den Be- auch ganz von Inhalten lösen und deren Auswahl griff von Kultur zu reduzieren, ist nicht angebracht.“ gleich „allen“ anheim stellen. Die Volkshochschule Für ihn entsteht Kultur dort, „wo Menschen sich be- zeigt dies mit einem bemerkenswerten Ansatz: mit gegnen, sich austauschen, sich engagieren und aktiv einem Raum, einer „Hülle“ für Kultur, in dem sich werden“. Dies könne in Musik, Tanz, Schauspiel oder Menschen fernab eines kommerziellen Interesses Michael Staudt, Kunst geschehen, aber genauso im Zeichen von Ku- begegnen können. Der Begegnungsraum ist eine Direktor der Volkshochschule Kaiserslautern. linarik, Sport oder Natur. Aus seiner Sicht personifi- Plattform. Die kulturellen Ergebnisse – Formate wie © Privat ziert die Band „Shaian“ diesen Ansatz: eine Gruppe Inhalte –, die sich hierin entwickeln können, sind von Menschen, die sich auf der Basis von Respekt nicht vorherbestimmbar. Ähnlich agiert die Band und Toleranz begegnen, sich kreativ austauschen „Shaian“, die aus der Flüchtlingsarbeit entstanden und das musikalische Ergebnis dann authentisch ist und in der Menschen jeglicher Herkunft aufein- „Die Suche nach einem dritten Ort nimmt immens präsentieren. Kultur für alle eben. andertreffen: Die Band ist ihr Experimentierraum, in zu“, erklärt Michael Staudt, Direktor der Volkshoch- dem sich die Musiker aus unterschiedlichsten Natio- schule Kaiserslautern, einen Trend, der die moder- nen begegnen und den sie mit ihrer Kreativität fül- ne Bildungsarbeit prägt. Dieser dritte Ort bedeutet Michael Halberstadt, len – frei, ohne Vorgaben, ohne Plan. eben genau dies: „Bildung und Kultur für alle“. Das Gitarrist. „Drei-Orte-Konzept“ beschreibe menschliche Be- © Andreas Erb Das zeigt: „Kultur für alle“ lässt sich in bewährten dürfnisse in drei Raumkategorien. Erstens das Be- Formaten nur bedingt umsetzen. Der Ansatz kann dürfnis nach einem Zuhause, einem geschützten
12 13 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 THEMA THEMA Museum möglichst „barrierefrei“ zu gestalten. Das Mit der programmatischen Forderung „Kultur für an der Uni oder in Schulen. Es gehöre zum kulturpo- betrifft das Thema Öffnungszeiten, kann aber auch alle!“ des langjährigen Frankfurter Kulturdezernen- litischen Auftrag des Pfalztheaters, in der gesamten die Erhebung eines Eintrittsgelds infrage stellen. Es ten Hilmar Hoffmann war der heutige Pfalztheater- Region zu wirken. Die zweite Stoßrichtung seines sei durchaus legitim darüber zu diskutieren, wieso Intendant Urs Häberli erstmals in den 1980er Jahren Verständnisses von „Kultur für alle“ bezieht Häber- man für Programme, die ohnehin durch öffentliche als Regieassistent an der Oper Frankfurt konfron- li auf das Mitmachen. Hier mache das Pfalztheater Mittel finanziert seien, von den Besuchern noch ein- tiert. „Sie wurde zu einem prägenden Satz für meine mit dem „Jungen Theater“, dem integrativen Projekt mal einen Eintritt verlange. Museen seien Bildungs- eigene Theaterarbeit an unterschiedlichen Orten“, „Begegnungen!“ oder der Statisterie, dem Extrachor einrichtungen und Lernorte wie Schulen – auch dort sagt er. Dabei sieht Häberli zwei Stoßrichtungen: und dem Kinderchor den Bürgern Angebote zum kul- verlange man schließlich keinen Eintritt. In manchen „Zum einen muss man die Türen des Theaters weit turellen Engagement. Häusern wie dem Museum Folkwang in Essen kön- öffnen, um mit einem breit gefächerten Spielplan, nen Besucher die ständige Ausstellung kostenlos aber auch mit interessanten Abo-Angeboten mög- Andreas Erb besuchen. Dort wird der kostenlose Eintritt durch lichst viele Menschen einzuladen und zu begeis- eine Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und tern.“ Der Preis dürfe nicht zur unüberwindbaren Halbach-Stiftung realisiert. Das Ergebnis: 2014 zähl- Barriere werden, dies gelte insbesondere für die pä- te die Dauerausstellung 37.000 Besucher, bei frei- dagogische Arbeit am Theater. „Um dem Bild eines em Eintritt im vergangenen Jahr waren es mehr als elitären Elfenbeinturms zu widersprechen und even- 100.000. tuell ein ganz anderes Publikum zu erreichen“, ma- che das Pfalztheater auch Programm „außer Haus“ an alternativen Spielorten, etwa in Kirchen, Museen, Britta Buhlmann, Direktorin des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern. © Andreas Erb „Kultur für alle“ sei eine der Grundaufgaben einer öffentlich finanzierten Einrichtung wie der Pfalzga- lerie, erklärt Museumsdirektorin Britta Buhlmann. „Ein Museum ist kein Selbstzweck für kulturelle An- gelegenheiten, sondern ein Ort, an dem sich dem Publikum die Möglichkeit eröffnet, die eigene Per- PATRIZIA sönlichkeit zu erkennen und zu erweitern.“ Dafür schaffe man Angebote und wolle damit möglichst viele Menschen in unterschiedlichen Kontexten MORESCO erreichen. Dies betrifft vielfältige Wechselausstel- lungen, genreübergreifende Sonderveranstaltun- gen, die Museumspädagogik oder mehrsprachige Führungen. „,Kultur für alle’ bedeutet aber nicht, dass Programme allen gefallen müssen. Auch wenn SWR LIVE! Urs Häberli, einem etwas nicht gefällt, kann man sich damit auseinandersetzen und demgegenüber eine Posi- Intendant des Pfalztheaters. © Andreas Erb KABARETT tion einnehmen.“ Das Museum wolle den Diskurs 16. OKTOBER 2019, 19 UHR fördern – und der kann durchaus kontrovers sein. EINTRITT 15 € / 12 € · KARTEN: BUCHHANDLUNG THALIA, ABENDKASSE Zudem plädiert Buhlmann dafür, den Zugang zum SWR Studio Kaiserslautern, Emmerich-Smola-Platz 1, 67657 Kaiserslautern
MIT SWK-CARD: TICKETS 20% ERM.! PRÄSENTIERT: KAMMGARN ® INTERNATIONAL BLUES FESTIVAL (19) DONNERSTAG, 17. OKTOBER DONNERSTAG, 17. OKTOBER BIG DADDY WILSON HENRIK FREISCHLADER BAND 17.10. bis 19.10. Oct. 17 through Oct. 19 feat. JOHN MAYALL FREITAG, 18. OKTOBER WALTER TROUT FREITAG, 18. OKTOBER BAD TEMPER JOE WALTER TROUT HENRIK FREISCHLADER BAND FREITAG, 18. OKTOBER MARC AMACHER BAND SAMSTAG, 19. OKTOBER JOHN MAYALL & BAND AND MANY MORE! ! JEDER GA S TE CD RH STIVAL-2019- ÄLT GRATIS D TICKETS: www.kammgarn.de -FE IE ES KA LU MM Kammgarn wird gefördert GARN-INT.-B durch das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. SAMSTAG, 19. OKTOBER TIN PAN ALLEY
16 17 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 TH E ATE R U N D MUSI K TH E ATE R U N D MUSI K Opernbühne, die wie das Leben gleichzeitig das Schö- Zum Spielzeitbeginn kommt „La Traviata“ in einer „KÜHN BIS ZUM ÄUSSERSTEN“ ne und das Hässliche, das Gute und das Böse in sich Neuinszenierung des österreichischen Regisseurs René vereinen sollte. Mit dem Fortlauf seines Schaffens Zisterer auf die Bühne des Pfalztheaters. Arbeiten von Gedanken zur Oper „La Traviata“ – ab 14. September 2019 am Pfalztheater. formulierte Verdi zunehmend weniger politische oder ihm waren unter anderem an der Wiener Staatsoper, moralische Ideale, es ging ihm um den Menschen, so an der Volksoper Wien, am Tiroler Landestheater Inns- wie er ist, mit all seinen Ambivalenzen. bruck, an der Oper Köln und am Staatstheater Darm- stadt zu sehen. Für die Ausstattung sind Agnes Hasun Erzählt wird in äußerst knapper, konzentrierter Form (Bühne) und Marcel Zaba (Kostüme) verantwortlich. die Geschichte der Kurtisane Violetta Valéry, der „Tra- Die musikalische Einstudierung der Verdi-Oper liegt in viata“, der – nach Maßstäben der bürgerlichen Moral den Händen von Generalmusikdirektor Uwe Sandner. – „vom Weg Abgekommenen“. Sie ist der gefeierte Mittelpunkt der Pariser Halbwelt, der Demimonde. Andreas Bronkalla Ihr Salon ist der Treffpunkt seidener und halbseidener „Landhaus“ – Blick ins Bühnenbildmodell. Gestalten – ein Ort des Rausches, des Vergnügens, der INFO © Agnes Hasu Ausschweifung, des Sex. Dieses Leben hat Violetta je- La Traviata doch gezeichnet: Sie ist von einer tödlichen Krankheit, Oper von Giuseppe Verdi Es ist schon ein bemerkenswertes Phänomen, dass ei- mer Zeit kannte und 1852 die daraus hervorgegange- der Schwindsucht, befallen, die wie ein moralisches Text von Francesco Maria Piave nach nige der heute beim Publikum beliebtesten Opern bei ne Theaterfassung im Pariser Théâtre de Vaudeville Verdikt über ihrem ausschweifenden Leben schwebt. Alexandre Dumas ihrer Uraufführung auf Unverständnis, Gleichgültig- besucht hatte, wählte den Stoff, eine in der Gegen- Als sie auf einem ihrer Feste Alfredo, einen jungen Musikalische Leitung: Uwe Sandner keit oder gar Missfallen gestoßen sind. Man denke an wart angesiedelte Geschichte mit einer Kurtisane im Mann aus der Provinz, der seine ersten Erfahrungen Inszenierung: René Zisterer den Skandal, den Bizets „Carmen“ 1875 an der Pariser Zentrum, sehr bewusst – in Italien in der Mitte des in der Pariser Gesellschaft sammelt, kennen lernt, Bühne: Agnes Hasun Opéra-Comique heraufbeschwor, oder an den Spott, 19. Jahrhunderts eine Ungeheuerlichkeit. Eine Unge- verspürt sie zum ersten Mal ein Gefühl wahrhaftiger, Kostüme: Marcel Zaba den Puccinis „Madama Butterfly“ in ihrer Urfassung heuerlichkeit, die Verdi gesucht hatte: „Ich wünsche echter Liebe. Sie entscheidet sich gegen die Welt des Chor: Gerhard Polifka 1904 an der Mailänder Scala auf sich zog. In diese Rei- neue, grandiose, schöne, abwechslungsreiche, kühne schönen Scheins und leerer Illusionen – und für ein Mit: Susanne Langbein/Irina Simmes (Vio- he gehört auch „La Traviata“ von Giuseppe Verdi, die – Stoffe … und kühn bis zum äußersten, mit neuartigen Leben mit Alfredo. Gemeinsam ziehen sie sich in ein letta), Daniel Kim (Alfredo), Nikola Diskic/ heute eine der meistgespielten Opern überhaupt – bei Formen etc. etc. und zu gleicher Zeit vertonbar“, for- Refugium, in eine paradiesische Idylle außerhalb der Daniel de Vicente (Giorgio Germont) sowie der Uraufführung am 6. März 1853 am Gran Teatro La mulierte Verdi am Neujahrstag 1853 in einem Brief an Gesellschaft zurück. Polina Artsis/Rosario Chávez, Monika Hügel/ Fenice in Venedig ein totales Fiasko erlitt. seinen Freund Cesare de Sanctis. Doch zielte der Kom- Julia Pastor, Daniel Böhm, Peter Floch/Tae ponist bei „La Traviata“ nicht auf die äußere Sensation, Dieser naive Versuch wird nicht im Sinne einer höhe- Hwan Yun, Kihoon Han, Bartolomeo Stasch, Nun mögen die Ursachen für ein Uraufführungsde- nicht auf den reißerischen Effekt. Vielmehr strebte er ren Moral honoriert, sondern muss an den Gesetzen Hyeong-Joon Ha, Radoslaw Wielgus | Chor bakel sehr unterschiedlich sein und möglicherweise nach einer möglichst lebensnahen Dramatik auf der der bürgerlichen Gesellschaft scheitern. Einer „Travia- und Extrachor des Pfalztheaters | Orchester mehr in den Umständen der Aufführung als in dem ta“ wird das Überschreiten der Grenze von dem einen des Pfalztheaters Werk selbst begründet liegen. Zweifellos standen bei Dasein in das andere nicht gestattet. Die bürgerliche Premiere: der Uraufführung von „La Traviata“ die unzureichen- Giuseppe Verdi: Moral tritt Violetta in Verkörperung durch Giorgio Sa 14.9.2019, 19.30 Uhr, Großes Haus den Sängerleistungen einer vorbehaltlosen Akzeptanz Gemälde von Achille Scalese. Germont, Alfredos Vater, gegenüber, der sie unbarm- Weitere Termine: 22.9., 2.10., 8.10., 11.10., der Oper beim Publikum im Wege – der Komponist © frei herzig in ihre frühere Existenz zurückstößt. 18.10., 31.10., 9.11., 15.11., 24.11., 30.11., war bereits im Vorfeld der Uraufführung über die Be- 25.12.2019, 8.1. und 18.1.2020 setzung mit der Direktion des La Fenice in Konflikt ge- Bei aller Emotionalität des Sujets haben Giuseppe Ver- raten. Doch es waren auch die Wahl des Stoffes sowie di und sein Librettist Francesco Maria Piave den gesell- Pfalztheater Kaiserslautern Willy-Brandt-Platz 4-5 die Konsequenz der eher nach innen gekehrten, auf schaftlichen Mechanismus, dem Violetta zum Opfer ein intimes Kammerspiel reduzierten Dramaturgie der fällt, mit nüchterner Präzision verfolgt. Die Art und Karten: Telefon 0631 3675-209 Oper, die das Publikum irritieren mussten. Verdi, der Weise, wie sie für eine Randexistenz der Gesellschaft www.pfalztheater.de Alexandre Dumas‘ Roman „La Dame aux camélias“ Partei ergreifen, lässt ein ungewöhnlich differenzier- („Die Kameliendame“) aus dem Jahr 1848 seit gerau- tes Frauenporträt entstehen.
18 19 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 TH E ATE R U N D MUSI K TH E ATE R U N D MUSI K Wittstock: Welche Optik wird bei den Damen vorherr- schen? HISTO RISCHE GEWÄ NDER IN Riccaut de la Marliniere. Kostümentwurf von EINEM MODERNEN BÜHNEN- Britta Leonhardt. Quelle: Leonhardt: Die Damen sind im Gegensatz zu den Her- ren, sehr farbig, in knallig bunt gestreiften Seiden- R AUM Pfalztheater Kaiserslautern stoffen gekleidet, sie haben Geld, zeigen Lebenslust, Selbstständigkeit und Freiheit. Minna und Franziska tragen farbige Rokokoperücken, die allerdings von Britta Leonhardt gestaltet die Kostüme für den Spielerinnen selber im Spiel auf und abgesetzt „Minna von Barnhelm“ am Pfalztheater. werden können. Dadurch kann mit einfachen Mitteln die öffentliche und die private Situation unterstrichen werden. Der erste Auftritt der Damen spielt in Unter- wäsche, da werden wir mit historischer Wäsche in ein- heitlich bunten Farben arbeiten (z. B. eine in rosa, eine historisch, eine Schnittführung wie von 1763, dadurch in türkis). Minna von Barnhelm. Kostümentwurf von Britta Leonhardt. sitzen die Kostüme anders als heute, und geben einen Quelle: Pfalztheater Kaiserslautern schönen Gegensatz zu dem klaren, reduzierten, mo- Andrea Wittstock dernen Bühnenbild. Wittstock: Wie sehen denn die Männer, die ja meist INFO vorher Soldaten waren, dann konkret aus? Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück Leonhardt: Die Kostüme der Herren unterstreichen die Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing Situation nach Kriegsende. Alle Kostüme sollen in ei- Inszenierung und Bühne: Nicolai Sykosch nem einheitlichen Stoff und graublauem Farbton ge- Kostüme: Britta Leonhardt Mit Gotthold Ephraim Lessings Lustspiel „Minna Leonhardt: Das Stück spielt nach dem Siebenjährigen halten werden, einem ähnlichen Farbton, wie ihn aus- von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ eröffnet das Krieg. Durch Beendigung des Krieges haben die Män- geblichene, verstaubte preußische Uniformen haben, Mit: Jelena Kunz (Minna von Barnhelm), Schauspiel am Pfalztheater seine neue Spielzeit. Re- ner kein Geld, keine Aufgabe und sind teilweise ver- changierend und leicht glänzend. Dadurch erzählt sich Aglaja Stadelmann (Franziska), Günther Fin- die ähnliche Situation aller Männer, und im Gegensatz gerle (Graf von Bruchsall), Stefan Kiefer (Just), gisseur und Bühnenbildner Nicolai Sykosch, der bereits schuldet, ihre Zukunft und ihr Stand sind ungeklärt. Henning Kohne (Der Wirt), Michel Kopmann Molières „Der Geizige“ in Kaiserslautern auf die Büh- Die Figuren sind in finanzieller Not, ohne Perspektive, zu den Frauen wirken sie wie graue Mäuse, fast farb- (Paul Werner), Jan Henning Kraus (Riccaut de ne gebracht hat, hat für die „Minna“ einen modernen die alten Werte sind nicht mehr gültig, eine neue Zeit los, trotzdem setzen sie sich gut vom Bühnenraum ab. la Marlinière), Martin Schultz-Coulon (Major Bühnenraum entworfen. Als Gegenkraft dazu gestal- bricht an, in der die Männer einem neuen Frauenbild Zwei Ausnahmen bilden dabei die Figuren Riccaut und von Tellheim) tet Kostümbildnerin Britta Leonhardt eher historische begegnen, ihr Platz ist jenseits des (vergangenen) Sol- Graf von Bruchsall. Riccaut, der ein Verbrecher ist, soll Kostüme, ein Konzept, das beide schon beim „Geizi- datenseins unklar. Die neue Position des Mannes in im gleichen Material aber komplett in der Farbe des Premiere: Sa 21.9.2019, 19.30 Uhr, Großes Haus gen“ sehr erfolgreich umgesetzt haben. Im Gespräch der Gesellschaft und gegenüber der Frau bringt sie in Bühnenbildes auftreten, dadurch kann er Mimikry mit Dramaturgin Andrea Wittstock stellt Britta Leon- eine große Unsicherheit. zur Wand oder dem Boden machen und sich so „ver- Weitere Termine: 27.9., 6.10., 12.10., 16.10., hardt ihre Gedanken zum Kostümkonzept vor. stecken“. Graf von Bruchsall, der Onkel von Minna, 22.10., 25.10., 27.10., 16.11., 6.12., 13.12.2019, Die Frauen dagegen, Minna und Franziska, sind sehr steht außerhalb und kommt aus Italien, das wird sehr 9.1. und 28.2.2020 Wittstock: „Minna von Barnhelm“, das 1767 in Ham- modern und emanzipiert, nehmen ihr Leben in die plakativ durch das grün-weiß-rote Kostüm, bzw. eine Pfalztheater Kaiserslautern burg uraufgeführt wurde, ist eine spielerische Ausei- Hand und genießen die Freiheit. Perücke erzählt werden. Alle Herren (außer Bruchsall) Willy-Brandt-Platz 4-5 nandersetzung mit gesellschaftlichen Rollenbildern spielen mit Eigenhaar, dadurch erzählt sich die Not der Karten: Telefon 0631 3675-209 und moralischer Eitelkeit. Es spielt in einer Nachkriegs- Die Kostüme sind historisch angelehnt, um 1763, ein Figuren, und die Nachkriegssituation wird deutlich ge- www.pfalztheater.de situation. Welche Sicht auf die Figuren liegt dem Kos- fast naturalistisches Kostümbild der Zeit. Das heißt zeigt. tümkonzept zugrunde? für unsere „Minna von Barnhelm“, die Schnitte sind
20 21 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 TH E ATE R U N D MUSI K TH E ATE R U N D MUSI K mont“ dirigieren, in der Fruchthalle wird Mendels- GRENZÜBERSCHREITUNGEN sohns Oratorium „Elias“ mit Chor und Solisten unter UND ABSCHIEDSSYMPHONIEN der Leitung von Gerhard Polifka erklingen. Was reizt Sie daran, den Konzertradius zu erweitern? Sandner: Es ist schön, dass wir einen eigenen Chor am Haus haben und schon mehrfach haben wir Chorkonzerte gegeben, sei es im Rahmen von „Sonn- tags um 5“ oder jetzt gerade bei der „Italienischen Generalmusikdirektor Uwe Sandner. Nacht“. Auch im geistlichen Bereich haben wir be- © Marco Piecuch reits die Requiems von Brahms und Mozart aufge- führt, jetzt kommt mit „Elias“ ein Oratorium von LUTRA: Warum haben gerade neunte Symphonien Mendelssohn. so eine Symbolkraft? Eine Auseinandersetzung mit der Gattung des Me- Sandner: Beethoven hat nur neun Symphonien ge- lodrams hatte ich mir schon länger vorgenommen. schafft, Bruckner ebenso. Mahler hat letztlich auf Es traf sich nun gut, dass auch der Schauspieler Rai- dem Papier auch nur neun Symphonien geschrieben, ner Furch eine große Affinität für diese Kunstform auch wenn er bei der Nummerierung und dem „Lied hat. Melodramen sind, finde ich, zu Unrecht verges- Das Orchester des Pfalztheaters. von der Erde“ etwas getrickst hat. Lange Zeit ist auch sen. Man verbindet mit ihnen immer noch einen © Harald Köhler Schubert laut Zählung nur auf neun Symphonien ge- leicht pathetischen Anstrich, von dem ich sie gerne kommen. Dazu wird Arnold Schönberg oft mit einem befreien möchte, um diese Gattung dem Publikum Die Konzertsaison 2019/2020 des Orchesters des ersterben in einem dreifachen Piano und sind dem- berühmten Ausspruch zitiert: „Es scheint, die Neunte unvoreingenommen und frisch vorzustellen: Es ist Pfalztheaters sowohl an heimischer Stätte im Pfalz- entsprechend auch Abschiedssymphonien. Mahler ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort. symphonische Musik, und darüber liegt gesproche- theater wie auch in der Fruchthalle im Rahmen der hatte furchtbare Angst vor dem Tod, ganz konkret Es sieht so aus, als ob uns in der Zehnten etwas ge- ne Lyrik. städtischen Sinfoniekonzerte ist so vielfältig wie nie: auch, dass er ihn nach der Vollendung der Neunten sagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sol- Große Symphonik trifft auf Melodram und Orato- ereilen würde, Bruckner ist über der Komposition len, wofür wir noch nicht reif sind. Die eine Neunte LUTRA: Wenn man den Begriff „Kultur für alle“ dis- rium, Klassik und Romantik treffen auf Barock und tatsächlich schwer erkrankt und während der Fertig- geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe.“ kutiert, ist es nicht so, dass das klassische Sympho- Rock. LUTRA hatte Gelegenheit mit Generalmusikdi- stellung verstorben. Das Finale konnte er nicht voll- niekonzert manchen eher als eine elitäre Luxusver- rektor Uwe Sandner über die beginnende Konzert- enden, deswegen hat die Neunte im Gegensatz zu Insofern hat Schönberg einen schönen Gedanken in anstaltung erscheint – wenn man das mal etwas saison zu sprechen – die letzte in seiner künstleri- all seinen anderen Symphonien nur drei Sätze. Worte gefasst, den ich vorhin erwähnt habe, näm- provokativ formuliert? schen Verantwortung. lich, dass es die letzen Worte der Komponisten sind. Ich wollte schon länger gerne beide Werke einmal in Ihnen ist hier entweder etwas so Außerordentliches Sandner: Ich möchte mich ganz vehement dagegen LUTRA: Das Programm der Pfalztheaterkonzerte in einer Saison aufführen, und vor einiger Zeit war mir gelungen, dass sie danach keine noch größere oder verwahren, dass ein Konzert erstens elitär und zwei- der Saison 2019/2020 wird von zwei großen, vielsa- dann klar, dass es in dieser Spielzeit sein würde – mit bedeutungsvollere Komposition hätten schreiben tens Luxus ist. Fangen wir damit an: Kultur hat mit genden Symphonien umrahmt. Mit dem Orchester diesen Abschiedssymphonien möchte ich mich ger- können oder sie waren sich bewusst, dass es wohl Luxus gar nichts zu tun, Kultur ist lebensnotwendig des Pfalztheaters bringen Sie jeweils die Neunte von ne selbst vom Publikum hier in Kaiserslautern ver- ihre letzten orchestralen Gedanken sind, die sie ge- und wichtig. Gerade in einer Zeit, in der man zerrie- Anton Bruckner und Gustav Mahler zur Aufführung. abschieden. Darüber hinaus passen die beiden Sym- rade zu Papier bringen. ben wird zwischen den Reizen, die auf einen einströ- Ist das Zufall oder spannt sich da ein inhaltlich-musi- phonien, die tatsächlich die Grenzen der Musik ihrer men, in der die Kommunikation immer schneller und kalischer Bogen? jeweiligen Zeit überschritten, auch gut zu unserem LUTRA: Ein anderer Schwerpunkt Ihrer Programm- kürzer wird, in der man kaum einen Gedanken ent- Spielzeitmotto „Grenzen | Horizonte“: ein weiterer planung scheint die Suche nach Korrespondenzen wickeln kann, weil nur ein bestimmter Zeichenvorrat Sandner: Beide großen neunten Symphonien von Grund, sie in dieser Spielzeit in unser Programm auf- zwischen Musik und Wort zu sein. Sie selbst werden für eine Nachricht zugelassen ist – in dieser Zeit ist Bruckner und von Mahler sind letzte Symphonien, zunehmen. Max von Schillings Melodram „Das Hexenlied“ wie es unglaublich wichtig, sich in etwas vertiefen zu sind letzte Worte von großen Komponisten. Beide auch Beethovens Schauspielmusik zu Goethes „Eg- können, in Kunstwerke oder eben in das Zuhören in
22 LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2019 TH E ATE R U N D MUSI K einem Konzert. Insofern hat das nichts mit Luxus zu Sandner: Das wird ein interessantes Projekt, auf das tun, sondern ist für die Entwicklung des Menschen ich mich sehr freue – es ist ein Inklusionsprojekt, bei außerordentlich wichtig. dem Menschen mit Behinderung und unser Orches- ter zusammenkommen. Wir haben Glück, mit Bern- Elitär ist es auch nicht – elitär sind manchmal die Um- hard König einen Komponisten gefunden zu haben, stände, elitär gebärden sich manche im Publikum. der uns eigens für dieses Konzert ein Werk schreiben Jeder kann Musik verstehen, sie hat immer etwas wird. Die Musikerinnen und Musiker werden ganz zu sagen, gerade auch die Musik von älteren Kom- individuell mit Menschen mit Behinderung zusam- ponisten. Sie haben nicht nur für, sondern durchaus menarbeiten und die Bausteine für das Konzert auch gegen den Zeitgeist geschrieben, griffen auch entwickeln, die dann letztlich von Bernhard König absolute Themen auf und schufen Emotionen, die zusammengeführt und in ein großes Werk integriert einen zu jeder Zeit ansprechen, unabhängig von der werden. jeweiligen Mode. Natürlich wächst die Liebe zu den dargebotenen Werken mit dem wiederholten Hören Andreas Bronkalla und einer gewissen Kennerschaft, aber Konzerte INFO sind wirklich für alle da, für jeden, der beschließt, einfach zuzuhören und sich emotional an die Hand 1. Pfalztheaterkonzert: von Schillings, nehmen zu lassen. Bruckner Max von Schillings: „Das Hexenlied“, LUTRA: Wie kann sich der klassische Konzertbetrieb Melodram op. 15 „für alle“ öffnen? Anton Bruckner: Symphonie Nr. 9 d-Moll Sprecher: Rainer Furch Sandner: Der Konzertbetrieb hat sich in den letzten Orchester des Pfalztheaters zehn, zwanzig Jahren schon sehr geöffnet. Auch wir Leitung: Uwe Sandner am Pfalztheater ermöglichen Probenbesuche, ver- Sonntag, 3.11.2019, 18 Uhr, Pfalztheater, anstalten Mitmachkonzerte und mindestens zwei Großes Haus Konzerte der Pfalztheaterkonzert-Reihe haben „lo- ckere“ Programme, traditionell das Neujahrskonzert Karten: Telefon 0631 3675-209 www.pfalztheater.de und ein weiteres, das z. B. als Open Air, als Cross- over-Projekt oder als Wunschkonzert gestaltet wird. Mittlerweile veranstalten wir auch Matinéen zu den 1. Sinfoniekonzert: „Elias“ Konzerten. Mit Desirée Kohl haben wir eine Konzert- Felix Mendelssohn Bartholdy: „Elias“, Oratori- pädagogin, die neue Formate entwickelt und etab- um, op. 70 (MWV A 25) liert, um auch so „Barrierefreiheit“ zu gewährleisten. Solisten: Bartolomeo Stasch (Elias), Zoe Der klassische Konzertbetrieb ist schon geöffnet für Juhyun Park (Sopran), Juliane Santa (Sopran), alle. Polina Artsis (Alt), Tae Hwan Yun (Tenor) Chor des Pfalztheaters, Konzertchor Mann- LUTRA: In dieser Spielzeit starten Sie zusam- heim men mit dem Orchester des Pfalztheaters ein Orchester des Pfalztheaters Leitung: Gerhard Polifka „Begegnungen!“-Projekt im Bereich Konzert. Was können wir uns unter dem Projekt „Klang ohne Freitag, 22.11.2019, 20 Uhr, Fruchthalle Grenzen“ vorstellen? Karten: Telefon 0631 365-3452 www.fruchthalle.de
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