Kuba "aktualisiert" sein Wirtschaftsmodell - Evita Schmieg SWP-Studie - Lateinamerika Verein eV
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Evita Schmieg Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Perspektiven für die Zusammenarbeit mit der EU S2 Februar 2017 Berlin
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Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Ausgangssituation: Aktualisierung des kuba- nischen Modells als Grundlage für dynamisches Wachstum? 7 Grunddaten 8 Die Aktualisierung des ökonomischen Modells 2011/2016 9 »Freiheit« unter Kontrolle – Das Dilemma der Aktualisierung 13 Kubas Außenwirtschaft 13 Hintergrund 14 Institutionelle Rahmenbedingungen: Außen- handel als Außenpolitik 15 Bilaterale und regionale Abkommen im Bereich Außenwirtschaft 18 Aktuelle Situation im Warenhandel 20 Wachsende Bedeutung des Tourismus 21 Entsendung medizinischen Personals 23 Ausländische Direktinvestitionen 27 Beziehungen zur Europäischen Union 27 Das Dialog- und Kooperationsabkommen von 2016 28 Interessen und Engagement der Bundesrepublik 30 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 32 Abkürzungsverzeichnis
Dr. Evita Schmieg ist Wissenschaftlerin in der SWP- Forschungsgruppe EU/Europa Die Studie entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Außenwirtschaft und Entwicklungs- politik im Lichte der Ziele zur nachhaltigen Entwicklung«
Problemstellung und Empfehlungen Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Perspektiven für die Zusammenarbeit mit der EU Das Ende der Eiszeit zwischen Kuba und den USA hat politisch und ökonomisch eine neue Basis geschaffen, um die kubanische Wirtschaft stärker in internationa- le Handels- und Investitionsströme einzubinden. An einer engeren Kooperation haben sowohl Kuba als auch die Regierungen der Industrieländer und die Privatwirtschaft ein großes Interesse. Daher stellt sich die Frage, welche Chancen der Wandel des kubani- schen Modells für eine Zusammenarbeit mit der EU und Deutschland birgt. Zu prüfen ist, ob die eingelei- teten Reformschritte in Kuba geeignet sind, die außen- wirtschaftliche Lage des Landes zu verändern, und ob sie die Basis für Kooperation mit der europäischen Privatwirtschaft und für die Entwicklungszusammen- arbeit verbessern. Die derzeitige Außenhandelssitua- tion des Landes und seine Einbettung in die WTO so- wie regionale Handelsabkommen setzen ebenfalls wichtige Rahmendaten für die weitere Entwicklung. Dabei ist von Interesse, inwiefern sich mit der deutsch- kubanischen Vereinbarung von 2015 und dem 2016 geschlossenen EU-Kuba-Kooperationsabkommen eine Perspektive bietet, zu einer einheitlichen Kuba-Politik der EU-Staaten zurückzukehren, nachdem diese lange Zeit unterschiedliche Positionen vertreten haben. Unter der Herrschaft von Raúl Castro hat Kuba wirt- schaftspolitisch einen neuen Kurs eingeschlagen. Der Staats- und Parteichef geht davon aus, dass die Ursa- chen von Kubas ökonomischer Misere hauptsächlich im eigenen Land und System zu finden sind. Auf Basis dieser Analyse hat die Regierung 2011 »Leitlinien« zur Aktualisierung des nationalen Wirtschaftsmodells verabschiedet. Damit wurden weitreichende Verände- rungen eingeläutet. Die wichtigsten außenwirtschafts- politischen Ziele sind Diversifizierung und Auswei- tung der Exporte sowie Importsubstitution. Bei Letzte- rer geht es vor allem darum, eine bessere Eigenversor- gung des Landes mit Energie und Nahrungsmitteln zu erreichen. Angestrebt wird zugleich eine größere Un- abhängigkeit von Venezuela – dem Land, das bislang zu Kubas wichtigsten Unterstützern gehört, ökono- misch und politisch aber ins Straucheln geraten ist. Im Rahmen der Reformen wurde die Möglichkeit der Selbstbeschäftigung (cuentapropistas) eingeräumt. Die Maßnahme bewegt sich derzeit aber in einem zu engen Rahmen, als dass sie erwarten ließe, weitrei- SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 5
Problemstellung und Empfehlungen chende Chancen für Diversifizierung und Steigerung flecht aus ökonomischen und politischen Bedingun- der Exporte zu eröffnen. Lediglich im Tourismus könn- gen eingebettet. Vor diesem Hintergrund lassen sich ten die Reformen eine größere Rolle spielen. Die wach- einige Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die sende Zahl an Kooperativen, gerade im Agrarbereich, europäische und deutsche Politik ableiten: führt bisher nur zu geringen Produktivitätssteigerun- Kuba nimmt historisch-institutionell eine Sonder- gen und könnte – ausgehend von einer niedrigen Basis stellung in der Karibik ein, die sich aber nicht – eher zur Importsubstitution beitragen. Stärkere Ex- gleichermaßen in ökonomisch-strategischen Inter- porte sind dadurch höchstens langfristig zu erwarten. essen Europas widerspiegelt. EU und Deutschland Allerdings hängen diese Möglichkeiten stark davon sollten in diesem Lichte prüfen, ob eine besondere ab, ob die kubanische Regierung begleitende Reformen Behandlung Kubas ihrem gegenwärtigen Interesse in den Bereichen Infrastruktur und produktionsbezo- tatsächlich entspricht oder etwa falsche Anreize für gene Dienstleistungen vornimmt. Ausschlaggebend die umliegenden karibischen Staaten setzt. wird aber vor allem sein, ob Unternehmen und Koope- Die ökonomische und politische Verankerung rativen mehr Entscheidungsfreiheit in unternehmeri- Kubas in der Region sollte Ausgangspunkt werden schen Fragen erhalten – von Einstellung und Entloh- für eine Einbeziehung des Landes in europäische nung der Arbeiter bis hin zu notwendigen Importen. und deutsche Instrumente der Entwicklungs- und Das hohe Maß an Reglementierung schafft für interne Handelspolitik gegenüber CARICOM und Dominika- Akteure ebenso wie für externe Investoren eine sehr nischer Republik (die gemeinsam CARIFORUM bil- negative Rahmenbedingung, die den außenwirtschaft- den). Damit ließen sich langfristig Zusammenarbeit lichen Zielen der kubanischen Führung zuwiderläuft. und Integration in der Region stärken, zugleich Die Restriktionen entspringen dem Wunsch der Regie- aber auch neue Kooperationsformen mit Kuba aus- rung, alle wirtschaftlichen Aktivitäten zu kontrollie- testen. Die regionale Einbettung Kubas könnte den ren, und zugleich dem Bestreben der politisch-militä- Dialog zu schwierigen Themen – im außenwirt- rischen Elite, eigene Macht- und Einkommensquellen schaftlichen Kontext etwa zur Rolle kleiner und zu sichern. Die politische Ausgangssituation steht mittlerer Unternehmen – womöglich erleichtern. daher in einem starken Spannungsverhältnis zu den Die Rahmenbedingungen für ein Engagement klei- angestrebten außenwirtschaftlichen Zielen. ner und mittlerer Unternehmen aus Europa sind Die EU ist heute der nach Venezuela zweitwichtigs- besonders schwierig. Der deutsche und europäische te Handelspartner Kubas. Den EU-Staaten kommt eine Kuba-Dialog sollte von regelmäßigen Stakeholder- besondere Bedeutung zu, wenn es darum geht, die Diskussionen – mit Wissenschaft, Privatwirtschaft außenwirtschaftlichen Perspektiven des Landes zu und Zivilgesellschaft – begleitet sein. Dies würde es verbessern. Umgekehrt ist Kuba indes kein wichtiger Bundesregierung und EU-Kommission erleichtern, ökonomischer Partner für Europa, auch wenn insbe- sich über die Lage gesellschaftlicher Gruppen in sondere große multinationale Unternehmen einzelner Kuba und deren Wirken umfassend zu informieren. EU-Staaten mit Direktinvestitionen auf der Insel enga- Die EU sollte ihr Kooperationsabkommen mit Kuba, giert sind. 2016 hat Kuba mit der EU ein Dialog- und Deutschland wiederum seine bilaterale Vereinba- Kooperationsabkommen geschlossen; bis dahin war es rung mit dem Land nutzen, um einen verstärkten das einzige Land Lateinamerikas ohne ein solches Ab- Dialog über die Themen Menschenrechte, Trans- kommen mit der EU. Kuba ist zwar geographisch und parenz und Partizipation zu führen. Diese Fragen teils auch politisch-institutionell in der karibischen sind eng mit den Möglichkeiten verknüpft, außen- Region verankert, jedoch nicht als Teil der institutio- wirtschaftliche Ziele zu erreichen, da sie auch den nellen Verbindungen zwischen der EU und der Region Rahmen für ökonomisches Handeln bestimmen. – weder in Bezug auf Entwicklungsgelder noch als Teil Dass Kuba auf außenwirtschaftliche Erfolge ange- des 2008 in Kraft getretenen Wirtschaftspartner- wiesen ist, bietet mögliche Ansatzpunkte, um auch schaftsabkommens der EU mit der Karibik. Im Unter- politisch heikle Themen anzusprechen. schied zu anderen Entwicklungsländern erhält Kuba Die Stärkung der Kooperation auf Basis des EU- auch keine einseitigen Handelspräferenzen der EU, da Abkommens sollte langfristig eine Chance bieten, es durch seinen stark überbewerteten Wechselkurs auch für den Bereich der Außenwirtschaft zu sub- das eigene Bruttoinlandsprodukt (BIP) hochrechnet. stantielleren europäisch-kubanischen Regelungen Die Entwicklung der künftigen europäisch-kubani- zu gelangen. Dadurch würde es möglich, das der- schen Beziehungen ist damit in ein komplexes Ge- zeitige Abkommen in Zukunft zu konkretisieren. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 6
Grunddaten Ausgangssituation: Aktualisierung des kubanischen Modells als Grundlage für dynamisches Wachstum? Grunddaten HDI weltweit auf Rang 67. 3 Ein realistischerer Wech- selkurs würde allerdings über ein niedrigeres Pro- Kuba hat eine Bevölkerung von 11 Millionen Men- Kopf-Einkommen auch den HDI senken. Schlechter schen (2015) und ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen schneidet Kuba bei anderen Indikatoren ab, beispiels- von 5880 US-Dollar. 1 Offiziell gehört Kuba damit zu weise Kommunikation (2014: 22 Mobiltelefone und den Ländern mit höherem mittleren Einkommen. 30 Internetnutzer auf 100 Personen). Die Daten zur Nach Einkommen und Bevölkerungszahl entspricht Telekommunikation verändern sich jedoch rapide; Kuba nominal etwa seinem Nachbarstaat Dominikani- 2015 sollte die Zahl der Mobilfunkanschlüsse auf über sche Republik. Es nimmt daher innerhalb der karibi- 3 Millionen steigen. 4 Befördert wird dies durch eine schen Region keine Sonderstellung kraft ökonomi- außenwirtschaftliche Öffnung in diesem Sektor – so scher Bedeutung ein. Zudem ist der kubanische Wech- dürfen US-Firmen seit Januar 2015 auch Telekommu- selkurs stark überbewertet. Kuba hat einen gespalte- nikationsausrüstungen an Kuba liefern. Zugleich ist nen Wechselkurs. Neben dem an den Dollar gebunde- weiterhin von staatlicher Kontrolle auszugehen, ins- nen konvertiblen Peso (CUC) mit einem Wechselkurs besondere bei der Nutzung des Internets. von 24 CUC/1 US-Dollar existiert noch der kubanische Kubas Wirtschaftswachstum lag 2015 real bei Peso (CUP) mit einem Wechselkurs von 1:1. Legt man 4,3 Prozent. 5 Für 2016–2020 rechnet die Economist einen von Beobachtern 2 für realistisch gehaltenen Intelligence Unit mit einem Anstieg auf jährlich 5,1 Wechselkurs von 12 Pesos/1 US-Dollar zugrunde, so Prozent. 6 Allerdings gibt es mehrere Faktoren, die befände sich Kubas Pro-Kopf-Einkommen im Welt- dazu zwingen könnten, diese Prognose nach unten maßstab nicht mehr im höheren mittleren, sondern zu korrigieren – der gesunkene Ölpreis, die Krise in eher im unteren Bereich. Das Land wäre dann faktisch Venezuela und die Unsicherheit über Washingtons zu den ärmeren Entwicklungsländern zu rechnen. Kuba-Politik unter Präsident Trump. In der jüngeren Um Kubas Perspektiven einschätzen zu können, Vergangenheit hat die Normalisierung der amerika- ist jedoch ein genauerer Blick auf die Rahmendaten nisch-kubanischen Beziehungen dazu beigetragen, nötig. Im Unterschied zu anderen ärmeren Entwick- dass politische Analysten und privatwirtschaftliche lungsländern hat Kuba sehr positive soziale Kenn- Akteure von positiven Erwartungen ausgingen. zahlen. Die nach der Revolution von 1959 getätigten Nachdem Raúl Castro im Jahr 2006 die Führung Investitionen vor allem in Bildung, Gesundheit und Kubas übernommen hatte, brachte er das Land auf Basisinfrastruktur spiegeln sich heute in einem hohen einen Reformweg. Ausgangspunkt war eine veränderte sozialen Entwicklungsstand wider, wie er durch den Sichtweise auf die Ursachen von Kubas ökonomischer Human Development Index (HDI) des UN-Entwick- Krise. Während Fidel Castro vor allem das amerikani- lungsprogramms (UNDP) gemessen wird. So gibt es in sche Embargo dafür verantwortlich machte, sieht Raúl Kuba eine hohe Lebenserwartung (79,5 Jahre), inten- Castro sie als Folge eines strukturellen Problems, das sive Schulbildung (11,5 Jahre) sowie einen guten durch interne Veränderungen angegangen werden Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen (für 94 bzw. 93 Prozent der Bevölkerung). Kuba liegt mit seinem 3 United Nations Development Program (UNDP), Human Development Report 2015, (eingesehen am 30.3.2016). merkt, stammen aus: The World Bank, World Development 4 Germany Trade and Invest (GTAI), Wirtschaftstrends Kuba, Indicators, Cuba, Jahresmitte 2015, S. 11. (eingesehen am 23.6.2016). 5 UNCTADSTAT, (eingesehen Cuban Economy and Necessary Reforms«, in: Claes Brunde- am 31.1.2017). nius/Ricardo Torres Pérez (Hg.), No More Free Lunch: Reflections 6 The Economist Intelligence Unit (EIU), Cuba. Country Report, on the Cuban Economic Reform Process and Challenges for Trans- 31.3.2016, (eingesehen am 10.1.2017). SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 7
Ausgangssituation: Aktualisierung des kubanischen Modells als Grundlage für dynamisches Wachstum? müsse. 7 Damit stellt er sich auch der Herausforde- ergänzte und erweiterte sie. 10 Gleich im Einleitungs- rung, dass sich die innenpolitischen Ansprüche für satz von 2011 wird betont, die Leitlinien sollten »das eine Legitimation der Regierung gewandelt haben. ökonomische Modell Kubas aktualisieren mit dem Erwartet wird, dass die Wahrscheinlichkeit sozialer Ziel, den Fortbestand und die Unumkehrbarkeit des Proteste zunimmt, sobald mit Raúl Castro die Gene- Sozialismus zu garantieren, ebenso wie die wirtschaft- ration der Revolutionsveteranen von der politischen liche Entwicklung des Landes und die Erhöhung des Bühne abtritt. 8 Die jungen Menschen des Landes Lebensstandards der Bevölkerung«. 11 Diese Formulie- machen ihr Vertrauen in die Regierung vom tatsäch- rungen lassen erkennen, dass es keineswegs um eine lich Erreichten abhängig, da der Vergleich mit der grundlegende Veränderung des Wirtschaftssystems vorrevolutionären Zeit für sie keine Rolle mehr spielt. gehen soll, sondern lediglich um die Umsetzung von Kubas Regierung steht damit unter zunehmendem Reformen, die unverzichtbar erscheinen, um die ge- Druck, ökonomische Erfolge vorzuweisen. steckten sozialen und ökonomischen Ziele innerhalb Die Normalisierung der amerikanisch-kubanischen des sozialistischen Wirtschaftsmodells zu erreichen. Beziehungen, die 2014 von US-Präsident Barack Oba- Den Leitlinien zufolge soll das »sozialistische Ge- ma eingeleitet wurde, ermöglichte es dem Inselstaat, meinschaftseigentum« (propiedad socialista de todo el sich außenwirtschaftlich und außenpolitisch neu zu pueblo) der Grundpfeiler der Wirtschaftsform bleiben. orientieren. Nach Jahrzehnten der Abhängigkeit von Daneben werden allerdings auch Elemente privater Einzelpartnern – vor der Revolution den USA, später Wirtschaft zugelassen – wie ausländische Investitio- der UdSSR, dann Venezuela – ist Kuba heute stark an nen, Kooperativen, Kleinlandwirtschaft, Verpachtun- einer Diversifizierung seiner wirtschaftlichen und gen sowie einige selbständige Arbeiten (sogenannte politischen Außenbeziehungen interessiert. Vor die- »trabajadores por cuenta propia«, Arbeiter auf eigene sem Hintergrund ist Havannas aktive Diplomatie zu Rechnung, oder »cuentapropistas«) 12. Diese Innovatio- sehen, die mit Beginn des kubanisch-amerikanischen nen sollen zu einer Effizienzsteigerung und einem Tauwetters einsetzte und sich in zahlreichen Besu- Ausgleich der kubanischen Zahlungsbilanz beitragen. chen hochrangiger ausländischer Gäste niederschlug. Die erlaubten privaten Tätigkeiten auf eigene Rech- Noch offen ist, wie sich die Präsidentschaft Trumps nung betreffen überwiegend unqualifizierte Arbeit auf die eingeleitete Integration Kubas in die inter- im Dienstleistungssektor. Ein Beispiel ist »Tätigkeit nationale Politik auswirken wird. Nr. 23« – Kauf und Verkauf gebrauchter Bücher –, die auf touristischen Plätzen Havannas aktiv betrieben wird; »Tätigkeit Nr. 49« wiederum regelt die Verklei- Die Aktualisierung des ökonomischen dung von Knöpfen mit Stoff. 13 Um den Weg zur Selbst- Modells 2011/2016 beschäftigung zu fördern, wurde es Kubanern erleich- tert, Geld aus der Diaspora zu erhalten und in private Auf dem VI. Kongress der Kommunistischen Partei Aktivitäten zu investieren. Politische Analysten beob- Kubas wurden im April 2011 in einem umfassenden Dokument Reformvorschläge zusammengefasst und 10 VII Congreso del Partido Comunista de Cuba (PCC), Actualización de Los Lineamientos de La Política Económica y Social verabschiedet; 9 der VII. Parteikongress von 2016 Del Partido y La Revolución para El Periodo 2016–2021, Aprobados En El 7mo. Congreso Del Partido en Abril de 2016 y por La 7 Uwe Optenhögel, »›Wer zu spät kommt, den belohnt das Asamblea Nacional del Poder Popular en Julio de 2016 Leben‹. Fünf Fragen zur EU-Kubapolitik und den Folgen der [VII. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas, Leitlinien Reformen an Uwe Optenhögel in Brüssel«, Internationale Politik der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revo- und Gesellschaft, 24.3.2015, 7. Kongress der Partei im April 2016 und durch die National- (eingesehen am 4.1.2017). versammlung der Volksmacht im Juli 2016, 9 VI Congreso del Partido Comunista de Cuba (PCC), Linea- (eingesehen am 1.2.2017). mientos de La Política Económica y Social del Partido y La Revolución, 11 Eigene Übersetzung. Aprobado El 18 de Abril de 2011, »Año 53 de la Revolución« 12 Im weiteren Text wird hierfür der Begriff »Selbstbeschäf- [VI. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas, Leitlinien tigung« verwendet. der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revolu- 13 José Azel, »The Illusion of Cuban Reform: Castro Strikes tion, angenommen am 18.4.2011 im Jahr 53 der Revolution]. Out«, in: World Affairs, Juli/August 2013, verwendet. (eingesehen am 10.1.2017). SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 8
»Freiheit« unter Kontrolle – Das Dilemma der Aktualisierung achten, dass die Ungleichheit in der kubanischen nicht des Verbrauchs) aus Kooperativen. 20 Durch die Gesellschaft auch infolge dieser Veränderungen stark Zulassung privater Aktivitäten ist es damit gelungen, zunimmt, denn der Zugang zu konvertibler Währung die Erzeugung von Nahrungsmitteln zu steigern. Die ist zur Schlüsselfrage für die soziale Position gewor- höchsten Produktionszuwächse hatten jene Nahrungs- den. Als Verlierer erweisen sich dabei Rentner, weite mittel zu verzeichnen, deren Verkauf auf Bauern- Teile der Landbevölkerung, Alleinerziehende und Afro- märkten erlaubt war oder deren Herstellung durch Kubaner 14 – vor allem also Gruppen, die keine Verbin- Regierungsprogramme unterstützt wurde. Doch im dungen zur kubanischen Diaspora in den USA haben. internationalen Vergleich ist die landwirtschaftliche Ende 2012 erfolgte eine Gesetzgebung, mit der Produktivität Kubas nach wie vor sehr niedrig. 21 Kooperativen im Bereich Dienstleistungen und Einzel- handel zugelassen wurden. Erlaubt ist nun unter anderem die Umwandlung staatlicher Restaurants in »Freiheit« unter Kontrolle – Kooperativen mit bis zu 20 Mitarbeitern (die zuvor Das Dilemma der Aktualisierung schon dort angestellt sein mussten). So hat die Regie- rung beschlossen, die 8948 staatlichen Restaurants Die kubanische Regierung sieht einen Vorrang von zum privaten Betrieb zu verpachten. 15 Ermöglicht »Gesetz, Disziplin und Kontrolle« gegenüber der Ent- wurde des Weiteren, dass sich IT-Experten zusammen- wicklung kleiner Unternehmen, wie Raúl Castro in schließen, um Webdesign-, Internet- und andere einer Rede im Dezember 2013 klarstellte. 22 Dass Dienstleistungen anzubieten; ebenfalls gestattet sind private Wirtschaftsformen entstehen, ist eine große kooperative Zusammenschlüsse von Architekten, Buch- Herausforderung für das sozialistische Modell mit haltern oder Consultants 16 sowie Transportkoopera- seinem Postulat der Gleichheit. Zugleich fürchtet die tiven – Letztere sollen vor allem auch die Distribution herrschende politische Klasse, die Kontrolle über die landwirtschaftlicher Produkte vereinfachen. 17 Bis Mai Wirtschaft könnte ihr entgleiten. Der kubanische Öko- 2014 wurden 498 Kooperativen genehmigt, 329 davon nom Antonio Gómez von der Universität Havanna waren bereits tätig, und weitere 300 Anträge lagen betont, dass die Leitlinien erstmals Überlegungen zu vor. 18 Effizienz und ökonomischer Nachhaltigkeit einge- In der kubanischen Landwirtschaft haben koope- führt hätten, während in früheren Dekaden die sozia- rative Produktionsformen eine längere Geschichte. le Entwicklung klare Priorität vor wirtschaftlichen Schon Ende 2010 war eine Million Hektar Fläche an Aspekten genossen habe. 23 Die soziale Gleichheit und 108 000 Individuen und an 2000 Kooperativen zur die Auswirkungen der Innovationen auf unterschied- Bewirtschaftung übertragen worden. 19 2015 stammten liche gesellschaftliche Gruppen bilden jedoch eine etwa 80 Prozent der Agrarproduktion (wohlgemerkt Grundfrage für den langfristigen Erfolg der Reformen. In diesem Zusammenhang macht der Ökonom Oscar Fernández Estrada geltend, dass Steuern allein als 14 Jenny Morín Nenoff, »Kubanische Perspektiven«, amerika21. Instrument nicht ausreichten, um die Akkumulation Nachrichten und Analysen aus Lateinamerika, 15.2.2015, (ein- gesehen am 10.1.2017). 15 Mimi Whitefield, »Building the New Cuban Economy«, 20 International Fund for Agricultural Development (IFAD), in: Miami Herald, 13.12.2014, with High-level Government Officials«, Rom, 7.5.2015, (eingesehen am 10.1.2017). (eingesehen am 10.1.2017). The Changing Policy Landscape, Boulder/Col. 2015, S. 190. 21 Anicia García Álvarez, »Cuba’s Agricultural Sector and Its 17 Julia E. Sweig/Michael J. Bustamante, »Cuba after Com- External Links«, in: Jorge I. Domínguez/Omar Everleny Pérez munism. The Economic Reforms That Are Transforming the Villanueva/Mayra Espina Prieto/Lorena Barbería (Hg.), Cuban Island«, in: Foreign Affairs, 92 (2013) 4, S. 101–114 (109). Economic and Social Development. Policy Reforms and Challenges in 18 Whitefield, »Building the New Cuban Economy« the 21st Century, Cambridge, Mass./London 2012, S. 137–192 [wie Fn. 15], zitiert den kubanischen Wirtschaftsminister (147, 150). Marino Murillo. 22 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16]. 19 Angel Bu Wong/Pablo Fernández Dominguez, »Agricul- 23 Antonio F. Romero Gómez, Transformaciones Económicas y ture: Historical Transformations and Future Directions«, Cambios Institucionales en Cuba [Ökonomische Tranformation in: Al Campbell (Hg.), Cuban Economists on the Cuban Economy, und institutioneller Wandel in Kuba], Washington, D.C.: Gainesville: University Press of Florida, 2013, S. 270–291 (283). Brookings, August 2014 (Foreign Policy at Brookings), S. 22. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 9
Ausgangssituation: Aktualisierung des kubanischen Modells als Grundlage für dynamisches Wachstum? Rahmen des Transfers von Autorität an Unternehmen Weil die kubanische Regierung bestrebt ist, die Aus- seien zudem neue Mechanismen nötig, um sicher- wirkungen der Reformen unter Kontrolle zu halten zustellen, dass die Angestellten die Firmenentschei- und soziale Negativfolgen zu begrenzen, wurden die dungen kontrollieren könnten. 24 einzelnen Maßnahmen langsamer verwirklicht, als Selbständige werden gegenwärtig in Kuba erheblich auch die Führung selbst erwartet hatte. So waren An- stärker besteuert als Joint-Venture-Unternehmen, mit fang 2016 nach Angaben der Regierung erst 21 Pro- effektiven Steuersätzen bis zu 100 Prozent. 25 Klein- zent der Reformen umgesetzt. 29 Ursprünglich sollte unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten wer- mit der Selbstbeschäftigung die Entlassung von den dabei allerdings deutlich geringer belastet als 500 000 Staatsbediensteten aufgefangen werden, die größere Firmen. Den Rahmen privater Aktivitäten im Rahmen der Aktualisierung für die ersten sechs bestimmen politisch-administrative Regelungen, die Monate des Jahres 2011 vorgesehen war. Angesichts nicht sachlich begründet sein müssen. So wird etwa der schleppenden Entwicklung der Selbstbeschäfti- die Zahl der erlaubten Sitzplätze in privaten Restau- gung verschob man diese Kündigungen dann auf Ende rants willkürlich gesetzt; zunächst waren es 12, dann 2015. 30 De facto wurden 365 000 Angestellte bis Ende 20, inzwischen sind es 50. Kundeninteressen und öko- 2012 entlassen; der staatliche Anteil an der Gesamt- nomischer Erfolg spielen keine Rolle. Manuel Orozco beschäftigung ging damit von 82 Prozent auf 75 Pro- von der Cuba Study Group (einer privaten, nicht ge- zent zurück. 31 Die Zahl der Selbstbeschäftigten stieg winnorientierten amerikanischen Organisation) weist bis Ende 2014 auf ca. 500 000 Menschen. 32 Damit lag darauf hin, dass es zwar erlaubt sei, ein Restaurant zu sie aber noch immer weit unter dem Ziel von 1,8 Mil- eröffnen, nicht aber ein Unternehmen zur Herstellung lionen Menschen, das für 2015 angestrebt worden von Nahrungsmitteln. 26 Für ein Unternehmen im war. 33 Nahrungsmittelsektor ist es zudem erforderlich, Fach- Die Selbstbeschäftigung ist ohnehin nur teilweise personal aus einer Vielzahl von Bereichen einzustel- geeignet, freigesetzte Arbeitskräfte zu absorbieren. So len, damit alle gesetzlichen Ansprüche erfüllt sind: stammten, anders als erwartet, Ende 2011 nur 18 Pro- Köche, Experten für Gesundheitsqualität, Vermark- zent der neuen Selbstbeschäftigten aus der Gruppe tungsfachleute, spezialisierte Einkäufer für Nahrungs- jener, die von Staatsunternehmen entlassen worden mittel, Buchhalter. Die Selbstbeschäftigung blieb waren. 34 Dies verwundert nicht, ist doch davon auszu- zunächst auch deshalb begrenzt, weil es an Zugang gehen, dass die Ausbildungsvoraussetzungen von aus zu Kredit oder an Möglichkeiten der Beschaffung im dem Staatsdienst Entlassenen nicht unbedingt den Großhandel mangelte. Inzwischen ist mit der Entste- Anforderungen einer privaten Aktivität entsprechen. hung von Märkten und Großmärkten – der erste Es entsteht also zunehmend eine verdeckte (da nicht wurde 2014 eröffnet 27 – der Zugang zu entsprechen- registrierte) Arbeitslosigkeit. Am frühen Reform- den Ressourcen auch für die schnell wachsende Zahl prozess wurde denn auch kritisiert, dass ökonomische privater Restaurants vereinfacht worden. Dem Finanz- Anpassung und soziale Unterstützung nicht in aus- sektor bzw. der Kreditvergabe wurde wiederum in gewogener Weise angegangen worden seien. 35 den überarbeiteten Leitlinien von 2016 mehr Gewicht eingeräumt. 28 (eingesehen am 1.2.2017). Process in Cuba after 2011«, in: Brundenius/Pérez (Hg.), 29 VII Congreso del PCC, Actualización de Los Lineamientos No More Free Lunch [wie Fn. 2], S. 23–39 (26). [wie Fn. 10], S. 4. 25 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16]. 30 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16], S. 280. 26 Zit. bei Collin Laverty, Cuba’s New Resolve. Economic Reform 31 Mesa-Lago, »Can Cuba’s Economic Reforms Succeed?« and Its Implications for U.S. Policy, Washington, D.C.: Center for [wie Fn. 27]. Democracy in the Americas, 2011, S. 64. 32 »Cuba’s Economy at a Crossroads«, in: The New York Times, 27 Carmelo Mesa-Lago, »Can Cuba’s Economic Reforms Suc- 14.12.2014. ceed?«, in: Americas Quarterly (Americas Society/Council of the 33 Mesa-Lago, »Can Cuba’s Economic Reforms Succeed?« Americas), o.D., (eingesehen am 8.6.2015). 34 De Miranda-Parrondo, »Current Problems in the Cuban 28 VII Congreso del PCC, Conceptualización del Modelo Económico Economy and Necessary Reforms« [wie Fn. 2], S. 53. y Social Cubano de Desarrollo Socialista [VII. Kongress der PCC, 35 Alberto Gabriele/Pavel Vidal Alejandro, »Cuban Reforms at Konzeptionalisierung des kubanischen Wirtschafts- und a Crossroads«, in: Alberto Gabriele (Hg.), The Economy of Cuba Sozialmodells der sozialistischen Entwicklung], 2016, after the VI Party Congress, New York 2012, S. 131–148 (141). SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 10
»Freiheit« unter Kontrolle – Das Dilemma der Aktualisierung Die Selbstbeschäftigung im Sinne der »cuentapro- nicht mehr akzeptiert. 38 Diese Diebstähle sind aber pistas« hat nicht nur neue Arbeitsplätze entstehen zugleich wichtige ökonomische Grundlage der lassen, sondern noch weitere positive Wirkungen für informellen Wirtschaft. die kubanische Volkswirtschaft und ausländische Die bisher erlaubten Formen der Selbstbeschäfti- Investitionen entfaltet. Zu einem Teil trägt sie näm- gung lassen eine Reihe positiver Wirkungen erwarten, lich dazu bei, die bestehende Schattenwirtschaft zu doch laufen sie Gefahr, einen großen Teil produktiver legalisieren, denn die neuen Selbstbeschäftigten Energien weniger in Sektoren mit hoher Wertschöp- kommen überwiegend aus dem informellen Sektor. fung zu lenken als vielmehr in Nischen mit niedriger Archibald Ritter und Ted Henken nennen exempla- Produktivität. Denn zugelassen wurde die Selbst- risch Selbstbeschäftigte im Restaurantbereich, die beschäftigung vor allem für eher unqualifizierte Tätig- schon seit Jahren tätig sind. Zunächst geschah dies keiten in begrenzten Bereichen, während der Staat legal, nach der Verschärfung von Bestimmungen dann grundsätzlich daran festhalten möchte, die Entwick- illegal; jetzt sehen diese Menschen eine Möglichkeit, lung der kubanischen Wirtschaft im Detail zu kon- ihre Arbeit wieder zu legalisieren. 36 Der informelle trollieren. 39 Die mit den Leitlinien neu gesetzten öko- Sektor spielt in Kuba eine große Rolle und erschwert nomischen Anreize führen dazu, dass teilweise hoch- die Aktivitäten ausländischer Investoren erheblich. qualifizierte Arbeitskräfte einfache Beschäftigungen Für das Überleben der kubanischen Wirtschaft hat vor allem im Tourismus annehmen, um Devisen die Schattenökonomie zentrale Bedeutung. Einerseits zu verdienen. Zwar haben nur 7 Prozent der Selbst- sorgt sie dafür, dass wichtige Dienstleistungen über- beschäftigten einen Universitätsabschluss, doch üben haupt angeboten werden; andererseits unterstützt sie auch sie nur gering qualifizierte, überlebensorientier- indirekt das staatliche System. Zwar bringt die Schat- te Aktivitäten aus. Dies ist einer der Gründe, warum tenwirtschaft selbst keine Steuern hervor; doch wenn Kubas hohes Bildungsniveau – es liegt über jenem Devisen erwirtschaftet und zum offiziellen Wechsel- der meisten Entwicklungsländer – sich nicht in einer kurs ausgegeben werden, fallen indirekte Steuern an. entsprechenden ökonomischen Leistungsfähigkeit Zugleich ist es unumgänglich für einen Teil der Bevöl- widerspiegelt. 40 kerung, Einnahmen außerhalb formaler Aktivitäten Inwieweit es gelingt, mit den eingeleiteten Maß- zu erzielen, weil das Einkommen aus regulärer Arbeit nahmen zu wirtschaftlicher Entwicklung und einem nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu intensiveren Außenhandel beizutragen, hängt natür- decken. 37 Die Selbstbeschäftigung reduziert damit lich auch davon ab, ob die Veränderungen dauerhaft zwar die staatliche Lenkung der Wirtschaft. Zugleich sein werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hinter- aber bewirkt sie, dass bisherige Schattenwirtschaft grund, dass in Kuba bereits unter Fidel Castro mehr- teilweise formalisiert wird, was der kubanischen fach Möglichkeiten privater Beschäftigung geschaffen Regierung einen stärkeren Zugriff auf ökonomische und anschließend wieder eingeschränkt wurden. Aktivitäten erlaubt und höhere Steuereinnahmen Mit der »revolutionären Offensive« von 1968 wurden nach sich zieht. Die Ausdehnung kooperativer Modelle private Wirtschaftsformen zunächst fast vollständig könnte ebenfalls dazu beitragen, die Schattenwirt- abgeschafft. 1978 erlaubte man dann 48 Maßnahmen schaft schrittweise auszuhöhlen und einen größeren der Selbständigkeit, bevor es 1986 erneut zu einer Teil der Wirtschaft zu formalisieren. Eine breitere strengen Begrenzung kam. 1993 erzwang die ökono- kooperative Wirtschaftsform im nichtlandwirtschaft- mische Situation abermals eine Legalisierung ver- lichen Bereich könnte nämlich dazu führen, dass schiedener privater Tätigkeiten; 1995/1996 wurden Arbeiter ein anderes Verhältnis zu ihrer Tätigkeit ent- sie wieder eingegrenzt. 41 Trotz dieser Vorgeschichte wickeln. Die »kleinen Diebstähle« am sozialistischen gehen Experten heute davon aus, dass die Reformen Gemeinschaftseigentum, wie sie bislang bei der Arbeit verbreitet sind, würden möglicherweise unter Mit- 38 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16], S. 191. gliedern von Kooperativen – angesichts der kleineren Der Begriff für das Delikt lautet im Original »petty theft«. und überschaubareren Gruppe von Eigentümern – 39 Eric Hershberg, »Cuba: An Economy Careening Forward, Destination Unknown«, in: Brundenius/Pérez (Hg.), No More 36 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16]. Free Lunch [wie Fn. 2], S. v–ix (viii). 37 Omar Everleny Pérez Villanueva, »The Cuban Economy: 40 Eine Kritik, die intern wie international geübt wird. An Evaluation and Proposals for Necessary Policy Changes«, Vgl. UNDP, Human Development Report [wie Fn. 3], oder Gómez, in: Domínguez u.a. (Hg.), Cuban Economic and Social Development Transformaciones Económicas [wie Fn. 23], S. 21. [wie Fn. 21], S. 21–38 (36). 41 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16], S. 297ff. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 11
Ausgangssituation: Aktualisierung des kubanischen Modells als Grundlage für dynamisches Wachstum? unter Raúl Castro von Dauer sein werden. 42 Dafür entstehende Klein- und Mittelunternehmen wären spricht vor allem die ökonomische Notwendigkeit, aber ein wichtiges Gegengewicht zu staatlichen Groß- zumal nun auch die Unterstützung der kubanischen unternehmen bzw. großen Komplexen im Eigentum Wirtschaft durch Venezuela schwindet. Die Glaub- des Militärs – angesichts der Möglichkeit, Joint Ven- würdigkeit der Reformen wird dadurch bestärkt, dass tures zu bilden, drohen aus Letzteren zumindest teil- Raúl Castro seinen Kurs mit einer selbstkritischen private Monopole zu entstehen. Ein schnelles Wachs- Analyse einleitete und für Kubas desolate Wirtschafts- tum der nun zugelassenen Kooperativen könnte dabei lage stärker interne Faktoren verantwortlich machte für Kuba von besonderem Interesse sein. Kooperativen als externe, das amerikanische Embargo eingeschlos- gibt es zwar in zahlreichen Ländern, doch könnten sie sen. 43 in Kuba größere Bedeutung erlangen – als Grundstock Die starke Beschränkung der Möglichkeiten, privat- einer »gemischt kooperativen Marktwirtschaft« 48, der wirtschaftlich aktiv zu werden, resultiert dabei nicht als alternativem Modell jenseits von Sozialismus und nur aus der Furcht, die ökonomischen Reformen könn- Kapitalismus die Aufmerksamkeit der übrigen Welt ten politisch entgleiten. Eine wichtige Rolle spielt auch gewiss wäre. die Sorge der militärischen Eliten vor wirtschaftlichen Mit dem Wandel der internen Rahmenbedingungen Einbußen. »Die Militarisierung des Entscheidungs- entsteht auch eine Grundlage, um Kubas außenwirt- apparates und des Wirtschaftslebens – wo Staats- schaftliche Beziehungen zu beleben, sofern die Refor- unternehmen von Armeeangehörigen geleitet werden men zu einer Steigerung der Effizienz und einer Aus- – ist eine jener Maßnahmen Raúl Castros, mit denen weitung von Produktion bzw. Angebot (bei Dienstleis- die ökonomische Öffnung administrativ gesteuert und tungen) beitragen. Dabei liegt das Potential der Selbst- politisch abgesichert wird. 44 So kontrolliert die militä- beschäftigung bisher vor allem im Bereich Tourismus; rische Elite einen Großteil der Wirtschaft; 45 sie ist angesichts der engen Begrenzungen sind direkte han- daran interessiert, diesen Zugang zu Macht und Ein- delsbezogene Aktivitäten der Selbstbeschäftigung nahmen zu erhalten. Behindert wird die Umsetzung kaum vorstellbar. Die verstärkte Zulassung von Ko- des Reformprozesses aber auch durch andere staatli- operativen bietet dagegen Ansatzpunkte, um letztlich che Funktionäre, die vom gegenwärtigen System profi- auch den Warenhandel zu beeinflussen. Weiteres tieren – sie bilden eine große Gruppe, denn der Staats- Potential für eine Steigerung und Veränderung des sektor in Kuba ist umfangreich, während es gleich- Außenhandels lässt sich aber nur schaffen, wenn zeitig an Transparenz und klaren Regeln mangelt. 46 die Rahmenbedingungen für Handel und Investitio- Das Bestreben der Regierung, die wichtigen Produk- nen in stärkerem Maße verbessert werden. tionsmittel unter Kontrolle zu halten, schlägt sich in strengen Begrenzungen nieder; diese wiederum blo- ckieren derzeit das Wachstum kleiner und mittlerer Unternehmen. Für die weitere wirtschaftliche Ent- wicklung ist zusätzlich problematisch, dass es solche Begrenzungen nicht für gemischte ausländisch- staatliche Joint-Venture-Unternehmen gibt. 47 Neu 42 Vgl. Bert Hoffmann, Wie reformfähig ist Kubas Sozialismus?, Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2011, S. 3; Laverty, Cuba’s New Resolve [wie Fn. 26], S. 60, oder Ritter/Henken, Entrepreneu- rial Cuba [wie Fn. 16]. 43 Gabriele/Alejandro, »Cuban Reforms« [wie Fn. 35], S. 136. 44 Günther Maihold, Vom Sonderfall zur Normalisierung. Kuba und die Europäische Union suchen erneut den Dialog, Berlin: Stif- tung Wissenschaft und Politik, 2014 (SWP-Aktuell 34/2014), S. 4. 45 Azel, »The Illusion of Cuban Reform« [wie Fn. 13], gibt dazu 60 Prozent an. 46 Gabriele/Alejandro, »Cuban Reforms« [wie Fn. 35], S. 143. enterprises – a disappointing feature of Cuba’s new foreign 47 Ritter/Henken, Entrepreneurial Cuba [wie Fn. 16], S. 302, im investment law published in 2014.« Siehe dazu Ausführungen Original: »Of course, these same limitations do not exist for zum Thema Investitionen. mixed or joint ventures between foreign owned and state 48 Ebd., im Original: »mixed cooperative market economy«. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 12
Hintergrund Kubas Außenwirtschaft Hintergrund Venezuela. Diese Partnerschaft war ein wichtiger Impuls für das Wirtschaftswachstum, das Kuba seit Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 führte in Beginn des Jahrtausends erzielte. Allerdings sind die Kuba zu einer gravierenden Wirtschaftskrise, die von Lieferungen Venezuelas im Jahr 2016 bereits zurück- der Regierung als »Sonderperiode in Friedenszeiten« gegangen, weil das Land in eine schwierige Wirt- bezeichnet wurde (período especial en tiempo de paz). schaftslage geriet. Vor diesem Hintergrund ist es ein Noch 2014 lag der durchschnittliche Arbeitslohn im wichtiges Ziel für die kubanische Regierung, die Ab- Land bei nur etwa 28 Prozent des Niveaus, das in jener hängigkeit von venezolanischem Öl zu verringern. Zeit bestanden hatte, als Kuba noch Teil des sozialis- Unter anderem beabsichtigt Kuba, seine eigene Ölpro- tischen Wirtschaftsraums war. 49 Anfang der 1990er duktion mit Hilfe russischer Spezialisten zu moderni- Jahre wurde es unumgänglich, die kubanische Wirt- sieren und zu steigern – im Rahmen eines Vertrages, schafts- und Handelsstruktur umzustellen, die davor der 2014 mit Russland abgeschlossen wurde. 53 Zu- im Rahmen der sozialistischen Wirtschaftsteilung gleich will Kuba generell seine wirtschaftliche Abhän- den Export vor allem von Zucker, Mineralien und gigkeit von Venezuela reduzieren, die letztlich die Zitrusfrüchten vorgesehen hatte. 50 Um die erforder- Abhängigkeit von der Sowjetunion ersetzt hat. Auch lichen Importe zu finanzieren – benötigt wurden vor deshalb zielen die Leitlinien darauf, Aus- und Ein- allem Brennstoffe und Nahrungsmittel –, musste Kuba fuhren des Landes zu diversifizieren. auf dem Weltmarkt mit neuen Handelspartnern Devi- Dem Außenhandel kommt in Kubas Wirtschaft sen erwirtschaften. Zwei Faktoren spielten in diesem und Politik eine wichtige Rolle zu. 2015 belief sich der Zusammenhang eine besonders wichtige Rolle: die Anteil des Exports von Waren und Dienstleistungen Beziehungen zu Venezuela und die Entsendung medi- am BIP des Landes auf 30 Prozent. 54 Warenexporten zinischen Personals im Rahmen bilateraler Verein- in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar (ein Rückgang barungen. gegenüber dem Vorjahr um 0,8 Milliarden US-Dollar) Die Allianz zwischen Havanna und Caracas wurde stehen Importe von geschätzt 15,1 Milliarden US- vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez initi- Dollar gegenüber. Kuba weist damit ein starkes Han- iert. Gemäß einem Vertrag aus dem Jahr 2000 lieferte delsbilanzdefizit auf. Von großer Bedeutung für die Venezuela bis 2016 seinem Partnerland 115 000 Barrel kubanische Volkswirtschaft ist insbesondere der Im- Öl pro Tag. Davon flossen 92 000 Barrel in den kuba- port von Brennstoffen und Nahrungsmitteln. Die nischen Verbrauch, was etwa 60 Prozent des Bedarfs Zunahme privater Aktivitäten hat den hohen Import- entsprach. 51 Der Rest wurde raffiniert und reexpor- bedarf bisher kaum verringert. Zwar werden heute tiert. Nach Schätzungen trugen die venezolanischen 57 Prozent der Nahrungsmittel privatwirtschaftlich Öl-Lieferungen zu 12 bis 20 Prozent des kubanischen produziert, obwohl nur etwa 25 Prozent der landwirt- Bruttosozialprodukts bei. 52 Kuba exportierte im Gegen- schaftlichen Fläche in privater Nutzung sind. 55 Doch zug Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen nach werden etwa 80 Prozent der benötigten Nahrungs- mittel importiert (für ca. 2 Milliarden US-Dollar jähr- 49 Whitefield, »Building the New Cuban Economy« [wie Fn. 15]. 50 Zur Geschichte der kubanischen Außenwirtschaft vgl. 53 »Russland hilft Kuba bei der Ölförderung und plant neuen Nancy A. Quiñones Chang, »Cuba’s Insertion in the Inter- Flughafen«, cubaheute.wordpress.com, 1.3.2015, (eingesehen am 51 Antonio F. Romero G., »Los Desafíos de las Relaciones Eco- 11.1.2017). nómicas Externas de Cuba«, in: Cuban Studies (University of 54 UNCTADSTAT, (eingesehen 52 »Cuba’s Economy: Caribbean Contagion. Venezuela’s am 31.1.2017). Pneumonia Infects the Communist Island«, in: The Economist, 55 Sweig/Bustamante, »Cuba after Communism« [wie Fn. 17], 23.7.2016, S. 35. S. 106. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 13
Kubas Außenwirtschaft lich). 56 Ein großer Teil der Importe erfolgt ironischer- kommen, dass es keine Gelder mehr erhalten würde. weise aus den USA, die im Jahr 2000 entsprechende Kubas Ausstieg aus der Weltbank war bereits 1960 Ausnahmen vom Embargo erlaubten. 57 erfolgt. 62 Bisher gehen die Schritte zur Vereinigung Der überhöhte Wechselkurs hat in den letzten Jahr- der Wechselkurse nur sehr langsam voran. Die Eco- zehnten zum außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht nomist Intelligence Unit, die die Erfolgsaussichten beigetragen, denn er verhinderte die Substitution von kubanischer Reformen zunächst sehr optimistisch Importen und erschwerte den Export. Um das außen- bewertet hat, glaubt inzwischen nicht mehr daran, wirtschaftliche Ungleichgewicht zu reduzieren, sehen dass es – wie ursprünglich von ihr prognostiziert – bis die Leitlinien als zentrales Mittel die Vereinigung 2020 zum einheitlichen Wechselkurs kommen wird. 63 der beiden unterschiedlichen Wechselkurse vor. Die Details sind unklar, doch soll die Maßnahme mit Fortschritten bei der Arbeitsproduktivität verbunden Institutionelle Rahmenbedingungen: werden. Laut der Parteizeitung »Granma« besteht Außenhandel als Außenpolitik Konsens darüber, dass der Peso Cubano (CUP) künftig als einzige Währung des Landes dienen und gegen- Die für Kubas Handelsströme bestimmenden Akteure, über dem US-Dollar abgewertet werden soll. Dabei Institutionen und rechtlichen Rahmenbedingungen will man sich einem Kurs von 24 CUP/1 US-Dollar an- unterscheiden sich stark von denen einer Marktwirt- nähern; die Reform soll schrittweise durchgeführt schaft. Nach Artikel 18 der kubanischen Verfassung werden. 58 Bisher zeichnet sich ab, dass die Anpassung von 1976 besteht ein staatliches Außenhandelsmono- nach und nach in einzelnen Sektoren erfolgt. 59 Der pol. Oberste Entscheidungsinstanz auf diesem Feld häufigste angewandte Kurs ist 10 CUP/1 US-Dollar für ist das Ministerium für Außenhandel und Auslands- Hotels sowie Zucker- und Biotechnologie-Industrien; investitionen (Ministerio del Comercio Exterior y la er entspricht einer Abwertung der kubanischen Inversión Extranjera, MINCEX). Importe und Exporte Währung um 90 Prozent. 60 erfolgen über kubanische Außenhandelsunternehmen Das sektorale Vorgehen ist allerdings nicht nur mit staatlicher Konzession. Die Zahl der Importunter- kompliziert und mit einem hohen administrativen nehmen schwankt. Nach einer Expansionsphase Aufwand verbunden; es ist auch deshalb problema- waren 2003 fast 500 Unternehmen im Außenhandel tisch, weil es neue Verzerrungen innerhalb der Volks- aktiv. In den letzten Jahren jedoch hat die Regierung wirtschaft schafft. Ökonomen der Weltbank empfeh- zahlreiche Lizenzen entzogen und die Kontrolle über len deshalb, die beiden Wechselkurse auf einen Schlag die Firmen verschärft. 64 2005 waren gerade noch zu vereinheitlichen und die zu erwartenden Negativ- 89 Unternehmen im Außenhandel tätig; seit 2009 folgen – insbesondere die entstehende Inflation – werden Struktur und Umfang von Importen durch durch das Steuersystem und Subventionen auszuglei- zentralisierte Planungsmechanismen bestimmt. 65 chen. 61 Normalerweise würden der Internationale Die kubanischen Einfuhren werden von staatlichen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ein solches Stellen geregelt, die nicht allein nach wirtschaftli- Reformvorhaben unterstützen, doch diese Option chen, sondern auch nach politischen Aspekten ent- ist im Falle Kubas nicht gegeben. Das Land war 1945 scheiden. Interessierte ausländische Exporteure müs- Gründungsmitglied des IWF, löste aber 1964 die Mit- sen ein kompliziertes Verfahren durchlaufen, um ins gliedschaft, um einem Beschluss des Fonds zuvorzu- Lieferantenregister eines lizensierten Importunter- nehmens aufgenommen zu werden. 66 Ob dann aller- 56 IFAD, »UN Agency Head Visits Cuba« [wie Fn. 20]. 57 Ebd. 58 Pavel Vidal Alejandro/Omar Everleny Pérez Villanueva, 62 Gary Clyde Hufbauer/Barbara Kotschwar, Economic Norma- La Reforma Monetaria en Cuba Hasta el 2016. Entre Gradualidad y lization with Cuba. A Roadmap for US Policymakers, Washington, »Big Bang« [Die Währungsreform in Kuba bis 2016. Zwischen D.C.: Peterson Institute for International Economics, 2014, schrittweiser Entwicklung und »Big Bang«], Washington, D.C.: S. 63. Brookings/Universität Havanna, Dezember 2013, S. 13. 63 EIU, Cuba. Country Report, 14.7.2016, S. 2. 59 Ebd., S. 14. 64 GTAI, Tipps für das Kubageschäft, S. 9, (eingesehen am 11.1.2017). 61 Augusto de la Torre/Alain Ize, Exchange Rate Unification: 65 Chang, »Cuba’s Insertion in the International Economy The Cuban Case, Washington, D.C.: World Bank, Dezember since 1990« [wie Fn. 50], S. 100f. 2013. 66 GTAI, Tipps für das Kubageschäft [wie Fn. 64], S. 10. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 14
Bilaterale und regionale Abkommen im Bereich Außenwirtschaft dings tatsächlich Verträge zustande kommen, hängt erhöhen. Das Land liegt damit unter dem Durch- von einer Reihe an Faktoren ab. Neben der Verfügbar- schnitt der Entwicklungsländer, der sich auf 73 Pro- keit von Devisen spielen politische Ziele eine Rolle, so zent beläuft (Industrieländer 99 Prozent). Kubas höchs- etwa das Interesse an einer Diversifizierung der kuba- ter gebundener Zoll liegt bei 62 Prozent, der höchste nischen Handelsbeziehungen. Germany Trade and tatsächlich angewandte Zoll bei 30 Prozent. 70 Da je- Invest (GTAI) – die Gesellschaft der Bundesrepublik doch die staatlichen Stellen nach unterschiedlichen für Außenwirtschaft und Standortmarketing – weist Kriterien über Importe entscheiden, kommt der Zoll- zudem darauf hin, dass kubanische Unternehmen, die höhe sehr viel weniger eine ökonomisch steuernde bereits gute Lieferbeziehungen unterhielten, teilweise Funktion zu, als dies in marktwirtschaftlich orientier- gar nicht an weiteren Anbietern interessiert seien. ten Ländern der Fall ist. Zwar gelten die WTO-Grund- Zum Leidwesen der amerikanischen Seite hemmt die regeln der Nichtdiskriminierung und Meistbegünsti- staatliche Kontrolle des Außenhandels auch die wirt- gung auch in Kuba, doch stoßen sie an Grenzen – bei schaftlichen Aktivitäten zwischen Kuba und den USA. einem sozialistischen System, in dem der Staat die Zwar sind neue Chancen für US-Exporte entstanden – Importe durchführt und dabei nach politischen Krite- etwa dadurch, dass der kubanische Staat sich aus rien auswählt (»diskriminiert«). dem Wohnungsbau zurückgezogen und die Obama- Der kubanische Markt kann allerdings auch gerade Administration die Ausfuhr von Baumaterial, Auto- wegen der staatlichen Importsteuerung besonders teilen und Landmaschinen an den kubanischen attraktiv für Exportfirmen aus Drittländern sein. Zwar Privatsektor erlaubt hat. Doch die staatliche Import- ist Kuba, volkswirtschaftlich betrachtet, ein relativ agentur auf der Insel hat in diesem Zusammenhang kleines Land mit begrenztem Importvolumen. Doch lediglich 100 Einfuhrgeschäfte genehmigt. »Ich hatte weil sich die Einfuhren bei staatlichen Unternehmen gehofft, in einem Jahr würde es ein Dutzend Export- konzentrieren, werden in der Regel große Mengen agenten in Miami geben, aber das ist nicht eingetre- gehandelt, die für einzelne ausländische Lieferfirmen ten«, wird ein amerikanischer Beamter zitiert. 67 Damit sehr interessant sein können. So haben in der Vergan- seien die kubanischen Importeure weiterhin vom genheit auch deutsche Anbieter, waren sie erst einmal »Samsonite«-Markt abhängig – der das umfasst, was im dortigen Markt verankert, »Aufträge in Kuba ab- im Koffer nach Hause transportiert werden kann. geschlossen, die im weltweiten Maßstab für diese Überdies stellt der kubanische Markt teilweise Unternehmen Rekordmarken setzten«. 71 Im Einzelfall besondere Anforderungen an Produkte, etwa leichte können Firmen also vom staatlichen System der Ein- Bedienbarkeit, Resistenz gegen Stromausfall oder die fuhrregulierung profitieren. Insgesamt aber bewirkt Möglichkeit einer Wartung durch lokale Fachkräfte. dieses, dass Kuba als Absatzmarkt unberechenbar Von Hochtechnologieländern wie den USA oder bleibt. Deutschland sind solche Kriterien nicht leicht zu er- füllen. 68 Dies macht Kuba zu einem interessanten Markt gerade auch für Exporteure aus Entwicklungs- Bilaterale und regionale Abkommen ländern, die entsprechende Erwartungen eher bedie- im Bereich Außenwirtschaft nen können, weil sie auf ihren heimischen Märkten ähnliche Bedingungen vorfinden. Neben der Verankerung in der WTO ist Kubas Außen- Einen gewissen institutionellen Rahmen setzt wirtschaft in ein Netz bilateraler und regionaler Ab- Kubas Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation kommen eingebettet. Im Unterschied zu marktwirt- (WTO). 1947 gehörte das Land zu den Erstunterzeich- schaftlichen Volkswirtschaften setzen diese nicht in nern des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens erster Linie einen Rahmen für ökonomische Aktivi- (GATT), des Vorläufers der WTO. 69 Importe unterliegen täten einzelner Unternehmen. Vielmehr dienen die dem von Kuba in der WTO notifizierten Außenzoll. Abkommen auch dazu, außenpolitische Ziele zu Kuba hat 31,5 Prozent seiner Zölle gebunden, sich also verfolgen, denen wirtschaftspolitische in der Regel in der WTO vertraglich verpflichtet, diese nicht zu untergeordnet werden. Eine besondere Rolle spielt 67 »Lots of Diplomacy, Not Many Dollars«, in: The Economist, 12.12.2015. 70 WTO/ITC/UNCTAD, World Tariff Profiles 2014, 69 WTO, Cuba and the WTO, (eingesehen am 4.4.2016). 71 GTAI, Tipps für das Kubageschäft [wie Fn. 64], S. 7. SWP Berlin Kuba »aktualisiert« sein Wirtschaftsmodell Februar 2017 15
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