FEUER EIS UND WASSER Streifzüge durch die Landschafts- und Entstehungsgeschichte der Bodenseeregion
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Schutzgebühr: ATS 35,–, CHF/DM 5,– FEUER EIS UND WASSER Streifzüge durch die Landschafts- und Entstehungsgeschichte der Bodenseeregion
(AZ) Die im November 1962 einset- „Eiszeit“ am Bodensee! zenden tiefen Temperaturen und Windstille bilden die günstigen Vor- aussetzungen für die über drei Monate dauernde „Eiszeit“ im Winter des Jah- res 1963. Die Seegfrörne hat sich seit dem Jahr 875 in unregelmäßigen Abständen damit aktenkundig bereits 33 mal ereignet. Tausende „Eiswande- rer“ betreten zuerst zaghaft, dann immer mutiger das glatte Eis der „33. Seegfrörne“. Autos verkehren und sogar Flugzeuge benutzen die ebene Eisfläche als Start- und Landebahn. Es ist der 12. Februar 1963. Die See- gfrörne hat ihren Höhepunkt erreicht. Einem Brauch entsprechend, der auf das Jahr 1573 zurück geht, wandern 2.500 Menschen in einer langen Pro- zession andächtig über den zugefrore- nen Obersee von Münsterlingen nach dem 8 Kilometer entfernten Hagnau. Die Prozession wird angeführt durch den stolzen „Reiter vom Bodensee“, gefolgt von geistlichen Würdenträ- gern. Weiter hinten wird von fröh- lichen Gesellen auf einem „weltlichen“ Schlitten als Gastgeschenk der „See- gfrörniwein ‘63“ gezogen. Es gilt, die gotische Büste des heiligen Johannes heimzuholen. Diese wurde letztmals vor 133 Jahren durch Hagnauer Ein- wohner aus der Klosterkirche von Münsterlingen über den zugefrorenen Eisflugplatz Nonnenhorn (Seegfrörne 1963). Foto: F. Thorbecke See in ihre Pfarrkirche getragen. Inhaltsverzeichnis „Eiszeit“ am Bodensee! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U2 Wir wandern durch ein breites, namenloses Tal . . . . . . . . . . . 19 Die REGIO BODENSEE, eine aus Feuer, Eis und Das thurgauische Seebachtal und seine drei Wasser geformte europäische Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gletscherstauseen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Ätna und Vesuv am Bodensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Bodenseerheintal – Rheintalbodensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Nur vier Meter für die Menschheitsgeschichte . . . . . . . . . . . . . 3 Die „Rheinnot“ und die Zähmung des größten Vom Hegau zum Säntis – das Verbreitungsgebiet der Molasse . . 4 „Wildbachs“ von Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Das Rheindelta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Haiwarnung am Bodensee! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Vom größten Wasserfall Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Safari zu Säbelzahnkatzen und Zwergpferden . . . . . . . . . . . . . . 7 Reise entlang der Thur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Sintflut am Untersee und der versteinerte Riesensalamander von Öhningen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Lebend gebärende Pflanzen, Schneckeninseln und andere Strandkuriositäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Von Wetzsteinen und falschem Granit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Wasser, Wasser überall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Der Alpstein – vielleicht „das schönste Gebirge der Welt“ . . . 10 Von blinden Augen, fleischfressenden Pflanzen und Von Schluchten, Bergstürzen und Afrika im Alpenrheintal . . . 12 bodenlosen Untiefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Von heißem, schwarzem, braunem und echtem Gold . . . . . . . 13 Von Kristallen, Altsteinzeitmenschen, Höhlenbären Meine Reise mit dem Gletscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 und einem Schneckenloch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 „Die mit dem Rentier lebten ...“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Wo geheimnisvolle Quellnymphen tanzen . . . . . . . . . . . . . . . 32 Das Findlingsgedicht und Geschichten über den Landschaft: ein Buch mit sieben Siegeln? „Mörder“, „Salz-“ und „Öpfelfresser“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 – Ein fiktives Interview.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Enge Tobel, wilde Schluchten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Trinkwassergewinnung früher und heute . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Die REGIO BODENSEE, eine aus Feuer, Eis und Wasser geformte europäische Landschaft Ein Animationsprojekt der Internationalen Bodenseekonferenz im Rahmen des Bodensee-Geschichtserlebnisses Die REGIO BODENSEE ist eine der vielseitigsten Landschaften in Europa. Das gesamte Wassereinzugsgebiet von Alpenrhein, Bodensee und Hochrhein bietet ein nahezu unerschöpfliches Potenzial an Erlebnis- und Wissens- strukturen. Die REGIO BODENSEE, eine un- glaubliche Vielfalt von Landschaften auf kleinem Raum: im Süden ragen die zak- kigen Gipfel der Alpen auf, im Westen die bizarren Formen der Hegauberge. Das Alpenvorland wird durch einen weit gespannten Moränenbogen vom Allgäu über Oberschwaben bis fast zur Donau und nach Schaffhausen umschlossen. In der Mitte dominiert der Bodensee mit dem Alpenrhein, der wie ein Baum- stamm in den Alpenkörper hineinragt, und dem Hochrhein, der über den gröss- ten Wasserfall Europas den Bodensee- raum wieder verlässt. Spannende Geschichten erzählen die steinernen Zeugen der Vergangenheit. Die Auffaltung der Alpen hat Teile von Afrika nach Liechtenstein verlagert und Die maximale Ausdehnung des würmzeitlichen Bodensee-Vorlandgletschers. Bild: W. J. Wagner, Grünbach am Schneeberg (A) aus das nördliche Vorland mit grossen „Österreichs 120 Paradiese“ Mengen an Abtragungsschutt, Molasse genannt, gefüllt. Zeitweise über- schwemmten Vorläufer des heutigen gende Broschüre möchte zu einer Ent- gelüftet sind. Dieses ist ein Grund dafür Mittelmeeres den Bodenseeraum und deckungsreise einladen, zu den Spuren, behutsam mit dem Vermächtnis dieser hinterliessen Meeresablagerungen mit die Vulkane, Gletscher, Wasser und der einzigartigen Landschaft umgehen zu Haifischzähnen. Feuerspeiende Berge Mensch bei uns hinterlassen haben. wollen und zu müssen. warfen vulkanisches Material über’s Wer sich die Zeit nimmt, einen „Kie- Die Internationale Bodenseekonfe- Land. Riesige Gletscher stiessen wäh- selstein“ von seiner Reise mit dem Glet- renz will mit dieser Broschüre ein rend der Eiszeiten in den Bodensee- scher erzählen zu lassen, in die geheim- Netzwerk aus Akteuren des Tourismus, raum vor und versuchten, die geologi- nisvollen Tiefen einer Kristallhöhle der Landschaftsplanung, der Bildung, sche Vorgeschichte „wegzuhobeln“. Sie vorzudringen oder dem Leben unserer des Denkmal- und Naturschutzes, der formten die Bodenseelandschaft so, wie Vorfahren in einem „Steinzeitdorf“ Archäologie, der Museen und aus son- wir sie kennen und lieben – mit zahl- nachzuspüren, erlebt die Vielfalt und stigen Interessenten animieren, in einer losen Seen und Mooren, mit Hügeln Einzigartigkeit der Bodenseeregion weiteren Projektzukunft interessante und langgestreckten Moränenzügen. einmal aus einer ganz anderen, unge- Erlebnis- und Wissensmodule zu ent- Das Wasser leistet bis heute die „Fein- wöhnlichen Perspektive. Und entdeckt wickeln, um damit ein möglichst brei- modellierung“, gräbt enge Tobel in gleichzeitig, dass Geologie, Boden, tes Publikum anzusprechen. steile Felsen, rundet grosse Steine zu Tier- und Pflanzenwelt und der Mensch Besonders danken möchte ich der kleinen Geröllen und versetzt von Zeit aufs engste miteinander verwoben sind. Bodensee-Stiftung für die Projektkoor- zu Zeit die Anwohner des Bodensees in Die Bodenseelandschaft ist ein dination und dem Fachbeirat für seine Angst und Schrecken, wenn es höher lebendiges Buch voller solcher engagierte Unterstützung. und höher steigt. Geschichten, und es wird noch Jahr- Feuer, Eis und Wasser haben die hunderte dauern, bis die im Unter- Dr. Walter Lendi Bodenseeregion geformt. Die vorlie- grund versteckten Geheimnisse alle Vorsitzender Kommission Kultur
Ätna und Vesuv am Bodensee Tuffen hart und schwer. Mit dem Oberfläche durchzubrechen. Es bleibt Hammer angeschlagen, klingt es. in den Deckentuffen stecken und Daher auch der Name Klingstein bzw. erstarrt zu riesigen Pfropfen. Erst die Phonolith. Wer genau hinschaut, fin- eiszeitliche Abtragung „befreit“ die har- det mit etwas Glück wunderschöne ten Phonolithkuppen, die heute die Mineralien wie den gelben Natrolith. imposanten Kegel der Hegauvulkane Nur mit Hilfe einer UV-Lampe sieht bilden. Das Zusammenwirken von man das intensive grüne Fluoreszieren Feuer, Eis und Wasser hat den eigen- des Gesteins. Kein Wunder, bei einem willigen Zauber des Hegaus geschaffen. Urangehalt von bis zu 350 g / Tonne. Um herauszufinden, was hier passiert ist, müssen wir die geologische Uhr um ca. 12 Millionen Jahre zurückdrehen, in die Zeit des mittleren Tertiärs. Die Alpen falten sich auf; eine Folge der Kollision der Kontinentalplatten von Afrika und Europa. Enorme Spannun- gen in den Gesteinen führen zur Ent- stehung von Bruchzonen, an denen heisses Magma aus dem Erdinnern auf- steigt. In einer subtropischen Land- schaft weiden Zwergpferde und Elefan- ten. Dann beginnt die Erde zu beben; infernalische Geräusche zerreissen die Hohentwiel. (Me) Im nordwestlichen Hinterland Stille, Vulkanschlote mit bis zu 1 km Foto: F. Thorbecke des Bodensees findet sich eine äusserst Durchmesser öffnen sich und schleu- merkwürdige Landschaft mit einzelnen dern Asche und Lavafetzen in solcher kuppigen Bergen – „des Herrgotts Menge in die Höhe, dass sich der Him- Kegelspiel“ genannt. Ein völlig anderes mel verdunkelt. Grosse Gesteins- Bild als die zackigen Alpengipfel im brocken krachen zwischen die Tiere, Abbaukrater in einem Vulkanschlot (Höwenegg). Süden oder die sanft geschwungenen die in Panik versuchen, dem Welt- Foto: A. Megerle Eiszeitformen im Osten. Nähert man untergang zu entkommen. Bis zu 100 m sich diesen seltsamen Bergen, so wird hoch lagert sich die Vulkanasche im Steigen wir auf den Gipfel des die Sache noch merkwürdiger, denn Verlauf der Zeit über die Landschaft. Hohentwiel, so stehen wir nicht nur auf auch die dortigen Gesteine weisen kei- Einige Millionen Jahre später schiebt der Ruine eines längst erloschenen Vul- nerlei Ähnlichkeit mit denen der nähe- sich wieder Magma nach oben. Diesmal kans, sondern auch inmitten der gröss- ren und weiteren Umgebung auf. Gibt ist es aber nicht energisch genug, mit ten Burgruine Deutschlands. Schon in es tatsächlich Vulkane am Bodensee, spektakulären Explosionen bis an die frühester Zeit nutzten die Menschen deren Ausbruch in nächster Zeit droht? diese natürliche, quasi uneinnehmbare Vielleicht hilft ein Spaziergang auf Festung. Heute kann man am Südhang dem Vulkanpfad auf und um den impo- „Mittelmeer am Bodensee“ geniessen. santen Hohentwiel, das Rätsel zu lösen. Es duftet nach Thymian und Ysop, ein Im unteren Bereich des Berges findet zarter Schmetterlingshaft wiegt sich im sich ein mit vielen Hohlräumen durch- Wind. Die trockenen Hänge und stei- setztes Gestein. Es sind Tuffgesteine, len Felsen bieten Lebensräume für d.h. der verfestigte Auswurf vulkani- mediterrane Pflanzen und Tiere. Aber schen Materials. An manchen Stellen auch für einen ganz besonderen Wein- sieht es aus, als ob der Herrgott hier bau, denn wo sonst kann man in einer nicht nur mit Kegeln, sondern auch mit eiszeitlichen Landschaft feurigen Vul- Murmeln spielt. Kleine Kügelchen fin- kanwein geniessen. den sich zuhauf. Lapilli werden diese Und schon längst besteht keine Gefahr Gebilde genannt, die beim Durch- mehr durch vulkanische Aktivitäten, schneiden einen schönen konzentri- höchstens noch durch gelegentliche klei- schen Aufbau zeigen. nere Erdbeben und vielleicht durch den Steigen wir höher, so treffen wir auf Poppele, einen bösartigen Burgvogt, der ein völlig anderes Gestein. Dunkelgrau, seit Jahrhunderten als Geist am Hohen- sehr dicht und im Unterschied zu den Vulkanpfad am Hohentwiel. Foto: A. Megerle krähen umgehen muss. 2|3
Ära/Ère Periode/Période Epoche/Époque Holozän/Holocène Stufe/Étage Ma Bohrung Kreuzlingen 1 Q UA RT Ä R / Q UAT E R N A I R E 0,01 Pleistozän/Pléistocène ~2 Pliozän/Pliocène Plaisancien Zancléen K Ä N O Z O I K U M C É N O Z O Ï Q U E 5 Miozän/Miocène Messinien Tortonien NEOGEN/NÉOGÈNE T E R T I A I R E Serravallien T E R T I Ä R Langhien Burdigalien Aquitanien 24 Oligozän/Oligocène Chattien Rupélien 36 Eozän/Eocène Priabonien Bartonien PA L Ä O G E N / PA L É O G È N E Lutétien Yprésien 55 Paleozän/Paléocène Thanétien Danien 65 obere/supérieur Maastrichtien Campanien Sénonien Santonien Coniacien 88 Turonien Cénomanien K R E I D E / C R É TAC É 100 untere/inférieur Albien Aptien Barrémien 124 Hauterivien Valanginien M E S O Z O I K U M Néocomien M É S O Z O Ï Q U E Berriasien 140 Malm Tithonien Kimméridgien Oxfordien 160 Dogger Callovien Bathonien JURA/JURASSIQUE Bajocien Aalénien 180 Lias Toarcien Pliensbachien Sinémurien Hettangien 210 obere/supérieur Rhät/Rhétien Norien Carnien 230 TRIAS mittlere/moyen Ladinien Anisien 243 untere/inférieur Olenekien Induen 250 oberes/supérieur Thuringien 264 P A L Ä O Z O I K U M P A L É O Z O Ï Q U E PERM/PERMIEN unteres/inférieur Saxonien Autunien 290 Silésien Stéphanien Westphalien KARBON/CARBONIFÈRE Namurien 336 Dinantien Viséen Tournaisien 360 D E VO N / D É VO N I E N 410 SILUR/SILURIEN 440 O R D OV I Z I U M / O R D OV I C I E N 500 KAMBRIUM/CAMBRIEN 570 PRÄKAMBRIUM P R OT E R O Z O I K U M / P R OT É R O Z O Ï Q U E 2500 PRÉCAMBRIEN A R C H A I K U M /A R C H É E N = Schichtlücke Bild: © 2000 Landeshydrologie und -geologie, Bundesamt für Wasser und Geologie, CH-3003 Bern Nur vier Meter für die Menschheitsgeschichte (AZ) Wir schreiben das Jahr 1962. Auf Geschöpfe, die den Planeten erst seit Zwischen den Molasseablagerungen dem Seerücken oberhalb von Kreuzlin- der geologischen Zeit des Quartärs und den Kalken des Oberjuras (Malm gen, etwas nördlich der Bommer Wei- bevölkern. Die Lebensbedingungen zur genannt) fehlen die Schichten der Krei- her, hört man von weitem Stromaggre- Bildungszeit der obersten 4 m, die aus dezeit. Damals hob sich der Untergrund gate laufen und ein metallisches Vibrie- Moränenschichten der letzten Eiszeit im Bodenseeraum über den Meeres- ren liegt in der Luft. Der dichte (Würmeiszeit) bestehen, waren alles spiegel und während mehr als 100 Milli- Herbstnebel verschleiert den Blick auf andere als menschenfreundlich. Der onen Jahren wurden praktisch keine das baumhohe Metallgerüst eines Bohr- Seerücken lag damals vor 20.000 Jahren Schichten abgelagert. Zur geologischen turmes. Das wettergegerbte Gesicht des unter 400 m dickem Eis des Rheinglet- Zeit des Juras, d.h. vor etwa 210 – 140 Bohrmeisters strahlt Zufriedenheit aus. schers. Zwischen der Moränenschicht Millionen Jahren war der Bodensee- Die Erdölbohrung Kreuzlingen 1 hat und den darunter liegenden Felsschich- raum von einem tropischen Meer in 2550 m Tiefe unter Gesteinen des ten der Oberen Süsswassermolasse feh- bedeckt. Am Meeresboden gelangten Permokarbons den verwitterten Granit len „Archivseiten“ der Erdgeschichte Kalke und Mergel zur Ablagerung. In des Grundgebirges erreicht. Die von über 10 Millionen Jahren. Solche der vorangegangenen Triaszeit (vor Zufriedenheit wird getrübt durch den geologischen „Datenverluste“ werden etwa 250 – 210 Millionen Jahren) wurde Umstand, dass nur unbedeutende Spu- als Schichtlücke bezeichnet und entste- der Bodenseeraum erstmals vom Meer ren von Erdöl angetroffen wurden. hen durch Erosion oder „Nicht – Abla- des Erdmittelalters überflutet. Dieses Hingegen liefern tiefe Bohrungen dem gerung“. Bis in 1750 m Tiefe folgen in trocknete in der Trias zeitweise unter Geologen wichtige Erkenntnisse über der Bohrung Molasseschichten der Ter- Ausfällung von Gips aus. Die ältesten in längst vergangene, geologische Zeiten. tiärzeit, die während der Bildung der der Bohrung Kreuzlingen 1 nachgewie- Dabei sind die Gesteinsschichten die Alpen abgelagert wurden. Flüsse trans- senen Ablagerungen werden als Permo- Archivseiten der Erdgeschichte, die wir portierten damals vor rund 35 – 10 karbon bezeichnet und gehören bereits nachfolgend zurückblättern wollen. Millionen Jahren den Abtragungsschutt dem Erdaltertum (Paläozoikum) an. Die Erdgeschichte widmet uns, der der werdenden Alpen über Schuttfä- Der darunter gerade noch angebohrte „Krone der Schöpfung“, nur gerade die cher in eine breite Verlandungsebene Granit zählt zum Grundgebirge, das obersten 4 m der 2550 m tiefen Boh- (Süsswassermolasse) oder über Deltas nach Nordwesten ansteigend im rung. Wir sind aber nun einmal in ein flaches Meer (Meeresmolasse). Schwarzwald zu Tage tritt.
Vom Hegau zum Säntis – das Hohenstoffeln, ein Hegauvulkanberg. Knauersandstein 2,5 km südöstlich von Steck- Glimmersandgrube Wäldi, 6 km westlich von Foto: A. Megerle born. Foto: A. Zaugg Kreuzlingen. Foto: A. Zaugg (AZ) Die Erde bebt seit einiger Zeit etwas nach Norden geschoben (Subal- Einige Begriffe zur Molasse beunruhigend oft. Wir befinden uns im pine Molasse, Molasse der Stauchzone). Hegau vor rund 15 Millionen Jahren, zur Erst 20 km nördlich der heutigen Alpen- Im Französischen bedeutet das Adjektiv mollasse: schlaff, Bildungszeit der Oberen Süsswassermo- front beginnt dann die von diesen weichlich. Entsprechend der Wortherkunft bezeichneten lasse. Die Erde speit aus Spalten vulka- Gebirgsbildungsprozessen kaum mehr die Schweizer Geologen weiche Sandsteine, Mergel, aber nische Aschen in die Luft und 100 km beeinflusste, flach lagernde, mittelländi- auch Nagelfluhschichten als „Molasse“, wenn sie noch südlich bewegen sich gleichzeitig, durch sche Molasse. Die sie unterlagernden zusätzlich folgende Bedingung erfüllten: Die Schichten Urgewalten angetrieben, von der Erd- Gesteine des Erdmittelalters sowie das stellen den Abtragungsschutt eines werdenden Gebirges kruste abgeschälte Gesteinsschollen Grundgebirge steigen von Südosten dar. Die den Alpen vorgelagerten Molasseschichten wur- langsam aber unentwegt von Süden nach nach Nordwesten allmählich an und tre- den vor ca. 35–10 Millionen Jahren phasenweise im Meer Norden. Der afrikanische und der euro- ten dann im Raum Schaffhausen, in der (Meeresmolasse) und in Verlandungsebenen (Süsswasser- päische Kontinent nähern sich beharr- Schwäbischen Alb (Kalksteine des Ober- molasse) abgelagert. Man unterscheidet von unten nach lich und werden in der lang gezogenen juras) sowie im Schwarzwald (hauptsäch- oben: Untere Meeresmolasse, Untere Süsswassermolasse, Kollisionsnaht der Alpen miteinander lich Granite und Gneise) zu Tage. Der Obere Meeresmolasse, Obere Süsswassermolasse. verschweisst. Gegen Ende der Alpenbil- geologische Profilschnitt vom Hegau Der Begriff Nagelfluh setzt sich zusammen aus dem ale- dung brandet das Säntisgebirge als Vor- zum Säntis zeigt, dass der felsige Unter- mannischen „Fluh“ für „steile Wand“ und „Nagel“, nach den wie Nagelköpfe aus einer Wand herausragenden hut der Alpen in unendlicher Langsam- grund des Bodenseeraumes vorwiegend harten Gesteinsteilen (hier Kiesgerölle) in einer feinkör- keit an den vorgelagerten Abtragungs- aus Schichten der Molasse besteht. Der nigen Grundmasse (hier Sandstein). Es handelt sich schutt (Molasseschichten) der nun schon Pfänder oberhalb Bregenz und der also bei der Nagelfluh um eine, zu festem Stein gewor- seit Jahrmillionen dauernden Gebirgs- Kronberg oberhalb Jakobsbad (Appen- dene, ehemalige Kiesablagerung. bildung. In letzten Bewegungsschüben zellerland) werden beispielsweise aus Mergel ist ein Sedimentgestein aus Ton und Kalk, ent- werden die Gesteinsschichten verfaltet, schief gestellten Molasseschichten auf- standen aus schlammigem Material. übereinandergetürmt und in steile Lage- gebaut und sind beliebte Ausflugsziele. Knauer oder auch Balmen sind durch Kalk verfestigte rung gebracht. Der Prellbock der Bereiche im Sandstein, die oft brotlaibförmig, aber auch Molasse ist diesen Kräften nicht gewach- Die Obere Süsswassermolasse in Form von wulstigen Säulen oder anderen phantasie- sen und muss ebenfalls nachgeben, wird Ein Grossteil der Bodenseeregion liegt vollen Gebilden aus den Sandsteinen herauswittern. gestaucht, verfaltet und am Alpenrand im Verbreitungsgebiet der Oberen Süss- sogar vom festen Untergrund gelöst und wassermolasse. Der Urrhein lagerte vor 4|5
Verbreitungsgebiet der Molasse Die „Seelaffe“ ist ein harter Brocken Am Ostende des Rorschacherberges ragt bei Staad ein Hügelzug namens „Seelaffen“ in die Rheintalebene hin- aus. Auf diesem Felsrücken wurden noch bis in die Mitte des 19. Jh. in einem Steinbruch harte, Muschelschalen führende Sandsteine der Oberen Meeresmolasse abge- baut. Dieser Baustein erhielt nach der Abbaustelle den Namen Seelaffe. Der Rheingletscher hat während der letzten Vergletscherung in der Würmeiszeit vom Hügel- Nagelfluh der Hörnlischüttung, 2 km südlich von Schief gestellte Nagelfluhbänke, Spicher westlich zug Seelaffen abgebrochene Felsblöcke bis weit in den Steckborn. Foto: A. Zaugg Schwägalp. Foto: A. Zaugg nordwestlichen Bodenseeraum verfrachtet, wo sie heute noch als Findlinge bestaunt werden können. etwa 17 bis 10 Millionen Jahren in einem Westen fliessenden Strom, dessen Ein- breiten Schuttfächer alpinen Schutt in zugsgebiet in den Tauern lag. Dieser Form von Kies-, Sand- und Tonschich- lagerte glimmerhaltigen Sand ab. Dar- ten ab. Das Zentrum dieser Schüttung aus entstand der helle Steinbalmensand, Auswurfmaterial aus dem lag im Gebiet des Hörnliberglandes, der in der Schweiz Glimmersand ge- weshalb man von der Hörnlischüttung nannt wird. Der graue und kalkreiche Meteoritenkrater des Nördlin- spricht. In der Gegend des heutigen Knauersandstein und die Nagelfluh sind Untersees mündeten die Flussläufe der die typischen Gesteine der Hörnlischüt- ger Ries im Bodenseeraum Hörnlischüttung in einen breiten, längs tung. Im Jahr 1945 fand der Geologe Franz Hofmann nördlich des Alpenvorlandes von Osten nach von Bernhardzell an der Sitter in Mergelschichten der Molasseaufbruch „Sandplatte“ Oberen Süsswassermolasse eine Lage heller und bis (GF) Sonnenbaden an der Bregenzer gegen 10 kg schwerer, eckiger Kalksteintrümmer aus Ach – die „Sandplatte“ lädt dazu ein. Ein dem Oberjura (Malm). Diese Gesteine sind im Tafeljura steinernes Hindernis ist sie dem Wasser, und auf der Schwäbischen Alb weit verbreitet. An der entstanden vor 20 Millionen Jahren im Sitter ist diese Jurakalkformation aber erst in einer Tiefe Meer. Ein Fluss brachte Sand, Gezeiten von 3–4 Kilometern zu erwarten. Schockspuren (so und Wellen transportierten ihn weiter. genannte shatter cones) an einigen der gefundenen Der tägliche Wechsel von Ebbe und Flut Kalkblöcke führten bald zur Auffassung, dass die liess Sandwellen wandern. Gezeitenka- Gesteinstrümmer vor knapp 15 Millionen Jahren vom näle durchschnitten das Watt. An ruhi- Meteoriteneinschlag im Nördlinger Ries stammten. Die geren Stellen lebten Krebstiere in tiefen Kalkblöcke wurden dabei 200 km weit in die Gegend der Röhren. Inzwischen hat sich die Land- Sitter bei St. Gallen geschleudert. schaft gewandelt. Zuletzt formten Glet- scher das Rheintal. Das Eis des Rhein- gletschers drang seitlich in den Bregen- Bregenzer Ach durch das Gestein. Rin- zerwald. Zum Einschneiden in die Tiefe nen und Strudeltöpfe zeugen von dau- aber fehlte die Kraft. Und so blieb ein erndem Abtrag. All dies erzählen uns die „Sandplatte“, Bregenzer Ach. Foto: L. Bereuter Felssporn bestehen. Heute frisst sich die Strukturen im Stein. © Thurgauische Naturforschende Gesellschaft 1999
Haiwarnung am Bodensee! (Me) Am Rande des Waldweges scheint Aber die Molasseschichten bieten jemand Sand abgelagert zu haben. Ein noch viele Überraschungen sehr feiner Sand, ideal für die Kinder An einigen Stellen ragen seltsame zum Spielen, die auch gleich mit dem Gebilde aus den Sandwänden. Wie Zap- Bau von Sandburgen beginnen. Bei fen sehen sie aus, die jemand künstle- genauerem Hinschauen zeigt sich, dass risch angeordnet hat. Aber auch sie der Sand nicht aufgeschüttet wurde, haben einen ganz natürlichen Ursprung: sondern hier offenbar den Untergrund Kalkeinlagerungen haben zum „Verbk- bildet. Plötzlich ein Aufschrei, da lie- cken“ der Sande geführt und die skurri- gen Zähne im Sand!! Keine Menschen- len Zapfensande geschaffen. zähne, sondern dunkel, leicht gebogen Bei Überlingen findet sich eine tiefe, und vorne ziemlich spitz. Kleine Exem- kesselförmige Hohlform. Was auf den plare und grosse, die mehrere Zenti- ersten Blick wie eine merkwürdige Haifischzahn aus meter lang sind. Vorsichtig werden die Sandgrube aussieht, ist in Wirklichkeit der Meeresmolasse. Fundstücke untersucht. Frisch schei- ein ganz besonderes und seltenes Zeug- Foto: L. Zier nen sie nicht mehr zu sein, wie lange nis der letzten Eiszeit. Das Schmelz- die wohl schon hier liegen? Die Erklä- Wildbienenhöhlen in einer Molassewand. wasser des Gletschers hat mit Geröllen rung übersteigt die Vorstellungskraft Foto: A. Megerle und Sand wie ein überdimensionaler der Kinder. Haifischzähne sind es, aus Bohrer in wirbelnden Bewegungen dem Tertiär. Und das heisst, sie liegen Forstschildes. Eine treffende Bezeich- eine so genannte Gletschermühle in die bereits seit ca. 20 Millionen Jahren hier. nung, da die Füchse (Pfoh = Fohe vom weichen Molasseschichten gefräst. Und das heisst natürlich auch, dass schwäbischen Wort für „Füchsin“) An anderen Stellen haben kleinere damals im Bodenseeraum ein Meer diese Schicht mit Vorliebe für ihre Bau- „Bohrer“ gefräst. Die Molassewand gewesen sein muss, denn schliesslich ten nutzen. Vom Vorbild Fuchs hat der sieht aus wie ein Sieb. An warmen Som- haben Haifische noch nie im Wald Mensch die Idee schon früh übernom- gewohnt. men und zum Teil riesige Höhlen in die Die tertiären Molasseschichten bil- weichen, aber erstaunlich standfesten den einen ziemlich weichen Unter- Sandschichten gegraben. Über Jahr- grund, den nicht nur die Kinder nut- hunderte hinweg wurden sie als Eiskel- zen, sondern auch Füchse, Hasen und ler zum Frischhalten von Lebensmit- andere höhlenbauende Tiere. Denn wo teln genutzt, denn auch im Sommer ist sonst lässt sich so einfach eine ordent- es hier so kühl, dass ein Pullover nicht Zapfensande. liche Wohnhöhle graben. „Pfohsande“ schaden kann. Heute freuen sich die Foto: L. Zier steht auf der Flurbezeichnung des Fledermäuse über ein Quartier, das zwar im Sommer recht kühl, dafür aber im Winter eher mild ist. Berühmt-berüchtigt waren die Mo- lassehöhlen der Überlinger Steilufer- landschaft. Vermutlich schon in vorge- schichtlicher Zeit wurden die Heiden- löcher in den Fels gegraben, um die sich heute noch Sagen und Legenden ran- ken. 1944 wurden neue, bis zu 4 km lange Stollen in die Molassefelsen getrieben. Hierher sollte die Rüstungs- produktion aus Friedrichshafen verla- Tierbau im Molassesand. Foto: A. Megerle gert werden, denn das weiche Molasse- gestein besitzt die Eigenschaft, die durch mertagen kann man die „Bohrer“ beim Bombeneinschlag erzeugten Schwin- Herumschwirren beobachten. Es sind gungen sehr gut zu absorbieren und bot Wildbienen, die ihre Wohnhöhlen in daher einen effektiven Schutz gegen die Sandwände graben. Luftangriffe. Zahlreiche KZ-Häftlinge Auch der Mensch hat in den Molas- bezahlten diese Bauarbeiten mit dem seschichten gebohrt. Nach Kohle, Leben. Heute werden regelmässige Erdöl, Erdgas und sogar Gold! Doch Führungen durch den sogenannten nicht immer war dieses Bohren erfolg- Goldbacher Stollen angeboten. reich … 6|7
(Me) Wir sitzen am Rande eines Sees und beobachten die Herden, die auf den weiten, offenen Flächen grasen. Anscheinend sind wir in Afrika, nach Safari zu Säbelzahn- den Elefanten, Nashörnern und Anti- lopen zu schliessen. Obwohl die Ele- fanten mit ihren nach unten gebogenen katzen und Zwergpferden Hauern etwas seltsam aussehen. Auch die Raubtiere mit den riesigen Säbel- penskelette, Nashörner, Schildkröten zähnen scheinen eher einem Science- und Fische gefunden, die den Wissen- Fiction-Film entsprungen zu sein. Wir schaftlern die weitgehende Rekonstruk- befinden uns in einer anderen Zeit, im tion der damaligen Lebewelt ermög- mittleren Tertiär. In einer Landschaft, lichen. Dann die wissenschaftliche Sen- die man 12 Millionen Jahre später sation: Ein hervorragend erhaltenes „Hegau“ nennen wird. Skelett einer Urpferdstute der Gattung Gegen Abend kommen viele Tiere Hipparion wird entdeckt. Zwischen zum Trinken an den See. Ein Trupp ihren Beckenknochen sind die Knochen merkwürdiger Tiere nähert sich. Sie eines anderen, noch kleineren Pferd- erinnern an Pferde, allerdings an ziem- chens erkennbar: ein Fohlen kurz vor lich winzige Pferde, denn sie sind kaum der Geburt. Nach 12 Millionen Jahren höher als Ponys. Eines dieser Zwerg- sind die beiden doch wieder ans Tages- Viele von ihnen wurden sicherlich die Hipparion-Skelett. Foto: Staatliches Beute von Raubtieren wie den Säbel- Museum für Natur- zahnkatzen. Vom Körper blieb dann kunde Karlsruhe kaum etwas übrig. Ein vollständig im Schlick eingebet- teter Körper ist zwar den Nachstellun- gen von Aasfressern sicher entzogen, unterliegt aber Veränderungen durch die später einsetzende Gesteinsbildung. Die Setzung des Gesteins und neue Ablagerungen darüber pressen den Kör- per mitsamt den Knochen zusammen. Gesteinsumformungen durch Druck und Wärme bis hin zum Aufschmelzen können die Versteinerung verändern, gar zerstören. Viele glückliche Umstände sind Tertiäre Landschaft am Höwenegg. Foto: Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe beim Höwenegg zusammenkommen, Ausgrabung am um eine derartig gute Erhaltung zu Höwenegg in den pferde ist offensichtlich trächtig. Durch licht gekommen. Heute hat die Stute ermöglichen. Entscheidend war auch 50er Jahren. Foto: Staatliches heftige Regenfälle ist der Boden am mit ihrem Fohlen ihre zweite Ruhe- die Ausgrabung durch fachkundige Museum für Natur- Seeufer aufgeweicht und rutschiger als stätte im Staatlichen Museum für Wissenschaftler. Denn viele wertvolle kunde Karlsruhe sonst. Die Stute beugt sich nach vorne, Naturkunde in Karlsruhe gefunden. um zu trinken. Dabei rutschen die Für die Wissenschaftler sind solche Vorderhufe ab, das Pferd fällt ins Was- Fundplätze einmalige Chancen, mehr ser. Verzweifelt versucht es wieder ans über längst vergangene Zeiten zu erfah- Ufer zu klettern, aber im aufgeweich- ren, aus denen nur steinerne Zeugen ten Schlick finden die Hufe keinen vorliegen. Allerdings müssen sehr viele Halt. Nach einiger Zeit ist das Tier Faktoren zusammenspielen, damit ein erschöpft und versinkt. Als sich wenig Urpferd nicht den Weg alles Irdischen später eine Elefantenherde dem Ufer geht, sondern über Jahrmillionen nähert, ist vom Todeskampf der Stute erhalten bleibt. Deshalb könnte die nichts mehr zu sehen. Wenige Wochen Stute so ähnlich umgekommen sein, später ist ihr Körper vom Seeschlamm wie oben beschrieben. Denn nur ein vollständig eingeschlossen. Körper, der nach dem Tod rasch einge- 12 Millionen Jahre gehen ins Land. bettet wurde, kann als vollständiges Fossilien sind schon unerkannt zerstört Die Sand- und Schlickschichten des Skelett erhalten bleiben und wird nicht worden, von unkundigen Sammlern Sees haben sich längst verfestigt. Wir umgehend von Aasfressern zerlegt oder oder durch Abtragung. Aber auch heute schreiben inzwischen das Jahr 1950. Am durch die Verwesung langsam zersetzt. ruhen noch viele Fossilien gut verbor- Höwenegg, einem der Hegauvulkane, Auch werden die wenigsten Urpferde gen an bislang unbekannten Fundplät- werden vollständig erhaltene Antilo- eines natürlichen Todes gestorben sein. zen.
Sintflut am Untersee und der versteinerte Riesensalamander von Öhningen kleinen Ort Öhningen geschaffen. Der Fischen, Kröten und Unken nach. Wissenschaftler Oswald Heer (1803– Unter Wasser ist der Hecht als gefräs- 1883) hat in seinem bekannten Werk siger Räuber gefürchtet. Schleien und „Urwelt der Schweiz“ (1865) die Lebe- Karpfen versuchen sich, so gut es geht, welt von Öhningen zur Zeit der Obe- zwischen Wasserpflanzen zu verstek- ren Süsswassermolasse, d.h. vor etwas ken. weniger als 15 Millionen Jahren, erst- In den beiden ehemaligen Öhninger mals umfassend beschrieben. Damals Steinbrüchen am Schienerberg wurden fanden nordwestlich von Wangen bis in die 1950er Jahre über 500 Pflan- (Ortsteil von Öhningen) erste vulkani- zen- und 900 Tierarten aus der Zeit der sche Tuffausbrüche statt. Über dem Oberen Süsswassermolasse wissen- Förderschlot bildete sich später ein schaftlich beschrieben. Die Öhninger Maarsee. Darin wurden die Öhninger Süsswasserkalke stellen wegen der Viel- Kalke abgelagert. falt der beschriebenen Funde ein ein- Wir versetzen uns gedanklich in die zigartiges erdgeschichtliches Doku- Zeit der Oberen Süsswassermolasse ment dar, welches uns eine spannende zurück und betrachten die Umgebung Geschichte längst vergangener Zeiten des Öhninger Sees: Vor uns liegt eine erzählt. Im „Fischerhaus“, dem Hei- mehrere hundert Meter breite Senke. matmuseum von Wangen, ist eine Sie ist kaum erkennbar, weil ein dichter kleine, aber schöne Sammlung von Ver- Auenwald die Sicht auf den darin steinerungen aus den Süsswasserkalken ruhenden See versperrt. Das Klima ist von Öhningen ausgestellt. mild, vergleichbar mit dem heutigen Lebensbild Öhninger (AZ) Wir denken dabei nicht an den Mittelmeerklima, und es gedeihen am See zur Zeit der Obe- wasserüberquellenden Untersee im Seeufer Weiden, Erlen, Amberbäume, ren Süsswassermo- lasse. Bild: O. Heer: Sommer des Jahres 1999, sondern an Pappeln, Ulmen und Wasserfichten. Urwelt der Schweiz den Fund des „betrübten Beingerüstes Auf erhöhten und trockeneren Stand- von einem alten Sünder“, der nach Auf- orten breitet sich ein Urwald mit Zimt- fassung des Zürcher Stadtarztes und bäumen, Eichen, Nussbäumen sowie Naturforschers Johann Jakob Scheuch- Ahorn und Seifenbäumen aus. Verein- zer (1672–1733) in der biblischen Sint- zelt trifft man auch auf Palmen. Blüten- flut umgekommen sein soll. Die ver- bestückte Winden ranken sich entlang steinerten „menschlichen“ Überreste von Ästen in sonnigere Höhen. Masto- des als „homo diluvii testis“ bezeichne- don (Urelefant), Nashorn und Hirsch ten Skelettes haben zur damaligen Zeit suchen den See oft zum Trinken auf. (1706) grosses Aufsehen erregt. Erst Am Boden krabbeln Käfer, Ameisen, 1811 klärte der französiche Anatom Tausendfüssler und Asseln, und die Luft Cuvier den Irrtum auf und erkannte im ist erfüllt von Myriaden von Insekten. Gerippe einen versteinerten Riesensa- Der Öhninger Fuchs ist auf der Pirsch. lamander. Schon die Mönche des Klos- Die Affen im Geäst warnen die Tiere ters Öhningen bauten oberhalb Wan- kreischend vor dem listigen Jäger. Der gen seit dem 16. Jahrhundert in zwei Hase hoppelt in weiten Sprüngen eilig Kalksteinbrüchen den plattigen Öhnin- davon, das Eichhörnchen rettet sich auf ger Süsswasserkalk für Bauzwecke ab. einen Baum, und der Igel kugelt sich Dabei sind sie auch auf Versteinerungen abwehrend zusammen. Am Seeufer gestossen, die damals aber nur als begegnen wir gut versteckt dem uns Kuriositäten und Launen der Natur schon bekannten Riesensalamander. betrachtet wurden. Im Verlaufe des 19. Ein Riesenfrosch springt in weitem Jahrhunderts entdeckte man in Japan Bogen klatschend ins Wasser und und China heute noch lebende Riesen- erschreckt die Familie der Öhninger- salamander. So wurde eine weltum- gans. Die räuberische Wasserschild- Riesensalamanderskelett. Foto: V. Griener, Staat- spannende Gemeinsamkeit mit dem kröte stellt in den seichten Schilfgürteln liches Museum für Naturkunde Karlsruhe 8|9
Von Wetzsteinen und falschem Granit stigt und steil gestellt. Im Steinbruch wurden Abdrücke von Blättern gefun- den, die über längst vergangene Zeiten Einlegen der Rohlinge in die Mühle. Foto: Archiv Vorarlberger Naturschau berichten. Dunkelgrün und zäh ist der andere Stein, schwer zu bearbeiten, aber als Nicht Korn, sondern Stein wird Wetzstein dauerhafter und härter. Auch gemahlen! er ist ein Sandstein, vor 100 Millionen (GF) In engen Kurven windet sich die Jahren im tieferen Meer entstanden. Strasse durchs Schwarzachtobel. Kaum Strömungen brachten den Sand, liessen zu glauben: Die enge Schlucht beher- ihn liegen, nahmen ihn wieder mit. bergte einst ein heute fast ausgestorbe- Wenig wurde dauerhaft abgelagert. Ein nes Gewerbe. Die Kraft des rauschen- neues Mineral konnte sich bilden, der den Baches half, Wetzsteine zu schlei- Glaukonit. Benannt ist er nach dem fen. Für den Bauern waren sie grün-blauen Glanz von Himmel und unentbehrlich. Zu schnell wurden die Meer, nach dem weissagenden Meer- Sensen stumpf. Doch ohne den Export gott Glaukos der griechischen Sage. hätte das Handwerk nicht überlebt: Bis Glaukonitsandstein fand als Baustoff nach Japan wurden Wetzsteine aus und Pflasterstein Verwendung. In unter- Klosterkirche Fischingen: Portalbauwerk aus Schwarzach verkauft! Und so liefen seit irdischen Steinbrüchen in einer steilen „Appenzellergranit“. Foto: A. Zaugg Beginn des 17. Jahrhunderts unermüd- Felswand bei Hohenems wurde er lich die Schleifmühlen. gewonnen. Im zweiten Weltkrieg soll- terungsbeständige Nagelfluhbank auf- Gleich im Tobel wurde der Sandstein ten in den Kavernen Flugzeugmotoren tritt. Wenn sich dieses Gestein zudem gebrochen. Leicht können wir uns 25 gefertigt werden. Heute erinnert nichts noch vorzüglich für Bauzwecke eignet Millionen Jahre in die Zeit seiner Ent- mehr daran. Im modernen Steinbruch und die ehemals bedeutendste Abbau- stehung zurückversetzen: Das Hin und wurden die Höhlen weggesprengt. stelle bei Schachen westlich Herisau im Her der Meereswellen formt den Sand Kanton Appenzell lag, so erscheint uns zu Rippeln. Palmen wiegen sich im Der „Appenzellergranit“ ist gar kein der irreführende Name „Appenzeller- Wind, der Zimtbaum verbreitet exoti- Granit granit“ gar nicht mehr so verfehlt. Kor- sche Düfte. Die Eichen sehen fremd (AZ) Es ist schon eine Besonderheit, rekterweise müsste der Name lauten: aus und Faulbäume wachsen am Ufer. wenn in der Oberen Süsswassermo- feinkonglomeratische bis brekziöse, Im Sand sind Herzmuscheln vergra- lasse, die überwiegend aus weichen stark zementierte Kalknagelfluh. Weil ben. Unweit der Strasse finden wir Sandsteinen und Mergeln besteht, diese harte Nagelfluhbank zwischen heute den versteinerten Strand, verfe- plötzlich eine besonders harte, verwit- Bodensee und Zürichsee über weite Distanzen vorkommt, hat sie je nach Region verschiedene Namen erhalten: Abtwiler Kalknagelfluh, Degersheimer Kalknagelfluh oder Hüllisteiner Nagel- fluh. Die Bodensee-Toggenburg-Bahn folgt zwischen St. Gallen und Rappers- wil praktisch dem Verbreitungsgebiet des „Appenzellergranits“ und so erstaunt es nicht, dass die vielen Bahn- brücken mit diesem harten Gestein gebaut wurden. Der „Appenzellergra- nit“ wurde auch für Treppenstufen, Gebäudesockel, Brunnentröge und Taufbecken verwendet. Die Krönung der Verwendung des „Appenzellergra- nits“ als Baustein dürfte das durch toskanische Säulen getragene Portal- Eisenbahnbrücke der Bodensee-Toggenburg-Bahn aus „Appenzellergranit“ (Wissenbachtobel, östlich bauwerk am Eingang zur Klosterkirche Degersheim). Foto: A. Zaugg Fischingen darstellen.
Der Alpstein – vielleicht „das der Alpen dem interessierten Natur- freund auf überschaubarem Raum eine Fülle von geologischen und natur- kundlichen Besonderheiten. Als weit- räumiges Naturschutzgebiet beher- bergt es neben einer reichen Pflanzen- welt auch Steinböcke, Gemsen, Murmeltiere und Adler. Der Alpstein ist ein Faltengebirge mit bedeutenden Überschiebungs- und Schuppenzonen. Die vorwiegend kal- kigen, z.T. mergeligen und unterge- ordnet auch sandigen Schichten ge- langten zwischen rund 130 bis 50 Milli- onen Jahren hauptsächlich in der Kreidezeit in einem flachen Schelfmeer zur Ablagerung. Diese am Nordrand eines bis nach Afrika reichenden Oze- ans (Tethys) abgelagerten Schichten wandelten sich in Festgesteine um und wurden vor rund 20 bis 10 Millionen Jahren von den Schubkräften des nach Norden drängenden afrikanischen Kontinentes erfasst und in die kompli- zierten Gebirgsbildungsprozesse der werdenden Alpen einbezogen. Dabei entstanden Gesteinsfalten, Überschie- bungen und Brüche, wie der einzig- artige Sax-Schwende-Bruch. Dieser quert das Alpsteingebirge von der Saxer Lücke bis nach Wasserauen. Der Ost- teil des Gebirges ist dabei um mehrere Säntis mit Frontkette (HH, AZ) Dieses Zitat stammt aus pen oder einfacher per Luftseilbahn die des Alpsteins. berufenem Munde, vom bekannten einzigartige Bergwelt rund um den Foto: Wild/Leica, Heerbrugg Schweizer Geologen Albert Heim 2.503 m hohen Säntisgipfel erlebt hat. Ein geologischer (1849 – 1937). Gleicher Meinung ist Tatsächlich bietet der das Mittelland wohl auch jeder, der auf Schusters Rap- überragende Alpstein als Frontgebirge Wanderweg Auf der südlichen Kette des Alp- steins, hoch über dem Rheintal, führt ein Höhenwanderweg vom Hohen Kasten (Luftseilbahn ab Brü- lisau) zur Saxer Lücke. Auf 16 Schau- tafeln und Panoramen werden die jeweils sichtbaren geologischen Phänomene erklärt. Daneben faszi- niert die stets wieder wechselnde Rundsicht ins Rheintal, in die All- gäuer und Vorarlberger Höhen wie auch in die Ostschweizer Alpen. Gute Ausrüstung und Trittsicherheit sind Voraussetzung. Weitere Infor- mationen zu Beobachtungen in der Natur im Alpstein finden sich in der Talstation Schwägalp der Säntis- Säntis im Winter. bahn und auf dem Säntis-Gipfel. Foto: H. Haltmeier 10 | 11
schönste Gebirge der Welt“ Wildhuser Schafberg ein markanter Gebirgspfeiler, in dessen Westfront der Faltencharakter des Alpsteingebirges gut erkennbar ist. Für die Geologen sind die Gipfel „Öhrli“ und „Altmann“ von besonderer Bedeutung, weil Fels- schichten (Öhrlikalke, Öhrlimergel und die Altmannschichten) nach diesen Bergen benannt wurden (sog. Typuslo- kalität). Landschaftlich reizvoll sind die steil aufgerichteten Schrattenkalkfel- sen der Kreuzberge (Kletterberge nur für geübte Alpinisten) und die Bergta- feln der Ebenalp (Wildkirchli) und Alp Sigel (Blumenparadies des Alpsteins). Kreuzberge (links) und Saxer Lücke. Foto: A. Zaugg hundert Meter abgesenkt und gegen Säntis und Wildhuser Schafberg. Foto: Wild/Leica, Heerbrugg Norden verschoben worden. Blickt man von Gams (St.Galler Rheintal) Richtung Norden, so erkennt man die wie mit einer Hacke aus dem Felsgrat Karst gehauene Saxer Lücke. Der Alpstein ist ein typisches Kalkgebirge. Der Kalkstein Erst die jüngeren erosiven Prozesse wird durch Regenwasser, das stets gelöste Kohlensäure durch Gletschereis, Verwitterung durch enthält, in einem langsamen Prozess aufgelöst. An der Frost, Wasser sowie durch chemische Erdoberfläche entsteht dadurch ein vielfältiger Formen- Gesteinslösung haben die SW-NO ver- schatz. Die Gesteinsoberfläche wird zu bizarren, scharf- laufenden Gebirgsgrate und Täler mit kantigen Graten geformt: Karren oder Schratten. Im Alp- Seealpsee, Fälensee und Sämtisersee stein finden sich mehrere grosse Karrenfelder. Oft trifft aus dem Felskörper des Alpsteins her- man auf den Matten auch rundliche Vertiefungen an, so ausmodelliert. genannte Dolinen, wo der Boden über aufgelöstem Neben dem dominierenden Säntis- Seealpsee oberhalb Wasserauen. Foto: A. Zaugg, Gestein eingesackt ist. gipfel und dem Hohen Kasten ist der Frauenfeld Das in die Tiefe sickernde Wasser erweitert dünne Klüfte zu Spalten und Höhlen. Der Alpstein weist ein weitver- zweigtes, aber kaum zugängliches Karsthöhlensystem auf. Das Wildkirchli unterhalb der Ebenalp und die Kris- tallhöhle Kobelwald bei Oberriet im St.Galler Rheintal sind touristisch erschlossen. Der Fälensee und der Sämtisersee haben keinen Ober- flächenabfluss. Sie entwässern unterirdisch und spei- sen die ergiebige Karstquelle des Mülbachs oberhalb Sennwald im Rheintal. Karstquellen weisen grosse Ergiebigkeitsschwankungen auf. Sie reagieren schnell auf Schneeschmelze oder Gewitterregen, können bei Trockenheit aber auch versiegen wie z.B. die Tschuder- quelle bei Wasserauen (Kanton Appenzell Innerrhoden). Karren oder „Schratten“ im Kalkfels. Foto: H. Heierli, Trogen
Von Schluchten, Bergstürzen und Afrika im Alpenrheintal die Schlucht erst richtig eng. In den Kalkfelsen gesprengt wurde der Weg, Der Hirschensprung in einem Tunnel passiert er die Enge. Der Hirsch sah als letzte Möglichkeit Ein Blick hinauf: In schwindelnder nur noch den rettenden Sprung über Höhe überspannt eine Brücke den die tiefe Felsschlucht unter ihm. Ob Abgrund. Kühl ist es zwischen den Fel- wahr oder nur Legende, jedenfalls sen. Sich aufbäumende Pferde, Rappen, ziert der kühne Hirsch das Gemein- wollen manche in ihnen sehen. Doch dewappen von Rüthi im St.Galler den Namen gab ein Vogel, der Wald- Rheintal. Die strassenbreite Fels- rapp. Dann kommt die Staumauer, schlucht des Hirschensprungs ent- dahinter ein Talkessel. In die weicheren stand durch reissende Wasserfluten Mergel grub sich die Dornbirner Ache und Geschiebemassen des Rhein- leicht ein. Am anderen Ende des Sees gletschers während der Würmeiszeit. summen Turbinen des ältesten Kraft- werks des Landes. Eine zweite Schluchtstrecke wartet, das Alploch. Ein Steg an die Felswand geklebt – fast kann man die andere Wand ergreifen. Versteinerte Muscheln beweisen: Einst war der harte Kalkstein der schlammige Grund eines Meeres. Zementiert, ver- faltet und gehoben wurde er später. Und dann schnitt das Wasser sich ein. Nur 10.000 Jahre genügten, um dieses Kleinod zu schaffen. Der Bergsturz von Salez – Sennwald Beim Bau des Werdenberger Binnenka- Rappenlochschlucht. Rappenlochschlucht nals (1882–1885) stiessen die Arbeiter Foto: A. Stock (GF) Gleich hinter Dornbirn beginnt plötzlich auf harte, Kubikmeter grosse der Weg in das Rappenloch. Von einer Felsblöcke. Diese behinderten die wei- genieteten Rohrleitung, das Eisen zum teren Arbeiten sehr. Der Schlosswald Schutz mit Teer überzogen, wird er zwischen Salez und Sennwald ist ein zunächst begleitet. Nicht die Schönheit Hirschensprung. Foto: A. Zaugg der Schlucht, nein, wirtschaftliche Bergsturz Salez- Sennwald, im Hinter- Interessen bewogen zum Bau des Liechtenstein, weit in die Rheintalebene reichendes grund Stauberengrat mit Abbruchkante Weges. Die Wasserkraft wollte genutzt Treffpunkt zweier kleinhügeliges Gelände. Bewaldete, des Bergsturzes. werden. Bald schwebt der Steg über chaotisch aufgetürmte Trümmerhaufen Foto: A. Zaugg schäumendem Wasser. Doch dann wird Kontinente wechseln mit grasüberzogenen Senken Liechtenstein ist landschaftlich, aber und Ebenen. Wir befinden uns inmit- auch geologisch ein Kleinod. Wer ten einer Bergsturzmasse! Vor 4.000 denkt schon daran, dass das schroffe Jahren sind 150 Millionen Kubikmeter Dolomitgebirge der Drei Schwestern Fels vom 1.700 m hohen Stauberengrat vor 100 Millionen Jahren noch 500 des Alpsteins niedergebrochen. Die öst- km südlich des tief unter ihm sanft liche Abbruchkante ist oberhalb Früm- aus der Rheintalebene aufsteigen- sen gut erkennbar. Auch an anderen den Schellenbergrückens lag! Oben Stellen im Rheintal ereigneten sich in ein Rest des fernen, unbekannten der Nacheiszeit bedeutende Bergstürze: Afrikas, unten das alte Europa. Zwei Triesenberg (400 Millionen Kubikme- Kontinente, durch fremde Kräfte ter), Tamins (1,3 Milliarden Kubikme- zusammengefügt zur einzigartigen ter) und Flims (mit 13 Milliarden Geologie von Liechtenstein. Kubikmetern der grösste Bergsturz Europas). 12 | 13
Von heissem, schwarzem, braunem und echtem Gold (Me) Ein eiskalter Januarabend. Die kah- auch schwarzes Gold. Nicht besonders len Bäume biegen sich im Wind, der viel, aber immerhin. Erdöl und Erdgas immer wieder kleine Schneewolken auf- sind Umwandlungsprodukte tierischer wirbelt. Dampfschwaden steigen aus und pflanzlicher Organismen unter dem Wasserbecken auf, in dem ein Pär- Luftabschluss und erhöhten Druck- chen gemütlich seine Schwimmrunden und Temperaturbedingungen. Diese dreht. Was nach einer heissen Quelle auf ergaben sich durch die Ablagerung Island klingt, ist ein typisches Winterbild mächtiger Schichten, bestehend aus der Thermalbäder des Bodenseeraums. dem Abtragungsschutt (Molasse) der Den entspannenden Badegenuss verdan- aufsteigenden Alpen. Undurchlässige ken wir hier einer besonderen Form des Schichten bilden sogenannte Erdölfal- Grundwassers, dem sogenannten Ther- len, indem sie das Aufsteigen des spezi- malwasser. In Tiefen von vielen hundert fisch leichteren Öls und Gases unter- Dünnschliff eines Glimmers aus der Molasse. Foto: H. Borger Metern finden sich in wasserlöslichen binden. Gleichzeitig müssen darunter Gesteinen, wie den Jurakalken, wasser- poröse Gesteine vorhanden sein, in relativ vielen, meist aber geringmächti- gefüllte Hohlräume. Durch die erhöh- deren Poren sich Öl und Gas sammeln gen Flözen ansteht. Die dauernde „geo- ten Temperaturen im Erdinneren weist können. Seit den 30er Jahren setzte man logische Unruhe“ während der Alpen- das Thermalwasser Temperaturen auf, grosse Hoffnungen in die Erdölvor- faltung verhinderte die Entstehung die auch im Januar ein angenehmes und kommen im Molassetrog, die sich aber grosser Flöze, wie sie beispielsweise in gleichzeitig gesundes Bad im Aussenbe- nicht erfüllt haben. Allerdings wurde den Schichten des Karbons im Ruhrge- reich ermöglichen. Denn meistens ist zeitweise 10% des deutschen Erdgas- biet zu finden sind. Noch um die Jahr- das Thermalwasser nicht nur wunderbar verbrauchs aus Feldern in der Molasse hundertwende und während der Welt- warm, sondern auch angereichert mit gedeckt. Und die zahlreichen Tiefboh- kriege wurde am Menelzhofener Berg Mineralstoffen. Sie wirken heilend bei rungen haben den Geologen viele neue bei Isny und im Wirtatobel am Pfänder verschiedenen Erkrankungen. In Abhän- Erkenntnisse über die Molasseschich- Braunkohle bergmännisch abgebaut. gigkeit von den Gesteinsschichten, aus ten im Untergrund vermittelt. Die Pfänderkohle wurde damals u.a. zur denen es über Bohrlöcher gefördert Früher wurde aus den Schichten der Beheizung der Bodensee-Dampfschiffe wird, kann das Thermalwasser z.B. Süsswassermolasse auch noch „braunes verwendet. Heute sind die Stollenein- Schwefel oder Fluorid enthalten. Zahl- Gold“ gefördert. Braunkohle entstand gänge grösstenteils eingestürzt oder reiche Orte im Hinterland des Boden- aus Pflanzenresten, die sich im Laufe verschlossen, nur die alten Halden kann sees haben sich zu viel besuchten Kur- der Jahrmillionen durch hohen Druck man mit etwas detektivischem Spürsinn und Badeorten entwickelt. Das Ther- und Temperaturen umwandelten. In noch entdecken. malwasser hat sich hier als „heisses Gold“ manchen Molassetobeln sind Kohle- erwiesen. Kein Wunder, dass der Bau spuren, zum Teil sogar Ästchen und weiterer Thermalbäder in Planung ist. ganze Baumstämme zu erkennen. Der Goldrausch? Aber nicht nur „heisses Gold“ wurde Abbau lohnt sich heute wirtschaftlich Der Name „Goldach“, eines Flusses im Bodenseeraum erbohrt, sondern nicht mehr, da die Molassekohle zwar in östlich von St. Gallen, ist durchaus berechtigt, denn sogar dem echten Goldrausch kann man im Bodensee- raum erliegen. In Molasseschichten, aber auch in Eiszeitschottern und selbst in heutigen Flussablagerun- gen finden sich an manchen Stellen Goldflitter. Noch heute wird von „Hobbygoldsuchern“ mit speziellen Pfannen dem „Waschgold“ nachge- spürt. Doch sind die gefundenen „Rheingold“-Mengen meistens sehr gering und stehen in keinem Ver- hältnis zur anstrengenden Arbeit des Goldwaschens... Sonnenhoftherme in Saulgau. Foto: Kur- und Gästeamt Saulgau
Meine Reise mit dem Gletscher ter durch Kalkausscheidungen wieder und Gefrieren hatte ich mich aus mei- geschlossen werden, und heute sehe ich nem Gesteinspaket gelockert. Eines mit meinen schönen weissen Kalzit- Tages ging es mir dann wie Tausenden adern richtig attraktiv aus. Zuerst war meiner Freunde zuvor. Ich stürzte ich enttäuscht, dass ich nicht ganz nach hinab und fand mich auf dem Eis lie- oben auf den Gipfel gekommen war, gend wieder. Können Sie sich vorstel- aber so bin ich wenigstens der Abtra- len, wie unangenehm kalt das war! Und gung und der Zermahlung zu Molasse- wie unheimlich! Eine Unmenge an sand entgangen. Eigentlich war das Gestein schleppte dieser Gletscher mit Tertiär trotz dieser anstrengenden sich herum: oben auf dem Eis, an den Gebirgsfalterei sehr angenehm, da es Seiten, eingefroren im Eis und am herrlich warm war und wunderschöne Grunde. Vor sich schob er – wie eine Pflanzen und Tiere, wie immergrüne Tenderlokomotive – einen ganzen Wall Lorbeergewächse, Urpferdchen und an Gestein her. Moränen nennt man Säbelzahnkatzen lebten. Nur gelegent- diese Gesteinsmassen. Und mit diesen lich rauchte und rumorte es drüben im Grund-, Ober-, Seiten- und Endmorä- Hegau. Aber dann wurde es immer käl- nen funktionierte dieser Gletscher wie ter. Von meinem Ausguck konnte ich ein überdimensionales Schmirgelpa- den Schnee sehen, der sich in Mulden pier. Überall, wo er vorbeischrammte, an der Seite der Berge sammelte und hobelte er die Talwände regelrecht ab. auch im Sommer nicht mehr wie frü- Aus den v-förmigen Flusstälern wur- her verschwand. Im Gegenteil, die den u-förmige Trogtäler, denn das Eis Schneefläche wurde immer grösser und folgte den alten Flussläufen. Auch am fester und allmählich verwandelte sich Boden wurde gewaltig geschürft und der Schnee in Eis. Die schönen Pflan- verdichtet. Sie müssen sich vorstellen, zen und Tiere waren schon längst in wie schwer so ein Gletscher ist, bringt wärmere Gefilde abgewandert, als das doch schon ein einziger Kubikmeter Eis aus seiner anfänglichen Sammel- 900 kg auf die Waage! Die flacheren mulde, dem Kar, abzufliessen begann. Täler waren irgendwann ganz mit Eis Langsam schob es sich als Gletscher ins angefüllt. Der Gletscher quoll über die Gletscherexpedition. (Me) Gestatten Sie, dass ich mich vor- Tal hinunter. Mir wurde die ganze kleineren Hügel und Kuppen, die er Foto: S. Löffler stelle: Mein Name ist „Kiesel“. Ich Sache allmählich mulmig, denn durch glatt polierte. Zurück blieben Rund- stamme aus der Geröllfamilie und ich den dauernden Wechsel von Auftauen höcker. Nur die Gipfel, die das Eis über- möchte Ihnen heute meine Lebensge- schichte erzählen. Geboren wurde ich sozusagen vor 180 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als das Jurameer das Gebiet bedeckte, welches heute als Bodenseeraum bekannt ist. Damals wurde ich aus unzähligen Kalk- schalenresten kleiner Organismen gebildet. Als Kalkstein ruhte ich lange ruhig und friedlich im Untergrund, bis es eines Tages ganz gewaltig zu rumo- ren begann. Ehe ich mich versah, wurde ich emporgehoben und konnte nach über 100 Millionen Jahren zum ersten Mal die Sonne sehen. Alpenbildung nennen Sie heute diesen Vorgang, der mich damals regelrecht krank gemacht hat. Das war so ein Zerren und Ziehen, dass ich einfach in Stücke gebrochen bin, ein „gequältes“ Gestein, und genauso habe ich mich auch gefühlt. Zum Glück konnten die Wunden spä- Eiszeitliche Nagelfluh. Foto: A. Megerle 14 | 15
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