AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - BPB
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Beilage zur Wochenzeitung 26. April 2004 Aus Politik und Zeitgeschichte 3 Andreas Bauer Essay E-Demokratie ± neue Bçrgernåhe oder virtuelle Luftblase? 7 Olaf Winkel Zukunftsperspektive Electronic Government 16 Norbert Kersting Online-Wahlen im internationalen Vergleich 24 Wolfgang H. Lorig ¹Good Governanceª und ¹Public Service Ethicsª Amtsprinzip und Amtsverantwortung im elektronischen Zeitalter B 18/2004
Editorial n Bereits 2010, so die Prognose, Herausgegeben von kænnen die Wahlberechtigten ihre der Bundeszentrale Stimmen fçr die Bundestagswahl im fçr politische Bildung n Bei der Eræffnung der Computer- Internet abgeben. Erste Versuche Adenauerallee 86 messe CeBIT im Mårz 2004 in Han- mit E-Voting sind bei Personalrats- 53113 Bonn. nover kçndigte Bundeskanzler Ger- und Studierendenparlamentswahlen hard Schræder an, dass mit der positiv verlaufen. Allerdings, so Redaktion: Initiative ¹BundOnlineª bis Ende Andreas Bauer in seinem Essay, Dr. Katharina Belwe nåchsten Jahres die Voraussetzun- sollte man sich davor hçten, das Dr. Hans-Georg Golz gen fçr die flåchendeckende Bereit- Internet als Allheilmittel gegen Poli- (verantwortlich fçr diese Ausgabe) stellung æffentlicher Dienstleistun- tikverdrossenheit und geringe Wahl- Dr. Ludwig Watzal gen geschaffen werden sollen. So beteiligungen zu betrachten. Es Hans G. Bauer wird es etwa mæglich sein, mittels bestehe bei aller Attraktivitåt insbe- Telefon: (0 18 88) 5 15-0 einer E-Card Rechtsgeschåfte online sondere fçr Erst- und Jungwåhler abzuwickeln und Dokumente elek- die Gefahr, dass Politikprozesse im Internet: Internet nur die oft beklagte tronisch zu signieren. Alle internet- www.bpb.de/publikationen/apuz Zuschauerdemokratie widerspie- fåhigen Dienstleistungen des Bun- E-Mail: apuz@bpb.de geln, wie der Soziologe Claus Leg- des sollen bis 2005 im Netz zur Druck: Verfçgung stehen. Im Kern wird E- gewie im Interview mit Bauer unter- Frankfurter Societåts-Druckerei GmbH, Government als elektronisches streicht. 60268 Frankfurt am Main Regierungs- und Verwaltungshan- deln verstanden, das Transparenz n Auch Olaf Winkel warnt davor, Vertrieb und Leserservice: und Effizienz stårkt. mit dem Konzept des E-Govern- Die Vertriebsabteilung ment bzw. der E-Demokratie allzu der Wochenzeitung , n Die E-Government-Initiative hohe Erwartungen zu verbinden. Frankenallee 71 ± 81, ¹Deutschland-Onlineª von Bund, Anhand einer Feinanalyse der Bedin- 60327 Frankfurt am Main, Låndern und Kommunen soll die gungen, unter denen E-Government Telefon (0 69) 75 01-42 53, bisher noch recht heterogene IT- funktionieren und çberdies demo- Telefax (0 69) 75 01-45 02, Landschaft harmonisieren, die Inter- kratiefærdernd wirken kann, rçckt er E-Mail: parlament@fsd.de, netportale vernetzen sowie gemein- dessen Mæglichkeiten und Grenzen nimmt entgegen: same Infrastrukturen zur Erleichte- ins Bewusstsein. Norbert Kersting * Nachforderungen der Beilage rung des Datenaustauschs schaffen. gelangt in einem Vergleich von Aus Politik und Zeitgeschichte Das Auûenwirtschaftsportal iXPOS Online-Wahlen in Deutschland, zum Beispiel stellt eine von Unter- Ústerreich und der Schweiz zu dem * Abonnementsbestellungen der nehmen bereits stark nachgefragte Befund, dass nationale Regelungen Wochenzeitung Wissensplattform zu Branchen und zur Briefwahl (und zur Wahrung des einschlieûlich Beilage zum Preis Mårkten dar, wie Martin Schall- Wahlgeheimnisses) fçr deren Imple- von Euro 9,57 vierteljåhrlich, bruch, IT-Direktor im Bundesinnen- mentation entscheidend sind. Eine Jahresvorzugspreis Euro 34,90 ministerium, anlåsslich der CeBIT deutliche Zunahme der Wahlbeteili- einschlieûlich Mehrwertsteuer; hervorhob. Neue Serviceangebote gung sei aber nicht zu erwarten. Kçndigung drei Wochen vor Ablauf von Behærden und Verwaltungen des Berechnungszeitraumes; flieûen in die Standortentscheidung n Wolfgang Lorig richtet den Blick * Bestellungen von Sammel- von Unternehmen ein, so eine im auf Amtsprinzip und -verantwor- mappen fçr die Beilage vergangenen Herbst veræffentlichte tung im elektronischen Zeitalter. zum Preis von Euro 3,58 Studie aus Nordrhein-Westfalen: Die Gutes E-Government bzw. ¹Good zuzçglich Verpackungskosten, Hålfte der befragten Unternehmen Governanceª setzen Aspekte der Portokosten und Mehrwertsteuer. rechnet mit nennenswerten Einspa- Verwaltungsmodernisierung mit Die Veræffentlichungen rungen durch E-Government. demokratischer Teilhabe zueinander in der Beilage n Doch E-Government erschæpft in Bezug. Das Nachdenken çber Aus Politik und Zeitgeschichte sich nicht in Verwaltungsmoderni- Ethik-Kataloge fçr æffentliche Amts- stellen keine Meinungsåuûerung sierung. Das weltweite Netz bietet inhaber belegt, dass ± auch wenn des Herausgebers dar; eine unçbersehbare Fçlle von Infor- elektronische Kontroll- und Respon- sie dienen lediglich der mations- und demokratischen Parti- sivitåtsstrukturen installiert sind ± Unterrichtung und Urteilsbildung. zipationsmæglichkeiten, die es zu Herrschaft als anvertrautes Amt nur Fçr Unterrichtszwecke dçrfen nutzen gilt. Am Ende kænnte, so die mæglich ist, wenn verantwortliche Kopien in Klassensatzstårke Projektgruppe E-Government der Personen agieren, die das auf Zeit hergestellt werden. Bertelsmann Stiftung, eine demo- çbertragene Amt im Sinne des kratische Bçrgergesellschaft stehen, Gemeinwohls ausçben. in der Bçrgerinnen und Bçrger Mit- ISSN 0479-611 X arbeiter und Gestalter der Staatsmo- dernisierung sind. Hans-Georg Golz n
Andreas Bauer E-Demokratie – neue Bürgernähe oder virtuelle Luftblase? Am 29. August 2002 stellte die „Harald-Schmidt- ren. Möchte man bei www.frankfurt.de ein Show“ den „Wahlomaten“ vor: eine von der Bun- Gewerbe anmelden, hilft EVA, die Elektronische deszentrale für politische Bildung entwickelte Verwaltungsassistentin. Welche Unterlagen brau- Internet-Seite, die in der Ästhetik eines orangefar- che ich? Was kostet das? Kryptische Formulare benen Fahrkartenautomaten die Antworten seiner werden interaktiv: EVA antwortet. Selbst die Benutzer mit den Programmen der einzelnen poli- leicht frivole Frage nach einem romantischen tischen Parteien vergleicht und Wahlempfehlun- Abendessen zu zweit weiß sie zu kontern: „Wenn gen ausspricht. Die Vorstellung des „Wahlomaten“ ich alle Anfragen nach Rendezvous erfüllen ausgerechnet bei Harald Schmidt war nicht nur würde, käme ich kaum noch zum Arbeiten“, ant- unterhaltsam. Sie animierte auch viele Zuschauer, wortet sie kühl. Wohl wahr: Rund 8,5 Millionen es selbst einmal zu versuchen. Als die letzten Klicks zählt das Online-Angebot der Stadt Frank- Lacher im Kölner Fernsehstudio verklungen furt am Main pro Monat. waren, hatte der Server des „Wahlomaten“ zeit- weise Probleme, die Menge der Online-Zugriffe Das dürfte auch ein Zeichen für die Akzeptanz zu verarbeiten. Bis zur Bundestagswahl am 22. des digitalen Rathauses sein. Nicht nur in der September 2002 sollte das Programm schließlich Mainmetropole wird es immer realer. Fast jede insgesamt 3,6 Millionen Wahlempfehlungen aus- Stadt oder Gemeinde in Deutschland ist in- sprechen. Politik in Zeiten des Internets: Elektro- zwischen online. Großen Anteil daran hat nische Demokratie? Media@Komm, eine Initiative, mit der die Bun- desregierung im Jahr 1998 begann, den Einsatz Der Begriff Elektronische Demokratie, kurz: E- von Multimedia in den kommunalen Verwaltun- Demokratie, „fasst alle Maßnahmen zusammen, gen zu fördern. Aus dieser Initiative haben sich bei denen Internettechnologien eingesetzt werden, inzwischen 20 besonders fortgeschrittene Städte um Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche demo- herauskristallisiert, die als Transferkommunen ihr kratische Mitbestimmungs- und Gestaltungsmög- Wissen den anderen zur Verfügung stellen. Bre- lichkeiten einzuräumen“, heißt es auf der Internet- men ist besonders weit. Im Juli 2003 erhielt die Seite des Bundesinnenministeriums. Wenn von E- Hansestadt den E-Government-Award: die höchs- Demokratie gesprochen wird, dann oft auch von te E-Government-Auszeichnung Europas. E-Government. Manchmal werden beide Begriffe synonym benutzt. E-Demokratie zielt auf demo- Noch liegen die Schwerpunkte der Internet-Ange- kratische Partizipation, E-Government, virtuelles bote auf Information und einfachen Dienstleistun- Regieren, auf Service, Bürgernähe und Verwal- gen, weniger auf politischen Beteiligungsmöglich- tungsmodernisierung. Nach einer Definition der keiten und der Verarbeitung sensibler Daten. Deutschen Hochschule für Verwaltungswissen- Denn um wirklich effizient mit den Bürgerinnen schaften in Speyer bezeichnet E-Government „die und Bürgern zu kommunizieren, fehlen oft noch Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusam- die Voraussetzungen innerhalb der Verwaltung. menhang mit Regieren und Verwalten (Govern- Auch auf Länderebene gibt es noch Nachholbe- ment) mit Hilfe von Informations- und Kommuni- darf. Doch es bewegt sich etwas: In Hessen etwa kationstechniken über elektronische Medien“. ist im April 2003 der EDV-Spezialist Harald Die Reservierung eines Kfz-Wunschkennzeichens, Lemke zum Staatssekretär für E-Government die Ummeldung einer Wohnung, ja sogar die ernannt worden – ein Novum in der Bundesrepu- Anmeldung einer Demonstration – all das lässt blik. Seine Aufgabe ist es, die hinter dem digitalen sich in vielen deutschen Städten bereits via Inter- Tor liegenden Verwaltungsabläufe der Landesver- net erledigen. In Frankfurt am Main beispielsweise waltung zu modernisieren und sie damit für die sind rund 50 Formulare online abrufbar. Auch elektronische Kommunikation mit dem Bürger elektronische „Bots“ sind im Einsatz, Programme, vorzubereiten. Das ist eine Herkulesarbeit – nicht die den Nutzern von Online-Angeboten assistie- nur in technischer Hinsicht. 3 Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004
Neue Ressorts müssen gebildet werden. Fest der aus einem Geheimcode, einer Chipkarte und gefügte Hierarchien geraten ins Wanken. Früher einer persönlichen Identifikationsnummer besteht. wussten Verwaltungsleiter genau, was in ihrer Das Verfahren ist nicht ganz unkompliziert und die Abteilung passiert. Jetzt korrespondieren die Mit- Zahl der Anwendungen in Deutschland und der arbeiter autonom mit ihren Klienten. Der Cyber- registrierten Nutzerinnen und Nutzer noch klein. space kommt ohne Ärmelschoner aus. Das heißt Doch „der Fortschritt im E-Government in aber auch: E-Government bietet die Chance, ver- Deutschland ist unverkennbar“, behauptet Tom krustete Strukturen aufzubrechen und den Staat J. Gensicke, Leiter des Bereiches Public Services transparenter zu gestalten. Für die Verankerung bei Cap Gemini Ernst & Young in einer von der der Demokratie in der Bevölkerung ist das sicher- Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen lich kein unwichtiger Aspekt. Studie zum elektronischen Serviceangebot der Öffentlichen Hand. Das ist reichlich diplomatisch Dass die Modernisierung der Verwaltung so voran- ausgedrückt. In der von ihm Anfang 2004 vorge- getrieben wird, hat – wen wundert es – auch finan- stellten Studie belegt Deutschland im Vergleich mit zielle Gründe. Die EU-Kommission schätzt, dass 17 anderen europäischen Ländern nur den vorletz- für jeden Euro, den die öffentliche Hand in E- ten Platz – vor Luxemburg.2 Government investiert, 1,80 Euro zurückfließen. Nicht zufällig ist der hessische Staatssekretär für Eine Vorreiterrolle in Europa in Sachen E-Govern- E-Government dem Finanzministerium zugeord- ment spielt Estland. Dort enthält der Personalaus- net. Etwa 1,45 Milliarden Euro will die Bundesre- weis einen Chip mit einer digitalen Signatur, die gierung investieren, um bis zum Jahr 2005 alle bereits für viele Verwaltungsvorgänge genutzt wer- internetfähigen Dienstleistungen der Bundesbe- den kann. Die Akzeptanz ist groß: Schon 40 Pro- hörden über das elektronische Netz anzubieten. zent der Estinnen und Esten kommunizieren mit Die Rendite soll ab 2006 jährlich etwa 400 Millio- ihrem Finanzamt online. Mit dem elektronisch nen Euro betragen. Schon jetzt ist es möglich, vom aufgerüsteten Ausweis lassen sich sogar Verträge Zoll sichergestellte Artikel wie Notebooks und abschließen. Auch in Deutschland wäre das juris- Digitalkameras online zu ersteigern, die Förde- tisch möglich, denn seit 2001 gilt das Signaturge- rung von Solaranlagen via Internet zu beantragen setz, das an EU-Vorgaben ausgerichtet ist. Seitdem oder die Bafög-Rückzahlung abzuwickeln. Das vir- besitzt die elektronische Unterschrift denselben tuelle Regieren der Zukunft bekommt Konturen. Stellenwert wie die handschriftliche. Noch aber läuft vieles unkoordiniert. Beispiels- weise soll es in den Kommunen mittlerweile rund Mit der elektronischen Signatur wäre auch ein viel 100 verschiedene Verfahren zur Kfz-Anmeldung diskutiertes Projekt der elektronischen Demokra- geben. Deshalb ist ein weiteres Programm gestar- tie möglich: das E-Voting, die Wahl im Internet. tet worden: Die Initiative „Deutschland-Online“ Erste Versuche mit E-Voting gibt es bereits. In versucht, die bislang rund 7000 Internet-Portale Osnabrück wurde ein Studentenparlament per von Bund, Ländern und Gemeinden unter einen Mausklick gewählt, in Esslingen ein Jugendge- Hut zu bekommen. Auch die Wirtschaft erhofft meinderat und in Brandenburg ein Personalrat. sich von der Umsetzung von E-Government-Pro- Den Kanzler per Mausklick – das allerdings ist jekten viele Vorteile. Nach Informationen des Zukunftsmusik, und das dürfte sich auch nicht so Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) schnell ändern, glaubt etwa der Gießener Politik- rechnen zwei Drittel der deutschen Unternehmen wissenschaftler Claus Leggewie.3 Der Aufwand infolge von E-Government auch mit Kostenein- stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag. Um sich sparungen im eigenen Unternehmen.1 E-Govern- vor Manipulationen zu schützen, müsse ein „wahn- ment – die Lösung aller Haushaltsprobleme? sinniger Sicherheitsaufwand“ betrieben werden, sagt Leggewie, der sich intensiv mit den Möglich- Eine der größten Barrieren auf dem Weg zum E- keiten der elektronischen Demokratie auseinander Government ist die Authentifizierung. Denn für gesetzt hat.4 viele Verwaltungsvorgänge, etwa für die Steuerer- klärung, wird die persönliche Unterschrift verlangt. 2 Vgl. Cap Gemini Ernst & Young, Webbasierte Unter- Diese muss nun elektronisch nachgebildet werden. suchung des elektronischen Serviceangebots der Öffentlichen Hierfür gibt es bereits ein Verfahren: die elektroni- Hand, Berlin 2004; http://www.de.cgey.com/servlet/PB/show/ 1264208/eEurope_2004.pdf. sche Signatur. Sie ist eine Art virtueller Ausweis, 3 Alle Zitate von Claus Leggewie entstammen dem Inter- view mit dem Autor. 1 Vgl. BDI Info-Service 3/2003: Electronic Government – 4 So zuletzt in Dieter Klumpp u. a. (Hrsg.), Next generation ein Schlüssel zur Entbürokratisierung, http://www.bdi-on- information society? Notwendigkeit einer Neuorientierung, line.de. Mössingen–Talheim 2003. Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004 4
Das jüngste Scheitern eines anspruchsvollen E- „Wichtig erscheinen mir kleine, von Moderatoren Voting-Projekts scheint ihm Recht zu geben. Für strukturierte Diskussionsforen, an denen sich die die Präsidentschaftswahl 2004 hatte das amerika- Menschen sehr intensiv beteiligen,“ sagt Leggewie. nische Verteidigungsministerium den im Ausland Unter www.forum-giessen.de hat das ZMI so stationierten Soldaten der US-Armee die Stimm- etwas wie eine permanente Online-Bürgerver- abgabe per Internet ermöglichen wollen. Doch als sammlung gegründet. Hier bestimmen die Teil- vier Computerwissenschaftler in der „Washington nehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam die Dis- Post“ auf die großen Sicherheitsrisiken des Sys- kussionsthemen. Die Forum-Redaktion liefert tems hinwiesen, musste das Pentagon im Februar Hintergrundinformationen, strukturiert die Dis- 2004 das Programm zurückziehen.5 Beteiligt an kussion, lädt Experten und Politiker ein und greift dem 22-Millionen-Dollar-Projekt waren übrigens moderierend ins Geschehen ein. Die Ergebnisse auch Wissenschaftler, die in einer Studie des ange- der Diskussion münden in eine Petition an die sehenen Massachusetts Institute of Technology lokalen Parteien, begleitet von Berichten in der (MIT) kurz zuvor noch die fehlenden Sicherheits- Presse. Partner des Projektes ist eine lokale Zei- standards bei Online-Wahlen moniert hatten.6 Der tung. Die Möglichkeiten des Netzes werden mit Wunsch, nach dem Zähldebakel bei der Präsident- der Macht eines anderen Mediums erweitert. schaftswahl 2000 alternative Wahlsysteme zu ent- wickeln, hatte die Bedenken gegenüber Online- Auch Bundesinnenminister Otto Schily, der Wahlen in den Hintergrund gerückt. Doch nicht anfänglich stark auf die Karte Internet-Wahlen nur Sicherheitsmängel sprechen gegen E-Voting. gesetzt hat, ist inzwischen von den urdemokrati- Ein Update der MIT-Studie im Jahr 2003 weist auf schen Zuständen im Internet begeistert. In der die Gefahr der fehlenden Legitimation hin: Demokratie des digitalen Zeitalters sei es möglich, „There is the prospect that the digital divide cre- die Agora, also den politischen Marktplatz der ates inequities in participation in America“, heißt alten Athener, als „E-Gora“ wieder aufleben zu es da.7 Erst recht dürfte das für den Rest der Welt lassen.8 Im Jahr 2003 hat Schily erstmals den gelten: Allein in Manhattan gibt es mehr Internet- eCommunity Award für mehr Bürgerbeteilung via anschlüsse als in ganz Afrika. Internet vergeben. Den ersten Platz gewann die Stadt Münster mit einer Online-Börse für Ehren- ämter. Die Gemeinde Parchim in Mecklenburg- Internet-Wahlen – ein Irrweg? Worin liegt dann Vorpommern erhielt den zweiten Preis für ihr der Vorteil der viel beschworenen elektronischen Konzept, mit einer Mischung aus realen und vir- Demokratie? In ihrer flachen Hierarchie, in ihrer tuellen Komponenten ihre Bürger zu mehr Partizi- Interaktivität, in der permanenten Wechselwir- pation zu ermutigen. kung zwischen Sender und Empfänger, glaubt Leg- gewie. „Die Autonomie des Empfängers, der zum Bürgernetze, moderierte Foren, Online-Bürger- Sender geworden ist, ist höher als in den her- versammlung – hinter all diesen Projekten steht kömmlichen Massenmedien, und deswegen eignet das alte Prinzip der liberalen Demokratie: Regie- sich das Internet nicht nur für Auktionen, sondern ren durch Diskussion. Demokratie wird verstan- eben auch für die demokratische Mitwirkung“, den als Verdichtung von Kommunikation, wo- sagt der Politikwissenschaftler, der zugleich Leiter durch Entscheidungen vertieft vorbereitet und des Zentrums für Medien und Interaktivität dadurch stärker legitimiert werden sollen. Vor die- (ZMI) an der Universität Gießen ist. Sollte sich im sem Hintergrund gewinnt auch der „Wahlomat“ Internet die mediale Utopie eines Bert Brecht eine aufklärerische Dimension. Auf spielerische realisieren, der in seiner Radiotheorie einst for- Weise regt er an, sich mit politischen Inhalten aus- derte, das Massenmedium Rundfunk nicht nur einander zu setzen. „Unterfüttert mit den entspre- als Sender, sondern auch als Empfänger zu ver- chenden Informationen, kann er tatsächlich zur stehen – als großes demokratisches Forum also? Meinungsbildung im besten Sinne beitragen“, Aber wie könnten solche Partizipationsmodelle adelt ihn Leggewie. Zuletzt setzte die Bundeszen- aussehen? trale für politische Bildung den „Wahlomaten“ bei der Landtagswahl in Bayern im September 2003 5 Vgl. Dan Keating, Pentagon Calls Off Voting by Internet, ein. Eine Feedback-Analyse ergab, dass rund zehn in: The Washington Post vom 6. 2. 2004. 6 Vgl. Caltech/MIT, Voting Technology Report. What is, Prozent der User aufgrund der Wahlempfehlung what could be, Juli 2001; www.vote.caltech.edu/Reports/ 2001report.html. 8 Vgl. Otto Schily, Moderner Staat mit E-Government. 7 The Caltech/MIT, Voting Technology Project. Where We Demokratie des digitalen Zeitalters bietet wieder mehr Have Been, where We Are Going, Project Update, Januar Möglichkeiten der Teilhabe, in: Frankfurter Allgemeine Zei- 2003; www.vote.caltech.edu/Reports/index.html. tung vom 20. 3. 2001. 5 Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004
des „Wahlomaten“ tatsächlich ihre Stimmabsicht Wohin geht die Reise? Kann das Internet der geändert hatten. Auch zur Europawahl im Juni Demokratie neues Leben einhauchen? Ein Ein- 2004 wird die interaktive Wahlhilfe wieder Emp- wand soll nicht unerwähnt bleiben: „Neue Medien fehlungen aussprechen und wohl an so manch fest haben für die Demokratie stets Veränderungen gefügtem Weltbild kratzen. gebracht, positive wie negative“, sagt Leggewie und erinnert daran, dass das Fernsehen die Men- Interaktive Automaten wie der „Wahlomat“ ver- schen zwar für die Politik sensibilisiert, zugleich deutlichen das Potenzial des Internets für die poli- aber die „Zuschauerdemokratie“ gefördert habe. tische Bildung. Doch bedarf es überhaupt noch „Phänomene der Zerstreuung von Öffentlichkeit, eines Beweises? Medienforscher von ARD und des übertriebenen Infotainments und der Stilisie- ZDF haben in der jüngsten Online-Studie rung von Sachalternativen zum Personenduell sind Erstaunliches herausgefunden: Zum ersten Mal ist nicht neu.“ Das alles könne man im Netz wieder- das Internet zum wichtigsten Informationsmedium holen und sogar noch steigern, warnt er. Chancen für die Mehrheit aller Online-Nutzer geworden – und Gefahren der elektronischen Demokratie – und das sind immerhin schon mehr als die Hälfte zwei Seiten einer Münze –, das eine gibt es wohl aller Deutschen. TV und Tageszeitung sind abge- nicht ohne das andere. hängt.9 Still und leise hat eine mediale Revolution stattgefunden. Die Internet-Demokratie ist Reali- tät. Internet-Hinweise des Autors Der Reform-O-Mat zeigt, wo man als Gesundheitsmi- Das musste auch der mächtige republikanische nister/in den Rotstift ansetzen kann: Mehrheitsführer im US-Senat, Trent Lott, erfah- www.gesundheitspolitik.de ren. Zunächst waren seine Bemerkungen während Axe and tax: a budget-balancing exercise. Seite der einer Feier zum 100. Geburtstag des ehemaligen „Seattle Times“, auf der spielerisch ein Haushaltsdefi- Präsidentschaftskandidaten Strom Thurmond am zit ausgeglichen werden muss: 5. Dezember 2002 folgenlos geblieben: Lott hatte http://seattletimes.nwsource.com/news/local/links/ in seiner Rede zustimmend Thurmonds Wahl- axtax/ kampf von 1948 erwähnt, in dem es allein darum The Budget Balancer: Hier schlüpft man in die Rolle gegangen war, die Rassentrennung in den USA des Gouverneurs von Minnesota: aufrechtzuerhalten. http://news.mpr.org/features/2003/03/10_news- room_budgetsim Doch dann legten so genannte Weblogger die Lott- Studie der Vereinten Nationen, „E-Government at the Zitate auf ihre Internetseiten. Jede „Google“- Crossroads“, über elektronische Bürgerdienste ihrer Recherche über den Senator war plötzlich übersät Mitgliedstaaten: mit Links zu seinen umstrittenen Bemerkungen. http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/ Auch die großen Zeitungen und das Fernsehen documents/un/unpan012733.pdf begannen über das Thema zu berichten. Wenige Voting – What Is, What Could Be: Studie des MIT Tage später, am 20. Dezember, musste Lott zu Internet-Wahlen: zurücktreten. www.vote.caltech.edu/Reports/index.html 9 Vgl. Birgit van Eimeren/Heinz Gerhard/Beate Frees, In- Internetverbreitung in Deutschland: ARD/ZDF- ternetverbreitung in Deutschland: Unerwartet hoher Zu- Online-Studie 2003: wachs, ARD/ZDF-Online-Studie 2003; www.daserste.de/ser- www.daserste.de/service/ardonl03.pdf vice/ardonl03.pdf. Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004 6
Olaf Winkel Zukunftsperspektive Electronic Government Die Herausforderungen, mit denen das politisch- administrative System der Bundesrepublik Was ist E-Government? Deutschland heute konfrontiert wird, sind vielfäl- tig und immens. Zu den wichtigsten Instrumenten, die zu ihrer Bewältigung zur Verfügung stehen, Seit der Veröffentlichung des Memorandums zum zählen die neuen Informationstechnologien (IT). E-Government, das von über siebzig Fachleuten Daher ist es nicht verwunderlich, dass mit dem getragen wird, steht der Begriff für „die Durchfüh- Konzept des Electronic Government (E-Govern- rung von Prozessen der öffentlichen Willensbil- ment) unterschiedlichste Erwartungen verbunden dung, der Entscheidung und der Leistungserstel- werden. Allerdings haben diese inzwischen Di- lung in Politik, Staat und Verwaltung unter mensionen angenommen, die eher von Wunsch- intensiver Nutzung der Informationstechnik“1. denken als von rationaler Analyse zeugen. Trotz Den soziologischen Bezugspunkt dieses Ansatzes interessanter Ansätze und einiger respektabler bildet die Metapher von der digitalen Informati- Erfolge ist absehbar, dass sich viele der mit dem onsgesellschaft, in der zweckorientiertes Wissen neuen Paradigma des E-Government verbundenen zusammen mit den neuen IT als Mittel seiner Hoffnungen nicht erfüllen werden. Es besteht Bereitstellung einen zentralen Stellenwert ein- sogar die Gefahr, dass die überzogenen Erwartun- nimmt.2 In der öffentlichen Wahrnehmung wird gen in Enttäuschung umschlagen und einer pau- der Übergang in ein solches Stadium vor allem mit schalen Diskreditierung des E-Government Vor- der sprunghaft wachsenden Zahl der Internetnut- schub leisten. zer in Verbindung gebracht. Das Internet bildet zwar nicht die einzige, aber die wohl wichtigste technische Grundlage für die Informationsexplo- sion in der Alltagswelt, welche Anfang der neunzi- Dieser Beitrag soll ein Gegengewicht zur Ankün- ger Jahre zuerst in den USA und dann in allen digungsrhetorik von Politikern und zu den Hoch- anderen modernen Staaten einschließlich der Bun- glanzbroschüren von Unternehmensberatern set- desrepublik Deutschland einsetzte.3 zen, ohne die Potenziale des E-Government aus den Augen zu verlieren, die für die Fortentwick- lung des politisch-administrativen Systems der 1 Gesellschaft für Informatik (GI)/Verband der Elektro- technik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) (Hrsg.), Bundesrepublik und die Neuordnung seiner Electronic Government als Schlüssel zur Modernisierung von Schnittstellen zur Gesellschaft von zentraler Staat und Verwaltung. Ein Memorandum des Fachaus- Bedeutung sind. Dabei soll insbesondere gezeigt schusses Verwaltungsinformatik der GI und des Fachbe- werden, dass sich diese Potenziale erst dann reichs 1 der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE, Bonn – Frankfurt/M. 2000, S. 3. umfassend erschließen lassen, wenn man die 2 Näheres dazu bei Achim Bühl, Cyber Society, Köln 1996, Erwartungen zurückschraubt und die Förderung S. 24 ff.; Hans Kleinsteuber, Informationsgesellschaft – Ent- von E-Government als strategische Investition in stehung und Wandlung eines politischen Leitbegriffs der die Zukunft betrachtet. neunziger Jahre, in: Gegenwartskunde, (1997) 1, S. 41 ff., und Olaf Winkel, Informationsgesellschaft, in: Peter Eichhorn u. a. (Hrsg.), Verwaltungslexikon, Baden-Baden 2003, S. 500 ff. 3 Die zentralen Stärken des Internets basieren nicht zuletzt Zur Untermauerung dieser These werden zwei auf den Hyperlinks, die alle Teile der Netzwelt zu einem Einwände angeführt: Der erste nimmt Bezug auf interaktiv und multimedial ausgerichteten Ensemble von systemische Probleme, d. h. auf die Auswirkungen Kommunikationsoptionen verbinden. Technisch gesehen sind auch die virtuellen Portale, mit denen sich zahlreiche Ein- von strukturellen Zielkonflikten, wie sie auch in richtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen im anderen Modernisierungskontexten zutage getre- Internet präsentieren, nichts anderes als Websites, die in ein ten sind. Der zweite verweist auf Diffusionspro- komplexes Geflecht von Interaktionsoptionen eingebunden bleme, d. h. auf Widerstände und Engpässe bei der sind. Der Umstand, dass mit dem Internet ein offenes Netz existiert – eines, zu dem prinzipiell jeder jederzeit Zugang Realisierung von E-Government-Anwendungen, haben kann –, ist der wesentliche Unterschied zu der Situa- die aus der Komplexität der erforderlichen Inno- tion, wie man sie noch Anfang der neunziger Jahre in der vationen resultieren. Bundesrepublik vorgefunden hat. 7 Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004
Als Anwendungsfelder von E-Government lassen durchgängig und rechtsverbindlich auf der Basis sich Teleadministration, Telepartizipation und die digitaler Netze abgewickelt. Dabei setzt sich Reorganisation von Strukturen und Prozessen zunehmend die Überzeugung durch, dass es nur unterscheiden.4 dann sinnvoll ist, von E-Government zu sprechen, wenn auch Online-Transaktionen angeboten wer- d Teleadministration (Electronic Administration) den. Doch Anwendungen dieser Art sind bis heute steht für die IT-gestützte Abwicklung von Prozes- nur in Ausnahmefällen anzutreffen, weil ihre Rea- sen an der Schnittstelle von Verwaltung und Ver- lisierung mit immensem Aufwand verbunden ist. waltungsklientel (Bürger, Unternehmen), an der Schnittstelle von Verwaltung und ihren Geschäfts- Weitgehend einig ist man sich in der Auffassung, partnern (etwa im Ausschreibungs- und Beschaf- dass nicht allein die an das Internet angeschlosse- fungswesen) sowie in der gemeinsamen Aufgaben- nen Bürger von den Vorteilen des E-Government erfüllung, wie sie etwa in Public-Private- profitieren sollen. Um einer „digitalen Spaltung“ Partnership-Projekten praktiziert wird. der Verwaltungsklientel entgegenzuwirken, wird etwa für einen „Multikanalvertrieb von Verwal- d Telepartizipation (Electronic Democracy) tungsleistungen“ plädiert, der sich „auf die vier meint die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bür- Hauptkanäle Internet, Call-Center, mobiler Zu- gern an der politischen Willensbildung, welche gang und Bürgerläden in der Nachbarschaft“ stüt- idealtypisch in die Stufen der Aufnahme von In- zen kann.6 formationen, des Diskurses zum Abgleich von Pro- blemwahrnehmungen und Interessen sowie der Vollendung des Willensbildungsprozesses durch die politische Entscheidung unterteilt werden Erwartungen an das E-Government kann. d Reorganisation von Strukturen und Prozessen Das Spektrum der Erwartungen, die mit E-Govern- (organisatorisches Reengineering): Teleadminis- ment und den neuen IT als dessen Katalysator ver- tration und Telepartizipation wären ohne organisa- bunden werden, ist breit:7 torische Innovationen nicht denkbar. So wäre es d Effektivitätsverbesserungen: Die Wirkung poli- sinnlos, mittels eines Portals eine elektronische Schnittstelle zwischen einer Verwaltung und ihrer tisch-administrativen Handelns soll optimiert Umwelt zu schaffen, wenn eine überkommene werden, etwa durch den Aufbau IT-gestützter Organisation diese Schnittstelle nicht bedienen Informations- und Berichtssysteme für die Verwal- kann. Während in den Feldern der Teleadminis- 6 Vgl. GI/VDE (Anm. 1), S. 13. tration und der Telepartizipation die Potenziale 7 Näheres dazu bei Initiative D 21 (Hrsg.), Mit Internet gefragt sind, welche die IT als Kommunikations- Staat machen, Berlin 2002; vgl. auch Bertelsmann Stiftung und Kooperationsmittel bieten, kommt es im Rah- (Hrsg.), Balanced E-Government, Gütersloh 2002; Stefan men des organisatorischen Reengineering vor Friedrichs u. a., „Balanced E-Government“: Visionen und Prozesse zwischen Bürgernähe und Verwaltungsmodernisie- allem darauf an, die IT als „Enabler“ für neuartige rung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39 –40/2002, Konzepte, d. h. als Organisationsmittel, produktiv S. 12 ff.; Horst Geschka, Der vernetzte Bürger, in: Walter zu machen. Gora/Harald Bauer (Hrsg.), Virtuelle Organisationen im Zeitalter von E-Business und E-Government, Berlin u. a. Die drei Anwendungen von E-Government kön- 2001, S. 123 ff.; GI/VDE (Anm. 1), S. 7ff; Franz-Reinhard nen in drei unterschiedlichen Qualitäten realisiert Habbel, Die elektronische Demokratie, in: Peter Blaschke u. a. (Hrsg.), E-Public, Berlin u. a. 2002, S. 49 ff.; Brigitte Zy- werden:5 als digitale Informationsbereitstellung, pries, Bund Online 2005 – auf dem Weg zum dienstleistungs- als netzbasierte Kommunikation und als Online- orientierten modernen Staat, in: ebd., S. 43 ff.; Stephan Jan- Transaktion. Auf der Ebene der Information sen/Birger Priddat, Electronic Government, Stuttgart 2001, beschränken sich die Anwendungen auf die digi- insb. S. 15 ff. und S. 91 ff.; Koordinationsgruppe Informa- tionsgesellschaft KIG (Hrsg.), Guichet Virtuel – Der elek- tale Bereitstellung relevanten Wissens ohne Rück- tronische Weg zu Verwaltung, Parlament und Gericht, Biel kopplungsmöglichkeit, auf der Ebene der Kommu- 2000, S. 8 ff.; Willy Landsberg, Electronic Government aus nikation wird die Informationsbereitstellung mit Sicht der Verwaltung – Gründe, Ziele und Rahmen- einer Rückkopplungsmöglichkeit kombiniert, und bedingungen, in: Heinrich Reinermann/Jörn von Lucke (Hrsg.), Electronic Government in Deutschland, Speyer auf der Ebene der Transaktion werden Prozesse 2002, S. 20 ff.; Wolfgang Naujokat/Bernd Eufinger, Electronic Government aus der Sicht der Wirtschaft – Ein Erfahrungs- 4 Dies und das Folgende nach Olaf Winkel, E-Government bericht, in: ebd., S. 46 ff.; Olaf Winkel, Die Kontroverse um – die Konturen zeichnen sich immer deutlicher ab, in: Ver- die demokratischen Potenziale der interaktiven Informa- waltung & Management, (2004) 2, S. 10 ff. tionstechnologie – Positionen und Perspektiven, in: Pub- 5 Vgl. ebd., S. 15 ff. lizistik, (2001) 2, S. 142 ff. 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tungssteuerung oder durch die internetbasierte ausgerichtete Verwaltung wegen ihrer bürokratie- Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die bedingten Schwerfälligkeit und ihres hohen Res- Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme. sourcenverbrauchs immer stärker in die Kritik gerät, sollen auf der Basis der neuen IT effektivere d Effizienzgewinne: Die Wirtschaftlichkeit des und effizientere Wege zur Aufrechterhaltung von politisch-administrativen Handelns soll gesteigert Legalität gefunden werden. Im Mittelpunkt stehen werden. Das soll nicht nur durch die Verlagerung Auditsysteme, Dokumentenmanagement- und des Front-Office der Verwaltung auf den PC des Workflowmanagementsysteme als Kontroll- und Bürgers ermöglicht werden, sondern insbesondere Dokumentationsmittel im Verwaltungsverfahren. durch die Beseitigung von Medienbrüchen und die Optimierung von Wertschöpfungsketten unter In der Zusammensicht drängt sich der Eindruck Nutzung von IT als Organisationsmittel in und zwi- auf, dass mit dem neuen Paradigma des E-Govern- schen Verwaltungen. ment eigentlich alle Ziele verbunden werden, die d Verbesserung des Bürgerservices: Die Verwal- man in der Vergangenheit mit den unterschied- tung soll den Bedürfnissen der Bürgerinnen und lichsten Modernisierungsansätzen zu realisieren Bürger durch neue Formen der Leistungsbereit- suchte: Man denke etwa an die Einführung des stellung besser Rechnung tragen. In diesem Bürokratiemodells als zentrale Verwaltungsinno- Zusammenhang ist von „Non-Stop-Government“ vation des 19. Jahrhunderts, an das Bürgeramt und die Rede, das die öffentliche Verwaltung auf einen das Neue Steuerungsmodell als wirkmächtige Leit- 24-Stunden-Service verpflichten will, oder von vorstellungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts „One-Stop-Government“, das darauf abzielt, Ver- oder an die neuen Ansätze von Public Gover- waltungsleistungen aus einer Hand bereitzustellen nance, Aktivbürgerschaft und Bürgerkommune. und die digitalen Bürgerdienste den Adressaten Es ist kaum möglich, in diesen Konzepten Ziel- über so genannte Lebenslagenportale zugänglich setzungen zu finden, die ein Protagonist von E- zu machen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Government heute nicht auch für sich reklamiert.8 sie Dienstleistungen für individuelle Lebenslagen wie Geburt, Einschulung, Wehrdienst, Berufsbe- Eine umfassende Erwartungshaltung kommt auch ginn, Arbeitslosigkeit, Selbständigkeit, Hausbau im Memorandum zum E-Government zum Aus- oder Ruhestand gebündelt anbieten. druck. Dort heißt es: „Das Zielspektrum der Ver- waltungsmodernisierung (ist) sehr vielfältig. Es d Erhöhung der Transparenz und Responsivität geht nicht nur um die Verbesserung von Effizienz des politisch-administrativen Handelns: Die Mög- bzw. Produktivität, sondern auch um eine Reihe lichkeiten der Netzkommunikation sollen genutzt weiterer Ziele wie Effektivität, Transparenz, werden, um die Bürgerschaft auf den Stufen der Rechenschaftslegung oder Ausfallsicherheit in Information und des Diskurses verstärkt in die Notlagen (. . .). Über die Steigerung von Effizienz demokratische Willensbildung einzubeziehen. Da- hinaus können alle wünschenswerten Ziele der mit sollen politische und administrative Prozesse Modernisierung von Staat und Verwaltung geför- transparenter gemacht und Rückkopplungen zwi- dert werden. Vor allem der Effektivität und der schen Repräsentanten und Repräsentierten inten- Transparenz der staatlichen Leistungserstellung siviert werden. sowie der Förderung demokratischer Mitwirkung d Verbesserung der Legitimität und Akzeptanz kann dies zugute kommen. (. . .) Auch die Service- des politisch-administrativen Handelns: Die Poten- qualität des staatlichen Handelns kann verbessert ziale der IT sollen genutzt werden, um die Bürger- werden, wobei besonders zu betonen ist, dass Elec- schaft auf der Entscheidungsebene stärker als tronic Government keinen Abbau von menschli- bisher an der politischen Willensbildung zu beteili- chem Kontakt in der Interaktion zwischen Bürger gen. und Verwaltung bedeuten muss (. . .). Zum ande- ren produziert die Verwaltung Leistungen ganz d Verbesserung von Arbeitsbedingungen: Im unterschiedlichen Charakters (. . .). Hierauf bezo- Interesse der Verwaltungsmitarbeiter soll es im Rahmen des organisatorischen Reengineering zu 8 Dass mit E-Government Rationalisierungsziele und Par- einer Reintegration fragmentierter Aufgabenzu- tizipationsziele gleichermaßen verbunden werden, zeigt sich schnitte kommen, so dass sich Effekte einstellen, im Konzept des „Balanced E-Government“, für das die Ber- telsmann Stiftung steht, besonders deutlich. Darin wird die wie sie etwa mit den Begriffen Job-Enlargement Herbeiführung eines ausgewogenen Verhältnisses von Effek- und Job-Enrichment verbunden werden. tivität und Effizienz auf der Ebene der Arbeitsorganisation und von Transparenz und Partizipation auf der Ebene der d Sicherung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungs- Politik explizit zum Programm erhoben. Vgl. Bertelsmann handelns: In einer Zeit, in der die rechtsförmig Stiftung (ebd.), und S. Friedrichs u. a. (ebd.), S. 12 ff. 9 Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004
gen ergeben sich geradezu dramatische Verbes- spielig sind. Spannungen zwischen Legalität und serungsmöglichkeiten der Organisation dieser Effizienz hingegen kommen schon darin zum Aus- Dienstleistungen. Viel Dispositionsarbeit kann druck, dass die Gewährleistung der Rechtmäßig- entfallen, die erforderlichen rechtlichen und fak- keit des Verwaltungshandelns unterschiedlicher tenbezogenen Informationen sind leichter erreich- Mechanismen bedarf, die mit hohem Aufwand bar.“9 verbunden sind. Man denke etwa an das Prinzip der hierarchischen Kontrolle, das teure Doppelar- beiten mit sich bringt, an das Prinzip der Akten- mäßigkeit und Schriftlichkeit, das umfassende Systemische Probleme Dokumentationsverfahren impliziert, oder an die Notwendigkeit, für alle Phasen der Verwaltungstä- tigkeit juristischen Sachverstand verfügbar zu hal- Doch gerade an dem Umstand, dass das Spektrum ten, der ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben ist. der mit E-Government verbundenen Hoffnungen so breit wie bisher noch bei keinem anderen Ferner konkurrieren diese Ziele mit Akteursinte- Modernisierungsansatz ist, setzt der erste Einwand ressen, die auf Ressourcensicherung, Machterhalt zur Untermauerung meiner These an, nach der die oder Wiederwahl gerichtet sein können. So kann Erwartungen überzogen sind, die mit diesem Para- das Ziel der Bürgerpartizipation mit den Machtin- digma verbunden werden. teressen professioneller Politiker in Widerspruch geraten, und das Ziel einer effizienteren Mittelver- Wer davon ausgeht, dass ein Reformmodell unter wendung kann mit Ressourcensicherungsinteres- Aspekten der Effektivität, der Effizienz, des Bür- sen von Verwaltungsbürokratien konfligieren. Die gerservice, der Bürgerpartizipation und der Mit- neuen IT sind nicht in der Lage, diese Konkurrenz- arbeiterfreundlichkeit gleichermaßen durchgrei- beziehungen aufzulösen. Sie eröffnen lediglich fende Verbesserungen in Aussicht stellen kann, Spielräume, um in Problemfällen Lösungswege zu übersieht einen wesentlichen Punkt: Die Bezie- finden, welche die unterschiedlichen Rationali- hungen zwischen diesen Zielen sind durch Ziel- täten und Interessen besser als bisher auf einen konflikte geprägt, die auf einer systemischen gemeinsamen Nenner bringen, gleichwohl im Hin- Ebene liegen und damit letztlich unauflösbar blick auf einzelne Ziele aber immer suboptimal sind.10 bleiben müssen. Dies gilt etwa für das Verhältnis von politischer Partizipation und Effizienz. Das Konfliktpotenzial Darüber hinaus wirkt sich noch ein weiterer ist altbekannt: Wer mehr Partizipation will, muss Umstand problematisch aus: Zielkonflikte nehmen bedenken, dass Partizipationsverfahren einen mit der Verbreitung der neuen IT tendenziell nicht hohen Aufwand an Zeit und Geld verursachen ab, sondern sie verschärfen sich sogar. Denn wo können. Und natürlich lässt sich niemals ausschlie- überkommene technische Gestaltungsrestriktio- ßen, dass partizipativ angelegte Entscheidungspro- nen an Bedeutung verlieren, ergibt sich die Mög- zesse Lösungen hervorbringen, die ebenfalls kost- lichkeit, ein spezielles Ziel effektiver als in der Vergangenheit zu verfolgen. Doch wenn von die- 9 GI/VDE (Anm. 1), S. 7 f. ser Möglichkeit konsequent Gebrauch gemacht 10 Auf den Umstand, dass öffentliches Handeln unter- wird, obwohl das präferierte Ziel zu einem ande- schiedlichen Referenzsystemen unterworfen ist, hat Claus ren in einem Konkurrenzverhältnis steht, bedeutet Offe schon Mitte der siebziger Jahre hingewiesen: Rationali- das natürlich auch, dass an anderer Stelle Rück- tätskriterien und Funktionsprobleme politisch-adminis- trativen Handelns, in: Leviathan, (1974) 1, S. 344; vgl. auch schritte hingenommen werden müssen.11 Bernd Becker, Entscheidungen in der öffentlichen Verwal- tung, in: Klaus König/Heinrich Siedentopf (Hrsg.), Öffent- 11 Hier ist festzustellen, dass sich die virtuelle Welt der liche Verwaltung in Deutschland, Baden-Baden 1997, S. 439. Netze von der so genannten realen Welt auch darin unter- Besonders deutlich wird dies auf der für die Fortentwicklung scheidet, dass nicht mehr das Sowohl-als-auch, sondern das des E-Government zentralen Ebene der kommunalen Entweder-oder zur vorherrschenden Strukturbeziehung wird. Selbstverwaltung, deren Einrichtungen sich als politische Erstmals offenbar wurde dieser Umstand in der so genannten Organisationen und als Arbeitsorganisationen gleichermaßen Kryptokontroverse, die 1993 in den USA ihren Ausgang bewähren müssen. Näheres dazu bei Jörg Bogumil, Moder- nahm und Mitte der neunziger Jahre auf Europa und andere nisierung lokaler Politik, Baden-Baden 2002, insb. S. 34 ff.; Teile der Welt übergriff. Hier standen sich zwei Lager gegen- Martin Brüggemeier, Controlling in der öffentlichen Verwal- über: Die Anhänger des einen wollten die vertraulichkeits- tung, München 1998, S. 307 f.; ders./Manfred Röber, Stand schützende Verschlüsselung im Interesse der Aufrechter- und Entwicklung der Arbeitsorganisation im öffentlichen haltung staatlicher Ordnungs- und Sanktionspotenziale Dienst – auf dem Weg zu einem neuen Produktionsregime?, verhindern oder reglementieren, die Anhänger des anderen in: Rainer Koch/Peter Conrad (Hrsg.), New Public Service, ihre umfassende und dauerhafte Freigabe im Interesse der Wiesbaden 2003, S. 136 f. Verteidigung bürgerlicher Freiräume sicherstellen. Wäre es Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004 10
Man muss also davon ausgehen, dass die fort- Die technische Ebene schreitende Digitalisierung von Interaktionsbezie- Um E-Government zu ermöglichen, muss gewähr- hungen im Dreieck von Politik, Verwaltung und leistet sein, dass die Verwaltungsklientel – also Gesellschaft nicht nur dazu führen wird, dass die Bürger und Unternehmen – über IT-Ausstattun- Spielräume zum Ausgleich von Zielkonflikten gen bzw. -Zugänge verfügen. Nichts anderes gilt immer mehr zunehmen, sondern auch die Zielkon- natürlich für die Verwaltungsmitarbeiter und die flikte, welche innerhalb dieser Spielräume zu lösen Politiker, die in entsprechende Projekte einbezo- sind. In dem Maße, wie diese Aspekte unterschätzt gen werden sollen. Ferner muss eine Transaktions- werden, werden die Möglichkeiten von E-Govern- infrastruktur gegeben sein, auf deren Basis die ment überschätzt. Beteiligten kooperieren können.13 Die Komponen- ten einer solchen Infrastruktur sind ein System zur Organisation von Eingängen und Ausgängen, Diffusionsprobleme Electronic Data Interchange für die Abwicklung von Geschäftsprozessen, eine digitale Signatur zur Sicherstellung der Authentizität von Kommunika- Der zweite Einwand resultiert aus der Überlegung, tionspartnern und der Integrität von übermittelten dass die Potenziale von E-Government nicht nur Willenserklärungen, eine Verschlüsselungsfunk- aus systemischen Gründen geringer sind, als tion (Konzelation) zum Vertraulichkeitsschutz, ein gemeinhin angenommen wird, sondern zudem nur Payment-System zur Abwicklung von Zahlungs- unter spezifischen Bedingungen und oft nur mit vorgängen bei kostenpflichtigen Verwaltungsleis- hohem Aufwand realisiert werden können. Denn tungen und eine Firewall, die Schutz vor Compu- hier ist eine breite Palette von Diffusionsparame- terviren und -würmern bietet. Und schließlich tern zu berücksichtigen, die Bereiche markieren, muss auch für die Interoperabilität der Verfahren deren Vernachlässigung schon jeweils für sich gesorgt sein, die an den Schnittstellen von poli- allein Ursache für das Scheitern eines E-Govern- tisch-administrativem System und Gesellschaft ment-Projektes sein kann. Unter Diffusionspara- und insbesondere im Front-Office und im Back- metern sind miteinander vernetzte Faktoren zu Office der Verwaltung eingesetzt werden.14 Dies verstehen, die über Erfolg oder Misserfolg ent- erfordert die Zusammenführung unterschiedlicher sprechender Vorhaben entscheiden. Hier wird technischer Systeme bzw. die Beseitigung von davon ausgegangen, dass die wichtigsten Diffusi- Medienbrüchen. onsparameter auf den Ebenen der Technik, der Organisation, des Wissens, der Kultur, des Rechts, Die Schwierigkeit besteht darin, dass zur Gewähr- der Finanzen, des Nutzens, des Managements, der leistung der technischen Voraussetzungen ein konzeptioneller Einbindung und der Politik ange- immenser Aufwand betrieben werden muss. So siedelt sind.12 brauchen die Bürger für die Nutzung von E- Government-Anwendungen mit Transaktionskom- gelungen, eine strikte Reglementierung rechtlich und gesell- ponenten nicht nur einen PC mit Internetzugang, schaftlich durchzusetzen, hätte dies nicht weniger als die Aufgabe liberaler Freiräume in der digitalen Informations- sondern auch die Hard- und Software für die digi- gesellschaft nach sich ziehen können. Sollte es dagegen bei der freien Verfügbarkeit von vertraulichkeitsschützender virtueller Rathäuser zu beachten ist, Berlin 2002; Jörn von Verschlüsselung bleiben, müssten Ordnungsinstanzen wie Lucke, Barrieren des E-Government in Deutschland – Ur- Staaten oder internationale Organisationen in der Netzwelt sachen und Ansätze zur Überwindung aus Sicht der Wissen- auch zukünftig außen vor bleiben, so dass kriminelle und schaft, in: H. Reinermann/ders. (Anm. 7), S. 68 ff.; W. Naujo- verfassungsfeindliche Inhalte dort weiterhin ungehindert kat/B. Eufinger (Anm. 7), S. 94 ff.; Heinrich Reinermann, verbreitet werden können. Ein Weg zwischen den Ex- Transformation zu Electronic Government, in: ders./J. v. trempositionen ist nicht in Sicht. Der Vorschlag, eine so ge- Lucke (Anm. 7), S. 104 ff. Vgl. auch Bertelsmann Stiftung nannte Treuhandlösung zu implementieren, bei der Schlüs- (Hrsg.), Zehn-Punkte-Plan für gutes E-Government, Güters- selduplikate hinterlegt und auf richterliche Anordnung zum loh 2002, und Martin Hagen, Ein Referenzmodell für Online- Zwecke der Strafverfolgung an die Ordnungsbehörden aus- Transaktionssysteme im Electronic Government, München gehändigt werden, um ein System von Checks and Balances 2001, S. 259 ff. zu schaffen, das Kompromisse zulässt, scheiterte nicht erst an 13 Vgl. M. Hagen (ebd.), insb. S. 243 ff. Zu den spezifischen dem undurchsichtigen kryptopolitischen Kurs der US-Regie- Voraussetzungen internetbasierter Wahlen und Ab- rung, sondern schlicht wegen mangelnder Praktikabilität. stimmungen siehe Martin Will, Internetwahlen, Stuttgart u. a. Näheres dazu bei Olaf Winkel, Private Verschlüsselung als 2002, S. 23 ff. Anm. der Redaktion: Vgl. auch den Text von öffentliches Problem, in: Leviathan, (1997) 4, S. 567 ff. Norbert Kersting in diesem Heft. 12 Vergleichbare Darstellungen, denen andere Systemati- 14 Vgl. Christiane Gernert, Architektur als zentrale Auf- sierungen und Schwerpunktsetzungen zugrunde liegen, fin- gabe in heterogenen IT-Systemen, in: Hans-Jürgen Lüttich/ den sich bei Bundesministerium für Wirtschaft und Techno- Claus Rautenstrauch (Hrsg.), Verwaltungsinformatik 2000, logie (Hrsg.), Erfolgsfaktoren – Was bei der Gestaltung Halle/Saale 2000, S. 47 ff. 11 Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004
tale Signatur. Die Schaffung der Transaktionsin- dahinter stehenden Organisationen haben. Die frastruktur ist ein sehr anspruchsvolles Projekt, Verwaltungsmitarbeiter müssen neben technischen was insbesondere im Hinblick auf die digitale Fertigkeiten in dem Maße zusätzliche Fachkompe- Signatur, die Konzelationsfunktion und die Pay- tenzen erwerben, wie das organisatorische Reengi- mentfunktion gilt, weil deren Realisierung den neering zur Veränderung von Aufgabenzuschnit- Aufbau einer sehr aufwändigen Public-Key-Infra- ten und zur Anreicherung von Arbeitsinhalten struktur voraussetzt. Und so ist auch die Zu- führt. Dort, wo es darum geht, Bürger an die sammenführung der IT-Systeme, die von den neuen Instrumente heranzuführen oder diese stell- Beteiligten eingesetzt werden, eine kaum zu über- vertretend für sie zu nutzen, muss auch die soziale schätzende technische Herausforderung, weil Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter gestärkt heute die unterschiedlichsten Systeme anzutreffen werden. Schließlich ergibt sich auch auf Seiten der sind, die nur mit hohem Programmieraufwand ver- Politiker, die sich auf E-Government einlassen bunden werden können. wollen, ein über den Erwerb technischen Wissens hinausgehender Lernbedarf. Denn ein kontinuier- Die organisatorische Ebene licher Kontakt mit besser informierten und unter- einander vernetzten Bürgern stellt höhere Anfor- Was die Organisation betrifft, ist noch einmal zu derungen an ihr Fachwissen und ihre soziale unterstreichen, dass sich Teleadministration und Kompetenz. Telepartizipation nur dort realisieren lassen, wo die Organisationsstrukturen in der erforderlichen Was die Überwindung der auf der Wissensebene Weise neu geordnet worden sind. Gelingen kann liegenden Probleme erschwert, ist der Umstand, dies wiederum nur unter Orientierung an neuen dass sich der Lernbedarf in einer Situation ergibt, Rationalisierungsparadigmen, wie sie sich in den in der man sich auf Seiten von Politik, Verwaltung, letzten 20 Jahren in der Wirtschaft verbreitet Bürgern und Unternehmen schon seit geraumer haben.15 Dort war eine Abkehr von der tayloristi- Zeit mit immer neuen Anforderungen konfrontiert schen Produktion in zentralistischen Strukturen sieht, deren Bewältigung zusätzliches Lernen und eine Hinwendung zur diversifizierten Quali- erforderlich macht. Man denke hier etwa an einen tätsproduktion in Teamarbeit zu beobachten. Verwaltungsmitarbeiter, der in der Vergangenheit in die Einführung von Instrumenten des Neuen In diesem Zusammenhang ergibt sich das schlichte Steuerungsmodells involviert war und der nun auf- Problem, dass die Integration und Optimierung gefordert wird, sich in die Prozesse zur Implemen- von Strukturen und Prozessen eine Herkulesauf- tation von E-Government einzubringen und sich gabe darstellt, an der man schon bei der Einfüh- die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten rung von Instrumenten des New Public Manage- möglichst umgehend anzueignen. In einem solchen ment bzw. des Neuen Steuerungsmodells als seiner Fall reicht es nicht aus, Lernbereitschaft lediglich deutschen Variante vielerorts gescheitert ist. zu unterstellen oder zu postulieren, sie muss gezielt stimuliert, gefördert und belohnt werden. Die Wissensebene Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass Zu Recht wird unterstrichen, dass alle Seiten – Offenheit und Lernbereitschaft, wie sie für die Bürgerschaft, Unternehmen, Verwaltungsmitarbei- Entwicklung und den Erwerb des zur Einführung ter und Politiker – bei der Einführung von E- von E-Government erforderlichen Wissens unab- Government neue technische Kenntnisse erwer- dingbar sind, spezielle Bedingungen auf der kultu- ben müssen. Der Lern- und Qualifikationsbedarf rellen Ebene voraussetzen, die sich nicht beliebig ist damit aber noch nicht erschöpfend beschrieben. erzeugen und abrufen lassen. So müssen die Bürger zumindest dort, wo der hei- mische PC gewissermaßen zum Front-Office der Die kulturelle Ebene Verwaltung werden soll, ein Mindestmaß an Ver- Hier entscheidet sich nicht nur die Frage der Lern- waltungskompetenz entwickeln. Denn es ist zu bereitschaft, sondern auch die generelle Frage, ob vermuten, dass selbst das beste Internetportal in man auf Seiten der Bürger, der Unternehmen, der vielen Aufgabenbereichen kaum weiterhelfen Verwaltungsmitarbeiter und der Politiker den Wil- kann, wenn die darauf Zugreifenden keinerlei Vor- len aufbringt, sich auf die im Rahmen von E- stellung von den Funktionen und Abläufen der Government erforderlichen Innovationen einzu- lassen. Einen wichtigen Teilaspekt stellt die Ent- 15 Vgl. etwa M. Brüggemeier/M. Röber (Anm. 10), S. 124 ff., oder Olaf Winkel, Bürgerpartizipation – Nachfrage wicklung von Vertrauen dar. Denn ein soziotechni- ohne Angebot?, in: Hans-Herbert von Arnim (Hrsg.), De- sches System, dem nicht vertraut wird, kann die mokratie vor neuen Herausforderungen, Berlin 1999, S. 82 ff. ihm zugedachten sozialen Funktionen ebenso Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 / 2004 12
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