AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - BPB

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Beilage zur Wochenzeitung

            26. April 2004

Aus Politik
und Zeitgeschichte
3 Andreas Bauer Essay
            E-Demokratie ± neue Bçrgernåhe oder virtuelle
            Luftblase?

7 Olaf Winkel
            Zukunftsperspektive Electronic Government

16 Norbert Kersting
            Online-Wahlen im internationalen Vergleich

24 Wolfgang H. Lorig
            ¹Good Governanceª und ¹Public Service Ethicsª
            Amtsprinzip und Amtsverantwortung im elektronischen Zeitalter

                                                           B 18/2004
Editorial                               n Bereits 2010, so die Prognose,
          Herausgegeben von                                                     kænnen die Wahlberechtigten ihre
          der Bundeszentrale                                                    Stimmen fçr die Bundestagswahl im
          fçr politische Bildung        n Bei der Eræffnung der Computer-       Internet abgeben. Erste Versuche
          Adenauerallee 86              messe CeBIT im Mårz 2004 in Han-        mit E-Voting sind bei Personalrats-
          53113 Bonn.                   nover kçndigte Bundeskanzler Ger-       und Studierendenparlamentswahlen
                                        hard Schræder an, dass mit der          positiv verlaufen. Allerdings, so
Redaktion:                              Initiative ¹BundOnlineª bis Ende        Andreas Bauer in seinem Essay,
Dr. Katharina Belwe                     nåchsten Jahres die Voraussetzun-       sollte man sich davor hçten, das
Dr. Hans-Georg Golz                     gen fçr die flåchendeckende Bereit-     Internet als Allheilmittel gegen Poli-
(verantwortlich fçr diese Ausgabe)      stellung æffentlicher Dienstleistun-    tikverdrossenheit und geringe Wahl-
Dr. Ludwig Watzal                       gen geschaffen werden sollen. So        beteiligungen zu betrachten. Es
Hans G. Bauer                           wird es etwa mæglich sein, mittels      bestehe bei aller Attraktivitåt insbe-
Telefon: (0 18 88) 5 15-0               einer E-Card Rechtsgeschåfte online     sondere fçr Erst- und Jungwåhler
                                        abzuwickeln und Dokumente elek-         die Gefahr, dass Politikprozesse im
Internet:                                                                       Internet nur die oft beklagte
                                        tronisch zu signieren. Alle internet-
www.bpb.de/publikationen/apuz                                                   Zuschauerdemokratie widerspie-
                                        fåhigen Dienstleistungen des Bun-
E-Mail: apuz@bpb.de                                                             geln, wie der Soziologe Claus Leg-
                                        des sollen bis 2005 im Netz zur
Druck:                                  Verfçgung stehen. Im Kern wird E-       gewie im Interview mit Bauer unter-
Frankfurter Societåts-Druckerei GmbH,   Government als elektronisches           streicht.
60268 Frankfurt am Main                 Regierungs- und Verwaltungshan-
                                        deln verstanden, das Transparenz        n Auch Olaf Winkel warnt davor,
Vertrieb und Leserservice:
                                        und Effizienz stårkt.                   mit dem Konzept des E-Govern-
Die Vertriebsabteilung
                                                                                ment bzw. der E-Demokratie allzu
der Wochenzeitung                  ,    n Die E-Government-Initiative           hohe Erwartungen zu verbinden.
Frankenallee 71 ± 81,                   ¹Deutschland-Onlineª von Bund,          Anhand einer Feinanalyse der Bedin-
60327 Frankfurt am Main,                Låndern und Kommunen soll die           gungen, unter denen E-Government
Telefon (0 69) 75 01-42 53,             bisher noch recht heterogene IT-        funktionieren und çberdies demo-
Telefax (0 69) 75 01-45 02,             Landschaft harmonisieren, die Inter-    kratiefærdernd wirken kann, rçckt er
E-Mail: parlament@fsd.de,               netportale vernetzen sowie gemein-      dessen Mæglichkeiten und Grenzen
nimmt entgegen:                         same Infrastrukturen zur Erleichte-     ins Bewusstsein. Norbert Kersting
* Nachforderungen der Beilage           rung des Datenaustauschs schaffen.      gelangt in einem Vergleich von
Aus Politik und Zeitgeschichte          Das Auûenwirtschaftsportal iXPOS        Online-Wahlen in Deutschland,
                                        zum Beispiel stellt eine von Unter-     Ústerreich und der Schweiz zu dem
* Abonnementsbestellungen der
                                        nehmen bereits stark nachgefragte       Befund, dass nationale Regelungen
Wochenzeitung
                                        Wissensplattform zu Branchen und        zur Briefwahl (und zur Wahrung des
einschlieûlich Beilage zum Preis
                                        Mårkten dar, wie Martin Schall-         Wahlgeheimnisses) fçr deren Imple-
von Euro 9,57 vierteljåhrlich,
                                        bruch, IT-Direktor im Bundesinnen-      mentation entscheidend sind. Eine
Jahresvorzugspreis Euro 34,90
                                        ministerium, anlåsslich der CeBIT       deutliche Zunahme der Wahlbeteili-
einschlieûlich Mehrwertsteuer;
                                        hervorhob. Neue Serviceangebote         gung sei aber nicht zu erwarten.
Kçndigung drei Wochen vor Ablauf
                                        von Behærden und Verwaltungen
des Berechnungszeitraumes;
                                        flieûen in die Standortentscheidung     n Wolfgang Lorig richtet den Blick
* Bestellungen von Sammel-              von Unternehmen ein, so eine im         auf Amtsprinzip und -verantwor-
mappen fçr die Beilage                  vergangenen Herbst veræffentlichte      tung im elektronischen Zeitalter.
zum Preis von Euro 3,58                 Studie aus Nordrhein-Westfalen: Die     Gutes E-Government bzw. ¹Good
zuzçglich Verpackungskosten,            Hålfte der befragten Unternehmen        Governanceª setzen Aspekte der
Portokosten und Mehrwertsteuer.         rechnet mit nennenswerten Einspa-       Verwaltungsmodernisierung mit
Die Veræffentlichungen                  rungen durch E-Government.              demokratischer Teilhabe zueinander
in der Beilage                          n Doch E-Government erschæpft           in Bezug. Das Nachdenken çber
Aus Politik und Zeitgeschichte          sich nicht in Verwaltungsmoderni-       Ethik-Kataloge fçr æffentliche Amts-
stellen keine Meinungsåuûerung          sierung. Das weltweite Netz bietet      inhaber belegt, dass ± auch wenn
des Herausgebers dar;                   eine unçbersehbare Fçlle von Infor-     elektronische Kontroll- und Respon-
sie dienen lediglich der                mations- und demokratischen Parti-      sivitåtsstrukturen installiert sind ±
Unterrichtung und Urteilsbildung.       zipationsmæglichkeiten, die es zu       Herrschaft als anvertrautes Amt nur
Fçr Unterrichtszwecke dçrfen            nutzen gilt. Am Ende kænnte, so die     mæglich ist, wenn verantwortliche
Kopien in Klassensatzstårke             Projektgruppe E-Government der          Personen agieren, die das auf Zeit
hergestellt werden.                     Bertelsmann Stiftung, eine demo-        çbertragene Amt im Sinne des
                                        kratische Bçrgergesellschaft stehen,    Gemeinwohls ausçben.
                                        in der Bçrgerinnen und Bçrger Mit-
ISSN 0479-611 X
                                        arbeiter und Gestalter der Staatsmo-
                                        dernisierung sind.                      Hans-Georg Golz                     n
Andreas Bauer

                  E-Demokratie – neue Bürgernähe
                     oder virtuelle Luftblase?

Am 29. August 2002 stellte die „Harald-Schmidt-        ren. Möchte man bei www.frankfurt.de ein
Show“ den „Wahlomaten“ vor: eine von der Bun-          Gewerbe anmelden, hilft EVA, die Elektronische
deszentrale für politische Bildung entwickelte         Verwaltungsassistentin. Welche Unterlagen brau-
Internet-Seite, die in der Ästhetik eines orangefar-   che ich? Was kostet das? Kryptische Formulare
benen Fahrkartenautomaten die Antworten seiner         werden interaktiv: EVA antwortet. Selbst die
Benutzer mit den Programmen der einzelnen poli-        leicht frivole Frage nach einem romantischen
tischen Parteien vergleicht und Wahlempfehlun-         Abendessen zu zweit weiß sie zu kontern: „Wenn
gen ausspricht. Die Vorstellung des „Wahlomaten“       ich alle Anfragen nach Rendezvous erfüllen
ausgerechnet bei Harald Schmidt war nicht nur          würde, käme ich kaum noch zum Arbeiten“, ant-
unterhaltsam. Sie animierte auch viele Zuschauer,      wortet sie kühl. Wohl wahr: Rund 8,5 Millionen
es selbst einmal zu versuchen. Als die letzten         Klicks zählt das Online-Angebot der Stadt Frank-
Lacher im Kölner Fernsehstudio verklungen              furt am Main pro Monat.
waren, hatte der Server des „Wahlomaten“ zeit-
weise Probleme, die Menge der Online-Zugriffe          Das dürfte auch ein Zeichen für die Akzeptanz
zu verarbeiten. Bis zur Bundestagswahl am 22.          des digitalen Rathauses sein. Nicht nur in der
September 2002 sollte das Programm schließlich         Mainmetropole wird es immer realer. Fast jede
insgesamt 3,6 Millionen Wahlempfehlungen aus-          Stadt oder Gemeinde in Deutschland ist in-
sprechen. Politik in Zeiten des Internets: Elektro-    zwischen online. Großen Anteil daran hat
nische Demokratie?                                     Media@Komm, eine Initiative, mit der die Bun-
                                                       desregierung im Jahr 1998 begann, den Einsatz
Der Begriff Elektronische Demokratie, kurz: E-
                                                       von Multimedia in den kommunalen Verwaltun-
Demokratie, „fasst alle Maßnahmen zusammen,
                                                       gen zu fördern. Aus dieser Initiative haben sich
bei denen Internettechnologien eingesetzt werden,
                                                       inzwischen 20 besonders fortgeschrittene Städte
um Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche demo-
                                                       herauskristallisiert, die als Transferkommunen ihr
kratische Mitbestimmungs- und Gestaltungsmög-
                                                       Wissen den anderen zur Verfügung stellen. Bre-
lichkeiten einzuräumen“, heißt es auf der Internet-
                                                       men ist besonders weit. Im Juli 2003 erhielt die
Seite des Bundesinnenministeriums. Wenn von E-
                                                       Hansestadt den E-Government-Award: die höchs-
Demokratie gesprochen wird, dann oft auch von
                                                       te E-Government-Auszeichnung Europas.
E-Government. Manchmal werden beide Begriffe
synonym benutzt. E-Demokratie zielt auf demo-
                                                       Noch liegen die Schwerpunkte der Internet-Ange-
kratische Partizipation, E-Government, virtuelles
                                                       bote auf Information und einfachen Dienstleistun-
Regieren, auf Service, Bürgernähe und Verwal-
                                                       gen, weniger auf politischen Beteiligungsmöglich-
tungsmodernisierung. Nach einer Definition der
                                                       keiten und der Verarbeitung sensibler Daten.
Deutschen Hochschule für Verwaltungswissen-
                                                       Denn um wirklich effizient mit den Bürgerinnen
schaften in Speyer bezeichnet E-Government „die
                                                       und Bürgern zu kommunizieren, fehlen oft noch
Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusam-
                                                       die Voraussetzungen innerhalb der Verwaltung.
menhang mit Regieren und Verwalten (Govern-
                                                       Auch auf Länderebene gibt es noch Nachholbe-
ment) mit Hilfe von Informations- und Kommuni-
                                                       darf. Doch es bewegt sich etwas: In Hessen etwa
kationstechniken über elektronische Medien“.
                                                       ist im April 2003 der EDV-Spezialist Harald
Die Reservierung eines Kfz-Wunschkennzeichens,         Lemke zum Staatssekretär für E-Government
die Ummeldung einer Wohnung, ja sogar die              ernannt worden – ein Novum in der Bundesrepu-
Anmeldung einer Demonstration – all das lässt          blik. Seine Aufgabe ist es, die hinter dem digitalen
sich in vielen deutschen Städten bereits via Inter-    Tor liegenden Verwaltungsabläufe der Landesver-
net erledigen. In Frankfurt am Main beispielsweise     waltung zu modernisieren und sie damit für die
sind rund 50 Formulare online abrufbar. Auch           elektronische Kommunikation mit dem Bürger
elektronische „Bots“ sind im Einsatz, Programme,       vorzubereiten. Das ist eine Herkulesarbeit – nicht
die den Nutzern von Online-Angeboten assistie-         nur in technischer Hinsicht.

3                                                                 Aus Politik und Zeitgeschichte   B 18 / 2004
Neue Ressorts müssen gebildet werden. Fest                  der aus einem Geheimcode, einer Chipkarte und
gefügte Hierarchien geraten ins Wanken. Früher              einer persönlichen Identifikationsnummer besteht.
wussten Verwaltungsleiter genau, was in ihrer               Das Verfahren ist nicht ganz unkompliziert und die
Abteilung passiert. Jetzt korrespondieren die Mit-          Zahl der Anwendungen in Deutschland und der
arbeiter autonom mit ihren Klienten. Der Cyber-             registrierten Nutzerinnen und Nutzer noch klein.
space kommt ohne Ärmelschoner aus. Das heißt                Doch „der Fortschritt im E-Government in
aber auch: E-Government bietet die Chance, ver-             Deutschland ist unverkennbar“, behauptet Tom
krustete Strukturen aufzubrechen und den Staat              J. Gensicke, Leiter des Bereiches Public Services
transparenter zu gestalten. Für die Verankerung             bei Cap Gemini Ernst & Young in einer von der
der Demokratie in der Bevölkerung ist das sicher-           Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen
lich kein unwichtiger Aspekt.                               Studie zum elektronischen Serviceangebot der
                                                            Öffentlichen Hand. Das ist reichlich diplomatisch
Dass die Modernisierung der Verwaltung so voran-            ausgedrückt. In der von ihm Anfang 2004 vorge-
getrieben wird, hat – wen wundert es – auch finan-          stellten Studie belegt Deutschland im Vergleich mit
zielle Gründe. Die EU-Kommission schätzt, dass              17 anderen europäischen Ländern nur den vorletz-
für jeden Euro, den die öffentliche Hand in E-              ten Platz – vor Luxemburg.2
Government investiert, 1,80 Euro zurückfließen.
Nicht zufällig ist der hessische Staatssekretär für         Eine Vorreiterrolle in Europa in Sachen E-Govern-
E-Government dem Finanzministerium zugeord-                 ment spielt Estland. Dort enthält der Personalaus-
net. Etwa 1,45 Milliarden Euro will die Bundesre-           weis einen Chip mit einer digitalen Signatur, die
gierung investieren, um bis zum Jahr 2005 alle              bereits für viele Verwaltungsvorgänge genutzt wer-
internetfähigen Dienstleistungen der Bundesbe-              den kann. Die Akzeptanz ist groß: Schon 40 Pro-
hörden über das elektronische Netz anzubieten.              zent der Estinnen und Esten kommunizieren mit
Die Rendite soll ab 2006 jährlich etwa 400 Millio-          ihrem Finanzamt online. Mit dem elektronisch
nen Euro betragen. Schon jetzt ist es möglich, vom          aufgerüsteten Ausweis lassen sich sogar Verträge
Zoll sichergestellte Artikel wie Notebooks und              abschließen. Auch in Deutschland wäre das juris-
Digitalkameras online zu ersteigern, die Förde-             tisch möglich, denn seit 2001 gilt das Signaturge-
rung von Solaranlagen via Internet zu beantragen            setz, das an EU-Vorgaben ausgerichtet ist. Seitdem
oder die Bafög-Rückzahlung abzuwickeln. Das vir-            besitzt die elektronische Unterschrift denselben
tuelle Regieren der Zukunft bekommt Konturen.               Stellenwert wie die handschriftliche.
Noch aber läuft vieles unkoordiniert. Beispiels-
weise soll es in den Kommunen mittlerweile rund             Mit der elektronischen Signatur wäre auch ein viel
100 verschiedene Verfahren zur Kfz-Anmeldung                diskutiertes Projekt der elektronischen Demokra-
geben. Deshalb ist ein weiteres Programm gestar-            tie möglich: das E-Voting, die Wahl im Internet.
tet worden: Die Initiative „Deutschland-Online“             Erste Versuche mit E-Voting gibt es bereits. In
versucht, die bislang rund 7000 Internet-Portale            Osnabrück wurde ein Studentenparlament per
von Bund, Ländern und Gemeinden unter einen                 Mausklick gewählt, in Esslingen ein Jugendge-
Hut zu bekommen. Auch die Wirtschaft erhofft                meinderat und in Brandenburg ein Personalrat.
sich von der Umsetzung von E-Government-Pro-                Den Kanzler per Mausklick – das allerdings ist
jekten viele Vorteile. Nach Informationen des               Zukunftsmusik, und das dürfte sich auch nicht so
Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI)                schnell ändern, glaubt etwa der Gießener Politik-
rechnen zwei Drittel der deutschen Unternehmen              wissenschaftler Claus Leggewie.3 Der Aufwand
infolge von E-Government auch mit Kostenein-                stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag. Um sich
sparungen im eigenen Unternehmen.1 E-Govern-                vor Manipulationen zu schützen, müsse ein „wahn-
ment – die Lösung aller Haushaltsprobleme?                  sinniger Sicherheitsaufwand“ betrieben werden,
                                                            sagt Leggewie, der sich intensiv mit den Möglich-
Eine der größten Barrieren auf dem Weg zum E-               keiten der elektronischen Demokratie auseinander
Government ist die Authentifizierung. Denn für              gesetzt hat.4
viele Verwaltungsvorgänge, etwa für die Steuerer-
klärung, wird die persönliche Unterschrift verlangt.        2 Vgl. Cap Gemini Ernst & Young, Webbasierte Unter-
Diese muss nun elektronisch nachgebildet werden.            suchung des elektronischen Serviceangebots der Öffentlichen
Hierfür gibt es bereits ein Verfahren: die elektroni-       Hand, Berlin 2004; http://www.de.cgey.com/servlet/PB/show/
                                                            1264208/eEurope_2004.pdf.
sche Signatur. Sie ist eine Art virtueller Ausweis,         3 Alle Zitate von Claus Leggewie entstammen dem Inter-
                                                            view mit dem Autor.
1 Vgl. BDI Info-Service 3/2003: Electronic Government –     4 So zuletzt in Dieter Klumpp u. a. (Hrsg.), Next generation
ein Schlüssel zur Entbürokratisierung, http://www.bdi-on-   information society? Notwendigkeit einer Neuorientierung,
line.de.                                                    Mössingen–Talheim 2003.

Aus Politik und Zeitgeschichte    B 18 / 2004                                                                         4
Das jüngste Scheitern eines anspruchsvollen E-               „Wichtig erscheinen mir kleine, von Moderatoren
Voting-Projekts scheint ihm Recht zu geben. Für              strukturierte Diskussionsforen, an denen sich die
die Präsidentschaftswahl 2004 hatte das amerika-             Menschen sehr intensiv beteiligen,“ sagt Leggewie.
nische Verteidigungsministerium den im Ausland               Unter www.forum-giessen.de hat das ZMI so
stationierten Soldaten der US-Armee die Stimm-               etwas wie eine permanente Online-Bürgerver-
abgabe per Internet ermöglichen wollen. Doch als             sammlung gegründet. Hier bestimmen die Teil-
vier Computerwissenschaftler in der „Washington              nehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam die Dis-
Post“ auf die großen Sicherheitsrisiken des Sys-             kussionsthemen. Die Forum-Redaktion liefert
tems hinwiesen, musste das Pentagon im Februar               Hintergrundinformationen, strukturiert die Dis-
2004 das Programm zurückziehen.5 Beteiligt an                kussion, lädt Experten und Politiker ein und greift
dem 22-Millionen-Dollar-Projekt waren übrigens               moderierend ins Geschehen ein. Die Ergebnisse
auch Wissenschaftler, die in einer Studie des ange-          der Diskussion münden in eine Petition an die
sehenen Massachusetts Institute of Technology                lokalen Parteien, begleitet von Berichten in der
(MIT) kurz zuvor noch die fehlenden Sicherheits-             Presse. Partner des Projektes ist eine lokale Zei-
standards bei Online-Wahlen moniert hatten.6 Der             tung. Die Möglichkeiten des Netzes werden mit
Wunsch, nach dem Zähldebakel bei der Präsident-              der Macht eines anderen Mediums erweitert.
schaftswahl 2000 alternative Wahlsysteme zu ent-
wickeln, hatte die Bedenken gegenüber Online-                Auch Bundesinnenminister Otto Schily, der
Wahlen in den Hintergrund gerückt. Doch nicht                anfänglich stark auf die Karte Internet-Wahlen
nur Sicherheitsmängel sprechen gegen E-Voting.               gesetzt hat, ist inzwischen von den urdemokrati-
Ein Update der MIT-Studie im Jahr 2003 weist auf             schen Zuständen im Internet begeistert. In der
die Gefahr der fehlenden Legitimation hin:                   Demokratie des digitalen Zeitalters sei es möglich,
„There is the prospect that the digital divide cre-          die Agora, also den politischen Marktplatz der
ates inequities in participation in America“, heißt          alten Athener, als „E-Gora“ wieder aufleben zu
es da.7 Erst recht dürfte das für den Rest der Welt          lassen.8 Im Jahr 2003 hat Schily erstmals den
gelten: Allein in Manhattan gibt es mehr Internet-           eCommunity Award für mehr Bürgerbeteilung via
anschlüsse als in ganz Afrika.                               Internet vergeben. Den ersten Platz gewann die
                                                             Stadt Münster mit einer Online-Börse für Ehren-
                                                             ämter. Die Gemeinde Parchim in Mecklenburg-
Internet-Wahlen – ein Irrweg? Worin liegt dann               Vorpommern erhielt den zweiten Preis für ihr
der Vorteil der viel beschworenen elektronischen             Konzept, mit einer Mischung aus realen und vir-
Demokratie? In ihrer flachen Hierarchie, in ihrer            tuellen Komponenten ihre Bürger zu mehr Partizi-
Interaktivität, in der permanenten Wechselwir-               pation zu ermutigen.
kung zwischen Sender und Empfänger, glaubt Leg-
gewie. „Die Autonomie des Empfängers, der zum                Bürgernetze, moderierte Foren, Online-Bürger-
Sender geworden ist, ist höher als in den her-               versammlung – hinter all diesen Projekten steht
kömmlichen Massenmedien, und deswegen eignet                 das alte Prinzip der liberalen Demokratie: Regie-
sich das Internet nicht nur für Auktionen, sondern           ren durch Diskussion. Demokratie wird verstan-
eben auch für die demokratische Mitwirkung“,                 den als Verdichtung von Kommunikation, wo-
sagt der Politikwissenschaftler, der zugleich Leiter         durch Entscheidungen vertieft vorbereitet und
des Zentrums für Medien und Interaktivität                   dadurch stärker legitimiert werden sollen. Vor die-
(ZMI) an der Universität Gießen ist. Sollte sich im          sem Hintergrund gewinnt auch der „Wahlomat“
Internet die mediale Utopie eines Bert Brecht                eine aufklärerische Dimension. Auf spielerische
realisieren, der in seiner Radiotheorie einst for-           Weise regt er an, sich mit politischen Inhalten aus-
derte, das Massenmedium Rundfunk nicht nur                   einander zu setzen. „Unterfüttert mit den entspre-
als Sender, sondern auch als Empfänger zu ver-               chenden Informationen, kann er tatsächlich zur
stehen – als großes demokratisches Forum also?               Meinungsbildung im besten Sinne beitragen“,
Aber wie könnten solche Partizipationsmodelle                adelt ihn Leggewie. Zuletzt setzte die Bundeszen-
aussehen?                                                    trale für politische Bildung den „Wahlomaten“ bei
                                                             der Landtagswahl in Bayern im September 2003
5 Vgl. Dan Keating, Pentagon Calls Off Voting by Internet,   ein. Eine Feedback-Analyse ergab, dass rund zehn
in: The Washington Post vom 6. 2. 2004.
6 Vgl. Caltech/MIT, Voting Technology Report. What is,       Prozent der User aufgrund der Wahlempfehlung
what could be, Juli 2001; www.vote.caltech.edu/Reports/
2001report.html.                                             8 Vgl. Otto Schily, Moderner Staat mit E-Government.
7 The Caltech/MIT, Voting Technology Project. Where We       Demokratie des digitalen Zeitalters bietet wieder mehr
Have Been, where We Are Going, Project Update, Januar        Möglichkeiten der Teilhabe, in: Frankfurter Allgemeine Zei-
2003; www.vote.caltech.edu/Reports/index.html.               tung vom 20. 3. 2001.

5                                                                        Aus Politik und Zeitgeschichte      B 18 / 2004
des „Wahlomaten“ tatsächlich ihre Stimmabsicht             Wohin geht die Reise? Kann das Internet der
geändert hatten. Auch zur Europawahl im Juni               Demokratie neues Leben einhauchen? Ein Ein-
2004 wird die interaktive Wahlhilfe wieder Emp-            wand soll nicht unerwähnt bleiben: „Neue Medien
fehlungen aussprechen und wohl an so manch fest            haben für die Demokratie stets Veränderungen
gefügtem Weltbild kratzen.                                 gebracht, positive wie negative“, sagt Leggewie
                                                           und erinnert daran, dass das Fernsehen die Men-
Interaktive Automaten wie der „Wahlomat“ ver-              schen zwar für die Politik sensibilisiert, zugleich
deutlichen das Potenzial des Internets für die poli-       aber die „Zuschauerdemokratie“ gefördert habe.
tische Bildung. Doch bedarf es überhaupt noch              „Phänomene der Zerstreuung von Öffentlichkeit,
eines Beweises? Medienforscher von ARD und                 des übertriebenen Infotainments und der Stilisie-
ZDF haben in der jüngsten Online-Studie                    rung von Sachalternativen zum Personenduell sind
Erstaunliches herausgefunden: Zum ersten Mal ist           nicht neu.“ Das alles könne man im Netz wieder-
das Internet zum wichtigsten Informationsmedium            holen und sogar noch steigern, warnt er. Chancen
für die Mehrheit aller Online-Nutzer geworden –            und Gefahren der elektronischen Demokratie –
und das sind immerhin schon mehr als die Hälfte            zwei Seiten einer Münze –, das eine gibt es wohl
aller Deutschen. TV und Tageszeitung sind abge-            nicht ohne das andere.
hängt.9 Still und leise hat eine mediale Revolution
stattgefunden. Die Internet-Demokratie ist Reali-
tät.                                                       Internet-Hinweise des Autors
                                                           Der Reform-O-Mat zeigt, wo man als Gesundheitsmi-
Das musste auch der mächtige republikanische               nister/in den Rotstift ansetzen kann:
Mehrheitsführer im US-Senat, Trent Lott, erfah-            www.gesundheitspolitik.de
ren. Zunächst waren seine Bemerkungen während              Axe and tax: a budget-balancing exercise. Seite der
einer Feier zum 100. Geburtstag des ehemaligen             „Seattle Times“, auf der spielerisch ein Haushaltsdefi-
Präsidentschaftskandidaten Strom Thurmond am               zit ausgeglichen werden muss:
5. Dezember 2002 folgenlos geblieben: Lott hatte           http://seattletimes.nwsource.com/news/local/links/
in seiner Rede zustimmend Thurmonds Wahl-                  axtax/
kampf von 1948 erwähnt, in dem es allein darum             The Budget Balancer: Hier schlüpft man in die Rolle
gegangen war, die Rassentrennung in den USA                des Gouverneurs von Minnesota:
aufrechtzuerhalten.                                        http://news.mpr.org/features/2003/03/10_news-
                                                           room_budgetsim
Doch dann legten so genannte Weblogger die Lott-           Studie der Vereinten Nationen, „E-Government at the
Zitate auf ihre Internetseiten. Jede „Google“-             Crossroads“, über elektronische Bürgerdienste ihrer
Recherche über den Senator war plötzlich übersät           Mitgliedstaaten:
mit Links zu seinen umstrittenen Bemerkungen.              http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/
Auch die großen Zeitungen und das Fernsehen                documents/un/unpan012733.pdf
begannen über das Thema zu berichten. Wenige               Voting – What Is, What Could Be: Studie des MIT
Tage später, am 20. Dezember, musste Lott                  zu Internet-Wahlen:
zurücktreten.                                              www.vote.caltech.edu/Reports/index.html

9 Vgl. Birgit van Eimeren/Heinz Gerhard/Beate Frees, In-   Internetverbreitung in Deutschland: ARD/ZDF-
ternetverbreitung in Deutschland: Unerwartet hoher Zu-     Online-Studie 2003:
wachs, ARD/ZDF-Online-Studie 2003; www.daserste.de/ser-    www.daserste.de/service/ardonl03.pdf
vice/ardonl03.pdf.

Aus Politik und Zeitgeschichte   B 18 / 2004                                                                     6
Olaf Winkel

       Zukunftsperspektive Electronic Government

Die Herausforderungen, mit denen das politisch-
administrative System der Bundesrepublik                        Was ist E-Government?
Deutschland heute konfrontiert wird, sind vielfäl-
tig und immens. Zu den wichtigsten Instrumenten,
die zu ihrer Bewältigung zur Verfügung stehen,       Seit der Veröffentlichung des Memorandums zum
zählen die neuen Informationstechnologien (IT).      E-Government, das von über siebzig Fachleuten
Daher ist es nicht verwunderlich, dass mit dem       getragen wird, steht der Begriff für „die Durchfüh-
Konzept des Electronic Government (E-Govern-         rung von Prozessen der öffentlichen Willensbil-
ment) unterschiedlichste Erwartungen verbunden       dung, der Entscheidung und der Leistungserstel-
werden. Allerdings haben diese inzwischen Di-        lung in Politik, Staat und Verwaltung unter
mensionen angenommen, die eher von Wunsch-           intensiver Nutzung der Informationstechnik“1.
denken als von rationaler Analyse zeugen. Trotz      Den soziologischen Bezugspunkt dieses Ansatzes
interessanter Ansätze und einiger respektabler       bildet die Metapher von der digitalen Informati-
Erfolge ist absehbar, dass sich viele der mit dem    onsgesellschaft, in der zweckorientiertes Wissen
neuen Paradigma des E-Government verbundenen         zusammen mit den neuen IT als Mittel seiner
Hoffnungen nicht erfüllen werden. Es besteht         Bereitstellung einen zentralen Stellenwert ein-
sogar die Gefahr, dass die überzogenen Erwartun-     nimmt.2 In der öffentlichen Wahrnehmung wird
gen in Enttäuschung umschlagen und einer pau-        der Übergang in ein solches Stadium vor allem mit
schalen Diskreditierung des E-Government Vor-        der sprunghaft wachsenden Zahl der Internetnut-
schub leisten.                                       zer in Verbindung gebracht. Das Internet bildet
                                                     zwar nicht die einzige, aber die wohl wichtigste
                                                     technische Grundlage für die Informationsexplo-
                                                     sion in der Alltagswelt, welche Anfang der neunzi-
Dieser Beitrag soll ein Gegengewicht zur Ankün-
                                                     ger Jahre zuerst in den USA und dann in allen
digungsrhetorik von Politikern und zu den Hoch-
                                                     anderen modernen Staaten einschließlich der Bun-
glanzbroschüren von Unternehmensberatern set-
                                                     desrepublik Deutschland einsetzte.3
zen, ohne die Potenziale des E-Government aus
den Augen zu verlieren, die für die Fortentwick-
lung des politisch-administrativen Systems der       1 Gesellschaft für Informatik (GI)/Verband der Elektro-
                                                     technik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) (Hrsg.),
Bundesrepublik und die Neuordnung seiner             Electronic Government als Schlüssel zur Modernisierung von
Schnittstellen zur Gesellschaft von zentraler        Staat und Verwaltung. Ein Memorandum des Fachaus-
Bedeutung sind. Dabei soll insbesondere gezeigt      schusses Verwaltungsinformatik der GI und des Fachbe-
werden, dass sich diese Potenziale erst dann         reichs 1 der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE,
                                                     Bonn – Frankfurt/M. 2000, S. 3.
umfassend erschließen lassen, wenn man die           2 Näheres dazu bei Achim Bühl, Cyber Society, Köln 1996,
Erwartungen zurückschraubt und die Förderung         S. 24 ff.; Hans Kleinsteuber, Informationsgesellschaft – Ent-
von E-Government als strategische Investition in     stehung und Wandlung eines politischen Leitbegriffs der
die Zukunft betrachtet.                              neunziger Jahre, in: Gegenwartskunde, (1997) 1, S. 41 ff., und
                                                     Olaf Winkel, Informationsgesellschaft, in: Peter Eichhorn
                                                     u. a. (Hrsg.), Verwaltungslexikon, Baden-Baden 2003,
                                                     S. 500 ff.
                                                     3 Die zentralen Stärken des Internets basieren nicht zuletzt
Zur Untermauerung dieser These werden zwei           auf den Hyperlinks, die alle Teile der Netzwelt zu einem
Einwände angeführt: Der erste nimmt Bezug auf        interaktiv und multimedial ausgerichteten Ensemble von
systemische Probleme, d. h. auf die Auswirkungen     Kommunikationsoptionen verbinden. Technisch gesehen sind
                                                     auch die virtuellen Portale, mit denen sich zahlreiche Ein-
von strukturellen Zielkonflikten, wie sie auch in    richtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen im
anderen Modernisierungskontexten zutage getre-       Internet präsentieren, nichts anderes als Websites, die in ein
ten sind. Der zweite verweist auf Diffusionspro-     komplexes Geflecht von Interaktionsoptionen eingebunden
bleme, d. h. auf Widerstände und Engpässe bei der    sind. Der Umstand, dass mit dem Internet ein offenes Netz
                                                     existiert – eines, zu dem prinzipiell jeder jederzeit Zugang
Realisierung von E-Government-Anwendungen,           haben kann –, ist der wesentliche Unterschied zu der Situa-
die aus der Komplexität der erforderlichen Inno-     tion, wie man sie noch Anfang der neunziger Jahre in der
vationen resultieren.                                Bundesrepublik vorgefunden hat.

7                                                                 Aus Politik und Zeitgeschichte       B 18 / 2004
Als Anwendungsfelder von E-Government lassen                 durchgängig und rechtsverbindlich auf der Basis
sich Teleadministration, Telepartizipation und die           digitaler Netze abgewickelt. Dabei setzt sich
Reorganisation von Strukturen und Prozessen                  zunehmend die Überzeugung durch, dass es nur
unterscheiden.4                                              dann sinnvoll ist, von E-Government zu sprechen,
                                                             wenn auch Online-Transaktionen angeboten wer-
d Teleadministration (Electronic Administration)
                                                             den. Doch Anwendungen dieser Art sind bis heute
steht für die IT-gestützte Abwicklung von Prozes-            nur in Ausnahmefällen anzutreffen, weil ihre Rea-
sen an der Schnittstelle von Verwaltung und Ver-             lisierung mit immensem Aufwand verbunden ist.
waltungsklientel (Bürger, Unternehmen), an der
Schnittstelle von Verwaltung und ihren Geschäfts-            Weitgehend einig ist man sich in der Auffassung,
partnern (etwa im Ausschreibungs- und Beschaf-               dass nicht allein die an das Internet angeschlosse-
fungswesen) sowie in der gemeinsamen Aufgaben-               nen Bürger von den Vorteilen des E-Government
erfüllung, wie sie etwa in Public-Private-                   profitieren sollen. Um einer „digitalen Spaltung“
Partnership-Projekten praktiziert wird.                      der Verwaltungsklientel entgegenzuwirken, wird
                                                             etwa für einen „Multikanalvertrieb von Verwal-
d Telepartizipation     (Electronic Democracy)               tungsleistungen“ plädiert, der sich „auf die vier
meint die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bür-                Hauptkanäle Internet, Call-Center, mobiler Zu-
gern an der politischen Willensbildung, welche               gang und Bürgerläden in der Nachbarschaft“ stüt-
idealtypisch in die Stufen der Aufnahme von In-              zen kann.6
formationen, des Diskurses zum Abgleich von Pro-
blemwahrnehmungen und Interessen sowie der
Vollendung des Willensbildungsprozesses durch
die politische Entscheidung unterteilt werden                 Erwartungen an das E-Government
kann.

d   Reorganisation von Strukturen und Prozessen              Das Spektrum der Erwartungen, die mit E-Govern-
(organisatorisches Reengineering): Teleadminis-              ment und den neuen IT als dessen Katalysator ver-
tration und Telepartizipation wären ohne organisa-           bunden werden, ist breit:7
torische Innovationen nicht denkbar. So wäre es
                                                             d Effektivitätsverbesserungen: Die Wirkung poli-
sinnlos, mittels eines Portals eine elektronische
Schnittstelle zwischen einer Verwaltung und ihrer            tisch-administrativen Handelns soll optimiert
Umwelt zu schaffen, wenn eine überkommene                    werden, etwa durch den Aufbau IT-gestützter
Organisation diese Schnittstelle nicht bedienen              Informations- und Berichtssysteme für die Verwal-
kann. Während in den Feldern der Teleadminis-
                                                             6 Vgl. GI/VDE (Anm. 1), S. 13.
tration und der Telepartizipation die Potenziale             7 Näheres dazu bei Initiative D 21 (Hrsg.), Mit Internet
gefragt sind, welche die IT als Kommunikations-              Staat machen, Berlin 2002; vgl. auch Bertelsmann Stiftung
und Kooperationsmittel bieten, kommt es im Rah-              (Hrsg.), Balanced E-Government, Gütersloh 2002; Stefan
men des organisatorischen Reengineering vor                  Friedrichs u. a., „Balanced E-Government“: Visionen und
                                                             Prozesse zwischen Bürgernähe und Verwaltungsmodernisie-
allem darauf an, die IT als „Enabler“ für neuartige          rung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39 –40/2002,
Konzepte, d. h. als Organisationsmittel, produktiv           S. 12 ff.; Horst Geschka, Der vernetzte Bürger, in: Walter
zu machen.                                                   Gora/Harald Bauer (Hrsg.), Virtuelle Organisationen im
                                                             Zeitalter von E-Business und E-Government, Berlin u. a.
Die drei Anwendungen von E-Government kön-                   2001, S. 123 ff.; GI/VDE (Anm. 1), S. 7ff; Franz-Reinhard
nen in drei unterschiedlichen Qualitäten realisiert          Habbel, Die elektronische Demokratie, in: Peter Blaschke
                                                             u. a. (Hrsg.), E-Public, Berlin u. a. 2002, S. 49 ff.; Brigitte Zy-
werden:5 als digitale Informationsbereitstellung,            pries, Bund Online 2005 – auf dem Weg zum dienstleistungs-
als netzbasierte Kommunikation und als Online-               orientierten modernen Staat, in: ebd., S. 43 ff.; Stephan Jan-
Transaktion. Auf der Ebene der Information                   sen/Birger Priddat, Electronic Government, Stuttgart 2001,
beschränken sich die Anwendungen auf die digi-               insb. S. 15 ff. und S. 91 ff.; Koordinationsgruppe Informa-
                                                             tionsgesellschaft KIG (Hrsg.), Guichet Virtuel – Der elek-
tale Bereitstellung relevanten Wissens ohne Rück-            tronische Weg zu Verwaltung, Parlament und Gericht, Biel
kopplungsmöglichkeit, auf der Ebene der Kommu-               2000, S. 8 ff.; Willy Landsberg, Electronic Government aus
nikation wird die Informationsbereitstellung mit             Sicht der Verwaltung – Gründe, Ziele und Rahmen-
einer Rückkopplungsmöglichkeit kombiniert, und               bedingungen, in: Heinrich Reinermann/Jörn von Lucke
                                                             (Hrsg.), Electronic Government in Deutschland, Speyer
auf der Ebene der Transaktion werden Prozesse                2002, S. 20 ff.; Wolfgang Naujokat/Bernd Eufinger, Electronic
                                                             Government aus der Sicht der Wirtschaft – Ein Erfahrungs-
4 Dies und das Folgende nach Olaf Winkel, E-Government       bericht, in: ebd., S. 46 ff.; Olaf Winkel, Die Kontroverse um
– die Konturen zeichnen sich immer deutlicher ab, in: Ver-   die demokratischen Potenziale der interaktiven Informa-
waltung & Management, (2004) 2, S. 10 ff.                    tionstechnologie – Positionen und Perspektiven, in: Pub-
5 Vgl. ebd., S. 15 ff.                                       lizistik, (2001) 2, S. 142 ff.

Aus Politik und Zeitgeschichte    B 18 / 2004                                                                                 8
tungssteuerung oder durch die internetbasierte         ausgerichtete Verwaltung wegen ihrer bürokratie-
Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die          bedingten Schwerfälligkeit und ihres hohen Res-
Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme.               sourcenverbrauchs immer stärker in die Kritik
                                                       gerät, sollen auf der Basis der neuen IT effektivere
d  Effizienzgewinne: Die Wirtschaftlichkeit des
                                                       und effizientere Wege zur Aufrechterhaltung von
politisch-administrativen Handelns soll gesteigert
                                                       Legalität gefunden werden. Im Mittelpunkt stehen
werden. Das soll nicht nur durch die Verlagerung
                                                       Auditsysteme, Dokumentenmanagement- und
des Front-Office der Verwaltung auf den PC des
                                                       Workflowmanagementsysteme als Kontroll- und
Bürgers ermöglicht werden, sondern insbesondere
                                                       Dokumentationsmittel im Verwaltungsverfahren.
durch die Beseitigung von Medienbrüchen und die
Optimierung von Wertschöpfungsketten unter             In der Zusammensicht drängt sich der Eindruck
Nutzung von IT als Organisationsmittel in und zwi-     auf, dass mit dem neuen Paradigma des E-Govern-
schen Verwaltungen.                                    ment eigentlich alle Ziele verbunden werden, die
d   Verbesserung des Bürgerservices: Die Verwal-       man in der Vergangenheit mit den unterschied-
tung soll den Bedürfnissen der Bürgerinnen und         lichsten Modernisierungsansätzen zu realisieren
Bürger durch neue Formen der Leistungsbereit-          suchte: Man denke etwa an die Einführung des
stellung besser Rechnung tragen. In diesem             Bürokratiemodells als zentrale Verwaltungsinno-
Zusammenhang ist von „Non-Stop-Government“             vation des 19. Jahrhunderts, an das Bürgeramt und
die Rede, das die öffentliche Verwaltung auf einen     das Neue Steuerungsmodell als wirkmächtige Leit-
24-Stunden-Service verpflichten will, oder von         vorstellungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts
„One-Stop-Government“, das darauf abzielt, Ver-        oder an die neuen Ansätze von Public Gover-
waltungsleistungen aus einer Hand bereitzustellen      nance, Aktivbürgerschaft und Bürgerkommune.
und die digitalen Bürgerdienste den Adressaten         Es ist kaum möglich, in diesen Konzepten Ziel-
über so genannte Lebenslagenportale zugänglich         setzungen zu finden, die ein Protagonist von E-
zu machen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass       Government heute nicht auch für sich reklamiert.8
sie Dienstleistungen für individuelle Lebenslagen
wie Geburt, Einschulung, Wehrdienst, Berufsbe-         Eine umfassende Erwartungshaltung kommt auch
ginn, Arbeitslosigkeit, Selbständigkeit, Hausbau       im Memorandum zum E-Government zum Aus-
oder Ruhestand gebündelt anbieten.                     druck. Dort heißt es: „Das Zielspektrum der Ver-
                                                       waltungsmodernisierung (ist) sehr vielfältig. Es
d   Erhöhung der Transparenz und Responsivität         geht nicht nur um die Verbesserung von Effizienz
des politisch-administrativen Handelns: Die Mög-       bzw. Produktivität, sondern auch um eine Reihe
lichkeiten der Netzkommunikation sollen genutzt        weiterer Ziele wie Effektivität, Transparenz,
werden, um die Bürgerschaft auf den Stufen der         Rechenschaftslegung oder Ausfallsicherheit in
Information und des Diskurses verstärkt in die         Notlagen (. . .). Über die Steigerung von Effizienz
demokratische Willensbildung einzubeziehen. Da-        hinaus können alle wünschenswerten Ziele der
mit sollen politische und administrative Prozesse      Modernisierung von Staat und Verwaltung geför-
transparenter gemacht und Rückkopplungen zwi-          dert werden. Vor allem der Effektivität und der
schen Repräsentanten und Repräsentierten inten-        Transparenz der staatlichen Leistungserstellung
siviert werden.                                        sowie der Förderung demokratischer Mitwirkung
d   Verbesserung der Legitimität und Akzeptanz         kann dies zugute kommen. (. . .) Auch die Service-
des politisch-administrativen Handelns: Die Poten-     qualität des staatlichen Handelns kann verbessert
ziale der IT sollen genutzt werden, um die Bürger-     werden, wobei besonders zu betonen ist, dass Elec-
schaft auf der Entscheidungsebene stärker als          tronic Government keinen Abbau von menschli-
bisher an der politischen Willensbildung zu beteili-   chem Kontakt in der Interaktion zwischen Bürger
gen.                                                   und Verwaltung bedeuten muss (. . .). Zum ande-
                                                       ren produziert die Verwaltung Leistungen ganz
d  Verbesserung von Arbeitsbedingungen: Im             unterschiedlichen Charakters (. . .). Hierauf bezo-
Interesse der Verwaltungsmitarbeiter soll es im
Rahmen des organisatorischen Reengineering zu          8 Dass mit E-Government Rationalisierungsziele und Par-
einer Reintegration fragmentierter Aufgabenzu-         tizipationsziele gleichermaßen verbunden werden, zeigt sich
schnitte kommen, so dass sich Effekte einstellen,      im Konzept des „Balanced E-Government“, für das die Ber-
                                                       telsmann Stiftung steht, besonders deutlich. Darin wird die
wie sie etwa mit den Begriffen Job-Enlargement         Herbeiführung eines ausgewogenen Verhältnisses von Effek-
und Job-Enrichment verbunden werden.                   tivität und Effizienz auf der Ebene der Arbeitsorganisation
                                                       und von Transparenz und Partizipation auf der Ebene der
d  Sicherung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungs-       Politik explizit zum Programm erhoben. Vgl. Bertelsmann
handelns: In einer Zeit, in der die rechtsförmig       Stiftung (ebd.), und S. Friedrichs u. a. (ebd.), S. 12 ff.

9                                                                  Aus Politik und Zeitgeschichte      B 18 / 2004
gen ergeben sich geradezu dramatische Verbes-                   spielig sind. Spannungen zwischen Legalität und
serungsmöglichkeiten der Organisation dieser                    Effizienz hingegen kommen schon darin zum Aus-
Dienstleistungen. Viel Dispositionsarbeit kann                  druck, dass die Gewährleistung der Rechtmäßig-
entfallen, die erforderlichen rechtlichen und fak-              keit des Verwaltungshandelns unterschiedlicher
tenbezogenen Informationen sind leichter erreich-               Mechanismen bedarf, die mit hohem Aufwand
bar.“9                                                          verbunden sind. Man denke etwa an das Prinzip
                                                                der hierarchischen Kontrolle, das teure Doppelar-
                                                                beiten mit sich bringt, an das Prinzip der Akten-
                                                                mäßigkeit und Schriftlichkeit, das umfassende
            Systemische Probleme                                Dokumentationsverfahren impliziert, oder an die
                                                                Notwendigkeit, für alle Phasen der Verwaltungstä-
                                                                tigkeit juristischen Sachverstand verfügbar zu hal-
Doch gerade an dem Umstand, dass das Spektrum                   ten, der ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben ist.
der mit E-Government verbundenen Hoffnungen
so breit wie bisher noch bei keinem anderen                     Ferner konkurrieren diese Ziele mit Akteursinte-
Modernisierungsansatz ist, setzt der erste Einwand              ressen, die auf Ressourcensicherung, Machterhalt
zur Untermauerung meiner These an, nach der die                 oder Wiederwahl gerichtet sein können. So kann
Erwartungen überzogen sind, die mit diesem Para-                das Ziel der Bürgerpartizipation mit den Machtin-
digma verbunden werden.                                         teressen professioneller Politiker in Widerspruch
                                                                geraten, und das Ziel einer effizienteren Mittelver-
Wer davon ausgeht, dass ein Reformmodell unter                  wendung kann mit Ressourcensicherungsinteres-
Aspekten der Effektivität, der Effizienz, des Bür-              sen von Verwaltungsbürokratien konfligieren. Die
gerservice, der Bürgerpartizipation und der Mit-                neuen IT sind nicht in der Lage, diese Konkurrenz-
arbeiterfreundlichkeit gleichermaßen durchgrei-                 beziehungen aufzulösen. Sie eröffnen lediglich
fende Verbesserungen in Aussicht stellen kann,                  Spielräume, um in Problemfällen Lösungswege zu
übersieht einen wesentlichen Punkt: Die Bezie-                  finden, welche die unterschiedlichen Rationali-
hungen zwischen diesen Zielen sind durch Ziel-                  täten und Interessen besser als bisher auf einen
konflikte geprägt, die auf einer systemischen                   gemeinsamen Nenner bringen, gleichwohl im Hin-
Ebene liegen und damit letztlich unauflösbar                    blick auf einzelne Ziele aber immer suboptimal
sind.10                                                         bleiben müssen.
Dies gilt etwa für das Verhältnis von politischer
Partizipation und Effizienz. Das Konfliktpotenzial              Darüber hinaus wirkt sich noch ein weiterer
ist altbekannt: Wer mehr Partizipation will, muss               Umstand problematisch aus: Zielkonflikte nehmen
bedenken, dass Partizipationsverfahren einen                    mit der Verbreitung der neuen IT tendenziell nicht
hohen Aufwand an Zeit und Geld verursachen                      ab, sondern sie verschärfen sich sogar. Denn wo
können. Und natürlich lässt sich niemals ausschlie-             überkommene technische Gestaltungsrestriktio-
ßen, dass partizipativ angelegte Entscheidungspro-              nen an Bedeutung verlieren, ergibt sich die Mög-
zesse Lösungen hervorbringen, die ebenfalls kost-               lichkeit, ein spezielles Ziel effektiver als in der
                                                                Vergangenheit zu verfolgen. Doch wenn von die-
9 GI/VDE (Anm. 1), S. 7 f.                                      ser Möglichkeit konsequent Gebrauch gemacht
10 Auf den Umstand, dass öffentliches Handeln unter-            wird, obwohl das präferierte Ziel zu einem ande-
schiedlichen Referenzsystemen unterworfen ist, hat Claus        ren in einem Konkurrenzverhältnis steht, bedeutet
Offe schon Mitte der siebziger Jahre hingewiesen: Rationali-    das natürlich auch, dass an anderer Stelle Rück-
tätskriterien und Funktionsprobleme politisch-adminis-
trativen Handelns, in: Leviathan, (1974) 1, S. 344; vgl. auch   schritte hingenommen werden müssen.11
Bernd Becker, Entscheidungen in der öffentlichen Verwal-
tung, in: Klaus König/Heinrich Siedentopf (Hrsg.), Öffent-      11 Hier ist festzustellen, dass sich die virtuelle Welt der
liche Verwaltung in Deutschland, Baden-Baden 1997, S. 439.      Netze von der so genannten realen Welt auch darin unter-
Besonders deutlich wird dies auf der für die Fortentwicklung    scheidet, dass nicht mehr das Sowohl-als-auch, sondern das
des E-Government zentralen Ebene der kommunalen                 Entweder-oder zur vorherrschenden Strukturbeziehung wird.
Selbstverwaltung, deren Einrichtungen sich als politische       Erstmals offenbar wurde dieser Umstand in der so genannten
Organisationen und als Arbeitsorganisationen gleichermaßen      Kryptokontroverse, die 1993 in den USA ihren Ausgang
bewähren müssen. Näheres dazu bei Jörg Bogumil, Moder-          nahm und Mitte der neunziger Jahre auf Europa und andere
nisierung lokaler Politik, Baden-Baden 2002, insb. S. 34 ff.;   Teile der Welt übergriff. Hier standen sich zwei Lager gegen-
Martin Brüggemeier, Controlling in der öffentlichen Verwal-     über: Die Anhänger des einen wollten die vertraulichkeits-
tung, München 1998, S. 307 f.; ders./Manfred Röber, Stand       schützende Verschlüsselung im Interesse der Aufrechter-
und Entwicklung der Arbeitsorganisation im öffentlichen         haltung staatlicher Ordnungs- und Sanktionspotenziale
Dienst – auf dem Weg zu einem neuen Produktionsregime?,         verhindern oder reglementieren, die Anhänger des anderen
in: Rainer Koch/Peter Conrad (Hrsg.), New Public Service,       ihre umfassende und dauerhafte Freigabe im Interesse der
Wiesbaden 2003, S. 136 f.                                       Verteidigung bürgerlicher Freiräume sicherstellen. Wäre es

Aus Politik und Zeitgeschichte      B 18 / 2004                                                                           10
Man muss also davon ausgehen, dass die fort-                     Die technische Ebene
schreitende Digitalisierung von Interaktionsbezie-
                                                                 Um E-Government zu ermöglichen, muss gewähr-
hungen im Dreieck von Politik, Verwaltung und
                                                                 leistet sein, dass die Verwaltungsklientel – also
Gesellschaft nicht nur dazu führen wird, dass die
                                                                 Bürger und Unternehmen – über IT-Ausstattun-
Spielräume zum Ausgleich von Zielkonflikten
                                                                 gen bzw. -Zugänge verfügen. Nichts anderes gilt
immer mehr zunehmen, sondern auch die Zielkon-
                                                                 natürlich für die Verwaltungsmitarbeiter und die
flikte, welche innerhalb dieser Spielräume zu lösen
                                                                 Politiker, die in entsprechende Projekte einbezo-
sind. In dem Maße, wie diese Aspekte unterschätzt
                                                                 gen werden sollen. Ferner muss eine Transaktions-
werden, werden die Möglichkeiten von E-Govern-
                                                                 infrastruktur gegeben sein, auf deren Basis die
ment überschätzt.
                                                                 Beteiligten kooperieren können.13 Die Komponen-
                                                                 ten einer solchen Infrastruktur sind ein System zur
                                                                 Organisation von Eingängen und Ausgängen,
              Diffusionsprobleme                                 Electronic Data Interchange für die Abwicklung
                                                                 von Geschäftsprozessen, eine digitale Signatur zur
                                                                 Sicherstellung der Authentizität von Kommunika-
Der zweite Einwand resultiert aus der Überlegung,                tionspartnern und der Integrität von übermittelten
dass die Potenziale von E-Government nicht nur                   Willenserklärungen, eine Verschlüsselungsfunk-
aus systemischen Gründen geringer sind, als                      tion (Konzelation) zum Vertraulichkeitsschutz, ein
gemeinhin angenommen wird, sondern zudem nur                     Payment-System zur Abwicklung von Zahlungs-
unter spezifischen Bedingungen und oft nur mit                   vorgängen bei kostenpflichtigen Verwaltungsleis-
hohem Aufwand realisiert werden können. Denn                     tungen und eine Firewall, die Schutz vor Compu-
hier ist eine breite Palette von Diffusionsparame-               terviren und -würmern bietet. Und schließlich
tern zu berücksichtigen, die Bereiche markieren,                 muss auch für die Interoperabilität der Verfahren
deren Vernachlässigung schon jeweils für sich                    gesorgt sein, die an den Schnittstellen von poli-
allein Ursache für das Scheitern eines E-Govern-                 tisch-administrativem System und Gesellschaft
ment-Projektes sein kann. Unter Diffusionspara-                  und insbesondere im Front-Office und im Back-
metern sind miteinander vernetzte Faktoren zu                    Office der Verwaltung eingesetzt werden.14 Dies
verstehen, die über Erfolg oder Misserfolg ent-                  erfordert die Zusammenführung unterschiedlicher
sprechender Vorhaben entscheiden. Hier wird                      technischer Systeme bzw. die Beseitigung von
davon ausgegangen, dass die wichtigsten Diffusi-                 Medienbrüchen.
onsparameter auf den Ebenen der Technik, der
Organisation, des Wissens, der Kultur, des Rechts,               Die Schwierigkeit besteht darin, dass zur Gewähr-
der Finanzen, des Nutzens, des Managements, der                  leistung der technischen Voraussetzungen ein
konzeptioneller Einbindung und der Politik ange-                 immenser Aufwand betrieben werden muss. So
siedelt sind.12                                                  brauchen die Bürger für die Nutzung von E-
                                                                 Government-Anwendungen mit Transaktionskom-
gelungen, eine strikte Reglementierung rechtlich und gesell-     ponenten nicht nur einen PC mit Internetzugang,
schaftlich durchzusetzen, hätte dies nicht weniger als die
Aufgabe liberaler Freiräume in der digitalen Informations-       sondern auch die Hard- und Software für die digi-
gesellschaft nach sich ziehen können. Sollte es dagegen bei
der freien Verfügbarkeit von vertraulichkeitsschützender         virtueller Rathäuser zu beachten ist, Berlin 2002; Jörn von
Verschlüsselung bleiben, müssten Ordnungsinstanzen wie           Lucke, Barrieren des E-Government in Deutschland – Ur-
Staaten oder internationale Organisationen in der Netzwelt       sachen und Ansätze zur Überwindung aus Sicht der Wissen-
auch zukünftig außen vor bleiben, so dass kriminelle und         schaft, in: H. Reinermann/ders. (Anm. 7), S. 68 ff.; W. Naujo-
verfassungsfeindliche Inhalte dort weiterhin ungehindert         kat/B. Eufinger (Anm. 7), S. 94 ff.; Heinrich Reinermann,
verbreitet werden können. Ein Weg zwischen den Ex-               Transformation zu Electronic Government, in: ders./J. v.
trempositionen ist nicht in Sicht. Der Vorschlag, eine so ge-    Lucke (Anm. 7), S. 104 ff. Vgl. auch Bertelsmann Stiftung
nannte Treuhandlösung zu implementieren, bei der Schlüs-         (Hrsg.), Zehn-Punkte-Plan für gutes E-Government, Güters-
selduplikate hinterlegt und auf richterliche Anordnung zum       loh 2002, und Martin Hagen, Ein Referenzmodell für Online-
Zwecke der Strafverfolgung an die Ordnungsbehörden aus-          Transaktionssysteme im Electronic Government, München
gehändigt werden, um ein System von Checks and Balances          2001, S. 259 ff.
zu schaffen, das Kompromisse zulässt, scheiterte nicht erst an   13 Vgl. M. Hagen (ebd.), insb. S. 243 ff. Zu den spezifischen
dem undurchsichtigen kryptopolitischen Kurs der US-Regie-        Voraussetzungen internetbasierter Wahlen und Ab-
rung, sondern schlicht wegen mangelnder Praktikabilität.         stimmungen siehe Martin Will, Internetwahlen, Stuttgart u. a.
Näheres dazu bei Olaf Winkel, Private Verschlüsselung als        2002, S. 23 ff. Anm. der Redaktion: Vgl. auch den Text von
öffentliches Problem, in: Leviathan, (1997) 4, S. 567 ff.        Norbert Kersting in diesem Heft.
12 Vergleichbare Darstellungen, denen andere Systemati-          14 Vgl. Christiane Gernert, Architektur als zentrale Auf-
sierungen und Schwerpunktsetzungen zugrunde liegen, fin-         gabe in heterogenen IT-Systemen, in: Hans-Jürgen Lüttich/
den sich bei Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-        Claus Rautenstrauch (Hrsg.), Verwaltungsinformatik 2000,
logie (Hrsg.), Erfolgsfaktoren – Was bei der Gestaltung          Halle/Saale 2000, S. 47 ff.

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tale Signatur. Die Schaffung der Transaktionsin-                dahinter stehenden Organisationen haben. Die
frastruktur ist ein sehr anspruchsvolles Projekt,               Verwaltungsmitarbeiter müssen neben technischen
was insbesondere im Hinblick auf die digitale                   Fertigkeiten in dem Maße zusätzliche Fachkompe-
Signatur, die Konzelationsfunktion und die Pay-                 tenzen erwerben, wie das organisatorische Reengi-
mentfunktion gilt, weil deren Realisierung den                  neering zur Veränderung von Aufgabenzuschnit-
Aufbau einer sehr aufwändigen Public-Key-Infra-                 ten und zur Anreicherung von Arbeitsinhalten
struktur voraussetzt. Und so ist auch die Zu-                   führt. Dort, wo es darum geht, Bürger an die
sammenführung der IT-Systeme, die von den                       neuen Instrumente heranzuführen oder diese stell-
Beteiligten eingesetzt werden, eine kaum zu über-               vertretend für sie zu nutzen, muss auch die soziale
schätzende technische Herausforderung, weil                     Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter gestärkt
heute die unterschiedlichsten Systeme anzutreffen               werden. Schließlich ergibt sich auch auf Seiten der
sind, die nur mit hohem Programmieraufwand ver-                 Politiker, die sich auf E-Government einlassen
bunden werden können.                                           wollen, ein über den Erwerb technischen Wissens
                                                                hinausgehender Lernbedarf. Denn ein kontinuier-
Die organisatorische Ebene                                      licher Kontakt mit besser informierten und unter-
                                                                einander vernetzten Bürgern stellt höhere Anfor-
Was die Organisation betrifft, ist noch einmal zu               derungen an ihr Fachwissen und ihre soziale
unterstreichen, dass sich Teleadministration und                Kompetenz.
Telepartizipation nur dort realisieren lassen, wo
die Organisationsstrukturen in der erforderlichen               Was die Überwindung der auf der Wissensebene
Weise neu geordnet worden sind. Gelingen kann                   liegenden Probleme erschwert, ist der Umstand,
dies wiederum nur unter Orientierung an neuen                   dass sich der Lernbedarf in einer Situation ergibt,
Rationalisierungsparadigmen, wie sie sich in den                in der man sich auf Seiten von Politik, Verwaltung,
letzten 20 Jahren in der Wirtschaft verbreitet                  Bürgern und Unternehmen schon seit geraumer
haben.15 Dort war eine Abkehr von der tayloristi-               Zeit mit immer neuen Anforderungen konfrontiert
schen Produktion in zentralistischen Strukturen                 sieht, deren Bewältigung zusätzliches Lernen
und eine Hinwendung zur diversifizierten Quali-                 erforderlich macht. Man denke hier etwa an einen
tätsproduktion in Teamarbeit zu beobachten.                     Verwaltungsmitarbeiter, der in der Vergangenheit
                                                                in die Einführung von Instrumenten des Neuen
In diesem Zusammenhang ergibt sich das schlichte                Steuerungsmodells involviert war und der nun auf-
Problem, dass die Integration und Optimierung                   gefordert wird, sich in die Prozesse zur Implemen-
von Strukturen und Prozessen eine Herkulesauf-                  tation von E-Government einzubringen und sich
gabe darstellt, an der man schon bei der Einfüh-                die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten
rung von Instrumenten des New Public Manage-                    möglichst umgehend anzueignen. In einem solchen
ment bzw. des Neuen Steuerungsmodells als seiner                Fall reicht es nicht aus, Lernbereitschaft lediglich
deutschen Variante vielerorts gescheitert ist.                  zu unterstellen oder zu postulieren, sie muss
                                                                gezielt stimuliert, gefördert und belohnt werden.
Die Wissensebene                                                Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass
Zu Recht wird unterstrichen, dass alle Seiten –                 Offenheit und Lernbereitschaft, wie sie für die
Bürgerschaft, Unternehmen, Verwaltungsmitarbei-                 Entwicklung und den Erwerb des zur Einführung
ter und Politiker – bei der Einführung von E-                   von E-Government erforderlichen Wissens unab-
Government neue technische Kenntnisse erwer-                    dingbar sind, spezielle Bedingungen auf der kultu-
ben müssen. Der Lern- und Qualifikationsbedarf                  rellen Ebene voraussetzen, die sich nicht beliebig
ist damit aber noch nicht erschöpfend beschrieben.              erzeugen und abrufen lassen.
So müssen die Bürger zumindest dort, wo der hei-
mische PC gewissermaßen zum Front-Office der                    Die kulturelle Ebene
Verwaltung werden soll, ein Mindestmaß an Ver-                  Hier entscheidet sich nicht nur die Frage der Lern-
waltungskompetenz entwickeln. Denn es ist zu                    bereitschaft, sondern auch die generelle Frage, ob
vermuten, dass selbst das beste Internetportal in               man auf Seiten der Bürger, der Unternehmen, der
vielen Aufgabenbereichen kaum weiterhelfen                      Verwaltungsmitarbeiter und der Politiker den Wil-
kann, wenn die darauf Zugreifenden keinerlei Vor-               len aufbringt, sich auf die im Rahmen von E-
stellung von den Funktionen und Abläufen der                    Government erforderlichen Innovationen einzu-
                                                                lassen. Einen wichtigen Teilaspekt stellt die Ent-
15 Vgl. etwa M. Brüggemeier/M. Röber (Anm. 10),
S. 124 ff., oder Olaf Winkel, Bürgerpartizipation – Nachfrage
                                                                wicklung von Vertrauen dar. Denn ein soziotechni-
ohne Angebot?, in: Hans-Herbert von Arnim (Hrsg.), De-          sches System, dem nicht vertraut wird, kann die
mokratie vor neuen Herausforderungen, Berlin 1999, S. 82 ff.    ihm zugedachten sozialen Funktionen ebenso

Aus Politik und Zeitgeschichte      B 18 / 2004                                                                  12
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