Digital Ein Heft über Facetten von Digitalisierung - wirklich wahr
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44 Seiten in 4 Wochen zu Digitalisierung. So lange hat die Entstehung dieses Magazins gedauert. wirklich\\wahr 04 3
Chefredaktion Jonas Seufert ist Journalist mit dem Fokus Reportage und Recherche. Er hat undercover bei Amazon gearbeitet, Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche aufgedeckt und geholfen, ein Netzwerk von Klimawandelleugnern aufzuspüren. Er ist Mitgründer der Journalistengemeinschaft Hermes Baby und schreibt unter anderem für die ZEIT, Taz und Correctiv. Manuel Stark studierte Philosophie und Kommunikationswissenschaft in Bamberg. An der Deutschen Journalistenschule wurde er zum Redakteur ausgebildet, danach durchlief er Fortbildungen an der Reporter Akademie Berlin und der Reportageschule Reutlingen. Seinen thematischen Fokus setzt er an die Schnittstelle von Gesellschaft, Wissenschaft und Medizin. Er arbeitet als freier Journalist und ist Textchef der Autorengemeinschaft Hermes Baby. Fotoredaktion Maximilian von Lachner arbeitet als freier Fotojournalist in Frankfurt am Main, studiert aber schon viel zu lange Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Während des Studiums lernte er erst als Bildredakteur und später als Redaktionsfotograf beide Seiten einer Produktion kennen. Diesertage ist seine Leidenschaft auf der Straße, hinter der Kamera bei tagesaktuellen Themen. 4 wirklich\\wahr 04
Das Heft & seine Entstehung An und Aus, mehr ist es eigentlich nicht. Strom, der auf Platinen fließt - oder eben nicht. 10110. Das ist das Prinzip hinter der Di- gitalisierung. Und doch hat es unsere Leben in den letzten Jahr- zehnten auf den Kopf gestellt. Wir arbeiten vom Laptop oder in vernetzten Fabriken. Unsere Heizungen gehen automatisch an, wenn es draußen kälter wird. Wir pflegen Freundschaften über soziale Medien und verlieben uns durch Apps. Und wir googlen alles. Manche sprechen von einer Revolution, vergleichbar mit der Er- findung der Dampfmaschine. Erst Industrialisierung, jetzt Digi- talisierung. In diesem Heft erkunden junge Journalistinnen und Journalisten, was Digitalisierung in unserem Alltag bedeutet. Sie haben Gene- rationen und Nomaden befragt. Sie sind zu den Wurzeln zurück- gekehrt und haben Grenzen überwunden. Sie haben einfach mal alle Apps ausgestellt. Sie wollten wissen, ob man digital wirklich besser lernt, auch über den Holocaust. Und wie Musiker und Aktivisten digitale Kanäle nutzen. Sie waren bei denen, die die Digitalisierung fürchten und sie haben in ihren eigenen Leben recherchiert. Und sie haben fest- gestellt: Wer digital lebt, lebt nicht automatisch klimafreundlich. Die Digitalisierung bringt immer neue Technologien hervor. Das kann befreien und verbinden - oder einschränken und abhängig machen. Es kommt darauf an, was wir daraus machen. Jonas Seufert Manuel Stark wirklich\\wahr 04 5
1 – digitale… Chancen 10 - Digitale Proteste 12 - Musik und Digitale Medien 14 - Digitalisierung von Schulen 16 - Digitale Nomaden 20 - Rettung von Gesprächen 6 wirklich\\wahr 04
2 – digitale… Erfahrungen Digitalkonferenz - 24 Digital Detox? - 28 Brief an die Vergangenheit - 30 3 – digitale… Konflikte Klimaschutz - 34 Historischer Rückblick - 36 Funkstrahlen - 38 Digitales Gedenken - 40 wirklich\\wahr 04 7
Überall auf der Welt entstehen zur Zeit Pro- testbewegungen, die sich über Facebook oder Messenger-Dienste wie Telegram und Whats- App organisieren. Ist das der Grund warum sie so stark sind? Diese Bewegungen sind in einer Generation ent- standen, in der die Nutzung digitaler Medien voll- kommener Alltag ist. Ich denke, dass WhatsApp- oder Telegram-Gruppen unheimlich hilfreich sind für die spontane Koordination oder auch die Mobilisierung. Aber ich denke auch, dass eine solch großflächige Protestbewegung in der Vergangenheit schon möglich war. Auch wenn der Aufwand, um so viele Leute zum gleichen Zeitpunkt auf die Straße zu bringen, doch um einiges größer war. Online-Petitionen, #BlackLivesMatter, #MeToo – es scheint als würde Die Aktivisten mussten Plakate kleben oder Flugblätter verteilen. Protest zunehmend in den digitalen Raum wandern. Der Politikwissen- Was ja auch in der Vergangenheit schon der Fall war: schaftler Daniel Staemmler widerspricht. Damit eine soziale Bewegung Wenn man versucht für große Proteste zu mobilisieren, Erfolg hat, müsse sie digital und analog anschlussfähig sein. lässt sich das schwierig unsichtbar machen. Man könnte die These anstrengen, dass das über Messenger-Dienste Von Elena Bruckner um einiges leichter geworden ist. Das bleibt allerdings auch ein wenig fraglich, denn natürlich können sich schwieriger. Andererseits gibt es ganz gute Erkenntnisse Das wäre zu viel. Sie sind aber nicht mehr so prä- auch Vertreter der staatlichen Institutionen in diese aus der Forschung, dass ein Hashtag immer dann be- sent. Auch die Beteiligung an Online-Petitionen oder Gruppen einschleusen. sonders gut funktioniert, wenn er anschlussfähig ist. an Hashtags reichen nicht aus, um in der Aufmerk- Ganz allgemein gefragt, wie verändern digitale Zum Beispiel im Hashtag #WhyIStayed, wo es um samkeitsökonomie, die wir haben, ein Anliegen an die Medien Protestbewegungen? häusliche Gewalt geht. Diese Formulierung hat wun- Politik heranzutragen. Dafür braucht es dann doch die derbar dazu geführt, dass Leute das in eigene Aussagen Kombination mit der Demonstration auf der Straße Zum einen gibt es das ganz alte Versprechen des In- aufnehmen konnten. oder mit weiteren kreativen Aktionen. ternets, nämlich die Vernetzung: Jeder kann mit jedem kommunizieren. Daraus wird immer wieder abgeleitet, Braucht es dann analogenProtest überhaupt „Fridays for Future“ organisiert sich basisde- dass es für soziale Bewegungen einfacher geworden ist, noch? mokratisch in WhatsApp-Gruppen. Und doch Leute zu mobilisieren. Zum anderen gibt es auch sozi- sind Greta Thunberg und Luisa Neubauer für Wir sprechen derzeit von einem hybriden Medien- ale Bewegungen, die aus eher diffusen Massen online uns die Gesichter der Bewegung. Kommen Pro- system. Wir haben neben der digitalen Welt immer entstehen. Die großen Beispiele hierfür sind #Black- testbewegungen am Ende doch nicht ohne Füh- noch eine politische Öffentlichkeit, die stark über die LivesMatter oder #MeToo. Hier haben sich Leute um rungsfiguren aus? klassischen Zeitungen und das Fernsehen organisiert einen Hashtag herum auf Twitter unterhalten und Dis- ist. Das heißt nicht, dass man nicht auch unabhängig Auf kurz oder lang kommt es immer zu gewissen kriminierungserfahrungen ausgetauscht. Und über die von diesen Medien Leute für ein Protestereignis errei- Hierarchisierungen, einfach weil die Koordination von Zeit werden aus diesen eher losen Assoziationen auch chen kann. Aber um dauerhaft die Aufmerksamkeit Bewegungen anders kaum zu leisten ist. Und Massen- Proteste auf die Straße getragen. von politischen Institutionen zu finden, muss man in medien sind auf Ansprechpartner angewiesen. Aber na- Was können solche Hashtags denn für sich al- die gesellschaftliche Debatte hereinkommen, die über türlich, die Organisation von Protest über Telegram wie leine bewirken? die Massenmedien organisiert wird. Wenn der Thread etwa in Hongkong ermöglicht es, zuerst einmal keine auf Twitter es schafft, die Aufmerksamkeit von Me- Bewegungspersönlichkeiten hervorzubringen. Dann hat Da ist zum einen das Empowerment, also die Tat- dienvertreter*innen zu erlangen oder wenn sich Politi- bei den letzten Protesten des Umbrella Movement 2014 sache, dass man sich mit vorher Unbekannten aus- ker*innen beteiligen, dann ist der Weg frei, um in diese Joshua Wong diese Rolle auf sich genommen und saß tauschen kann. Zum anderen können gerade auf einer klassische politische Öffentlichkeit zu kommen. bis vor kurzem noch im Gefängnis. Das sind natürlich Plattform wie Twitter Themen politisiert und an die Sachen, die so eine Bewegung vermeiden will. Politik oder die Massenmedien herangetragen werden. Welche Vorteile sprechen für digitale, welche Gerade dabei ist aber auch wichtig zu sehen, dass es so für analoge Protestformen? In Hongkong organisiert sich der Protest un- was wie den Digital Divide gibt. ter anderem auch über Online-Rollenspiele, De- Ich glaube, dass beides nicht so richtig voneinander monstranten nehmen im echten Leben beispiels- Was bedeutet das? zu trennen ist. Man hat das beispielsweise bei den Pro- weise die Rollen von Feuer- oder Wassermagiern testen gegen die Urheberrechtsreform in diesem Jahr ge- Nur ein sehr geringer Teil, circa vier Prozent der ein. sehen. Da gab es online schon lange Debatten um diesen deutschsprachigen Bevölkerung, ist regelmäßig auf berühmten Artikel 13. Es gab viel Kritik, die aber erst Das hat mich an die Anti-Globalisierungsbewegung Twitter unterwegs. Man könnte also davon sprechen, dann richtig Schlagkraft entwickelt hat, als der Protest erinnert. Also an groß angelegte Proteste, wie wir sie dass es ein ziemliches Elitenmedium ist. Man erreicht sich auf die Straße verlagert hat. Ich glaube, dass sich heute noch bei G20 kennen oder gegen die Welthan- über einen Hashtag vielleicht diese Eliten, aber damit analoger Protest, von der Demo bis zu Formen des zi- delsorganisation in Seattle 1999. Da gab es auch schon ist noch lange nicht gesagt, dass man auch wirklich vilen Ungehorsams, und digitale Formen ergänzen. Die sehr performative Rollen, die verschiedene Gruppen Erfolg hat. Dafür kommt es auch darauf an, dass der Zeiten des rein digitalen Protests sind, glaube ich, passé. eingenommen haben. Es gab Leute, die dafür zuständig Druck auf die Massenmedien oder auch die Politi- Die eher radikale Form wie der Aktivismus durch Ano- waren, kreativ bestimmte Zufahrtswege zu blockieren, ker*innen konstant gehalten wird. Da befindet sich so nymous hat ja auch darauf gebaut, Aufmerksamkeit zu geradezu karnevalesk mit Verkleidungen. Genauso se- ein Hashtag-Aktivismus in der gleichen Konkurrenz generieren. Sie ist aber auch sehr schnell kriminalisiert hen wir auch in Hongkong, dass bestimmte Leute die um Aufmerksamkeit wie viele andere Protestbewegun- worden. Das sind Formen des digitalen Protests, die wir Aufgabe haben, gegen Tränengaskanister vorzugehen. gen auch. derzeit gar nicht mehr so richtig sehen. Dass es da bei einer großen Verbreitung von Online-Ga- Wann hat so ein Hashtag Erfolg? ming naheliegt, sich etwa als Gilde zu verstehen, wie Anonymous ist vor allem mit Hacking-Angrif- wir es aus „World of Warcraft“ kennen, scheint mir Zum einen muss es ein gewisses Gelegenheitsfenster fen, unter anderem gegen Scientology und die einfach nur eine Übertragung altbekannter Rollenver- geben. Wenn das Thema schon durch andere Bewe- Regierungen mehrerer Länder, aufgefallen. Sind ständnisse zu sein. gungen oder Organisationen besetzt ist, macht es das radikale digitale Proteste gescheitert? wirklich\\wahr 04 11
Ich mache viel am Computer, also höre ich Bei Facebook geben wir uns etwas mehr Mühe, erschaffen, verbinden können und sehen, dass auch viel Musik darüber. Ich stelle mir dann pushen ab und zu Beiträge oder schalten be- es ähnlich aussieht wie das Design einer ande- eine Playlist zusammen oder haue ein neues zahlte Anzeigen. Das Internet ist glaube ich ren Band in dem Bereich. Album rein und dann arbeite ich nebenher. schon wichtig, um bekannt zu werden. Face- Mir macht die Arbeit live mehr Spaß, als die Ich gebe zu, ich bin ein Internet-Pirat. Ich lade book, YouTube, Spotify etc. sorgen automatisch im Studio. Die Arbeit im Studio ist sehr inten- Sachen einfach runter. Man kann es jetzt mo- für eine gewisse Reichweite, global betrachtet. siv und eher wie eine Fortbildung. Die Touren ralisch sehen. Ich selbst sage, wenn eine Band Das merken wir, wenn unter einem Video ein sind eher ein bisschen wie Urlaub. Wenn man was released und es landet im Internet, dann Kommentar auf Russisch steht: „Kommt mal zu mit seinen Kumpels im Bus rumfährt, Quatsch downloade ich es. So denke ich auch über un- uns!“ Ist natürlich schön, so etwas zu lesen. Es macht und dann abends die direkte Reaktion sere Musik: Wenn die auf irgendeine Weise im heißt, jeder Mensch kennt jeden über ein paar zu seiner Arbeit erhält. Das ist dann eigentlich Internet landet und runtergeladen wird, den- Ecken und es kann schnell passieren, dass je- viel wertvoller, als sich im Studio zu verbarrika- ke ich, ja klar, ich habe vielleicht auch deine mand aus Japan deine Musik hört. Das ist dann dieren und an etwas tagelang zu arbeiten, um es Band runtergeladen. Das ist so der musikali- schon ein Erfolgsgefühl. danach hochzuladen oder auf CD zu brennen. sche Kommunismus. Aber das Direkte, dass man etwas Umsatz Wir haben auch schon Konzerte gespielt, wo Gegründet haben wir uns, als wir alle zufällig macht und unterwegs ist, passiert über Konzer- fünf Leute da waren. Aber wenn die fünf wirk- gemeinsam auf Das Fest 2010 waren, damals te viel mehr. Auch der Umgang mit den Fans lich interessiert waren, hat es einem fast mehr spielte eine amerikanische Post-Rock-Band. unterscheidet sich. Über unsere Texte können gegeben als 1.000 Klicks. Online kannst du Ich kannte die meisten von uns schon vom wir gut vermitteln, was einen bewegt, was ei- einfach nicht beurteilen, ob die Person gleich Sehen. Nach dem Konzert kam unser jetziger nem auf der Seele lastet. Damit beschäftigen weitergeklickt oder es sich komplett angehört Gitarrist auf mich zu und meinte, dass das sich die Leute online und fragen, was das für hat. Ich glaube, das ist so ein psychologisches Ding, wie auch in den Nachrichten. Es ist nun mal ein Unterschied, ob jemand in Australien Talking ’bout stirbt oder in deiner Stadt. Ich glaube, so ähn- lich ist das mit Konzerten, wenn ich mich mit den Besuchern austausche und die mir sagen: my Generation „mega geil“. Das ist etwas anderes, wie wenn ich einfach eine Zahl sehe. Alfi ist Bassist der Postrock-Band Watered. Er ist Wer als Musiker Erfolg haben will, muss nicht nur gute Musik ma- 29, kommt aus Moskau und lebt seit 20 Jahren in chen, sondern sie auch zum Publikum bringen. Eine Solokünstlerin Karlsruhe. und ein Bassist erzählen, wie ihnen digitale Medien dabei helfen. Protokolle aufgezeichnet von Sofie Woldrich +++ Ich habe erst vor zwei, drei Jahren mit der Musik angefangen. Damals hatte ich schon gute Ideen, aber ich kannte mich mit der Technik nicht aus. Ich habe dann mit meinem Handy aufgenom- men, die Umsetzung war dadurch echt schlecht. Mittlerweile nutze ich Ableton Live, das ist ein professionelles Musikprogramm, das ich auf meinem MacBook installiert habe. Ich schließe mein Mikrofon über ein Audiointerface an und nehme dann erst einmal die Vocals und die Gi- tarre auf. Über ein Midiboard, das man sich wie ein kleines Keyboard vorstellen kann, und ein Launchpad spiele ich virtuell Instrumente und Effekte ein. Ein Schlagzeug zum Beispiel. Da- bei muss man aber darauf achten, dass die Töne nicht zu perfekt im Takt liegen, sonst wirkt das schnell undynamisch. Das passiert digital sehr schnell und in der Realität so gut wie nie. In einer Band zu spielen kommt für mich nicht doch geil gewesen sei und wir sowas mal selbst ein Zitat ist oder was wir damit zum Ausdruck infrage. Ich habe hin und wieder Kollaborati- machen sollten. bringen möchten. Bei Konzerten kommt man onen, aber das muss dann echt passen. Als So- eher auf natürliche Weise ins Gespräch. Daher, lokünstler ist man ungebunden und kann an Heute haben wir 350 monatliche Hörer und seinem eigenen Ding arbeiten. Außerdem hätte glaube ich, ist da die Person auch relevant, wäh- 2.000 Likes. Das kam etwas überraschend. Wir ich zu sehr Angst, dass ich inmitten eines Pro- rend online die Musik deutlich bedeutender ist. investieren eigentlich fast nichts in Spotify, jekts alleingelassen werde. haben da einmal die Alben hochgeladen und Ich mache die ganzen grafischen Sachen bei uns. seitdem ist das irgendwie ein Selbstläufer. Ein bisschen guckt man sich das von anderen Für meine Uploads nutze ich SoundCloud und Immer wieder mal steckt uns jemand in eine ab. Angefangen beim Schriftzug über das Cover YouTube. SoundCloud ist am einfachsten und Playlist – „Postrock Germany“ oder sowas – Art bis zu den Fotos. Man hat im Hinterkopf, schnellsten. Auf YouTube dauert es schon mal das hilft natürlich. etwas zu nehmen, das unseren Hörern gefällt, vier Stunden. SoundCloud ist auch am billigs- dass sie sich auch mit der Erlebniswelt, die wir ten, aber ich fühle mich da nicht richtig wohl. 12 wirklich\\wahr 04
Da ist eher Rap und Trap vertreten und es ist ziemlich ausgestorben. YouTube passt für mein Genre besser, außerdem spielen die Visuals für mich eine enorme Rolle. Ich habe zu meinen Tracks eigentlich immer eine Story im Kopf, ir- gendein Gefühl, das ich zu vermitteln versuche. Die Leute wollen Identität, sie wollen etwas von dir mitbekommen. Das geht auf Sound- Cloud nicht. Spotify habe ich überlegt, aber dafür ist mei- ne Aufnahmequalität nicht gut genug. Außer- dem kostet das mehr. Zum Hören nutze ich es dafür sehr viel. Ich mag unkonventionelle Sachen, also kein Mainstream-Zeug, was so in den Charts ist, wo sich alles gleich anhört. Vie- le kleine Künstler, Musik bei der ich denke, sie ist anders. Die sind meist auf YouTube stärker vertreten und unterwegs habe ich kein Spotify. Live kann man viel programmieren, aber es ist auch viel Impro, gerade mit Gitarre. Ich pro- duziere nur eine Bassline und den Drum Beat, weil der sonst echt aufwendig ist. Darunter lei- det die Flexibilität, die live für mich besonders macht. Die Strukturen sind dann vorgeschrie- ben, aber es ist deutlich mehr als Playback. Auf Instagram bin ich am meisten unterwegs, deswegen bekomme ich da auch das stärkste Feedback. Da knüpft man auch am schnells- ten neue Kontakte. Manche Leute finden mich über mein Kunstprofil und kommen darüber auf mein Personenprofil. Letztens kam jemand aus Australien auf mich zu, fand meine Kunst cool und hat sich dann meine Musik angeguckt. Wenn du dann daran arbeitest, guten Content zu veröffentlichen, ist die Wahrscheinlichkeit auch viel höher, dass du angeschrieben wirst. Und dann kommt man ins Gespräch. Au- ßerdem ist es Etikette, dass wenn dir jemand folgt, du auch ihm folgst. Da ergeben sich ganz schnell Netzwerke. Meinen Feed fülle ich einfach mit irgendwel- chen Ideen. Die fallen mir auf dem Klo oder beim Duschen ein. Ich chille immer in der lee- ren Badewanne, da habe ich auch schon viele Lyrics entwickelt. Das Bad ist irgendwie mein kreativer Ort. Man muss sich halt darüber klar sein, dass In- stagram ursprünglich eine Fotoplattform ge- wesen ist, da steht die Person im Vordergrund. Viele kommen erst später oder gar nicht auf meine Musik. Aber ich bekomme insgesamt ei- gentlich echt viel positive Rückmeldungen, das ist sehr sehr cool. Ich versuche immer innovativ zu sein, versuche neue Technologien zu verbinden mit Kreati- vität. Viel mit Licht zum Beispiel, ich mag es Leute zu verblüffen. Dass sie nicht checken, wie man es kreiert hat, das mag ich. Die 23-jährige Solokünstlerin Sarah alias Miss Need- le wohnt in Stuttgart. Sie beschreibt ihre Musik als eine Mischung aus Dark Ambience, Elektro und Pop. wirklich\\wahr 04 13
Touchscreen statt Tafel Die Bundesregierung gibt Milliarden für die Digitalisierung an Schulen aus. Unser Autor ist auf einer Vorreiter-Schule in Sachen digitales Lernen, früher war er das nicht. Wo lernt man besser? Von Aaron Schröder W enn es nach der Bundesregierung geht, soll durch Deutschlands Schu- len eine Art Bildungsrevolution ge- hen. Seit Mai 2019 ist der DigitalPakt Schule in Kraft. Insgesamt fünf Milliarden Euro wollen weise des Lehrers an und wie er seinen Unter- richt durchführt. Digitale Medien könnten al- lenfalls Ergänzung sein. Als ich von dem Digitalpakt hörte, dach- kommen mit dem Tablet in die Klasse, verbin- den es drahtlos mit dem Beamer an der Decke und beginnen den Unterricht. Für alles außer- halb des Klassenzimmers gibt es eine Lernplatt- form im Internet. Das sieht dann zum Beispiel te ich an meine bisherige Schulzeit. Ich war Bund und Länder in den kommenden Jahren so aus: Meine Religionslehrerin stellt in dieser bis zur neunten Klasse auf einer öffentlichen den Schulen zur Verfügung stellen. Damit soll Lernplattform eine Aufgabe ein, wir sollen zu Schule, wo Digitalisierung nur ein Thema von der Unterricht digitaler, vor allem aber besser einem Arbeitsblatt online Stellung beziehen. vielen war. Später bin ich auf eine Privatschule werden. Es soll mehr WLAN in den Schulen ge- Man kann aber auch auf einem Blatt Papier gewechselt, die sich selbst als digitaler Vorreiter ben, Lernplattformen im Internet, Tablets statt schreiben und es als PDF oder Foto hochladen. sieht. Ich stellte mir die Frage: Kann man digi- Schulbücher. Auf der Plattform kann ich meine Prüfungs- tal eigentlich besser lernen? termine sehen und welche Aufgaben ich noch Doch es gibt auch Wissenschaftler, wie der In meiner neuen Schule in Koblenz gibt es erledigen muss. Bildungsforscher John Hattie etwa, die sagen mehrere Computerräume, ausgestattet mit mo- Digitalisierung sei überschätzt. Hattie argu- Mir erleichtert das die Arbeit und das Ler- dernster Technik. In den Klassenzimmern hän- mentiert, es brauche keine Digitalisierung als nen. Mit wenigen Klicks kann ich auf alle wich- gen zwar noch Kreidetafeln, aber wir können Selbstzweck. Es komme vielmehr auf die Denk- tigen Informationen zugreifen. Wenn ich krank auch Beamer benutzen. Viele meiner Lehrer 14 wirklich\\wahr 04
bin, finde ich alles auf der Lernplattform. Mei- von Cybermobbing gegeben, so Liebe. Er will Beide Schulen setzen noch auf die bewährte ne Schultasche ist jetzt viel leichter. Jeden Tag WLAN in der Schule installieren, aber vorerst Papierform. Das ist wohl auch ein Entgegen- schleppen Schüler in Deutschland durchschnitt- nur für das Kollegium. Er befürchtet, dass die kommen an die Lehrer, die sich mit der Technik lich zehn Kilogramm an Büchern in die Schule. Schüler das ausnutzen würden, etwa für illegale eines digitalen Klassenraums nicht vertraut ma- Ich habe nur meinen Ordner dabei und ab und Downloads. chen wollen. Kai Liebe betont das so: „Ich den- zu Bücher für die Hauptfächer. ke das wäre schon ein ziemlich großer Schritt, An meiner jetzigen Schule in Koblenz gibt es wo dann auch wirklich alle Kollegen mitziehen An meiner alten Schule im Westerwald gab ab der Unterstufe iPad-Klassen. Die iPads sind müssen“. es weniger technische Geräte – aber ganz analog mit dem schulischen WLAN verbunden, aller- waren wir nicht unterwegs. Es gab Smartboards dings können die Schüler keine Apps herun- Meine alte Schule im Westerwald erhält im in den Klassenzimmern, interaktive Tafeln, bei terladen und die Zugriffe für spezielle Websites Zuge des Digitalpakts im kommenden Jahr denen ein Beamer das Bild auf eine weiße Fläche sind gesperrt – jeder Schritt des Schülers ist ge- 180.000 €. Ein Teil davon geht für das WLAN projiziert. Wirklich benutzt hat das aber nie- nau nachvollziehbar. drauf. Ich finde, man sollte diese Summe auch mand. Die Lehrer schrieben ihre Einträge meis- in Fort- und Weiterbildungen investieren – Viele Lehrer setzen digitale Medien sinnvoll tens auf die Whiteboards, die wie Flügel rechts für Lehrer und Schüler. Liebe macht deutlich: ein, aber längst nicht alle. Oft müssen wir Schü- und links an dem Smartboard angeschraubt wa- Um das gebrochene Vertrauensverhältnis wie- ler aushelfen, beispielsweise wenn die Lehrer ren. Auch die Technik funktionierte oft nicht, derherzustellen, müssen Schüler den richtigen ihre iPads nicht mit dem Beamer verbinden kön- manchmal war der Beamer verdreckt oder der Umgang mit digitalen Medien lernen. Sie müs- nen. An meiner alten Schule war das ähnlich. Ich Stift musste neu kalibriert werden. sen verstehen, sie richtig für sich zu nutzen. Das kann mich an eine Lehrerin erinnern, die sich braucht Zeit und vor allem geschultes Personal. Kai Liebe, der Schulleiter meiner alten Schu- von uns immer das Smartboard hat anmachen le, bezeichnet die Smartboards heute als „guten lassen. „Viele Kollegen sind nach wie vor skep- Im Westerwald startet man gerade ein Ex- Einstieg“, sie seien jedoch längst überholt. Bei tisch“, sagt Liebe, auch nach zehn Jahren Smart- periment: Lehrer produzieren mit Schülern einem Besuch an meiner alten Schule führt mich board. Es gebe motivierte Kollegen aber viele sei- Erklärvideos. Das Prinzip ist einfach – Schüler Liebe durch die Klassenräume der Zukunft. Wo en auch überfordert. Diesen Eindruck teile ich; präsentieren anderen Schülern ihr Wissen über früher grüne Tafeln standen, stehen heute riesige ich habe ihn auch bei meiner neuen Schule. ein Video, das auch zu Hause abgerufen wer- Bildschirme. Mit einem Stift kann man einfach den kann. Auch Lehrer können solche Videos In Klassenzimmern beider Schulen gibt es darauf schreiben, die Panels sind viel präziser aufnehmen. Die Lehrer werden so eher zu Lern- noch ein Relikt aus alten Zeiten, es wirkt ein als die Smartboards. Panels statt Tafelgrün und begleitern. bisschen wie aus dem Museum: die Overhead- Kreideweiß – es wirkt, als sei das der ganze Stolz projektoren. An meiner alten Schule wurden In einer kürzlich erschienenen Studie beno- seiner Schule. diese noch häufiger benutzt als an meiner neuen. ten 5.000 Schulleiter die digitale Ausstattung Liebe glaubt an die Digitalisierung und ist of- Es gibt iPads, Beamer, Smartboards und Doku- ihrer Schule im Durchschnitt mit einer Drei fen für neue Technologien. „Da geh’ ich mit der mentenkameras – also wofür brauchen wir die Minus. Kai Liebe sieht seine Schule mit einer Zukunft“, sagt er. Aber er sieht ein zentrales Pro- Dinger noch? glatten Zwei auf einem guten Weg. Ich habe blem: Das Vertrauen. Als ich vor einem Jahr noch auch die Schulleitung meiner neuen, digitalen Mir scheint, bei all der Digitalisierung in der an der Schule war, waren Handys zwar eigent- Schule nach einer Note gefragt. Der stellvertre- Schule haben die „Digital Immigrants“ unter den lich verboten aber wir durften sie oft trotzdem tende Schulleiter gab eine glatte Eins. Lehrern noch ein zweites Relikt zum Rückzug benutzen. Damit ist jetzt Schluss. Es habe Fälle aus der digitalen Welt – das Klassenbuch. wirklich\\wahr 04 15
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Eine ruhige Seitenstraße in der Altstadt von eine andere Art von Rückzugsort unterwegs, Sinnkrise gerutscht damals. Wusste überhaupt Köln. Das Hupen der Großstadt ist kaum zu wenn du dein eigenes kleines zu Hause hast. nicht, was ich machen will.“ Sonst so ruhig, hören. Etwa ein Dutzend Autos, geparkt auf Das ist das ultimative Gefühl von Freiheit.“ spricht sie nun eilig und irgendwie etwas rast- der rechten Straßenseite – auch Malenas VW los über diese Phase. Eine Phase der Verände- Aufbruch und Freiheit. Zwei Worte, die ich Bus. Seit September baut sie ihn um. Ab Som- rung. Erste Kontakte mit Ortsunabhängigen in letzter Zeit oft gehört habe. Mit fünf digi- mer 2020 will sie unterwegs sein. entstanden durch eine Konferenz, in der die talen Nomaden habe ich per „Zoom“, einem Teilnehmer „ermutigt werden, ihren eigenen Malena ist eine „digitale Nomadin“. Digitale Service für Webkonferenzen, gesprochen. Fünf Weg zu gehen. Welcher auch immer das ist.“ Nomaden – so nennen sich Menschen, deren Geschichten habe ich kennengelernt. Adrian, Gleichgesinnte, von denen manche ihr Leben Arbeit durch Digitalisierung nicht an einen zum Beispiel, ist Designer und Fotograf. Woh- bereits geändert haben. Sie lernt unter ande- Ort gebunden ist. Sie studierte Design, arbei- nungen mietet er an verschiedenen Orten der rem Johannes kennen, der ist Gründer einer tete in Kapstadt, verbringt seit einigen Jahren Welt, immer möbliert und für ein paar Mona- Kreuzfahrt für digitale Nomaden. ihre Winter dort oder in Brasilien. Aber das te. Dort arbeitet er, je nach Auftragslage. Da- Schneckenhaus-Zuhause Dank Internet lassen sich viele Berufe von überall auf der Welt ausführen. Das hat eine neue Subkultur ermöglicht: Das digitale Nomadentum. Men- schen geben Haus oder Wohnung auf und ziehen alle paar Wochen an einen anderen Arbeitsplatz, rund um die Welt. Wir haben eine angehende Noma- din bei der Vorbereitung für ihren Aufbruch begleitet. Von Klara Hofmann Malena baute ihr Fundament zur Selbst- reicht ihr nicht. Sie will in ihrem VW Bul- nach zieht er weiter. Ganz anders reisen Eva, ständigkeit aus Berufserfahrung und „Skills“, li umherreisen und von unterwegs arbeiten. Jan und der sieben Monate alte Luis: Anfangs die sie sich angeeignet hat. Nicht zu vergessen Über die Grenzen Deutschlands, ihrer Woh- zu Fuß unterwegs, unterstützen und verbrei- aber auch Zweifel, die sie hatte. „Wer bin ich nung, ihrer Stadt und ihres WLan-Netzwerks ten sie inzwischen zu dritt und auf Rädern so- denn schon? Ich stehe noch ganz am Anfang.“ hinaus. Was treibt Menschen wie Malena an? ziale Projekte in Europa. Arbeit und Studium Angst und Neugierde vor dem Unbekannten. Wonach sind sie auf der Suche? laufen parallel dazu – dank Internetzugriff – Und dann ist da das Risiko der Einsamkeit. von unterwegs. Eine Woche zuvor lädt sie mich per Tele- „Ich glaube, das Gefühl von Alleinsein, das fongespräch ein, in ihre Wohnung zu kom- Ungebunden sein ist unsere Idee von Frei- kommt durchaus auf. Das gehört auch dazu. men. Heute, an einem Sonntagnachmittag im heit. Freiheit das große Projekt der Moder- Zu lernen, damit umzugehen.“ November, wünscht mir ihre Fußmatte zur ne, das Ideal unserer Zeit. Aber da ist auch Einer ihrer Freunde reiste allein nach Aus- Begrüßung eine gute Reise. Später am Abend eine andere Seite von Freiheit: Verzweiflung, tralien, arbeitete frei, besuchte eindrucksvolle wird Malena mich mit einem „Komm, lass dich Orientierungs- und Sinnlosigkeit. Wir haben Orte und erlebte tolle Dinge. Nach wenigen drücken“ und einer Umarmung verabschieden. mehr Möglichkeiten als jemals zuvor. Und Monaten kehrte er niedergeschlagen zurück. Die 29-Jährige öffnet mir in Jeans und einem doch mehr Angst vor Verpflichtungen als je- Geschichten wie seine hört man häufiger, locker sitzenden Shirt. „Meine Unterstützung mals zuvor. Wir müssen nichts mehr beweisen, spricht man mit Heranwachsenden, die auszo- für den Bau am Bulli musste kurzfristig absa- nichts mehr erkämpfen. Wir können schein- gen, die Welt zu erobern. gen. Heute bin ich nicht dazu gekommen, da- bar immer und überall sein, alles ist nah. Wo ran zu arbeiten“. Malena zuckt die Schultern. aber finden wir unseren Platz, wenn der über- Wir sind Generation „Y“. Generation „Why“. Kaffee? Kuhmilch hat sie nicht, der Zucker ist all sein kann? Und Generation „Maybe“. Es heißt, wir sind leer. Dankend nehme ich Hafermilch entge- egoistisch, anspruchsvoll, faul, impulsiv, un- Malena grinst, als ich sie frage, warum sie gen. geduldig und doch irgendwie willenlos. Wir eine Digital-Nomadin werden will. „Den Mo- hinterfragen und wir kritisieren, wollen gese- Einer ihrer Freunde aus Berlin hatte mich ment habe ich regelmäßig.“ Beispiele? „Sachen, hen werden und uns selbst verwirklichen. Wir auf sie aufmerksam gemacht, ich fand ihn die die deutsche Mentalität mitbringt. Dass wollen für uns das Beste rausholen. Wie das durch Instagram. Jetzt sitzt sie vor mir und er- alle sehr gestresst sind und Dinge sehr nega- aussieht? Wissen wir nicht. Deshalb sind wir zählt von ihrem Projekt: Das erste Ziel: Skan- tiv sehen. Sich über Sachen aufregen, die nicht auf der Suche. Wonach? Wissen wir nicht. Ha- dinavien. Von dort aus weiter durch Europa. wirklich schlimm sind.“ Ihre glatten blonden ben wir das Glücklichsein verlernt im Nebel Wie lange genau ist noch unklar, sie möchte Haare wippen während sie spricht. des ständig Möglichen? spontan planen und flexibel bleiben – unter- Nach ihrem Bachelor hat sie ein halbes Jahr wegs sein. „schneckenhausmäßig“, beschreibt Kein Wunder, dass wir zerrissen sind. Wir in Kapstadt gearbeitet, sieben Jahre ist das sie den Lebensstil, den sie verfolgen will. Ihre blühen auf in der Welt, in der wir auf Ins- jetzt her. „Die ganze Welt sagt dir ‚Nee, du Stimme ist jetzt sanft und vorsichtig, forsch tagram allen Freunden und Nicht-Freunden musst jetzt erwachsen werden, Malena, das ist oder zackig war sie vorher nicht, aber eher lo- beweisen können, wie das perfekte Leben jetzt so. Ist jetzt vorbei mit Freizeit.‘“ Schmun- cker, entspannt, ungezwungen. „Es ist einfach aussieht. Dass die Realität weit weg ist davon? zeln. Kurze Pause. „Bin dann in eine kleine wirklich\\wahr 04 17
Unwichtig. Aber genauso gut kennen wir die verändert.“, sie stockt. Dieses Jahr haben sich weilt sie in Gedanken. Freundschaften sind Zeiten davor: Als ich klein war, machte ich ihre beiden Leben vermischt: Menschen, die auch auf Reisen entstanden, aber „so richtig mir keine Gedanken darüber, welches der sie auf Reisen kennenlernte, konnte sie auch langjährige Freundschaften, die man hier hat, 45.647 Urlaubsbilder wohl am meisten Likes „zu Hause“ in Deutschland treffen. Malena ersetzt das nicht.“ bekommt, sondern, ob mein Vater gerade te- lacht. „Das klingt irgendwie ein bisschen ko- Ihre Eltern, sagt sie, würden sich mehr wun- lefoniert und ich deshalb das Analog-Modem misch, aber es ist schön, wenn das gefühlt alles dern, wenn sie fest angestellt geblieben und nicht unter Krachen und Krächzen mit dem mehr Eins wird.“ ihr Leben lang im Büro sitzen würde. Beim Internet verbinden konnte. Auf dem Handy Dann gibt es noch diejenigen, die genau das Sprechen zeichnet sich ein Grübchen an der aus Versehen die falsche Taste gedrückt? Zack, nicht wollen. Die sich nur in dem einen Leben rechten Seite von Malenas Mund ab. willkommen im Vodafone-Store. Fünf Euro verwirklicht sehen. Und eingeengt sind in dem weniger auf meiner Prepaid-Karte. Seit Kindheitstagen dieser Drang nach anderen Leben. Abenteuer und Alltag – zwei Erlebnissen in fremden Umgebungen. Sich Langfristige Entscheidungen setzen wir Gegensätze, die sich doch irgendwie gegensei- außerdem persönlich entwickeln, fern vom gleich mit Begrenzungen: Sie machen uns tig bedingen. Existiert das eine nicht, erleben gewohnten Umfeld. Dort, wo sie sich besser Angst. wir das andere nicht. Eine Flucht vor dem, kennenlernen und wachsen kann. dessen Konfrontation „zu Hause“ wartet. Weg- An jedem Ort ein neues Umfeld aufbauen, laufen ist so einfach. Sie erzählt mir von Naturphänomenen und ein Abenteuer. An jedem Ort unbekannte Katastrophen, die sie miterlebt hat. Von Wald- Nuancen seiner selbst entdecken, eine Chan- Wir sprechen auch über Freundschaften, die bränden und anderen Dingen, die sie geprägt ce. An jeden Ort den Anspruch stellen, die noch nach Jahren bestehen. Und solche, die haben. „Das macht einen dankbarer. Und man absolute Verkörperung von Glück zu sein, ein es nicht tun. Viele ihrer Freundschaften sind hinterfragt auch viel: ‚Wie lebe ich hier? Muss Problem? zerbrochen, ein paar enge sind geblieben. Mit das so sein? Was kann ich mir von Anderen ihnen trifft sie sich nur ein paar Mal im Jahr, Viele sind nach Jahren des Reisens auf der abgucken und lernen?‘“ unter ihnen hat sie ein Gefühl von Heimat. Suche nach einem festen Wohnsitz. Malena Dort wo Risiko ist, ist auch ganz viel Mut. hat Verständnis: „Weil es anstrengend ist, sich „Die, die am meisten gegen schießen oder Im Dunst der Ungewiss- und Unentschieden- alle zwei, drei Monate irgendwo einen neuen Punkte finden, warum es nicht funktioniert, heit einen Schritt zu gehen, etwas zu wagen. Lebensmittelpunkt aufzubauen. Neue Freunde sind aber auch die, die es irgendwo selbst ger- Sich zu trauen und nicht nur äußere Umstän- zu suchen. Aber auch viel arbeiten zu müssen.“ ne machen würden. Sich aber nicht trauen.“ de, sondern auch innere Umstände zu hinter- Andere Freunde raten ihr, doch „langsam mal Was oft untergeht: Digitaler Nomade zu fragen: sich selbst. anzufangen, zu arbeiten.“ sein bedeutet nicht nur Reisen, Spaß und gute Die Arbeit vergisst Malena dabei nicht. Laune. Ihre Wohnung in Köln? „Ich bin nicht be- „Man braucht eine Menge Selbstdisziplin“, reit, meinen Wohnsitz aufzulösen. Das hieße „Eine Zeit lang hatte ich damit zu kämp- sagt sie grinsend. Die sie nach eigener Aussage auch, Freundschaften hier aufzugeben. Mehr fen, dass man zwei Leben lebt. Man hat einen noch nicht immer besitzt. oder weniger. Und da sind mir ein paar Leute richtigen cut, als ob man eine Zeitreise zurück zu sehr ans Herz gewachsen.“ Ihr Blick streift Wie steht es um das Thema Liebe? Das Rei- macht. Und in Deutschland hat sich nicht viel meine Schulter und für einen Moment ver- sen aufzugeben ist für sie keine Lösung auf 18 wirklich\\wahr 04
Dauer: „Temporär machst du das. Aber dann verleugnest du auch einen Teil von dir, der dich ausmacht und der dir wichtig ist.“ Ma- lena runzelt die Stirn. Wenn einer reist, sagt sie, und der andere nicht, entwickelt sich eine Seite sehr viel weiter und die andere stagniert. Zukunftsplanung? Sie schmunzelt. „Ich glaub, die habe ich gar nicht so richtig. Der Wunsch, der bei mir in den letzten Jahren entstanden ist, ist frei entscheiden zu können, wann ich wo sein möchte.“ Dabei gehören Kompromisse für sie dazu. „Wenn man es schafft, dass bei- de ihre Leidenschaften leben können und die auch noch teilen. Ich kann mir doch nichts Schöneres vorstellen. Die Vorstellung finde ich unfassbar toll.“ Und Sicherheit? „Ich glaube, jeder hat so ein bisschen das Streben nach Sicherheit. Aber ich habe Vertrauen. Was ist das Schlimmste, was passiert?“ Malena lehnt sich zurück und schaut mich an. „Ich weiß, dass ich genug Berufserfah- rung gesammelt habe, um jeder Zeit wieder in Festanstellung gehen zu können“. Adrian, einer ihrer Freunde aus Berlin, hat seinen Besitz minimiert. Sein Reisegepäck be- schränkt sich auf einen Koffer, zehn T-Shirts, drei Hosen. Viel Ballast bei sich haben, will er nicht. Minimalismus, fast schon eine Art Askese, als die vielleicht letzte übriggebliebene Art der Rebellion gegen unsere Überflussgesellschaft? Oder Befreiung von dem, was uns so unter- schwellig als Lebensnotwendigkeit vermittelt wird: Besitzt du viel, geht es dir gut. Ich hake nach: „Was brauchst du denn dann?“ „Die Flucht aus dem Alltag hier. In einen Ort, an dem ich meine anderen Leidenschaften mehr leben kann.“ Während wir in der Dämmerung durch Kölns Innenstadt schlendern, erzählt mir Ma- lena von einer Frau, die das Singen liebte, da- rin aber untalentiert war. Über den Zeitraum der Kreuzfahrt für digitale Nomaden hinweg nahm sie Gesangsstunden und präsentierte am letzten Abend das Ergebnis. Sie schwärmt: „Mit genug Hingabe und Übung kannst du al- les schaffen. Hast du Talent, musst du eben nur ein bisschen weniger dafür üben.“ Malena lacht und sagt, sie würde gerne einmal in einer Ka- raoke-Bar gehen. Aber da hätte sie Angst, vor allen Leuten singen zu müssen. Schon komisch. Eine Frau, die ihre Sachen packt, um alleine im VW Bus um die Welt zu ziehen, hat Angst vor einer Karaoke-Bühne. Ursprünglich war es mein Plan, einen Tag im Leben eines digitalen Nomaden zu zeigen. Jetzt, drei Wochen, viele Gespräche mit Di- gitalnomaden und einige Erkenntnisse über das Leben und mich selbst später, sitze ich am Schreibtisch meines WG-Zimmers und schrei- doch eins gelernt: Die Suche nach Freiheit, anderes wagen: Eine Verpflichtung eingehen. be. Aus den Augenwinkeln kann ich die Lich- Glück, Zufriedenheit hat kein Ende. Es ist ein Zwischen all den möglichen Wegen einen ehr- ter der Autos vor meinem Fenster sehen. Hu- Prozess, eine Reise. Und die sieht bei jedem lich voll und ganz ausprobieren. Wenn es nicht pen. Was würde ich dafür geben, jetzt an einem Menschen anders aus. Welche Kontinente, klappt, an der nächsten Kreuzung eine andere Strand zu liegen und die Sonne zu genießen… Länder oder vielleicht auch nur Städte man Abzweigung nehmen. Sich selbst zuhören und Auch wenn ich – wie viele – nicht weiß, kennenlernen muss, um bei sich anzukom- ernst nehmen. Weiterschreiten statt flüchten. wohin genau mein Weg führen wird, habe ich men? Vielleicht sollten wir öfter etwas ganz Entscheiden. Und dann: Machen. wirklich\\wahr 04 19
Wie Digitalisierung den Dialog retten kann Reden wir über Digitalisierung, zeichnen wir oft ein negatives Bild von ihrem Einfluss auf Kommunikation – Abhängigkeit von Smartphones, Starren auf Displays. Dabei übersehen wir die Chance, interkulturelle Barrieren zu überwinden und über Grenzen hinweg ins Gespräch zu kommen. Von Rebecca Ricker 20 wirklich\\wahr 04
I m Zug höre ich, dass sich hinter mir zwei Männer unterhalten. Sie sprechen Hebrä- isch, kommen vermutlich aus Israel. Was sind ihre Erfahrungen in Deutschland? Neh- men sie politische Diskussionen anders wahr? schaft oder Freundschaft schließen? In der App ist klar: Ich suche jemanden, um eine Fremd- sprache zu üben. Vielleicht entwickelt sich eine Freundschaft. Notwendig ist das nicht. Interessen angeben – und so Diskussionen zu TV-Serien des Landes, Politik oder dem Züch- ten von Kakteen starten. Im echten Leben bin ich darauf angewiesen, Eine weitere Schwierigkeit beim interkultu- Gemeinsamkeiten mit Menschen in meiner Ich stelle mir vor, wie ich mich zu ihnen drehe rellen Dialog ist die Sprache selbst. Ich spreche Umgebung zu finden. In meinem Freundes- und frage: „Ich habe gehört, dass ihr Hebräisch zwar hebräisch, aber nicht fließend. Hinein- kreis kann niemand verstehen, warum ich es redet. Was denkt ihr über Deutschland und das geworfen in eine spontane Situation, würde liebe, Sprachen wie Hebräisch zu lernen. Im Leben?“ Vielleicht haben sie gar keine Lust, ich stottern, mir würden Worte fehlen. Mein Internet finde ich Leute, die genauso begeistert darüber zu sprechen. Oder sie müssen bei der Gesprächspartner müsste geduldig sein, bis ich sind wie ich. Dadurch kann ich mich ganz neu nächsten Station aussteigen. Ich spreche sie meine Sätze herausbringe – und konzentriert, austauschen. Vielleicht sogar Freunde finden. nicht an. Solche Hemmnisse erlebe ich häufig um mich zu verstehen. Bei vielen meiner Freun- Mit Freunden will ich meine Gedanken ordnen – und spreche deshalb kaum mit Ausländern. de bleiben Fremdsprachen deshalb Schulfach. und versuchen, Empfindungen in Worten aus- Der Dialog scheitert. Nicht nur bei mir: Der Auch meine Mutter hatte in der Schule meh- zudrücken. Als ich in Frankreich lebte, habe interkulturelle Dialog ist eine der größten He- rere Jahre Französisch, später belegte sie einen ich Gespräche gesucht, die mich zu neuen Er- rausforderungen unserer Zeit. Laut Bundesamt VHS-Kurs. Im Urlaub traut sie sich trotzdem kenntnissen führen. Es war anstrengend, weil für Migration und Flüchtlinge leben mehr als nicht, mit Franzosen zu sprechen. Obwohl sie mir Begriffe fehlten, um Nuancen zu vermit- zehn Millionen Ausländer, Menschen ohne genug Vokabeln kennt und viel versteht, fühlt teln. deutsche Staatsangehörigkeit, in Deutschland. sie sich nicht bereit für ein Gespräch. Eine Tandem-Partnerin von mir hat diesel- Trotzdem bestätigt eine Studie der Bonner Im Internet ist das leichter: Ohne Zeitdruck ben Probleme wie ich, auch sie tut sich schwer Akademie für Forschung und Lehre prakti- kann ich mich auf das Gespräch vorbereiten damit, im Ausland Freunde zu finden. Nur ist scher Politik: Wir hören meist nur Perspek- und nach fehlenden Worten suchen, noch wäh- Ausland für sie Berlin. Sie ist Israelin und lebt tiven von Menschen aus unserer politischen rend ich eine Antwort schreibe. Beide Seiten seit einigen Jahren in der deutschen Haupt- Strömung, unserer eigenen sozialen Schicht werden Fehler machen und stellen sich darauf stadt. Als sie mir von ihrem Leben dort erzähl- und Nationalität. ein, dem anderen zu helfen – beide wollen ja te, fand ich meine Frankreich-Erfahrung darin Digitalisierung kann das ändern. Dialog weiterkommen. Ich kann mich darauf konzen- wieder. Wir beide hatten das Gefühl, wegen muss nicht mehr im Zug anfangen, es reicht trieren, wofür ich Fremdsprachen lerne: nicht der Fremdsprache keine Freunde zu finden. eine App. für Perfektion, sondern für Kommunikation. Auch uns fehlten in Gesprächen miteinander Durch regelmäßige Gespräche sind wir ent- immer wieder Worte. Trotzdem haben wir uns Tandem-Apps ermöglichen es, Mutter- spannter und können auch tiefer über Themen gut verstanden – und konnten eine Erfahrung sprachler unzähliger Nationen zu finden. Nach reden. miteinander teilen, in der wir uns bisher un- nur ein paar Klicks kann ich Menschen an- verstanden fühlten. Durch unsere Verbunden- schreiben, und wenn sie Lust haben, antworten Ein zusätzlicher Vorteil von Apps ist die heit fällt es uns beiden leichter, Zugang zu un- sie mir. Wenn nicht, entsteht zumindest keine Anonymität. Sie ermöglicht schnell Nähe. serer jeweiligen Kultur zu finden. unangenehme Situation. Ich kann abwarten, Meine Mutter hilft seit mehreren Jahren einer wie sie auf Fragen reagieren und mir Zeit syrischen Flüchtlingsfamilie. Ich habe schon Eine andere Bekannte aus dem Internet nehmen, meinen Chatpartner einzuschätzen. oft mit den Kindern gespielt, bei den Hausauf- wollte seit der dritten Klasse Hebräisch lernen, Wenn wir uns gut verstehen, können wir tele- gaben geholfen oder mit der Familie gegessen. Bilder in der Kinderbibel von Israel hatten sie fonieren, skypen oder uns im „real life“ treffen. Aber über kontroverse Themen, wie Frauenbil- begeistert. Jahrelang versuchte sie, mithilfe von der, reden wir nie. Wir wären gehemmt, wür- Lehrbüchern und Kassetten zu lernen und reis- Ein Hindernis für Dialog im echten Leben ist den einen Konflikt vermeiden. Was, wenn ein te von erspartem Geld nach Israel. Ohne israe- die ungewollte Nähe. Wenn ich mit den Män- Streit die Freundschaft gefährdet? Dabei brau- lische Freunde kam sie nicht weit. Der Dialog nern im Zug in Kontakt bleiben wollte, müsste chen wir Konflikt, um ehrliches Verständnis scheiterte. Sie war enttäuscht. Erst mit Mitte ich ihnen meine Telefonnummer geben. Das ist für den anderen zu entwickeln. 40 begann sie wieder damit, die Sprache zu mir zu viel Verpflichtung. Ich hatte in der Ver- lernen, nun mit Hilfe des Internets. Dort fand gangenheit schon kurze Gespräche, nach denen Im Internet habe ich keine Verbindung zur sie eine Familienmutter aus Eilat im gleichen ich keinen Kontakt halten wollte, die andere fremden Person. Das sorgt für Hasskommenta- Alter. Die beiden sind mittlerweile seit zehn Person aber schon. Ein Mann folgte mir meh- re, aber auch dafür, dass ich direkt nach dem Jahren befreundet. Diese Bekannte war in ihrer rere Stunden, während ich Flyer verteilte und „Hallo“ fragen kann: „Wie denkst du als Syrer Jugend angewiesen auf selten angebotene Alt- bat mich über zehn Mal um ein Treffen. Noch eigentlich über die Rolle der Frau?“ Damit be- hebräischkurse und teure Reisen nach Israel, Wochen danach rief er mich zwei- oder drei- komme ich noch keinen umfassenden Einblick, wenn sie die Sprache richtig lernen wollte. Bei mal pro Tag an. In der App muss ich keinen aber ein besseres Verständnis. mir reicht das Handy. echten Namen, keine Nummer und noch nicht Das Internet erleichtert den Dialog, auch einmal meine Stadt angeben. weil ich Menschen mit den gleichen Hobbys Wenn ich im Zug einer spontanen Begeg- finden kann. Das gibt mir einen Anlass, das nung meine Handynummer gebe, weiß die Gespräch zu beginnen. Ähnlich wie bei Da- Person nicht: Will ich ein Date, eine Bekannt- ting-Apps, kann man auf Tandem-Apps seine wirklich\\wahr 04 21
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digitale …Erfahrungen wirklich\\wahr 04 23
Digitalkonferenz Die Digitalisierung ist präsent in allen Bereichen unseres Lebens. Alte und Junge blicken unterschiedlich auf diese Entwicklung. Wie verschieden ist die Lebensrealität von drei Generationen? Wir baten eine Familie, über das Damals, Heute und Bald in einer digitalen Welt zu diskutieren. Von Leonie Hartge im Gespräch mit einer Familie. Ilse, die Großmutter, wohnt in einem großen Ich glaube, es ist gut, wenn man da einen begrüßt, das Letzte, was uns gute Nacht wünscht. Reihenhaus am Rande von Bochum. Matthias, ihr gemeinsamen Konsens hinkriegt, da gibt es auch Algorithmen bestimmen, wen wir kennenlernen, Sohn, erzählt, dass er und seine Geschwister hier kein Falsch und kein Richtig. an welche Ereignisse wir uns erinnern, welche aufgewachsen sind. Ich habe eine Familie gefunden, Michaela: Ich bin der digitale Muffel von uns. Informationen wir lesen. Als wären sie Naturgesetze mit der ich mich über Digitalisierung unterhalten (Lachen) Ich benutze ein Handy für den Job, ich und wir ihnen willenlos unterworfen. Doch diese kann. Drei Generationen, die unterschiedlich viele muss erreichbar sein. Ansonsten aber wenig. Trance stören, reicht aus, um uns in die reale Welt Abschnitte der Digitalisierung miterlebt haben. Ilse: Ich denke, dass im Alltag Fluch und Segen zurückzureißen. Die Konflikte, die dabei immer präsent sind, haben der Digitalisierung ganz nah beieinanderliegen. wir erlebt, konkret in einem Gespräch entlang der Ich habe als Oma beobachtet, wie die jungen Ilse: Wenn man alleine unterwegs ist, kann das Konfliktlinien. Entlang der Generationen. Leute so sehr damit beschäftigt sind. Das hat Handy hilfreich sein, aber sonst erreicht mich mich ängstlich gemacht, dass eine Sucht daraus keiner. Ich will auch gar nicht erreichbar sein. w\\w: Wo begegnet euch Digitalisierung im werden könnte. Aber ohne geht es nicht mehr. Dafür gibt es das Festnetz, das reicht mir. Alltag? Ich schreibe übrigens nur Briefe. Ich habe zwar Matthias: Es ist spannend zu hören, dass für euch Matthias: Prozesse verändern sich: Früher ein Handy, aber das ist immer aus. (Lachen) Digitalisierung zum Großteil das Handy ist. Für hat man Briefe geschrieben, heute wird viel Paula: Das darf man gar nicht mehr sagen! mich geht das in eine ganz andere Richtung, so schneller und kostenlos kommuniziert. Durch wie die Automatisierung von Prozessen. die Digitalisierung hat sich die Kommunikation Wir leben im Einklang mit dem Rhythmus unseres Paula: In der Schule reden wir auch oft über komplett verändert. Handylichts. Es ist das Erste, was uns morgens die Digitalisierung und da geht es eher primär 24 wirklich\\wahr 04
um das Internet. Wir versuchen aber auch mit verschiedenen Plattformen zu arbeiten. In Kunst haben wir eine Abstimmungs-App, da muss man sich nicht mehr melden, das ist dann viel anonymer. Das finde ich total cool. w\\w: Findest du das angenehmer, als dich zu Michaela, die Mutter, ist 49 Jahre alt melden? und Küsterin in einer evangelischen Paula: Ja, auf jeden Fall! Ich bin viel offener, weil Gemeinde in Bochum. es anonym ist. Matthias: Den Satz fand ich grade spannend, Paula. Du sagst man wird offener, obwohl man anonymer wird. Das ist doch eigentlich ein Widerspruch, oder? Paula: Diese Anonymität hat natürlich auch Nachteile, grade bei Mobbing. Die Selbstverständlichkeit mit der wir uns durch das Netz bewegen, schenkt uns das Gefühl, digital zu Hause zu sein. Diese Illusion zerbricht, sobald Hass Matthias, der Vater, ist 51 Jahre alt ihr entgegenschlägt. Durch das Internet überwinden und Geschäftsführer des „Blauen Mobbing und Hetze jede Grenze von Zeit und Raum Kreuzes“, einer christlichen Organisa- und gewinnen dadurch eine Macht, die wir kaum tion zur Unterstützung von Sucht- noch eingrenzen können. kranken. w\\w: Paula, könntest du in einer Welt ohne Internet leben? Paula: Nee, auf gar keinen Fall. Nicht mehr. Man kann uns nicht dafür verurteilen, wir sind damit aufgewachsen, wir kennen das gar nicht mehr anders. Sogar die Kinder im Kindergarten haben mittlerweile schon ein Handy. w\\w: Siehst du das kritisch? Paula: Ja, ich finde das viel zu früh, das muss nicht sein. Kinder können doch mit anderen Kindern spielen. Die müssen nicht direkt so ein Ilse, die Großmutter, ist 79 Jahre alt, Ding in der Hand haben. gebürtig aus Bochum und Rentne- Matthias: (leicht ironisch) Warum denn nicht, ist doch toll. Ersetzt Kindergärten. rin. Warum sollten wir uns einschränken lassen, auf der Entdeckungsreise durch unsere schöne, neue Welt? Manchmal fragen wir uns das. Dann sehen wir, jüngere Generationen digitale Medien ohne jede Begrenzung nutzen. Das beunruhigt. Vielleicht können wir die Bedenken unserer Eltern und Großeltern manchmal besser nachvollziehen als uns lieb ist. w\\w: Matthias und Michaela, wie geht es Ihnen damit? Michaela: Ich fühle mich manchmal schon etwas überfordert. Aber ich bin auch nicht diejenige die überall „surft“ und neue Sachen ausprobieren muss. Ich komme klar und das reicht für mich. Ich habe auch nur so einen uralten Computer. Matthias: Der ist gar nicht so uralt! Michaela: Jaja, top aktuell. Da lachen immer Paula, die Tochter, ist 18 Jahre alt alle über mich, weil ich nicht immer mobil und und in der zwölften Klasse, steht erreichbar bin. also kurz vor dem Abitur. Sie hat Paula: (seufzt) Ja, echt schlimm. einen älteren Bruder der momentan Michaela: Nur Zuhause habe ich Internet und in Bremen studiert. sonst kann man mich anrufen. Das wäre für viele ja schrecklich. w\\w: Paula, du hast eben genervt reagiert als deine Mutter gesagt hat, dass sie nicht immer erreichbar ist. Paula: Ja, ich finde das nervig, wenn Leute nicht erreichbar sind. Heutzutage könnte man das schon sein. Michaela: Ich bin doch über das Telefon erreichbar. Paula: (genervt) Ja schon, aber... wirklich\\wahr 04 25
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