Gemeinsam - Raiffeisen-Jahr 2018
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
gemeinsam DIE GENOSSENSCHAFTEN. DIE WIRTSCHAFT. DAS MAGAZIN. AUSGABE 03 2018 DIE WELTVERBESSERER Über Genossenschaften, ihre Gründer und wie sie unsere Gesellschaft nachhaltiger, sozialer und gerechter machen. Unterwegs Überall Unruhig Manuel Andrack entdeckt Die Genossenschaftsidee Wie Friedrich Wilhelm Genossenschaften in lebt, blüht und gedeiht Raiffeisen im Ruhestand Deutschland. weltweit. weiterdachte.
AN Z EI G E Selbständig sein mit REWE Vor mehr als 90 Jahren betrieb der Urgroßvater von Birgit Dederichs einen der ersten REWE Märkte in seinem eigenen Wohnhaus. Heute betreibt Familie Dederichs bereits in 5. Generation REWE Märkte mit voller Leiden- schaft und dem gemeinsamen Ziel aller REWE Kaufleute: Jeder Kunde soll sich bei ihnen wohlfühlen. Die REWE Group wurde 1927 als Einkaufsgenossenschaft von selbständigen Kaufleuten gegründet. Noch heute sind die Mitglieder unserer Genossenschaft, die selbständigen Kaufleute, ein wichtiger Teil unseres Unternehmens. Haben auch Sie Interesse, Teil unserer Genossenschaft zu werden und einen eigenen Supermarkt zu betreiben? Dann bewerben Sie sich bei uns. rewe-group.com | selbstaendigkeit.rewe.de
KARIKAT U R Plaßmanns Wunderbare Welt der Genossenschaften FOTO: FRANK-LOTHAR LANGE THOMAS PLASSMANN ist mehrfach preisgekrönter Karikatu- rist, der regelmäßig für Tageszeitungen zeichnet. Er kommentiert die Welt mit Feder und Tusche und wirft für unsere Leserinnen und Leser einen satirischen Blick auf die Genossenschaftswelt. 3
I N HALT 28 Wie ihn kenianische Farmerinnen beeindruckt 14 haben, erzählt Fairtrade- Chef Dieter Overath im Interview. Hat an der Spree ein Refugium für Kreative geschaffen: Genossenschaftlerin Ania Pilipenko. DIE WELT DER GENOSSENSCHAFTEN 08 DIE WELTVERBESSERER 18 DIE MUTMACHER 26 ZURÜCK INS LEBEN Sie bauen Bio-Kartoffeln an, vernetzen In der Werkstatt der MutMacherMen- In Ronjas Leben lief schon früh viel Kommunen, verhelfen Jugendlichen zu schen in Augsburg üben psychisch Er- schief. Dass die 21-Jährige heute eine einem Neustart oder vermarkten ihre krankte den Wiedereinstieg in Arbeit. Ausbildung macht, verdankt sie auch Artikel gemeinsam – Genossenschaft- der Unterstützung durch die ler engagieren sich in allen Bereichen Jugendagentur eG in Heidelberg. des Lebens. Was sie eint: Alle möchten 22 NETZWERK MIT die Welt ein bisschen besser machen. ÖFFENTLICHEM AUFTRAG Ob E-Government oder Datenschutz: Die Anforderungen an kommunale IT DAS INTERVIEW 10 JETZT HABEN SIE DEN SALAT sind gewaltig. Hier setzt die hessische Die Kartoffelkombinat eG aus München KOPIT eG an, eine Genossenschaft für 28 „DIE WENIGSTEN HABEN FOTOS: FOTOLIA, TINA MERKAU, OLAF NITZ, JIM RAKETE, REGINA RECHT ist das größte Projekt solidarischer Land- öffentliche Auftraggeber im IT-Bereich. UNS ERNST GENOMMEN“ wirtschaft in Deutschland. „Mehr ma- Am Anfang war Klinkenputzen chen, weniger reden!“, lautet das Motto. angesagt, heute vertritt die Organisa 24 JOURNALISMUS DIREKT tion Fairtrade 1,6 Million arbeitende VOM ERZEUGER Menschen weltweit. Vorstandschef 14 URBANES DORF Sie haben Zeitungssterben und Fake Dieter Overath spricht über einen IN BESTER LAGE News etwas entgegenzusetzen: langen Weg, ehrgeizige Ziele und seine Sie wollten nur tanzen: Als ein Berliner Die RiffReporter entwickeln neue beeindruckendsten Begegnungen. Technoklub dichtgemacht werden soll, Vertriebswege für freie Journalisten. kämpfen die Betreiber. Heute bewirt- schaften sie das ganze Areal. 4
E DITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser! Eigentlich merkwürdig: Wenn jemand es gut mit den Menschen meint, gilt er schnell als Gutmensch. Und trotz 10 des freundlichen Hintergrunds hat das Substantiv hier und da einen leicht negativen Sound. Das wollen wir ein wenig geraderücken und laden Sie ein, in diesem Heft sechs Geschichten über Menschen zu lesen, die es besser Einfach mal wachsen lassen: Die Kartoffelkombinat eG wurde machen wollen. Die es auf ihre Weise mit Biokisten für Münchner zum Vorzeigeprojekt. gut meinen mit den Menschen und deshalb auch so etwas wie Weltverbes- serer im besten Sinne des Wortes sind. Kurt Tucholsky hat uns viele Ge danken hinterlassen und einer dieser Gedanken galt den für ein gelingendes Leben notwendigen Ortskenntnissen. Von denen haben wir im Raiffeisen- Jahr 2018 zahlreiche erworben. In die- 52 ser Ausgabe von gemeinsam wollen wir Sie daran teilhaben lassen. Wir zeigen Ihnen, wo überall Manuel Andrack bei Ob Indien, USA oder Afrika: Genossenschaftsgeschichten aus aller Welt. seiner deutschlandweiten Raiffeisen- Tour 2018 Genossenschaften entdeckt hat, was er über ihre Arbeit und ihre Motivation erfahren hat. DAS RAIFFEISEN-JAHR 2018 Schließlich wollen wir uns auch ein wenig erinnern. Zum Beispiel an die 34 SUCHBEWEGUNGEN 46 AUF RAIFFEISENS SPUREN Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag Im Ruhestand hätte Raiffeisen zu- Im Raiffeisen-Jahr 2018 entdeckt von Friedrich Wilhelm Raiffeisen in frieden auf sein Lebenswerk blicken Manuel Andrack Genossenschaf- Mainz. Es war ein bewegender Tag, können. Stattdessen entwickelte er ten in Deutschland. Impressionen zunächst mit dem Gottesdienst in der die nächste gesellschaftsrelevante der großen Raiffeisen-Tour 2018. Christuskirche, anschließend mit dem Idee: Er wollte eine überkonfessio eigentlichen Festakt im nahe gelege- nelle Hilfsorganisation gründen. nen Kurfürstlichen Schloss. 52 AUS DEM WESTERWALD IN DIE GANZE WELT Ich wünsche Ihnen einen schönen 40 BESCHWINGTE FEIER Von Roosevelt bis Kibbuz: Der Genos- Sommer 2018! IN MAINZ senschaftsgedanke ist weltweit vertre- Mehr als 600 Gäste kamen zum ten. Wir haben die schönsten Beispiele Herzlichst Festakt des Raiffeisen-Jahres in die zusammengetragen. Ihr Werner Böhnke rheinland-pfälzische Landeshauptstadt. WERNER BÖHNKE 42 RAIFFEISEN INTERAKTIV DIE RUBRIKEN ist seit über 40 03 Karikatur TITELILLUSTRATION: FLORIAN SÄNGER Moderne und Tradition vereint eine Jahren genossen- Ausstellung des Landesmuseums 06 Einwurf: Andracks Backhaus schaftlich engagiert Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein. 32 Nachrichten und seit 2012 45 Rezension Vorsitzender der 54 Kolumne Deutschen Friedrich- 56 Vorgestellt Wilhelm-Raiffeisen- 58 Standpunkt Gesellschaft. 58 Impressum 5
E I N WU RF ANDRACKS BACKHAUS Was Männerbacken mit Raiffeisen zu tun hat und warum er 2018 als Wanderschüler unterwegs ist – darüber berichtet der Moderator, Autor und Genossenschafts entdecker Manuel Andrack in unserer Kolumne. I n meinem saarländischen Dorf bin wahrsten Sinne des Wortes – fruchtbaren ich Mitglied im Backhaus-Verein. Eine Boden. Seit 1868 wird in Mayschoß an der tolle Idee: ein Backhaus als sozialer Ahr genossenschaftlich Wein produziert. Mittelpunkt der Dorfgemeinschaft, so Auf meiner Raiffeisen-Tour 2018 ha zusagen das Lagerfeuer, das die Seele be ich ein Praktikum als Kassierer an wärmt. Aber es wird natürlich auch der REWE-Kasse gemacht. Denn auch richtig gebacken, Flammkuchen, Brot, Einkaufsgenossenschaften wie beispiels Pizza. Und das Backen ist immer ein Ge- weise REWE haben genossenschaftliche meinschaftsevent, zum Beispiel ist das Wurzeln. Auf Feldern in der Nähe von Männerbacken sehr beliebt. Landshut durfte ich einen Hightech Mitten im Westerwald steht ebenfalls traktor fahren. Na ja, was heißt fahren. ein Backhaus, es ist sehr berühmt. Als Mein Fahrlehrer von der BayWa rief der Bürgermeister Raiffeisen dieses Back nur: „Finger weg vom Lenkrad!“, dann haus in Weyerbusch baute, erfand er zog das grüne Ungetüm zentimeterge- eine Art kommunale Staatsbäckerei, um nau und GPS-gesteuert seine Bahnen. die größte Hungersnot der Landbevöl In Bad Marienberg im Westerwald habe kerung zu lindern. Das Backhaus als ich mir eine Laborfiliale der Westerwald- christlicher Akt der Nächstenliebe: kei- bank angeschaut, mehr Wohl fühloase ne wundersame Brotvermehrung, son- als Bankinstitut. Am Raiffeisen-Haus in dern konkrete Hilfe. Flammersfeld habe ich Bundespräsident Später, als Bürgermeister in Heddes- Frank-Walter Steinmeier getroffen, auch dorf, hatte Raiffeisen die bahnbrechende er ein Genossenschaftsfan und Schirm- Idee, Selbsthilfe in genossenschaftlicher herr des Raiffeisen-Jahres. Und von der Form zu organisieren. Er sandte Wander- regionalen und ehrenamtlichen Brauerei- lehrer aus, um die Idee der Genossen- genossenschaft Oberhaching war ich schaften zu verbreiten. Heute werde ich nach dem dritten Bier so begeistert, dass von der Raiffeisen-Gesellschaft als Wan- ich einen Anteil erworben habe. Auch derschüler ausgeschickt, um in ganz für ein Bier fass gilt bekanntlich der Deutschland Genossenschaften zu ent- Satz Raiffeisens: „Was einer alleine nicht decken und darüber zu berichten. schafft, das schaffen viele.“ Ich habe die älteste Winzergenossen- schaft der Welt im Ahrtal besucht. Dort Lesen Sie mehr über meine Erlebnisse wäh- fiel die Idee der Wanderlehrer auf – im rend der Raiffeisen-Tour 2018 ab Seite 46. MANUEL ANDRACK wurde bekannt als Sidekick von Harald FOTO: JULIANE HERRMANN Schmidt in der gleichnamigen Late-Night-Show. Der gebürtige Kölner betätigte sich schon als Redakteur, Moderator, Autor – und ist leidenschaftlicher Wanderer. Für die Deutsche Friedrich-Wilhelm- Raiffeisen-Gesellschaft war er im Frühjahr 2018 unterwegs, um Genossenschaften zu entdecken. 6
A N Z EI G E 130 m GLÜCK. 2 DAFÜR BRAUCHT MAN HEIMATEXPERTEN. Das wichtigste Fundament ist Angebot in Ihrer Bank vor Ort oder eine gute Baufinanzierung bei Ihrem Heimatexperten Mit Top-Konditionen sofort finanzieren von Schwäbisch Hall. Zinssicherheit und konstante Raten bis zu 30 Jahre wählbar schwaebisch-hall.de
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN DIE WELTVERBESSERER I L L U S T R AT I O N : F L O R I A N S Ä N G E R U nsere Autorinnen und Autoren waren in ganz Deutschland unterwegs und haben sie gefunden: die Weltverbesserer. Zugegeben, das ist ein großes Wort. Und wohl kaum einer oder eine dieser Männer und Frauen würde von sich sagen: „Ich bin ein Weltver- besserer.“ In unseren Augen sind sie es dennoch. Denn sie eint das Ziel, die Dinge, die unser Leben bestimmen, anders zu gestalten, etwas besser zu machen. Das genossenschaftliche Dach hilft ihnen in allen Bereichen des Lebens dabei, ob Kultur oder Medien, Sozialem oder Bildung, Nachhaltigkeit oder Daseinsvor- sorge. Das ist uns eine Erzählung wert – oder eigentlich gleich sechs. 9
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN Jetzt haben sie den Salat Diese Erfolgsgeschichte kann sich sehen lassen: Innerhalb von sechs Jahren ist das Kartoffelkombinat zum größten Projekt solidarischer Landwirtschaft in Deutschland geworden. Dabei hatten die beiden Gründer der Genossenschaft, Daniel Überall und Simon Scholl, anfangs gar keine Ahnung von Landwirtschaft und Gärtnerei. Ihr Motto: „Mehr machen, weniger reden!“ T E X T : T H O M AS H O R S M A N N , F OTO S : R E G I N A R E C H T 11
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Im Kartoffelkombinat wird die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfungskette ver eint. Die Genossen sind quasi gleichzei- „Wir wollten sozial tig Investoren, die ihr Kapital gut anle- gen möchten, und Arbeitgeber, die Wert unternehmerisch MÜNCHEN auf geringe Produktionskosten legen. Sie etwas aufbauen sind Arbeitnehmer, die einen gerechten und unsere Familien I Lohn erwarten, und Kunden, die gute n einer Scheune in Spielberg bei Produkte für ihr Geld wollen. Hinzu ernähren.“ Mammendorf, 30 Kilometer westlich kommt, dass die Ökobilanz des Betriebs von München, packen Mitarbeiter stimmt, die Qualität der Produkte gut SIMON SCHOLL, GRÜNDER DER des Kartoffelkombinats grüne Kisten mit und der Betriebskostenanteil für die KARTOFFELKOMBINAT EG dem Ernteanteil der Woche. Diesmal Genossen so niedrig ist, dass er für die gibt es einen Kopfsalat, eine Schale breite Masse bezahlbar ist. Und dennoch Kresse, ein paar Mairübchen, einen Topf sollen die Jobs gut bezahlt werden. „Wir Hektar Anbaufläche zu erwerben. Elf Hek Basilikum, eine Stange Lauch, ein paar suchen immer die optimale Lösung, die tar wurden dazugepachtet. Insgesamt Kartoffeln und einen Kohlrabi. Später alle Aspekte berücksichtigt und einen werden von den 25 Mitarbeitern zurzeit werden die Kisten an Verteilpunkte in Ausgleich herstellt“, sagt Scholl. So sind 18 Hektar Land bewirtschaftet. München ausgeliefert, wo die Genossen die Arbeitsbedingungen beim Kartoffel- sie abholen. kombinat deutlich besser als üblich. Alle Krumme Rüben in der Biokiste Die 1.200 Mitglieder der Genossen- Mitarbeiter haben unbefristete Verträge, „Nun sind wir in der Lage, 70 Prozent schaft, die eine Biokiste beziehen, lassen ein Gärtner, der normalerweise in Bayern unseres Bedarfs selbst anzubauen“, sich das frische, saisonale und regionale nur rund 2.000 Euro brutto verdient, berichtet Überall, der das Kartoffelkom- Gemüse des Naturland-Betriebs einiges erhält 3.000 Euro monatlich. binat gemeinsam mit Scholl in Teilzeit kosten. Jeder zahlt einen einmaligen Überall ist genauso wie sein Vor- leitet. Der Rest wird von Partnerbe Genossenschaftsanteil von 150 Euro und standskollege Scholl Quereinsteiger in trieben geliefert, ein kleiner Teil wird einen jährlichen Kostenbeitrag von der Landwirtschaft. Beide haben sich noch dazugekauft. So ist sichergestellt, 900 Euro. Pro Woche sind das 17,30 Euro. im November 2011 in der Münchner dass die Versorgung der Genossen mit Die Genossen decken mit ihrem Beitrag Nachhaltigkeitsszene kennengelernt, bei- Lebensmitteln abwechslungsreich ist. die Kosten für den Betrieb des Kartoffel- de hatten sich bereits für verschiedene Dass das Kartoffelkombinat kein nor- kombinats. „Die Ernte wird zu gleichen Projekte engagiert, beide waren in einer maler Betrieb ist, sieht man schon an der Teilen aufgeteilt, egal, ob sie groß oder ähnlichen Situation. „Wir wollten sozial- Optik: Es gibt keine Felder. „Wir haben klein ausfällt“, sagt Diplom-Betriebswirt unternehmerisch etwas aufbauen und eine Beetstruktur“, berichtet Überall. Simon Scholl. Das ist sein Prinzip der unsere Familien ernähren“, berichtet Denn sonst können die Genossen nicht solidarischen Landwirtschaft. Scholl. Nach einem Besuch bei einer regelmäßig Salat oder Karotten bekom- Initiative für solidarische Landwirt- men. In einem Beet sind die Salatköpfe Das Land in die Stadt importieren schaft war klar, dass sie diesen Ansatz bereit zur Ernte, im nächsten Beet sprie- Mit der Form der Genossenschaft ist weiterverfolgen wollen. ßen sie noch kräftig, im dritten wird sichergestellt, dass das Projekt gemein- „Wir sind dann schnell ins Handeln gerade eingesät. schaftlich getragen wird und nicht an gekommen“, erzählt Überall stolz. Schon Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für einzelnen Personen hängt. Zudem wollten nach kurzer Zeit hatten die beiden ge die Genossenschaft, dass keine Lebens- Scholl und sein Kompagnon Daniel Überall nügend Unterstützer für ihr ehrgeiziges mittel verschwendet werden. „Bei einem kein profitorientiertes Unternehmen Projekt gefunden. Bereits am 30. April normalen landwirtschaftlichen Betrieb gründen. „Uns geht es stattdessen um 2012 wurde das Kartoffelkombinat ge- bleiben 30 bis 40 Prozent der Ernte auf gemeinwohlorientierte Sinnhaftigkeit“, gründet. Zunächst kooperierte die junge dem Feld, weil sie sich wegen kleiner sagt Diplom-Kommunikationswirt Über- Genossenschaft mit einem Naturland- Mängel nicht verkaufen lassen“, erläutert all. „Mit unserem Projekt wollen wir das Betrieb, der das Gemüse erzeugte. Mit Überall. Beim Kartoffelkombinat passiert Land in die Stadt importieren, und es ist der wachsenden Zahl der Genossen das nicht. Hier landen krumme Karotten, ein Experiment, um ein Postwachs- gelang es dem Kartoffelkombinat 2017, zu dicke Kartoffeln oder vom Hagel löch- tums-System aufzubauen.“ die Gärtnerei in Spielberg mit sieben riger Salat in der Biokiste. 12
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN So sehen Kartoffelbauern heute aus: Simon Scholl (links) und Daniel Überall beliefern 1.200 Münchner mit frischem Gemüse. 13
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Urbanes Dorf in bester Lage Den Rhythmus der Beats aufge ben, um Großinvestoren Platz zu machen? Das kam für die Betrei ber des legendären Technoklubs „Bar25“ in Berlin-Friedrichshain nicht infrage. Als Genossenschaft „Holzmarkt 25“ schafften sie es, ein Filetgrundstück an der Spree als Bauherren zu übernehmen – mithilfe einer Schweizer Pensionskasse. TEXT: MECHTHILD HENNEKE, F OTO S : T I N A M E R K AU BERLIN D as Millionenprojekt sieht aus wie ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene: Hütten und Häuser stehen verstreut auf einem Gelände, das gleichzeitig urwüchsig und unfertig wirkt. Hier ein Café, dort ein Büro, ein Veranstaltungssaal oder ein Restaurant. Dazwischen führen Trampelpfade berg- auf und bergab, sie sind mit Naturstei- nen eingefasst, überall stehen Holztische und -bänke. Das Ufer der Spree schließt das Gelände an der Südseite ab. Hier lädt ein großes Holzpodest zum Rumlüm- meln und Seele-baumeln-Lassen ein. Ania Pilipenko läuft leichtfüßig über die Wege. Die junge Frau mit cooler schwarzer Hornbrille und langem, dun- kelbraunem Haar erklärt, was sich wo befindet, ihr Handy mit einer rosa 14
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN Haben Investoren die Stirn geboten und ein Filetgrundstück in Berlin erobert: Ania Pilipenko und Friedrich Sefranek von der Genossenschaft Holzmarkt 25. 15
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N FOTOS: XXXXXXXXX 16
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN Vom Holzmarkt aus beliefert Konditorin Sarah Klausen (links) Restaurants und Cafés in ganz Berlin. Im Bild mit Kollegin Julia Ronzheimer. Comicfigurenhülle stets in der Hand war die Berliner Stadtreinigung. Sie Am 1. Mai 2017 wurde das Dorf eröff- oder am Ohr. Die 34-jährige Wahlberline- winkte schnell ab, als sie von den Ideen net. „Jetzt ist die Herausforderung, die rin aus Krasnodar im tiefen Russland ist der Technofans hörte, denn als landes Community tagtäglich zu organisieren von zarter Statur, aber eine Powerfrau eigenes Unternehmen ist sie an ein und weiterzuentwickeln“, sagt Pilipenko. durch und durch. Sie kam vor zwölf Bieterverfahren gebunden, bei dem vor Ihr Blick schweift über das Gelände, wo Jahren nach Berlin. Friedrichshain und allem der Preis zählt. Doch die Gruppe sich ein kleiner Bruder der Bar25, der seine Klubs erschienen ihr damals als gab nicht auf. Inzwischen begannen die Kater Blau, angesiedelt hat. Es ist wieder „schönster Ort, den ich je gesehen hatte: Mitglieder, über Unternehmensformen ein Technoklub. Hier tanzen sich die frei, kreativ, herzlich und lebensfroh“. nachzudenken, und fanden die Genos- Bauherren von heute den Stress weg. Sie blieb und, das darf man wohl sagen, senschaft geeignet. „Jeder hat eine Stim- Nebenan wird ein Gebäude abgerissen. sie veränderte das Gesicht der Stadt. Sie „Als die Häuser mit Büros gebaut wur- verpasste ihm eine dicke Sommersprosse. den, befanden sich hier die Werkstätten der Bauarbeiter“, sagt Pilipenko. „Dem- Traumgrundstück am Spreeufer „Jetzt ist die Heraus nächst wollen wir Räume für Tattoo- Pilipenko ist eine der Gründerinnen einer Genossenschaft, die den Abenteu- forderung, die Com und Lichtkünstler, Designer, Handwer- ker und andere Kreative anbieten.“ erspielplatz am Holzmarkt 25 in Berlin- munity tagtäglich Friedrichshain erfand. Das Gelände un- zu organisieren und Nachbarn und Touristen sitzen weit des Ostbahnhofs hat eine Toplage. am Wasser und plaudern Die Mercedes-Benz Arena ist nah, die weiterzuentwickeln.“ Die Vermietung der Räume an einzelne großen Bürogebäude mit ver.di und dem Künstler oder an Unternehmen ist eine Musikriesen Universal ebenfalls. Einst ANIA PILIPENKO, Quelle, aus der sich das Projekt finan- hatte der Berliner Senat hier das Investo- MITGRÜNDERIN DER GENOSSEN ziert. „Es gibt aber auch Gesellschaften, renprojekt Media-Spree errichten wollen, SCHAFT HOLZMARKT 25 die zur Familie gehören“, sagt Sefranek doch da hatte er nicht mit Ania Pilipenko und meint zum Beispiel das Restaurant und ihren Mitstreitern gerechnet. auf dem Gelände. Daran ist die Genos- Sie waren Betreiber der Bar25, eines me, alle sind gleichberechtigt“, nennt senschaft beteiligt und wirtschaftet mit. kultigen Technoklubs an der Stelle, wo Friedrich Sefranek, 63, zwei wesentliche Das reiche Angebot an Essen und jetzt der Holzmarkt ist. Der Klub hatte es Vorteile. Der ehemalige Banker und Trinken am Holzmarkt 25 lockt inzwi- in jeden Reiseführer geschafft, wenn heutige Unternehmensberater aus Köln schen am Wochenende Hunderte Gäste auch längst nicht jeder Reisende es in die lernte die Holzmarkt-Aspiranten kennen an: Nachbarn, Berliner und Touristen sit- von einer Türsteherin streng bewachten und wurde zu ihrem Berater. Inzwischen zen am Wasser, plaudern bei einer Tasse Räume des Klubs schaffte. Die Lebens- ist er Vorstand der Genossenschaft. Kaffee und einem Stück Kuchen. Dann zeit der Bar25 war aufgrund eines zeitlich muss Sarah Klausen, 31, fleißig backen. befristeten Nutzungsvertrags begrenzt, Musikstudios, eine Kita und jede Die Konditorin hat vor einem Jahr eine doch die Community, die hier die Wo- Menge Leben Patisserie auf dem Gelände eröffnet. Sie chenenden durchtanzte, wollte sich mit Irgendwann platzte der Knoten: Die beliefert die Gastronomie vor Ort und in dem Ende der Technonächte nicht abfin- Schweizer Pensionskasse „Stiftung Abend ganz Berlin. den. Vor allem wollten sie den Verkauf roth“ erklärte sich bereit, das Grundstück Ein Genossenschaftler steckt den des Grundstücks an die Media-Spree- für die mittlerweile gegründete Genos- Kopf in die Backstube, um nach einem Investoren verhindern. senschaft zu erwerben. Die Genossen Geburtstagskuchen für ein Vorstands- Die Gruppe organisierte sich als GmbH schlossen mit der Stiftung einen Erb- mitglied zu fragen. Man gehört zusam- und mietete als Übergangsstandort eine pachtvertrag über 75 Jahre ab, und was men. „Jeder kann mitmachen – in sei- ehemalige Seifenfabrik in der Nähe. Von zunächst ein Traum war, wurde konkret: nem Rahmen. Der Holzmarkt ist ein dort konnte sie über die Spree auf das alte Ein Dorf entstand, mit Häusern und Chancengeber“, sagt Klausen und wen- Gelände der Bar25 blicken und träumen. Hütten aus Beton und Holz, modern und det sich wieder der Mandeltarte mit roten „Wir haben uns den Holzmarkt als urba- ökologisch. Hinter den künstlerisch ge- Johannisbeeren zu. Draußen scheint die nes Dorf mit Schwerpunkt Musik, Gastro- stalteten Fassaden befinden sich Musik- Sonne und die ersten Besucher streunen nomie und Kultur vorgestellt“, berichtet studios, eine Kita, ein Café, ein Restau- übers Gelände und suchen nach ihrem Pilipenko. Eigentümerin des Geländes rant und jede Menge Leben. Lieblingsplatz. 17
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Die Mutmacher Nach psychischen Krisen wieder auf die Beine zu kommen und ein geregeltes Arbeitsleben zu führen, fällt vielen Menschen schwer. Hier setzt die Genossenschaft „MutMacherMenschen“ aus Augsburg an. Das Besondere an dem Projekt von Edith Almer und ihren Genossen ist, dass Betroffene und Helfer die Genossenschaft gemeinsam führen. T E X T : T H O M AS H O R S M A N N , F OTO S : R E G I N A R E C H T 18
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN AUGSBURG R und um den großen Tisch im Werk raum im Augsburger Betriebs gelände martini-Park wird ge arbeitet. Unter den wachsamen Augen von Chrys Hofstetter entstehen Wildbie- nenhotels aus Holz. Vor dem Beginn der Arbeiten hat der Werkstattleiter und zweite Vorstand der Genossenschaft jede und jeden seiner sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frühschicht noch einmal in den Arbeitsschutz eingewiesen. Nun verleimen und verschrauben sie die Seitenwände und Dächer der Minia- turhäuser. In die so entstandenen Rah- men kommen Vierkanthölzer, die mit verschieden großen Löchern versehen sind. Es folgen Schilfröhrchen, die sorg- fältig in die verbleibenden Zwischen räume eingesetzt werden. Die präzise ge- bohrten Löcher und die Schilfröhrchen sind das Herzstück jedes Wildbienen hotels, denn die solitär lebenden Insek- ten verwenden sie als Brutzellen. Die noch rohen Häuschen werden zum Schluss noch sorgsam abgeschliffen. Zurück in die Normalität „Für die insgesamt 15 Frauen und Män- ner, die derzeit hier arbeiten, ist diese Tätigkeit ein Schritt zurück in die Norma- lität“, berichtet die geschäftsführende Vorsitzende Edith Almer. Die gelernte Holzbildhauerin coacht schon lange Menschen, die aus psychischen Krisen kommen. Meist liegen Erkrankungen wie Depressionen, Psychosen, Schizophre- nie, bipolare Störungen oder Borderline hinter ihnen und sie tun sich schwer damit, eine Arbeitsstelle zu finden. Ein Grund dafür ist, dass die meisten Betroffenen lange nicht am geregelten Arbeitsleben teilgenommen haben und noch nicht in der Lage sind, eine volle Stelle zu bewältigen, erzählt Edith Almer. Hinzu kommt, dass viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Erwerbsminderungsrente beziehen 19
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Glaubt, dass Betroffene selbst am besten wissen, was gut für sie ist: Vorständin Edith Almer von den MutMacherMenschen. Psychisch Erkrankte trainieren in der Werkstatt beim Bau von Insektenhotels den Wiedereintritt ins Arbeitsleben. und deshalb nur drei Stunden täglich für Bau von Pizzaöfen aus Lehm begonnen Fördergeld dient dem Betrieb der Genos- einen Zuverdienst arbeiten dürfen – für haben“, sagt Almer. Der Markt für die senschaft. Der Gewinn aus dem Verkauf viele ist aber auch das schon zu viel. Lehmöfen war jedoch zu klein, sodass die der Produkte geht in den Zuverdienst der Bei den MutMacherMenschen wird Genossen sich auf den Bau von hochwer- Mitarbeiter. deshalb nur von Montag bis Mittwoch in tigen Naturschutzprodukten aus Holz zwei Drei-Stunden-Schichten gearbeitet. spezialisierten: Vogelfutterhäuschen, Nist Sehen, was man geleistet hat „Das haben unsere Leute so entschie- hilfen und Bienenhotels. Den Namen zu Wer zu den MutMacherMenschen möch- den“, berichtet Almer. In der Genossen- ändern, lag mit den veränderten Produk- te, absolviert ein Praktikum. Wenn alles schaft sind alle Mitarbeiter auch Ge ten nahe. 2017 hatte eine Gruppe Ehren- passt, erhält der neue Mitarbeiter einen nossen und alle Gremien sind auch mit amtlicher, die die Genossenschaft beim Vertrag über 100 Euro Zuverdienst und Betroffenen besetzt. „Für uns ist es wich- Marketing unterstützt, die zündende entscheidet selbst, in welchem Bereich tig, dass die Betroffenen die Fachleute Idee für „MutMacherMenschen – Manu- er im Betrieb arbeiten möchte, Produk sind, denn sie wissen, was sie brauchen faktur mit Herz und Hand“. tion oder Verwaltung. Die meisten wäh- und was nicht“, so Almer weiter. Zunächst leitete Almer die Mitarbeite- len die praktische Arbeit, weil sie sehen rinnen und Mitarbeiter an; mit der wach- können, was sie geleistet haben. Entscheidungen werden senden Zahl von Genossenschaftlern Auch wenn in der gemeinnützigen gemeinsam getroffen übernahm dann ein Schreiner in Teilzeit Genossenschaft nicht therapiert wird, ist Diese Idee verfolgten Edith Almer und diese Aufgabe. Seither organisiert Edith das Arbeitsklima doch ein besonderes, ihre Mitstreiter, als sie 2014 die Genos- Almer ehrenamtlich die Verwaltung der betont Almer. Die Gemeinschaft und die senschaft gründeten. Die dreifache Mut- Genossenschaft – das heißt, sie ist stän- Freude an der selbständigen Tätigkeit ter arbeitete damals in einer gemein dig auf der Suche nach Fördermitteln. sind den MutMacherMenschen wichtig. nützigen GmbH, die psychisch Kranke Denn die sind meist zeitlich begrenzt. Der Stimmung im Team dient auch die in den Arbeitsmarkt bringt. Dort wurde wöchentliche sogenannte Befindlich- zur Eingewöhnung ein normales Unter Vom Verkaufsgewinn profitieren keitsrunde, in der sich die Mitarbeiter nehmen simuliert. „Wir wollten aber eine die Mitarbeiter offen austauschen und Konflikte lösen. richtige Firma gründen, in der Betroffe- In den ersten zwei Jahren unterstützte „Bei uns stehen immer der Mensch ne gleichberechtigt sind“, erzählt Almer. das Bayerische Staatsministerium für und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt Ziel war, dass alle Entscheidungen ge- Arbeit und Soziales, Familie und Integra- und nicht das Produkt, ansonsten sind meinsam getroffen werden und es kei- tion die MutMacherMenschen, derzeit wir ein ganz normaler Betrieb“, sagt nen Chef gibt. Dafür war die Form der gibt es Geld von der Heidehof-Stiftung Chrys Hofstetter, der selbst aus einer Genossenschaft ideal geeignet. und vom Bezirk Schwaben, aber nur psychischen Krise zu den MutMacher- „Damals haben wir uns Lehmbau- noch bis Ende des Jahres. Neue Förderer Menschen kam. Er hat es geschafft und Manufaktur genannt, weil wir mit dem werden dringend gesucht, denn das ist ganz normal in Teilzeit angestellt. 20
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht das Produkt.“ CHRYS HOFSTETTER WERKSTATTLEITER DER MUTMACHERMENSCHEN EG 21
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Netzwerk mit öffentlichem Auftrag Die Ansprüche an die IT im öffentlichen Sektor nehmen rapide zu. Es geht um E-Government, künstliche Intelligenz oder die neue Datenschutz verordnung. Prozesse auf diesem Gebiet treibt in Hessen die KOPIT eG voran, eine Genossenschaft für öffentliche Auftraggeber im IT-Bereich. Die Geschäfte führt Johann Schweinitz – einer, der die Dinge gerne in die Hand nimmt. T E X T : A N N E T T E S T E T Z E R , F OTO : J Ö R G B AU M A N N nen Interessen unter einen Hut zu brin- IT-Strukturen, die sicherstellen, dass gen, stellte Johann Schweinitz ein Grün- öffentlich-rechtliche Einrichtungen an dungsteam mit jeweils einem Vertreter technischen Entwicklungen wie dem WIESBADEN aus jeder Institution zusammen: „Und E-Government partizipieren. „Unter dem zwar nicht aus der Direktion, sondern Aspekt der begrenzten Ressourcen und aus der Fachebene“, sagt er. Vier Monate der Frage, woher man die IT-Experten V dauerte es. Dann standen die finale Fas- bekommt, die eine zentrale Infrastruktur or drei Jahren entschied sich sung der Satzung und das Geschäftsmo- aufbauen, ist die unternehmerische Idee das hessische Finanzministe dell. Für die Genossenschaft als Rechts- entstanden“, erzählt Johann Schweinitz. rium dafür, die IT-Bereiche form hat sich das Land Hessen bewusst „Das Besondere ist, dass man Verwal- öffentlich-rechtlicher Einrichtungen in entschieden: „Jedes Mitglied hat eine tung und Wissenschaft zusammen einem genossenschaftlich geführten Stimme in der Generalversammlung – gebracht hat. Bei aller Verschiedenheit Unternehmen zusammenzubringen. Die solidarisch, gleichberechtigt. Das hat geht es doch um zum Teil sehr ähnliche Ziele: durch Kooperationen im Einkauf sich in den drei Jahren bewährt.“ Fragestellungen.“ das IT-Budget zu schonen und Moder Eine zentrale Rolle beim Beschaffen nisierungsprozesse zu beschleunigen. Innovation und Verwaltung von IT-Material spielen komplexe Ver Mit der Gründung der Genossenschaft verbinden gabeverfahren, die zeit- und kostenauf- wurde die Hessische Zentrale für Daten Die Mitglieder sind durch ihre jeweiligen wendig sind und an die sich öffent- verarbeitung HZD beauftragt. Johann Rechenzentren vertreten. Schließlich geht lich-rechtliche Institutionen laut Kartell- Schweinitz übernahm diese Aufgabe es darum, Synergien beim Beschaffen vergaberecht halten müssen. An diesem innerhalb der Organisation. „Dinge vor- von IT-Komponenten herzustellen und Punkt setzt die Genossenschaft KOPIT anzubringen, ist mir wichtig“, sagt der durch das gemeinschaftliche Bestellen an: „Man nutzt das Vehikel, dass sowieso gelernte Industriekaufmann, der seine Kosten zu sparen – sowohl personell, als ein Mitglied eine Ausschreibung durch- Karriere als kaufmännischer Leiter einer auch beim Einkauf. führt, und beteiligt die anderen“, erklärt Brauereimaschinenfabrik begann und In Deutschland herrschen auf vielen Johann Schweinitz das Geschäftsmodell. danach ein eigenes Unternehmen grün- Ebenen noch heterogene IT-Strukturen dete, bevor er zur HZD wechselte. vor. Ob ein Amt auch auf elektronischem Gemeinsam eine zukunftsfähige Die HZD steht in der KOPIT eG stell- Weg mit seinen Bürgern und Bürgerin- IT-Struktur gestalten vertretend für das Land Hessen. Weitere nen kommuniziert und handelt (E-Go- Neben den drei Gründungsmitgliedern Gründungsmitglieder sind die ekom 21 – vernment), hängt beispielsweise von der gehören die Landeshauptstadt Mainz Hessens größter kommunaler IT-Dienst- IT-Landschaft der Kommune ab. Solche und die TU Darmstadt zur KOPIT eG. leister – und die Goethe-Universität Dinge könnten durch die KOPIT eG Im- Noch trägt sie sich nicht selbst, aber Frankfurt am Main. Um die verschiede- pulse erhalten. Angestrebt sind zentrale Johann Schweinitz ist zuversichtlich und 22
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN „Jedes Mitglied hat eine Stimme in der Generalversammlung — solidarisch, gleich berechtigt. Das hat sich bewährt.“ JOHANN SCHWEINITZ, VORSTAND DER IT-GENOSSEN- SCHAFT KOPIT verweist darauf, dass die Genossenschaft über die Landesgrenzen hinaus agiert. Alle öffentlich-rechtlichen Einrichtun- gen, die über eine größere IT-Infrastruk- tur verfügen, kommen als Kooperations- partner grundsätzlich infrage. Je mehr hinzukommen, desto größer sind auch die Effekte beim Wissenstransfer und bei den Treffen auf Leitungsebene – zwei weiteren wichtigen Säulen. „Ein Beispiel: der Einsatz von Microsoft Windows 10 unter Privacy- und Security-Aspekten. Das hat die HZD umfangreich unter Ein- bezug des hessischen Datenschutzbeauf- tragten getestet. Über die KOPIT wurde die Konfiguration dann den anderen Mitgliedern vertraulich zur Verfügung gestellt.“ Der Austausch von Know-how, Erfah- rung und Best Practice findet auch in Form von Impulsvorträgen und Work- shops statt, die Johann Schweinitz regel- mäßig organisiert. Bei den kommenden Terminen stehen zum Beispiel die neue Datenschutzverordnung, Künstliche In- telligenz und Blockchain (fälschungs sichere Datenbank) auf der Tagesordnung. „Bei unseren Netzwerktreffen ist schon die ein oder andere Idee geboren worden“, verrät Johann Schweinitz, der mit seinem Büro in der HZD sozusagen an der Quelle sitzt und alle wichtigen Ent- wicklungen im IT-Bereich mitbekommt. 23
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Statt sich über die Medienkrise zu beklagen, haben Christian Schwägerl und Tanja Krämer eine Genossenschaft gegründet, die freien Journalisten neue Einkünfte bescheren soll. „Freie Journalisten arbeiten oft allein vor sich hin. In Teams zu arbeiten ist dagegen inspirierend.“ FOTO: VORNAME NAME TANJA KRÄMER, VORSTÄNDIN DER RIFFREPORTER EG 24
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S C H AFT EN Journalismus direkt vom Erzeuger Sie wollen dem Zeitungssterben und der Fake-News-Debatte etwas entgegensetzen: Christian Schwägerl und Tanja Krämer gründeten das Portal www.riffreporter.de als Genossenschaft. Freie Journalisten können hier professionell recherchierte Artikel veröffentlichen und damit Geld verdienen. TEXT: MECHTHILD HENNEKE, FOTO: TINA MERKAU BERLIN munity. Diese liest Wolfangels Artikel mehrere Journalisten zusammenarbei- nicht mehr nur in den etablierten Medi- ten können und die sich thematisch en, sondern auch auf der Seite der RiffRe- um ein einziges Gebiet dreht“, sagt porter, wo Wolfangel sich in Anspielung RiffReporter-Vorständin Tanja Krämer. W auf Virtual-Reality-Brillen keck „VR-Re- Um die Recherchen und Projekte zu fi- ir würden von Bauern oder porterin“ nennt. Die Leser-Autor-Bezie- nanzieren, können Interessierte ein Abo Schreinern nicht erwarten, hung ist direkt und persönlich geworden. über 3,99 Euro monatlich abschließen – dass sie kostenlos arbeiten, „Wir bieten Journalismus vom Erzeu- dafür gibt es jede Woche mindestens aber die Menschen tun sich schwer, für ger“, nennt Schwägerl das. RiffRepor- einen neuen Beitrag. Auch Einzelkauf Online-Journalismus zu bezahlen“, sagt ter-Autoren verfassen Texte, Podcasts ist möglich. Genossenschaftsgründer und Vorstand oder Videos, die sie in Blogs, auf Face- Christian Schwägerl. Und: „Die RiffRe- book oder Twitter bewerben. Die Werke Teamarbeit fördern porter sind die Biobauern des Journalis- sind mit der RiffReporter-Seite verlinkt. „Nicht wenige zahlen freiwillig mehr, mus.“ Gemeint ist: Wer auf der Plattform Dort entscheiden die Autoren selbst, ob weil sie seriösen Journalismus fördern veröffentlicht, recherchiert selbst, arbei- sie bezahlpflichtige Abonnements an- wollen“, sagt Krämer. Die Plattform will tet korrekt und ohne Beeinflussung von bieten oder versuchen, eine Community auch neue Arbeitsformen für freie Jour- außen. Ein journalistischer Kodex, ein freiwilliger Unterstützer aufzubauen. nalisten schaffen. „Diese arbeiten oft Ethikrat und eine strenge Auswahl der Für das Bezahlen nutzen die RiffRepor- allein vor sich hin. In Teams zu arbeiten Autoren sollen die Qualität hoch halten. ter PayPal oder Stripe. Ein Artikel kann ist dagegen inspirierend.“ Hinzu kommt: 0,59 Euro oder 1,99 Euro kosten – ganz Um erfolgreich zu sein, müssen die Von Flugbegleitern und Korallen wie der Autor das festlegt. Reporter sichtbar sein – Vorträge halten, Aber wie funktioniert die Plattform? „Als Besonders beliebt bei den Lesern sind Konferenzen besuchen oder sich persön- Service-Tool“, sagt Schwägerl. Die Jour- die „Flugbegleiter“, eine Gruppe von lich den Fragen der Leser stellen. nalistin Eva Wolfangel zum Beispiel ist Journalisten, die sich auf das Thema Oder Preise einheimsen: Die Genossen- auf Themen aus der digitalen Welt spezi- Vogelwelt spezialisiert hat. Zu ihnen schaft hat von mehreren Stiftungen den alisiert. „Virtuelle Realität ist ein großes zählen prominente Journalisten wie die Netzwende-Preis erhalten und wurde für Thema“, sagt sie. Zurzeit veröffentlicht GEO- Redakteurin Johanna Romberg. den Grimme Online Award in der Katego- die 42-Jährige bei Topmedien wie ZEIT, Themen der Artikel sind zum Beispiel das rie Wissen und Bildung nominiert. Der re- Spiegel Online oder Süddeutscher Zei- Überleben des Sumpfvogels Seggenrohr nommierte Preis zeichnet Angebote aus, tung. Doch sie fürchtet: „Die klassischen sänger oder der Schutz der Moore. „die einen Beitrag für gesellschaftliche Bil- Geschäftsmodelle im Journalismus ge- Die Flugbegleiter haben auf Twitter dung, Beratung und Aufklärung leisten“. hen nicht mehr lange gut.“ Immer mehr mehr als 1.000 Follower, die sich dort Medien würden verschwinden, die Ar- über neue Artikel informieren. Bei den Die Grimme-Gewinner werden erst nach beitsbedingungen für freie Journalisten RiffReportern haben die elf Journalisten dem gemeinsam-Redaktionsschluss Mitte verschlechterten sich drastisch. Deshalb der Gruppe eine sogenannte Koralle ins Juni bekannt gegeben. entwickelt sie zurzeit eine eigene Com- Leben gerufen. „Das ist eine Seite, auf der Infos auf: www.grimme-preis.de. 25
DI E WELT DER GENO S S E NS C H A F TE N Hat ihr Leben wieder im Griff: Ronja konnte die Hilfe der Genossenschaft Jugendagentur annehmen und so auf die Beine kommen. Jetzt absolviert sie eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Zurück ins Leben Lange ausschlafen, sich mit Mädels treffen, trinken, ein bisschen Sachbeschädigung – so in etwa sahen die Tage von Ronja aus, bevor sie bei Friederike Erbe in der Jugendagentur eG in Heidelberg landete. Die Sozialarbeiterin und Genossenschaft lerin hat ein großes Herz für Jugendliche, denen die Richtung fehlt. T E X T : A N N E T T E S T E T Z E R , F OTO S : J Ö R G B AU M A N N Genossenschaft in Heidelberg hilft jun- 21-Jährigen, Abstand von ihrem „alten gen Menschen mit dem Projekt „Kompe- Leben“ zu bekommen: „Ich bin das erste HEIDELBERG tenzagentur“ auf die Beine: „Inzwischen Mal ins Heim gekommen, da war ich ist es so, dass wir nicht nur traditionell zwölf. Dann bin ich wieder nach Hause das Bewerbungstraining durchführen. gekommen. Das war immer so abwech- I Sondern wir bearbeiten alles, was einem selnd. Und wenn ich mich mit meinen ch habe mein eigenes Leben bekom- guten Start in das Berufsleben im Weg Freundinnen getroffen habe, haben wir men“, antwortet Ronja* auf die Frage, stehen könnte“, sagt Friederike Erbe. alles Mögliche gemacht: getrunken, was sich für sie im Vergleich zu früher Sachbeschädigung, Notrufmissbrauch, geändert hat. Vor drei Jahren fing alles Kräfte mobilisieren Körperverletzung, geklaut – alles.“ Jetzt an. Damals riet ihr die Gerichtshilfe, sich Ein entscheidender Schritt für Ronja war führt sie ein geregeltes Leben, mit einem an Friederike Erbe von der Jugendagen- die Aufnahme in ein Wohnprojekt, das eigenen Haushalt und einer Ausbildung tur eG zu wenden. Die gemeinnützige die Jugendagentur betreut. Das hilft der zur medizinischen Fachangestellten. 26
D I E W E L T D E R GE N OS S E N S CH AFT EN Friederike Erbe (Bild oben) hat einen guten Draht zu ihren Schützlingen. Bild unten: Geschäftsführer Gerd Schaufelberger vermittelt im Sinne der Jugendlichen zwischen den Ämtern. Das Olivenöl vertreibt ein Schülerprojekt der Genossenschaft. „Klar mache ich auch noch Party und Friederike leistet Beistand, kümmert „Wir sind die Ersten, die das in Heidel- so, aber nicht mehr so asozial wie früher.“ sich um formelle Angelegenheiten, orga- berg im Jugendbereich bekommen ha- Einmal in der Woche trifft sie sich mit nisiert Termine bei Therapeuten und ben.“ Das heißt, die Geschäftsführungs- Friederike Erbe, um aktuelle Themen begleitet die Betroffenen zu Erstgesprä- anteile sind gesichert und die Existenz wie Schulden, Schulversäumnisse oder chen. Die jungen Leute vertrauen ihr. der Jugendagentur hängt nicht mehr ganz persönliche Dinge zu besprechen. 90 Prozent halten sich an ihre Termine von der Förderung einzelner Projekte ab. „Sie hilft mir bei allem. Wenn ich Streit und zehn von den 43 jungen Männern Die Idee mit der Genossenschaft hatte mit meinem Freund habe. Wenn ich und Frauen, die Friederike Erbe betreut, noch der Vorstandsvorgänger von Gerd Ämtergänge erledigen muss. Auch beim absolvieren inzwischen eine Ausbildung. Schaufelberger: „Er wollte, dass die Mit- Ausbildungsplatz. Immer hatte ich Absa- arbeiter sich mehr einbringen. Dass es gen. Ich hatte keinen Bock mehr. Aber Gemeinnützig, sozial, abgesichert einfach ihr Kind ist.“ Friederike hat gesagt: Das schaffst du.“ Die Jugendagentur eG nimmt im sozialen Die Teammitglieder der Jugendagen- Die studierte Sportpädagogin liebt ih- Bereich eine wichtige Rolle ein. „Wir sind tur gehen freundschaftlich miteinander re Arbeit. „Ich habe die jungen Leute im- an den Schnittstellen tätig. Das Jobcenter um, die Atmosphäre ist locker. Sie duzen mer ganz schnell im Herzen“, sagt Erbe. will etwas anderes von den jungen Leuten sich, kochen zusammen und einmal im Aus diesem Grund verließ sie nach fünf als das Jugendamt. Da vermitteln wir“, Monat gibt es eine Supervision. Das und Jahren den Vorstand der Jugendagentur sagt Geschäftsführer Gerd Schaufelber- eine Coachingausbildung helfen Friede- und wechselte in die Betreuung. Sie ger. Neben den Coachingprojekten initi- rike Erbe im Kontakt mit den jungen Er- möchte junge Menschen wie Ronja für iert und betreut die Jugendagentur außer- wachsenen. „Ich bewerte sie nicht. Des- ihre eigenen Bedürfnisse sensibilisieren. dem schulische und außerschulische An- halb fällt es mir leicht, sie anzunehmen.“ „Was willst du in deinem Leben? Was ist gebote wie die Schülerfirma Ragazzeria, Und das spüren die Ratsuchenden, von für dich eine gute Beziehung? Für solche die eigenes Olivenöl vertreibt, oder „Cook denen viele ein so enges Verhältnis zu ihr Gespräche nehme ich mir viel Zeit“, Your Future“, ein Projekt, das Geflüchtete aufbauen wie Ronja. Die erzählt: „Friede- erzählt sie und ist froh darüber, diese für die Gastronomie qualifiziert. rike ist wie meine zweite Mama. Sie wird Freiheit zu haben. Ob Schulden durch Seit 2014 steht die Genossenschaft auch zu meiner Hochzeit eingeladen.“ Interneteinkäufe in großen Summen auch finanziell auf stabilem Boden – oder schwere psychische Probleme – dank einer institutionellen Förderung. * Name von der Redaktion geändert 27
DAS INTERVIEW 28
DAS I N T ERV IEW „Die wenigsten haben uns ernst genommen“ Am Anfang war Klinkenputzen angesagt, heute vertritt die Organisation Fairtrade weltweit 1,6 Millionen arbeitende Menschen. Vorstandschef Dieter Overath spricht über einen langen Weg, ehrgeizige Ziele und seine beeindruckendsten Begegnungen. INTERVIEW: YVONNE HOLL, F OTO : J I M R A K E T E 29
DAS INTERVIEW Besuch an der Elfenbeinküste: Dieter Overath mit Beschäftigten der Kakao-Kooperative Ecookim. Herr Overath, das grün-blaue Fairtrade- Selbsthilfe, Selbstverantwortung und 80 Prozent der Produzentenorganisatio- Siegel auf schwarzem Grund hat es vom Selbstverwaltung – die „drei S“ des ge- nen sind Kleinbauernorganisationen, Nischenprodukt auf den „Eine-Welt-Ba- nossenschaftlichen Handelns – stehen davon sind die meisten genossenschaft- saren“ in die Regale der Supermärkte und auch beim fairen Handel im Mittelpunkt. lich organisiert. Discounter geschafft. Das war keine leich- te Aufgabe, oder? Wie viele der Rohstoffproduzenten, mit Welchen Vorteil haben die Kaffee- und Seit 1992 – dem Gründungsjahr von denen Sie kooperieren, sind genossen- Reisbauern, die Orangenpflücker und TransFair e. V. in Deutschland – ist tat- schaftlich organisiert? Näherinnen davon, genossenschaftlich sächlich viel passiert. Der Erfolg von organisiert zu sein? Fairtrade war nur möglich durch das brei- Der genossenschaftliche Zusammen- te zivilgesellschaftliche Engagement und DER VEREIN TRANSFAIR E.V. schluss von Kleinproduzenten ermög- natürlich eine gewisse Hartnäckigkeit. In wurde 1992 als unabhängige Initia licht es, das wirtschaftliche Handeln den Anfangsjahren mussten wir Klinken tive zur Förderung von fairem optimal an den Zielen und Bedürfnissen putzen. Ernst genommen haben uns die Handel gegründet. TransFair ist der eigenen Mitglieder, aber auch an den wenigsten. Inzwischen hat sich Fairtrade die deutsche Mitgliedsorganisation politischen und kulturellen Gegebenhei- als Handelsalternative im Bewusstsein der Nichtregierungsorganisation ten der Region auszurichten. Wichtig ist, der Konsumentinnen und Konsumenten Fairtrade International und firmiert dass in jedem Land die Genossenschaf- etabliert. Trotzdem fehlt uns bei vielen deshalb auch unter dem Namen ten und die sie tragenden Menschen Produkten noch die Marktdurchdrin- Fairtrade Deutschland. In dieser ein eigenes Modell entwickeln, das ihrer gung. Klimawandel, existenzsichernde Funktion schließt Fairtrade Lizenz- Situation entspricht. Wenn sich Klein- Einkommen, Wertschöpfung in den An- verträge mit Handelspartnern ab, bäuerinnen und -bauern in demokrati- bauländern – der faire Handel steht wei- die nach festgelegten Standards schen Organisationen zusammenschlie- ter vor großen Aufgaben und muss sich fair gehandelte Produkte anbieten. ßen, können sie ihre Interessen auf dem diesen globalen Fragen stellen. Getragen wird der Verein von rund Weltmarkt gegenüber Händlern besser 30 Mitgliedsorganisationen, darun- vertreten. Sie können über gemeinsame Über 1,6 Millionen Bäuerinnen und Bau- ter Hilfswerke, kirchliche Einrich- Anschaffungen und Fortbildungen ihre FOTO: FAIRTRADE ern sowie Plantagenarbeiterinnen und tungen und Gewerkschaften sowie Ernteerträge erhöhen. Arbeiterinnen und -arbeiter profitieren von ihrer Beteiligung Stiftungen von Parteien. Arbeiter auf Plantagen erhalten durch an Fairtrade. Wie funktioniert das? Fairtrade die Unterstützung, ihren Rech- 30
DAS I N T ERV IEW ten und Bedürfnissen über demokratische schöne Entwicklung. Eine ähnliche Ent- Interessenvertretungen wie Gewerkschaf wicklung erlebte ich auf einer Fairtrade- ten eine einflussreiche Stimme zu ver „Fairtrade ist viel Blumenfarm in Kenia. Bei meinem ers- leihen und bessere Arbeitsbedingungen mehr als die Zahlung ten Besuch waren wir mit dem Prämien- sowie eine stabilere Lohnsituation zu komitee zu einem Gespräch verabredet. erreichen. Sie alle profitieren von der eines Mindestpreises Die Mitglieder des Komitees waren aus- Fairtrade-Prämie, die Projekte zur Ver- oder einer Prämie. schließlich Frauen. Das Gespräch war besserung des Lebensalltags dieser Men- sehr zäh, weil die Frauen es nicht ge- schen, ja sogar ihrer Familien und ihrer Fairtrade stärkt wohnt waren, mit Männern und dazu Umgebung finanziert: Bildung, Gesund- Menschen und noch ausländischen Gästen zu sprechen. verhilft ihnen zu heitsversorgung, Verbesserungen der Sie waren sehr zurückhaltend. Als ich Wohnsituation und Maßnahmen zur wiederum sechs Jahre später auf ein und Steigerung der Produktivität landwirt- mehr Selbst derselben Farm für einen Dreh mit ei- schaftlicher Kleinbetriebe. bewusstsein.“ nem Fernsehteam zu Besuch war, platz- ten wir in eine Schulung des Prämien Sind Sie selbst Mitglied einer Genossen- DIETER OVERATH komitees hinein. Selbstbestimmt wiesen schaft? VORSTANDSVORSITZENDER die Frauen uns an, doch bitte noch eine Ja, seit vielen Jahren bin ich Genossen- VON TRANSFAIR halbe Stunde zu warten. Die Schulung schaftsmitglied der Kölner Bank, die ja zu Finanzmanagement und Buchhal- gewissermaßen zu Raiffeisen gehört. dem Kaffeeanbaugebiet beim Frühstück tung hatte für die Frauen in dem Moment Außerdem bin ich seit fünf Jahren saß. Mein Blick schweifte über die vielen Priorität. Sie wollten sich weiterbilden, Teil des genossenschaftlich organisier- Kaffeesträucher der Gegend. In meiner um die Fairtrade-Prämie besser einsetzen ten „Hope Theatre“ aus Nairobi. Kaffeetasse gab es jedoch nur Kaffee von zu können. Die Schulung selbst war von Nescafé. Also keinen Kaffee aus der eige- Fairtrade-Prämien finanziert. Das selbst- Sie stehen seit mehr als 25 Jahren an der nen Produktion. Als ich zehn Jahr später bestimmte Auftreten der früher so schüch- Spitze von TransFair und sind viel gereist, dieselbe Kaffeegenossenschaft noch ein- ternen Frauen beeindruckte mich sehr. haben zahlreiche der Fairtrade-Produ- mal besucht habe und wieder in der zenten selbst getroffen. Gibt es ein Erleb- selben Pension unterkam, bekam ich Haben diese Erfahrungen Sie beeinflusst? nis, das Sie besonders beeindruckt hat? frischen Kaffee der lokalen Fairtrade- Beide Erlebnisse haben mich in meinem Es gibt zwei Erlebnisse, die mir beson- Kooperative serviert. Inzwischen hatten Tun bestärkt. Denn Fairtrade ist viel ders in Erinnerung geblieben sind. Ich die Kooperativen bewirkt, dass der lokal mehr als die Zahlung eines Mindestprei- erinnere mich noch, wie ich bei meinem angebaute Kaffee auch lokal weiter - ses oder einer Prämie. Fairtrade stärkt ersten Besuch einer Kaffee genossen verarbeitet, geröstet und in der Gegend Menschen und verhilft ihnen zu mehr schaft in Costa Rica in der Pension in verkauft und ausgeschenkt wurde. Eine Selbstbewusstsein. A N Z EI G E Wir sind die, die machen, dass Ihr Geld aus dem Automaten kommt, wenn Sie Ihre PIN eingeben. Der Grund, warum Sie per Mausklick Geld von A nach B bewegen können. Und wir sorgen dafür, dass auf Ihrem Konto alles stimmt. Aber uns liegen nicht nur die Rechner der Volks- und Raiffeisenbanken am Herzen. Wir bringen Rechner Deshalb unterstützen wir soziale Projekte, Sport, zum Laufen. Und Kinder Kunst, Kultur und Bildung, wo wir können. zum Schreiben. Denn vom Kindergarten bis zum ersten Job ist es ein langer Weg.
N ACHRIC HTEN Wohnen in Metropolen Ihre Bücher haben sie Im Mai 2018 hat sich die erste berühmt gemacht: Mit der europäische Wohnungsbaugenossen Genossenschaft pep coop! schaft gegründet: Living in Metropo- engagiert sich die Schrift- lises (LiM). Aus Deutschland, Frank- stellerin und studierte reich, den Niederlanden und Öster- Juristin Juli Zeh für Daten- reich stammen die 37 Mitglieder der sicherheit im Netz. Genossenschaft, die mit vollem Na- men „LiM Living in Metropolises SCE mit beschränkter Haftung“ i. G. heißt, wobei SCE für „Societas Cooperativa Europaea“ steht. Ziel der LiM ist es, neben bezahlbaren Mieten in den Metropolen Europas auch unkompli- zierte Wohnungswechsel innerhalb des europäischen genossenschaftli- chen Verbundes zu ermöglichen. Die LIM hat ihren Geschäftssitz in Berlin. Dort soll auch das erste Bauprojekt realisiert werden. Finanzen und die Bildung Es ist ein Dauerbrenner: Wie soll die Bildung rund um das Thema Finanzen in Deutschland verankert Privatsphäre für alle werden? Werden Schülerinnen und Schüler in Deutschland ausreichend Die Genossenschaft pep coop! entwickelt leicht darauf vorbereitet, wichtige finanzi- anwendbare Verschlüsselungstechniken. D elle Aufgaben zu bewältigen? Diese Fragen wurden lebhaft diskutiert auf ie Botschaft, mit der sich die im auf Privatsphäre verlangen, zählen die der Konferenz „Finanzbildung – im April 2018 gegründete Genos- Autorinnen Juli Zeh und Sibylle Berg. Spannungsfeld zwischen Anspruch senschaft „pep coop!“ im Netz „Wir holen uns das Netz zurück“, so Juli und Wirklichkeit“ am Berliner Stand präsentiert, ist eindeutig: „Wir sind eine Zeh. Die neue Genossenschaft tritt an, ort der DZ Bank. Europäische Genossenschaft, die Privat- um als Organisation der Selbsthilfe wirk- Initiator der Konferenz war Union sphäre in der digitalen Welt mit techni- same technische Werkzeuge in die Hand Investment, die Investmentgesell- schen Mitteln schützt. Dazu entwickeln zu geben und die Menschen in Europa schaft der DZ Bank und Teil der ge- wir Tools, die so einfach und wirkungs- vor Massenüberwachung und „algorith- 99% nossenschaftlichen FinanzGruppe. voll sind, dass sie jede/r nutzen kann.“ Zu mischer Schubladisierung“ zu schützen. Eine hochkarätige Gästeliste, unter den prominenten Köpfen, die ein Recht Infos unter www.pep.coop. anderem mit dem ehemaligen Fi- nanzminister Peer Steinbrück und dem Olympiasieger Dieter Thoma, QUELLE: DGRV sorgte für lebhafte Diskussionsrun- den. Politiker, Profisportler, Lehrer und Eltern kamen auf der Konferenz in den Genuss der fachlichen Exper- tise der Volks- und Raiffeisenban- ken, die unter dem Hashtag #Ideen- reich gute Ansätze liefern, wie unse- re Gesellschaft Finanzwissen noch besser teilen kann. aller Landwirte sind Genossenschaftsmitglieder. 32
Sie können auch lesen