DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund

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DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S  4 . Q UA R TA L 2 0 2 1 / H 8 7 6 3 F

                               KINDERSCHUTZ A K T U E L L

                                                                                           4.21

In der Grundschule:

Reif fürs
      DIGITALE!?  Moderne Medien sollen die Lernwelt von Kindern
                     erweitern. Das geht nicht ohne Konzepte,
                           Begleitung und Ausstattung.
DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
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                                 starke
                                 starke kinder
                                 Das Magazin des Deut
                                                 Deutschen
                                                     schen
                                 Kinder
                                 Kinderschutzbundes
                                       schutzbundes

                                 Starke Kinder brauchen starke Elter
                                                               Eltern.
                                                                     n.
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                                                                         und um das Thema Er Erziehung
                                                                                               ziehung
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                                 allen Lebenslagen.

                                 Ab 2.05.2021 am Kio
                                                  Kiosk
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                                                                   Verlag
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        Danneckerstraße
                                    des DKSB-Jahresheftes 2021 „st
                                                                starke
                                                                  arke eltern sstarke    kinder””
                                                                                   tarke kinder
                     Stuttgart
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DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
In der Grundschule: Reif fürs Digitale!?
Vielerorts wird pauschal „mehr digitale Bildung“ auch in der Grundschule gefordert. Reicht das? KSA fragt
nach: Welche Entwicklungsaufgaben haben Sechs- bis Zehnjährige überhaupt – und was ist der Auftrag der
Grundschule? Wie kann dort Bildung mit und über digitale Medien mit analogem Unterricht verknüpft werden,
damit sich mehr Chancen für alle Kinder entfalten? Welche Leitplanken sind dafür wichtig? Der Befund zeigt
auch: Schulen, Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern sind für die digitale Bildung noch gar nicht hinreichend
vorbereitet, weder konzeptionell noch in Sachen Ausstattung und Kompetenz. Und auch die Kinderrechte,
die im digitalen Raum gleichermaßen gelten müssen, stehen noch nicht im Grundgesetz.
Dabei sind Kinder in ihrer Freizeit längst im weltweiten Netz unterwegs.
                                                                                                   Inhalt 4.2021
                                                                                         KLIPP & KLAR

                                  6
                                                                                         4    Kolumne, Plätze der Kinderrechte,
                                                                                              Flutkatastrophe

                                                                                         THEMA
                                                                                         6    Vor allem beziehungsweise
                                                                                              Entwicklungsaufgaben von

                                                                           10            8
                                                                                              Grundschulkindern
                                                                                              Eine Schule für (fast) alle Kinder
                                                                                              Die Grundschule zwischen Auftrag
                                                                                              und Wirklichkeit
Vor allem beziehungsweise                      Nicht ob, sondern wie                     10   Nicht ob, sondern wie
    Im Grundschulalter verändern sich      Schon in den ersten Klassen sollen Kinder          So kann digitale Bildung gelingen
 Kinder nicht nur körperlich. Vor allem in digital fit gemacht werden. Diese Entwick-    13   Alles selbst erproben
 Beziehung zu anderen formen sie jetzt      lung ist rasant, wirft aber auch kritische        Digitaler Nachhilfeunterricht auch für Eltern?
auch soziale und emotionale Fähigkeiten         Fragen auf und sorgt bei einigen
                                                                                         14   An „irrer Aufholjagd“ beteiligt
  weiter aus – ein jedes Kind möglichst         Beteiligten durchaus für Ängste.              Wirtschaft und Politik mischen
  in seinem eigenen Tempo. Ab Seite 6       Was sagt der Experte dazu? Ab Seite 10            in der Schule mit
                                                                                         16   Auf die Dosis kommt es an
                                                                                              Grundschulkinder sind privat sowieso online
                                                                                         17   Draussen Schule machen
                                                                                              Gutes Gegengewicht zum digitalen Lernen
                                                                                         18   Kinderrechte in der digitalen Welt
                                                                                              UN-Kinderrechtsausschuss gibt Richtung vor

                                                                                         KINDER IM BLICK
                                                                                         20 Kinderschutztage 2021
                                                                                              In Hannover wieder in Präsenz
                                                                                         25   Deutsch-Rap von den RÄUBERS
                                                                                              Ein Projekt des LV Berlin im Lockdown

    20
                                                                                         26   DKSB-Kampagne
                                                                                              Überall sichtbar: „Kinder haben Armut
                                                                                              nicht gewählt“
                                                                                         28   Die machen Sachen
                                                                                              Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis
                         Kinderschutztage 2021                                           30   Neunter Familienbericht
                                                                                              Eltern sein in Deutschland
       Der DKSB hat den zweiten Teil seiner diesjährigen Kinderschutztage 2021
   wieder in Präsenz durchführen können. Für inhaltliche Diskussionen, kollegialen       31   Aktuelles aus dem Bundesverband
      Austausch und wichtige Beschlüsse kamen die Kinderschützer*innen vom                    Impressum
 3. bis 5. September in der Stadthalle von Hannover zusammen. Hier haben sie auch
 einstimmig die richtungsweisende Resolution „Kinder haben Armut nicht gewählt“
 verabschiedet – begleitet vom Applaus des niedersächsischen Ministerpräsidenten
       Stephan Weil und Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay. Ab Seite 20
DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
KLIPP &
             Kolumne                                                   KLAR
                    Liebe Leserinnen                                 PLATZ DER KINDERRECHTE
                    und Leser,                                       Erfolgsgeschichte
                   je nach Bundesland und Kommune finden             Ein „Platz der Kinderrechte“ macht in einer Stadt oder
                   Kinder, Jugendliche und ihre Familien in ihrem    Gemeinde die Rechte von Kindern direkt in den Lebens-
                   Lebensumfeld eine unterschiedliche Infra-         welten der Kinder sichtbar. So setzt der Kinderschutz-
                   struktur von. Weil arme Kommunen wenig            bund ein Zeichen, die Kinderrechte überall ernstzu-
                   Geld haben, verfestigen sich sozioökonomische     nehmen und umzusetzen. Kürzlich konnte der DKSB
                   Ungleichheiten. Gerade dort, wo Angebote für      sechs neue „Plätze der Kinderrechte“ benennen.
                   Kinder und Jugendliche am dringendsten ge-        Damit sind es bundesweit jetzt insgesamt schon 21!
                   braucht werden, sind sie häufig am wenigsten      Der derzeit „jüngste“ Platz wurde am 14. Oktober 2021 in
                   ausgebaut. Das betrifft auch die Infrastruktur    der Stadt Buchholz i.d. Nordheide eröffnet. Auch der kom-
                   im ländlichen Raum. Die „Herstellung gleich-      munale Jugendrat hatte dieses Projekt des KV Landkreis
wertiger Lebensverhältnisse“ ist aber nach Artikel 72 Absatz 2       Harburg sehr befürwortet.
des Grundgesetzes Aufgabe des Bundes. Deshalb fordern wir            „Für uns ging ein kleiner Traum in Erfüllung“, sagte Bettina
von der neuen Bundesregierung ein Investitionspaket „Kinder-         Flohr, Geschäftsführerin des OV Gütersloh, am 25. Septem-
Infrastruktur“.                                                      ber. Während der Einweihung in Gütersloh auf dem Vorplatz
Noch auf den letzten Metern haben die scheidende Regierung und       der Stadtbibliothek enthüllten Kinder eine kunstvolle Ste-
der Bundesrat dem sogenannten Ganztagsförderungsgesetz zu-           le sowie Klapptafeln zu den Kinderrechten.
gestimmt. Damit besitzen ab Sommer 2026 eingeschulte Grund-          Auch der OV Hameln feierte Einweihung: Seit dem Welt-
schüler*innen ein Recht auf Ganztagsbetreuung. Das war überfällig.   kindertag am 20. September setzt nun ein Platz der Kinder-
Konkret bedeutet es jedoch: Wir werden viele neue Ganztagesplätze    rechte im Hamelner Bürgergarten ein Zeichen. Am 19. Sep-
in unseren Grundschulen brauchen. Einige Bundesländer haben          tember freute sich der OV Ludwigsburg, dass in seiner
hier sogar massiven Aufholbedarf.                                    Stadt auf dem Vorplatz des Forums am Schlosspark jetzt
                                                                     ebenfalls ein „Platz der Kinderrechte“ mit Leben gefüllt
Eine gute Ganztagsbetreuung hilft nicht nur Eltern bei der           wird. Am selben Tag eröffnete ebenso der OV Wedel am
Vereinbarkeit von Familie und Beruf – sie soll vor allem Kinder      Hafen „seinen“ Platz der Kinderrechte. Dabei enthüllten
in ihrer Entwicklung unterstützen. Sie erhalten neue Anregungen      Mitglieder aus dem Wedeler Kinderparlament ein buntes
und Förderungen, die sie zu Hause nicht immer bekommen               Schild mit den Kinderrechten (Foto unten). Zwei Jahre
können. Mit den richtigen Angeboten kann der Bildungserfolg          zuvor war in Wedel bereits der „Mobile Platz der Kinder-
unabhängiger von der sozialen Herkunft werden. Bessere Bil-          rechte“ des LV Schleswig-Holstein zu Gast gewesen.
dungs- und Teilhabechancen sorgen für mehr Chancengleichheit.
                                                                     Der OV Minden-Bad Oeynhausen feierte am 6. September
Entscheidend ist jedoch, dass die Ganztagesbetreuung qualitativ
                                                                     den neuen „Platz der Kinderrechte“ entlang der Mindener
hochwertig ist! Dazu brauchen wir aber gut ausgebildetes Personal.
                                                                     Weserpromenade. Hier informieren nun zahlreiche Schilder
Wir reden hier von Fachkräften für schätzungsweise 600.000 bis
                                                                     über die Rechte der Kinder.
800.000 neu zu schaffende Ganztagsplätze. Deshalb fordern
wir Bund, Länder und Kommunen auf, sich rechtzeitig um die           Bei allen genannten Feierlichkeiten waren prominente
Aus- und Weiterbildung zu kümmern. An qualifiziertem                 Vertreter*innen der lokalen Politik sowie vom DKSB aus
Fachpersonal darf nicht gespart werden!                              den jeweiligen Landesverbänden und dem Bundesver-
                                                                     band vor Ort.  mh
Ein weiteres Problem: Der Gesetzentwurf setzt leider keinerlei
qualitative Rahmungen. Weil diese Ausgestaltung nun bei den
Ländern liegt, könnte die Qualität im Ergebnis stark variieren.
Kinder brauchen jedoch überall verlässlich hohe Qualität.
Daher fordern wir, dass das gewährleistet wird. Der Anspruch
auf Ganztagesbetreuung muss Kindern und ihren Bedürfnissen
gerecht werden und darf nicht bloß ein Anspruch auf „Verwah-
rung“ sein, der sich hauptsächlich an den Bedürfnissen der
Arbeitgeber*innen der Eltern orientiert. Wir fordern von unserer
neuen Bundesregierung sowie von den Ländern und Kommunen,
die Belange der Kinder ins Zentrum ihres Handelns zu stellen!
Ihr Heinz Hilgers
Präsident

4 KSA 4.2021
DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
Wie ging es den Kindern
           Flutkatastrophe

                   und dem DKSB vor Ort?
Die Bilder vom Hochwasser im rheinland-
pfälzischen Ahrtal und in Regionen Nord-
rhein-Westfalens ließen viele von uns

                                                                                                                                                    Fotos (2): J. Türk
fassungslos zurück. Einige Kinder in den
betroffenen Gebieten haben Angehörige
verloren, viele erlebten die Panik der
Schreckensnacht vom 14. auf den 15. Juli
2021 am eigenen Leib und spürten Tag
für Tag die Verzweiflung der Eltern.
Am 20. August 2021 spricht DKSB-Vizepräsi-
dentin Ekin Deligöz im „Salon der Kinder-
rechte“ über die Folgen der Flut für die Kin-
der und den Kinderschutzbund vor Ort. Ihre
Gäste: Ulrike Ring-Scheel, Vorsitzende des
Kreisverbandes Ahrweiler (Rheinland-Pfalz),
Petra Schnelle, pädagogische Fachkraft des
Ortsverbandes Rösrath (NRW) sowie Joachim
Türk, Mitglied im Bundesvorstand und stell-       Flutwasserschäden in Ahrweiler
vertretender Vorsitzender des Landesver-
bandes Rheinland-Pfalz.                          Was benötigten die Menschen vor Ort ne-            gute Erfahrungen mit einem Intranet
Fünf Wochen nach der Katastrophe, nach           ben Sach- und Geldspenden besonders?               gemacht, auf das alle im Verein zugreifen
Schlamm schippen und Internetausfall, hat        Nach Erfahrung von Joachim Türk vor allem,         konnten. Und auch Facebook empfand
der KV Ahrweiler seine Angebote zum Teil         dass Nicht-Betroffene ihnen zuhörten und            Ulrike Ring-Scheel als hilfreich. Schließlich
wieder aufnehmen können. „Wir hatten             dabei halfen, einen Überblick zu gewinnen          müssen Vorstand und Mitarbeitende im
großes Glück, dass unsere Geschäftsstelle        und zielgerechte Hilfen zu organisieren: „Die      Katastrophenfall schnell zusammenkommen
nicht unmittelbar vom Hochwasser betrof-         Menschen sind so von diesen schrecklichen          und klären können, wer arbeitsfähig ist und
fen ist“, erzählt Ulrike Ring-Scheel. Dieses     Geschehnissen eingenommen. Da tut es               wer Unterstützung braucht.
Glück hatten viele Kinder und ihre Familien,     gut, wenn jemand von außen kommt und               Der DKSB Bundesverband richtete gleich
die der Kreisverband betreut, nicht: „Eines      hilft.“ Aus seiner Sicht wird auch die trauma-     nach der Katastrophe ein Spendenkonto
der größten Probleme für Kinder ist der Ver-     pädagogische Arbeit eine große Rolle spie-         ein. Über 100.000 Euro sind dort bislang
lust von gewohnten Strukturen, Heimat- und       len, möglicherweise über Jahre: „Dafür             eingegangen (Stand Oktober). So konnten
Sicherheitsgefühl. Darauf reagieren sie ganz     müssen Lehrkräfte und Erzieher*innen               die betroffenen Orts- und Kreisverbände in
unterschiedlich – die einen werden wütend,       entsprechend geschult werden.“                     Nordrhein-Westfalen sofort mit 75.000 Euro
andere traurig, manche machen auch Ent-          Was kann der Kinderschutzbund aus den              und in Rheinland-Pfalz mit 25.000 Euro
wicklungsrückschritte. Deshalb ist es am         Erfahrungen der betroffenen Gliederungen            unterstützt werden. Mit gleichem Ziel hat
wichtigsten, die Eltern rasch zu stabilisieren   lernen? „Notfallpädagogik im Angebot zu            der Landesverband Rheinland-Pfalz selbst
und für Kinder und Eltern zusammen Ange-         haben ist ein guter erster Schritt“, sagt Ulrike   bisher über 50.000 Euro an Fremdspenden
bote zu machen.“                                 Ring-Scheel. Für wichtig erachtet sie auch,        für die Arbeit seiner vom Hochwasser be-
In der Kleinstadt Rösrath erfasste die Flut      sich die Kommunikationsstruktur im Orts-           troffenen Gliederungen gesammelt und
auch die Geschäftsstelle des Ortsverbandes.      verband anzuschauen: Wie kann möglichst            noch 10.000 Euro draufgelegt. 
Seine Mitarbeitenden verloren ihr Büro, die      effektiv so kommuniziert werden, dass sich          Alina Jensen, Fachreferentin für
Technik funktionierte nicht mehr, Akten ver-     alle im Verein Tätigen auf dem Laufenden           Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
schwanden. Die Fortführung von Projekten         halten können? Der KV Ahrweiler hat hier           im DKSB Bundesverband
war ungewiss, sagt Petra Schnelle: „In einem
unserer Projekte erlernen Förderschüler*-
innen zum Beispiel das Gärtnern. Aber die
beiden hierfür genutzten Schrebergärten          Der „Salon der Kinderrechte“…
wurden vom Hochwasser überflutet, in              … ist ein Online-Format des DKSB Bundesverbandes, initiiert und moderiert von Vize-
dem sich nicht nur Heizöl, sondern auch          präsidentin Ekin Deligöz. Dabei spricht sie mit ihren Gästen über aktuelle kinderpolitische
Schwermetalle befanden. Daher wissen wir         Themen. Seit September 2021 wird der Salon von Bundesvorstandsmitglied Joachim Türk
nicht, ob wir die Gärten jemals überhaupt        moderiert. Für Interessierte: Melden Sie sich zum jeweiligen Termin an und diskutieren Sie
noch für den Gemüseanbau und die                 via Zoom mit! Die Aufzeichnungen sind anschließend auf dem Youtube-Kanal des DKSB
Schüler*innen nutzen können.“                    Bundesverbandes zu sehen sowie auf Spotify und iTunes zu hören. 

                                                                                                                                              5
DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
TITEL-
THEMA

                                                                                                                                                    iStockphoto/Jatuporn Tansirimas
          Entwicklung von Sechs- bis Zehnjährigen

 Vor allem
                                                                                                  und offenbar nicht benötigte Synapsen „ver-
                                                                                                  zichten“, während andere Verbindungen blei-
                                                                                                  ben und intensiver genutzt werden. Auf die
                                                                                                  so entstehende Struktur des Gehirns hat vor
                                                                                                  allem das Einfluss, was das Kind bis zu diesem

 beziehungsweise
                                                                                                  Alter erfahren, erlebt und gelernt hat.1
                                                                                                  Die Grundschulzeit ist rundum eine Zeit des
                                                                                                  Wachstums: Die Konzentrationsfähigkeit
                                                                                                  steigt, das Zeitgefühl entwickelt sich, die Fä-
                                                                                                  higkeit zur Selbstkontrolle und zum Aufschie-
  Nach der Einschulung durchlaufen Kinder in den folgenden                                        ben von Bedürfnissen nimmt zu. Vor allem
                                                                                                  weil sich auch das Denken verändert, richtet
  vier Grundschuljahren eine große Entwicklung – manches                                          sich das Interesse zunehmend auf die Zusam-
  Kind langsamer, manches schneller, ein jedes in seinem                                          menhänge des Lebens.
  eigenen Tempo. Aber allen Kindern ist gemeinsam,                                                Wer kennt nicht die Fragen von Siebenjähri-
                                                                                                  gen: „Warum können Delfine so lange tau-
  dass sie sich zwischen ihrem sechsten und zehnten                                               chen? „ – „Wie schläft eine Kuh?“ Grundschul-
  Lebensjahr körperlich, sozial und emotional stark                                               kinder finden die Welt immer spannend und
  weiterentwickeln. Vor allem in Beziehung zu anderen.                                            brauchen Erwachsene, die ihnen die Zusam-
                                                                                                  menhänge erklären. Dabei lassen die Kinder
  „Hallo Frau Müller – ich gehe schon in die     Aus seiner frühen Kindheit bringt Ben wie an-    die Erwachsenen auch an ihren Überlegun-
  Schule!“, ruft mir unser Nachbarskind Ben      dere Gleichaltrige ein leistungsstarkes Gehirn   gen teilhaben. Oft bohren sie solange nach,
  fröhlich zu. Er kommt mir mit seinem Schul-    mit in die Grundschule, das ihm enorme An-       bis alle Widersprüche zumindest aus ihrer
  ranzen entgegen und zeigt mir stolz einen      passungs- und Lernfähigkeit erlaubt. Grund       Sicht geklärt sind. Diese Zeit der Gespräche
  Bagger, den er gerade im Unterricht gezeich-   dafür sind die vielen Verbindungen (Synap-       und Diskussionen mit verlässlichen Ansprech-
  net hatte. „Wow, du kannst aber toll malen!    sen) der Nervenzellen untereinander sowie        partner*innen ist für die kindliche Entwick-
  Bist eben schon ein großer Junge“, gebe ich    zu Muskel- und Sinneszellen. Diese in den ers-   lung äußerst wertvoll.
  bewundernd zurück. Ben strahlt und zeigt mir   ten drei Lebensjahren gewachsene „Vernet-        Grundschulkinder wollen aber nicht nur die
  wunderschöne Zahnlücken. Klarer Fall – seine   zung“ im Gehirn weist doppelt so viele Sy-       Welt erklärt bekommen, sondern sie wollen
  Milchzähne machen jetzt den bleibenden         napsen auf als bei Erwachsenen. Das bleibt       sie vor allem selbstständig und mit allen Sin-
  Zähnen Platz. Und auch sein Körper streckt     etwa bis zum 10. Lebensjahr so. Erst danach      nen entdecken und gestalten. Also erstmal
  sich sichtbar. Grundschüler*innen wachsen      baut sich etwa die Hälfte der Verbindungs-       ganz analog ein Lager im Wald bauen, Lego
  jedes Jahr etwa acht Zentimeter.               stellen schrittweise wieder ab. In diesem Pro-   1 www.neurologen-und-psychiater-im-
                                                 zess wird Bens Gehirn auf selten benutzte        netz.org/gehirn-nervensystem/entwicklung/

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                                                   auch ihre Eltern. Das Gespräch und die Ausein-     Chance für die Kinder, viel über den demo-
                                                   andersetzung mit einem Kind in diesem Alter        kratischen Umgang miteinander zu lernen,
                                                   fordern Eltern immer wieder auf, eine eigene       wenn man die Grundschule als Begegnungs-
                                                   Position zu beziehen und zu begründen. „Wa-        und Lernort für alle Kinder unabhängig von
                                                   rum darf ich nicht mit ins Kino?“ Und da das       ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Ge-
                                                   Kind immer selbständiger wird und vielfälti-       schlecht und ihren Erfahrungen versteht.
                                                   ge Erfahrungen mit anderen Menschen in der         Gleichzeitig ist das eine große Herausforde-
                                                   Schule, im Verein und mit Gleichaltrigen           rung für die Lehrkräfte, einer so heterogen
                                                   macht, sind die Eltern auch nicht mehr der         zusammengesetzten Gruppe ein passendes
                                                   absolute Maßstab aller Dinge. Vielmehr wer-        Lernangebot zu machen, aber zugleich auch

‚‚
                                                   den jetzt Gleichaltrige immer wichtiger und        jedes einzelne Kind zu sehen und individuell
                                                   auch der Vergleich mit anderen Kindern: „Ich       zu fördern. Auf eines jedoch sind alle Kinder
                                                   möchte auch ein Mountainbike haben wie             in der Grundschule angewiesen, um gut ler-
                                                   Joram!“- „Caro darf aber viel länger aufblei-      nen zu können: auf gelingende Beziehung
                                                   ben als ich!“ Immer häufiger sind die Erwach-       und wertschätzende Begegnung zwischen
                                                   senen jetzt auch nicht mehr dabei, wenn die        Lehrkräften, Kindern und Eltern sowie zwi-
                                                   Kinder miteinander spielen, sich mit ihren Fä-     schen den Kindern untereinander.
     Kinder bringen ihre eigene                    higkeiten erproben und ihre eigene Privat-         Lehrkräfte, die echtes Interesse daran haben,
                                                   sphäre haben, sowohl in der analogen als           die Kinder in allem, was sie ausmacht, gut
     Persönlichkeit zur Ein-                       auch in der digitalen Welt. Zunehmend wer-         kennenzulernen und ihnen ein Beziehungs-
 schulung mit, und diese Vielfalt                  den die Kinder unabhängiger von den Eltern         angebot zu machen, ermöglichen Kindern le-
  bereichert vom ersten Tag an                     – im Tun und im Denken.                            benslange Freude am Lernen. So manche Er-
   den Unterricht in der Klasse.                   Trotz dieser Gemeinsamkeit bei den Entwick-        wachsene sagen noch viele Jahre später rück-
                                                   lungsaufgaben ist jedes Kind im Grundschul-        blickend über ihre Schulzeit: „Ich hatte in der
spielen, Wasserbahnen auf dem Spielplatz           alter anders. Jedes besitzt individuelle Fähig-    Grundschule eine wirklich tolle Deutschleh-
graben, die Puppenküche so einrichten, dass        keiten und Erfahrungen und seine eigene Ge-        rerin.“ Niemand würde dagegen sagen: „Ich
sie funktioniert. Weil Kinder all das und vieles   fühlswelt. Auch jede einzelne Familie hat ihre     fand die Regeln der Groß- und Kleinschrei-
andere mehr ausprobieren möchten, brau-            eigenen Regeln und Besonderheiten, die das         bung so spannend.“
chen sie Gleichaltrige, die ihre Interessen        Kind mitprägen. Von seinem Leben während           Wenn Grundschule ein Ort für Kinder ist, an
und ihre Begeisterung teilen. Dabei machen         der Schwangerschaft in Mamas Bauch bis hi-         dem sie auch sich selbst und andere ken-
sie grundlegende Erfahrungen von Freund-           nein ins Grundschulalter hat das Kind schon        nenlernen, an dem sie erkennen, dass es Un-
schaft, Teamwork und Streit. Sie erfahren,         viele Erfahrungen mit sich, seiner Familie und     terschiede zwischen der eigenen Gedan-
wie man mit anderen Probleme löst und              der Umwelt gemacht und vielfältige Entwick-        ken- und Gefühlswelt und der anderer Men-
Konflikte austrägt. Es ist eine Zeit, in der Kin-   lungsaufgaben bewältigt.                           schen gibt, und von dem aus Kinder anschlie-
der experimentieren, neue Fähigkeiten ent-         Kurzum: Kinder bringen ihre eigene Persön-         ßend wissbegierig und verantwortungsvoll
falten und neuen Interessen mit Leiden-            lichkeit zur Einschulung mit, und diese Vielfalt   in die weitere Welt hinausgehen – dann eröff-
schaft nachgehen.                                  bereichert vom ersten Tag an den Unterricht        net die Grundschule Kindern eine Perspekti-
Auch das Verantwortungsgefühl wächst im            in der Klasse. Wer schon einmal bei einer Ein-     ve für das ganze Leben. 
Grundschulalter. „Ich passe kurz auf`s Baby        schulung dabei war, erinnert sich an diese         Bettina Müller, Dipl.-Psychologin,
auf, du kannst ruhig zum Briefkasten gehen.“       wunderbare Mischung aus Erstklässler*innen:        u.a. Entwicklungspsychologische
Für ein Kindergartenkind wäre das eine Über-       große und kleine, schüchterne und kecke, ki-       Beraterin (EPB), Leiterin des Kinder-
forderung – aber jetzt ist es eine spannende       chernde und ernste. Vielfalt hat unendlich vie-    schutzzentrums im OV Ulm/Neu-Ulm
Aufgabe.                                           le Worte. Für sie alle soll die Grundschule ein
Damit verbunden ist auch die Gefühlsent-           Lern- und Lebensort sein – ein Ort, der allen
wicklung: Grundschulkinder können sich zu-         Kindern gleichermaßen das Tor zur schuli-
nehmend besser in andere Menschen hinein-          schen Bildung öffnet. Dabei treffen in den
versetzen und verstehen, dass jeder Mensch         Klassen Kinder, die Deutsch als Zweitsprache
ganz eigene Gefühle, Gedanken, Wünsche             gelernt haben, auf Kinder, deren Mutterspra-
und Motive hat. Die Unordnung, die Mama            che Deutsch ist. Da sitzen geflüchtete Kinder,
gelassen hinnimmt, regt Papa furchtbar auf         die traumatische Erfahrungen auf dem Mit-
(oder umgekehrt) – die Fähigkeit zum Per-          telmeer gemacht haben, neben Kindern, die
spektivwechsel von sich auf das Gegenüber          immer in der Sicherheit ihres idyllischen Dor-
ist vielleicht eine der größten Veränderun-        fes gelebt haben. Da gibt es Kinder aus wohl-
gen, um andere und die Welt zu verstehen.          habenden und armen Familien, Kinder mit ei-
Mit zunehmender Eigenständigkeit des Kin-          nem, zwei oder mehr Elternteilen, Kinder mit
des geht es in den Familien oft um Regeln und      und ohne Handicap.
Grenzen. Anders als im Kindergartenalter hin-      Grundschule mit ihrem Angebot der gemein-
terfragen Grundschulkinder kritisch die ih-        samen Schulbetreuung ist somit eine große
nen gesetzten Grenzen – und letztlich damit        Chance für unsere Gesellschaft! Und eine
                                                                                                      iStockphoto/creepers888

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DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
Die Grundschule
                                 Eine Schule für
 Die gemeinsame öffentliche Grundschule mit Schulpflicht für alle Kinder gibt es in
 Deutschland seit gut 100 Jahren. Heute ist ihr Auftrag mit Anforderungen konfrontiert,
 die kaum mehr zu erfüllen sind. Jedenfalls nicht unter den gegebenen Bedingungen.

 Foto: MDobkowitz/CC-BY-SA-4.0

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                                                                                                    Es bleibt nach wie vor bei dem fundamenta-
                                                                                                    len Widerspruch, dass die Grundschule jedes
                                                                                                    Kind individuell fördern soll, beim Übergang
                                                                                                    in die Sekundarstufe jedoch an alle die glei-
                                                                                                    chen Maßstäbe anlegen muss, um sie für un-
 Historischer Klassenraum im Dorf- und Schulmuseum Schönwalde                                       terschiedliche Bildungsgänge auszuweisen.
 Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte               me waren durch die institutionelle Ausgren-
 sich das Bildungssystem in den beiden Teilen         zung von Kindern mit Handicap jedoch keine          FACHBEZOGENES LERNEN
 Deutschlands in unterschiedlichen Struktu-           Schulen für alle Kinder.                      Als Fächerkanon benennt die KMK: Deutsch,
 ren: Westdeutschland führte im Anschluss an          Mit der Wiedervereinigung wurde das Schul-    Mathematik, Sachunterricht, Fremdsprache,
 die Grundschule das dreigliedrige Schulsys-          system der ostdeutschen Bundesländer nach     Kunst, Werken/Textiles Gestalten, Musik,
 tem wieder ein. 1964 wurde hier die Grund-           westdeutschem Vorbild umgestaltet.            Sport und Religion/Ethik. Dabei wertet sie
 schule – bis dahin Teil der achtjährigen Volks-                                                    Deutsch für fachübergreifendes und fächer-
 schule – eine eigenständige Schulstufe.                   AUFTRAG DER GRUNDSCHULE                  verbindendes Arbeiten als handlungsleitend
 Ostdeutschland legte vom Kindergarten bis            Die Kultusministerkonferenz (KMK)             sowie Deutsch, Mathematik und Sachunter-
 zur Hochschule ein Einheitsschulsystem fest,         benennt 2015 in den Empfehlungen zur          richt als fachlichen Kernbereich der Grund-
 das in den 1960er Jahren in die zehnklassige         Arbeit in der Grundschule folgende            schule.
 Polytechnische Oberschule (POS) mit Unter-           Aufträge:                                     Deutsch umfasst Sprechen, Zuhören, Schrei-
 stufe, Mittelstufe und Oberstufe als Regel-           Anschluss an Entwicklung und Lernen         ben und Lesen als Basis für Kommunikation
 pflichtschule überführt wurde.                          im Elternhaus und in Kindertagesein-        und Wissenserwerb.
 Mit vier Jahren Dauer sowie im Fächerspek-             richtungen herstellen,                      Dem Mathematikunterricht liegen zugrun-
 trum (ausgenommen Religion) waren beide               grundlegende Kompetenzen für das            de: Zahlen und Operationen, Raum und Form,
 Primarstufen vergleichbar. Die ostdeutsche             Lernen in den weiterführenden Schulen       Muster und Strukturen, Größen und Messen,
 Unterstufe unterschied sich jedoch durch ihr           vermitteln,                                 Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit,
 sozialistisch geprägtes Erziehungsideal von           Lern- und Entdeckerfreude sowie Lern-       mit dem Ziel, mathematische Sach- und Me-
 der westdeutschen Grundschule, welche                  motivation bei allen Kindern unter Beach-   thodenkompetenz zu entwickeln.
 noch 1959 als Schonraum für eine „ruhig rei-           tung ihrer Unterschiedlichkeit fördern.     Sachunterricht ist allgemeinbildendes Fach
 fende“ Kindheit galt. Erst mit der Eigenstän-                                                      und Zentrum vieler fachübergreifender In-
 digkeit der Grundschule begann eine päda-            Dabei soll die Grundschule Folgendes sein:    halte der Grundschule. Sprachliche und ma-
 gogische Reformphase. Diese konnte sich               Lern- und Lebensort für alle Kinder,        thematische Kenntnisse kommen hier zur
 auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur indi-          Ort grundlegender Bildung,                  Anwendung.
 viduellen Entwicklung von Kindern und de-             Ort qualitätsvoller Bildungsarbeit          Der Fremdsprachenunterricht soll Grund-
 ren besondere Lern- und Bildungsfähigkeit             und Teil eines durchgängigen                lagen bilden für den Erwerb von Mehrspra-
 in frühen Lebensjahren stützen. Beide Syste-           Bildungssystems.                            chigkeit und europäischem Bewusstsein.

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DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
(fast) alle Kinder
Der Kunstunterricht fördert Wahrnehmungs-                  HERAUSFORDERUNGEN
                                                                                                    iStockphoto/Highwaystarz-Photography

fähigkeit, Kreativität und Gestaltungswillen.               JENSEITS DER FÄCHER
Werken und Textiles Gestalten ermöglichen          Die Grundschule hat einen zweigeteilten Auf-
Erfahrungen mit unterschiedlichen Materia-         trag: Sie soll Kinder bilden (Vermittlung der
lien und Werkstoffen der Alltagswelt.               Kulturtechniken) und erziehen (Persönlich-
Der Musikunterricht lässt Kinder vielfältige       keitsbildung). Letzteres ist der zunehmend
Formen des Musizierens, Bewegens und Tan-          anspruchsvollere Teil. Kinder sollen soziale
zens erleben und die eigenen Ausdrucks-            Kompetenzen für ein solidarisches Zusam-
möglichkeiten erweitern.                           menleben erwerben, Team- und Demokratie-
Im Sport stehen vielfältige Bewegungs-, Spiel-     fähigkeit ausbilden, mit der Natur nachhaltig
und Sportangebote für individuelle Talentför-      umgehen lernen und ein gesundheitsbe-
derung und den Ausgleich von Bewegungs-            wusstes Leben führen können. Die Grund-
mangel im Mittelpunkt.                             schule soll sie stark machen für eine Zukunft,
Religion und Ethikunterricht folgen dem An-        die wir heute nicht einschätzen können, die
spruch, die Bildung von Wertebewusstsein           aber lebenslanges Lernen, Umlernen, Kreati-
und Werteorientierung und ein gelingendes          vität und Flexibilität erfordern wird.           wir die Ganztagsbetreuung. Dafür haben
Leben in der Gemeinschaft zu fördern.              Folgerichtig muss gerade die Grundschule ge-     Schulen organisatorische und pädagogische
                                                   samtgesellschaftliche Entwicklungen ebenso       Konzepte entwickelt, unzureichende Finan-
Nach meinem Eindruck gibt es jedoch ein            wie Veränderungen in der Lebenswelt von          zierung und mangelnde personelle Ausstat-
Grundproblem: Die Fächer Deutsch und Ma-           Kindern und Familien in der pädagogischen        tung be(ver)hindern jedoch deren Umset-
thematik scheinen alle anderen Lernberei-          Arbeit aufgreifen. Dazu gehören auch die gro-    zung. Mit Blick auf Bildungsgerechtigkeit ist
che zunehmend in den Hintergrund zu drän-          ßen Themen Globalisierung, Klima und Digita-     das skandalös!
gen. Befeuert durch zahlreiche Bildungsstu-        lisierung. Zugleich haben alle Kinder das        Weitere Baustellen sind offensichtlich: Wie
dien, werden die deutsche Rechtschreibung          Recht, mit ihren individuellen Voraussetzun-     können angesichts des Sanierungs- und Aus-
und mathematische Kenntnisse offenbar für           gen wahrgenommen zu werden – ein Spagat.         baustaus, fehlender Schulgebäude und -räu-
wichtiger erachtet als die vielfältigen und an-                                                     me sowie des besonders hohen Lehrkräfte-
spruchsvollen weiteren Lernfelder. Das halte       Verknüpfen wir den vielfältigen Auftrag der      mangels in der Grundschule pädagogische
ich jedoch für eine Unterschätzung des Sach-       Grundschule mit dem Anspruch, eine Schule        Reformen und anspruchsvolle Schulentwick-
unterrichts, der musisch-ästhetischen Bil-         für alle Kinder zu sein, verwundert die hohe     lung auf der Agenda gehalten werden? Ge-
dung, auch des Schulsports in ihrer Bedeu-         Belastung der Lehrkräfte in der Primarstufe      nau darin sind auch die Fragen und Erforder-
tung für eine umfassende Bildung der Kin-          nicht. Zwar scheinen z. B. Individualisierung    nisse zum Umgang mit digitalen Medien in
der. Leider zeigt die Praxis, dass ausreichen-     und Umgang mit Heterogenität längst selbst-      der Grundschule zu verorten. 
de Erfahrungen in diesen Bereichen vielen          verständlich zu sein, jedoch fehlen die Res-     Maresi Lassek, Grundschulleiterin
und insbesondere den ohnehin durch ihre            sourcen für eine konsequente Umsetzung           i.R., von 2010 bis 2020 Bundesvor-
Lebensverhältnisse benachteiligten Kindern         von inklusiven Bedingungen. Oder nehmen          sitzende des Grundschulverbands
fehlen (Weltwissen).
Der digitale Hype verstärkt das Problem. Au-
thentische sinnliche Erfahrungen und Erleb-
                                                                                                                                                    iStockphoto/LSOphoto

nisse lassen sich nicht digitalisieren. Die Ent-
wicklung zu sozial verantwortungsvollen und
gesunden Menschen braucht auch und vor al-
lem Bewegung, Naturbegegnung und sozia-
les Miteinander. Die Schule mit ihren Lernan-
geboten bietet den Raum dafür. Nur ein all-
seitig ausgerichtetes Bildungsangebot er-
möglicht, dass Kinder ihre vielfältigen Poten-
ziale entwickeln können, auch bei der Nut-
zung digitaler Medien. Daher muss sich die
Bedeutung aller Lernbereiche nicht nur im
Stundenplan, sondern auch in der Qualifika-
tion der pädagogischen Fachkräfte sowie in
ihrer ausreichenden Anzahl abbilden.

                                                                                                                                              9
DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
iStockphoto/shironosov
         Digitale Bildung in der Grundschule

Nicht ob, sondern wie
Mit der Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung                                           haben, können andere wichtige Erfahrungs-
                                                                                                 werte für Kinder zu kurz kommen.
in der digitalen Welt“ wird auch für die Grundschulen
                                                                                                 Deshalb betone ich bei jeder Gelegenheit:
Deutschlands gefordert, das Thema Digitalisierung stärker                                        Natürlich ist es für das Aufwachsen von Kin-
in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen.                                                   dern zentral, dass sie ausreichend Naturer-
                                                                                                 fahrungen machen können, vielfältige direk-
Bereits im Grundschulalter sollen bei allen Kindern zentrale
                                                                                                 te Kontakte mit anderen Menschen erleben
Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien gefördert                                             und alle Sinne der Kinder angesprochen wer-
und zunehmend auch digitale Medien für das Lernen in                                             den. Daher ist selbstverständlich dafür zu sor-
                                                                                                 gen, dass die kindlichen Entwicklungsprozes-
der Grundschule genutzt werden.
                                                                                                 se nicht gefährdet werden – auch nicht durch
Was bewegt Eltern und Lehrkräfte in diesem      Die Bedenken von Eltern, aber auch von man-
Zusammenhang? KSA hat diese Frage Prof.         chen Kinderärzt*innen, Erzieher*innen und
Dr. Thomas Irion vorgelegt. Er leitet die Ab-   Lehrkräften hinsichtlich der übermäßigen
teilung Grundschulpädagogik an der Päda-        Nutzung digitaler Medien im Grundschulal-
gogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd           ter kann ich sehr gut nachvollziehen. Digitale
und ist dort Direktor des Zentrums für Me-      Medien faszinieren viele Kinder sehr, das be-
dienbildung. Zudem ist er Vorstandsmitglied     stätigen auch aktuelle Studien wie die KIM-
des Grundschulverbandes und dort zustän-        Studie: Das Smartphone, der Computer und
dig für das Ressort „Digitale Grundbildung“.    digitale Spiele gehören schon im Grund-
Im Folgenden beantwortet Thomas Irion Fra-      schulalter zu den häufigsten Themeninteres-
gen, die ihm bei Vorträgen und Podiumsdis-      sen. Statistisch stehen sie in der Summe so-
kussionen immer wieder gestellt werden.         gar deutlich vor den Interessen für Spielsa-
                                                chen, Sport, Musik, Tiere, Natur oder Filme.
M Bereits Kinder im Grundschulalter ver-        Gerade Eltern und Lehrkräfte, die selbst eine
bringen in ihrer Freizeit doch schon viel       Kindheit weitgehend ohne digitale Medien
Zeit mit digitalen Spielen, Videos und teil-    erlebt haben, machen sich Sorgen, welche
weise sogar Social Media. Muss hier nicht       negativen Folgen digitale Medien für Kinder
die Grundschule einen Gegenpol zu dieser        haben können. Und diese Faszination kann
Entwicklung bilden und dafür sorgen,            für manche Kinder tatsächlich auch zu groß
dass die Kinder wenigstens in der Schule        werden. Und auch weil manche Eltern digita-
auf digitale Medien verzichten?                 le Medien als bequeme Babysitter entdeckt
                                                                                                         iStockphoto/solevnikola
10 KSA 4.2021
falschen und übermäßigen Medienkonsum.            M Ein Ende des digitalen Wandels unserer          Eine Kernaufgabe der Grundschulbildung ist
Es ist also richtig, auch auf diese Gefahr auf-   Gesellschaft ist also nicht abzusehen. Müs-       es, Kinder bei der Orientierung in der komple-
merksam zu machen.                                sen Grundschulen auf diese Entwicklung            xen Welt zu begleiten, in zentrale Kulturtech-
Ebenso wichtig ist aber auch der Hinweis, dass    reagieren?                                        niken einzuführen und sie ebenso auch bei
es nicht sinnvoll und auch gar nicht möglich      Natürlich müssen Grundschulen darauf rea-         der Entfaltung ästhetischer, forschender, mo-
ist, Kinder im Grundschulalter von der Digita-    gieren! Schließlich wachsen unsere Kinder in      torischer, lebenspraktischer und demokrati-
lisierung total abzukapseln. Dafür hat sich un-   dieser Welt auf, in der die Digitalisierung un-   scher Kompetenzen zu unterstützen. Diese
sere Welt in den letzten Jahren durch die Di-     ter anderem zu einer massiven Veränderung         Kernaufgaben bleiben natürlich auch im Zu-
gitalisierung viel zu stark verändert und ver-    im Bereich der Erkenntnisgewinnung, der In-       ge der Digitalisierung bestehen, weshalb ei-

                                                                                                    ‚‚
ändert sich auch immer noch sehr dynamisch        formationszugänge und der Kommunikati-            ne zeitgemäße Grundschule unbedingt auch
weiter.                                           on geführt hat. Daher sollten wir darauf ach-     Gegenpole zur Nutzung von digitalen Tech-
Aktuell stehen wir also nicht mehr vor der Fra-   ten, dass die Folgen für Kinder nicht einseitig   nologien bieten muss. So brauchen viele Kin-
ge, ob wir Kinder den digitalen Medien aus-       betrachtet, sondern die Risiken und Chancen       der in der Schule unbedingt mehr Naturer-
setzen sollen oder nicht – sondern wir stehen     des digitalen Wandels für ihr Aufwachsen glei-    fahrungen und sinnliche Erlebnisse abseits
vor der Tatsache, dass unsere Gesellschaft        chermaßen gesehen werden. Stefan Aufenan-         von Wischbewegungen und Tastenklicks auf
von digitalen Medien bereits durchdrungen         ger hat 2019 in einem Überblick über inter-       digitalen Endgeräten.
ist. Während noch Ende des letzten Jahrhun-       nationale Studien z.B. gezeigt, dass digitale
derts häufig zwischen der digitalen und ana-       Medien den Kindern neben Risiken auch viel-            Es ist selbstverständlich dafür
logen Welt unterschieden werden konnte,           fältige Anregungen für die kognitive Ent-             zu sorgen, dass die kindlichen
sind in den letzten Jahrzehnten nahezu alle       wicklung sowie Impulse für ihre Persönlich-       Entwicklungsprozesse nicht gefährdet
unsere Lebensbereiche durch die Digitali-         keitsfindung bieten.                               werden – auch nicht durch falschen
sierung verändert worden. Kulturwissen-           Die Gefahr, sich in digitalen Medien zu verlie-   und übermäßigen Medienkonsum.
schaftler*innen wie Felix Stalder (2016) se-      ren, ist allerdings dann besonders groß, wenn
hen die Digitalisierung nicht nur als Rander-     Kinder ungeeigneten digitalen Angeboten           Anderseits muss aber auch dafür gesorgt wer-
scheinung unserer gesellschaftlichen Ent-         überlassen werden. Diese Entwicklung hat          den, dass grundlegende Kompetenzen für
wicklung, sondern als zentrales Element ei-       man in der Grundschulbildung zu lange igno-       das Leben in der digitalen Welt auch von allen
nes digitalen Wandels. Er prägt unser Zusam-      riert, Kinder und Eltern wurden damit vielfach    Kindern gelernt werden. Während manche
menleben und unsere Kommunikation und             alleingelassen. Angesichts der Bedeutung di-      überbehütenden Eltern möglicherweise eige-
hält ständig neue Chancen und Herausforde-        gitaler Medien für das Aufwachsen der Kinder      ne Ängste vor der digitalen Welt auf Kinder
rungen für unsere Gesellschaft bereit. Diese      sollten wir deshalb aktuell weniger darüber       übertragen, lassen andere Eltern den Kindern
Dynamik nimmt immer mehr Fahrt auf. Gera-         diskutieren, ob wir das Thema Digitalisierung     weitgehend freie Hand und sorgen auf diese
de in der Pandemie haben wir erfahren, wel-       in der Grundschule aufgreifen, sondern viel-      Weise auch nicht immer für den Aufbau von
che positiven Effekte sich etwa im Bereich der     mehr wie wir Kinder sinnvoll in einer digital     wichtigen Grundkompetenzen.
medizinischen Forschung oder der Absiche-         geprägten Welt begleiten können.                  Eine zeitgemäße Grundschule ergänzt Buch-
rung von Kommunikation in kürzester Zeit                                                            und Arbeitsblattunterricht nicht einfach
entwickelt haben – aber auch welche Gefah-        M Wie kann ein zeitgemäßer Grundschul-            durch Übungsprogramme auf Tablets, son-
ren, etwa durch Fake News und Verschwö-           unterricht im Hinblick auf die Medienent-         dern ermöglicht Kindern vielfältige Erfah-
rungstheorien, dabei entstehen können.            wicklungen aussehen?                              rungsräume mit und ohne Medienbeglei-
iStockphoto/monkeybusinessimages                                                                    tung. Kinder sollten dabei nicht nur üben, Ge-
                                                                                                    räte zu bedienen, sondern eben auch lernen,
                                                                                                    wie sie selbst digitale Medien zur Information
                                                                                                    und Kommunikation, aber auch in Situatio-
                                                                                                    nen des forschenden Lernens und kreativen
                                                                                                    Gestaltens nutzen können.
                                                                                                    Die Grundschulbildung steht hier vor der Auf-
                                                                                                    gabe, Kinder bei der Entwicklung der für diese
                                                                                                    Lern- und Arbeitsprozesse erforderlichen Kom-
                                                                                                    petenzen zu begleiten. So können Kinder z.B.
                                                                                                    eigenständig multimediale Bücher erstellen,
                                                                                                    um Erfahrungen wie etwa einen Lerngang zur
                                                                                                    Feuerwehr oder in den Wald zu dokumentie-
                                                                                                    ren und gemeinsam mit anderen Kindern und
                                                                                                    der Lehrkraft oder den Eltern darüber zu spre-
                                                                                                    chen. Auf diese Weise werden Kindern Natur-
                                                                                                    erfahrungen und soziale Erfahrungen zuteil –
                                                                                                    zugleich erhalten sie aber auch verschiedene
                                                                                                    Möglichkeiten, diese Erfahrungen durch digi-
                                                                                                    tale Technologien festzuhalten, zu reflektieren
                                                                                                    und anderen mitzuteilen. Ein solches Vorge-
                                                                                                    hen fördert einerseits ihre grundsätzlichen Be-

                                                                                                                                               11
dienkompetenzen und unterstützt anderer-               M Ist wirklich nur die Schule dafür verant-      nutzerfreundlichkeit und die Barrierefreiheit
seits den Aufbau einer kritischen Haltung ge-          wortlich, dass sich Kinder unbeschadet in        eine große Rolle. Hier besteht ein erhebli-
genüber Medien. Zugleich lassen sich durch             der digitalen Medienwelt zurechtfinden?           ches Forschungsdefizit, da viele Tools bislang
solche Formen der aktiven Medienarbeit mit             Das wäre wirklich zu viel verlangt von der       hauptsächlich im Hinblick auf ältere Kinder
Kindern auch fachliche Kompetenzen, etwa in            Schule. Natürlich spielen auch Eltern und au-    entwickelt und erforscht wurden.
den Bereichen Deutsch, Sachunterricht und              ßerschulische Partner*innen wie Kinderta-        Abschließend will ich bei allen Gefährdun-
Ästhetik, fördern.                                     gesstätten eine ganz zentrale Rolle dabei,       gen ausdrücklich nochmal darauf hinweisen:
Ein zeitgemäßer Grundschulunterricht nutzt             Kinder in der digital geprägten Welt zu be-      Reine Medienverbote greifen zu kurz. Damit
solche und weitere Möglichkeiten digitaler             gleiten. Hier ist ein gutes Zusammenspiel        alle Kinder faire Chancen für das aktuelle und
Werkzeuge, um Grundschulunterricht an-                 sehr wichtig.                                    künftige Leben erhalten, müssen sich mei-
schaulicher, individualisierter und kooperati-         Auch Organisationen wie beispielsweise der       nes Erachtens Grundschulen und Eltern, aber
ver werden zu lassen. Es geht also nicht da-           Kinderschutzbund sind wichtig, um auf Ge-        auch Organisationen wie der Kinderschutz-
rum, Kinder vor dem Computer oder Tablet               fährdungsbereiche für das kindliche Auf-         bund dafür einsetzen, dass Kinder nicht nur
zu parken und mit Übungsaufgaben abzufül-              wachsen hinzuweisen. Allerdings können           keinen Gefährdungen ausgesetzt sind, son-
len, sondern es geht vielmehr darum, Kinder            nicht alle Probleme unserer Gesellschaft pä-     dern auch dass alle Kinder zentrale Kompe-
unter Einbezug von digitalen Medien zur                dagogisch gelöst werden. Deshalb ist auch        tenzen für die Nutzung digitaler Medien er-
Kreativität und zu forschenden Aktivitäten             durch gesetzliche Regelungen dafür zu sor-       werben können. Insbesondere ist zu verhin-
zu motivieren, bei denen keinesfalls immer             gen, dass negative Folgen für Kinder verhin-     dern, dass Kinder durch die fehlende Mög-
digitale Medien im Mittelpunkt stehen soll-            dert werden. Wenngleich eine totale Ab-          lichkeit zum Kompetenzaufbau in ihrer Ent-
ten. Digitale Technologien sollten den Unter-          schottung nicht zeitgemäß ist, sind Risiken      wicklung behindert werden und somit neue
richt vielfach nicht dominieren, sondern be-           für das Aufwachsen auch durch Maßnah-            Formen der sozialen Ungleichheit entstehen.
gleiten.                                               men der Gesetzgebung bestmöglich zu mi-          Eine große internationale Vergleichsstudie
                iStockphoto/Maria Symchych-Navrotska
                                                       nimieren.                                        der digitalen Kompetenzen von Kindern in
                                                       Zudem gilt es auch dafür zu sorgen, dass di-     achten Klasse zeigt auf, dass hier in Deutsch-
                                                       gitale Lernsysteme in der Grundschule wirk-      land erheblicher Nachholbedarf besteht.
                                                       lich kindgerecht gestaltet sind und nicht nur    Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie
                                                       jene Kinder von diesen profitieren können,        wichtig es ist, dass gerade Kinder im Grund-
                                                       die zu Hause Hilfe von Eltern oder Geschwis-     schulalter nicht vom Erwerb grundlegender
                                                       tern erhalten oder ohnehin schon medien-         Kompetenzen ausgeschlossen werden. 
                                                       kompetent sind. Dies ist aktuell häufig der       Eine Liste der Literatur, auf der
                                                       Fall und führt zu massiver sozialer Ungleich-    dieser Beitrag basiert, kann in der
                                                       heit. Aus diesem Grund spielen bei der Aus-      KSA-Redaktion angefordert werden.
                                                       wahl digitaler Tools für die Grundschule nicht   E-Mail: ksa-redaktion@duesenberg-
                                                       nur der Datenschutz, sondern auch die Be-        kontext.de

Ein Wort zum Hybridunterricht                                                  Konzepte sowie die Definition von Zugangsbedingungen. Außer-
Es herrscht Einigkeit: Gerade Grundschüler* innen sollte                       dem braucht die Schule zusätzliches Personal für die dauerhafte
möglichst in Präsenz unterrichtet werden. Aber was, wenn ein                   Administration der Geräte und Plattformen sowie in jedem Klassen-
gesundes Kind zu Hause in Quarantäne sitzt? Oder wegen eines                   zimmer einen großen Bildschirm. Zwingend nötig ist dafür, die
Gipsbeins oder zu schlechtem Wetter nicht zur Schule kann?                     Verwaltungsabläufe zu vereinfachen – sowohl beim Personal-
Sollte es dann in Zukunft nicht wenigstens digital ins Klassen-                einsatz als auch bei der Beschaffung.
zimmer live dazugeschaltet werden können? Lernen in Hybridform                 Große Herausforderungen: Viele Schulen erfüllen die Voraus-
verknüpft zeitgleich den Präsenzunterricht in der Schule mit                   setzungen (noch) nicht.
digitalem Lernen von zu Hause.                                                 Auch in vielen Elternhäusern fehlen Kindern der nötige Rahmen
Die Vorteile: Hybrid ermöglicht Kindern vor allem die Teilhabe am              und die Unterstützung fürs digitale Lernen. Zudem entsteht hoher
Unterricht im Klassenzimmer auch bei (leichter) Erkrankung oder                Regelungsbedarf: Welches Kind darf oder muss wann unter welchen
sonstigen Verhinderungsgründen. Es lohnt zudem, die während                    Umständen am Hybridunterricht teilnehmen? Und wer muss davor
der Pandemie bei Kindern und Lehrkräften (zwangsweise) entstan-                auch geschützt werden, z.B. bei Erkrankung? Liegt das im Ermessen
denen digitalen Kompetenzen für die Zukunft zu sichern, zu nutzen              der Schule, der Eltern oder des Kinderarztes bzw. der Ärztin?
und zu erweitern. Und schließlich müssen sich auch die erfolgten               Diskutiert werden sollte ebenso, ob Hybridunterricht überhaupt
Bildungsinvestitionen ins Digitale (materiell und zeitlich) rentieren.         für jeden Inhalt, jedes Fach und vor allem jedes Kind geeignet ist,
Wichtige Voraussetzungen: Die technischen, rechtlichen (Daten-                 insbesondere im Hinblick auf den integrativen bzw. inklusiven
schutz), personellen und räumlichen Rahmenbedingen müssen                      Auftrag der Grundschule. In welchem Setting digitales schulisches
stimmen – sowohl in der Schule für die Lehrkräfte und Schüler*-                Lernen künftig auch immer stattfinden soll: Die soziale Schere
innen als auch im Homeschooling für die teilnehmenden Kinder.                  darf dadurch nicht noch weiter aufgehen. 
Zudem erfordert Hybridunterricht neue methodisch-didaktische                   Dr. Martin Stahlmann, Redaktion

12 KSA 4.2021
Eltern

    Alles selbst erproben                                                                              Die Inhalte solcherart Elternbildung basieren
                                                                                                       auf Ideen, die in den Klassenpflegschaften,
                                                                                                       der Schulpflegschaft und der Schulkonfe-
                                                                                                       renz gesammelt und besprochen werden
                                                                                                       sollten. In diesem Prozess sowie bei der Wis-
                                                                                                       sensvermittlung selbst können vor allem
                                                                                                       auch jene Mütter und Väter eine verantwor-
                                                                                                       tungsvolle Rolle übernehmen, die an digitale
                                                                                                       Endgeräte gewöhnt sind bzw. gar aufgrund
                                                                                                       ihrer eigenen Profession andere daran schu-
                                                                                                       len können.
                                                                                                       Die Planung und Durchführung solcher Fort-
                                                                                                       bildungsangebote gelingen dann erfolg-
                                                                                                       reich, wenn Eltern und Lehrkräfte gemein-
                                                                                                       sam Verantwortung tragen. Überhaupt ist es
                                                                                                       notwendig, die Beziehung zwischen Eltern
                                                                                                       und Schule noch kooperativer zu denken.
                                                                                                       Gerade die Konzepte zur Medienbildung so-
                                                                           iStockphoto/LuckyBusiness   wie zur Schul- und Unterrichtsentwicklung
                                                                                                       sollten partizipativ erarbeitet und an die Be-
Im Idealfall arbeitet die Grundschule mit Eltern eng und                                               darfe der unterschiedlichen Klassenstufen
                                                                                                       angepasst werden. Hier müssen auch ver-
gut zusammen. Stellt ein von Medien gestützter Unterricht                                              schiedene Elterngruppen Gelegenheit zur
diese Kooperation vor neue Herausforderungen?                                                          Beteiligung erhalten.
Das hat KSA den Verband Bildung und Erziehung gefragt.                                                 Und noch einen Einfluss kann die Digitalisie-
                                                                                                       rung auf die Elternarbeit der Schule haben:
Hier seine Antwort.                                                                                    Durch datensichere Kommunikationsplatt-
Kinder und Jugendliche wachsen heute un-         terführende Schule dagegen. Das birgt auf El-         formen können zeitnah notwendige Bespre-
ter dem Motto „Erwarte das Unerwartete“          ternabenden so manches Konfliktpotenzial.              chungen viel schneller als bisher vereinbart
auf. Sie werden z.B. Berufe, die es heute noch   Helfen kann hier die Auseinandersetzung               und durchgeführt werden. Digitale Medien
gibt, später nicht mehr ergreifen können,        mit den Geräten und Programmen, die ein-              ermöglichen auch eine kurzfristige Beteili-
weil diese dann verschwunden sind. Gleich-       gesetzt werden sollen. Ebenso wichtig ist im          gung aller Eltern, die sonst nicht an jedem El-
zeitig erweitern sich die Möglichkeiten der      Hinblick auf den Datenschutz eine ausführli-          ternabend teilnehmen könnten wie bei-
persönlichen Lebensführung jeden Tag. Für        che Aufklärung der Eltern über die Art, wie           spielsweise Alleinerziehende. Immer voraus-
diese Entwicklungen ist die Digitalisierung      Daten weiterverwendet werden.                         gesetzt, die digitalen Geräte und die entspre-
verantwortlich. Es ist also für Schüler*innen    Es hat sich bewährt, die Eltern in die Schule         chende Infrastruktur sind vorhanden. Nur
essenziell, mit digitalen Medien gut umge-       einzuladen und sie dort alles selbst erproben         wenn das gesichert ist, können wichtige In-
hen zu können. Deshalb sollten sie kompe-        zu lassen. So können sie am besten nachvoll-          formationen für alle auf diesem Wege trans-
tent und altersadäquat schon ab der Grund-       ziehen, welches Wissen und Vorgehen beim              portiert werden. 
schule damit vertraut gemacht werden, wie        digitalen Lernen für ihre Kinder wichtig sind,        Anne Deimel, stellvertretende
sie digitale Medien sicher, sinnvoll und auch    und Vertrauen in die Bearbeitung der Aufga-           Landesvorsitzende des Verbandes
kreativ nutzen können.                           ben durch ihre Kinder entwickeln sowie de-            Bildung und Erziehung Nordrhein-
Es ist Aufgabe der Lehrkraft, im Unterricht      ren Lernprozesse begleiten.                           Westfalen (VBE NRW)
die richtige Balance zwischen analogem und       Bei dieser „Erprobung“ wird oft deutlich, dass
digitalem Arbeiten zu finden. Diese Heraus-       die Eltern selbst auf sehr unterschiedlichem
forderung zu meistern wird nicht einfacher,      Niveau mit digitalen Medien umgehen. Die
wenn die zu den Kindern gehörigen Eltern         einen sind darin gut geübt, andere weniger.
sehr heterogene Vorstellungen davon ha-          Um fehlende Kompetenzen auszugleichen
ben, wie oft und intensiv digitales Lernen im    und Ängste bei Eltern abzubauen, sollte die
Unterricht und für Hausaufgaben genutzt          Schule ihnen daher niedrigschwellige Fort-
werden soll. Während die einen es kaum er-       bildung anbieten. Verstehen die Eltern die
warten können, dass entsprechende Hard-          verwendeten Geräte und Programme besser,
und Software endlich in den Unterricht der       können sie ihre Kinder bei einfachen Fragen
Grundschule einzieht, wehren sich andere         auch besser unterstützen.
noch zum Zeitpunkt des Wechsels in die wei-
                                                                                                       iStockphoto/SbytovaMN

                                                                                                                                                  13
Politik und Wirtschaft

An „irrer Aufholjagd“

                                                                                                                                                    iStockphoto/Baweg
 BETEILIGT

Schulen in Deutschland hängen im internationalen                                                             TÖPFE FÜR DIE
Vergleich hinterher, wenn's „ums Digitale“ geht.                                                         ANSCHUBFINANZIERUNG
                                                                                                  2019 stellte die Bundesregierung über fünf
Das soll sich ändern, sagt die Politik – aber sie schickt                                         Jahre fünf Milliarden Euro für den „Digitalpakt
die Schulen für eine bessere Ausstattung auf lange Wege.                                          Schule“ bereit. Mit diesem Basisprogramm
Die Wirtschaft bietet dagegen schnelle Lösungen,                                                  sollen Schulträger vor allem Hardware für ih-
                                                                                                  re Bildungseinrichtungen anschaffen. Bis En-
die aber auch Fragen aufwerfen.                                                                   de Juni 2021 wurden aber erst 189 Millionen
In den Schulen findet eine „irre Aufholjagd“      vor allem, wenn die unmittelbare Begegnung       Euro abgerufen. Dahinter steckt kein böser
statt. Auch in den Grundschulen. Das meint       unmöglich geworden ist. Und viele Euphori-       Wille, sondern eine komplexe Problematik:
Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst,      ker*innen der Digitalisierung haben verstan-     Hardware allein macht den Kohl nämlich
die gegenwärtige Präsidentin der Kultusmi-       den, dass kein Computer das Lernen in sozia-     nicht fett – das Ganze muss auch eingerichtet
nisterkonferenz. Deutschland, dieser große       len Zusammenhängen und im persönlichen           und gepflegt werden. Die Sicherstellung (und
Industriestandort, hetze außer Atem Ländern      Kontakt ersetzen kann.                           Folgekosten) von Betrieb, Support und War-
wie Dänemark und Estland hinterher, stellte      Im Homeschooling gab es Lehrkräfte, die          tung der IT in Schulen liegt wiederum bei den
sie fest. Mit Laptops und Tablets, Smartboards   gelegentlich mal Hausaufgaben als PDF-Da-        Schulträgern.
und Glasfaserkabeln wird darum gekämpft,         tei an ihre Klassen verschickt haben. Es gab     So verfängt sich das Basisprogramm erstmal
unsere Kinder und Jugendlichen fit zu ma-         aber auch Lehrkräfte, die jeden Morgen ihre      im Gestrüpp der Zuständigkeiten von Bund,
chen für einen von Digitalisierung bestimm-      Schüler*innen vor den Bildschirmen ver-          Ländern und Gemeinden. Im Prinzip hat der
ten Markt.                                       sammelten, den Kindern Aufträge zuteilten        Bund in den Schulen ohnehin nichts zu mel-
                                                 und ihnen am nächsten Tag Rückmeldung            den. Es wurde sogar eigens das Grundgesetz
    ERFAHRUNGEN IM LOCKDOWN                      zu den empfangenen Ergebnissen gaben.            geändert, damit er wenigstens im Einver-
Wenn heute der Rückstand deutscher Bil-          Solche Lehrkräfte erstellten auch Videos und     nehmen mit den Ländern überhaupt Geld
dungseinrichtungen beklagt wird, geht`s          ließen ihre Kids in Gruppen etwa an Wetter-      für die Digitalisierung der Schulen bereit-
nicht mehr um zu große Klassen, fehlende         beobachtungen arbeiten oder kleine digita-       stellen durfte.
Lehrkräfte oder marode Klos und Klassen-         le Bücher zusammenstellen. Die Digitalisie-      Im Corona-Jahr 2020 hatte der Bund dann
zimmer, sondern um fehlende Hardware, zu         rung öffnet also durchaus Felder für Eigen-       nochmal drei Zusatzprogramme zu jeweils
schwaches WLAN und mangelnden Internet-          initiative – aber sie stellt die (Grund)Schule   500 Millionen Euro aufgelegt:
Support. Dieser Debatte hat Corona einen         auch vor viele Fragen und Probleme. Welche        Der Topf für Endgeräte für Schüler*innen
neuen Schub gegeben. Und sie ein wenig           Kommunikationssoftware kann ich einset-          wurde fast vollständig ausgeschöpft.
entideologisiert. Viele Skeptiker*innen der      zen, die datenschutzkonform ist und trotz-        Aus dem Topf für die Anschaffung von
Digitalisierung haben verstanden, dass das       dem genug Gestaltungsspielraum bietet?           Computern für Lehrkräfte wurden bisher
Internet ein Kommunikationsweg sein kann,        Welche Lernprogramme taugen wofür?               schmale 192 Millionen abgerufen. Mög-

14 KSA 4.2021
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