DIGITALE!? - Deutscher Kinderschutzbund
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D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S 4 . Q UA R TA L 2 0 2 1 / H 8 7 6 3 F KINDERSCHUTZ A K T U E L L 4.21 In der Grundschule: Reif fürs DIGITALE!? Moderne Medien sollen die Lernwelt von Kindern erweitern. Das geht nicht ohne Konzepte, Begleitung und Ausstattung.
st starke ark ke elte eltern rn starke starke kinder Das Magazin des Deut Deutschen schen Kinder Kinderschutzbundes schutzbundes Starke Kinder brauchen starke Elter Eltern. n. Auf Auf u 1 192 92 Seit Seiten en finden Sie hilfr hilfreiche eiche Ideen und AnrAnregungen egungen rrund und um das Thema Er Erziehung ziehung int interessante eressante ArArtikel tikel zum Lesen und ScSchmökern hmökern w weitere eitere Inf Informationen, for o mationen, Lese Lesetipps tipps und Int Internetlinks ernetlinks zu den Ar Artikeln tikeln R Reportagen, eportagen, Int Interviews er views und viele F Fotos otos st starke arke eltern sstarke tarke kinder is istt ein zuv zuverlässiger erlässiger R Ratgeber atgeber in allen Lebenslagen. Ab 2.05.2021 am Kio Kiosk sk oder beim V Verlag e erlag erhältlich. Jetzt bestellen: Bestellschein per Post ZIEL:MARKETING Hier Hiermit mit bestelle ich Exemplar(e) Dann neckerstraße 23A Danneckerstraße des DKSB-Jahresheftes 2021 „st starke arke eltern sstarke kinder”” tarke kinder Stuttgart 70182 Stuttgart zum Stückpreis von 6,90 € zzgl. l 2,00 l. 2 00 € V Versandkosten e ersandkosten bequem und einfach im Inter net unter Internet Absender www.ziel-marketing.de www.ziel-marketing.de Name Vorname Vo orname per E-mail bestellungen@ziel-marketing.de Straße telefonisch PLZ Or Ortt (0711) 9 66 95-0 TTelefon e elefo elefon TTelefax elefax e per Fax (0711) 9 66 95-20 E-mail Datum Unterschrift KSA
In der Grundschule: Reif fürs Digitale!? Vielerorts wird pauschal „mehr digitale Bildung“ auch in der Grundschule gefordert. Reicht das? KSA fragt nach: Welche Entwicklungsaufgaben haben Sechs- bis Zehnjährige überhaupt – und was ist der Auftrag der Grundschule? Wie kann dort Bildung mit und über digitale Medien mit analogem Unterricht verknüpft werden, damit sich mehr Chancen für alle Kinder entfalten? Welche Leitplanken sind dafür wichtig? Der Befund zeigt auch: Schulen, Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern sind für die digitale Bildung noch gar nicht hinreichend vorbereitet, weder konzeptionell noch in Sachen Ausstattung und Kompetenz. Und auch die Kinderrechte, die im digitalen Raum gleichermaßen gelten müssen, stehen noch nicht im Grundgesetz. Dabei sind Kinder in ihrer Freizeit längst im weltweiten Netz unterwegs. Inhalt 4.2021 KLIPP & KLAR 6 4 Kolumne, Plätze der Kinderrechte, Flutkatastrophe THEMA 6 Vor allem beziehungsweise Entwicklungsaufgaben von 10 8 Grundschulkindern Eine Schule für (fast) alle Kinder Die Grundschule zwischen Auftrag und Wirklichkeit Vor allem beziehungsweise Nicht ob, sondern wie 10 Nicht ob, sondern wie Im Grundschulalter verändern sich Schon in den ersten Klassen sollen Kinder So kann digitale Bildung gelingen Kinder nicht nur körperlich. Vor allem in digital fit gemacht werden. Diese Entwick- 13 Alles selbst erproben Beziehung zu anderen formen sie jetzt lung ist rasant, wirft aber auch kritische Digitaler Nachhilfeunterricht auch für Eltern? auch soziale und emotionale Fähigkeiten Fragen auf und sorgt bei einigen 14 An „irrer Aufholjagd“ beteiligt weiter aus – ein jedes Kind möglichst Beteiligten durchaus für Ängste. Wirtschaft und Politik mischen in seinem eigenen Tempo. Ab Seite 6 Was sagt der Experte dazu? Ab Seite 10 in der Schule mit 16 Auf die Dosis kommt es an Grundschulkinder sind privat sowieso online 17 Draussen Schule machen Gutes Gegengewicht zum digitalen Lernen 18 Kinderrechte in der digitalen Welt UN-Kinderrechtsausschuss gibt Richtung vor KINDER IM BLICK 20 Kinderschutztage 2021 In Hannover wieder in Präsenz 25 Deutsch-Rap von den RÄUBERS Ein Projekt des LV Berlin im Lockdown 20 26 DKSB-Kampagne Überall sichtbar: „Kinder haben Armut nicht gewählt“ 28 Die machen Sachen Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis Kinderschutztage 2021 30 Neunter Familienbericht Eltern sein in Deutschland Der DKSB hat den zweiten Teil seiner diesjährigen Kinderschutztage 2021 wieder in Präsenz durchführen können. Für inhaltliche Diskussionen, kollegialen 31 Aktuelles aus dem Bundesverband Austausch und wichtige Beschlüsse kamen die Kinderschützer*innen vom Impressum 3. bis 5. September in der Stadthalle von Hannover zusammen. Hier haben sie auch einstimmig die richtungsweisende Resolution „Kinder haben Armut nicht gewählt“ verabschiedet – begleitet vom Applaus des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay. Ab Seite 20
KLIPP & Kolumne KLAR Liebe Leserinnen PLATZ DER KINDERRECHTE und Leser, Erfolgsgeschichte je nach Bundesland und Kommune finden Ein „Platz der Kinderrechte“ macht in einer Stadt oder Kinder, Jugendliche und ihre Familien in ihrem Gemeinde die Rechte von Kindern direkt in den Lebens- Lebensumfeld eine unterschiedliche Infra- welten der Kinder sichtbar. So setzt der Kinderschutz- struktur von. Weil arme Kommunen wenig bund ein Zeichen, die Kinderrechte überall ernstzu- Geld haben, verfestigen sich sozioökonomische nehmen und umzusetzen. Kürzlich konnte der DKSB Ungleichheiten. Gerade dort, wo Angebote für sechs neue „Plätze der Kinderrechte“ benennen. Kinder und Jugendliche am dringendsten ge- Damit sind es bundesweit jetzt insgesamt schon 21! braucht werden, sind sie häufig am wenigsten Der derzeit „jüngste“ Platz wurde am 14. Oktober 2021 in ausgebaut. Das betrifft auch die Infrastruktur der Stadt Buchholz i.d. Nordheide eröffnet. Auch der kom- im ländlichen Raum. Die „Herstellung gleich- munale Jugendrat hatte dieses Projekt des KV Landkreis wertiger Lebensverhältnisse“ ist aber nach Artikel 72 Absatz 2 Harburg sehr befürwortet. des Grundgesetzes Aufgabe des Bundes. Deshalb fordern wir „Für uns ging ein kleiner Traum in Erfüllung“, sagte Bettina von der neuen Bundesregierung ein Investitionspaket „Kinder- Flohr, Geschäftsführerin des OV Gütersloh, am 25. Septem- Infrastruktur“. ber. Während der Einweihung in Gütersloh auf dem Vorplatz Noch auf den letzten Metern haben die scheidende Regierung und der Stadtbibliothek enthüllten Kinder eine kunstvolle Ste- der Bundesrat dem sogenannten Ganztagsförderungsgesetz zu- le sowie Klapptafeln zu den Kinderrechten. gestimmt. Damit besitzen ab Sommer 2026 eingeschulte Grund- Auch der OV Hameln feierte Einweihung: Seit dem Welt- schüler*innen ein Recht auf Ganztagsbetreuung. Das war überfällig. kindertag am 20. September setzt nun ein Platz der Kinder- Konkret bedeutet es jedoch: Wir werden viele neue Ganztagesplätze rechte im Hamelner Bürgergarten ein Zeichen. Am 19. Sep- in unseren Grundschulen brauchen. Einige Bundesländer haben tember freute sich der OV Ludwigsburg, dass in seiner hier sogar massiven Aufholbedarf. Stadt auf dem Vorplatz des Forums am Schlosspark jetzt ebenfalls ein „Platz der Kinderrechte“ mit Leben gefüllt Eine gute Ganztagsbetreuung hilft nicht nur Eltern bei der wird. Am selben Tag eröffnete ebenso der OV Wedel am Vereinbarkeit von Familie und Beruf – sie soll vor allem Kinder Hafen „seinen“ Platz der Kinderrechte. Dabei enthüllten in ihrer Entwicklung unterstützen. Sie erhalten neue Anregungen Mitglieder aus dem Wedeler Kinderparlament ein buntes und Förderungen, die sie zu Hause nicht immer bekommen Schild mit den Kinderrechten (Foto unten). Zwei Jahre können. Mit den richtigen Angeboten kann der Bildungserfolg zuvor war in Wedel bereits der „Mobile Platz der Kinder- unabhängiger von der sozialen Herkunft werden. Bessere Bil- rechte“ des LV Schleswig-Holstein zu Gast gewesen. dungs- und Teilhabechancen sorgen für mehr Chancengleichheit. Der OV Minden-Bad Oeynhausen feierte am 6. September Entscheidend ist jedoch, dass die Ganztagesbetreuung qualitativ den neuen „Platz der Kinderrechte“ entlang der Mindener hochwertig ist! Dazu brauchen wir aber gut ausgebildetes Personal. Weserpromenade. Hier informieren nun zahlreiche Schilder Wir reden hier von Fachkräften für schätzungsweise 600.000 bis über die Rechte der Kinder. 800.000 neu zu schaffende Ganztagsplätze. Deshalb fordern wir Bund, Länder und Kommunen auf, sich rechtzeitig um die Bei allen genannten Feierlichkeiten waren prominente Aus- und Weiterbildung zu kümmern. An qualifiziertem Vertreter*innen der lokalen Politik sowie vom DKSB aus Fachpersonal darf nicht gespart werden! den jeweiligen Landesverbänden und dem Bundesver- band vor Ort. mh Ein weiteres Problem: Der Gesetzentwurf setzt leider keinerlei qualitative Rahmungen. Weil diese Ausgestaltung nun bei den Ländern liegt, könnte die Qualität im Ergebnis stark variieren. Kinder brauchen jedoch überall verlässlich hohe Qualität. Daher fordern wir, dass das gewährleistet wird. Der Anspruch auf Ganztagesbetreuung muss Kindern und ihren Bedürfnissen gerecht werden und darf nicht bloß ein Anspruch auf „Verwah- rung“ sein, der sich hauptsächlich an den Bedürfnissen der Arbeitgeber*innen der Eltern orientiert. Wir fordern von unserer neuen Bundesregierung sowie von den Ländern und Kommunen, die Belange der Kinder ins Zentrum ihres Handelns zu stellen! Ihr Heinz Hilgers Präsident 4 KSA 4.2021
Wie ging es den Kindern Flutkatastrophe und dem DKSB vor Ort? Die Bilder vom Hochwasser im rheinland- pfälzischen Ahrtal und in Regionen Nord- rhein-Westfalens ließen viele von uns Fotos (2): J. Türk fassungslos zurück. Einige Kinder in den betroffenen Gebieten haben Angehörige verloren, viele erlebten die Panik der Schreckensnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 am eigenen Leib und spürten Tag für Tag die Verzweiflung der Eltern. Am 20. August 2021 spricht DKSB-Vizepräsi- dentin Ekin Deligöz im „Salon der Kinder- rechte“ über die Folgen der Flut für die Kin- der und den Kinderschutzbund vor Ort. Ihre Gäste: Ulrike Ring-Scheel, Vorsitzende des Kreisverbandes Ahrweiler (Rheinland-Pfalz), Petra Schnelle, pädagogische Fachkraft des Ortsverbandes Rösrath (NRW) sowie Joachim Türk, Mitglied im Bundesvorstand und stell- Flutwasserschäden in Ahrweiler vertretender Vorsitzender des Landesver- bandes Rheinland-Pfalz. Was benötigten die Menschen vor Ort ne- gute Erfahrungen mit einem Intranet Fünf Wochen nach der Katastrophe, nach ben Sach- und Geldspenden besonders? gemacht, auf das alle im Verein zugreifen Schlamm schippen und Internetausfall, hat Nach Erfahrung von Joachim Türk vor allem, konnten. Und auch Facebook empfand der KV Ahrweiler seine Angebote zum Teil dass Nicht-Betroffene ihnen zuhörten und Ulrike Ring-Scheel als hilfreich. Schließlich wieder aufnehmen können. „Wir hatten dabei halfen, einen Überblick zu gewinnen müssen Vorstand und Mitarbeitende im großes Glück, dass unsere Geschäftsstelle und zielgerechte Hilfen zu organisieren: „Die Katastrophenfall schnell zusammenkommen nicht unmittelbar vom Hochwasser betrof- Menschen sind so von diesen schrecklichen und klären können, wer arbeitsfähig ist und fen ist“, erzählt Ulrike Ring-Scheel. Dieses Geschehnissen eingenommen. Da tut es wer Unterstützung braucht. Glück hatten viele Kinder und ihre Familien, gut, wenn jemand von außen kommt und Der DKSB Bundesverband richtete gleich die der Kreisverband betreut, nicht: „Eines hilft.“ Aus seiner Sicht wird auch die trauma- nach der Katastrophe ein Spendenkonto der größten Probleme für Kinder ist der Ver- pädagogische Arbeit eine große Rolle spie- ein. Über 100.000 Euro sind dort bislang lust von gewohnten Strukturen, Heimat- und len, möglicherweise über Jahre: „Dafür eingegangen (Stand Oktober). So konnten Sicherheitsgefühl. Darauf reagieren sie ganz müssen Lehrkräfte und Erzieher*innen die betroffenen Orts- und Kreisverbände in unterschiedlich – die einen werden wütend, entsprechend geschult werden.“ Nordrhein-Westfalen sofort mit 75.000 Euro andere traurig, manche machen auch Ent- Was kann der Kinderschutzbund aus den und in Rheinland-Pfalz mit 25.000 Euro wicklungsrückschritte. Deshalb ist es am Erfahrungen der betroffenen Gliederungen unterstützt werden. Mit gleichem Ziel hat wichtigsten, die Eltern rasch zu stabilisieren lernen? „Notfallpädagogik im Angebot zu der Landesverband Rheinland-Pfalz selbst und für Kinder und Eltern zusammen Ange- haben ist ein guter erster Schritt“, sagt Ulrike bisher über 50.000 Euro an Fremdspenden bote zu machen.“ Ring-Scheel. Für wichtig erachtet sie auch, für die Arbeit seiner vom Hochwasser be- In der Kleinstadt Rösrath erfasste die Flut sich die Kommunikationsstruktur im Orts- troffenen Gliederungen gesammelt und auch die Geschäftsstelle des Ortsverbandes. verband anzuschauen: Wie kann möglichst noch 10.000 Euro draufgelegt. Seine Mitarbeitenden verloren ihr Büro, die effektiv so kommuniziert werden, dass sich Alina Jensen, Fachreferentin für Technik funktionierte nicht mehr, Akten ver- alle im Verein Tätigen auf dem Laufenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit schwanden. Die Fortführung von Projekten halten können? Der KV Ahrweiler hat hier im DKSB Bundesverband war ungewiss, sagt Petra Schnelle: „In einem unserer Projekte erlernen Förderschüler*- innen zum Beispiel das Gärtnern. Aber die beiden hierfür genutzten Schrebergärten Der „Salon der Kinderrechte“… wurden vom Hochwasser überflutet, in … ist ein Online-Format des DKSB Bundesverbandes, initiiert und moderiert von Vize- dem sich nicht nur Heizöl, sondern auch präsidentin Ekin Deligöz. Dabei spricht sie mit ihren Gästen über aktuelle kinderpolitische Schwermetalle befanden. Daher wissen wir Themen. Seit September 2021 wird der Salon von Bundesvorstandsmitglied Joachim Türk nicht, ob wir die Gärten jemals überhaupt moderiert. Für Interessierte: Melden Sie sich zum jeweiligen Termin an und diskutieren Sie noch für den Gemüseanbau und die via Zoom mit! Die Aufzeichnungen sind anschließend auf dem Youtube-Kanal des DKSB Schüler*innen nutzen können.“ Bundesverbandes zu sehen sowie auf Spotify und iTunes zu hören. 5
TITEL- THEMA iStockphoto/Jatuporn Tansirimas Entwicklung von Sechs- bis Zehnjährigen Vor allem und offenbar nicht benötigte Synapsen „ver- zichten“, während andere Verbindungen blei- ben und intensiver genutzt werden. Auf die so entstehende Struktur des Gehirns hat vor allem das Einfluss, was das Kind bis zu diesem beziehungsweise Alter erfahren, erlebt und gelernt hat.1 Die Grundschulzeit ist rundum eine Zeit des Wachstums: Die Konzentrationsfähigkeit steigt, das Zeitgefühl entwickelt sich, die Fä- higkeit zur Selbstkontrolle und zum Aufschie- Nach der Einschulung durchlaufen Kinder in den folgenden ben von Bedürfnissen nimmt zu. Vor allem weil sich auch das Denken verändert, richtet vier Grundschuljahren eine große Entwicklung – manches sich das Interesse zunehmend auf die Zusam- Kind langsamer, manches schneller, ein jedes in seinem menhänge des Lebens. eigenen Tempo. Aber allen Kindern ist gemeinsam, Wer kennt nicht die Fragen von Siebenjähri- gen: „Warum können Delfine so lange tau- dass sie sich zwischen ihrem sechsten und zehnten chen? „ – „Wie schläft eine Kuh?“ Grundschul- Lebensjahr körperlich, sozial und emotional stark kinder finden die Welt immer spannend und weiterentwickeln. Vor allem in Beziehung zu anderen. brauchen Erwachsene, die ihnen die Zusam- menhänge erklären. Dabei lassen die Kinder „Hallo Frau Müller – ich gehe schon in die Aus seiner frühen Kindheit bringt Ben wie an- die Erwachsenen auch an ihren Überlegun- Schule!“, ruft mir unser Nachbarskind Ben dere Gleichaltrige ein leistungsstarkes Gehirn gen teilhaben. Oft bohren sie solange nach, fröhlich zu. Er kommt mir mit seinem Schul- mit in die Grundschule, das ihm enorme An- bis alle Widersprüche zumindest aus ihrer ranzen entgegen und zeigt mir stolz einen passungs- und Lernfähigkeit erlaubt. Grund Sicht geklärt sind. Diese Zeit der Gespräche Bagger, den er gerade im Unterricht gezeich- dafür sind die vielen Verbindungen (Synap- und Diskussionen mit verlässlichen Ansprech- net hatte. „Wow, du kannst aber toll malen! sen) der Nervenzellen untereinander sowie partner*innen ist für die kindliche Entwick- Bist eben schon ein großer Junge“, gebe ich zu Muskel- und Sinneszellen. Diese in den ers- lung äußerst wertvoll. bewundernd zurück. Ben strahlt und zeigt mir ten drei Lebensjahren gewachsene „Vernet- Grundschulkinder wollen aber nicht nur die wunderschöne Zahnlücken. Klarer Fall – seine zung“ im Gehirn weist doppelt so viele Sy- Welt erklärt bekommen, sondern sie wollen Milchzähne machen jetzt den bleibenden napsen auf als bei Erwachsenen. Das bleibt sie vor allem selbstständig und mit allen Sin- Zähnen Platz. Und auch sein Körper streckt etwa bis zum 10. Lebensjahr so. Erst danach nen entdecken und gestalten. Also erstmal sich sichtbar. Grundschüler*innen wachsen baut sich etwa die Hälfte der Verbindungs- ganz analog ein Lager im Wald bauen, Lego jedes Jahr etwa acht Zentimeter. stellen schrittweise wieder ab. In diesem Pro- 1 www.neurologen-und-psychiater-im- zess wird Bens Gehirn auf selten benutzte netz.org/gehirn-nervensystem/entwicklung/ 6 KSA 4.2021
iStockphoto/gradyreese auch ihre Eltern. Das Gespräch und die Ausein- Chance für die Kinder, viel über den demo- andersetzung mit einem Kind in diesem Alter kratischen Umgang miteinander zu lernen, fordern Eltern immer wieder auf, eine eigene wenn man die Grundschule als Begegnungs- Position zu beziehen und zu begründen. „Wa- und Lernort für alle Kinder unabhängig von rum darf ich nicht mit ins Kino?“ Und da das ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Ge- Kind immer selbständiger wird und vielfälti- schlecht und ihren Erfahrungen versteht. ge Erfahrungen mit anderen Menschen in der Gleichzeitig ist das eine große Herausforde- Schule, im Verein und mit Gleichaltrigen rung für die Lehrkräfte, einer so heterogen macht, sind die Eltern auch nicht mehr der zusammengesetzten Gruppe ein passendes absolute Maßstab aller Dinge. Vielmehr wer- Lernangebot zu machen, aber zugleich auch ‚‚ den jetzt Gleichaltrige immer wichtiger und jedes einzelne Kind zu sehen und individuell auch der Vergleich mit anderen Kindern: „Ich zu fördern. Auf eines jedoch sind alle Kinder möchte auch ein Mountainbike haben wie in der Grundschule angewiesen, um gut ler- Joram!“- „Caro darf aber viel länger aufblei- nen zu können: auf gelingende Beziehung ben als ich!“ Immer häufiger sind die Erwach- und wertschätzende Begegnung zwischen senen jetzt auch nicht mehr dabei, wenn die Lehrkräften, Kindern und Eltern sowie zwi- Kinder miteinander spielen, sich mit ihren Fä- schen den Kindern untereinander. Kinder bringen ihre eigene higkeiten erproben und ihre eigene Privat- Lehrkräfte, die echtes Interesse daran haben, sphäre haben, sowohl in der analogen als die Kinder in allem, was sie ausmacht, gut Persönlichkeit zur Ein- auch in der digitalen Welt. Zunehmend wer- kennenzulernen und ihnen ein Beziehungs- schulung mit, und diese Vielfalt den die Kinder unabhängiger von den Eltern angebot zu machen, ermöglichen Kindern le- bereichert vom ersten Tag an – im Tun und im Denken. benslange Freude am Lernen. So manche Er- den Unterricht in der Klasse. Trotz dieser Gemeinsamkeit bei den Entwick- wachsene sagen noch viele Jahre später rück- lungsaufgaben ist jedes Kind im Grundschul- blickend über ihre Schulzeit: „Ich hatte in der spielen, Wasserbahnen auf dem Spielplatz alter anders. Jedes besitzt individuelle Fähig- Grundschule eine wirklich tolle Deutschleh- graben, die Puppenküche so einrichten, dass keiten und Erfahrungen und seine eigene Ge- rerin.“ Niemand würde dagegen sagen: „Ich sie funktioniert. Weil Kinder all das und vieles fühlswelt. Auch jede einzelne Familie hat ihre fand die Regeln der Groß- und Kleinschrei- andere mehr ausprobieren möchten, brau- eigenen Regeln und Besonderheiten, die das bung so spannend.“ chen sie Gleichaltrige, die ihre Interessen Kind mitprägen. Von seinem Leben während Wenn Grundschule ein Ort für Kinder ist, an und ihre Begeisterung teilen. Dabei machen der Schwangerschaft in Mamas Bauch bis hi- dem sie auch sich selbst und andere ken- sie grundlegende Erfahrungen von Freund- nein ins Grundschulalter hat das Kind schon nenlernen, an dem sie erkennen, dass es Un- schaft, Teamwork und Streit. Sie erfahren, viele Erfahrungen mit sich, seiner Familie und terschiede zwischen der eigenen Gedan- wie man mit anderen Probleme löst und der Umwelt gemacht und vielfältige Entwick- ken- und Gefühlswelt und der anderer Men- Konflikte austrägt. Es ist eine Zeit, in der Kin- lungsaufgaben bewältigt. schen gibt, und von dem aus Kinder anschlie- der experimentieren, neue Fähigkeiten ent- Kurzum: Kinder bringen ihre eigene Persön- ßend wissbegierig und verantwortungsvoll falten und neuen Interessen mit Leiden- lichkeit zur Einschulung mit, und diese Vielfalt in die weitere Welt hinausgehen – dann eröff- schaft nachgehen. bereichert vom ersten Tag an den Unterricht net die Grundschule Kindern eine Perspekti- Auch das Verantwortungsgefühl wächst im in der Klasse. Wer schon einmal bei einer Ein- ve für das ganze Leben. Grundschulalter. „Ich passe kurz auf`s Baby schulung dabei war, erinnert sich an diese Bettina Müller, Dipl.-Psychologin, auf, du kannst ruhig zum Briefkasten gehen.“ wunderbare Mischung aus Erstklässler*innen: u.a. Entwicklungspsychologische Für ein Kindergartenkind wäre das eine Über- große und kleine, schüchterne und kecke, ki- Beraterin (EPB), Leiterin des Kinder- forderung – aber jetzt ist es eine spannende chernde und ernste. Vielfalt hat unendlich vie- schutzzentrums im OV Ulm/Neu-Ulm Aufgabe. le Worte. Für sie alle soll die Grundschule ein Damit verbunden ist auch die Gefühlsent- Lern- und Lebensort sein – ein Ort, der allen wicklung: Grundschulkinder können sich zu- Kindern gleichermaßen das Tor zur schuli- nehmend besser in andere Menschen hinein- schen Bildung öffnet. Dabei treffen in den versetzen und verstehen, dass jeder Mensch Klassen Kinder, die Deutsch als Zweitsprache ganz eigene Gefühle, Gedanken, Wünsche gelernt haben, auf Kinder, deren Mutterspra- und Motive hat. Die Unordnung, die Mama che Deutsch ist. Da sitzen geflüchtete Kinder, gelassen hinnimmt, regt Papa furchtbar auf die traumatische Erfahrungen auf dem Mit- (oder umgekehrt) – die Fähigkeit zum Per- telmeer gemacht haben, neben Kindern, die spektivwechsel von sich auf das Gegenüber immer in der Sicherheit ihres idyllischen Dor- ist vielleicht eine der größten Veränderun- fes gelebt haben. Da gibt es Kinder aus wohl- gen, um andere und die Welt zu verstehen. habenden und armen Familien, Kinder mit ei- Mit zunehmender Eigenständigkeit des Kin- nem, zwei oder mehr Elternteilen, Kinder mit des geht es in den Familien oft um Regeln und und ohne Handicap. Grenzen. Anders als im Kindergartenalter hin- Grundschule mit ihrem Angebot der gemein- terfragen Grundschulkinder kritisch die ih- samen Schulbetreuung ist somit eine große nen gesetzten Grenzen – und letztlich damit Chance für unsere Gesellschaft! Und eine iStockphoto/creepers888 7
Die Grundschule Eine Schule für Die gemeinsame öffentliche Grundschule mit Schulpflicht für alle Kinder gibt es in Deutschland seit gut 100 Jahren. Heute ist ihr Auftrag mit Anforderungen konfrontiert, die kaum mehr zu erfüllen sind. Jedenfalls nicht unter den gegebenen Bedingungen. Foto: MDobkowitz/CC-BY-SA-4.0 iStockphoto/Wavebreakmedia Es bleibt nach wie vor bei dem fundamenta- len Widerspruch, dass die Grundschule jedes Kind individuell fördern soll, beim Übergang in die Sekundarstufe jedoch an alle die glei- chen Maßstäbe anlegen muss, um sie für un- Historischer Klassenraum im Dorf- und Schulmuseum Schönwalde terschiedliche Bildungsgänge auszuweisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte me waren durch die institutionelle Ausgren- sich das Bildungssystem in den beiden Teilen zung von Kindern mit Handicap jedoch keine FACHBEZOGENES LERNEN Deutschlands in unterschiedlichen Struktu- Schulen für alle Kinder. Als Fächerkanon benennt die KMK: Deutsch, ren: Westdeutschland führte im Anschluss an Mit der Wiedervereinigung wurde das Schul- Mathematik, Sachunterricht, Fremdsprache, die Grundschule das dreigliedrige Schulsys- system der ostdeutschen Bundesländer nach Kunst, Werken/Textiles Gestalten, Musik, tem wieder ein. 1964 wurde hier die Grund- westdeutschem Vorbild umgestaltet. Sport und Religion/Ethik. Dabei wertet sie schule – bis dahin Teil der achtjährigen Volks- Deutsch für fachübergreifendes und fächer- schule – eine eigenständige Schulstufe. AUFTRAG DER GRUNDSCHULE verbindendes Arbeiten als handlungsleitend Ostdeutschland legte vom Kindergarten bis Die Kultusministerkonferenz (KMK) sowie Deutsch, Mathematik und Sachunter- zur Hochschule ein Einheitsschulsystem fest, benennt 2015 in den Empfehlungen zur richt als fachlichen Kernbereich der Grund- das in den 1960er Jahren in die zehnklassige Arbeit in der Grundschule folgende schule. Polytechnische Oberschule (POS) mit Unter- Aufträge: Deutsch umfasst Sprechen, Zuhören, Schrei- stufe, Mittelstufe und Oberstufe als Regel- Anschluss an Entwicklung und Lernen ben und Lesen als Basis für Kommunikation pflichtschule überführt wurde. im Elternhaus und in Kindertagesein- und Wissenserwerb. Mit vier Jahren Dauer sowie im Fächerspek- richtungen herstellen, Dem Mathematikunterricht liegen zugrun- trum (ausgenommen Religion) waren beide grundlegende Kompetenzen für das de: Zahlen und Operationen, Raum und Form, Primarstufen vergleichbar. Die ostdeutsche Lernen in den weiterführenden Schulen Muster und Strukturen, Größen und Messen, Unterstufe unterschied sich jedoch durch ihr vermitteln, Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit, sozialistisch geprägtes Erziehungsideal von Lern- und Entdeckerfreude sowie Lern- mit dem Ziel, mathematische Sach- und Me- der westdeutschen Grundschule, welche motivation bei allen Kindern unter Beach- thodenkompetenz zu entwickeln. noch 1959 als Schonraum für eine „ruhig rei- tung ihrer Unterschiedlichkeit fördern. Sachunterricht ist allgemeinbildendes Fach fende“ Kindheit galt. Erst mit der Eigenstän- und Zentrum vieler fachübergreifender In- digkeit der Grundschule begann eine päda- Dabei soll die Grundschule Folgendes sein: halte der Grundschule. Sprachliche und ma- gogische Reformphase. Diese konnte sich Lern- und Lebensort für alle Kinder, thematische Kenntnisse kommen hier zur auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur indi- Ort grundlegender Bildung, Anwendung. viduellen Entwicklung von Kindern und de- Ort qualitätsvoller Bildungsarbeit Der Fremdsprachenunterricht soll Grund- ren besondere Lern- und Bildungsfähigkeit und Teil eines durchgängigen lagen bilden für den Erwerb von Mehrspra- in frühen Lebensjahren stützen. Beide Syste- Bildungssystems. chigkeit und europäischem Bewusstsein. 8 KSA 4.2021
(fast) alle Kinder Der Kunstunterricht fördert Wahrnehmungs- HERAUSFORDERUNGEN iStockphoto/Highwaystarz-Photography fähigkeit, Kreativität und Gestaltungswillen. JENSEITS DER FÄCHER Werken und Textiles Gestalten ermöglichen Die Grundschule hat einen zweigeteilten Auf- Erfahrungen mit unterschiedlichen Materia- trag: Sie soll Kinder bilden (Vermittlung der lien und Werkstoffen der Alltagswelt. Kulturtechniken) und erziehen (Persönlich- Der Musikunterricht lässt Kinder vielfältige keitsbildung). Letzteres ist der zunehmend Formen des Musizierens, Bewegens und Tan- anspruchsvollere Teil. Kinder sollen soziale zens erleben und die eigenen Ausdrucks- Kompetenzen für ein solidarisches Zusam- möglichkeiten erweitern. menleben erwerben, Team- und Demokratie- Im Sport stehen vielfältige Bewegungs-, Spiel- fähigkeit ausbilden, mit der Natur nachhaltig und Sportangebote für individuelle Talentför- umgehen lernen und ein gesundheitsbe- derung und den Ausgleich von Bewegungs- wusstes Leben führen können. Die Grund- mangel im Mittelpunkt. schule soll sie stark machen für eine Zukunft, Religion und Ethikunterricht folgen dem An- die wir heute nicht einschätzen können, die spruch, die Bildung von Wertebewusstsein aber lebenslanges Lernen, Umlernen, Kreati- und Werteorientierung und ein gelingendes vität und Flexibilität erfordern wird. wir die Ganztagsbetreuung. Dafür haben Leben in der Gemeinschaft zu fördern. Folgerichtig muss gerade die Grundschule ge- Schulen organisatorische und pädagogische samtgesellschaftliche Entwicklungen ebenso Konzepte entwickelt, unzureichende Finan- Nach meinem Eindruck gibt es jedoch ein wie Veränderungen in der Lebenswelt von zierung und mangelnde personelle Ausstat- Grundproblem: Die Fächer Deutsch und Ma- Kindern und Familien in der pädagogischen tung be(ver)hindern jedoch deren Umset- thematik scheinen alle anderen Lernberei- Arbeit aufgreifen. Dazu gehören auch die gro- zung. Mit Blick auf Bildungsgerechtigkeit ist che zunehmend in den Hintergrund zu drän- ßen Themen Globalisierung, Klima und Digita- das skandalös! gen. Befeuert durch zahlreiche Bildungsstu- lisierung. Zugleich haben alle Kinder das Weitere Baustellen sind offensichtlich: Wie dien, werden die deutsche Rechtschreibung Recht, mit ihren individuellen Voraussetzun- können angesichts des Sanierungs- und Aus- und mathematische Kenntnisse offenbar für gen wahrgenommen zu werden – ein Spagat. baustaus, fehlender Schulgebäude und -räu- wichtiger erachtet als die vielfältigen und an- me sowie des besonders hohen Lehrkräfte- spruchsvollen weiteren Lernfelder. Das halte Verknüpfen wir den vielfältigen Auftrag der mangels in der Grundschule pädagogische ich jedoch für eine Unterschätzung des Sach- Grundschule mit dem Anspruch, eine Schule Reformen und anspruchsvolle Schulentwick- unterrichts, der musisch-ästhetischen Bil- für alle Kinder zu sein, verwundert die hohe lung auf der Agenda gehalten werden? Ge- dung, auch des Schulsports in ihrer Bedeu- Belastung der Lehrkräfte in der Primarstufe nau darin sind auch die Fragen und Erforder- tung für eine umfassende Bildung der Kin- nicht. Zwar scheinen z. B. Individualisierung nisse zum Umgang mit digitalen Medien in der. Leider zeigt die Praxis, dass ausreichen- und Umgang mit Heterogenität längst selbst- der Grundschule zu verorten. de Erfahrungen in diesen Bereichen vielen verständlich zu sein, jedoch fehlen die Res- Maresi Lassek, Grundschulleiterin und insbesondere den ohnehin durch ihre sourcen für eine konsequente Umsetzung i.R., von 2010 bis 2020 Bundesvor- Lebensverhältnisse benachteiligten Kindern von inklusiven Bedingungen. Oder nehmen sitzende des Grundschulverbands fehlen (Weltwissen). Der digitale Hype verstärkt das Problem. Au- thentische sinnliche Erfahrungen und Erleb- iStockphoto/LSOphoto nisse lassen sich nicht digitalisieren. Die Ent- wicklung zu sozial verantwortungsvollen und gesunden Menschen braucht auch und vor al- lem Bewegung, Naturbegegnung und sozia- les Miteinander. Die Schule mit ihren Lernan- geboten bietet den Raum dafür. Nur ein all- seitig ausgerichtetes Bildungsangebot er- möglicht, dass Kinder ihre vielfältigen Poten- ziale entwickeln können, auch bei der Nut- zung digitaler Medien. Daher muss sich die Bedeutung aller Lernbereiche nicht nur im Stundenplan, sondern auch in der Qualifika- tion der pädagogischen Fachkräfte sowie in ihrer ausreichenden Anzahl abbilden. 9
iStockphoto/shironosov Digitale Bildung in der Grundschule Nicht ob, sondern wie Mit der Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung haben, können andere wichtige Erfahrungs- werte für Kinder zu kurz kommen. in der digitalen Welt“ wird auch für die Grundschulen Deshalb betone ich bei jeder Gelegenheit: Deutschlands gefordert, das Thema Digitalisierung stärker Natürlich ist es für das Aufwachsen von Kin- in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. dern zentral, dass sie ausreichend Naturer- fahrungen machen können, vielfältige direk- Bereits im Grundschulalter sollen bei allen Kindern zentrale te Kontakte mit anderen Menschen erleben Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien gefördert und alle Sinne der Kinder angesprochen wer- und zunehmend auch digitale Medien für das Lernen in den. Daher ist selbstverständlich dafür zu sor- gen, dass die kindlichen Entwicklungsprozes- der Grundschule genutzt werden. se nicht gefährdet werden – auch nicht durch Was bewegt Eltern und Lehrkräfte in diesem Die Bedenken von Eltern, aber auch von man- Zusammenhang? KSA hat diese Frage Prof. chen Kinderärzt*innen, Erzieher*innen und Dr. Thomas Irion vorgelegt. Er leitet die Ab- Lehrkräften hinsichtlich der übermäßigen teilung Grundschulpädagogik an der Päda- Nutzung digitaler Medien im Grundschulal- gogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd ter kann ich sehr gut nachvollziehen. Digitale und ist dort Direktor des Zentrums für Me- Medien faszinieren viele Kinder sehr, das be- dienbildung. Zudem ist er Vorstandsmitglied stätigen auch aktuelle Studien wie die KIM- des Grundschulverbandes und dort zustän- Studie: Das Smartphone, der Computer und dig für das Ressort „Digitale Grundbildung“. digitale Spiele gehören schon im Grund- Im Folgenden beantwortet Thomas Irion Fra- schulalter zu den häufigsten Themeninteres- gen, die ihm bei Vorträgen und Podiumsdis- sen. Statistisch stehen sie in der Summe so- kussionen immer wieder gestellt werden. gar deutlich vor den Interessen für Spielsa- chen, Sport, Musik, Tiere, Natur oder Filme. M Bereits Kinder im Grundschulalter ver- Gerade Eltern und Lehrkräfte, die selbst eine bringen in ihrer Freizeit doch schon viel Kindheit weitgehend ohne digitale Medien Zeit mit digitalen Spielen, Videos und teil- erlebt haben, machen sich Sorgen, welche weise sogar Social Media. Muss hier nicht negativen Folgen digitale Medien für Kinder die Grundschule einen Gegenpol zu dieser haben können. Und diese Faszination kann Entwicklung bilden und dafür sorgen, für manche Kinder tatsächlich auch zu groß dass die Kinder wenigstens in der Schule werden. Und auch weil manche Eltern digita- auf digitale Medien verzichten? le Medien als bequeme Babysitter entdeckt iStockphoto/solevnikola 10 KSA 4.2021
falschen und übermäßigen Medienkonsum. M Ein Ende des digitalen Wandels unserer Eine Kernaufgabe der Grundschulbildung ist Es ist also richtig, auch auf diese Gefahr auf- Gesellschaft ist also nicht abzusehen. Müs- es, Kinder bei der Orientierung in der komple- merksam zu machen. sen Grundschulen auf diese Entwicklung xen Welt zu begleiten, in zentrale Kulturtech- Ebenso wichtig ist aber auch der Hinweis, dass reagieren? niken einzuführen und sie ebenso auch bei es nicht sinnvoll und auch gar nicht möglich Natürlich müssen Grundschulen darauf rea- der Entfaltung ästhetischer, forschender, mo- ist, Kinder im Grundschulalter von der Digita- gieren! Schließlich wachsen unsere Kinder in torischer, lebenspraktischer und demokrati- lisierung total abzukapseln. Dafür hat sich un- dieser Welt auf, in der die Digitalisierung un- scher Kompetenzen zu unterstützen. Diese sere Welt in den letzten Jahren durch die Di- ter anderem zu einer massiven Veränderung Kernaufgaben bleiben natürlich auch im Zu- gitalisierung viel zu stark verändert und ver- im Bereich der Erkenntnisgewinnung, der In- ge der Digitalisierung bestehen, weshalb ei- ‚‚ ändert sich auch immer noch sehr dynamisch formationszugänge und der Kommunikati- ne zeitgemäße Grundschule unbedingt auch weiter. on geführt hat. Daher sollten wir darauf ach- Gegenpole zur Nutzung von digitalen Tech- Aktuell stehen wir also nicht mehr vor der Fra- ten, dass die Folgen für Kinder nicht einseitig nologien bieten muss. So brauchen viele Kin- ge, ob wir Kinder den digitalen Medien aus- betrachtet, sondern die Risiken und Chancen der in der Schule unbedingt mehr Naturer- setzen sollen oder nicht – sondern wir stehen des digitalen Wandels für ihr Aufwachsen glei- fahrungen und sinnliche Erlebnisse abseits vor der Tatsache, dass unsere Gesellschaft chermaßen gesehen werden. Stefan Aufenan- von Wischbewegungen und Tastenklicks auf von digitalen Medien bereits durchdrungen ger hat 2019 in einem Überblick über inter- digitalen Endgeräten. ist. Während noch Ende des letzten Jahrhun- nationale Studien z.B. gezeigt, dass digitale derts häufig zwischen der digitalen und ana- Medien den Kindern neben Risiken auch viel- Es ist selbstverständlich dafür logen Welt unterschieden werden konnte, fältige Anregungen für die kognitive Ent- zu sorgen, dass die kindlichen sind in den letzten Jahrzehnten nahezu alle wicklung sowie Impulse für ihre Persönlich- Entwicklungsprozesse nicht gefährdet unsere Lebensbereiche durch die Digitali- keitsfindung bieten. werden – auch nicht durch falschen sierung verändert worden. Kulturwissen- Die Gefahr, sich in digitalen Medien zu verlie- und übermäßigen Medienkonsum. schaftler*innen wie Felix Stalder (2016) se- ren, ist allerdings dann besonders groß, wenn hen die Digitalisierung nicht nur als Rander- Kinder ungeeigneten digitalen Angeboten Anderseits muss aber auch dafür gesorgt wer- scheinung unserer gesellschaftlichen Ent- überlassen werden. Diese Entwicklung hat den, dass grundlegende Kompetenzen für wicklung, sondern als zentrales Element ei- man in der Grundschulbildung zu lange igno- das Leben in der digitalen Welt auch von allen nes digitalen Wandels. Er prägt unser Zusam- riert, Kinder und Eltern wurden damit vielfach Kindern gelernt werden. Während manche menleben und unsere Kommunikation und alleingelassen. Angesichts der Bedeutung di- überbehütenden Eltern möglicherweise eige- hält ständig neue Chancen und Herausforde- gitaler Medien für das Aufwachsen der Kinder ne Ängste vor der digitalen Welt auf Kinder rungen für unsere Gesellschaft bereit. Diese sollten wir deshalb aktuell weniger darüber übertragen, lassen andere Eltern den Kindern Dynamik nimmt immer mehr Fahrt auf. Gera- diskutieren, ob wir das Thema Digitalisierung weitgehend freie Hand und sorgen auf diese de in der Pandemie haben wir erfahren, wel- in der Grundschule aufgreifen, sondern viel- Weise auch nicht immer für den Aufbau von che positiven Effekte sich etwa im Bereich der mehr wie wir Kinder sinnvoll in einer digital wichtigen Grundkompetenzen. medizinischen Forschung oder der Absiche- geprägten Welt begleiten können. Eine zeitgemäße Grundschule ergänzt Buch- rung von Kommunikation in kürzester Zeit und Arbeitsblattunterricht nicht einfach entwickelt haben – aber auch welche Gefah- M Wie kann ein zeitgemäßer Grundschul- durch Übungsprogramme auf Tablets, son- ren, etwa durch Fake News und Verschwö- unterricht im Hinblick auf die Medienent- dern ermöglicht Kindern vielfältige Erfah- rungstheorien, dabei entstehen können. wicklungen aussehen? rungsräume mit und ohne Medienbeglei- iStockphoto/monkeybusinessimages tung. Kinder sollten dabei nicht nur üben, Ge- räte zu bedienen, sondern eben auch lernen, wie sie selbst digitale Medien zur Information und Kommunikation, aber auch in Situatio- nen des forschenden Lernens und kreativen Gestaltens nutzen können. Die Grundschulbildung steht hier vor der Auf- gabe, Kinder bei der Entwicklung der für diese Lern- und Arbeitsprozesse erforderlichen Kom- petenzen zu begleiten. So können Kinder z.B. eigenständig multimediale Bücher erstellen, um Erfahrungen wie etwa einen Lerngang zur Feuerwehr oder in den Wald zu dokumentie- ren und gemeinsam mit anderen Kindern und der Lehrkraft oder den Eltern darüber zu spre- chen. Auf diese Weise werden Kindern Natur- erfahrungen und soziale Erfahrungen zuteil – zugleich erhalten sie aber auch verschiedene Möglichkeiten, diese Erfahrungen durch digi- tale Technologien festzuhalten, zu reflektieren und anderen mitzuteilen. Ein solches Vorge- hen fördert einerseits ihre grundsätzlichen Be- 11
dienkompetenzen und unterstützt anderer- M Ist wirklich nur die Schule dafür verant- nutzerfreundlichkeit und die Barrierefreiheit seits den Aufbau einer kritischen Haltung ge- wortlich, dass sich Kinder unbeschadet in eine große Rolle. Hier besteht ein erhebli- genüber Medien. Zugleich lassen sich durch der digitalen Medienwelt zurechtfinden? ches Forschungsdefizit, da viele Tools bislang solche Formen der aktiven Medienarbeit mit Das wäre wirklich zu viel verlangt von der hauptsächlich im Hinblick auf ältere Kinder Kindern auch fachliche Kompetenzen, etwa in Schule. Natürlich spielen auch Eltern und au- entwickelt und erforscht wurden. den Bereichen Deutsch, Sachunterricht und ßerschulische Partner*innen wie Kinderta- Abschließend will ich bei allen Gefährdun- Ästhetik, fördern. gesstätten eine ganz zentrale Rolle dabei, gen ausdrücklich nochmal darauf hinweisen: Ein zeitgemäßer Grundschulunterricht nutzt Kinder in der digital geprägten Welt zu be- Reine Medienverbote greifen zu kurz. Damit solche und weitere Möglichkeiten digitaler gleiten. Hier ist ein gutes Zusammenspiel alle Kinder faire Chancen für das aktuelle und Werkzeuge, um Grundschulunterricht an- sehr wichtig. künftige Leben erhalten, müssen sich mei- schaulicher, individualisierter und kooperati- Auch Organisationen wie beispielsweise der nes Erachtens Grundschulen und Eltern, aber ver werden zu lassen. Es geht also nicht da- Kinderschutzbund sind wichtig, um auf Ge- auch Organisationen wie der Kinderschutz- rum, Kinder vor dem Computer oder Tablet fährdungsbereiche für das kindliche Auf- bund dafür einsetzen, dass Kinder nicht nur zu parken und mit Übungsaufgaben abzufül- wachsen hinzuweisen. Allerdings können keinen Gefährdungen ausgesetzt sind, son- len, sondern es geht vielmehr darum, Kinder nicht alle Probleme unserer Gesellschaft pä- dern auch dass alle Kinder zentrale Kompe- unter Einbezug von digitalen Medien zur dagogisch gelöst werden. Deshalb ist auch tenzen für die Nutzung digitaler Medien er- Kreativität und zu forschenden Aktivitäten durch gesetzliche Regelungen dafür zu sor- werben können. Insbesondere ist zu verhin- zu motivieren, bei denen keinesfalls immer gen, dass negative Folgen für Kinder verhin- dern, dass Kinder durch die fehlende Mög- digitale Medien im Mittelpunkt stehen soll- dert werden. Wenngleich eine totale Ab- lichkeit zum Kompetenzaufbau in ihrer Ent- ten. Digitale Technologien sollten den Unter- schottung nicht zeitgemäß ist, sind Risiken wicklung behindert werden und somit neue richt vielfach nicht dominieren, sondern be- für das Aufwachsen auch durch Maßnah- Formen der sozialen Ungleichheit entstehen. gleiten. men der Gesetzgebung bestmöglich zu mi- Eine große internationale Vergleichsstudie iStockphoto/Maria Symchych-Navrotska nimieren. der digitalen Kompetenzen von Kindern in Zudem gilt es auch dafür zu sorgen, dass di- achten Klasse zeigt auf, dass hier in Deutsch- gitale Lernsysteme in der Grundschule wirk- land erheblicher Nachholbedarf besteht. lich kindgerecht gestaltet sind und nicht nur Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie jene Kinder von diesen profitieren können, wichtig es ist, dass gerade Kinder im Grund- die zu Hause Hilfe von Eltern oder Geschwis- schulalter nicht vom Erwerb grundlegender tern erhalten oder ohnehin schon medien- Kompetenzen ausgeschlossen werden. kompetent sind. Dies ist aktuell häufig der Eine Liste der Literatur, auf der Fall und führt zu massiver sozialer Ungleich- dieser Beitrag basiert, kann in der heit. Aus diesem Grund spielen bei der Aus- KSA-Redaktion angefordert werden. wahl digitaler Tools für die Grundschule nicht E-Mail: ksa-redaktion@duesenberg- nur der Datenschutz, sondern auch die Be- kontext.de Ein Wort zum Hybridunterricht Konzepte sowie die Definition von Zugangsbedingungen. Außer- Es herrscht Einigkeit: Gerade Grundschüler* innen sollte dem braucht die Schule zusätzliches Personal für die dauerhafte möglichst in Präsenz unterrichtet werden. Aber was, wenn ein Administration der Geräte und Plattformen sowie in jedem Klassen- gesundes Kind zu Hause in Quarantäne sitzt? Oder wegen eines zimmer einen großen Bildschirm. Zwingend nötig ist dafür, die Gipsbeins oder zu schlechtem Wetter nicht zur Schule kann? Verwaltungsabläufe zu vereinfachen – sowohl beim Personal- Sollte es dann in Zukunft nicht wenigstens digital ins Klassen- einsatz als auch bei der Beschaffung. zimmer live dazugeschaltet werden können? Lernen in Hybridform Große Herausforderungen: Viele Schulen erfüllen die Voraus- verknüpft zeitgleich den Präsenzunterricht in der Schule mit setzungen (noch) nicht. digitalem Lernen von zu Hause. Auch in vielen Elternhäusern fehlen Kindern der nötige Rahmen Die Vorteile: Hybrid ermöglicht Kindern vor allem die Teilhabe am und die Unterstützung fürs digitale Lernen. Zudem entsteht hoher Unterricht im Klassenzimmer auch bei (leichter) Erkrankung oder Regelungsbedarf: Welches Kind darf oder muss wann unter welchen sonstigen Verhinderungsgründen. Es lohnt zudem, die während Umständen am Hybridunterricht teilnehmen? Und wer muss davor der Pandemie bei Kindern und Lehrkräften (zwangsweise) entstan- auch geschützt werden, z.B. bei Erkrankung? Liegt das im Ermessen denen digitalen Kompetenzen für die Zukunft zu sichern, zu nutzen der Schule, der Eltern oder des Kinderarztes bzw. der Ärztin? und zu erweitern. Und schließlich müssen sich auch die erfolgten Diskutiert werden sollte ebenso, ob Hybridunterricht überhaupt Bildungsinvestitionen ins Digitale (materiell und zeitlich) rentieren. für jeden Inhalt, jedes Fach und vor allem jedes Kind geeignet ist, Wichtige Voraussetzungen: Die technischen, rechtlichen (Daten- insbesondere im Hinblick auf den integrativen bzw. inklusiven schutz), personellen und räumlichen Rahmenbedingen müssen Auftrag der Grundschule. In welchem Setting digitales schulisches stimmen – sowohl in der Schule für die Lehrkräfte und Schüler*- Lernen künftig auch immer stattfinden soll: Die soziale Schere innen als auch im Homeschooling für die teilnehmenden Kinder. darf dadurch nicht noch weiter aufgehen. Zudem erfordert Hybridunterricht neue methodisch-didaktische Dr. Martin Stahlmann, Redaktion 12 KSA 4.2021
Eltern Alles selbst erproben Die Inhalte solcherart Elternbildung basieren auf Ideen, die in den Klassenpflegschaften, der Schulpflegschaft und der Schulkonfe- renz gesammelt und besprochen werden sollten. In diesem Prozess sowie bei der Wis- sensvermittlung selbst können vor allem auch jene Mütter und Väter eine verantwor- tungsvolle Rolle übernehmen, die an digitale Endgeräte gewöhnt sind bzw. gar aufgrund ihrer eigenen Profession andere daran schu- len können. Die Planung und Durchführung solcher Fort- bildungsangebote gelingen dann erfolg- reich, wenn Eltern und Lehrkräfte gemein- sam Verantwortung tragen. Überhaupt ist es notwendig, die Beziehung zwischen Eltern und Schule noch kooperativer zu denken. Gerade die Konzepte zur Medienbildung so- iStockphoto/LuckyBusiness wie zur Schul- und Unterrichtsentwicklung sollten partizipativ erarbeitet und an die Be- Im Idealfall arbeitet die Grundschule mit Eltern eng und darfe der unterschiedlichen Klassenstufen angepasst werden. Hier müssen auch ver- gut zusammen. Stellt ein von Medien gestützter Unterricht schiedene Elterngruppen Gelegenheit zur diese Kooperation vor neue Herausforderungen? Beteiligung erhalten. Das hat KSA den Verband Bildung und Erziehung gefragt. Und noch einen Einfluss kann die Digitalisie- rung auf die Elternarbeit der Schule haben: Hier seine Antwort. Durch datensichere Kommunikationsplatt- Kinder und Jugendliche wachsen heute un- terführende Schule dagegen. Das birgt auf El- formen können zeitnah notwendige Bespre- ter dem Motto „Erwarte das Unerwartete“ ternabenden so manches Konfliktpotenzial. chungen viel schneller als bisher vereinbart auf. Sie werden z.B. Berufe, die es heute noch Helfen kann hier die Auseinandersetzung und durchgeführt werden. Digitale Medien gibt, später nicht mehr ergreifen können, mit den Geräten und Programmen, die ein- ermöglichen auch eine kurzfristige Beteili- weil diese dann verschwunden sind. Gleich- gesetzt werden sollen. Ebenso wichtig ist im gung aller Eltern, die sonst nicht an jedem El- zeitig erweitern sich die Möglichkeiten der Hinblick auf den Datenschutz eine ausführli- ternabend teilnehmen könnten wie bei- persönlichen Lebensführung jeden Tag. Für che Aufklärung der Eltern über die Art, wie spielsweise Alleinerziehende. Immer voraus- diese Entwicklungen ist die Digitalisierung Daten weiterverwendet werden. gesetzt, die digitalen Geräte und die entspre- verantwortlich. Es ist also für Schüler*innen Es hat sich bewährt, die Eltern in die Schule chende Infrastruktur sind vorhanden. Nur essenziell, mit digitalen Medien gut umge- einzuladen und sie dort alles selbst erproben wenn das gesichert ist, können wichtige In- hen zu können. Deshalb sollten sie kompe- zu lassen. So können sie am besten nachvoll- formationen für alle auf diesem Wege trans- tent und altersadäquat schon ab der Grund- ziehen, welches Wissen und Vorgehen beim portiert werden. schule damit vertraut gemacht werden, wie digitalen Lernen für ihre Kinder wichtig sind, Anne Deimel, stellvertretende sie digitale Medien sicher, sinnvoll und auch und Vertrauen in die Bearbeitung der Aufga- Landesvorsitzende des Verbandes kreativ nutzen können. ben durch ihre Kinder entwickeln sowie de- Bildung und Erziehung Nordrhein- Es ist Aufgabe der Lehrkraft, im Unterricht ren Lernprozesse begleiten. Westfalen (VBE NRW) die richtige Balance zwischen analogem und Bei dieser „Erprobung“ wird oft deutlich, dass digitalem Arbeiten zu finden. Diese Heraus- die Eltern selbst auf sehr unterschiedlichem forderung zu meistern wird nicht einfacher, Niveau mit digitalen Medien umgehen. Die wenn die zu den Kindern gehörigen Eltern einen sind darin gut geübt, andere weniger. sehr heterogene Vorstellungen davon ha- Um fehlende Kompetenzen auszugleichen ben, wie oft und intensiv digitales Lernen im und Ängste bei Eltern abzubauen, sollte die Unterricht und für Hausaufgaben genutzt Schule ihnen daher niedrigschwellige Fort- werden soll. Während die einen es kaum er- bildung anbieten. Verstehen die Eltern die warten können, dass entsprechende Hard- verwendeten Geräte und Programme besser, und Software endlich in den Unterricht der können sie ihre Kinder bei einfachen Fragen Grundschule einzieht, wehren sich andere auch besser unterstützen. noch zum Zeitpunkt des Wechsels in die wei- iStockphoto/SbytovaMN 13
Politik und Wirtschaft An „irrer Aufholjagd“ iStockphoto/Baweg BETEILIGT Schulen in Deutschland hängen im internationalen TÖPFE FÜR DIE Vergleich hinterher, wenn's „ums Digitale“ geht. ANSCHUBFINANZIERUNG 2019 stellte die Bundesregierung über fünf Das soll sich ändern, sagt die Politik – aber sie schickt Jahre fünf Milliarden Euro für den „Digitalpakt die Schulen für eine bessere Ausstattung auf lange Wege. Schule“ bereit. Mit diesem Basisprogramm Die Wirtschaft bietet dagegen schnelle Lösungen, sollen Schulträger vor allem Hardware für ih- re Bildungseinrichtungen anschaffen. Bis En- die aber auch Fragen aufwerfen. de Juni 2021 wurden aber erst 189 Millionen In den Schulen findet eine „irre Aufholjagd“ vor allem, wenn die unmittelbare Begegnung Euro abgerufen. Dahinter steckt kein böser statt. Auch in den Grundschulen. Das meint unmöglich geworden ist. Und viele Euphori- Wille, sondern eine komplexe Problematik: Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst, ker*innen der Digitalisierung haben verstan- Hardware allein macht den Kohl nämlich die gegenwärtige Präsidentin der Kultusmi- den, dass kein Computer das Lernen in sozia- nicht fett – das Ganze muss auch eingerichtet nisterkonferenz. Deutschland, dieser große len Zusammenhängen und im persönlichen und gepflegt werden. Die Sicherstellung (und Industriestandort, hetze außer Atem Ländern Kontakt ersetzen kann. Folgekosten) von Betrieb, Support und War- wie Dänemark und Estland hinterher, stellte Im Homeschooling gab es Lehrkräfte, die tung der IT in Schulen liegt wiederum bei den sie fest. Mit Laptops und Tablets, Smartboards gelegentlich mal Hausaufgaben als PDF-Da- Schulträgern. und Glasfaserkabeln wird darum gekämpft, tei an ihre Klassen verschickt haben. Es gab So verfängt sich das Basisprogramm erstmal unsere Kinder und Jugendlichen fit zu ma- aber auch Lehrkräfte, die jeden Morgen ihre im Gestrüpp der Zuständigkeiten von Bund, chen für einen von Digitalisierung bestimm- Schüler*innen vor den Bildschirmen ver- Ländern und Gemeinden. Im Prinzip hat der ten Markt. sammelten, den Kindern Aufträge zuteilten Bund in den Schulen ohnehin nichts zu mel- und ihnen am nächsten Tag Rückmeldung den. Es wurde sogar eigens das Grundgesetz ERFAHRUNGEN IM LOCKDOWN zu den empfangenen Ergebnissen gaben. geändert, damit er wenigstens im Einver- Wenn heute der Rückstand deutscher Bil- Solche Lehrkräfte erstellten auch Videos und nehmen mit den Ländern überhaupt Geld dungseinrichtungen beklagt wird, geht`s ließen ihre Kids in Gruppen etwa an Wetter- für die Digitalisierung der Schulen bereit- nicht mehr um zu große Klassen, fehlende beobachtungen arbeiten oder kleine digita- stellen durfte. Lehrkräfte oder marode Klos und Klassen- le Bücher zusammenstellen. Die Digitalisie- Im Corona-Jahr 2020 hatte der Bund dann zimmer, sondern um fehlende Hardware, zu rung öffnet also durchaus Felder für Eigen- nochmal drei Zusatzprogramme zu jeweils schwaches WLAN und mangelnden Internet- initiative – aber sie stellt die (Grund)Schule 500 Millionen Euro aufgelegt: Support. Dieser Debatte hat Corona einen auch vor viele Fragen und Probleme. Welche Der Topf für Endgeräte für Schüler*innen neuen Schub gegeben. Und sie ein wenig Kommunikationssoftware kann ich einset- wurde fast vollständig ausgeschöpft. entideologisiert. Viele Skeptiker*innen der zen, die datenschutzkonform ist und trotz- Aus dem Topf für die Anschaffung von Digitalisierung haben verstanden, dass das dem genug Gestaltungsspielraum bietet? Computern für Lehrkräfte wurden bisher Internet ein Kommunikationsweg sein kann, Welche Lernprogramme taugen wofür? schmale 192 Millionen abgerufen. Mög- 14 KSA 4.2021
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