Dossier: Judentum und andere Religionen - Gemeinsames und Trennendes Zirkusduft: Unterwegs mit Anatoli Akerman
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Jüdisches Magazin für Politik und Kultur NR. 90 · (4/2022) Kislew 5783 · € 7 · www.nunu.at Dossier: Judentum und andere Religionen Gemeinsames und Trennendes Zirkusduft: Unterwegs mit Anatoli Akerman
Mein Blick auf Wien gibt dir 1.000 Einblicke. Best App 2021 * Ich bin ivie. Mit mir kannst du alle Geheimtipps Wiens kennenlernen. Hunderte spannende Orte warten darauf, von dir entdeckt zu werden. Denn eines ist sicher: ich habe viel zu erzählen. * Beste Webseite, App & E-Commerce Jetzt gratis downloaden beim IAB webAD 2021 Deine offizielle City Guide App ivie.wien.info
Editorial VON DANIELLE SPERA VON ANDREA SCHURIAN HERAUSGEBERIN CHEFREDAKTEURIN Gemeinsam für den Frieden Respektvolle Dialoge „Mit fester Überzeugung sagen wir: Schluss mit dem Europa steht im Vorhof zur Kriegshölle. Vor unserer Krieg! Beenden wir alle Konflikte. Krieg führt nur zu Tod Haustür werden Menschen aus ihren Wohnungen und und Zerstörung, er ist ein Abenteuer ohne Rückkehr, bei Häusern gebombt, sterben ukrainische und russische Ehe- dem wir alle verlieren. Die Waffen mögen schweigen und männer, Väter, Söhne auf dem Schlachtfeld. Der Kriegs- sofort ein universaler Waffenstillstand erklärt werden. wahnsinn ist freilich nicht auf die Ukraine beschränkt, im Bevor es zu spät ist, mögen bald Verhandlungen begonnen Jahr 2021 gab es weltweit 28 Kriege und kriegerische Aus- werden, die zu gerechten Lösungen für einen stabilen und einandersetzungen, abertausende Menschen haben ihr Le- dauerhaften Frieden führen!“ ben lassen müssen, viele auch im Namen der Religion(en). So lautete der Appell vor wenigen Wochen beim Die Geschichte – auch die der Konfessionen – ist voller internationalen Treffen der Weltreligionen in Rom an Feindbilder, Hass und Gewalt. Doch was bedeutet Glauben? die verantwortlichen Politiker. Von diesem Treffen geht Und gibt es tatsächlich nur eine göttliche Wahrheit, wie die das Signal aus, dass Religionen miteinander in Kontakt unterschiedlichen Religionen ihre Anhänger so gern glau- stehen und gemeinsam für den Frieden einstehen. Es ben machen? Oder führen die vielen konfessionellen Weg- sind Begegnungen auf Augenhöhe und in gegenseitigem gabelungen letztendlich alle in den Himmel? Respekt. Der Dialog dient dazu, das Miteinander zu leben, Solange Menschen miteinander sprechen, bekriegen sie zu stärken und zu fördern, erklärt Oberrabbiner Jaron einander nicht. Deshalb gibt es in Wahrheit keine sinnvolle Engelmayer, der als österreichisch-jüdischer Vertreter in Alternative zu offenen, respektvollen Dialogen, in denen Rom eine Rede hielt. In Anerkennung der Unterschiede das Verbindende zur Sprache kommt, aber eben auch das zwischen den Religionen, aber auch in Anerkennung der Fremde, Verstörende. Aus diesem Grund beschäftigen wir Komplexität, der wir oft gegenüberstehen. uns diesmal schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis des „Das Gebet sieht man nicht, ebenso wie die am meisten Judentums zu den anderen (abrahamitischen) Religionen. benötigten Dinge des Lebens wie Luft, Freundschaft Eine friedliche Koexistenz bedeutet nämlich nicht Eini- oder Liebe. Und doch ist es die größte Ressource der gung auf den kleinsten Nenner, sondern Öffnung und Ver- Veränderung, die jede Generation seit Jahrtausenden ständnis füreinander: statt Bekämpfung Vertiefung, statt zur Verfügung hat“, sagte Engelmayer in Rom und sprach Bekehrung Respekt. Wie (gut!) das geht, stellt u.a. Mark E. davon, dass aber auch der Mensch sich zu helfen wissen Napadenski mit dem Wiener Café Abraham und Bert Reb- müsse. handl mit dem Berliner House of One vor. Dazu passend erzählte er folgenden Witz: Moische wollte Der katholische Theologe und Psychotherapeut Arnold unbedingt in der Lotterie gewinnen, also betete er täglich Mettnitzer schreibt in seinem sehr persönlichen Essay über mit großer Andacht, dass Gott ihn doch bitte einmal gewin- die Geschwisterrivalität zwischen Judentum und Christen- nen lasse. Doch der große Gewinn blieb aus. Da wandte sich tum; der liberale Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi Moische tief enttäuscht zu Gott und sprach: „Warum kannst erklärt das schwierige Verhältnis der Muslime zu den Ju- du mich nicht wenigstens einmal die Lotterie gewinnen den; und Dominik Kamalzadeh erzählt über seine im Exil lassen?“ Darauf ertönte eine himmlische Stimme: „Moische, lebende Familie, die als Bahá’í vor dem Ayatollah-Regime kauf dir doch endlich einmal ein Los!“ flüchten musste. Und auch in Israels Politik ist Religion ein Das bevorstehende Chanukka-Fest erinnert uns daran, bestimmender Faktor. Martin Engelberg analysiert die Tei- dass vor 2000 Jahren die kleine Gruppe um Juda Makkabäus lung Israels in ein jüdisches und ein israelisches Lager. das große syrisch-griechische Heer geschlagen hat. Hier Eine Glaubensfrage ist längst auch das Lueger-Denkmal: ging es um die Freiheit, die eigene Religion auszuüben. Der Kontextualisieren? Wegräumen? Belassen? Kontroversielle Tempel in Jerusalem wurde wieder eingeweiht und die Gedanken dazu von Thomas Trenkler, Walter König und kleine Menge Öl, die gefunden wurde, brannte acht Tage. Fritz Rubin-Bittmann. Daran denken wir, wenn wir das Lichterfest Chanukka Ich wünsche Ihnen erhellende Lesezeit – und ganz feiern. Auch wenige Menschen können etwas bewegen, im Sinne unseres Dossiers Chanukka sameach, frohe wenn sie sich engagieren. Chanukka Sameach, ein Weihnachten, fröhliche Weihnukka oder einfach nur fröhliches Fest! erholsame Tage zwischen den Jahren. 4 | 2022 3
Inhalt Aktuell Dossier: Judentum Die Religion als Kunst und andere Religionen Judentum, Christentum und Islam „Jüdisches Leben gehört zur Mitte ähneln sich besonders in einem unserer Gesellschaft“ Eins, zwei, drei Punkt: Sie weisen alle logische Wider- Karoline Edtstadler, Bundesmini- In Berlin entsteht für den einen Gott sprüche auf, die auf ihre Entstehung sterin für EU und Verfassung, im in dreierlei religiöser Gestalt das zurückgehen. Gespräch über jüdisch-christliches House of One. Von Eric Frey Kulturerbe und zeitgenössisches jüdi- Von Bert Rebhandl Seite 35 sches Kulturschaffen. Seite 20 Von Michael J. Reinprecht Die Juden im Koran Seite 6 „Wir wären eine amputierte Religion“ Der Koran zeichnet ein ambivalentes In den letzten Jahrzehnten hat sich Bild von den Juden. Das Verhältnis Vermutlich sind Juden auch das schwierige Verhältnis ziwschen des Propheten zu den Juden wandelte am Klimawandel schuld Christentum und Judentum geändert. sich mit seiner eigenen Rolle. Als postkolonialer Diskurs maskierter Ein Gespräch mit Dompfarrer Toni Von Abdel-Hakim Ourghi Antisemitismus ist radikal schick. Faber. Seite 37 Den Beweis dafür liefert immer Von Danielle Spera wieder die Wiener Akademie der Seite 22 Das nicht verschwindende Phänomen bildenden Künste mit ihrer Es reicht nicht, den Antisemitismus Einladungs-politik. Türöffner und Vernetzer nur zu beklagen oder zu verurteilen. Kommentar von Andrea Schurian Der Koordinierungsausschuss für Von Theodor Much Seite 9 christlich-jüdische Zusammenarbeit Seite 39 arbeitet für die Verständigung der Re- Was bestimmt kein Denkmal ist ligionen. Ein Gespräch mit Präsident Fluchtsignale Die Installation „Lueger Temporär“ Martin Jäggle und Vizepräsident Willi Der Bahá’í-Glaube entstand im späten reagiert auf die Debatte über das Weisz. 19. Jahrhundert im Iran. Doch seit Lueger-Denkmal. Drei Positionen zur Von Katharina Stourzh der Machtübernahme der Ayatollahs endgültigen Entscheidung über eine Seite 24 gehören die Bahá’í zu einer verfolgten vorläufige Kontextualisierung von Minderheit. Splitter einer iranischen Thomas Trenkler, Walter König und Das Jüdische in mir Familiengeschichte. Fritz Rubin-Bittmann Wer sich Judentum und Christentum Von Dominik Kamalzadeh Seite 10 als Geschwisterpaar vorstellt, muss Seite 41 auch an Rivalität und Streit denken. Im Westen viel Neues Von Arnold Mettnitzer „Die Bahá’í sind in Israel In den westlichen Bundesländern Seite 26 willkommen“ entwickelt sich ein neues jüdisches Die Bahá’í-Religion hat eine be- Selbstbewusstsein. Ein Lokalaugen- Wissen ist Freundschaft sondere Beziehung zu Israel. Ein schein. „Feiertagsgruss.at“ ist ein gemeinsa- Gespräch mit Anja Spengler, Medi- Von René Wachtel mer Festtagskalender der drei abra- envertreterin der österreichischen Seite 14 hamitischen Religionen. Muslime, Bahá’í-Gemeinde. Christen und Juden geben darin Ein- Von Theresa Absolon Voller Stolz in Blauweiß blicke in Riten und Geschichten. Seite 43 Während manche gespannt zur Fuß- Von Mark E. Napadenski ball-Weltmeisterschaft nach Katar Seite 28 Eine Geschichte und tausend Quellen blicken, interessieren sich die wahren Der Orientalist Daniel Gerlach hat Fans für den legendären jüdischen Maßstab für das Zusammenleben eine persönliche Entdeckungsreise Verein Maccabi Wien. Die Zehn Gebote als Grundprinzipien durch den Nahen Osten unternom- Von René Wachtel ethischen Handelns nehmen im Ju- men. Eine spannende Suche nach Seite 16 dentum wie im Christentum einen dem gemeinsamen Erbe der Religio- zentralen Stellenwert ein. nen und Kulturen. Von Danielle Spera Von Michael Pekler Israel Seite 32 Seite 44 Die neue Realität: Jesus und Judas Auf dem Weg ins Jenseits Das jüdische und das israelische Lager Amos Oz trat nicht nur für ein gewalt- Begräbnisrituale spielen in allen Re- Kommentar von Martin Engelberg freies Zusammenleben von Israelis ligionen eine bedeutende Rolle. Über Seite 17 und Palästinensern ein, sondern Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigte sich auch von Jesus fasziniert. im Christentum, Judentum und Islam. Wer war Jesus aus jüdischer Sicht? Von Savanka Schwarz Seite 33 Seite 46 4 4 | 2022
Inhalt Unterwegs mit Der schönsten Frau der Welt Neuerscheinungen zum Selberlesen gebührt ein Platz in Wien oder Verschenken Anatoli Akerman Bis vor kurzem erinnerte in Wien Eine kluge Frau, ein spannendes Anatoli Akerman zählt zu den sensi- nicht viel an die Hollywood-Diva und Land, ein großartiger Schauspieler, belsten Clowns der Welt. Der Israeli Erfinderin Hedy Lamarr. Nun entsteht ein kritischer Geist : vier Buchemp- mit ukrainischen Wurzeln ist seit in der Mariahilfer Straße ein neues fehlungen vielen Jahren mit dem Circus-Theater Projekt, das Lamarrs Namen tragen Von Gregor Auenhammer, Andrea Roncalli unterwegs. wird. Schurian und Danielle Spera Von Andrea Schurian, René Von Danielle Spera Seite 57 Wachtel (Text) und Ouriel Seite 53 Morgensztern (Fotos) Seite 48 „Es ist immer am einfachsten, Das vorletzte Wort Minderheiten anzufeinden“ In seinem jüngsten Film „Schächten“ Make l’ve n’t war Kultur erzählt Thomas Roth die Geschichte Ist Gottes Wille bloß eine Ausrede eines Mannes, der den NS-Peiniger der Gläubigen, um ihr Ding zu ma- Hoffnung in der Ausweglosigkeit seiner Eltern zur Rechenschaft zie- chen? Ronni Sinai und Nathan Ein Theaterstück als Verpflichtung hen will. 5RCUKȲ, Ketzer und Agnostiker, über jenen gegenüber, die ihre Geschichte Von Gabriele Flossmann das Gemeinsame von Religionen, nicht mehr erzählen können: In „Ich Seite 54 King Charles und Rock ’n’ Roll. hab (k)ein Heimatland“ verarbeitet Seite 59 Marika Lichter ihre Familienge- Erwachte Schönheit schichte. Das Südbahnhotel am Semmering Von Danielle Spera wird mit hochkarätigen Kulturevents Rabbinische Weisheiten Seite 52 wieder zum Leben erweckt. Von Michael J. Reinprecht Fundamentalismus Seite 56 Von Paul Chaim Eisenberg Seite 60 Erscheinungsweise: 4 x jährlich Nächste Ausgabe: April 2023. Auflage: 4.700 © STEINDY/CC-3.0 TITELBILD: © Ouriel Morgensztern Kontakt Tel.: +43 (0)1 535 63 44 Fax: +43 (0)1 535 63 46 E-Mail: office@nunu.at Internet: www.nunu.at Bankverbindung IBAN: AT78 1100 0085 7392 3300 BIC: BKAUATWW Sie sind an einem NU-Abonnement interessiert? Jahres-Abo (vier Hefte) inkl. Versand: Österreich: Euro 25,– Europäische Union: Euro 28,– Außerhalb der EU: Euro 32,– Auf dem Friedhof in Mattersburg erinnern symbolische Grabsteine vor der Abo-Service, Vertrieb & Anzeigen Pfarrkirche an die jüdische Gemeinde. Ein Dossier zum Thema „Judentum Theresa Absolon und andere Religionen“ finden Sie ab S. 20. theresa.absolon@nunu.at 4 | 2022 5
Aktuell „Jüdisches Leben gehört zur Mitte unserer Gesellschaft“ © BKA/SCHRÖTTER „In welcher Gesellschaft leben wir, in welche Richtung gehen wir?“ Karoline Edtstadler sieht herausfordernden die Jahre der Pandemie als Alarmzeichen. Karoline Edtstadler, Bun- Der Kampf gegen Antisemitismus dieses Erbes sind mir persönlich ein sei kein Sprint, sondern ein Marathon, Anliegen, auch in meiner Arbeit als desministerin für EU und meinte Karoline Edtstadler vor we- österreichische Bundesministerin. Verfassung, im Gespräch nigen Wochen während ihres Israel- Das christlich-jüdische Erbe begrün- über jüdisch-christliches Besuches. Im Rahmen dieser Reise det unsere Kultur und die Art und traf sie auch mit Israels Staatspräsi- Weise, wie wir zusammenleben – in Kulturerbe, antisemitische dent Isaac Herzog, zusammen. Österreich und in Europa. Eine gesetz- Corona-Proteste und zeit- liche Verankerung ist die Basis für ein genössisches jüdisches NU: Im Jahr 2003 scheiterte die EVP- prosperierendes christlich-jüdisches Fraktion im EU-Parlament mit dem Leben in Österreich. Zugleich ist es Kulturschaffen. Antrag auf Aufnahme der christlich- wichtig, dass es nicht nur auf dem Pa- VON MICHAEL J. REINPRECHT jüdischen Wurzeln in die Präambel des pier steht, sondern jeder und jede Ein- Verfassungstextes. Im Vertrag von Lis- zelne von uns das auch lebt. sabon ist heute vom „kulturellen, religi- ösen und humanistischen Erbe Europas“ Von islamischer Seite gibt es dazu Kritik, die Rede. Aber ist nicht das christlich- gerade im Lichte harmonischen Mitein- jüdische Erbe Europas eine Tatsache? anders der drei monotheistischen Reli- Edtstadler: Das christlich-jüdische gionen. Wie ist die Beziehung zum Islam, Erbe Europas ist definitiv eine Tat- wird ein Dialog geführt? sache. Die Bewahrung und die Pflege Der Islam ist seit 1912 in Österreich 6 4 | 2022
Aktuell eine anerkannte Religion. Das ist na- gestiegen ist. Während früher Vorfälle zuschärfen. Das einer Disziplinarkom- türlich eine Grundvoraussetzung, oft nur achselzuckend zur Kenntnis mission zu überlassen, reicht eben um einen guten Dialog und ein gutes genommen wurden, wenn beispiels- nicht. Es muss rechtlich klargestellt Miteinander zu haben. Ich bin eine weise Personen, die eine Kippa trugen, sein, dass jemand, der wegen Wieder- Verfechterin von Inklusion, des Hin- beschimpft oder gar geschlagen wur- betätigung rechtskräftig verurteilt ist, einnehmens, der Verhinderung des den, neigt man heute viel eher dazu, nichts im Staatsdienst verloren hat, Ausgrenzens und des Gegeneinander- das tatsächlich anzuzeigen – polizei- sei es im Bundesheer, im Schuldienst, Ausspielens. Europa ist und war über lich, strafgerichtlich oder zumindest in einem Ministerium oder wo auch die Jahrhunderte christlich-jüdisch an die Meldestelle der IKG. immer. Punkt. Diesen gesetzlichen geprägt, doch auch der Islam spielt Zustand werden wir herstellen. eine zunehmende Rolle und leistet Wie schätzen Sie diese Statistik ein? seinen Beitrag zu unserer Kultur. In er- Damit haben wir einen besseren Wie können Vorfälle wie dieser verhin- ster Linie geht es darum, negative Vor- Überblick über die Anzahl und die dert werden? urteile abzubauen. In Österreich be- Art der Vorfälle. Seien es physische Dieser Fall hat auf dramatische kennen sich etwa 600.000 bis 700.000 Attacken, Vorfälle im Internet, sei es Weise gezeigt, dass es tatsächlich Per- Menschen zum Islam. Und der Fokus, Stalking, Mobbing bis hin zu Wieder- sonen in unserer Gesellschaft gibt, die den ich in meiner täglichen Arbeit auf betätigungsfällen. Es ist ein dramati- solche Uniformen basteln, sich hin- den Kampf gegen den Antisemitis- scher Befund. Das möchte ich in aller stellen, den Hitlergruß zeigen und sich mus und auf die Förderung jüdischer Deutlichkeit sagen. Man muss alles damit rühmen. Daher finde ich es ab- Kultur und jüdischen Lebens in Öster- tun, um die Zahlen zu senken. Ich bin solut richtig, dass die Verteidigungs- reich lege, bedeutet nicht, dass ich die aber auch davon überzeugt, dass sich ministerin zusätzlich eine Kommis- andere Seite nicht auch sehe. Erfolg nicht allein an der Statistik sion eingerichtet hat. Wir nehmen den messen lässt. Fall in der Bundesregierung sehr ernst Sowohl eine vom Nationalrat in Auftrag und werden in Zukunft harte Konse- gegebene Studie als auch die von der Sie sprechen hier besonders die Ver- quenzen gesetzlich verankern. Wer Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) schwörungstheorien an? weiß, dass seinem Verhalten keine regelmäßig veröffentlichten Zahlen kon- Selbstverständlich. Diese sind schwerwiegenden Konsequenzen fol- statieren zunehmenden Antisemitismus. furchtbar, wie beispielsweise absur- gen, sieht wenig Grund, es nicht zu tun. Gleichzeitig ist die Bundesregierung seit deste Geschichten und Cartoons dar- einigen Jahren im Kampf gegen den An- über, wo und wie sich das Coronavirus Die besondere Verantwortung Öster- tisemitismus besonders engagiert. besser und schneller vermehrt. Das reichs gegenüber der jüdischen Bevölke- Die Zunahme der antisemitischen hat mich stark an meine Besuche in rung spiegelt sich auch in der Förderung Vorfälle in Österreich, aber auch in Yad Vashem erinnert, wo ja dokumen- des jüdischen Lebens und seiner kultu- Europa ist besorgniserregend. Man tiert wird, wie sich nationalsozialisti- rellen Entfaltung wider. Was geschieht muss festhalten, dass die Pandemie in sche Propaganda hinter vermeintlich konkret, um jüdische Kultur sichtbarer den letzten beiden Jahren leider we- harmlosem Humor und in Karikaturen zu machen? sentlich dazu beigetragen hat – und versteckte und so den Weg in die Ge- Wir haben zunächst einmal das zwar sowohl in der realen als auch vor sellschaftsfähigkeit gefunden hat. Und österreichisch-jüdische Kulturförder- allem in der digitalen Welt. Ich erin- ähnlich ist es losgegangen in der Pan- gesetz beschlossen, mit einer Förde- nere mich gut an die ersten Corona- demie. Das war für mich ein Alarmzei- rung von vier Millionen Euro pro Jahr Demonstrationen, wo Antisemitismus chen: In welcher Gesellschaft leben für die Israelitische Religionsgesell- und Holocaustverharmlosung offen wir, in welche Richtung gehen wir und schaft (IRG). Das war ein Meilenstein. auf der Straße vor sich hergetragen was können wir dieser Entwicklung Konkret geht es darum, diese Mittel für wurden: Mit Schildern „Impfen macht möglichst effektiv entgegensetzen. die Förderung des Austausches mit frei“, dem Tragen des Davidsternes als anderen Religionsgemeinschaften, für „Judenstern“ oder der Vergleich des Wie passt in dieses Bild der Fall jenes die Förderung kultureller Einrichtun- Covid-Impfstoffes mit Zyklon B. Es österreichischen Unteroffiziers in selbst gen und Veranstaltungen und für die ist erschreckend, dass so etwas heute gebastelter SS-Uniform, der mit dem Verständigung in der Gesellschaft zu noch passiert, dagegen müssen wir Hitlergruß seine Kameraden schockierte, verwenden. Es geht natürlich auch um ankämpfen. Ich möchte aber trotzdem aber mit einem milden Urteil davonkam die Sicherheit, aber der Hauptteil der sagen, dass Zahlen nicht alles abbil- und nicht einmal vom Dienst suspen- Förderungen betrifft das jüdische Kul- den können. Die Entwicklungen allein diert wurde? turerbe. Ich bin fünf Jahre in der Spit- an Zahlen festzumachen, halte ich für Das ist untragbar und muss mit zenpolitik, man kann in so einer Posi- zu wenig. einer Nulltoleranzpolitik verfolgt tion schon vieles bewegen, indem man werden. Ich bin hier sowohl mit der Dinge anspricht und sichtbar macht. Warum? Justizministerin als auch mit der Weil ich – und ich bin jetzt schon Verteidigungsministerin einig, dass Zum Beispiel? viele Jahre in diesem Bereich tätig – diese Nulltoleranzpolitik auch gelebt Besonders stolz bin ich auf die sehe, dass die Sensibilität gegenüber werden muss. Dieser Fall hat aufzeigt, Konzertreihe Klangwelten (kuratiert antisemitischen Vorfällen ebenfalls dass es notwendig ist, im Gesetz nach- von NU-Herausgeberin Danielle Spera, 4 | 2022 7
Aktuell Anm.) im Bundeskanzleramt, wo wir schaft (IRG) legt dem BKA jedes Jahr und zur Bewahrung des jüdischen Erbes, jüdische Kunst und Kultur vor den einen Bericht über die Verwendung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur Vorhang holen und mit einer ganz der Gelder vor. Außerdem stehen wir ausgetauscht? gezielten Einladungspolitik, nämlich mit der IRG regelmäßig in Kontakt Es war mir eine besondere Ehre, einer Mischung aus Journalisten und und evaluieren die Mittelvergabe. im September 2022 Israels Staatsprä- Journalistinnen, Vertretern von NGOs Was wir dabei sehen, ist, dass in den sidenten Isaac Herzog zu treffen. Er und anderen Multiplikatoren sowie ei- Jahren 2020 und 2021 vor allem der sieht unseren Einsatz im Kampf ge- ner Übertragung im ORF zeigen, dass Schutz von jüdischen Einrichtungen gen Antisemitismus mit großer Zu- jüdisches Leben selbstverständlich in große Priorität hatte – der Anschlag in stimmung und bekundete sein Inter- der Mitte unserer Gesellschaft dazu- der Wiener Innenstadt und die Covid- esse, Österreich besuchen zu wollen. gehört. Ich glaube, man kann nur so Pandemie haben dies notwendig ge- Die vielen hochrangigen Besuche in darauf aufmerksam machen. Das ist macht. Die Verteilung der Mittel war den letzten Monaten sind Zeugnis der etwas, das nie abgeschlossen ist, son- dadurch bestimmt und obliegt aus- guten bilateralen Beziehung zwischen dern wo es immer wieder von neuem schließlich der IRG. Israel und Österreich. Mich freut es be- die Kreativität braucht. sonders, dass unsere Arbeit im Kampf Sie haben vorhin Ihre mehrmaligen Be- gegen Antisemitismus und für ein pro- Wie werden die Mittel aus dem öster- suche in Yad Vashem erwähnt. Haben sperierendes jüdisches Leben so viel reichisch-jüdischen Kulturfördergesetz Sie in Israel auch Mitglieder der israe- Anklang in Israel findet. Österreich verteilt? Und können Sie die Förderun- lischen Regierung getroffen und sich ist mit seiner Nationalen Strategie im gen in einem ersten Schritt evaluieren? über die österreichischen Bemühungen Kampf gegen Antisemitismus Vorrei- Die Israelitische Religionsgesell- im Kampf gegen den Antisemitismus ter in Europa. SKRUPELLOS? Clemens (48) vertritt als Anwalt kostenlos Geflüchtete. Schau genau hin, bevor du ein Urteil fällst. #WirSitzenAlleImSelbenZug HEUTE. FÜR MORGEN. FÜR UNS. 8 4 | 2022
Aktuell Vermutlich sind Juden auch am Klimawandel schuld KOMMENTAR VON ANDREA SCHURIAN ausstellung Loving Others im Wiener Inspirationsquelle für diese 2020 in Künstlerhaus vertreten, von der Ham- Buchform gegossene Handlungsan- M an gendert. Schreibt Aste- burger Kunstuniversität wurden zwei leitung zu gewaltbereitem Widerstand riske. Spricht glottal plosive von ihnen als Gastlektoren engagiert. dienen dem bekennenden Hamas- Pausen. Mobbt Lehrende „In der westlichen Welt ist der Anti- Aficionado, der Israel als „zionistische so lange als transphob, bis sie, wie semitismus rechts, ewiggestrig und Entität“ ablehnt und jüdische Israelis die britische Philosophieprofessorin modrig konnotiert, der Antizionismus konsequent als „Siedler“ bezeichnet, Kathleen Stock, den Job hinschmei- hingegen gilt als links, verantwor- palästinensische Sabotageakte. Alter ßen. Lädt Referenten wie die Biologin tungsbewusst, zeitbezogen“, schreibt Schwede! Echt jetzt? Marie-Luise Vollbrecht aus, die an der die Politologin Barbara Serloth auf der Zu den schärfsten Kritikern von Berliner Humboldt-Universität unter Online-Plattform Mena-Watch, einem Andreas Malm, der 2010 der trotzkisti- dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich in Wien ansässigen Nahost-Thinktank. schen „Sozialistischen Partei“ seines (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum Und siehe da, die Wiener Akademie Landes beitrat, zählt übrigens just die es in der Biologie nur zwei Geschlech- der bildenden Künste tritt mit ihrer trotzkistische Alliance for Workers’ ter gibt“ eigentlich eh nur biologisches Einladungspolitik regelmäßig den Liberty: Malm verfolge eine autoritäre Faktenwissen weitergeben wollte. Wahrheitsbeweis für diese Diagnose Klimapolitik und kaschiere mit mar- Schreit die Feministin Alice Schwar- an: Anfang Oktober durfte Ruangrupa xistischer Phraseologie eine durch zer als antimuslimische Rassistin nie- zum Thema Post-Documenta: Wo ste- und durch antidemokratische, arbei- der, so geschehen an der Universität hen wir? laut über mangelnde Reife terfeindliche Position: „Aber sein ab- für angewandte Kunst in Wien. Nur bei Europas für ihr kuratorisches Konzept scheulichster Fehler ist der Vorschlag, Antisemitismus gibt es in der Kunst- nachdenken. Zu ihrem „Aktionstag palästinensischen ‚Widerstand‘ vom und Wissenschaftsszene offenbar Secessionsgarten“ wenige Wochen Typ Hamas in die Klimapolitik zu im- wenig Berührungsängste, wobei zeit- später lud die Akademie unter ande- portieren.“ J genössische Judenfeindlichkeit gern rem auch den schwedischen Human- ohan F. Hartle, seit 2019 Rektor in der Maskerade des postkolonialen ökologen und Umweltaktivisten An- der Akademie, sah das freilich Diskurses daherkommt. Mit BDS zu dreas Malm ein (und nach Protesten diametral anders. Solche Dis- sympathisieren, ist radikal schick. dankenswerterweise wieder aus), um kurse seien „absolut notwendiger Be- BDS (Boykott, Desinvestitionen und „Überlegungen zu nachhaltigem Agie- standteil einer dringend notwendigen Sanktionen) ist das Gemeinschaftsre- ren, zivilem Ungehorsam und alter- Debatte zur Klimakrise, deren Fol- gelwerk von 171 palästinensischen Or- nativen Formen der Aneignung von geschäden nur wenige so drastisch ganisationen, zahlreiche NGOs unter- öffentlichen Räumen“ anzustellen. beschreiben wie Malm“, schreibt er stützen die Absichtserklärung, Israel Friedliche Proteste findet Malm öde, in einem Standard-Gastkommentar: wirtschaftlich, kulturell und politisch er präferiert zur Klimarettung gezielte „Wer sich wissenschaftliche und poli- zu vernichten. Sachbeschädigungen nach Terrori- tische Debatten wünscht, in denen es Zuletzt hat sich die Kasseler Welt- stenart. keine Ambivalenz und keine Fehler W kunstausstellung Documenta 15 mit ie man sich das vorstellen gibt, wünscht sich in Wahrheit keine einer ganzen Reihe judenfeindlicher darf, wird gerade in Museen Debatten… Wir haben in den Univer- Werke von Kunstkollektiven aus dem weltweit gezeigt: Aktivisten sitäten die Möglichkeit, kritisch hin- globalen Süden den wenig schmei- und Aktivistinnen schütten Paradeis- zuschauen, zu kommentieren und zu chelhaften Beinamen „Antisemita“ (© soße oder Erdäpfelpüree auf Meister- rahmen. In dieser Situation rahmen Der Spiegel) redlich verdient. Nun wer- werke. Bringt zwar keine Sympathie- wir bewusst und stellen zur Diskus- den die dafür verantwortlichen Ver- punkte für die Klimabewegung, aber sion – vor allem das, was gesagt wird.“ treter des insgesamt fünfzigköpfigen macht nichts. Und, ja, wäre sicher Ja dann! Könnte ja nächstes Mal eh indonesischen Kuratorenkollektivs bombig geworden, wenn Malm Passa- auch ein rechtsradikaler Holocaust- Ruangrupa geradezu begeistert in der gen aus seinem Buch vorgelesen und leugner kunstakademisch gerahmt westlichen Kunstwelt weitergereicht, darüber informiert hätte, Wie man werden. Er muss halt nur scharf genug weil: ach so radikal! Unter anderem ist eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen vor Erderwärmung und Klimakollaps Ruangrupa in der aktuellen Gruppen- lernen in einer Welt in Flammen. Als warnen. 4 | 2022 9
Aktuell © NICOLE SIX UND PAUL PETRITSCH, 2022 „Das temporäre Kunstwerk ist ein auffälliges, weithin sichtbares Zeichen, das sowohl einen tatsächlichen als auch einen gedanklichen Raum öffnet, in dem differenzierendes Nachdenken über den politischen Populismus der Vergangenheit und Gegenwart möglich ist“, meint Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Was bestimmt kein Denkmal ist Bis zur Realisierung eines permanenten Denkmals wird die temporäre Installation „Lueger Temporär“ auf die Debatte über das Lueger-Denkmal reagieren. Drei Positionen zur endgültigen Entscheidung über eine vorläufige Kontextualisierung. Bunter Abenteuerspielplatz sierung sollte erst im Oktober 2022 Prozesse wurden Nicole Six und Paul veröffentlicht werden. Manche aber Petritsch mit einer Installation beauf- VON THOMAS TRENKLER brachte der verherrlichende Umgang tragt. Und wenn die Stadtregierung mit dem populären wie populistischen etwas will, dann klappt das auch ganz Die Kulturstadträtin Veronica Kaup- Bürgermeister, der sich erfolgreich des problemlos mit den Genehmigungen. Hasler (SPÖ) scheint die Sache in die strukturellen Antisemitismus bedient Welche Hürden hatten Eduard Freud- Länge ziehen zu wollen: Nach Jahren hatte, zum Murren: Es wurde ein kate- mann und seine Mitstreiterinnen einst des Nachdenkens kündigte sie im gorischer Denkmalsturz gefordert. In zu überwinden, als sie auf dem Schil- April 2021 an, eine Lösung für das um- dieser eher misslichen Situation – die lerplatz das Denkmal für den NS-Dich- strittene Karl-Lueger-Denkmal zu er- Stadträtin hält nicht viel von „cancel ter Josef Weinheber kontextualisieren arbeiten. Im Rathaus wurde zu einem culture“ – entschloss sich die Stadt, und die einzementierte Gesinnung der runden Tisch eingeladen, ansonsten das Karl-Lueger-Denkmal zunächst Stadt entlarven wollten! Damals sorgte passierte nichts: Die Ausschreibung temporär zu kontextualisieren. Ohne sich der Magistrat, dass man in die für eine permanente Kontextuali- Ausschreibung, ohne demokratische Vertiefung rund um den absurd gro- 10 4 | 2022
Aktuell ßen Betonsockel fallen könnte. Aber „in keiner Weise und ganz bestimmt dings nicht, sich nur um den überle- jetzt? Gibt es zu Ehren von Lueger ei- nicht [...] auf die Problematik der an- bensgroßen Bronze-Koloss des „schö- nen fröhlich-bunten Abenteuerspiel- tisemitischen Geschichte Wiens und nen Karl“ mit dem gepflegten Bart platz, den man nur all zu leicht be- Luegers“, hieß es dazu in einer Aus- zu kümmern. SPÖ-Kulturstadträtin klettern kann. Da wird es wieder eine sendung. „Vielmehr wird der Platz Veronica Kaup-Hasler trägt aufgrund (Mahn-)Wache brauchen! (Dies schrieb erneut mit den ,Errungenschaften‘ der rabiat antisemitischen Wiener der Autor am 12. Oktober; bis zum Re- Luegers versehen und damit die Eh- Geschichte eine besondere Verant- daktionsschluss von NU ist allerdings rung seines politischen Wirkens nicht wortung auch für den Platz, der immer nichts Auffälliges passiert, Anm.) beendet, sondern mit bunten Farben noch – seit 78 Jahren! – nach Karl Lue- Die Laubsäge-Arbeit im Riesen- geschmückt und der Antisemitismus ger benannt ist, einem fanatischen Ju- format, 39 Meter lang, präsentiert im damit verdeckt.“ denhasser, Warner vor der „Verjudung Originalmaßstab „alle auffindbaren Und auch die Wiener Grünen orten der Wiener Universitäten“, der Juden Lueger-assoziierten Ehren- und Denk- „eine weitere Überhöhung der Figur als „Raubtiere in Menschengestalt“ mäler von Wien“ anhand ihrer Umris- Lueger“: Man hätte jetzt, im Jahr vor und „Gottesmördervolk“ bezeichnete. slinien, darunter Reliefs, die Lueger- der finalen Neugestaltung des Lueger- Inkonsequenterweise wurde vor 18 Kirche und andere Bauwerke. Auf dem Platzes, die Chance, eine öffentliche Jahren nur der Universitätsring um- Karl-Lueger-Platz soll nun zu erken- Debatte zur Lueger-Statue zu führen. benannt, an anderen Orten ging der nen sein, wie sich Lueger auf unter- Stattdessen stehe hier „ein riesiges üppige Lueger-Huldigungskult halb- schiedlichen Ebenen „in das Gedächt- Objekt, das quasi die Recherche- herzig-österreichisch und geschichts- nis der Stadt eingeschrieben“ habe. Ergebnisse“ von Nicole Six und Paul vergessen weiter, wie die kürzlich er- Dieses bis zu elf Meter hohe „dis- Petritsch visualisiere. Lueger werde richtete Installation Lueger Temporär kursive Schaulager“ ist damit aber mit der neuen Installation nochmals ein Jahr lang aufzeigen soll. Sie do- eine völlige Themenverfehlung, die größer gemacht. kumentiert, wie der hetzende „Radau- keine Kritik an den Einstellungen des Antisemit“ und „Vulgär-Populist“ im- Bürgermeisters übt, sondern Luegers Der Beitrag erschien am 12. Oktober 2022 im Kurier mer noch der fesche „heimliche Kai- Ruhm noch mehrt: Die Arme stolz auf und wurde für NU erweitert. ser“ ist, der früher sogar „Herrgott von die Brust gelegt, blickt die kupfergrüne Wien“ genannt wurde. Obwohl ihn die Statue mit großem Wohlgefallen auf Vergangenheitsforschung zum weit- all die anderen Ehrenbezeugungen – aus einflussreicheren Wiener Wegbe- und auch auf die Umrisslinien einer Endlich umbenennen! reiter des NS-Vernichtungs-Antisemi- anderen Lueger-Statue. tismus erklärt als beispielsweise Ritter VON WALTER KÖNIG Bei der „Einweihung“ – eben am 12. von Schönerer. So tiefgreifend und Oktober – forderten Vertreterinnen nachhaltig war die Effektivität der NS- und Vertreter der Jüdischen Hoch- Nach fast hundert Jahren wird das Ideologie, dass sie bis heute nachwirkt schülerschaft mit Plakaten: „Antise- einzige Denkmal, das je ein Wiener und – sollte nicht immer wieder echte mitismus thematisieren – nicht bunt Bürgermeister bekam, künstlerisch Vergangenheitsbewältigung stattfin- dekorieren.“ Die Installation verweise umgestaltet werden. Es genügt aller- den – noch weiter nachwirken wird. „Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden!“ – Sätze wie diese, mit denen © PID / VOTAVA Lueger aufwiegelte, sind auch heute Parolen. Radikale Worte gebären radikale Taten, zumal derzeit ein aggressiver Sprachgebrauch zunimmt. Elf Seiten widmete Adolf Hitler in Mein Kampf seinem Vorbild Lueger. Später kopierte er dessen gezielt ein- gesetztes Erfolgskonzept für eine anti- jüdische Massenbewegung. „Er ist der gewaltigste deutsche Bürgermeister aller Zeiten,“ schrieb Hitler begeistert über diesen „begnadeten Massenpo- litiker und hinreißenden Rhetoriker“ und lobte dessen „unnachahmliches Gefühl für Massen-Stimmungen und -Bedürfnisse“. Hitler nahm 1910 auch an der Prunk-Beerdigung seines Idols, „Ich bin gegen die Entfernung von Geschichte aus dem öffentlichen Raum“, meint das sein Weltbild prägte und radikali- Bezirksvorsteher Markus Figl. „Mit der temporären künstlerischen Installation wird sierte, am Zentralfriedhof teil. Bei aller eine differenzierte Betrachtung der Persönlichkeit von Dr. Karl Lueger ermöglicht.“ seinerzeitigen Popularität Luegers ist 4 | 2022 11
Aktuell „Lueger wurde vom sozialistischen Bürgermeister Karl Seitz sowie zahlreichen jüdischen, der Sozialdemokratie nahestehen- den Publizisten als bedeutender Modernisierer Wiens geschätzt.“ ein unkritisches Gedenken mit einer Intervention allein läuft Gefahr, die zumindest umzuschreiben. Politischer modernen Großstadt nicht mehr in Menschen abzustumpfen. Schämen Ikonoklasmus ist seit jeher auf Zerstö- Einklang zu bringen. Es reicht. müsste sich die Politik für feige und rung aus. Eine Beseitigung oder Ver- Ein konkreter nachhaltiger Akt halbe Lösungen. änderung des Lueger-Denkmals wäre wäre die Löschung der Bezeichnung Ich rege daher an, den Platz nach Kultur-Vandalismus. „Lueger-Platz“. einer Widerstandkämpferin zu be- Lueger, aus ärmlichen Verhältnis- Es geht dabei nicht um die Aus- nennen und damit symbolisch einen sen stammend, galt im dritten Bezirk, löschung eines Christlich-Sozialen Ort zu schaffen, der zum Nachdenken wo er seit 1876 seine Kanzlei hatte, als durch linken Gesinnungsterror, wie auffordert: Rosa Jochmann. In Kaiser- „Anwalt der kleinen Leute“. Hier war oft parteipolitisch polemisiert wird. Es ebersdorf hat sie eine Tafel am Stadt- der jüdische Arzt Dr. Ignaz Mandel als geht um die Suche nach Sinnstiftung rand. Sie gehört ins Herz der Stadt, „Armenmediziner“ ungemein beliebt. und Umfunktionierung dieses Platzes um Debatten über Diskriminierung, Mandel war auch Bezirkspolitiker und in einen Ort des Diskurses und der Ge- Rassismus, Antisemitismus und zeit- Luegers großes Vorbild. Zwischen den schichtsaufarbeitung. Bis jetzt war er gemäße Formen von moderner Erin- beiden bestand eine enge persönliche leider auch Treffpunkt für Rechtsex- nerungskultur im Stadtbild anzuregen. und politische Verbindung. Jahre spä- tremisten. ter, als Lueger bereits Parteiführer der Umbenennungen würden die Ge- Christlich-Sozialen war, wurde ihm schichte tilgen, wenn Unliebsame zu- seine Beziehung zu jüdischen Freun- gunsten von „Gutmenschen“ aus der den vorgeworfen. Seine Antwort ist be- Öffentlichkeit entfernt würden, sagen Zivilcourage gefordert kannt: „Wer ein Jud ist, das bestimme die Gegner, obwohl das Denk- und ich.“ Den präexistenten Antisemitis- VON FRITZ RUBIN-BITTMANN Mahnmal sowieso bleibt und keines- mus der Menschen nutzte er zur Errei- wegs „entehrt“, sondern „kontextuali- chung seiner politischen Ziele. siert“ wird. Der ewige Lueger-Disput Stefan Zweig hat in seiner Welt von In seiner Zeit als Bürgermeister von müsse damit beendet sein, sagt die Gestern Karl Lueger eines der schön- 1897 bis 1910 machte er Wien zu einer Stadträtin und möchte auch den Na- sten Denkmäler gesetzt – in voller der großen Metropolen Europas, reali- men des Platzes beibehalten. Warum? Kenntnis seiner politischen Ambiva- sierte zahlreiche kommunale Großpro- In Zeiten, in denen Verschwörungs- lenzen und Ambiguitäten: „Er konnte jekte, verwirklichte die zweite Wiener mythen, Rassismus und autokratische populär sprechen, war vehement und Hochquellenwasserleitung, kommu- Strukturen wieder im Aufwind sind, ist witzig, aber selbst in den heftigsten nalisierte Gas- und Elektrizitätsver- es wichtig, sich mit der ältesten Ver- Reden überschritt er nie den Anstand… sorgung und die Straßenbahnen. Er schwörungstheorie zu beschäftigen: und sein offizieller Antisemitismus war im sozialen Bereich engagiert und dem Antisemitismus. hat ihn nie gehindert, seinen frühe- lies das Versorgungsheim Lainz und Wir machen uns schuldig, wenn in ren jüdischen Freunden wohlgesinnt die Psychiatrie Steinhof bauen. unserer Stadt Menschen namentlich und gefällig zu bleiben. Als seine Be- Als Bürgermeister erwies er den geehrt werden, die gegen Juden oder wegung schließlich den Wiener Ge- Wiener Juden Respekt und Wertschät- andere gesellschaftliche Gruppen het- meinderat eroberte und er – nach Ver- zung. Unter seiner Regentschaft gab es zen. Dagegen heißt es Widerstand lei- weigerung der Sanktionierung durch keine Diskriminierung jüdischer Bür- sten. Widerstandskämpferinnen und Kaiser Franz Joseph, der die antise- ger. Lueger wurde vom damaligen so- -kämpfer sind natürlich ein unbeque- mitischen Tendenzen verabscheute zialistischen Bürgermeister Karl Seitz mes Ärgernis. Sie zeigen Handlungs- – zum Bürgermeister ernannt wurde, sowie zahlreichen jüdischen, der So- alternativen auf. Das darf es offenbar blieb seine Stadtverwaltung tadellos zialdemokratie nahestehenden Publi- nicht geben. Wenn alle ausnahmslos gerecht und sogar vorbildlich demo- zisten als bedeutender Bürgermeister schuldig sind, ist es keiner. Wir konn- kratisch; die Juden, die vor diesem und Modernisierer Wiens geschätzt. ten ja nicht anders. Triumph der antisemitischen Partei Er war ein typischer Repräsentant des Schuld kann von den Opfern verzie- gezittert hatten, lebten ebenso gleich- Munizipialsozialismus: „Dem kleinen hen werden. Viel wichtiger ist Scham, berechtigt und angesehen weiter. Mann muss geholfen werden.“ aus der Noch war nicht das Hassgift und der Mit dem Auftreten der Alldeutschen konkrete Verantwortung folgt. Wille zur gegenseitigen restlosen Ver- unter der Führung des Abgeordneten Für Denkmal- und Platzveränderung nichtung in den Blutkreislauf der Zeit Georg Ritter von Schönerer wurde braucht es politischen Mut, histori- gedrungen.“ Es wundert mich, dass die der Rassenantisemitismus zum Par- sches Bewusstsein und Fingerspit- Anhänger der Cancel Culture nicht teiprogramm erhoben. „Gegen Juda, zengefühl. Eine halbherzige Statuen- fordern, diese Passage zu löschen oder Habsburg und Rom bauen wir den 12 4 | 2022
Aktuell deutschen Dom“ war eine Parole von linken Auge ist man blind, mit dem stallation kosten, die an Hrdlickas Schönerer, eine andere richtete sich rechten Auge schaut man durch eine berühmtes Pferd erinnert. Fraglos ist gegen assimilierte und konvertierte Lupe. Also soll das Lueger-Denkmal sie besser als die kalligrafische Be- Juden: „Was der Jude glaubt, ist einer- als Symbol des Antisemitismus be- sprayung des Denkmalsockels mit lei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“ seitigt werden, nicht aber die Renner- dem Begriff „Schande“. 1891 zogen bereits dreizehn dekla- Büste am Ring. Dabei war Karl Renner Es ist leicht, sich 77 Jahre nach rierte Antisemiten als Abgeordnete im Gegensatz zu Lueger nicht aus op- Ende des Zweiten Weltkriegs als Wi- ins Parlament ein. Im österreichischen portunistischen Gründen Antisemit. derstandskämpfer gegen den Natio- Reichsrat und später im Parlament der Auch nach der Schoa hielt er im Parla- nalsozialismus zu positionieren, für Ersten Republik gab es wiederholt wü- ment antisemitische Reden, war ohne tote Juden Gedenkfeiern zu organi- ste Judendebatten, in denen sich Karl Mitleid für sechs Millionen ermordete sieren und dabei den gegenwärtigen Renner als ausgewiesener Judenfeind Juden und forderte überlebende jüdi- muslimischen Antisemitismus zu ba- hervortat. In rabiater und flegelhafter sche Sozialdemokraten auf, im Exil zu gatellisieren. Dieser ist ein Tabuthema. Weise beschimpfte er die Juden, so- bleiben, da man sie in Österreich nicht Aber es wäre wichtig, diesen neuen dass eine jüdische Zeitung monierte: brauchen könne. Antisemitismus mit jenen Energien zu „Anscheinend können Antisemitis- In diesem Sinne halte ich den Vor- bekämpfen, die gegen Lueger aufge- mus und Sozialismus Hand in Hand schlag des Historikers und überzeug- bracht und verschwendet werden. Die miteinander gehen.“ ten Sozialdemokraten Oliver Rathkolb, muslimischen Judenhasser kennen Renner war ein Opportunist par den Renner-Ring in Parlaments-Ring weder den Namen Lueger, noch wis- excellence. 1917 ätzte Friedrich Adler, umzubenennen, für eine ausgezeich- sen sie, wer dieser war. Blind für das Karl Renner sei der Lueger der Sozial- nete Idee. zu sein, was sich gegenwärtig abspielt, demokratie. Er verherrlichte die Politik Die Stadt Wien hat vor kurzem erinnert an die 1930er Jahre, als man der Nationalsozialisten, verehrte Hit- entschieden, das Lueger-Denkmal zu die politischen und gesellschaftlichen ler und betrieb Anschlusspropaganda belassen und künstlerisch zu kontex- Gefahren ebenfalls nicht rechtzeitig für Hitlerdeutschland. Er diente sich tualisieren. 2023 soll dieses Konzept erkannte. dem Nationalsozialismus wiederholt realisiert werden. In der Zwischenzeit Gegen den toten Lueger anzukämp- an und denunzierte Menschen. Doch wird eine Holzkonstruktion von bis zu fen, erfordert keinen Mut. Gegen die Renners und Luegers Antisemitismus elf Meter Höhe und 39 Meter Länge vor Judenfeinde der Gegenwart zu kämp- wird von Vertretern der Cancel Culture der Lueger-Statue aufgestellt. Etwa fen, erfordert hingegen Verantwor- mit zweierlei Maß gemessen: Auf dem 100.000 Euro soll diese temporäre In- tungsbewusstsein und Zivilcourage. © IRIS RANZINGER _ KÖR GMBH, 2022 Alle auffindbaren Lueger-assoziierten Ehren- und Denkmäler an einem Ort. 4 | 2022 13
Aktuell © IKG TIROL UND VORARLBERG Gedenkstätte am Waldfriedhof in Seefeld, von Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg 2016 eingeweiht. Im Westen viel Neues vor dem Krieg Sitz der IKG war, befand die fünfhundert Juden in der Tiroler Die Geschichte der Jüdin- sich auch der Betsaal, der in den No- Landeshauptstadt. Es gab eine Syn- nen und Juden in Tirol vemberpogromen 1938 verwüstet agoge; doch das jüdische Gemeinde- und Vorarlberg war wie in wurde. Das Haus selbst wurde wäh- leben endete mit dem Anschluss an rend des Krieges durch einen Bom- Hitler-Deutschland jäh. Während der Österreich üblich: geduldet, bentreffer komplett zerstört und erst Pogromnacht vom 9. auf den 10. No- verachtet, vertrieben und in den 1990er Jahren wieder aufgebaut. vember 1938 wurden die Räumlich- wieder angesiedelt. Doch Jetzt befinden sich dort die Synagoge, keiten in der Sillgasse verwüstet und ein Veranstaltungsraum und die Büro- Innsbrucker Juden ermordet. in den westlichen Bundes- räumlichkeiten der Gemeinde. Nach 1945 kehrten einige Juden ländern entwickelt sich ein Die Geschichte der Juden in Tirol wieder zurück, und 1952 wurde die neues jüdisches Selbst- und Vorarlberg ist wie in Österreich Kultusgemeinde Innsbruck für Tirol üblich: geduldet, verachtet, vertrieben und Vorarlberg neuerlich gegründet. bewusstsein. Ein Lokal- und wieder angesiedelt. Die ersten Es entwickelte sich ein neues Selbst- augenschein. Juden kamen im 13. Jahrhundert mit bewusstsein, vor allem ab den späten den Görzer Grafen in die Grafschaft 1980er Jahren unter der IKG-Langzeit- VON RENÉ WACHTEL Tirol. Um 1617 entstand eine jüdische präsidentin und nunmehrigen Ehren- Gemeinde in Hohenems in Vorarlberg, präsidentin Esther Fritsch. Gemein- In einem unscheinbaren Haus in die bald zum jüdischen Zentrum der sam mit Bischof Reinhold Stecher der Sillgasse mitten in Innsbrucks Region wurde. Doch im 19. Jahrhun- gründete sie 1989 das Tiroler Komitee Zentrum empfangen mich Günter dert wurde Innsbruck immer wich- für christlich-jüdische Zusammen- Lieder, seit 2016 Präsident der Israeli- tiger, und viele Juden zogen hierher. arbeit. Stecher veranlasste 1994 per tischen Kultusgemeinde für Tirol und Auch der Rabbiner Josef Link übersie- Dekret das Verbot des „Anderl-Kultes“, Vorarlberg, und Stefan Gritsch, Sekre- delte 1914 von Hohenems nach Inns- der seine Grundlage in einer seit dem tär der IKG. In dem Gebäude, das schon bruck. Zu dieser Zeit lebten schon an Mittelalter kursierenden Ritualmord- 14 4 | 2022
Aktuell © IKG TIROL UND VORARLBERG/FLORIAN LECHNER Mehrzwecksaal und Bibliothek im neuen Sind stets um alle Gemeindemitglieder bemüht: Präsident Günter Lieder und seine Gemeindezentrum der IKG. beiden Vizepräsidenten Emil Chamson (li.) und Yitzhak Feuerstein (re.) legende um das „Anderl von Rinn“ sonders stolz ist Präsident Lieder auf schieden. Sie verweigerte ihn mit dem hatte. Im März 1993 schließlich konnte die Chanukka-Ausstellung im Ferdi- Hinweis, ihr Großvater habe ihr bei- die Synagoge in der Sillgasse einge- nandeum sowie das kleine, aber feine gebracht, keinem Juden die Hand zu weiht werden. Jüdische Filmfestival in Innsbruck geben.“ im November. Es sei schön, wie die Doch je informierter eine Gesell- Menora im Zentrum Gemeindemitglieder die Veranstal- schaft ist, umso weniger Antisemi- Innsbruck zählt auch zu den weni- tungen annehmen; und zu den hohen tismus gibt es. Um auch nichtjüdi- gen mitteleuropäischen Städten, in de- Feiertagen ist die Synagoge immer schen Menschen jüdisches Leben nen an einem zentralen Platz eine Me- gut besucht. In den letzten Jahren vor nahezubringen, werden deshalb viele nora steht, um an die Schrecken der der Pandemie haben die Besuche vom Führungen sowie in Innsbruck und Schoa und an die Toten der Novem- österreichischen Oberrabbiner Paul Umgebung auch Vorträge an Schulen berpogrome zu erinnern. „Die IKG Tirol Chaim Eisenberg zu Rosch Haschana veranstaltet. Doch wie viele andere und Vorarlberg ist die flächenmäßig und Jom Kippur große Freude bereitet. Gemeinden kämpft auch die IKG in größte Kultusgemeinde in Österreich“, Zu Pessach wird immer in einem Hotel Innsbruck mit zu wenig Zuwanderung erläutert Präsident Lieder, „sie umfasst gemeinsam der Sederabend veranstal- – und zu den vielen Israelis, die in der das Gebiet von Osttirol bis zum Boden- tet, an dem bis zu hundert Gäste teil- Region leben, ist der Kontakt gering. see.“ Die rund hundert Mitglieder sind nehmen: „Das ist eine richtige große Auch Übertritte sind faktisch unmög- über das gesamte Gebiet verstreut, „sie Familie“, erzählt Lieder. „Da kommen lich. Als Beispiel führt Präsident Lieder leben in Lienz, Reutte, Wattens bis die Gemeindemitglieder aus der ge- eine Familie an, die aus beruflichen nach Hohenems, Bregenz, Feldkirch, samten Region.“ Andererseits geht Gründen in den Bregenzer Wald über- Dornbirn.“ Der Vorstand spiegelt dies man auch aus Innsbruck hinaus in die siedelt ist und um Übertritt angesucht wider, einige Mitglieder sind aus Ti- Gemeinde. So fand das Kerzenzünden hat. „Bei einem Termin mit dem da- rol, einige aus Vorarlberg, das mache zu Hanukka im vergangenen Jahr in maligen Oberrabbiner aus Wien, Arie ein klassisches Gemeindeleben wie in Hohenems statt; auch Purimumzüge Folger, wurde der Familie in dreißig Graz oder Wien unmöglich. Dennoch hat es schon in Hohenems gegeben. Sekunden die Unmöglichkeit eines bemühe man sich, stets für die Ge- Mit der IKG in Wien sei man in freund- Übertritts erklärt. Weil jüdisches Le- meindemitglieder da zu sein. Das Ver- schaftlichem Kontakt; besonders gut ben im Bregenzerwald nicht möglich hältnis zu den öffentlichen Stellen be- verstehe man sich mit Gemeinderab- sei, sollte sie nach Wien übersiedeln. zeichnet der Präsident als ausgezeich- biner Schlomo Hofmeister, der einmal Hier wurde der Wunsch, ein jüdisches net, „wir werden mit unseren Sorgen pro Monat nach Innsbruck kommt und Leben zu führen, wegen räumlicher nicht alleine gelassen.“ Das zeigt sich Schiurim veranstaltet. Argumente ignoriert.“ Allerdings erhält beispielsweise auch beim jüdischen die Gemeinde seit Inkrafttreten des Teil des Westfriedhofs in Innsbruck. Wenig Zuwanderung neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes Hier wird der Platz knapp, weshalb Antisemitismus sei kaum wahr- speziell aus Großbritannien vermehrt man sich mit der Stadt darauf geeinigt nehmbar, beantwortet IKG-Sekretär Anfragen von Schoa-Überlebenden hat, dass es auch am Pradlerfriedhof Stefan Gritsch meine diesbezügliche oder deren Nachkommen. Die IKG in mitten in Innsbruck einen jüdischen Frage. Eine Begebenheit nennt Prä- Innsbruck kann schnell behilflich sein, Teil geben wird. sident Lieder dann aber doch: „Nach denn sie hat die Matrikeldaten aus der einer Veranstaltung, in der ich über jü- Zeit vor dem Krieg. Vielleicht, so hofft Große Familie disches Leben erzählte, kam ein junge Günter Lieder, entschließen sich die In der Öffentlichkeit ist die jüdische Frau zu mir und fragte mich sehr ge- neuen Staatsbürger, Mitglied der IKG Gemeinde durch viele Veranstaltun- nau über jüdische Riten. Sie war sehr für Tirol und Vorarlberg zu werden gen, durch Kooperationen mit Museen interessiert. Am Ende wollte ich mich und in den schönen Westen des Lan- und anderen Institutionen präsent. Be- mit einem Handschlag bei ihr verab- des zu ziehen. 4 | 2022 15
Aktuell Voller Stolz in Blauweiß © AS-FOTO ALBERT STERN Mit Wünschen für die Zukunft: Maccabi Wien sieht sich als Nachfolger der legendären Hakoah. Während manche von uns Motor – des Vereins, forciert die in- stätte zu bekommen. Es gibt zwar tensive Nachwuchsarbeit: Insgesamt Absichtserklärungen der Stadt Wien gespannt die Fußball- spielen, betreut von einem engagier- für die Adaption eines Platzes beim Weltmeisterschaft in Katar ten Trainerteam, mehr als hundert Happel-Stadion als Restitution für verfolgt haben, die dieser Kinder und Jugendliche in insgesamt den ehemaligen Hakoah-Platz, jedoch zehn Nachwuchsmannschaften von wurde noch keine positive Entschei- Tage endet, interessieren U8 bis U18. Bedauerlicherweise hat der dung getroffen. sich die wahren Fans für Verein allerdings keinen eigenen Trai- den legendären jüdischen ningsplatz, weshalb man zwischen Neue Marketing-Ideen dem Sportplatz des SC Elite in Florids- Weil neben Enthusiasmus auch fi- Verein Maccabi Wien. dorf und den Trainingsplätzen hinter nanzielle Mittel nötig sind und sich die VON RENÉ WACHTEL dem Ernst-Happel-Stadion im Prater Suche nach Sponsoren erfahrungsge- pendeln muss. mäß nicht einfach gestaltet, hat Mar- gules neue Ideen für das Marketing Besser hätte es nicht laufen kön- Für alle zugänglich entwickelt: So findet einmal im Jahr nen. Nachdem die Maccabi-Kampf- Seit die jüngeren Jahrgänge (U8 bis im Metropol ein Sponsoringkonzert mannschaft in der vergangenen Sai- U12) im zweiten Bezirk trainieren kön- für Maccabi Wien statt. Das nächste son den Aufstieg in die zweite Wiener nen, spielen viele Kinder der nahen derartige Benefizkonzert wird im März Landesliga schaffte, rangiert man nun Zwi-Perez-Chajes-Schule mit. Das be- über die Bühne gehen. in der zweithöchsten Spielklasse in sondere Merkmal an Maccabi Wien ist Und nicht nur weil das österreichi- Wien im oberen Drittel der Tabelle. die Tatsache, dass die Mannschaft und sche Frauenteam der männlichen Na- Das ist das Ergebnis von langer, harter die Fußballsektion für alle zugänglich tionalmannschaft einiges vorgelegt Arbeit. Und das Verdienst von vielen sind: Um mitspielen zu können, muss hat, bleibt für Maccabi Wien ein wei- fleißigen Leuten, die sich dem Fußball man nicht IKG-Mitglied sein. Maccabi terer Zukunftswunsch: die Etablierung verschrieben haben. ist somit der einzige Verein in ganz von Frauen- und Mädchenfußball. Maccabi Wien sieht sich als der Österreich, in dem Vertreter aller Reli- Aber bis dorthin ist es wohl noch ein Nachfolger der legendären Hakoah gionen zusammenspielen. Und selbst- langer Weg. Wien, die 1925 sogar österreichischer verständlich sind alle Spieler merklich Fußballmeister wurde. Nach dem „An- stolz, als „Maccabäer“ einzulaufen. In schluss“ wurde der Verein aufgelöst, der U23-Mannschaft spielen viele Is- 1970 unter dem Namen Maccabi Wien raelis. wiederbelebt und 1995 in seiner heu- Freilich gibt es auch Wünsche. Seit tigen Form neu aufgebaut. Michael Jahren versucht Maccabi gemeinsam Margules, seit 2003 Präsident – und mit der IKG, endlich eine eigene Heim- 16 4 | 2022
Sie können auch lesen