Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt

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Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Oktober
                       2020

Kranz der
Landsmannschaft
der Deutschen
aus Russland am
Vertriebenenmahnmal
in Stuttgart-Bad
Cannstatt
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Aus dem Inhalt                                    Öffentlichkeitsausschuss der
2      Bericht des Öffentlichkeitsausschusses
                                                  Landsmannschaft der Deutschen aus Russland:
3
4
       Auf ein Wort
       Friedland: Zentrale Gedenkfeier der
                                                  Ein Rückblick

                                                  I
       LmDR in schweren Zeiten
                                                        n den letzten Monaten trafen sich
6      Stuttgart-Bad Cannstatt: Festakt zum
       Gedenken an die Opfer der Deportation            die Mitglieder des Öffentlichkeits-
7      Nürnberg: Kranzniederlegung am Denk-             ausschusses der Landsmannschaft
       mal Flucht und Vertreibung                 der Deutschen aus Russland wiederholt,
9      Stuttgart-Bad Cannstatt: Jubiläumsfeier    um sich über neue Lösungen und Instru-
       zu 70 Jahren Charta der deutschen Hei-     mente im Hinblick auf die Digitalisierung
       matvertriebenen                            der Verbandsarbeit, mögliche Plattfor-
10     Porträt Valentina Wudtke                   men für Treffen und Veranstaltungen, in-
11     Interview mit Albina Baumann und Va-       terne Kommunikation und Präsentation
       lentina Dederer                            nach außen auszutauschen. Dabei wur-
12     Julia Herb – alles Gute zum 75. Geburts-   den Fragen wie Imagepflege, Kommu-
       tag                                        nikationswege (intern und nach außen),
13     Ewald Oster – herzlichen Glückwunsch       Kontaktherstellung, Vernetzung und Di-
       zum 70. Geburtstag                         gitalisierung diskutiert.
14     NRW: Russlanddeutsche Kulturtage
                                                     Die Corona-Krise stellte die Orts- und
       2020
15     Baden-Württemberg
                                                  Landesgruppen der LmDR und vor allem
16     Bayern                                     ihre Projektleiterinnen und Projektleiter
18     Hamburg                                    sowie weitere aktive Mitglieder vor erhebli-
19     Hessen                                     che Herausforderungen. Dabei waren neue
20     Niedersachsen                              Wege und Mittel gefragt, um die Arbeit         Dietmar Schulmeister, Vorsitzender des
22     Nordrhein-Westfalen                        nicht komplett einschlafen zu lassen. Auch     Öffentlichkeitsausschusses der LmDR
22     Rheinland-Pfalz                            das stellte in den letzten Monaten einen der
23     Sachsen                                    wichtigsten Arbeitsschwerpunkte dar.           ses, stellvertretender Bundesvorsitzender
24     Schleswig-Holstein                            Zu den Aufgaben des Ausschusses ge-         und Vorsitzender der Landesgruppe Nord-
27     Amalia und Friedrich Dortmann – Hand       hört außerdem die Weiterbildung und Pro-       rhein-Westfalen der LmDR, und Michael
       in Hand durchs Leben                       fessionalisierung der Verbandsmitglieder       Müller, Referent des Projektes „Gemein-
28     Interview mit Roman Friedrich              in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Zielgrup-     sam. Demokratie. Gestalten“ der Konrad-
30     40 Jahre Deutsches Schauspieltheater Te-   pen waren insbesondere diejenigen, die als     Adenauer-Stiftung.
       mirtau/Almaty                              ProjektleiterInnen oder ReferentInnen in           An den Workshops nahmen Mitglieder
32     Lydia Deringer: „Das Leben ist ein Spiel   der Öffentlichkeitsarbeit der LmDR tätig       des Öffentlichkeitsausschusses, aktive Eh-
       (?)“                                       sind.                                          renamtliche, ProjektleiterInnen und die
33     Kronos‘ Kinder                                Aus diesem Grund organisierte der Öf-       Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit der
34     Interview mit Arthur Böpple                fentlichkeitsausschuss in Kooperation mit      einzelnen Landesgruppen der LmDR teil.
36     Nelly Kossko, „Du mein geliebter Russe‘“
                                                  der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Regi-      Sie konnten viele Impulse und Ideen für
37     Georg Lauer: „Jeder Tag bringt genug In-
       spiration zum Schreiben.“
                                                  onalforum NRW, mehrere Weiterbildungs-         ihre eigene Arbeit und in den Projekten ge-
39     Dr. Viktor Krieger: Die neue Kolonis-      maßnahmen. Darunter waren das Semi-            winnen. Die Rückmeldungen der Teilneh-
       tenkorporation in Dorpat / Verzeichnis     nar „Erfolgreiches Verbandsmanagement          menden zu den einzelnen Veranstaltungen,
       der deutschen Siedler-Kolonisten an der    im digitalen Zeitalter“ mit dem Kommu-         ihren Themen und Inhalten, fielen sehr po-
       Universität Dorpat                         nikations- und Strategieberater Dr. Justus     sitiv aus.
41     Neuerscheinung des HFDR                    Bobke sowie das vierteilige Seminar „Pro-          Für einige Teilnehmenden waren die
42     Ilona Walger: Liolindchen und ihre mu-     fessionelle Verbandskommunikation“.            Webinare eine neue Erfahrung und ein
       tige Tat                                      Die Seminarreihe begann am 6. Mai mit       spannendes Format zum Lernen und zum
44     Viktor Pretzer: Ostsee – Brücke der        einer Veranstaltung zum Thema „Das Me-         Austausch. Die Inhalte wurden als sehr in-
       Freundschaft und des Friedens              diensystem zwischen Krise und Wandel“.         formativ, verständlich und kompakt ver-
46     Lesungen mit Carsten Gansel                Am 13. Mai stand das Thema „Kommuni-           mittelt empfunden. Die Teilnehmenden
47     Katharina Martin-Virolainen: Der           kative Herausforderungen in Social Media“      schätzten insbesondere die gute Struktur
       Schlüssel zur Vergangenheit                auf dem Programm. In der darauffolgen-         der Vorträge und dass die Referenten sich
48     Glückwünsche                               den Woche beschäftigten sich die Teilneh-      die Zeit nahmen, auf alle Fragen einzuge-
50     Theaterprojekt „Leben jenseits des Hori-
                                                  menden des Seminars mit der Frage „Wie         hen. Als gelungene Ergänzung empfand
       zonts“
51     Braunschweig: Zeitzeugen erzählen
                                                  verfasse ich einen guten Online-Beitrag?“.     man das nachträglich zugeschickte Mate-
52     Den Toten gewidmet                         Abgeschlossen wurde die Seminarreihe am        rial inkl. Linksammlungen.
54     Beitrittserklärung / MBE-Stellen           26. Mai mit dem Schwerpunktthema „So-              Auf der Grundlage der erworbenen
55     Bücherangebot der LmDR                     cial Media Management im politischen           Kenntnisse fand in den nachfolgenden
56     Gemeinsam.Demokratie.Gestalten – ein       Umfeld“.                                       Monaten immer wieder ein Austausch
       Projekt der Konrad-Adenauer-Stiftung          Die einzelnen Workshops wurden von          zwischen den Mitgliedern des Öffentlich-
                                                  der freien Journalistin Charleen Florijn,      keitsausschusses sowie den aktiven Ehren-
               Bitte beachten Sie:                die unter anderem für das „Handelsblatt“       amtlichen und den ProjektleiterInnen zur
             Redaktionsschluss für                und den WDR arbeitet, geleitet. Moderiert      Professionalisierung der digitalen Arbeit
         die November-Ausgabe 2020                und begleitet wurden die einzelnen Ver-        bei der LmDR statt.
           ist der 17. Oktober 2020.              anstaltungen von Dietmar Schulmeister,                         Der Öffentlichkeitsausschuss
                                                  Vorsitzender des Öffentlichkeitsausschus-                                         der LmDR

2     VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Auf ein Wort                                   schen aus Russland bis zum heutigen Tag
                                               als unser „Grundgesetz“. Insbesondere gilt
                                               das für den „Verzicht auf Rache und Vergel-
Liebe Landsleute,                              tung“, der für uns eine Selbstverständlich-
liebe Mitglieder der Landsmannschaft           keit darstellt.
der Deutschen aus Russland,                                         ***
                                                  Für selbstverständlich halten wir auch
   wie schon in den vergangenen Jahren         die Pflege der russlanddeutschen Kultur -
und Jahrzehnten gedachte die Landsmann-        hier in der Bundesrepublik, aber auch in
schaft der Deutschen aus Russland auch         den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
2020 im August und September mit Veran-        Die Zusammenarbeit mit dem Museum
staltungen auf Bundes-, Länder- und Orts­      für russlanddeutsche Kulturgeschichte in
ebene der Verfolgung der Russlanddeut-         Detmold und dem Bayerischen Kulturzen-
schen, für die der Erlass des Präsidiums des   trum der Deutschen aus Russland in Nürn-
Obersten Sow­jets der Sowjetunion vom 28.      berg gehört ebenso dazu wie die Pflege und
August 1941 „Über die Übersiedlung der         Ausweitung unserer grenzüberschreitenden
Deutschen, die in den Wolgarayons woh-         Maßnahmen.
nen“ als markantestes Datum steht.                Im Übrigen wird ein nicht unerhebli-
   Ich spreche auch an dieser Stelle allen     cher Teil des Ende November 2020 erschei-
unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-         nenden Heimatbuchs der LmDR der Kultur
tern meinen herzlichen Dank aus, dass sie      der Deutschen aus Russland in der Sowjet-        Johann Thießen
in Zeiten von Corona für würdige Veran-        union gewidmet sein.
staltungen gesorgt haben.                                           ***                                              ***
   Dass wir uns in diesem Zusammenhang            Abschließend wiederhole ich eine Bitte           Die Herausforderungen und Verände-
entschieden gegen eine Vereinnahmung           an Sie:                                          rungen, die die Corona-Krise mit sich ge-
des wichtigsten Datums der russlanddeut-          Anlässlich ihres 70-jährigen Gründungs-       bracht hat, sind enorm. Maßgeblich durch
schen Geschichte durch rechtsradikale          jubiläum plant die Landsmannschaft der           die ehrenamtliche Arbeit, Hilfe und un-
Kräfte, wie in diesem Jahr ausgerechnet        Deutschen aus Russland die Herausgabe            ermüdliche Unterstützung ihrer Mitglie-
am 28. August im Grenzdurchgangslager          einer Festschrift.                               der konnte die Landsmannschaft diese Zeit
Friedland geschehen, verwahren, betonen           Zu den Inhalten sollen kurzgefasste Bei-      auf eine bewundernswerte Art meistern
wir in dieser Ausgabe ausdrücklich.            träge verdienter Mitglieder zu ihrer Moti-       und geht aus der Krise sogar gestärkt her-
                     ***                       vation, in der LmDR mitzuwirken, bzw. zur        vor. Vieles war in dieser Zeit nicht einfach,
   Über die zahlreichen Gedenkveranstal-       Entwicklung ihrer Mitgliedschaft gehören.        Konzepte mussten überdacht werden, Ver-
tungen berichten wir ebenso wie über die          Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn            anstaltungen verschoben und neue Wege
Jubiläumsfeier in Stuttgart-Bad Cannstatt      Sie uns entsprechende Beiträge (mit Port-        gegangen werden. Wir danken von Herzen
zu 70 Jahren Charta der deutschen Hei-         rätbild) unter den bekannten Adressen (per       für diese herausragende Leistung!
matvertriebenen, zu deren Mitunterzeich-       Post: Landsmannschaft der Deutschen aus
nern unser Verband gehörte. Die in der         Russland, Raitelsbergstraße 49, 70188 Stutt-       Bleiben Sie stark und gesund!
Charta formulierten Maximen betrachten         gart; per E-Mail: Kontakt@LmDR.de) bis                                  Ihr Johann Thießen,
auch wir als Landsmannschaft der Deut-         zum 25. Oktober 2020 übermitteln würden.                     Bundesvorsitzender der LmDR

Presseerklärung der LmDR zum Schicksalstag der Deutschen aus Russland (gekürzt)

Z
       wei Monate nach Beginn des              vielmehr alle Deutschen in der Sowjetunion,      mannschaft der Deutschen aus Russland,
       deutsch-sowjetischen Krieges am         ganz gleich ob sie an der Wolga, am Dnjepr       Johann Thießen, zur geschichtlichen und
       22. Juni 1941 veröffentlichte das       oder am Don, am Schwarzen Meer, auf der          aktuellen Bedeutung der tragischen Ereig-
Präsidium des Obersten Sowjets der Sow­        Krim oder im Kaukasus, in Wolhynien, in          nisse aus:
jetunion am 28. August 1941 den Erlass         den Städten oder in Streusiedlungen wohn-           „Wir verkennen nicht, dass der von
„Über die Übersiedlung der Deutschen,          ten. Es gab damals Dutzende weiterer Er-         Deutschland verursachte Krieg Auslöser
die in den Wolgarayons wohnen“.                lasse und Befehle, Verfügungen und Anord-        dieser Katastrophe war. Ebenso wie die
   In diesem Erlass wurden die Deutschen       nungen, die deren Deportation mit penibler       Bundesrepublik Deutschland stehen auch
in der Wolgarepublik ohne jeden Grund          Genauigkeit regelten.                            wir zur Verantwortung für die dadurch ver-
beschuldigt, Feinde des Sowjetvolkes und          Und sie erlitten dieses Schicksal nur aus     ursachten Kriegsfolgen.
der Sowjetmacht, Saboteure und Spione in       dem einen und einzigen Grund, weil sie              Wir betonen aber auch, dass die Russ-
ihrer Mitte zu verstecken. Diese, so der Er-   Deutsche waren. Unabhängig davon, wo sie         landdeutschen zu keiner Zeit eine Bedro-
lass, würden auf Befehl aus Deutschland        wohnten, ob sie gläubig waren oder nicht,        hung für die Sowjetunion darstellten und
Anschläge vorbereiten.                         unabhängig davon, ob sie einfache Bauern         ohne jede Schuld zu Opfern wurden.
   Was dann 1941 geschah, mussten Hun-         oder hochgebildete Wissenschaftler waren,           Bereits vor knapp zehn Jahren haben wir
derttausende unserer Landsleute am eige-       und auch unabhängig davon, was sie von den       einen Appell an den Präsidenten Russlands
nen Leib verspüren: Deportation, Zwangs-       mehr als fragwürdigen Errungenschaften des       gerichtet, die Russlanddeutschen so viele
arbeit unter unmenschlichen Bedingungen,       Kommunismus hielten. Es wurde nicht ge-          Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges
mörderische Kälte, Hunger und Tod.             fragt, was einer tatsächlich dachte oder getan   auch faktisch zu rehabilitieren, ihre un-
   Keine Rede konnte davon sein, dass von      hatte, dass er Deutscher war, genügte, um ihn    schuldigen Opfer mit Worten des Bedau-
den Maßnahmen des Erlasses nur die Wol-        Tod und Verderben auszusetzen.                   erns und des Mitgefühls zu würdigen. Eine
gadeutschen betroffen waren, die darin na-        Bei der Gedenkfeier des Jahres 2018           Antwort, egal von welcher Regierungse-
mentlich genannt wurden. Zu leiden hatten      führte der Bundesvorsitzende der Lands-          bene, ist bis heute ausgeblieben.“

                                                                                                    VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020 3
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Grenzdurchgangslager Friedland:
Zentrale Gedenkfeier der LmDR in schweren Zeiten
Landsmannschaft setzt Zeichen gegen rechts

Boris Pistorius

T
         rotz erheblicher Einschränkun-
         gen im Zeichen der Corona-Pan-
         demie veranstaltete die Lands-
mannschaft der Deutschen aus Russland
unter Federführung der Landesgruppe
Niedersachsen (Vorsitzende: Lilli Bi-
schoff) auch in diesem Jahr im Grenz-
durchgangslager Friedland ihre zent-
rale Veranstaltung zum Gedenken an die
Opfer des stalinistischen Terrors in der
Sowjetunion der 30er und 40er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts. Das Motto
lautete „Zukunft braucht Vergangenheit“.
   Auf eine Gedenkveranstaltung wie in den
vergangenen Jahren mit bis zu 300 Teilneh-
mern mussten die Organisatoren in diesem          Das traditionelle Bild vor der Friedlandglocke – mit beschränkter Personenzahl in Zeiten der
Jahr verzichten, trotzdem schaffte es Lilli Bi-   Corona-Pandemie.
schoff mit ihrem Team, am 5. September
2020 eine dem Anlass angemessene Feier
auf die Beine zu stellen.                         zu bewältigen haben, zu sagen. Ich möchte       staltung beigetragen hatten, und allen Teil-
   Unter den Ehrengästen waren erneut der         Ihnen auf diesem Wege gerade als Schirm-        nehmern, die auch unter erschwerten Be-
stellvertretende Vorsitzende der CDU-Frak-        herr meine besondere Wertschätzung aus-         dingungen den Weg nach Friedland nicht
tion im Niedersächsischen Landtag, Uwe            drücken und unseren Zusammenhalt in             scheuten.
Schünemann, und der Bürgermeister der             Niedersachsen nachdrücklich bekräftigen.           Zur Bedeutung der Gedenkveranstal-
Gemeinde Friedland, Andreas Friedrichs,              Die Geschehnisse in Folge des Zweiten        tung führte sie aus und nahm dabei mit
die sich mit Ansprachen an die Teilnehmer         Weltkriegs sind Teil unserer gemeinsamen        deutlichen Worten gegen Vereinnahmungs-
wandten.                                          Geschichte und Gedanken ... Das ist für         versuche der russlanddeutschen Geschichte
                                                  unser Land ebenso wichtig wie für die be-       durch rechte Splittergruppen, die in skan-
Eine Erinnerung,                                  troffenen Menschen selbst. Erst das Geden-      dalöser Weise das Grenzdurchgangslager
                                                  ken, erst die Auseinandersetzung schaffen       Friedland für eine eigene Propagandaver-
die nicht verlorengehen darf                      ein geschichtlich kritisches Bewusstsein.       anstaltung am 28. August 2020 missbraucht
Der niedersächsische Minister für Inneres         Erinnerung ist ein Teil unseres gesellschaft-   hatten:
und Sport, Boris Pistorius (SPD), der die         lichen Wertkompasses Gedenken. Ein Teil            „So schmerzvoll die Erinnerung an un-
Schirmherrschaft übernommen hatte, hatte          des Kompasses, den wir brauchen, um die         sere Vergangenheit auch ist, hilft sie uns
eine Videobotschaft übermittelt, in der er        Zukunft unseres Landes verantwortungs-          doch, den rechten Weg in der Gegenwart
unter anderem betonte:                            voll zu gestalten.“                             und Zukunft zu finden. Als selber in der
   „Aus unseren vielen Begegnungen weiß                                                           ehemaligen Sowjetunion Unterdrückte und
ich, dass die Erinnerung an das in der ehe-       Zeichen gegen rechts                            Deportierte wenden wir uns heute etwa
maligen Sowjetunion geschehene Unrecht                                                            gegen jegliche Diskriminierung von Flücht-
nicht verloren gehen darf. Es ist sehr wichtig,   Lilli Bischoff bedankte sich in ihrer Begrü-    lingen und anderen Minderheiten. Ich zi-
Ihnen das auch noch einmal unter den be-          ßungsrede bei allen, die mit ihrem Einsatz      tiere dazu aus einer unserer Stellungnah-
sonderen Bedingungen, die wir alle gerade         zum Zustandekommen der Gedenkveran-             men der letzten Zeit:

4     VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Vor dem Mahnmal auf dem Friedlandberg. Links neben dem Kranz Uwe Schünemann, rechts daneben Svetlana Paschenko, Johann Thießen und
Lilli Bischoff.

   ‚Die Deutschen aus Russland mussten        Vorredner bereits berichtet haben, hat uns        der Demokratie haben, und sind bereit, sie
über Jahrzehnte in der Sowjetunion erfah-     jedoch dazu bewogen, uns hier im kleine-          gegen jeden zu verteidigen, der sie unter-
ren, was es bedeutet, allein aufgrund der     ren Rahmen vor dem Friedland-Mahnmal              gräbt!“
Volkszugehörigkeit diskriminiert und ge-      zu treffen, um zu zeigen, wer die Deutschen          Zum Ausmaß der Verfolgungen der
hasst zu werden.                              aus Russland wirklich sind und was sie den-       Deutschen in der Sowjetunion Stalins be-
   Wer mit eben diesem Hass Menschen          ken und fühlen.                                   tonte der Bundesvorsitzende:
begegnet, die ihre Heimatländer wegen            Wir können – offen gestanden! – nur               „Insgesamt wurden zwischen Juni 1941
der dort herrschenden lebensbedrohlichen      schwer verstehen, weshalb Organisationen,         und März 1942 nicht weniger als 24 Be-
Umstände verlassen mussten, hat mit dem       die schon in der Vergangenheit immer wie-         fehle, Erlasse, Beschlüsse und Verordnun-
energischen Widerstand der Landsmann-         der durch volksverhetzende, menschenver-          gen erlassen, mit denen die Deportation
schaft der Deutschen aus Russland zu rech-    achtende und antisemitische Äußerungen            der Deutschen in der Sowjetunion geregelt
nen.‘                                         aufgefallen waren, diese Plattform gegeben        wurde.
   Umso empörter waren wir darüber, dass      wurde.                                               Sie zeigen, in welchem Umfang und mit
Vertreter einer rechtsradikalen russland-        Und das im Zusammenhang mit dem                welch systematischer Genauigkeit die De-
deutschen Splittergruppe hier an gleicher     Gedenktag der Deutschen aus Russland,             portation der Deutschen in der Sowjet-
Stelle vor einer Woche unter dem Deck-        die am eigenen Leib erleben mussten, was          union geplant und durchgeführt wurde.
mantel einer Gedenkfeier Werbung für ihre     es bedeutet, wenn die Demokratie ausgehe-            Letztendlich wurde keiner verschont
menschenverachtenden Thesen machten.          belt wird und Diktatoren das Sagen haben.“        und kein Gebiet ausgelassen.“
   Wir distanzieren uns davon mit aller          Weiter führte Thießen aus:
Entschiedenheit und hoffen, dass sich der        „Keiner, der die Entwicklungen der letz-       Der Rahmen
Schaden, den sie der gesamten russland-       ten Jahre und Jahrzehnte vorurteilsfrei ver-
deutschen Volksgruppe zufügen, in Gren-       folgt hat, kann bestreiten, dass sich die Deut-   Die Totenehrung vor dem Mahnmal sprach
zen hält.                                     schen aus Russland mit ihrer ausgeprägten         der langjährige Vorsitzende der Ortsgruppe
   Wir Deutschen aus Russland sind froh,      Integrationsbereitschaft zu einem Gewinn          Wolfsburg der LmDR, Helmut Kieß.
in der Demokratie angekommen zu sein,         für die Bundesrepublik entwickelt haben.             Den musikalischen Rahmen gestaltete
und lehnen jeden ab, der ihr Schaden zu-         Gerade deshalb wünschen wir uns, dass          der Wolfsburger Chor der Deutschen aus
fügen möchte!“                                in den Medien nicht nur dann über sie be-         Russland unter der Leitung von Emanuel
   In gleicher Weise äußerte sich auch der    richtet wird, wenn etwas vermeintlich Ne-         Kaufmann, der auch als Solist mit „In Erin-
Bundesvorsitzende der LmDR, Johann            gatives geschehen ist.                            nerung an die Deportation des deutschen
Thießen:                                         Natürlich war die eingangs erwähnte            Volkes“ von Valentina Kukharuk auftrat.
   „Ursprünglich sollte die Gedenkfeier       Aktion der Rechtsradikalen hier in Fried-            Abgeschlossen wurde das Gedenken tra-
wegen der anhaltenden Corona-Pandemie         land verabscheuungswürdig – aber es war           ditionsgemäß mit dem gemeinsamen Ge-
auf unbestimmte Zeit verschoben werden.       nur eine ganz kleine Minderheit, die sich         sang des Deutschlandliedes und des Liedes
   Der nach unserer Auffassung skandalöse     hier produzierte.                                 der Deutschen aus Russland, „Großer Gott
Auftritt einer rechtsradikalen Gruppierung,      Wir, die große Mehrheit der Deutschen          wir loben dich“.
über den Frau Bischoff und meine anderen      aus Russland, wissen sehr wohl, was wir an                      VadW; Bilder: Jakob Krämer

                                                                                                    VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020 5
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Stuttgart-Bad Cannstatt:
Festakt zum Gedenken
an die Opfer der Deportation

                                                                                           Festredner Ernst Strohmaier, Vorsitzender
                                                                                           der Landesgruppe Baden-Württemberg der
                                                                                           LmDR.

                                                                                           tung des 20. Septembers für die deutsche
                                                                                           Geschichte hin:
                                                                                              „Heute vor 75 Jahren wurde durch den
                                                                                           Alliierten-Kontrollrat die NSDAP ver-
                                                                                           boten. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 1
                                                                                           wurde das NS-Recht aufgehoben. Das war
                                                                                           der erste Schritt in die Freiheit für die den
                                                                                           Krieg überlebenden und in Trümmern le-
                                                                                           benden Deutschen.
                                                                                              Ganz anders ging es den Menschen, die
                                                                                           im Osten Deutschlands lebten oder in Ost-
                                                                                           europa zuhause waren. Für sie war der Krieg
                                                                                           nicht zu Ende. Die Folgen des Krieges er-
                                                                                           schwerten verstärkt das Leben der Schle-
                                                                                           sier, Sudetendeutschen, Ostpreußen, Dob-
                                                                                           rudschadeutschen und Karpatendeutschen.
                                                                                           Vertrieben aus ihrem Lebensraum, muss-
                                                                                           ten sie auf Todeswegen durch Elend und
                                                                                           Hunger für sich und ihre Kinder im Westen
                                                                                           Restdeutschlands ein neues Zuhause zwi-
                                                                                           schen den auf Trümmern sitzenden Einhei-
                                                                                           mischen suchen.
                                                                                              Nach unterschiedlichen Schätzungen sol-
                                                                                           len in den Wirren zwischen 1944 und 1947
                                                                                           etwa 400.000 bis zwei Millionen Flüchtlinge
                                                                                           ums Leben gekommen sein.
                                                                                              In den Norden Russlands und nach Si-
                                                                                           birien wurden viele Bessarabiendeutschen,
                                                                                           Banater Schwaben und Siebenbürger Sach-
                                                                                           sen verschleppt, um als Wiedergutmachung
                                                                                           in sowjetischen Zwangsarbeitslagern zu ar-
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Mahnmal für die Charta der deut-   beiten. Erst einige Jahre später kamen sie in
schen Heimatvertriebenen in Stuttgart-Bad Cannstatt.                                       ihre Heimatorte zurück.

D
                                                                                              Die menschenfeindliche NSDAP war
          ie Landesgruppe Baden-Würt-           Die Eröffnung des Festaktes übernahm       verboten, aber nicht das Sowjetregime Sta-
          temberg der LmDR war in die-       der langjährige Kulturreferent der Landes-    lins. Aufgehetzt gegen alles, was deutsch
          sem Jahr zuständig für die Orga-   gruppe Baden-Württemberg des BdV, Al-         war oder einen deutschen Namen trug,
nisation der Kranzniederlegung vor dem       bert Reich. Das Grußwort der Stadt sprach     bekamen nun die erzürnten und erbosten
Vertriebenenmahnmal im Kurpark von           Beate Dietrich, die Festrede hielt der Vor-   Menschen der Sowjetunion einen gehass-
Stuttgart-Bad Cannstatt, die am 20. Sep-     sitzende der Landesgruppe Baden-Würt-         ten Feind zum Greifen nah: Die Russland-
tember stattfand. Die Kranzniederlegung      temberg der Landsmannschaft der Deut-         deutschen wurden aus Deutschland nach
ist die zentrale Maßnahme um „Tag der        schen aus Russland, Ernst Strohmaier. Er      Russland ‚repatriiert‘. Hier warteten auf sie
Heimat“ in Baden-Württemberg.                wies nicht zuletzt auf die besondere Bedeu-   Zwangsarbeitslager und Sondersiedlungen.

6     VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

Der Stuttgarter Chor unter der Leitung von Galina Schulz sang das traditionelle Lied der Deutschen aus Russland, „Großer Gott wir loben dich“.

   Mit der Zerschlagung von Nazi-Deutsch-              Im Kampf ums Überleben gab es für sie       zu überleben. Hinzu kam der Glaube, dass
land war der Krieg für 2 Millionen Deut-           nur noch ein Gefühl, das stärker war – die      Gott ihnen helfen werde. Deswegen spre-
sche in der Sowjetunion noch lange nicht           Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und      chen die Deutschen aus Russland auch stets
zu Ende. Konrad-Adenauer nannte sie ‚ver-          Gleichberechtigung.                             Gott Lob und Dank aus. Und das ist der
gessene Deutsche‘. Es waren Menschen, die              In der Presse findet man oft die gut-       Grund, wieso das Kirchenlied ‚Großer Gott
das Kriegsfolgeschicksal mit voller Härte          gemeinte Formulierung: Die Deutschen            wir loben dich‘ zu ihrem Traditionslied bei
getroffen hatte.                                   aus Russland kommen zurück in die Hei-          allen Festakten geworden ist.“
   75 Jahre sind eine kurze Zeit, wenn man         mat ihrer Ahnen. Das stimmt. Aber es               In diesem Zusammenhang danke ich
– wie die UdSSR im II. Weltkrieg – den Tod         stimmt auch, dass diese deutsche Volks-         herzlich dem Stuttgarter Chor der Deut-
von über 20 Mio. Bürger zu beklagen hat.           gruppe seit 75 Jahren nach Heimat sucht.        schen aus Russland unter der Leitung von
Für die Rache an den Verbrechen von Na-            Für die Deutschen aus Russland ist die          Galina Schulz, der nach den Worten Stroh-
zi-Deutschland wurden einfache Menschen            Heimat nichts Abstraktes. Heimat für sie        maiers „Großer Gott wir loben dich“ an-
– Männer, Frauen, Kinder, Alte, Schwache,          ist die tiefe Sehnsucht nach Freiheit. Es ist   stimmte. Die zahlreichen Teilnehmer der
Kranke, Menschen, die im zivilen Leben             der Wunsch, als Gleiche unter Gleichen zu       Gedenkveranstaltung sangen voller In­
Bauern oder Handwerker waren – genom-              leben.                                          brunst mit.
men, wenn sie einen deutschen Namen tru-               In den schlimmsten Jahren des Hungers        Viktor Neubauer, stellvertretender Vorsitzender
gen. Deutsche hatten keine Rechte mehr in          und der Not, in Kerkern und Lagern träum-                der Landesgruppe Baden-Württemberg
der Sowjetunion. Dem Kriegsfolgenschick-           ten die Deutschen in der Sowjetunion von                                                der LmDR
sal sind sie bis in die heutige Zeit ausgesetzt.   Freiheit. Dieses Gefühl gab ihnen die Kraft                                  Bilder: Ilja Fedoseev

Horst Göbbel: „Ich verneige mich vor diesen Menschen.“
Kranzniederlegung am Zentralen Denkmal Flucht und Vertreibung in Nürnberg

A
         nlässlich des 79. Jahrestages der
         Deportation der Deutschen in
         der Sowjetunion luden die Lm-
DR(Kreisgruppe Nürnberg) und das Bay-
erische Kulturzentrum der Deutschen aus
Russland unter strengsten Corona-Aufla-
gen zur Kranzniederlegung am 28. Au-
gust 2020 am Zentralen Denkmal für
Flucht und Vertreibung in Nürnberg ein.
   Im Beisein von Karl Freller, 1. Vizepräsi-
dent des Bayerischen Landtags, CSU-Stadt-
rätin Helmine Buchsbaum (in Vertretung
des Nürnberger Oberbürgermeisters Mar-
cus König, der die Schirmherrschaft über-
nommen hatte) sowie Vertretern von SPD
und Grünen gedachten die Veranstalter der
Opfer der Deportationen in der Sowjetunion.        Vor dem Denkmal in Nürnberg.

                                                                                                       VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020 7
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Die Landsmannschaft

   „Der Vertreibungserlass vom 28. August                                                        Zur Kranzniederlegung, die von Rudi
1941 ist nur einer von vielen Meilensteinen                                                   Walter und Ewald Oster vorgenommen
der Leidensgeschichte der Russlanddeut-                                                       wurde, spielte der russlanddeutsche Musiker
schen, die die bittere Erfahrung machen                                                       Walter Schatschneider „Ich hatt’ einen Ka-
mussten, was es bedeutet, eine Schicksals-                                                    meraden“ auf der Trompete. Mit klassischen
gemeinschaft zu sein, die schuldlos schuldig                                                  Musikstücken von Peter Tschaikows­ki, Lud-
gesprochen wurde“, fasste Dorothea Walter,                                                    wig van Beethoven, Edvard Grieg und ande-
Kulturreferentin der Kreisgruppe Nürnberg                                                     ren sorgte er auch für die gesamte musikali-
und Moderatorin der Gedenkveranstaltung,                                                      sche Umrahmung der Gedenkfeier.
in ihrer Begrüßungs zusammen.                                                                    Die Gedenkveranstaltung wurde in den
   „Das Ereignis, an das wir heute erinnern,                                                  Räumen des BKDR fortgesetzt, wo die
hat nichts von seinem Schrecken, hat nichts                                                   Gäste unter anderem einen Vortrag von Dr.
von seiner mahnenden Botschaft verloren.                                                      Viktor Krieger zum Thema „Der Deporta-
Der verleumderischen Erlass des Präsidiums                                                    tionserlass vom 28. August 1941: Seine Be-
des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28.                                                        deutung für das Selbstverständnis und die
August 1941 markiert einen tiefen und bis                                                     Erinnerungskultur der russlanddeutschen
in die Gegenwart nachwirkenden Einschnitt                                                     Bundesbürger“ verfolgten, der die histo-
in der russlanddeutschen Geschichte“, be-                                                     rische Dimension der Tragödie der Russ-
tonte Rudi Walter, stellvertretender Vorsit-                                                  landdeutschen durchleuchtete.
zender der Landesgruppe Bayern der LmDR                                                          Krieger betonte in seinem Vortrag unter
und des BKDR sowie Vorsitzender der Orts-                                                     anderem: „Sowohl in Russland als auch in
gruppe Nürnberg. Das Denkmal „Flucht           Kranz zum Gedenken an die Opfer des stali-     Deutschland gibt es – abgesehen von we-
und Vertreibung“, das der Freistaat Bayern     nistischen Gewaltregimes.                      nigen, zeitlich begrenzten Förderprojekten
in den 1990er Jahren in Nürnberg errichten                                                    – keine dauerhaft finanzierten staatlichen
ließ, sei Mahnung und Gedenken, Nach-             Diese Aussage von Viktor Krieger habe       Institutionen der Geschichts- und Erin-
denken und Versöhnung, Verzeihung und          ihn seit Jahren tief beeindruckt. Sie veran-   nerungskultur wie etwa Museen, Archive,
Frieden zugleich. Die Stadt Nürnberg stehe     schauliche treffend, wie „die damals ge-       Bibliotheken, Informations- und Doku-
hinter den Landsmannschaften, hinter den       schundene deutsche Minderheit von der          mentationszentren, Gedenkstätten und
Deutschen aus Russland und den Erinne-         verbrecherischen Führung der damaligen         Forschungsinstitute, die sich schwerpunkt-
rungsveranstaltungen, um zu mahnen und         Sowjetunion in die unendliche Tiefe ihres      mäßig mit den russlanddeutschen histori-
Frieden zu stiften, so die Stadträtin.         Verderbens blicken musste. Jedoch – und        schen Erfahrungen oder ihrem kulturellen
   Auch Werner Henning, BdV-Kreisvor-          auch darum stehen wir heute hier und ge-       Erbe befassen.
sitzender und CSU-Stadtrat, betonte in sei-    denken – trotz totaler Rechtlosigkeit, Ver-       Auch solche Ausdrucksformen der Er-
nem Grußwort insbesondere das Unrecht,         folgung, Schutzhaft, Zwangsarbeit, gesell-     innerungskultur wie Mahnmale, nationale
das den Deutschen in der Sowjetunion wi-       schaftlicher Ausgrenzung und tausendfacher     Gedenktage und -feste, Fernseh- und Ki-
derfahren sei.                                 Opfer ließ sie sich nicht unterkriegen. Ich    nofilme, Briefmarken oder Straßennahmen
   Horst Göbbel, Vorsitzender des Hauses       verneige mich vor diesen Menschen.“            fehlen praktisch komplett.
der Heimat Nürnberg, wünschte in seiner           Der Festredner Ewald Oster, Vorsitzen-         Ihre mannigfaltigen Diktaturerfahrun-
Ansprache allen Deutschen aus Russland         der der Landesgruppe Bayern der LmDR           gen – übrigens die längsten im vereinten
weiterhin ein starkes Zusammengehörig-         und Vorstandsvorsitzender des Trägerver-       Deutschland – werden im Schulunterreich
keitsbewusstsein. „Wenn es um das Zu-          eins des BKDR, ging auf die wichtigsten        und in der politischen Bildung kaum be-
sammengehörigkeitsbewusstsein            der   Entwicklungen der russlanddeutschen Ge-        rücksichtigt. Die Bilder der russlanddeut-
Deutschen aus Russland geht, spielen ver-      schichte seit dem Überfall Nazi-Deutsch-       schen Vergangenheit bleiben deshalb bis
schiedene Faktoren eine eminente Rolle.        lands auf die Sowjetunion und dem folgen-      heute diffus und werden in öffentlichen
Natürlich geht es bei den Deutschen aus        schweren Erlass vom 28. August 1941 ein.       Diskursen kaum wahrgenommen, obwohl
Russland um ihre Sprache, natürlich geht es    „Es war der Beginn einer Verfolgung, einer     allein in Deutschland nicht weniger als 2,5
bei den Deutschen aus Russland um ihren        Demütigung und des grausamen Terrors           Millionen Bundesbürger mit russlanddeut-
Glauben, um ihre Traditionen“, so Göbbel.      gegenüber den Deutschen in der UdSSR.          schem Hintergrund leben.
   In diesem Zusammenhang rief er die          Die Wolgarepublik wurde aufgelöst und             Die fehlende öffentlichkeitswirksame
Worte des russlanddeutschen Historikers        die deutsche Bevölkerung wurde unrecht-        Anerkennung ihrer eigenständigen Erin-
Dr. Viktor Krieger in Erinnerung: „Nicht al-   mäßig des Verrats und der Kollaboration        nerungskultur, oft verbunden mit empa-
lein die Sprache oder der Glauben, nicht die   mit Nazi-Deutschland beschuldigt. Die          thielosen und einseitigen Berichten in den
Herkunft oder die kulturellen Überlieferun-    Vorwürfe der Kollaboration mit dem Feind       Massenmedien, behindert ihr vollständiges
gen, sondern in erster Linie die kollektiven   entbehrten jeder Grundlage“, betonte Oster.    Heimischwerden und macht einige davon
Erfahrungen der gesellschaftlichen Ächtung        Die Totenehrung für die Opfer der           für russische Propaganda und Geschichts-
und alltäglichen Anfeindungen, der Ernied-     Kriege und Vertreibungen verlasen Do-          politik anfällig. Die Betroffenen erwarten
rigung und Entrechtung, der Einweisung in      rothea Walter und Stanislav Bugar, Mit-        zurecht, dass ihre historischen Erfahrungen
Zwangsarbeitslager und das Leben als Son-      arbeiter des BKDR. Zu den emotionalen          und Erlebnisse – nun Teil auch der deut-
dersiedler unter Kommandanturaufsicht          Höhepunkten der Gedenkfeier gehörten           schen Geschichte geworden – eine gebüh-
schufen letztendlich ein übergreifendes Ge-    Dorothea Walters Rezitationen von Rein-        rende Berücksichtigung in gesellschaftlichen
meinsamkeitsgefühl und prägen bis heute        hold Franks „Bettelkind aus Sibirien, 1942“    Diskursen und in der gesamtdeutschen Er-
das nationale und historische Bewusstsein      und Viktor Schnittkes „Die Vergangenheit       innerungslandschaft finden würden.“
der russlanddeutschen Minderheit.“             ragt über der Zukunft wie eine Orgel“.                                               VadW

8     VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Zum Gedenken

Pressemitteilung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.

70 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen
Jubiläumsfeier in Stuttgart-Bad Cannstatt

Teilnehmer der Gedenkfeier.                                                             Das Blumengebinde der LmDR.

V
        or der Gedenktafel für die deut-    Neuen Schlosses die Charta der deut-
        schen Heimatvertriebenen in         schen Heimatvertriebenen öffentlich ver-
        Stuttgart-Bad Cannstatt wurde       kündet. Aus ihrer leidvollen Erfahrung
am 5. August 2020 an den 70. Jahres-        sollen künftigen Generationen ein geein-
tag der Unterzeichnung der Charta der       tes Europa, weltweite Verständigung und
deutschen Heimatvertriebenen erin-          ein international anerkanntes Menschen-
nert.                                       und Heimatrecht erwachsen.“
   Unter den Teilnehmern der Gedenk-           Zu den Unterzeichnern der Charta
feier, deren Anzahl aufgrund der Co-        gehörte 1950 auch der erste Bundes-
ronakrise begrenzt werden musste,           vorsitzende der Landsmannschaft der
waren unter anderem der Beauftragte         Deutschen aus Russland, Dr. Gottlieb
der Bundesregierung für Aussiedlerfra-      Leibbrandt (1908-1989).                     Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft
gen und nationale Minderheiten, Prof.          Als Mitunterzeichner orientierten sich   der Deutschen aus Russland, Johann Thießen
Dr. Bernd Fabritius, der Parlamenta-        bereits die Gründer der Landsmann-          (rechts), mit dem Vorsitzenden der Landes-
rische Staatssekretär beim Bundesmi-        schaft der Deutschen aus Russland, die      gruppe Hessen des BdV, Siegbert Ortmann.
nister des Innern, für Bau und Heimat,      gleichfalls 1950 in Stuttgart gegründet
Stephan Mayer, die baden-württember-        wurde, an den Maximen der Charta, in
gische Ministerin für Kultur, Jugend        der von „Verzicht auf Rache und Vergel-     rechtigkeit“ und die „Wahrnehmung der
und Sport, Dr. Susanne Eisenmann, der       tung“ ebenso die Rede ist wie von „glei-    sozialen und wirtschaftlichen Belange“.
Vorsitzende der Landesgruppe Bayern         chem Recht als Staatsbürger, nicht nur         Ebenso wie die Verbände der deut-
des Bundes der Vertriebenen (BdV),          vor dem Gesetz, sondern auch in der         schen Heimatvertriebenen betrach-
Christian Knauer, der Vorsitzende der       Wirklichkeit des Alltags“ und von „sinn-    tet die Landsmannschaft der Deutschen
Landesgruppe Hessen des BdV, Siegbert       vollem Einbau aller Berufsgruppen der       aus Russland die Charta seither als ihr
Ortmann, die Vorsitzende der Landes-        Heimatvertriebenen in das Leben des         „Grundgesetz“.
gruppe Baden-Württemberg der Union          deutschen Volkes“.                             Bernd Fabritius würdigte die Bedeu-
der Vertriebenen und Flüchtlinge, Iris         Ganz in diesem Sinne formulierten die    tung der Charta als Gründungsdoku-
Ripsam, und der Bundesvorsitzende der       Vertreter der „Arbeitsgemeinschaft der      ment der Bundesrepublik, die in diesem
Landsmannschaft der Deutschen aus           Ostumsiedler“, wie die Landsmannschaft      Jahr auch durch die von Bundesinnen-
Russland, Johann Thießen.                   der Deutschen aus Russland in den ers-      minister Horst Seehofer angeordnete Be-
   Unter der Überschrift „Verständigung     ten fünf Jahren ihres Bestehens genannt     flaggung der obersten Bundesbehörden
statt Vertreibung – Versöhnung statt Ver-   wurde, im Vereinsorgan „Volk auf dem        zum Ausdruck komme.
geltung“ ist auf der Tafel zu lesen: „Im    Weg“ als Ziele ihrer Arbeit neben der          Bundestagspräsident Dr. Wolfgang
Angesicht der Verheerungen von Krieg,       „Pflege der heimatlichen Kultur und der     Schäuble betonte in einer Videobotschaft
Flucht und Vertreibung wurde von den        Verbundenheit der Landsleute“ unter an-     insbesondere die Weitsicht der Charta
Heimatvertriebenen und Flüchtlingen         derem die „Geltendmachung des Rechts        und den darin formulierten Verzicht auf
am 06. August 1950 vor den Ruinen des       auf Heimat, Menschenwürde und Ge-           Rache und Vergeltung.

                                                                                            VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020 9
Kranz der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am Vertriebenenmahnmal in Stuttgart-Bad Cannstatt
Frauenbilder: Gestern, heute, morgen.

Valentina Wudtke –
Unversiegbare Energiequelle einer russlanddeutschen Powerfrau

                                                                                                   Valentina Wudtke

Valentina Wudtke mit der Bayerischen Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Ca-        der Vergangenheit bei vielen Aktionen und
rolina Trautner (links), und Sylvia Stierstorfer (rechts), Beauftragte der Bayerischen Staatsre-   Veranstaltungen mitgewirkt, war eine der
gierung für Aussiedler und Vertriebene, bei der Feier zum Tag der Heimat 2020 im Augsburger        tragenden Säulen der Orts- und Landes-
Rathaus.                                                                                           gruppenarbeit.

W
                                                                                                       Als Vorsitzende der Orts- und Kreis-
             er Valentina Wudtke kennt               1994 siedelte Valentina mit ihrer Familie     gruppe Regensburg nutzt sie mittlerweile
             und sie schon einmal in Ak-          nach Deutschland um. Sie fand einen Job,         ihr Amt zu einer stärkeren Vernetzung, leis-
             tion erlebt hat, denkt sich          arbeitete sich schnell ein und war bald so-      tet viel für die Entwicklung der Ortsgruppe,
zweifelsohne: Ihr Tag muss doch 50 Stun-          wohl beim Team als auch bei den Vorge-           erweitert die Kooperationen zwischen der
den haben! Denn wie sonst schafft es diese        setzten für ihren Fleiß und ihre Leistung        LmDR und den Strukturen der Stadt. Da-
Powerfrau aus Regensburg (Bayern), so             anerkannt und angesehen. Sie zeigte sich         rüber hinaus trägt sie zur Akzeptanz der
viele Aufgaben gleichzeitig zu meistern?          stets engagiert und scheute sich nicht, ei-      Deutschen aus Russland in der Stadt bei,
In erster Linie ist Valentina Wudtke eine         gene Ideen und Verbesserungsvorschläge           organisiert mit ihrem Team sämtliche In-
liebevolle Mutter und Oma, die ihrer Fa-          einzubringen.                                    formations- und Aufklärungsveranstaltun-
milie trotz all ihrer Aktivitäten viel Zeit          Als alleinerziehende Mutter von zwei          gen und setzt sich darüber hinaus für die
und Aufmerksamkeit widmet. Sie ist die            Kindern musste Valentina im Alltag viel          Förderung und Vermittlung der russland-
Vorsitzende der Orts- und Kreisgruppe             bewältigen. Und trotz aller Hürden schaffte      deutschen Kultur mithilfe von Konzerten,
Regensburg und Vorstandsmitglied der              sie es, alles zu meistern und ihren Kindern      Theateraufführungen, Lesungen und Be-
Landesgruppe Bayern der LmDR. Neben               vieles zu ermöglichen. Mittlerweile hat sie      gegnungen ein.
ihrer Tätigkeit bei der Landsmannschaft           drei Enkelinnen, mit denen sie sehr gern             Valentina ist „multifunktional“ – das
ist sie seit Jahren in der Seniorenarbeit         ihre Zeit verbringt. Ihre Tochter und ihren      sagen nicht nur ihre Familienmitglie-
engagiert.                                        Sohn hat sie bei der Betreuung der Kinder        der, sondern auch ihre Freunde und Kol-
   Valentina Wudtke ist ein Phänomen,             immer nach Kräften unterstützt. Für ihre         legen aus ihrem Umfeld. Wenn es darauf
denn ihre Energie scheint unerschöpf-             Mutter haben Viktoria und Michael nur die        ankommt, kann man sich zu 100 Prozent
lich zu sein. Mit ihrem aufgeschlossenen          wärmsten Worte der Dankbarkeit und Be-           auf sie verlassen. Sie ist immer da, hilft und
Wesen, ihrem einzigartigen Humor und              geisterung. Zu ihren Enkelinnen hat Valen-       packt mit an. Sie lässt alles stehen und lie-
ihrer unübertroffenen Schlagfertigkeit            tina eine sehr enge Bindung und blüht in         gen, versetzt Berge und gibt alles, wenn es
bringt sie stets gute Laune in die Runde und      ihrer Oma-Rolle voll auf.                        darum geht, Menschen in Not zu helfen.
motiviert andere, sich aktiv in das Gesche-          Valentinas Leben zog sich durch viele         Gleichbehandlung und Gleichberechtigung
hen einzubringen.                                 Stationen: Sie lebte in Kasachstan und in        werden bei ihr ganz großgeschrieben.
   Geboren ist Valentina im Gebiet Kus­           Russland; nach der Übersiedlung nach                 Neben der aktiven Arbeit mit Menschen
tanaj (heute Qostanai) in Kasachstan. Die         Deutschland lebte sie in Niederbayern und        legte Valentina immer großen Wert auf die
Familie zog bald nach Tscheljabinsk, um           in Rheinland-Pfalz. Nach der gesundheits-        Weiterentwicklung und Weiterbildung in
den vier Kindern mehr Perspektiven bieten         bedingten Verrentung zog sie nach Re-            den Bereichen, in denen sie tätig ist. Sie er-
zu können. Valentina zeichnete sich schon         gensburg und hat dort mittlerweile ihren         weiterte stets ihr Wissen, absolvierte Schu-
immer durch Zielstrebigkeit und Kampf-            Lebensmittelpunkt und ihre Heimat gefun-         lungen, besuchte Seminare, erlangte dabei
geist aus. Als sie bereits ihre beiden Kin-       den.                                             neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Sie en-
der Viktoria und Michael hatte, schlug sie           Als Valentina nach Regensburg kam,            gagierte sich bei der Diakonie und in der
einen zweiten Bildungsweg an und absol-           entdeckte sie das Ehrenamt für sich. Im          Bahnhofsmission und ist heute als ehren-
vierte eine Offiziersschule. Sie erlangte den     Jahr 2013 lernte sie die Arbeit der Lands-       amtliche und rechtliche Betreuungskraft in
Offiziersgrad und arbeitete daraufhin jah-        mannschaft der Deutschen aus Russland            der Seniorenarbeit tätig.
relang als Leiterin einer Berufsfeuerwehr.        kennen und wurde kurz daraufhin Mit-                 Für Senioren engagiert sich Valentina
Eine starke Aufgabe für eine starke Frau!         glied. Seitdem ist sie aktiv dabei. Sie hat in   mit Herz und Seele. Sie kennt die Prob-

10     VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020
Frauenbilder: Gestern, heute, morgen.

leme und Herausforderungen, mit denen          manche Situationen sind schwer und stel-          Für ihr großes Herz, ihren starken Wil-
die Menschen im Alltag zu kämpfen haben.       len eine Herausforderung dar. Doch trotz       len, für ihren unermüdlichen Einsatz für
Aber auch die Vorurteile und Benachteili-      allem macht sie immer weiter, denn ihre        unsere Landsleute, sowie das großartige
gungen, die sie erfahren. Mit ihrem uner-      Arbeit gibt ihr das Gefühl einer Erfüllung;    Bild einer engagierten Deutschen aus Russ-
müdlichen Einsatz versucht sie die Lage der    daraus schöpft Valentina ihre Kraft. Und       land, das sie nach außen vermittelt, bedan-
Menschen zu verbessern. Sie steht nicht nur    aus den Ergebnissen ihrer Arbeit schöpft sie   ken wir uns im Namen des Vorstandes und
mit einem aufmunternden Wort, sondern          neuen Mut, neue Hoffnung und die Motiva-       der gesamten Orts- und Kreisgruppe Re-
auch mit wertvollem Rat und nicht selten       tion zum Weitermachen. Sie engagiert sich      gensburg sowie des Vorstandes der Lan-
auch mit Tat zur Seite.                        nicht, um jemandem etwas zu beweisen,          desgruppe Bayern der Landsmannschaft
   Bei ihrer Arbeit steht für Valentina der    sondern um etwas zu bewirken. Das macht        der Deutschen aus Russland.
Mensch mit seiner Geschichte im Mittel-        sie zu einer unversiegbaren Quelle des bei-                      Katharina Martin-Virolainen
punkt. Viele Fälle berühren sie emotional,     spielhaften Engagements.

„Frauen stärken, fördern und ermutigen“
Im Gespräch mit der Frauenbeauftragten der LmDR, Albina Baumann, und der Vorsitzenden des LmDR-Ausschusses
für Soziales, Familie und Frauen, Valentina Dederer

S
      eit 2019 ist Albina Baumann als
      Frauenbeauftragte der LmDR tätig.
      Das Arbeitsfeld ist vielfältig, aber
auch mit vielen Herausforderungen ver-
bunden. Als eine der wichtigsten Aufga-
ben nennt Albina Baumann den Aufbau
eines Netzwerkes innerhalb der Lands-
mannschaft sowie eine starke Vernetzung
mit den örtlichen Strukturen. Gemein-
sam mit ihrer Kollegin Valentina Dede-
rer, Bundesvorstandsmitglied und Vor-
sitzende des Ausschusses für Soziales,
Familie und Frauen, erarbeitet sie Instru-
mente und Strategien, um Frauen inner-
halb der LmDR und in der russlanddeut-
schen Community stärken zu können.

   Die Fragen des nachstehenden Inter-
views stellte Katharina Martin-Virolainen.
                                               Albina Baumann                                 Valentina Dederer
Wenn wir über Stärkung und Förderung
von Frauen sprechen: Wo besteht aus Ihrer      Wie erreicht man diese Frauen und wie          gen. Bei uns muss vieles noch aufgebaut
Sicht noch Bedarf?                             kann die Landsmannschaft da unterstüt-         und nachgeholt werden. Damit wir diese
   Albina: Innerhalb der Landsmannschaft       zend mitwirken?                                Vernetzung nicht nur regional, sondern
sind unsere Frauen sehr aktiv: Sie engagie-       Albina: Das betone ich immer wieder:        auch bundesweit schaffen. Damit wir nicht
ren sich ehrenamtlich in den Orts- und         Wir brauchen eine bessere und stärkere         nur helfen, sondern auch mitreden, mitbe-
Landesgruppen, in den Vorständen, gestal-      Vernetzung, sowohl innerhalb der Lands-        stimmen und mitgestalten können.
ten die Angebote, beteiligen sich an Planun-   mannschaft als auch mit den vorhandenen           Valentina: Netzwerk ist ein wichtiger
gen und Durchführungen von Aktionen            örtlichen Strukturen.                          Stichpunkt. Das ist das Fundament, auf dem
und Veranstaltungen. Sie sind die tragende        Um Bedarfe erkennen und auf sie reagie-     wir unsere Frauenarbeit aufbauen möchten.
Säule unserer landsmannschaftlichen Ar-        ren zu können, brauchen wir die Informati-     Es wird bereits viel geleistet, aber wir müs-
beit und leisten einen enormen Beitrag zur     onen der einzelnen Orts- und Landesgrup-       sen an einem Strang ziehen. Ein Thema ist
Weiterentwicklung unseres Verbandes.           pen. Welche Themen sind gerade aktuell?        unumstritten die Sichtbarkeit der Frauen
   Doch leider ist diese Arbeit nicht immer    Welche Probleme und Herausforderungen          im ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen
sichtbar. Mir fehlt die Würdigung der ein-     gibt es? Welche Unterstützung können wir       Engagement, wie Albina bereits erwähnt
zelnen Frauen und Anerkennung ihrer            bieten?                                        hat. Da sind wir auf einem guten Weg, weil
Leistung. Wir sprechen noch viel zu wenig         Um handeln zu können, sind wir auf          unsere Frauen sich immer stärker präsen-
darüber. Ich wünsche mir, dass das ehren-      Rückkopplung angewiesen. Wir brauchen          tieren. Diese Entwicklung müssen wir un-
amtliche und bürgerschaftliche Engage-         den Kontakt zu den einzelnen Gliederun-        terstützen und fördern.
ment der Frauen sichtbarer wird. Nicht nur     gen der Landsmannschaft. Diese könn-              Doch es gibt auch andere Themen und
sichtbarer, sondern auch, dass es entspre-     ten als Ansprechpartner und Bindeglied         Probleme, die sich zum Beispiel auf der pri-
chend anerkannt und gewürdigt wird.            zwischen unseren Frauen, mir als Frau-         vat-persönlichen Ebene abspielen. Da brau-
   Eine weitere wichtige Aufgabe ist zum       enbeauftragten sowie den Institutionen,        chen unsere Frauen ebenfalls Unterstützung
Beispiel die Unterstützung der Frauen in       Gleichstellungsbeauftragten und Behörden       und Hilfestellung. Wenn wir als Beispiel
schwierigen Lebenssituationen, bei der         fungieren.                                     das Thema der häuslichen Gewalt nehmen:
Anerkennung von Bildungs- und Berufs-             Unsere Netzwerke und Kooperationen          Meistens sind Frauen davon betroffen. Wie
abschlüssen sowie bei ihrer Gleichstellung     müssen noch reifen. Andere Organisatio-        können wir als Landsmannschaft da helfen?
im Berufsleben.                                nen verfügen bereits über diese Grundla-       Es gibt bereits viele Angebote – öffentliche
                                                                                                         Fortsetzung auf der nächster Seite >>>

                                                                                                 VOLK AUF DEM WEG Nr. 10/2020 11
Frauenbilder: Gestern, heute, morgen.

Beratungsstellen, Frauenhäuser und Hilfs-          Es wäre sehr wertvoll, zu wissen, wo wel-
vereine -, aber die Frage ist: Wie kommen          che Strukturen bereits vorhanden sind. Wir          Mit dem Codewort „Maske 19“
die Frauen an diese Informationen?                 müssen die Informationen bündeln und zur
                                                                                                       können Frauen, die häusliche
                                                   Verfügung stellen.
Wie sehen Sie da die Rolle der Lands-                  Dabei spielt auch das Ehrenamt eine             Gewalt erfahren, in Apotheken
mannschaft?                                        große Rolle. Frauen können Frauen helfen.           unauffällig um Hilfe bitten.
   Valentina: In erster Linie beratend und         Wir müssen sie mehr in die Prozesse einbin-
begleitend. Wir müssen die Informatio-             den. Man kann persönliche und berufliche            08000 160 016 – Hilfetelefon
nen zusammentragen und den Frauen den              Erfahrungen nutzen, um eine bessere Unter-          „Gewalt gegen Frauen“ in 17
Zugang dazu erleichtern und gewährleis-            stützung und Koordinierung zu erreichen.            Sprachen, unter anderem auch
ten. Die Kooperation mit öffentlichen Stel-            Valentina: Ich möchte hinzufügen, dass
len ist sehr wichtig. Natürlich können wir         wir viele russlanddeutsche Frauen haben,            Russisch.
nicht jede Frau an die Hand nehmen und             die im Bereich Soziales tätig sind. Sie kön-
sie in diesem Prozess begleiten – dafür feh-       nen ihre wertvollen Erfahrungen mit uns
len uns auch oft die Ressourcen. Aber wir          teilen und in so manchen Fragen beratend             Bei Fragen oder Anliegen stehe ich als
können sie an die entsprechenden Stellen           zur Seite stehen. Wir müssen alle Kanäle          Frauenbeauftragte gern zur Verfügung. Ich
vermitteln. Oft ist es ja auch ein sprachli-       und alle Mittel dazu nutzen, um Frauen zu         möchte die einzelnen Gliederungen, die an
ches Problem, das die Frauen daran hin-            stärken, ihnen neue Perspektiven aufzuzei-        einer Entwicklung und Stärkung der Frau-
dert, sich Hilfe zu suchen.                        gen und zu eröffnen.                              enarbeit interessiert sind, dazu aufrufen,
   Viele wissen nicht, dass es Codewörter              Albina: Auch bei der Landsmannschaft          Kontakt mit mir aufzunehmen. Über eine
gibt, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit     haben wir viele Frauen, die auf dieser Ebene      enge Zusammenarbeit und den Ausbau
Hilfe holen und auf ihr Problem aufmerk-           bereits in unseren Orts- und Landesgrup-          eines Netzwerkes freue ich mich sehr und
sam machen können. Es gibt Unterstüt-              pen aktiv sind und als positives Beispiel         bin sehr dankbar für die Kontaktaufnahme.
zung in mehreren Sprachen, Hotlines, Be-           dienen. Etwa Valentina Wudtke aus Re-             Nur gemeinsam können wir die Frauenar-
ratungsstellen, Unterkünfte und so weiter.         gensburg. Sie ist eine starke und engagierte      beit in unserem Verband stärken.
   All das müssen wir für die Frauen zu-           Frau, sie ist aktiv und hilft vielen Frauen in
gänglich und greifbar machen, damit sie            schwierigen Lebenssituationen.                    Kontakt:
ohne großen Aufwand und ohne Hürden                    Vorbilder wie sie müssen wir sichtbar         Frauenbeauftragte – Albina Baumann:
an diese Informationen kommen.                     machen. Dadurch motivieren wir die einen          a.baumann@lmdr.de Vorsitzende des
   Albina: Da wären wir wieder beim                Frauen, sich zu engagieren, und gleichzei-        Ausschusses für Soziales, Familie und
Netzwerk. Wir brauchen die Zusammen-               tig geben wir anderen Frauen den Mut, sich        Frauen – Valentina Dederer:
arbeit mit den Orts- und Landesgruppen.            Hilfe zu suchen.                                  v.dederer@lmdr.de

Julia Herb – alles Gute zum 75. Geburtstag!
75 Jahre zu werden, ist schon etwas Beson-         unserer Geschäftsstelle in der Dresdner Jo-
deres. Dieses besondere Jubiläum beging            hannstadt, vieles erledigt sie auch von zu-
am 2. September 2020 die Vorsitzende der           hause aus. So organisiert sie die Chorpro-
Ortsgruppe Dresden, Julia Herb.                    ben und Auftritte des Chores „Silberklang“
   Seit knapp 26 Jahren lebt Julia Herb in         (in dem sie selbst mit großer Begeiste-
Deutschland. Sie kam mit ihren drei Kin-           rung singt), kümmert sich um die Volley-
dern, zwei Töchtern und einem Sohn, aus            ball-Mannschaft, agiert selbst in der Frauen-
Estland zuerst in die Landesaufnahmestelle         gruppe, organisiert Begegnungstreffen und
Bärenstein, Sachsen, und dann Anfang 1995          kulturelle Veranstaltungen der LmDR in
nach Dresden.                                      Dresden, berät neu angekommene und län-
   In Deutschland angekommen, legte Julia          ger in Deutschland lebende Spätaussied-
großen Wert auf das Erlernen der deutschen         lerInnen und deren Angehörige und hilft
Sprache und wollte sich schnell integrieren.       regelmäßig beim Dolmetschen in der Migra-
In Estland hatte sie viele Jahre als Laborlei-     tionsberatung für Erwachsene.
terin gearbeitet; nach dem Sprachkurs und              Dabei arbeitet sie eng mit der Landes-        Julia Herb
einer Anpassungsqualifizierung als Labo-           gruppe Sachsen der LmDR und ihrem Vor-
rantin fand sie leider auf diesem Gebiet keine     sitzenden Florian Braun, dem Kreisverband         schen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich
Stelle. Trotz allem arbeitete Julia in verschie-   Dresden des Vertriebenenverbandes, ande-          eine Urkunde für ihr ehrenamtliches En-
denen Bereichen bis weit ins Rentenalter hi-       ren Vereinen und Organisationen in Dres-          gagement entgegennehmen durfte.
nein, um nicht von Sozialleistungen abhän-         den und der Migrationsberaterin der LmDR,             Aus Anlass ihres 75. Geburtstages gratu-
gig zu sein.                                       Birgit Matthes, zusammen.                         lieren wir Julia Herb ganz herzlich und wün-
   Gleichzeitig suchte Julia Kontakt zu ihren          Obwohl Julia Herb ein Familienmensch          schen ihr weiterhin alles Gute, vor allem
Landsleuten und kam so zur LmDR. Von               ist, bleibt so für die Familie oft wenig Zeit.    Gesundheit und noch viel Kraft und Lei-
Anfang an half sie bei der Integration von         Aber Julia ist stolz auf ihre Kinder, denn sie    denschaft für ihre ehrenamtlichen Tätigkei-
Spätaussiedlern und ihren Familienangehö-          sind in Deutschland angekommen, haben             ten. Und wir sagen „Dankeschön“ für all ihre
rigen, denn sie wusste aus eigener Erfahrung,      Arbeit und Familien.                              Aktivitäten und dafür, dass sie die gute Seele
wie schwer der Neuanfang in Deutschland ist.           Auch Julia selbst ist schon lange ange-       der Ortsgruppe Dresden der LmDR ist, ohne
   Als langjährige Vorsitzende der Orts-           kommen im Land ihrer Vorfahren. Beson-            die vieles einfach nicht funktionieren würde.
gruppe Dresden erfüllt Julia Herb ihr Eh-          ders stolz ist sie, dass sie 2014 zur „Dresdne-                      Florian Braun, Vorsitzender
renamt mit Leidenschaft und großem En-             rin des Jahres“ gewählt wurde und im Jahr                             der Landesgruppe Sachsen,
gagement. Mehrmals in der Woche ist sie in         darauf aus der Hand des damaligen Sächsi-                    Birgit Matthes, Migrationsberaterin

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