Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
Zeitschrift der            Hessen
                                        für Erziehung, Bildung, Forschung

                                       75. Jahr     Heft 5          Mai 2022
                                                             zum Inhaltsverzeichnis
Foto: Fridays for Future Deutschland

                                            TITELTHEMA:
                                            Wir gegen den Klimawandel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
IN DIESER HLZ                                                                                                                                          HLZ 5/2022            2

                                                                                                                                 Zeitschrift der GEW Hessen
                     DGB-Aufruf zum 1. Mai: Frieden für die Menschen in der Ukraine                                              für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                                 ISSN 0935-0489
                    „Durch den brutalen völkerrechtswidri-       die HLZ nicht das Forum sein kann, diese
                    gen Angriffskrieg auf die Ukraine ster-      unterschiedlichen Positionen zu begrün-        I    M       P      R      E      S     S      U      M
                    ben jeden Tag Menschen. Millionen Men-       den und zu kommunizieren. Auch aktu-
                    schen sind auf der Flucht. Dieser Krieg      elle Nachrichten lassen sich in einer Zeit-    Herausgeber:
                    ist auch ein Angriff auf die europäische     schrift, die vier Wochen vor dem Eingang       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                                                Landesverband Hessen
                    Friedensordnung, die auf Freiheit, Men-      bei den Leserinnen und Lesern fertigge-        Zimmerweg 12
                    schenrechten, Selbstbestimmung und Ge-       stellt wird, nicht übermitteln. Über den       60325 Frankfurt/Main
                    rechtigkeit basiert.“                        Krieg informieren die Medien in all ih-        Telefon (0 69) 971 2930
                    Die Forderung nach „Solidarität, Frieden     rer Vielfalt tagesaktuell und die digitalen    Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                                                                                E-Mail: info@gew-hessen.de
                    und Selbstbestimmung für die Ukraine“        Foren bieten die Möglichkeit, zu streiten,     Homepage: www.gew-hessen.de
                    im DGB-Aufruf zum 1. Mai und die Über-       Meinungen auszutauschen und für sie zu
                    zeugung „Nie wieder Krieg – Die Waffen       werben. Die HLZ wird den Krieg gegen           Verantwortlicher Redakteur:
                                                                                                                Harald Freiling
                    nieder! Weltweit!“ einen die Mitglieder      die Ukraine weiter weitgehend „ausblen-        Klingenberger Str. 13
                    des DGB und seiner Einzelgewerkschaf-        den“ müssen, obwohl er viele Nachrich-         60599 Frankfurt am Main
                    ten. Dasselbe gilt für den Aufruf des DGB    ten aus unserem gewerkschaftlichen und         Telefon (0 69) 636269
                    zum Ostermarsch 2022 und die Warnung         beruflichen Spektrum als „bedeutungs-          E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                    vor einem „neuen weltweiten Rüstungs-        los“ erscheinen lässt. Das Schwerpunkt-        Mitarbeit:
                    wettlauf“ und einer weiteren „Aufsto-        thema „Klimawandel“ dieser HLZ gehört          Christoph Baumann (Bildung), Simone Claar (Hoch-
                                                                                                                schule), Stefan Edelmann (Bildung), Andrea Gergen
                    ckung der Arsenale an Massenvernich-         mit Sicherheit nicht dazu.                     (Aus- und Fortbildung), Michael Köditz (Sozialpäd-
                    tungswaffen“.                                         Harald Freiling, HLZ-Redakteur        agogik), Annette Loycke (Recht), Dana Lüddemann
                         Dass es unter den fast sechs Millio-                                                   (Gewerkschaftliche Bildung), René Scheppler (Digitali-
                    nen Mitgliedern der DGB-Gewerkschaf-                                                        sierung), Andreas Werther (Sozialpädagogische Berufe),
                                                                       Gewerkschaften helfen                    Peter Zeichner (Mitbestimmung)
                    ten im Rahmen dieser Grundüberzeu-
                    gungen sehr unterschiedliche Meinungen       Der DGB und seine Mitgliedsgewerk-             Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                    gibt, wie der Krieg beendet werden kann,     schaften rufen zu Spenden auf, damit           Titelthema:
                    ob die Lieferung von Waffen oder ein ra-     den vor Krieg und politischer Repressi-        Dr. Simone Claar, Harald Freiling, Dr. Roman George
                    dikaler Pazifismus das Gebot der Stunde      on Geflüchteten geholfen werden kann.          Illustrationen:
                    ist - diese Differenzen sind keine Schwä-    Der Verein „Gewerkschaften helfen“ hat         Sarah Heuzeroth (S. 8, 21), Thomas Plaßmann (S. 35),
                    che, sondern die Stärke einer Einheitsge-    ein Spendenkonto eingerichtet:                 Dieter Tonn (S. 22), Ruth Ullenboom (S. 4)
                    werkschaft, die nicht auf alle Fragen eine   Gewerkschaften helfen e.V., Nord LB            Fotos, soweit nicht angegeben:
                    gemeinsame politische Antwort finden              Stichwort: Ukraine-Hilfe                  Fridays for Future (Titel, S. 2), Harald Freiling, (S. 2),
                    muss und kann.                                                                              GEW (S. 7, 9, 25, 34)
                         Bereits in der HLZ 4/2022 habe ich      IBAN: DE40 2505 0000 0151 8167 90
                                                                                                                Verlag:
                    um Verständnis dafür geworben, dass                 BIC: NOLADE2HXXX                        Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                                                                                                                Niederstedter Weg 5
                                                                                                                61348 Bad Homburg
                                                                 Die Vielzahl der Beiträge zum HLZ-Schwer-
                                                                 punktthema „Klimawandel“ hat dazu ge-          Anzeigenverwaltung:
                                                                                                                Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                                                                 führt, dass die Werbung für die Angebote
                                                                                                                Peter Vollrath-Kühne
                                                                 der Public Climate School vom 16. bis zum      Postfach 19 44
                                                                 20. Mai 2022 zu kurz kommt. Eine kurze         61289 Bad Homburg
                                                                 Übersicht findet man in dieser HLZ auf Sei-    Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                                                                 te 20 und unter https://publicclimateschool.   E-Mail: mlverlag@wsth.de
                                                                 de. Die Teilnahme ist auch ohne Anmeldung      Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                                                                 möglich. Das Titelfoto dieser HLZ entstand     Bad Homburg
                                                                 am 23. März 2019 in München (Copyright:        Bezugspreis:
                                                                 Fridays for Future Deutschland).               Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                                                                                                                schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                                                                                                                sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                    Rubriken                                      16 Schulen nachhaltig bauen:
   Aus dem Inhalt

                                                                                                                enthalten.
                     4   Spot(t)light                                Im Gespräch mit Astrid Eibelshäuser
                                                                                                                Zuschriften:
                     5   Briefe | Meldungen                       18 Imperiale Lebensweisen überwinden          Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                     6   Meldungen                                20 Klimaschutz und Lehrkräftebildung          wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                                                                                                                öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                    24   Hochschulen                              Einzelbeiträge                                vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                    34   Recht: Das Arbeitszeugnis                                                              nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                                                                  22 Erfahrungen im Referendariat               übereinstimmen.
                    36   Jubilarinnen und Jubilare
                                                                  23 Neues Lehrkräftebildungsgesetz
                    37   Briefe | Bücher                                                                        Redaktionsschluss:
                                                                  25 Grundschullehrkräfte gleichstellen!
                    Titelthema: Die Klimakrise bekämpfen          26 BÜA: Übergang in Ausbildung                Jeweils am 5. des Vormonats

                     8 Gewerkschaften und Klimawandel             28 Beratungsstelle Hessen: Jugend             Nachdruck:
                                                                     zwischen Religion  und  Extremismus        Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                    10 Klimabildung in Frankfurt                                                                gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                    12 Just Climate Charter: Im Gespräch          30 Kampf gegen Antiziganismus                 genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                       mit Vishwas Satgar, Johannesburg           32 Alea Horst: Europas vergessene             Genehmigung der Redaktion und des Verlages.

                    14 Scientists for Future:                        Kinder                                     Druck:
                                                                                                                Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH
                       Raus aus dem Elfenbeinturm!                40 Fortbildungsangebote von lea               Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
3     HLZ 5/2022    zum Inhaltsverzeichnis                                                                      KOMMENTAR

       Zukunftsangst überwinden
    Seit wir in einer neuen Welt aufwachten, in der Frie-          ser Kampf für Veränderung eint die Menschen: Stu-
    den plötzlich nicht mehr selbstverständlich und Krieg          dierende, die schon im Elternhaus mit Debatten und
    nicht mehr so weit weg ist, kennen die meisten das             Demonstrationen aufgewachsen sind, und Kinder, die
    Gefühl der Machtlosigkeit und der Verzweiflung: Zu-            mit ihrem Protest täglich gegen ihre Eltern rebellie-
    kunftsangst. Dieses Gefühl kennen wir nicht erst seit          ren. Viele müssen sich in Freistunden rausschlei-
    wenigen Wochen, sondern schon lange. Seit Jahren               chen, andere füllen den Keller ihrer WG mit Mega-
    ist uns bewusst, dass die Folgen des Klimawandels              fonen und Kreide. Unsere Vielfalt macht uns stark
    genau diese sind: Krieg, Leid, Tod und Flucht. Seit            und die Bewegung großartig. Wir kommen mit un-
    Jahren rechnen wir damit, eines Tages unsere Heimat            terschiedlichen Geschichten, jede und jeder hat etwas
    verlassen zu müssen, obwohl wir wissen, dass man               anderes beizutragen. Während die eine hochprofessi-
    vor dem Klimawandel nicht fliehen kann. Egal, ob               onelle E-Mails schreibt und jede Demoroute geneh-
    es darum geht, was ich studieren oder arbeiten will,           migt bekommt, kann der andere so schöne Kreide­
    ob es um meine Urlaubsplanung oder mein nächstes               sprüche auf den Asphalt malen, dass die Menschen
    Essen geht: Der Klimawandel ist für uns immer prä-             noch Tage später stehenbleiben.
    sent. Diese Bedrohung lässt uns bei jeder aktuellen               In unserer Gesellschaft fühlt man sich schnell al-
    Krise den Ausblick auf die Zukunft neu realisieren.            leine, besonders in der Isolation einer Pandemie, in
        Ich habe Angst, wir haben Angst. Ständig. Angst,           der sich das Gefühl der Hilflosigkeit noch einmal
    wenn ich Nachrichten lese, sei es über Auswirkun-              verstärkt hat: mit wöchentlich neuen Todeszahlen,
    gen des Klimawandels in Form von Umweltkatastro-               Bildern von weltweiten Ausschreitungen und Krie-
    phen oder über neue, nicht ausreichende Beschlüsse             gen und vom endgültigen Sterben der Demokratie
    der Politik in unserem Land. Der Krieg in der Ukra-            in Hongkong und dem Aufstieg autoritärer Regime.
    ine oder die Corona-Pandemie haben in uns Angst                   Hinzu kommt die deprimierende Frage, ob die Kli-
    und Schrecken ausgelöst, aber gleichzeitig verspüren           makatastrophe in Vergessenheit gerät und alles um-
    wir auch Hoffnung. Denn diese beiden Krisen haben              sonst war. Doch wir vergessen nicht und geben nicht
    gezeigt, dass echtes Krisenmanagement möglich ist,             auf. Wir waren nicht untätig und haben in den letz-
    wenn es nur genug gewollt wird und wenn das Pro-               ten zwei Jahren an unserem Fundament gearbeitet
    blem für alle Augen sichtbar und spürbar wird.                 und werden 2022 mit neuem Elan demonstrieren.
        Aus Hoffnung, aus Angst und aus der Idee, dass                Wir arbeiten global auf ein gemeinsames Ziel zu,
    man als Gesellschaft jede Krise meistern kann, ist             Hand in Hand und mit Kreidespuren auf den Fin-
    Fridays for Future entstanden. Die Idee, dass die Po-          gern. Unser Kampf gegen das Wegschauen und ge-
    litik kein Recht darauf hat, Krisenberichte von Ex-            gen die Passivität so vieler ist ein Kampf für eine si-
    pertinnen und Experten zu ignorieren und das dar-              chere Welt, eine klimagerechte Welt.
    auf folgende Entsetzen hochmütig zu kommentieren,
    das sei „eine Sache für Profis“. Fridays for Future            Helene Borries und Alicia Meyer
    ist eine globale Bewegung von Jugendlichen, die die-           Fridays for Future in Wiesbaden
    se Untätigkeit als Einstellung nicht akzeptieren. Wir
    sind geeint durch unseren Willen, es den vorherigen
    Generationen nicht gleich zu tun und die Lösung
    der Probleme der Welt nicht auf andere zu schieben.
        Wir wollen etwas verändern, denn wir sind die
    letzte Generation, die die größte Katastrophe der
    Menschheitsgeschichte noch eindämmen kann. Die-
    Alicia Meyer (16) ist Schülerin in Wiesbaden und wie He-
    lene Borries (auf dem Foto links) Aktivistin bei Fridays for
    Future Wiesbaden. Helene Borries (19) hat 2021 ihr Abitur
    gemacht und ist seit Oktober 2019 aktive Mitorganisatorin
    von FFF Wiesbaden.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
SPOT(T)LIGHT                                                                                  zum Inhaltsverzeichnis        HLZ 5/2022      4

  Seid ihr verrückt?!
                                                                                                rin ihr vertraglich zugesichertes Nicker-
                                                                                                chen. Kühlschrank und Tiefkühltruhe
                                                                                                sind voll mit seltsamen Nahrungsmit-
                                                                                                teln: Mini-Salamis, Schmier- und Le-
      „Ihr überlasst euer Haus einem Film-        muss von Tischen und Schrankflächen           berkäse. Das wird ein leckeres Buffet
      team? Seid ihr verrückt?“ Verwand-          verschwinden. Drucke von Monet und            für das Gartenfest. Im Keller finden
      te und Bekannte sind schockiert. Aber       Renoir kommen wegen der Urheberrech-          sich jede Menge Schnapsflaschen. „Al-
      sechs Wochen Sommerferien so ganz           te in den Keller. Kosmetikprodukte wer-       les nur Fake! Nur Wasser drin“, ver-
      ohne Aufregung halten mein Mann und         den umgedreht, damit der Markenname           spricht die Producerin. Ich bin mir da
      ich als Lehrer gar nicht aus! Diese Film-   nicht zu sehen ist. Die Producerin fo-        nicht so sicher. Schließlich ist irgend-
      studenten sind auch unheimlich sympa-       tografiert im ganzen Haus Kratzer und         wann „Bergfest“, wenn die Hälfte der
      thisch, und wir können nach drei Vor-       Flecken, die wir selber verursacht haben.     Dreharbeiten geschafft ist. Die Produ-
      gesprächen nur noch schlecht „Nein“             Wir „Motivgeber“ werden ausquar-          cerin ist für alles zuständig. Sie putzt
      sagen. Außerdem sind wir neugierig.         tiert, damit wir nicht jammernd im Weg        sogar abends oder fährt den schweren
      Bei uns soll ein Gartenfest mit 35 Kom-     rumstehen, wenn jemand die Fenster            Film-SUV aus der Einfahrt, in den sich
      parsen und 20 Filmschaffenden gedreht       aushängt oder den Glastisch in den            sonst niemand traut. Eine andere jun-
      werden. Nein, die gehen nicht alle auf      Schuppen trägt. Am Tag des großen             ge Frau ist die Hygienebeauftragte und
      unser Klo. Und die Komparsen rennen         Gartenfests dürfen wir als Komparsen          desinfiziert unentwegt Hände, Klinken
      auch nicht im Haus rum. Die Aufnah-         wiederkommen. Da sind wir ein wenig           und Wasserhähne.
      meleiterin verspricht, den Rasen zu gie-    frappiert über die Okkupation unse-               Ein Nachbar ist empört, weil sein
      ßen, die Vögel zu füttern und Blumen        res Hauses. Naiv dachte ich, dass zehn        Parkplatz zwei Wochen lang wegfällt.
      und Buschwerk zu bewachen. Und ich          Lastwagen kommen, in denen Maske,             Zwei andere Nachbarn verreisen spon-
      könnte gern ein paar meiner Schülerin-      Catering und Diven untergebracht wer-         tan. Der Nachbar mit dem lauten Laub-
      nen und Schüler als Komparsen beibrin-      den. Aber Studenten verfügen natürlich        bläser schmollt bis heute. Vor seinem
      gen, vielleicht gibt es sogar einen Prak-   nicht über einen so großen Etat und ha-       Grundstück stand das rosa Dixie-Klo.
      tikumsplatz für besonders Engagierte.       ben bei Vertragsabschluss wohlweislich            Beim Gartenfest soll ich zusammen
          Zuerst räumen zwei Szenografinnen       (?) verschwiegen, dass sie alles in Be-       mit drei anderen Komparsen zu imagi-
      gründlich bei uns um. Gedreht wird          schlag nehmen. Im Fahrradschuppen             närer Musik tanzen. Nicht mal „Satis-
      nämlich, nachdem der „Motivvertrag“         sitzt jetzt die Maskenbildnerin mit jeder     faction“ von den Stones darf ich zwecks
      steht, auf einmal auch „indoor“. Sze-       Menge Tischen, Spiegeln, Kisten und           Eigenstimulation singen, weil ich da-
      nografin scheint mir der optimale Be-       Taschen. Mein Rad und der Rasenmä-            mit gegen Urheberrechte verstoße. Es
      ruf für junge Frauen, die gern shoppen.     her sind in der Garage untergebracht.         ist billiger, im Nachhinein eine Musik
      Kistenweise stehen bei uns jetzt Gläser     Zwischen Getränkekisten, Bierbänken,          komponieren zu lassen als die Rechte
      und Karaffen, Deko-Materialien, Ker-        Sonnenschirmen, technischem Gerät             für bekannte Songs zu bezahlen. Auf
      zen, ein Gartenschlauch, Körbchen und       und einer Hollywoodschaukel. In mei-          unseren Gartenstühlen lümmeln sich
      geheimnisvolle Kisten. All unser Kram       nem Zimmer macht die Hauptdarstelle-          Nachbarn als Statisten, die ich selber
                                                                                                nie eingeladen hätte.
                                                                                                    Unser Garten ist voller Girlanden,
                                                                                                Lampions und Deko-Elemente. Die Pro-
                                                                                                ducerin hat vor den Beeten Schaschlik-
                                                                                                spieße mit Flatterband verbunden, weil es
                                                                                                Menschen gibt, die einfach nicht sehen,
                                                                                                dass unter ihren Füßen Blumen wachsen.
                                                                                                    Nach zwei Wochen kommen wir zu-
                                                                                                rück. Das Haus ist tadellos aufgeräumt.
                                                                                                Alles ist sauber. Der Kühlschrank ist
                                                                                                geleert. Nur am Handtuchhalter hängt
                                                                                                eine einsame Luftschlange. Auf der Ter-
                                                                                                rasse steht eine Packung Rasensamen.
                                                                                                Die wird allerdings nicht ausreichen bei
                                                                                                der festgestampften Fläche. Mein Mann
                                                                                                sucht seine alte Pfeffermühle. Meine
                                                                                                Nachbarin ist traurig, dass die fröh-
                                                                                                lichen jungen Menschen wieder weg
                                                                                                sind. Selbst die Frau vom schmollen-
                                                                                                den Laubbläser meint: „Das war rich-
                                                                                                tig schön mit den Filmleuten. Endlich
                                                                                                war mal Leben in der Straße!“ Und ich
                                                                                                weiß jetzt jede Menge neue Berufe, die
                                                                                                ich meiner Klasse vorstellen kann, da-
                                                                                                mit nicht alle Erzieherinnen oder Me-
                                                                                                chatroniker werden wollen.
                                                                                                                      Gabriele Frydrych
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
5      HLZ 5/2022      zum Inhaltsverzeichnis                                                                    BRIEFE | MELDUNGEN

    Betr.: HLZ 4/2022
    Geballte Lyrik                                        Russische Lehrkräfte gegen den Krieg
    Lyrik und aktuelle Krisen                      Trotz aller Repression haben mehr             Der Petitionstext musste nach dem
    Oje, die „Geballte Lyrik“ von Gabriele         als 5.000 Lehrkräfte aus allen Regi-          neuen Mediengesetz, das die kritische
    Frydrych verlangt der Leserschaft eini-        onen Russlands und einige auch aus            Berichterstattung über den Krieg un-
    ges ab. Dass Gedichte einen Reim haben         dem Ausland die Petition der Initiati-        ter Strafe stellt, mittlerweile von der
    können, keineswegs müssen und dass             ve „Lehrkräfte gegen den Krieg“ unter-        Homepage genommen werden. Die un-
    nicht alles, was sich reimt, auch ein Ge-      zeichnet. Es ist der größte Protest der       abhängigen Bildungsgewerkschaften
    dicht ist, gerät bei diesem Spot(t)light aus   Lehrkräfte in Russland seit mehr als 30       „Uchitel“ und „Universitäre Solidari-
    dem Blickfeld. Der Spot(t) zielt „geballt“     Jahren. In dem Offenen Brief russischer       tät“ setzen sich für die Belange der ver-
    auf Verse und Reime. (...) Mit all dem hat     Lehrkräfte gegen den Krieg in der Uk-         folgten Lehrkräfte am Arbeitsplatz ein.
    „Lyrik“ wenig zu tun. Schon Massen an          raine heißt es:                               In einer Stellungnahme der Hochschul-
    Schülerschaften wurden mit solchen und         „Jeder Krieg bedeutet menschliche Opfer       gewerkschaft heißt es:
    ähnlichen Gedichtvorstellungen malträ-         und Zerstörungen. Krieg ist eine Katast-      „Die Universitätsleitungen üben Druck
    tiert. Deshalb an dieser Stelle ein Ein-       rophe. Der Krieg gegen die Ukraine, der       auf Hochschulmitarbeiterinnen und Hoch-
    treten für ein anderes Lyrikverständnis,       in der Nacht vom 23. auf den 24. Febru-       schulmitarbeiter aus, die sich gegen den
    „geballt“ gegen Reimzwang und blumig-          ar begonnen wurde, ist nicht unser Krieg.     Krieg aussprechen, und einige Kollegin-
    poetisches überflüssiges Geschwafel!           Die Invasion auf das Territorium der Uk-      nen und Kollegen werden entlassen. Auch
        Aktuelle Krisen werden „nicht lyrisch      raine begann im Namen russischer Staats-      Studierende werden unter Druck gesetzt
    bewältigt“. Doch wer sagt, dass Realitäts-     bürgerinnen und Staatsbürger, aber gegen      und mit Verweisen und Exmatrikulation
    bezug bei dieser Ausdrucksform scha-           unseren Willen. Wir sind Lehrkräfte und       bedroht, wenn sie sich an friedlichen An-
                                                   Gewalt widerspricht dem Wesen unseres         tikriegsprotesten beteiligen.“
    det? Zum Beweis ein Gedicht zu einem
    Thema, das uns alle in dieser Zeit angeht      Berufes. In der Hitze des Krieges sterben     Solidaritätsschreiben können an die
    und stark belastet.                            unsere Schülerinnen und Schüler. Krieg        Adresse teachershelpnow@gmail.com
                                                   führt unvermeidlich zu einer Zuspitzung       geschickt werden. Auf der Homepage
        in einem Land nicht fern                   der sozialen Probleme unseres Landes. Wir     der GEW findet man ein Musterschrei-
        nach einem Winter                          unterstützen die Antikriegsproteste und       ben (www.gew.de/internationales oder
        nassen Graus                               fordern einen sofortigen Waffenstillstand.“   Kurzlink https://bit.ly/3u7Hvz2).
        herbeigesehnt
        das gelbe Bunt der Blüten
        verhallt                                          Nächste Personalratswahl schon im Mai 2024
        ihr Sprießen
        in dem Lärm von Bomben und Raketen         Die HLZ hat wiederholt über die Kon-          Die GEW bezeichnet die damit ver-
        in einem Land nicht fern                   troversen zur Dauer der Amtszeit der          bundene Verkürzung der Amtszeit von
               Ukraine                             im Mai 2021 gewählten Personalrä-             vier auf drei Jahre als „Zumutung und
        ein falscher Dirigent                      te berichtet. Wie bekannt wurden die          Mehrbelastung“ insbesondere für die
        bestimmt den Ton
                                                   Personalratswahlen in Hessen im Gel-          Kolleginnen und Kollegen in den Wahl-
        in U-Bahnschächten                         tungsbereich des Hessischen Personal-         vorständen. Auch die Arbeit der Schul-
        gedeihen keine Blumen
        verkümmern in den Tränen
                                                   vertretungsgesetzes (HPVG) aus pan-           personalräte, die ihre wichtige Arbeit
        stummer Schreie                            demischen Gründen vom Mai 2020,               unter schwierigsten Bedingungen und
        dort ist der Himmel schwarz                dem regulären Wahltermin, in den Mai          mit minimaler Entlastung zu leisten ha-
        es dringt kein Sonnenschein                2021 verschoben. Die GEW vertrat in           ben, werde so weiter erschwert. Gera-
        in tiefen Untergrund                       der Kontroverse die Auffassung, dass          de für neu gewählte Personalräte sei die
        in einem Land nicht fern                   die Regelung in § 23 Absatz 1 HPVG,           Einarbeitung und die Wahrnehmung
               Ukraine                             wonach „die regelmäßige Amtszeit der          der Rechte nach dem HPVG in der Pan-
        ein falscher Dirigent                      Personalräte (…) vier Jahre“ beträgt,         demie noch schwieriger gewesen als
        bestimmt den Ton                           auch für diesen Fall gilt. Der geschäfts-     sonst. Deshalb sei die Verkürzung der
        das Menschsein                             führende Landesvorstand der GEW hat           Amtszeit auch „ein Schlag gegen eine
        scheint verloren                           die Beratungen mit den anderen Ge-            wirksame Interessenvertretung“.
        wenn statt Tulpen                          werkschaften und die Aussichten, die-             Die GEW hält es für dringend gebo-
        Trümmer in den Gärten wachsen              se Auffassung rechtzeitig in Gerichts-        ten, dass auch die Mitglieder der ört-
        der Vogelsang verstummt
                                                   verfahren durchsetzen zu können, jetzt        lichen Wahlvorstände in den Schulen
        in einem Land nicht fern                   bilanziert. Danach wird die GEW kei-          bei der Wahl 2024 eine Stundenentlas-
               Ukraine
        ein falscher Dirigent
                                                   ne rechtlichen Schritte gegen die Fest-       tung bekommen. Schon die Durchfüh-
        bestimmt den Ton                           setzung des Wahltermins auf Mai 2024          rung der Wahl im Mai 2021 sei unter
        zuletzt
                                                   einleiten, „auch wenn sich an der Ein-        den Bedingungen der Pandemie, un-
        stirbt die Musik                           schätzung des rechtlich fragwürdigen          ter anderem mit einem erheblich höhe-
        gemordet                                   Willkürakts der Landesregierung nichts        ren Anteil von Briefwahlstimmen, ein
        von dem falschen Dirigenten                geändert hat“.                                „echter Kraftakt“ gewesen. Die GEW
        der jeden Ton                                  Die GEW Hessen bittet deshalb alle        fordert hier einen angemessenen Aus-
        erstickt                                   Personalräte und Wahlberechtigten,            gleich, um erneut genügend Kollegin-
                                                   sich auf die Neuwahl aller Personalrä-        nen und Kollegen für den Wahltermin
                Hanne Strack, Rüsselsheim          te im Mai 2024 einzustellen.                  im Mai 2024 zu finden.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
MELDUNGEN                                                                                zum Inhaltsverzeichnis         HLZ 5/2022      6

     Betr.: HLZ 3/2022                               Landtag diskutiert über die                  Mit einem neuen Namen:
     Rente und Versorgung                            Beamtenbesoldung                             Hauptpersonalrat Schule
     Kompensation unverzichtbar                Anlässlich einer aktuellen Stunde des       Der Hauptpersonalrat, der die Inter-
     Ich kann nur unterstreichen, dass die     Landtags, in der über eine Resolution       essen aller hessischen Lehrkräfte und
     Forderungen nach einer Kompensati-        der SPD-Fraktion gegen die „verfas-         Sozialpädagoginnen und Sozialpäda-
     on für die Nullmonate von der GEW         sungswidrige Besoldungspolitik in Hes-      gogen in den hessischen Schulen auf
     auch für Versorgungsempfänger*innen       sen“ beraten wurde, kritisierte der DGB     Landesebene gegenüber dem Hessi-
     weiter aufrecht erhalten bleiben und      Hessen-Thüringen die fortgesetzte Wei-      schen Kultusministerium (HKM) ver-
     verfolgt werden. Auch mit Blick auf       gerung der Landesregierung, auf das         tritt, trägt jetzt auch offiziell die Be-
     die finanziellen Mehrbelastungen des      Gesprächsangebot der Gewerkschaf-           zeichnung „Hauptpersonalrat Schule“
     Gros der Bürger*innen angesichts der      ten einzugehen. Das Urteil des Hes-         (HPRS). Auch die Gesamtpersonalräte
     aktuellen weltpolitischen Lage ist dies   sischen Verfassungsgerichtshofs vom         auf der Ebene der 15 Staatlichen Schul-
     mehr als angesagt. Steigende Lebens-      November 2021 sei nach den letzten          ämter tragen jetzt den Namen „Gesamt-
     haltungskosten und Inflation machen       Urteilen des Bundesverfassungsgerichts      personalrat Schule“. Die Umstellung der
     vor Rentner*innen und Versorgungs-        „nicht überraschend gekommen“. „Mi-         Adressen soll bis zum neuen Schuljahr
     empfänger*innen nicht halt. In die-       nister Beuth muss endlich handeln“,         abgeschlossen sein.
     sem Zusammenhang finde ich es auch        sagte DGB-Vorsitzender Michael Ru-              Der HPRS hat jetzt die Reisekosten-
     merkwürdig, dass bei dem beabsichtig-     dolph. Gerade Beamtinnen und Beam-          pauschalen nach dem Hessischen Rei-
     ten Entlastungspaket der Regierung die    te der unteren Besoldungsgruppen hät-       sekostengesetz auf die Tagesordnung
     genannten Gruppen nicht berücksich-       ten mit Einkommen unter dem Niveau          gesetzt, das bis Ende 2022 novelliert
     tigt werden.                              der Grundsicherung „echte Probleme,         werden muss. Der HPRS wünscht sich
                      Ursula Winkenjohann      ihr Leben zu finanzieren“                   ein klares Votum aller Hauptpersonal-
                                                                                           räte, die die Beschäftigten in allen Be-
           Landeselternbeirat: „Mit                  Landesstudierendenrat der             hörden und Dienststellen vertreten,
           voller Kraft in den Nebel“                hessischen Fachschulen                dass die Reisekostenpauschalen ange-
                                                                                           sichts der dramatischen Erhöhung der
     Der Landeselternbeirat Hessen (LEB)       Nach einer längeren Vakanz gibt es          Energiepreise heraufgesetzt werden.
     hält die noch vor den Osterferien in      jetzt wieder einen Landesstudieren-
     Kraft gesetzte Lockerung der Corona-      denrat der hessischen Fachschulen.                 Mit einem neuen Vorstand:
     Schutzmaßnahmen in den hessischen         Die Delegierten wählten in einer Voll-             elternbund hessen e.V.
     Schulen für „kontraproduktiv und ge-      versammlung am 24.3.2022 Paul Huß-
     fährlich“. LEB-Vorsitzender Volkmar       lein zum Landesstudierendensprecher         Neuer Vorsitzender des elternbunds hes-
     Heitmann hält auch den angekündig-        und Pascal Böhm zum Stellvertreter.         sen ist Korhan Ekinci, bis 2021 Vorsit-
     ten Wegfall der Testpflicht für falsch:   Sie wollen „nun aufräumen, was in den       zender des Landeselternbeirats, stell-
     „Mit voller Kraft in den dichten Ne-      letzten Jahren auf der Strecke geblie-      vertretender Vorsitzender der frühere
     bel zu fahren, ist nicht mutig, sondern   ben ist“, damit „die Rahmenbedingun-        Präsident des Verwaltungsgerichts Kas-
     dumm.“ Erneut würden dringend er-         gen aus Sicht der Studierenden bes-         sel Volker Igstadt. „Kinder in Schulen
     forderliche Schutzmaßnahmen auf die       ser gestaltet werden können“. Aktuelle      und Kitas brauchen eine starke Stim-
     lange Bank geschoben. Wenn die Inzi-      Themen sind Digitalisierung, Antiras-       me“, sagte Ekinci bei seiner Wahl. Die
     denzen spätestens im kommenden Win-       sismus und bessere BAföG-Regelun-           Pandemie sei keineswegs beendet. Eine
     ter wieder steigen, werde in hessischen   gen. Der Landesstudierendenrat vertritt     besonderes Augenmerk gelte der Inte-
     Schulen „wieder buchstäblich zum          die Studierenden der 90 Fachschulen in      gration von Geflüchteten aus der Uk-
     Fenster hinaus geheizt“. Die Aufrüs-      Hessen - von A wie Aliceschule Gießen       raine in die Schule: „Es gilt jetzt zu al-
     tung der Schulen für bessere Luft und     bis Z wie Zeichenakademie Hanau. Der        len Beteiligten Brücken zu schlagen,
     für weniger Energieverbrauch müsse        Landesstudierendenrat ist in § 125 des      Gespräche zu führen und konstruktiv
     jetzt gestartet werden.                   Hessischen Schulgesetzes verankert.         gute Ideen umzusetzen.“

                                                   Ausgleich für Nullmonate!
                                                                                           Entscheidung der Landesregierung, den
                                               Beim Tarifabschluss für die Beschäftig-     Versorgungsempfängerinnen und Ver-
                                               ten des Landes Hessen vom 15. Oktober       sorgungsempfängern eine solche Kom-
                                               2021 mussten die Gewerkschaften des         pensation zu verweigern: „Sie haben ins-
                                               öffentlichen Dienstes eine Kröte schlu-     gesamt zehn Nullmonate hinzunehmen
                                               cken: Bis zur nächsten Gehaltserhöhung      - und das bei einer Inflation von 3,1 Pro-
                                               müssen die Tarifbeschäftigten genauso       zent im Jahr 2021 und einer noch höhe-
                                               wie die Beamtinnen und Beamten zehn         ren Inflationsprognose für 2022. Damit
                                               Monate bis zum 1.8.2022 warten. Diese       müssten die Senior*innen ein reales Ein-
                                               „Nullmonate“ wurden für die aktiven Be-     kommensminus hinnehmen.“
                                               schäftigten durch einmalige Sonderzah-      • Die Petition kann man auf der Platt-
                                               lungen von bis zu 1.000 Euro „abgefe-       form OpenPetition unterschreiben und
                                               dert“. Eine Petition der Gewerkschaften     man findet sie auch auf der Internetsei-
                                               GEW, ver.di, GdP und IG BAU und des         te www.gew-hessen.de und unter dem
                                               DGB Hessen richtet sich jetzt gegen die     Kurzlink https://bit.ly/3IUSYG6.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
7      HLZ 5/2022     zum Inhaltsverzeichnis                                                                                 MELDUNGEN

           1. Mai: Der Tag der Arbeit
           ist ein Tag für den Frieden
    Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit, aber
    auch ein Tag für den Frieden. Viele
    Rednerinnen und Redner bei den Mai-
    Kundgebungen des DGB verwiesen auf
    die traditionelle Verbindung von Ge-
    werkschaften und Friedensbewegung.
                                                                                                                                         31. 3. 2022:
    DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann be-                                                                                                 Streik auf der
    zeichnete den Angriffskrieg auf die Uk-                                                                                              Rheinbrücke
    raine als „völkerrechtswidrig und bru-                                                                                               (Foto: GEW)
    tal“. Allerdings sei es ein Irrglaube, dass
    wir „seit 74 Jahren im Frieden leben“.
    Tatsächlich „gab und gibt es sehr vie-              SuE-Aufwertungsrunde: Streiken verbindet
    le militärische Auseinandersetzungen
                                                  Ein besonders starkes Medienecho               Die Gewerkschaften verhandeln seit
    auf der Welt“, die bei uns „vielleicht
                                                  fand die gemeinsame Streikkundge-           dem 25. Februar 2022 mit der Verei-
    weniger wahrgenommen werden, weil
                                                  bung von Beschäftigten im Sozial-           nigung der kommunalen Arbeitgeber-
    sie nicht vor unserer Haustür stattfin-
                                                  und Erziehungsdienst (SuE) aus Hessen       verbände (VKA) über die Weiterent-
    den“. Dass das Motto „Frieden schaffen
                                                  und Rheinland-Pfalz auf der Theodor-        wicklung der Sonderregelungen und
    ohne Waffen“ immer ein zentrales ge-
                                                  Heuss-Brücke, die die Landeshaupt-          der Tätigkeitsmerkmale für den Sozi-
    werkschaftliches Ziel gewesen sei und
                                                  städte Wiesbaden und Mainz verbindet.       al- und Erziehungsdienst im Tarifver-
    bleibe, habe „nicht zuletzt mit der Zer-
                                                  Die GEW Hessen hatte insbesondere           trag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
    schlagung der Gewerkschaften während
                                                  Beschäftigte der städtischen Kitas in       Auch die zweite Tarifverhandlungsrun-
    des Faschismus zu tun“.
                                                  Wiesbaden und Frankfurt und der AWO         de für die rund 330.000 Beschäftigten
                                                  Wiesbaden zum Streik aufgerufen. Dem        im Sozial- und Erziehungsdienst ging
           DGB: Solidarität mit ge-               Aufruf folgten rund 400 Beschäftigte        am 22. März ohne Ergebnis zu Ende.
           flüchteten Menschen                    aus Kitas und Sozialarbeit, um die For-     • Informationen zum aktuellen Stand
                                                  derungen in der laufenden SuE-Auf-          findet man auf den Internetseiten der
    Der DGB Hessen-Thüringen spricht sich         wertungsrunde zu bekräftigen und den        GEW www.gew.de und www.gew-hes-
    dafür aus, den aus der Ukraine geflo-         Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen.       sen.de.
    henen Menschen einen möglichst un-
    komplizierten Zugang zum Arbeitsmarkt
    zu ermöglichen. Solidarität mit den Ge-             Hessischer Russischlehrer-                  Delegiertenversammlung
    flüchteten verbiete es jedoch, „Krieg und           verband: HET BON̆HE!                        der GEW Nordhessen
    Flucht zu instrumentalisieren, um den
                                                  Der Hessische Russischlehrerverband         Die Delegiertenversammlung des GEW-
    Fachkräftemangel und die eigenen Ver-
                                                  spricht in einer Stellungnahme „ge-         Bezirksverbands Nordhessen wähl-
    säumnisse der Arbeitsmarktpolitik der
                                                  gen die völkerrechtswidrige Aggressi-       te Carsten Leimbach (links) und Björn
    vergangenen Jahre ausgleichen zu wol-
                                                  on der russischen Regierung gegen-          Bening zum neuen Vorsitzendenteam.
    len.“ Viele Geflüchtete seien traumatisiert
                                                  über der Ukraine“ von seiner großen         Anna Held wurde in der Nachfolge von
    und könnten zu „Beschäftigten zweiter
                                                  Bewunderung, „dass die Stimmen für          Irina Kilinski und Frank Engelhardt,
    Klasse“ werden. Daher sei es wichtig, be-
                                                  eine demokratische Entwicklung Russ-        die wie die bisherige Ko-Vorsitzende
    rufliche Abschlüsse und Qualifikationen
                                                  lands, für ein friedliches Miteinander in   Andrea Michel nicht wieder kandidier-
    schnell anzuerkennen. „Gute Aus- und
                                                  Europa und der Welt nicht verstummt         ten, zur Geschäftsführerin gewählt. Das
    Weiterbildungsmöglichkeiten müssen
                                                  sind“, und erklärt sich „solidarisch mit    neue Vorsitzendenteam dankte allen für
    den Geflüchteten genauso zugänglich ge-
                                                  den vielen Menschen, die im Großen          ihre langjährige engagierte Arbeit.
    macht werden wie allen anderen auch“,
                                                  und Kleinen, laut oder auch – aus guten         Am Jahrestag der Ermordung von
    erklärte der Vorsitzende des DGB Hessen-
                                                  Gründen – leise und im Verborgenen,         Halit Yozgat durch den NSU 2006 in
    Thüringen Michael Rudolph.
                                                  mutig und mit großem persönlichem           Kassel referierte Christopher Vogel vom
                                                  Risiko ihren Protest gegen den Krieg        Beratungsteam gegen Rassismus und
           Ausstellung in Kassel erinnert         des autoritären Regimes zum Ausdruck        Rechtsextremismus über Rechtsextre-
           an die Berufsverbote                   bringen“. Seit den 80er Jahren hätten       mismus im ländlichen Raum.
                                                  russische und deutsche Lehrkräfte „mit
    Die Ausstellung „Berufsverbote - Politi-      viel persönlichem Engagement feste
    sche Verfolgung in der Bundesrepublik         Schulpartnerschaften aufgebaut, die es
    Deutschland“ wird am Mittwoch, dem            ermöglicht haben, dass sich Schüle-
    8. Juni, um 18 Uhr im Rathaus der Stadt       rinnen und Schüler aus Deutschland
    Kassel eröffnet. Die Ausstellung ist dort     und Russland kennenlernen, Vorurteile
    bis zum 28. Juni zu sehen.                    abbauen und Freundschaften knüpfen
    • Weitere Informationen in dieser HLZ         konnten“. Den vollständigen Wortlaut
    auf Seite 36 und unter www.gew-nord-          der Erklärung findet man unter www.
    hessen.de                                     russischlehrer-hessen.de.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
TITELTHEMA                                                                               zum Inhaltsverzeichnis          HLZ 5/2022       8

                                                                                      Just Transition
                    Die Gewerkschaften und der Klimawandel
     Nicht nur die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist in den            Aber wie gehen die Gewerkschaften in der Praxis damit
     Fragen, wie man dem Klimawandel begegnen und aus den           um? Was bedeuten der Klimawandel und ein gerechter Über-
     fossilen Energieträgern aussteigen kann, gespalten. Die De-    gang in ein alternatives System für eine Bildungsgewerk-
     batte um Klimaschutz und systemischen Wandel wirft tief-       schaft? Welche Rolle spielen wir als Wissensvermittler:innen
     greifende Fragen auf:                                          und Pädagog:innen? Wie können Gewerkschaften ihre
     • Welche alternative Energieerzeugung ist möglich?             Bündnispartner:innen in der Klimabewegung unterstützen?
     • Was passiert mit dem wirtschaftlichen Wohlstand der be-      Welches Handwerkszeug brauchen wir, um den Klimawan-
     troffenen Regionen?                                            del zu verstehen und Maßnahmen zum Klimaschutz und zur
     • Wie gehen wir mit den bisherigen Arbeitsplätzen um und       Anpassung an den Klimawandel umzusetzen?
     welche neuen Arbeitsplätze entstehen?                              Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist das Leit-
        Dem Konzept des „gerechten Übergangs“ (Just Transiti-       motiv, um Klimawandel und Klimaschutz in der Lehrkräf-
     on), das aus der US-Arbeiterbewegung kommt, liegt die Idee     tebildung und in den Schulen zu verankern. Dem nächsten
     zugrunde, Arbeitnehmer:innen zu unterstützen, die von um-      Gewerkschaftstag der GEW liegt der Antrag „Es gibt keine
     weltpolitischen Maßnahmen betroffen sind. In der globalen      Arbeit auf einem toten Planeten“ vor, den die junge GEW,
     Debatte wird deutlich, dass nicht alle, die das Konzept als    der Bundesausschuss der Studierenden in der GEW und die
     politisches Instrument bis hin zu einer systemischen trans-    Bundesfachgruppe Hochschule und Forschung eingebracht
     formativen Kraft vertreten, dieselben Ziele und Mittel ver-    haben (HLZ S. 9). Er verfolgt das Ziel, dass sich die GEW –
     folgen. Einigkeit besteht bezüglich der notwendigen Dekar-     auch im Kontext internationaler gewerkschaftlicher Solidari-
     bonisierung und eines planvollen Übergangs zu ökologisch       tät - in die Debatten um einen gerechten Übergang und eine
     nachhaltigen Volkswirtschaften und Gesellschaften. Außer-      sozial-ökologische Transformation einbringt.
     dem geht es um die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und              Gleichzeitig enthält der Antrag aber auch konkrete Forde-
     Sozialpolitik, insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsplät-   rungen für den Bereich Hochschule und Forschung. Im Mit-
     ze der abhängig Beschäftigten.                                 telpunkt steht die Forderung, dass Ökologie, Ökonomie und
        Inzwischen ist Just Transition zu einem Bezugspunkt für     soziale Gerechtigkeit stärker in Forschung und Lehre integ-
     Gewerkschaften und viele andere Akteure der Zivilgesell-       riert werden müssen – und zwar sowohl in den Sozial- und
     schaft geworden. Internationale Gewerkschaftsbünde wie         Geisteswissenschaften als auch in den Natur- und Ingeni-
     ETUC und ITUC haben den „gerechten Übergang“ in die glo-       eurwissenschaften. Bund und Länder müssen für Forschung
     bale Umwelt- und Klimadebatte eingebracht, um grüne und        und Lehre zu den zentralen Fragen einer sozialökologischen
     nachhaltige Arbeitsplätze und menschenwürdige Arbeit für       Transformation zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Für
     die Arbeitnehmer:innen weltweit zu sichern. In den Debat-      uns in Hessen ist die Einrichtung eines Institute for Sustai-
     ten über den Strukturwandel bestehender Arbeitsplätze soll-    nability an der Universität Kassel von besonderem Interesse.
     ten wir nicht vergessen, dass die Idee eines gerechten Über-       In den Nachhaltigkeitskonzepten von Schulen und Hoch-
     gangs in der bestehenden Wirtschaftsordnung eng mit der        schulen sollte es nicht nur um Energieeinsparung oder Müll-
     Idee einer grünen Wirtschaft verknüpft ist. Selbst wenn wir    vermeidung gehen. Neubauten, Sanierungen und Renovie-
     „grün“ mit etwas Positivem assoziieren, wird der Kampf um      rungen müssen Maßnahmen zur Klimaanpassung und eine
     menschenwürdige und gut bezahlte Arbeitsplätze national        deutlich ressourcenschonendere und klimafreundlichere Aus-
     und global weitergehen.                                        stattung vorsehen. Bei der konkreten Gestaltung nachhaltiger
                                                                    Arbeitsplätze müssen Personalräte mitbestimmen können. Ei-
                                                                    nige Landesgesetze zur Mitbestimmung der Personalräte im
                                                                    öffentlichen Dienst sehen das bereits vor, in Hessen ist das
                                                                    nicht der Fall. Dazu gehört auch, Dienstreisen und Veran-
                                                                    staltungen nach ökologischen Aspekten gestalten zu können.
                                                                        Die klimapolitischen Forderungen können im Wider-
                                                                    spruch zu anderen bildungspolitischen Forderungen stehen.
                                                                    Das sollte uns aber nicht davon abhalten, die GEW zur Vor-
                                                                    kämpferin für eine sozial-ökologische Transformation zu ma-
                                                                    chen. Ein Antrag der jungen GEW Hessen, der vom Landes-
                                                                    vorstand inzwischen einstimmig beschlossen wurde, macht
                                                                    deutlich, dass wir bei der Frage des Umgangs mit Ressourcen
                                                                    den Blick auch auf die GEW-Arbeit selbst richten müssen.
                                                                                                                    Simone Claar
                                                                    Dr. Simone Claar ist stellvertretende Landesvorsitzende der GEW
                                                                    Hessen. Sie forscht und lehrt an der Universität Kassel zu den The-
                                                                    men Grüner Kapitalismus, Klima- und Energiepolitik, insbesondere
                                                                    mit dem Fokus auf das südliche Afrika.

                                                                    Zeichnung: Sarah Heuzeroth (Das gute Leben für alle, HLZ S.18 f.)
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
9     HLZ 5/2022      zum Inhaltsverzeichnis                                                                                 KLIMAWANDEL

          Den Papierwust in der GEW bekämpfen
    Was braucht eine Gewerkschaft neben dem Kampf für besse-
    re Arbeitsbedingungen und gerechte Verhältnisse in Gesell-
    schaft und Politik, um auch junge Menschen anzusprechen?
    Für die junge GEW ist schon seit einigen Jahren klar, dass
    die GEW insgesamt die Themen Nachhaltigkeit und Digita-
    lisierung stärker in den Fokus der Arbeit rücken sollte und
    dies auch schrittweise vollzieht. Der GEW-Hauptvorstand
    hat bereits 2020 Handlungsempfehlungen für eine nachhal-
    tige Gewerkschaftsarbeit beschlossen, die Umsetzung im All-
    tagsbetrieb lässt aber an vielen Stellen noch auf sich war-
    ten. Ganz konkret äußert sich das in den Papierbergen, die
    der offizielle Postverkehr der Gewerkschaft immer noch her-
    vorbringt. Für die meisten Sendungen in Papierform an die
    Mitglieder sieht die junge GEW keine zwingende Notwen-                LASS und junge GEW beim Klimastreik in Fulda am 24.9.2021
    digkeit. Vor allem im Vorfeld der Sitzungen des Landesvor-
    stands füllen sich die Briefkästen der Vorstandsmitglieder            gen digital zur Hand zu haben, Sitzungsbeschlüsse zu archi-
    mit prall gefüllten Umschlägen.                                       vieren und jederzeit ortsunabhängig abrufbar zu machen.
        Die junge GEW stellte in ihrem Antrag zur nachhaltigen                Unsere Anträge stehen im Zeichen einer zukunftsorien-
    Gremienarbeit die Forderung nach der Stärkung digitaler               tierten Gewerkschaftsarbeit, die die Ansprüche einer inhalt-
    Versandwege und der individuellen Abbestellung gedruck-               lich anspruchsvollen, digitalen und nachhaltigen Arbeitswei-
    ter Post. Wer möchte, darf weiter mit dem Papierwust kämp-            se miteinander vereint.
    fen, wer das nicht möchte, soll seine Gewerkschaftsnach-                                         Anne Wernet, junge GEW Hessen
    richten auch digital empfangen können. In der alltäglichen            Die Anträge wurden in der Sitzung des Landesvorstands am 3.2.2022
    Arbeit soll uns eine Cloud-Lösung dabei unterstützen, alle            einstimmig bzw. mit großer Mehrheit angenommen. Die junge GEW
    wichtigen Dokumente für die Sitzungen von Landesvorstand,             sieht der Umsetzung gespannt entgegen und bietet ihre Unterstützung
    geschäftsführendem Vorstand und Delegiertenversammlun-                bei der Umsetzung an.

                                    Es gibt keine Arbeit auf einem toten Planeten!
                                        Antrag zum Gewerkschaftstag der GEW (Auszüge)
    Dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der GEW, der vom 21.               Das jetzige Wirtschaftssystem baut auf der kostenlosen
    bis 24. Juni 2022 in Leipzig stattfindet, liegt der Antrag „Es gibt   Nutzung der natürlichen Ressourcen auf. Die kapitalistische
    keine Arbeit auf einem toten Planeten“ vor, den die junge GEW,        Produktionsweise ist das Triebwerk des derzeitigen Klima-
    der Bundesausschuss der Studierenden in der GEW (BASS) und            wandels, denn es geht vor allem um Wachstum um jeden
    die Bundesfachgruppe Hochschule und Forschung eingebracht             Preis. Die Kapitalverwertungslogik zerstört den Lebensraum
    haben. Die HLZ dokumentiert den Antrag in Auszügen.
                                                                          Erde. Deshalb brauchen wir langfristige Konzepte und nach-
    Wir können im Wissenschaftsbereich nicht die Augen vor
                                                                          haltige Alternativen zu unserer jetzigen imperialen Lebens-
    der Klimakrise verschließen. Einige Hochschulen und For-
    schungsinstitute sind in verschiedenen Bereichen des Kli-             weise, die auch vor allem auf Kosten der Ausbeutung des
    maschutzes und der Klimaanpassung sowie der Nach-                     globalen Südens stattfindet. Im Kontext von internationaler
    haltigkeit aktiv, aber für eine umfassende Transition zur             gewerkschaftlicher Solidarität ist es auch Aufgabe der GEW,
    Anpassung an den Klimawandel fehlt es nach wie vor an                 sich in Debatten zu alternativer Wirtschaftspolitik und über
    Konzepten. Wir als GEW müssen dabei konkret den Studi-                die Abkehr vom Wachstumsparadigma des Kapitalismus (De-
    en- und Arbeitsraum an den Hochschulen und Forschungs-                growth) in Bezug auf alle Bildungsbereiche einzubringen. (...)
    instituten betrachten. Die Aufgabe der GEW ist es, auf nach-              Die GEW setzt sich für eine Förderung von Forschung
    haltige Lehre und Forschung im Sinne von Arbeits- und                 und Lehre zu den Themen sozialökologische Transformati-
    Gesundheitsschutz sowie entsprechende Studienbedingun-                on, nachhaltige Entwicklung und Ursachen und Auswirkun-
    gen hinzuwirken. Nachhaltigkeit muss eben angesichts der              gen des Klimawandels ein. Diese Themen müssen Bestandteil
    dramatischen Lage auch Klimaschutz beinhalten.                        von Lehre und Forschung in allen Fachgebieten sein. Da-
        Klimaschutz und Klimaanpassung sind mehr als Ener-                bei ist vor allem auf staatliche, nicht auf privatwirtschaftli-
    giesparen und Müllvermeidung, eine sozial-ökologische                 che Förderung zu setzen. Die GEW fordert die Bundesregie-
    Transformation braucht vielmehr ein ganzheitliches Kon-               rung auf, weiterhin finanzielle Mittel für sozialökologische
    zept. Hochschulen und Forschungsinstitute müssen hierbei              Zwecke, Klimaschutz und Klimaanpassung, die Anpassung
    eine Vorreiterrolle einnehmen. Dazu gehört die Integrati-             an die Folgen der Klimaerwärmung sowie die Aufrechter-
    on von Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit in               haltung von Biodiversität und andere wichtige Bereiche zur
    Forschung und Lehre, aber auch die Umsetzung von kon-                 Verfügung zu stellen. Diese Mittel sollen zudem aufgestockt
    kreten Maßnahmen im Lehr- und Arbeitsalltag.                          werden. (...) Dabei ist darauf zu achten, dass Mechanismen
        Das Leben aller Menschen zu schützen, ist unsere drän-            nicht nur von außen „grün“ sind und kein Greenwashing
    gendste und wichtigste Aufgabe: Es gibt keine Arbeit auf              praktiziert wird. Soziale Gerechtigkeit muss immanenter Be-
    einem toten Planeten.                                                 standteil einer sozial-ökologischen Transformation sein. (…)
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75.Jahr Heft5 Mai2022 - Wir gegen den Klimawandel
TITELTHEMA                                                                             zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 5/2022      10

                                                  Klimabildung in Frankfurt
                    Die Zukunft nicht retten, aber gestalten
     Einblick geben in die Praxis und Hintergründe von Klima-       Energiesparprojekt an Frankfurter Schulen und das jährli-
     bildung ist das Ziel dieses Beitrags. Wir verstehen ihn als    che Solarrennen Frankfurt/Rhein-Main auf dem Römerberg.
     Einladung zur Durchquerung eines offenen Feldes, in dem            Die Lernwerkstatt „Energie schlau nutzen!“ vermittelt
     vieles noch nicht definiert ist und das große Herausforde-     Schüler:innen der Mittelstufe das Themenfeld der Energie-
     rungen bereithält, des Feldes von Klimakrise und Klimage-      effizienz. Mit einem möglichst geringen Energieeinsatz soll
     rechtigkeit, über das viele junge Menschen sagen: „Verbrennt   ein möglichst großer Nutzen erzielt werden. Eine Station der
     nicht unsere Zukunft!“ Das Bundesverfassungsgericht hat ih-    Lernwerkstatt macht deutlich, dass dies nicht nur eine Fra-
     nen Recht gegeben.                                             ge der Technik ist: Wie können wir umweltfreundlich Strom
         Klimabildung erblickte 2013 als „Climate Change Educa-     erzeugen? Die Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken hat
     tion for Sustainable Development“ (CCESD) mit der UNESCO-      nur einen relativ geringen Wirkungsgrad von 40 bis 60 Pro-
     Veröffentlichung „Action for Climate Empowerment“ (1) das      zent, große Teile der umgewandelten Energie gehen als Ab-
     Licht der Welt. Sie umfasst einerseits Wissen und Können       wärme verloren. Experimente mit einer Dampfturbine ver-
     zu Klimawandel, Klimaschutz und Klimawandelanpassung           anschaulichen die Technik der Kraft-Wärme-Kopplung und
     und andererseits Engagement zu diesen Menschheitsthemen        deren Anwendung in Heizkraftwerken bzw. Blockheizkraft-
     mit all ihren ökologischen, ökonomischen, sozialen und po-     werken. Eine solche Form der zwar noch fossilen, aber doch
     litischen Implikationen. Damit ist klar, dass Klimabildung     sehr effizienten Energienutzung erfordert allerdings eher
     mehr ist als naturwissenschaftliche Bildung, dass es um Ge-    kleine dezentrale Kraftwerke; wirtschaftliche Interessen und
     staltungskompetenzen geht, um Empowerment, kurz um po-         monopolartige Strukturen behindern den Einsatz einer sol-
     litische Bildung. Ein Blick in die Praxis von Umweltlernen     chen effizienten Technologie. Aus einer Fragestellung der
     in Frankfurt am Main soll verdeutlichen, wie dies gelingen     Physik wird eine für das Fach PoWi. Im Rahmen der halb-
     kann, welche Herausforderungen Klimabildung in der Schule      tägigen Lernwerkstatt, die in Frankfurt dankenswerterweise
     mit sich bringt und wo das Feld noch bestellt werden muss.     vom Energiereferat der Stadt finanziell unterstützt wird, ge-
                                                                    lingt es, vorhandenes Wissen der Schüler:innen mit neuen
                                                                    Erkenntnissen fächerübergreifend zu verbinden. Das selbst-
     Solarrennen, Lernwerkstätten und Projektwochen
                                                                    gesteuerte Lernen an den Stationen kommt aber an seine
     Umweltlernen in Frankfurt e.V. ist ein außerschulischer Bil-   Schranken, zeitlich, wenn das Signal zum Unterrichtsschluss
     dungsträger, der schon mehr als 25 Jahre lang Schulen, Ki-     erklingt, und räumlich mit der Tür des Klassenraums als Er-
     tas und die kommunale Bildungsverwaltung im Bereich von        fahrungsgrenze. Lernmotivation und Engagement darüber hi-
     Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) unterstützt. Seit    naus wirksam werden zu lassen, ermöglicht die Projektwo-
     20 Jahren entwickelt Umweltlernen Lehr- und Lernarrange-       che „Klimawandel und Nachhaltigkeit“. Hier ist es möglich,
     ments zu den Themen Energie und Klimawandel. Diese rei-        die zeitlichen und erfahrungsräumlichen Grenzen zu erwei-
     chen heute von Lernwerkstätten zu den Themen Klima und         tern, die Fragestellung des Klimawandels und Klimaschut-
     Energie über Recycling bis hin zu Ernährung und Konsum.        zes in ihrer Komplexität zu behandeln und selbstorganisier-
     Darüber hinaus organisiert Umweltlernen in Frankfurt das       tes Lernen zu fördern. Die Schüler:innen können Erfahrungen
                                                                    machen, die über die Schule hinausgehen: Bei der Befragung
                                                                    von Akteuren und Initiativen im Stadtteil, beim Besuch des
                                                                    Energieversorgers und des kommunalen Energiemanage-
                                                                    ments, bei der Herstellung eines Videoclips oder eines Info-
                                                                    standes und vielem mehr. Durch die Freiräume der Projekt-
                                                                    struktur und die Öffnung von Schule können so nicht nur
                                                                    Kompetenzen für die Zukunft entwickelt, sondern auch En-
                                                                    gagement für den Klimaschutz angebahnt werden.

                                                                         Frankfurter Schuljahr der Nachhaltigkeit
                                                                    Im „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ wird die Schule als Ge­
                                                                    samtinstitution in den Blick genommen. Im Sinne des „Whole
                                                                    School Approach“ werden Prinzipien nachhaltiger Entwick-
                                                                    lung zum integralen Bestandteil von Unterricht, Schulleben
                                                                    und Schulentwicklung. Den Klassen des 4. Jahrgangs wer-
                                                                    den Unterrichtsmodule zu Nachhaltigkeitsthemen angeboten,
                                                                    den roten Faden bildet der Klimawandel in Verbindung mit
                                                                    globaler Gerechtigkeit und Kinderrechten. Die Lehrer:innen
                                                                    des Jahrgangs nehmen an Fortbildungen teil, mit den Ge-
                                                                    samtkollegien werden Pädagogische Tage durchgeführt. Flan-
11     HLZ 5/2022     zum Inhaltsverzeichnis                                                                            KLIMAWANDEL

     kiert werden diese Aktivitäten durch Beratungen zu Curricula
     und Schulprofilen und die Unterstützung von Eigeninitiati-
     ven. Die Angebote werden von der FES, der Dr. Marschner
     Stifung und dem Hessischen Umweltministerium unterstützt.
         Das Besondere an den Unterrichtsmodulen ist, dass
     Mitarbeiter:innen von Umweltlernen die Klassen mehrfach
     im Jahr besuchen. Die Module machen den Kindern die Zu-
     sammenhänge sozialökologischer Herausforderungen be-
     greifbar. Nach dem Einstiegsmodul zum Klimawandel folgen
     Themen wie Strom, Ernährung oder Fairer Handel. Das Ab-
     schlussmodul führt Aspekte aus den vorherigen Modulen zu-
     sammen. Es werden Handlungsoptionen aufgezeigt, die über
     ein individuelles umweltfreundliches Verhalten hinausgehen
     und die Kinder zu einem gemeinsamen Handeln für mehr Ge-
     rechtigkeit auf der Welt motivieren. Durch die Ausrichtung
     des Schullebens an Nachhaltigkeitsprinzipien erkennen die
     Schüler:innen, dass die Inhalte des Unterrichts auch in der
     eigenen Lebenswelt von Bedeutung sind und praktisch um-
     gesetzt werden können.                                           Klimabildungsfestival am Mainkai (Foto: Umweltlernen e.V.)
         In den von der UNESCO und dem BMBF ausgezeichne-
     ten Klimabildungsprogrammen „Energie schlau nutzen!“ und         mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildungszentren, mit Un-
     „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ treten Widersprüche zutage        ternehmen und kommunalem Klimaschutz, mit Wissenschaft
     zwischen dem epochalen Schlüsselproblem des Klimawan-            und Stadtteilinitiativen. Schule geht hinaus in den Stadt-
     dels und der Wirklichkeit – der des Schullebens, unserer (im-    teil, ermöglicht unmittelbare Erfahrung und Partizipation.
     perialen) Lebensweise und einer nicht-zukunftsfähigen Po-        Und für die Partner:innen von Bildungseinrichtungen ist es
     litik und Wirtschaft.                                            selbstverständlich, in die Schule, die Kita oder die Volks-
                                                                      hochschule zu gehen.

        Kritisch-emanzipatorische politische Bildung
                                                                        Lokale Bildungslandschaften für Nachhaltigkeit
     Bildung für nachhaltige Entwicklung steht vor der Heraus-
     forderung, nicht nur für das Leben in der Gegenwart zu be-       In solchen lokalen Bildungslandschaften wäre miteinander
     fähigen, sondern darüber hinaus eine lebenswerte Zukunft         und voneinander lernen Alltag: Klimabildung wäre The-
     zu erschließen. Zukunft kann dabei angesichts einer aktuell      ma für Jung und Alt und Bildung würde wirksame Impul-
     nicht-nachhaltigen Entwicklung nicht als bloße Verlängerung      se für Klima-Engagement und gesellschaftlichen Zusam-
     der Gegenwart begriffen werden. Auf die Zukunft kann Bil-        menhalt setzen.
     dung nur orientieren, indem sie nicht unreflektiert zu einer        In einzelnen Projektzusammenhängen wird eine solche
     Identifikation mit der Gegenwart erzieht.                        Zusammenarbeit schon erprobt, so in einem vom Integrier-
         Die Anerkennung dieses Nicht-Identischen ist für die päd-    ten Klimaschutzplan des Landes Hessen geförderten Ko-
     agogische Praxis Herausforderung wie Chance. Sie spricht die     operationsprojekt zwischen Bildung, Energieberatung und
     Frage der Handlungsmöglichkeit in der eigenen Lebenswelt         Kommune oder im Projekt LeKoKli (4). Aber noch finden
     wie die Möglichkeiten für ein gemeinsames politisches Han-       diese Kooperationen in Nischen statt und sind als lebendi-
     deln an. Ins Positive gewendet können die Irritationen über      ge Bildungslandschaften für nachhaltige Entwicklung noch
     Bestehendes und die Enttäuschung von Erwartungen Lern-           nicht in der Breite präsent. Es bedarf einer Allianz zwischen
     und Bildungsprozesse initiieren (2). Für das Feld der Klima-     Schule, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Staat, um solche
     bildung würde dies bedeuten:                                     zukunftsfähigen Bildungslandschaften zu schaffen.
     • Lehrende wie Lernende bleiben nicht bei technischen               „Lasst uns unsere Zukunft nicht verbrennen!“ Wir alle ge-
     Lösungen stehen. In den Blick genommen werden der Zu-            meinsam müssen den Stellenwert von Klimabildung in den
     sammenhang von Technologie und Politik wie auch gesell-          Bildungslandschaften selbstbewusst einfordern. Selbstbe-
     schaftliche Naturverhältnisse; die Klimakrise ist ohne einen     wusstsein, Ernsthaftigkeit und Engagement – das ist es, was
     Gesellschaftsbegriff nicht angemessen zu denken.                 wir dabei von jungen Menschen lernen können.
     • Lehrende wie Lernende überschreiten ihre – im BNE-Bereich      Michael Schlecht und Dr. Claudia Wucherpfennig
     sehr populäre – Rolle als aufgeklärte Konsument:innen, die       Umweltlernen in Frankfurt e.V.
     ökologisch produzierte und fair gehandelte Produkte kaufen,
                                                                      Alle Infos: www.umweltlernen-frankfurt.de
     und nehmen sich als politische Subjekte wahr, die gesell-
     schaftliche Verhältnisse aktiv mitgestalten können.              (1) UNESCO (2013): Action for Climate Empowerment. Guidelines
     • Lehrende wie Lernende entwickeln mit sozialer Fantasie         for accelerating solutions through education, training and public
     und kritischer Reflexion von Macht konkrete Utopien für ein      awareness. Paris.
                                                                      (2) Reinhold Hedkje (2018): Das Sozioökonomische Curriculum.
     gutes Leben für Alle innerhalb der planetarischen Grenzen. (3)
                                                                      Frankfurt/M.
         Dazu muss Schule Erfahrungen ermöglichen, auch po-           (3) Thomas Jahn et al. (2020): Sozial-ökologische Gestaltung im
     litische Erfahrungen, das Feld öffnen und sich selbst als        Anthropozän. In: GAIA 29 (2), 93-97.
     lernende Institution im gesellschaftlichen Kontext begreifen.    (4) LeKoKli, Lernfeld Kommune für Klimaschutz (2019): Sachbericht
         Unsere Vision für die Weiterentwicklung der Klimabil-        Lernfeld Kommune für Klimaschutz. Verknüpfung von Bildungs-
     dung: Schulen kooperieren mit Nachhaltigkeitsinitiativen,        und lokalen Klimaschutzprozessen. Springe.
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