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Thema Mitteilungsblatt des Evangelischen Pfarrvereins in Baden e. V. www.pfarrverein-baden.de April | 4/2021 August 2015 Aus dem Inhalt: Schöpfung und Klimagerechtigkeit Theologisches zum Klimaschutz Klimagerechtigkeit in der Landeskirche Aktionen in der Fläche Blicke über den Tellerrand Zur Diskussion Online-Abendmahl Islam Evangelikale und Liberale Aus dem Pfarrverein Aus der Pfarrvertretung
Editorial E Liebe Leserin, lieber Leser! s gibt keinen Plan(et) B! So und mit der „Kirche im Nationalpark Schwarz- vielen anderen Slogans protestieren wald“. Zudem finden sich in dieser Ausga- Jugendliche für mehr Klimaschutz und ei- be Beiträge zur Diskussion und Buchbe- nen achtsamen Umgang mit der Schöp- sprechungen. fung. Spätestens seit den 1980er Jahren und dem „Konziliaren Prozess für Frieden, Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöp- Lesen und den eigenen Erfahrungen in fung“ ist der Schutz der Schöpfung und die und mit der Schöpfung Gottes in diesem Frage nach der Rolle des Menschen in ihr Frühjahr! ein prominentes Thema der kirchlichen Ar- beit und der theologischen Reflexion. Klimaneutral ins Reich Gottes: Die gute Schöpfung zeigt sich erst am Ende – so der Titel dieser Ausgabe. Mit ihm wird der theologische Bogen deutlich, der das The- ma Schöpfung in menschlicher Reflexion umgreift: die Spannung vom Engagement des Bebauens und Bewahrens und die Einsicht, dass der Mensch nicht Ursache der guten Schöpfung ist, sondern ein Teil derselben. Somit steht die Vollendung der Hinweis auf die nächsten Ausgaben Schöpfung noch aus. Wir Menschen ga- rantieren sie nicht. Die übernächste Ausgabe 7-2021 wird sich dem Thema „E wie engagiert: In diesem Heft finden Sie Artikel, die so- Evangelische Gemeinden in der Diaspora“ widmen. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften, wohl das Engagement für die Bewahrung Beiträge und Gedanken. der Schöpfung als Aufgabe kirchlichen Handelns exemplarisch beschreiben als Bitte senden Sie Ihre Beiträge am besten als auch Artikel, die der Frage nach der Rolle Word-Datei ohne besondere Formatierung, auch ohne Blocksatz und Silbentrennung am des Menschen in der Schöpfung nachge- Zeilenende, hen – in einer Zeit, in der mehr und mehr bis spätestens zum Menschen die Schöpfung neu wahrneh- men. Die Autorinnen und Autoren haben 20. Mai 2021 dabei unterschiedliche Perspektiven auf an die Schriftleitung. das Thema: Gemeindliche Perspektiven Die nächste Ausgabe (5+6-2021) zum Thema sind ebenso vertreten wie die wissen- „Kasualien: Von der Kunst des Kasus“ schaftlicher Forschung oder aus einem ist schon in Bearbeitung speziellen kirchlichen Arbeitsfeld wie dem 162 Pfarrvereinsblatt 4/2021
Thema Klimawandel und die Liebe zur Schöpfung. Eine neutestamentliche Annäherung ❚ Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, an der liegt, in der wir uns heute bewegen. Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung In der Theologie spricht man von einem der EKHN, wagt in seinem Beitrag eine „Kairos“, in dem wir uns befinden: einer neutestamentliche Annäherung um das besonders herausgehobenen Zeit. Ein Engagement für den Klimaschutz Kairos ist ein günstiger Zeitpunkt für Ent- biblisch-theologisch zu reflektieren. scheidungen: „pro“ Umwelt, „pro“ Nach- Dabei entwickelt er drei Thesen zum haltigkeit, „pro“ Generationengerechtig- T Denken im Futur Zwei.1 keit. „Pro“ interreligiösen Dialog. Und „contra“ Ausbeutung, „contra“ Wachs- ropische Nächte in Deutschland, tumsideologie, „contra“ Vereinsamung, schwere Waldbrände in Schweden, „contra“ Entdemokratisierung. Australien und den USA, hochsommerli- Ich werde im Folgenden diesen Kairos un- che Temperaturen nördlich des Polarkrei- ter drei Aspekten betrachten: einer neuen ses: Der Klimawandel macht sich bemerk- Verhältnisbestimmung zwischen Mensch bar. Überall auf der Welt. Unübersehbar und Mitwelt, der Rolle des Nächstenliebe- für alle, die die stetigen Veränderungen Gebotes im Kontext einer Schöpfungsthe- des Wetters in allen Regionen der Welt ologie und der Rolle des Geistes bei einer beobachten. Von einem „Vorboten“ des Zukunftsgestaltung. Klimawandels war zum Glück nicht mehr die Rede. Vielmehr von einer drohenden Meine erste These: „Heißzeit“, wie es der Klimaforscher Es bedarf einer neuen Schellnhuber mit Kolleginnen und Kolle- Verhältnisbestimmung gen andeutete, weit weg von den norma- zwischen Menschen und Mitwelt, len Schwankungen über die Jahrhundert- um dem Klimawandel zu begegnen. tausende hinweg, in einer völlig anderen Der homo faber, der sich die Natur Senke zwischen „kalt“ und „heiß“ weit untertan machte, hat ausgedient – auch oberhalb dessen, was Menschen und wenn es ihm und ihr noch längst nicht be- Umwelt bisher als heiß erlebt hatten. wusst geworden ist, denn Abschied zu Die Forscher deuteten an, dass es durch nehmen von alten Mustern fällt schwer. entschlossene Maßnah- Der homo faber hat seine men in Politik, Wirtschaft, Umwelt nicht als Mitwelt Gesellschaft und bei jeder wahrgenommen, sondern Es bedarf einer neuen einzelnen noch möglich in ihr alleine ein Objekt, Verhältnisbestimmung sei, diese „Heißzeit“ zu eine Ressource für sich zwischen Menschen und vermeiden und in eine gesehen. Raubbau an Mitwelt Senke zwischen „kalt“ und „heiß“ zu ge- der Natur betrieben. Und das über Jahr- langen, die lebensfreundlich ist und näher hunderte hinweg. Zum Teil sogar das Pfarrvereinsblatt 4/2021 163
„Macht Euch die Erde untertan“ (1. Mose zu können – mit einem Blick über den Tel- 1,28) als falsche Legitimation gewählt, lerrand hinaus in eine Wirklichkeit, die von steht es doch vielmehr für einen sorgsa- Theolog*innen als Transzendenz des men Umgang des Menschen als Statthal- oder gerade umgekehrt auch als Essenz ter Gottes mit der Natur als Schöpfung. des Seins und Werdens dargestellt wird. „Jetzt schlägt die Natur zurück“ – werden Jenseits unseres Vorstellungsvermögens manche denken. Genauso falsch. Denn und doch mitten im Leben. Dieses Er- im Verhältnis zwischen nichtmenschlicher kenntnis- oder Wahrnehmungsvermögen und menschlicher Natur sind Metaphern unterscheidet uns womöglich von all un- des Kampfes oder Krie- serer Mitwelt, trennt uns ges unangebracht, wenn aber nicht von ihr. Ein sol- auch vielfach gebräuch- ches Selbstverständnis Der westliche Mensch lich. Manche sehen die ginge dann über eine „Sor- hat sich als Dirigent des Natur als Ort der Bewäh- ge für die Umwelt“ weit hin- Orchesters der Natur rung oder machen sie aus, der Begriff „Achtsam- gesehen zum Schauplatz der Selbstinszenierung. keit“ gerät in den Blick: „Achtsam wahr- Mir liegt hier der Begriff der Entfremdung nehmen“ wird zur Aufgabe für uns Men- näher: Menschen haben sich mit ihrer Kul- schen. Achtsam uns selbst wahrnehmen, tur so weit von den ihnen zugrunde lie- achtsam unsere Mitmenschen wahrneh- genden Lebensbedingungen entfremdet, men, achtsam unsere Mitgeschöpfe und dass sich eine tiefe Kluft dazwischen auf- unsere Mitwelt und deren Bedürfnisse getan hat. Der westliche Mensch hat sich wahrnehmen. als Dirigent des Orchesters der Natur, von Dieses achtsame Wahrnehmen kann in der wir theologisch als Schöpfung spre- den bekannten Kategorien des homo fa- chen, gesehen – ohne zu merken, dass ber erfolgen – wie in dem Projekt ICA- ihm und ihr immer mehr Instrumente ver- RUS, das im August 2018 Schlagzeilen lustig gehen, die Biodiversität bedrohlich machte: Icarus ist eine internationale Ko- abnimmt. Und damit wunderbare Stim- operation zur Beobachtung von Tieren men in der Vielfalt der Natur, in der Vielfalt aus dem Weltraum (International Coope- des Geschaffenen, nicht mehr zu hören ration for Animal Research Using Space). sind. Dabei ist der Platz des Menschen Mit Icarus wollen Wissenschaftler mehr gar nicht vor dem Orchester, sondern mit- über das Leben der Tiere auf der Erde ten in diesem Orchester. Auch der herausfinden: auf welchen Routen sie Mensch als Schöpfung Gottes spielt ein wandern und unter welchen Bedingungen Instrument neben vielen anderen. Mal die sie leben. Diese Erkenntnisse dienen der Pauke, mal die Flöte. Mal in der ersten Verhaltensforschung, dem Artenschutz Reihe, mal in der zweiten. Vielleicht hat er und der Erforschung der Ausbreitungswe- auch manchmal eine Pause einzuhalten. ge von Infektionskrankheiten bis hin zur Immer aber ist der Mensch mit einem be- Vorhersage von ökologischen Verände- sonderen Bewusstsein dafür begabt, die- rungen und Naturkatastrophen. „Mit Ica- se Stellung verantwortlich wahrnehmen rus wollen die Forscher globale Bewegun- 164 Pfarrvereinsblatt 4/2021
gen und Wanderungen von tausenden Es mag ein Staunen über die Schöpfung Tieren in Echtzeit analysieren und so Da- sein, die zum Einstimmen motiviert. Aller- ten über den Zustand der Erde gewinnen. dings bleibt das Staunen bei einer unper- (https://www.icarus.mpg.de/de)“ sönlichen Religiosität stehen. Es mag Dieses achtsame Wahrnehmen kann Stolz sein, der dazu motiviert. Allerdings allerdings auch in anderen Kategorien er- verführt Stolz zu Überheblichkeit. Auf je- folgen, der des Staunens, der der Wieder- den Fall gilt: Die Umwelt zu schützen aus entdeckung des Heiligen oder der der einer Haltung von Dankbarkeit und Demut Dankbarkeit. heraus, das ist etwas ganz anderes als Ich möchte das mit einem Rückgriff auf Handeln aus Stolz und Hochmut. den ersten Schöpfungsbericht in der Bibel Was ist es für mich? Es ist eine Wieder- (1. Mose 1,1-2,4a) deutlich entdeckung des Heiligen, wie machen. Dort heißt es in der es ähnlich auch der Soziolo- uns bekannten Übersetzung ge und Sozialphilosoph Hans Da ruft jemand am Ende des sechsten Joas (2017) schreibt. Aber es zur achtsamen Schöpfungstages: „Und sie- ist vor allem eine tiefe Dank- Betrachtung der he, es war sehr gut.“ Klingt barkeit darüber, Teil des Schöpfung auf: nach einer Zuschreibung an Wunders des Lebens insge- Siehe! die Schöpfung, einer Wertung als einer samt sein zu dürfen. In der Spannung ste- sehr gut gelungenen Schöpfung. Mich hen zu müssen zwischen Kleinheit und fasziniert eine andere Interpretation die- Hoheit, wie es so wundervoll in Psalm 8 ser wenigen Worte durch den Alttesta- insbesondere in den Versen 4f und 6 be- mentler Christoph Hardmeier und den schrieben ist: „Wenn ich sehe die Himmel, Umweltethiker Konrad Ott. Bei deren deiner Finger Werk, den Mond und die Interpretation müssten die Worte als Ap- Sterne, die du bereitet hast: Was ist der pell folgendermaßen geschrieben wer- Mensch, dass du seiner gedenkst, und den: „Siehe!“ – „Sehr gut!“ Da ruft jemand des Menschen Kind, dass du dich seiner zur achtsamen Betrachtung der Schöp- annimmst?“ Und direkt schließt sich an: fung auf: Siehe! Und Menschen aller Zei- „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als ten können zustimmend einstimmen: Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn „Sehr gut!“. Es ist also nicht die sehr gut gekrönt.“ gelungene Schöpfung, von der an dieser Wir Menschen: klein im Vergleich zu den Stelle die Rede ist, sondern es ergeht eine unendlichen Weiten des Weltalls, kleiner Aufforderung an alle, die diese Zeilen über als Gott. Aber doch mit Ehre und Herrlich- die Jahrtausende hinweg lesen: „Schau keit bekrönt. Eine leuchtende, goldene Dir die Schöpfung an, nimm achtsam Krone also? Das Neue Testament wird wahr, was Gott da geschaffen hat. Und hier sehr deutlich: Es ist die „kontrafakti- stimme in den Chorgesang der Vielen mit sche“ Dornenkrone Jesu, die auch wir tra- ein, die darauf mit „Sehr gut!“ antworten, gen und die uns daran erinnert, dass alles geantwortet haben und noch antworten ganz anders sein könnte als es ist – oder werden.“ auch überhaupt nicht. Denn die Weisheit Pfarrvereinsblatt 4/2021 165
der Welt wird mit dieser Krone hinterfragt, In den neutestamentlichen Evangelien ja bis zu einem gewissen Grade sogar ad wird die Frage „Wer ist mein Nächster?“ absurdum geführt: Weisheit, die alleine insbesondere im Lukas-Evangelium dar- auf Zahlen beruht, ist keine Weisheit, son- gelegt, exemplarisch in der Beispielerzäh- dern nacktes Wissen. Weisheit entsteht lung vom Barmherzigen Samariter, der die im Zusammenspiel von Wissen mit Acht- Perikope vom „Doppelgebot der Liebe“ samkeit und Dankbarkeit. voransteht (Lk 10,25-37). Wichtig für die Eine solche Weisheit er- Interpretation ist eine Um- möglicht ein erneuertes kehr in der Fragerichtung: Schöpfungsvertrauen und Heißt es in V.29 noch „Wer Weisheit entsteht im kann uns einen anderen ist mein Nächster?“, so Zusammenspiel von Umgang mit unserer Mit- lautet es in V.36: „Wer …. Wissen mit Achtsamkeit schöpfung lehren – die im ist der Nächste geworden und Dankbarkeit Zusammenspiel mit den Weisheiten an- dem, der unter die Räuber gefallen war?“ derer Weltreligionen dazu beitragen kann, Hier wird deutlich, dass das Liebesgebot die „Senke“ vielleicht doch noch zu errei- universal ausgeweitet werden soll und chen, von der die Wissenschaftler andeu- sich gerade nicht nur auf Menschen in Not ten, sie könne lebensfreundlich genug für beschränkt, sondern Menschen in Not alles Geschaffene sein. diejenigen, die ihnen helfen, zum Näch- sten machen – unabhängig von deren Meine zweite These: Herkunft, wie das Beispiel des Samariters Das Nächstenliebe-Gebot im zeigt. Deutlich macht Lukas diese Erwei- Zweiten Testament kann uns einen terung auch im für sein Evangelium pro- Impuls zur Liebe der Schöpfung grammatischen Abschnitt Lk 4,16-30. Hier geben. wendet sich Jesus helfend zwei Nicht-Ju- Welche Rolle kann die Nächstenliebe in den zu, der Witwe von Sarepta und dem einer Schöpfungstheologie in den Zeiten Syrer Naaman. Damit wird das Heil nicht von Klimawandel und von den Juden weggenom- Verlust der Biodiversität Das Nächstenliebe-Gebot men, sondern es handelt spielen? Das ist die Grund- sich um eine Erweiterung frage meiner zweiten The- des Adressatenkreises im Zweiten Testament se. Ich werde diese mit göttlicher Gnade und Zu- kann uns einen Impuls Hilfe der drei neutesta- wendung. zur Liebe der Schöpfung mentlichen, synoptischen Kein Mensch, ja nach älte- geben. Evangelien Matthäus, Markus und Lukas ren Schriften auch kein sonstiges Lebe- beantworten und dabei drei Gedanken wesen (vgl. Testamente der 12 Patriar- entfalten. chen) und in jüngster Zeit auch kein Gras- Erster Gedanke: Für Klimaschutz einzu- halm (Gregersen 2015) ist von diesem stehen setzt voraus, in allen Menschen, ja universal ausgeweiteten Liebesgebot in der gesamten Schöpfung unsere Näch- ausgeschlossen. Wenn Menschen in fer- sten zu sehen. nen Regionen aufgrund des Klimawan- 166 Pfarrvereinsblatt 4/2021
dels Not und Armut leiden, wenn Tiere Vorzeichen einer Vollkommenheitsforde- aussterben, der Wald stirbt, leidet auch rung und damit im Horizont der besseren ein Teil von uns mit. Schritte vom Reden Gerechtigkeit hohe Ideale, die nicht ein- über diese Situation zum Handeln in die- fach umzusetzen sind. Diese Möglichkeit ser Situation sind notwendig, wie sie z. B. der faktischen Überforderung oder des durch die Fridays for Future-Bewegung Scheiterns steht bei Matthäus im Lichte immer wieder neu angemahnt werden. der Vergebungsbitte des Vaterunsers (Mt Aber auch die Weltklimakonferenz von 6,14f) und der Aussage, nicht nur sieben- Paris oder die Sustainable Development mal, sondern siebzigmal siebenmal zu Goals der Vereinten Nationen sind wichti- vergeben (Mt 18,21f). Vergebung erlässt ge Schritte zum Handeln. jedoch nicht das liebende Handeln. Zweiter Gedanke: Für Klimaschutz einzu- Klimagerechtigkeit kann aus der Perspek- stehen setzt voraus, dass der Gedanke tive des Matthäus-Evangeliums (siehe der Klimagerechtigkeit zum Prinzip allen Perikope vom reichen Jüngling) und unter Handelns und somit auch kirchlichen Han- den Bedingungen heute z. B. als Vertei- delns wird, präzisiert z. B. als Verteilungs- lungsgerechtigkeit entfaltet werden. Da- gerechtigkeit. bei wird eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaft dezidierte Schritte weg vom In den neutestamentlichen Evangelien bisherigen Ausrichten an einer Ideologie wird die Frage nach der „besseren Ge- des unbegrenzten Wachstums und der rechtigkeit“ insbesondere im Matthäus- Gewinnmaximierung einzelner Unterneh- Evangelium gestellt (Mt 5,20) und exem- men gehen müssen. Eine „Ökonomie der plarisch in der Perikope vom „Doppelge- Genügsamkeit“ orientiert sich am Ge- bot der Liebe“ in Mt 22,34-40 beantwortet meinwohl und müsste begleitet werden – dort wird das Liebesgebot zum Ausle- von einer Politik, deren Ziel die Steigerung gungskriterium für Gesetz und Propheten. eines alternativen Wohlfahrtsindikators Die von Jesus geforderte bessere Ge- wäre, wie er im Nationalen Wohlfahrtsin- rechtigkeit wird dabei in dem programma- dex schon vorliegt, den maßgeblich der tischen Abschnitt Mt 5,17-20 entfaltet – Umweltbeauftragte des Rates der Evan- Matthäus, so kann gefolgert werden, for- gelischen Kirche in Deutschland, Hans dert eine Gerechtigkeit, die am Liebesge- Diefenbacher von der Forschungsstätte bot orientiert ist. der Evangelischen Studiengemeinschaft Interessant ist die „Realitätsnähe“ von (FEST) in Heidelberg erarbeitet hat. Matthäus: Der reiche Jüngling (Mt 19,16- Der dritte Gedanke: Die Ausweitung un- 22) soll eigentlich auf alle Güter verzich- serer Liebe auf alle Menschen und Lebe- ten. Er ist dazu aber nicht in der Lage, wesen dieser Erde, die besondere Par- sondern „ging betrübt davon“. Und auch teinahme für die Armen sowie die Befähi- das matthäische Feindesliebe-Gebot (Mt gung zu einer stärkeren Gerechtigkeit 5,43-48) erscheint als eine fast unmöglich und zu einem solidarischen Teilen wird zu erfüllende Forderung: Nächsten- und durch die Nähe zur Gottesherrschaft er- Feindesliebe sind bei Matthäus unter dem möglicht. Pfarrvereinsblatt 4/2021 167
Insbesondere im Markus-Evangelium lich) – oder vielleicht angemessener vor wird dieser Gedanke zentral entfaltet. Die dem Hintergrund heutiger naturwissen- Pointe der Perikope vom „Doppelgebot schaftlicher Erkenntnisse: dem „Grund der Liebe“ in Markus 12,28-34 liegt in der und Abgrund des dynamischen und krea- Aussage Jesu: „Du bist nicht fern vom tiven Werdens“ – als ursprüngliche und Reich Gottes“, die schon von Mk 1,14f her fortwährende Schöpfung betrachten. als zentrales Thema der Verkündigung Konkret geht es darum, im Futur Zwei Jesu zu gelten hat: „Die Gottesherrschaft denken zu lernen: „Was wir in fünf oder ist nahe herbeigekommen.“ Der radikalen zehn Jahren auf der Basis einer Ethik des Zuwendung des schon jetzt eschatolo- Genug werden getan haben müssen, da- gisch handelnden Gottes zum Menschen mit nachfolgende Generationen in zwan- soll eine radikale Zuwen- zig oder fünfzig Jahren im- dung des Menschen zum mer noch ein gutes Leben Menschen und zu Gott – und haben werden.“ Generatio- Gottes Geist mit dem Lukas-Evangelium nengerechtigkeit entgrenzt ermöglicht Zukunft über das Markus-Evangelium hinausge- die räumlich gedachte Erweiterung des hend – zur Mitwelt des Menschen ent- Adressat*innenkreises der Liebe auch sprechen. zeitlich. Und die Zeit drängt zunehmend Die Gottesherrschaft ist dabei keine ferne mehr, das zeigen alle Berichte der zurück- Utopie, sondern eine konkrete Vision, die liegenden Jahre, wenn wir wenigstens die im tagtäglichen Leben umgesetzt werden im ersten Abschnitt genannte neue Klima- kann. Dies zeigt z. B. Michael Kopatz Stabilität erreichen möchten, die ein gutes (2018) mit seinem Ansatz der Ökoroutinen, Leben für Alle ermöglicht. in dem er den achtsamen Umgang mit Ressourcen zur Regel und nicht zum Be- Meine dritte, abschließende These: sonderen unseres Handelns werden lässt. Gottes Geist ermöglicht Zukunft. Als „geschaffener Mit-Schöpfer“, so der Ich schließe mit einem Zitat aus dem 2. amerikanische Theologe Philip Hefner Korintherbrief von Paulus: „Der Buchsta- (1993, 2003), sind wir prinzipiell in der La- be tötet, der Geist aber macht lebendig“ ge, die Entfremdung von den natürlichen (2. Kor. 3,6): Grundlagen unseres Daseins zu erken- Der tötende Buchstabe steht dafür, an ei- nen und zu überwinden. Unserer Verant- ner veralteten Agenda der Lebensführung wortung bewusst zu werden und entspre- bis hin zur Politikgestaltung festzuhalten, chend zu handeln. Uns gegen eine die nicht fähig ist, auf die ökologischen „Schöpfungsvergessenheit“ zu stemmen Herausforderungen unserer Zeit zukunft- und ein Gespür für das rechte „Maß des strächtige Antworten zu geben (nach Gün- Lebens“ wieder zu gewinnen, das unser ter Altner). Menschsein neu verortet im Konzert der Anders der Geist, der lebendig macht: Er Natur. Einer Natur, die wir theologisch aus symbolisiert das Sich-Öffnen für das bis- ihrer Beziehung zu Gott heraus, dem lang unverfügbar Scheinende, einen Weg „Grund und Abgrund des Seins“ (Paul Til- der Befreiung, der internationalen Ge- 168 Pfarrvereinsblatt 4/2021
rechtigkeit und Solidarität, den Weg einer • Gregersen, Niels Henrik (Hrsg.): Incarnation: On the Sco- globalen Friedens- und Nachhaltigkeits- pe and Depth of Christology, Minneapolis 2015. • Hardmeier, Christof; Konrad Ott: Naturethik und biblische kultur – und die kleinen Pendants dieser Schöpfungserzählung. Ein diskurstheoretischer und nar- großen Worte im täglichen Leben eines rativ-hermeneutischer Brückenschlag, Stuttgart: Kohlham- jeden und einer jeden von uns. mer, 2015. Wir alle wissen, dass wir diese neuen We- • Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers (Hrsg.): „Gottes Energie bewegt ge einschlagen sollten, aber es ist „der – Schöpfungszeit“. Arbeitshilfe, Hannover 2009. Geist willig, aber das Fleisch schwach“. • Hefner, Philip: The Human Factor. Evolution, Culture and Mit dieser kognitiven Dissonanz können Religion, Minneapolis 1993. wir produktiv und von liebendem Handeln • Hefner, Philip: Technology and Human Becoming, Minne- apolis 2003. her gedacht umgehen lernen, wenn wir • Joas, Hans: Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur uns als von Gottes Energie bewegte Men- Geschichte von der Entzauberung, Suhrkamp, Berlin schen begreifen und die damit verbunde- 2017. nen Möglichkeiten gemeinsam ergreifen • Kirchhoff, Thomas; Vera Vicenzotti; Annette Voigt (Hrsg.): Sehnsucht nach Natur. Über den Drang nach draußen in – im Bewusstsein, scheitern zu können, der heutigen Freizeitkultur, Bielefeld: transcript Verlag, aber in allem sich von der Liebe Gottes 2012. getragen wissend. • Kopatz, Michael: Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für Als Geist-begabte Menschen sind wir trotz richtig halten, München 2018. • Leggewie, Claus: Futur Zwei. Klimawandel als Gesell- unserer Fragwürdigkeit und Ungewissheit schaftswandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32–33 im stets erneuerungsbedürftigen Schöp- (2010) 40–46. fungsvertrauen fähig, mit Lust und Freude • Meisinger, Hubert: Liebesgebot und Altruismusforschung. unsere fundamentale Verantwortung für Ein exegetischer Beitrag zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft, Fribourg/Göttingen 1996. die naturgegebenen und von uns bedroh- • Quarch, Christoph: Das Maß des Lebens wiedergewin- ten Lebensgrundlagen achtsam und nen. Die Welt braucht einen spirituellen Klimawandel, in: dankbar wahrzunehmen. Diakonisches Werk der EKD u.a. (Hg.): Die Klima-Revo- ❚ Hubert Meisinger, Mainz lution, Publik-Forum Dossier, Oberursel 2007, VII. • Sachverständigenrat für Umweltfragen (Hrsg.): Umwelt- gutachten. Für eine dauerhaft umweltgerechte Entwick- 1 Die Erstveröffentlichung des Textes hat im Januar 2021 lung, 1994. auf www.theologie-naturwissenschaften.de stattgefunden • Steinberg, Julius: Zur Ausbeutung freigegeben?, in: Hieke, Thomas; Konrad Huber (Hrsg.): Bibel falsch verstanden. Quellen und Literaturhinweise: Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt, Stutt- • Altner, Günter: ErdVerantwortung. Alles nur Diktat der Ge- gart 2020, 28–35. ne? – Oder waren wir es nicht selber, die da aufbrachen?, • Tillich, Paul: Systematische Theologie. Bd I-III, Berlin u.a.: Berlin 2010. de Gruyter Bd I/II 81987 Bd III 41984. • Aus der Au, Christina: Achtsam wahrnehmen. Eine theolo- • Vogt, Markus: Prinzip Nachhaltigkeit. Ein Entwurf aus the- gische Umweltethik, Neukirchen 2003. ologisch-ethischer Perspektive, München 2009. • Bergmann, Sigurd: Fetishized nature or life-giving breath? • Will, Steffen; Hans Joachim Schellnhuber u.a.: Trajecto- Religion as Skill in Climate Change, Consensus: Vol. 41 ries of the Earth System inthe Anthropocene, PNAS Au- (2030): Iss. 1, Article 3. Available at: https://scholars.- gust 14, 2018, vol. 115, Nr. 33, S. 8252–8259. wlu.ca/consensus/vol41/iss1/3 • Biehl, Michael; Bernd Kappes; Bärbel Wartenberg-Potter (Hrsg.): Grüne Reformation. Ökologische Theologie, Hamburg: Missionshilfe Verlag, 2017. • Frisch, Max: Homo faber. Ein Bericht, 1957. Pfarrvereinsblatt 4/2021 169
Thema Aufklärung, Anthropozän, Apokalypse? ❚ Wohin führt eine Anthropologie ohne Böse. Abgesehen davon, dass die Men- Gott? Dieser Frage geht Dr. Sarah Köhler schen hier ein göttliches Gebot übertre- nach, die die Ökumenische Arbeitsstelle ten, ist die erlangte Fähigkeit für den Men- Anthropozän im Ökumenischen Prozess schen positiv zu bewerten. Der Mensch „Umkehr zum Leben – den Wandel erwirbt die Möglichkeit zu Einsicht und Er- gestalten“ leitet. Sie plädiert für eine kenntnis. Er kann klug werden und damit Veränderung der Systeme und der auch mündig vor Gott. Das sind gute Din- Denkweisen weg vom reinen Reich der ge. Die Tat selbst zeigt die Pole zwischen Menschen hin zur Antwort auf Gottes dem Guten und dem Bösen. Da wird ein- Frage: Wo bist du, Mensch? erseits ein Gebot gebrochen und diese Entscheidung führt in eine Gottesferne. Aufklärung biblisch? Andererseits wird aber Weisheit und Er- Die biblische Aufklärung beginnt nicht kenntnis erworben und nun lebt der erst im 18. Jahrhundert, sondern mehr als Mensch in der Mündigkeit, sich selbst vor 2000 Jahre früher. Sie findet sich in einem Gott zu bewähren und er hat die Freiheit der wohl bekanntesten Texte des Alten der Entscheidung gegen, aber auch für Testaments. Es handelt ihn. Der Mensch verliert sich dabei um Gen 2,4b- seine Unmündigkeit und 3,2. Es ist der so genann- Naivität. Die Erkenntnis Der Mensch kann klug te zweite Schöpfungsbe- von Gut und Böse ist eine werden und damit auch richt. Doch es wird weit- Fähigkeit, die anderswo mündig vor Gott. aus mehr darin erzählt als biblisch dem Menschen Das sind gute Dinge. nur die Erschaffung der Welt und die von erst im Verlauf des Erwachsen-Werdens Mann und Frau aus dem Menschen. Ei- zu Teil wird (vgl. Dtn 1,39; Jes 7,16). nes der ersten Dinge, die die Bibel über Von da an beginnen wir Menschen, unse- den Menschen erzählt, ist, dass er nur re Welt mitzugestalten, Wissen über sie vollständig in der Beziehung zu anderen zu sammeln und es unseren Kindern Menschen ist: „denn es ist nicht gut, dass weiterzugeben. der Mensch allein ist (Gen 2,18).“ Der Kennen Sie den Unterschied zwischen ei- Mensch wird von Gott erschaffen, belebt nem Lehrer und Gott? Gott weiß alles, der und sozialisiert. „Und sie waren beide Lehrer weiß alles besser! Ich möchte ganz nackt, der Mensch und seine Frau, und sicher keinen bestimmten Beruf diskredi- sie schämten sich nicht.“ „Die Schlange tieren, noch dazu so einen ehrbaren. aber war schlauer als alle Tiere des Fel- Doch sind wir manchmal nicht so froh, er- des, die Jahwe Gott gemacht hatte;“ und wachsen zu sein, endlich unser Leben in sobald die Menschen von der Frucht die Hand zu nehmen und es zur Selbst- aßen, gingen ihnen die Augen auf. Sie verwirklichung zu gestalten, dass wir ver- konnten nun klug werden, sie sind wie gessen haben, wie wichtig es ist, Kind zu Gott geworden und erkannten Gut und sein? Doch gerade die Kinder als han- 170 Pfarrvereinsblatt 4/2021
delndes Subjekt der Zukunft öffnen uns auf dem Spiel steht. Harald Lesch hat das derzeit die Augen und hinterfragen die auf die Formel gebracht: „Die Menschheit überlieferten Wahrheiten. schafft sich ab.“ Der Mensch herrscht über Die Geschichte vom Anfang ist auch der die Erde, er scheint alles besser zu wis- Ort, an dem Gott in Gen 3,9 die erste Fra- sen. Das Anthropozän ist vielleicht zu- ge an den Menschen stellt: nächst eine Anthropologie „Mensch, wo bist du?“ Man ohne Gott, vielleicht auch könnte sagen, das ist die eine ohne Kinder und ohne Haben wir vergessen, anthropologische Grund- Zukunft. wie wichtig es ist, frage. Hier beginnt die An- Die Frage im Anthropozän Kind zu sein? thropologie, die Lehre vom Menschen, als lautet also erneut: Was ist der Mensch? Lehre von der Beziehung zwischen Ist er ein Wesen von Lebensanfang bis Mensch und Mitschöpfung, Mensch und Lebensende, oder ist er besser als Art, Mitmensch und nicht zuletzt zwischen zyklisch von Generation zu Generation Mensch und Gott. sein Wissen weitergebend, zu denken? Mensch, wo bist du? Die aktuelle Antwort Geht es um uns als einzigartige Individuen aus der Wissenschaft lautet: „Wir befin- der eigenen Selbstgestaltung oder als ir- den uns im Anthropozän.“ disches Kollektiv, das gerade jetzt ge- meinsam statt einsam handeln muss? Anthropozän: Im Anthropozän ist der Mensch mittendrin Willkommen im Reich der Menschen statt nur dabei, spielt aber als Individuum Der Begriff des Anthropozän ist ein keine Rolle mehr. Wir verlieren unseren sperriger, der wenig anschaulich das vom ökonomischen Wert, das zumindest ist die Menschen gemachte Neue beschreibt Meinung des Historikers Yuval Harari. In und seit seiner Entstehung aktuell intensiv seinem Buch mit dem Titel „Homo Deus“ wissenschaftlich diskutiert wird. Aus- schreibt er, dass das System die Men- gangspunkt der Debatte war der Ausruf schen weiterhin als Kollektiv wertschätzen des kürzlich verstorbenen wird, nicht aber als einzigartige Atmosphärenchemikers Paul Individuen. Der Philosoph Ma- J. Crutzen: „Wir befinden uns nuel Scheidegger betont zu- Die Menschheit im Anthropozän“. Der Termi- dem, dass es gerade die mo- schafft sich ab nus beschreibt die Tatsache, dass der derne Subjektivität und der Individua- Mensch als erste Art so großen Einfluss lismus des Strebens nach Selbstverwirk- auf die Erdsysteme, also Atmosphäre, lichung in Karriere und Reichtum seien, Hydrosphäre, Kryosphäre (Eissysteme), auf denen die Störung des Gleichgewichts Biosphäre und Lithosphäre (Erdkruste) eines Lebens mit und auf der Erde basie- nimmt, dass die Stabilität dieses funktio- ren. Wenn wir diese Störung beheben nierenden Gleichgewichts einzelner Öko- wollen, brauchen wir, so Scheidegger, kei- systeme gefährdet ist und damit parado- nen neuen Umgang mit der Natur, son- xerweise wiederum die Menschheit in ih- dern mit uns selbst als Teil dieser. Weniger ren heutigen gesellschaftlichen Formen ist mehr, sich selbst nicht wegdenken aber Pfarrvereinsblatt 4/2021 171
kleiner, Soziales und Kollektivität vor Indi- sche Aufgabe. Es fragt uns: Mensch, wo vidualismus, das ist der Weg, den er vor- bist du? Mensch, wer bist du? Wie können schlägt. wir unsere erschaffenen Strukturen so än- Doch was genau ist eigentlich das „Sys- dern, dass wir im Einklang und nicht in tem“ von dem Harari spricht? Da ist das Ausbeutung, im Mit- statt Gegeneinander System Mensch. Das ist mehr als Leistung leben? und Verstand, Herz und Geist gehören Das ist auch Aufgabe theologischer Re- auch dazu, doch welche Rollen spielen sie flexion. Wie kommen wir also zu einer An- für unsere Zukunft? Da sind die bereits vor- thropologie mit Gott? Müssen wir dafür gestellten Ökosysteme. Sie sind koevolu- „klimaneutral ins Reich Gottes“? tionär, d.h. sie reagieren aufeinander und miteinander und nicht getrennt voneinan- Apokalypse: der. Wir können es auch Schöpfungsord- Auf ins Reich Gottes? nung nennen, sie ist uns vorgeben und sie Die Vorstellung vom Reich Gottes ist ei- war gut so (Gen 1,31). Das sind die ne apokalyptische, eine eschatologische. menschlichen Systeme. Dazu gehören Sie ist also keine vom Anfang, sondern ei- Wirtschaftssysteme, Finanzsysteme, Län- ne des Endes. Es ist eine Vorstellung nicht der- oder Grundstücksgren- von der Herrschaft des Men- zen. Das sind Sinngeflechte schen ohne Gott, sondern von und Strukturen, erfunden, der Königsherrschaft Gottes, Der Mensch ist damit sie uns dienen. Oder der basileia tou theou. Es ist mittendrin dienen wir nicht vielmehr vielleicht der bedeutendste Ter- statt nur dabei heute ihnen in der Weise, dass wir uns als minus der gesamten neutestamentlichen Einzelne oder gar Menschheit nicht mehr Verkündigung. Er impliziert die Frage: neu erfinden können? Handelt es sich dabei um eine alleinige System Change not Climate Change Herrschaft Gottes, oder dient der Begriff fordert die Jugendbewegung Fridays For der Beschreibung für einen Raum und ei- Future. Es sind die menschlichen Syste- ne Zeit, ein Reich im Sinne Gottes zu ver- me, die es gilt zu ändern, denn die ande- wirklichen, wozu auch der Mensch aufge- ren Systeme, die der Erde, funktionieren rufen ist? Ist das eine Antwort auf der Su- ja schon in Balance, zumindest wenn wir che nach einer Anthropologie mit Gott? sie besser lassen würden. Der Mensch ist mittendrin statt nur dabei. Das bedeutet Ja und Nein. Volker Gäckle zeigt in seiner eben auch, über das Menschsein und 2018 veröffentlichten Studie zum Reich Menschliches nachzudenken. Mensch- Gottes auf, dass es keinen Beitrag des heit als Kollektiv wahrzunehmen, das Menschen zum Reich Gottes gibt, son- kommt und geht, und dieses als Vorbe- dern es allein eine göttliche Heilsgabe für dingung und Möglichkeitsraum für jede in- diejenigen ist, die sich zu ihm bekennen. dividuelle Ausprägung zu denken, könnte Diese Gabe kann uns zwar jetzt zugesagt eine Herausforderung unserer Zeit sein. werden, sie wird sich aber erst in der Zu- Das Anthropozän ist eine anthropologi- kunft vollziehen. Die Vorstellung vom 172 Pfarrvereinsblatt 4/2021
Reich Gottes ist aber auch ein Anfang, ei- ne Anthropologie mit Gott, den Kindern und der Gegenwart. „Wenn ihr nicht um- kehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich hineingehen (Mt 18,3).“ Umkehr ist ein Akt der Gegenwart. Die Eigenschaft von Zukunft ist, dass wir nicht wissen, wie sie aus- sieht, aber dass sie im Hier und Jetzt beginnt. Im Mat- Umkehr ist ein Akt thäusevangelium stehen die der Gegenwart Kinder für eine neue Gemeinschaft mit Gott, sie stehen für die Zukunft, die in der Gegenwart ihren Anfang hat. Kinder sind diejenigen, die in unsere Traditionen, Sys- teme, Strukturen und Sinngeflechte, ohne die wir nicht leben könnten, hinein gebo- ren werden, sie gelehrt bekommen und diese zu unserem Ärger auch ständig hinterfragen. „Warum?“ ist wohl das Lieb- lingswort eines jeden Kleinkindes, oder? In Alt und Jung kommen die Weisheit der gesammelten Erkenntnisse und die Nai- vität des Anfangs zusammen. Beide sind Lehrer und Lernende. Hier können wir an- setzen für eine Veränderung unserer Sys- teme und Denkmuster. Unsere Gegenwart ist irdisch, die Erde ist unser jetziges Himmelsgeschenk, hier liegt der Fokus für unsere Verantwortung. Wir haben als Erdlinge eine irdische Auf- gabe, Klimaneutralität wäre nur ein Bei- spiel. Nur auf der Erde vollzieht sich Menschsein im Dialog mit Gott. Hier ge- ben wir Antwort auf seine Frage: Mensch, wo bist du? ❚ Sarah Köhler, Heidelberg Pfarrvereinsblatt 4/2021 173
Thema Der vierte Klimabericht für die EKD ❚ Dr. Oliver Foltin und Dr. Benjamin Held mie mit sich bringen, Klimaschutz nichts von der Forschungsstätte der an seiner Bedeutung für die Kirchen ein- Evangelischen Studiengemeinschaft gebüßt hat. Im Gegenteil: Überlegungen (FEST) geben in ihrem Bericht einen zur Gestaltung eines ökonomischen Neu- Überblick über die Ergebnisse des starts nach Corona zeigen in der Regel vierten EKD-Klimaberichts. Dabei gehen die Bedeutung einer Integration von Um- sie auch auf die Resultate für die welt- und Klimaschutz in Strategien des Ev. Landeskirche in Baden ein und wirtschaftlichen Wiederaufbaus auf.“ 4 Wie skizzieren die möglichen weiteren schon in den drei Klimaberichten zuvor, Entwicklungen zur Erreichung der versucht auch der vierte Klimabericht auf- Klimaziele in der EKD und den zuzeigen, was in den letzten Jahren inner- F Gliedkirchen. kirchlich im Bereich Klimaschutz gesche- hen und wie der Stand hinsichtlich der an- ür die EKD-Herbstsynode 2020 hat gestrebten Treibhausgas (THG)-Reduk- die Forschungsstätte der Evangeli- tionen ist. schen Studiengemeinschaft (FEST) auf Im vorliegenden Beitrag werden zunächst Bitte des Rates und des Kirchenamts der die Ergebnisse hinsichtlich der Frage prä- EKD den vierten EKD-Klimabericht 1 erar- sentiert, ob die von der EKD-Synode emp- beitet. In der Einleitung zum zweiten Klim- fohlenen Ziele einer THG-Reduktion um abericht aus dem Jahre 2014 wurde hin- 25 % von 2005 bis 2015 sowie um 40 % sichtlich der Klimaschutzziele festgehal- bis 2020 erreicht wurden, bevor anschlie- ten, dass sich „in den letzten Jahren […] ßend ein Blick auf die gesamten THG- viele Landeskirchen, kirchliche Einrich- Emissionen der Gliedkirchen der EKD ge- tungen und Werke sehr intensiv mit die- worfen und schließlich ein Ausblick auf die sen Zielen auseinandergesetzt und sich Klimaschutzziele der EKD und der Glied- auf den Weg gemacht haben, mit unter- kirchen gegeben wird. schiedlichen Instrumenten und Maßnah- men Beiträge zu leisten, um diese Ziele Reduzierung der THG-Emissionen zu verwirklichen.“ 2 Im dritten Klimabericht in den Gliedkirchen 2017 wurde dies mit der Feststellung er- (25 %- / 40 %-Ziel) gänzt, dass die Intensität dieser Beschäf- Auf Grund der großen Verschiedenheit tigung mit Klimaschutz in den vorausge- der Landeskirchen wurde zur Beantwor- gangenen drei Jahren an vielen Stellen tung der Frage, ob das Reduktionsziel von noch deutlich zugenommen hatte. 3 Im ak- 25 % im Zeitraum 2005 bis 2015 erreicht tuellen, vierten Klimabericht des Jahres wurde, der Ansatz gewählt, nur solche 2020 wurde anerkannt, „dass trotz der Landeskirchen in die Berechnung einzu- auch für die Kirchen drängenden Fragen, beziehen, bei denen Daten entweder di- die die unmittelbaren praktischen Proble- rekt aus den Jahren 2005 und 2015 vorla- me der Bewältigung der Corona-Pande- gen oder aber bei denen Inter- bezie- 174 Pfarrvereinsblatt 4/2021
hungsweise Extrapolationen in nur relativ größten Teil auf vorhandene Daten zu- geringem Umfang notwendig waren. Ins- rückgriffen. Um zu prognostizieren, ob gesamt ergaben die Auswertungen von das Reduktionsziel von 40 % bis 2020 vor- acht Landeskirchen, für die entsprechend aussichtlich erreicht wird, wurden die belastbare Daten vorlagen, Werte von 2005 als Aus- dass mit den Kirchenmit- gangspunkt verwendet und gliederzahlen des Jahres mittels des jeweils aktuell- Rund 20 % der THG- 2015 gewichteten Durch- sten verfügbaren Wertes ei- Emissionen konnten schnitt von 2005 bis 2015 ne durchschnittliche jährli- eingespart werden rund 20 % der THG-Emissionen einge- che THG-Änderung berechnet. Diese Me- spart werden konnten. Das ist durchaus thode der Trendfortschreibung ergab, beachtlich, allerdings wurde das 25 %-Re- dass die THG-Emissionsreduktionen im duktionsziel laut dieser Berechnungen um Jahr 2020 bei 29 % und damit deutlich 5 %-Punkte verfehlt (Abb. 1). unterhalb des angestrebten Reduktions- Die Evangelische Landeskirche in Baden ziels von 40 % lagen. Trotz eventueller (EKiBa) ist dabei eine von drei Landeskir- statistischer Ungenauigkeiten ist der Ab- chen, die das 25 %-Reduktionsziel erreicht stand vom 40 % Ziel mit über 10 %-Punk- hat. Auf Basis der vom Büro für Umwelt ten recht klar und zeigt eine deutliche Lü- und Energie (BUE) zur Verfügung gestell- cke zwischen Ziel und Zielerreichung ten Daten wurde ermittelt, dass der Rück- (Abb. 2). Allerdings muss darauf hinge- gang von 2005 bis 2015 bei 27 % lag, was wiesen werden, dass auf Grund der Coro- den höchsten Wert Abbildung 1: aller Landeskirchen THG-Emissionen der betrachteten Gliedkirchen der EKD von 2005 bis 2015 (insgesamt) darstellt. 5 Zurück- zuführen ist dieser Erfolg sicherlich auch auf die in der EKiBa schon früh etablierte und durch und mit dem BUE fest verankerte und mit Nachdruck be- triebene Arbeit in Sachen Klima- schutz. Wie bei der Unter- suchung des 25 %- © FEST Heidelberg Ziels wurde auch beim 40 %-Ziel bis 2020 zum aller- Pfarrvereinsblatt 4/2021 175
na-Pandemie eine relativ große Unsicher- Minderungen als zuvor ausgewiesen wer- heit hinsichtlich der tatsächlichen THG- den (siehe Fußnote 5). Emissionen des Jahres 2020 vorherrscht. Für die EKiBa ergaben die Hochrechnun- THG-Emissionen aller gen mit einem geschätzten Rückgang Gliedkirchen der EKD von 33 % ebenfalls eine Verfehlung des Im Klimabericht wurde auch eine Schät- 40 %-Ziels. Allerdings ist nicht auszu- zung der THG-Emissionen aller Landes- schließen, dass das 40 %-Ziel entgegen kirchen durchgeführt. Dies war möglich, der Prognose auf Basis der Trendfort- da inzwischen für 14 Landeskirchen für schreibung doch erreicht wurde. Zum ei- mindestens ein Jahr THG-Emissionswer- nen könnte die Corona-Pandemie zu einer te vorliegen. Diese 14 Landeskirchen re- Verringerung geführt haben. Neben die- präsentie ren 91% der Kirchenmitglieder sem aller Voraussicht nach als nicht nach- der EKD. Allerdings gab es bei der Ermitt- haltig einzustufenden Rückgang sprechen lung auch Einschränkungen. Zum einen zudem noch zwei weitere Gründe für eine sind nicht bei allen Landeskirchen sämtli- mögliche Zielerrei- Abbildung 2: chung beziehungs- Schätzung der THG-Emissionen der betrachteten Gliedkirchen der EKD von 2005 bis weise mindestens 2020 (insgesamt) eine deutliche An- näherung an das Ziel. So wurde in der EKiBa im Jahr 2018 ein Sonder- programm im Ge- bäudesanierungs- bereich aufgelegt, um die prognosti- zierte Lücke der Zielerreichung bis 2020 möglichst zu schließen. 6 Hinzu kommt, der Um- stand, dass die THG-Bilanz durch das BUE nach der Übermittlung der Werte für den Klim- abericht noch ein- © FEST Heidelberg mal aktualisiert wur- de und hier nun et- was höhere THG- 176 Pfarrvereinsblatt 4/2021
che Bereiche erfasst, sprich Gebäude, zeichnet. Dieser gibt eine wichtige Orien- Mobilität und Beschaffung. Da insbeson- tierung zum letztendlich notwendigem Ziel dere für den Beschaffungsbereich die Da- bis spätestens 2050 und den Zwischen- tenlage relativ schwierig und hier die Me- schritten in den Jahren davor. Natürlich thodik der Erfassung sehr unterschiedlich ist dieser Weg mit teilweise großen Unsi- ist, wurde für ihn keine Hochrechnung vor- cherheiten verbunden. Auch müssen ein- genommen, sondern allein zelne Maßnahmen – insbe- für die Bereiche Gebäude sondere für den Zeitraum (Daten aus 14 Landeskir- ab 2030 – erst noch entwi- Pro Kirchenmitglied chen) und Mobilität (Daten ckelt und dann konkretisiert lagen die THG- aus 13 Landeskirchen). Zum und beschlossen werden. Emissionen bei anderen liegen die Werte Hinsichtlich der Reduktion 40–41 kg CO2e über einen großen Zeitraum verteilt und der CO2-Emissionen wird sich zudem ein teilweise recht weit in der Vergangen- Rückgang von Gemeindegliedern in der heit vor. EKD nicht unerheblich auf die CO2-Bilanz Im Gebäudebereich ergaben die verschie- auswirken. denen Berechnungsvarianten eine Spann- Der EKD-Klimabericht empfahl der Syno- breite von etwa 850.000 bis 900.000 Ton- de der EKD, in Übereinstimmung mit ihren nen CO2e, die durch die Landeskirchen Beschlüssen, die Landeskirchen zu bit- insgesamt emittiert wurden. Pro Kirchen- ten, Klimaschutz weiterhin zu einer mitglied lagen die THG-Emissionen bei Schwerpunktaufgabe zu machen und 40–41 kg CO2e. Im Bereich Mobilität erga- • bis 2030 eine Reduktion der Treib- ben die Varianten eine Spannbreite von et- hausgasemissionen um 60%, ausge- wa 155.000 bis 165.000 Tonnen COCO2e, hend vom Basisjahr 2005, vorzusehen; die durch die Landeskirchen insgesamt • bis spätestens 2050 eine annähernde emittiert wurden. Pro Kirchenmitglied ent- Klimaneutralität anzustreben; standen hieraus circa 7 kg CO2e. Somit la- • weiter die Umsetzung ihrer Klima- gen die THG-Emissionen pro Kirchenmit- schutzkonzepte zu verfolgen be- glied der EKD bei jährlich rund 47 kg CO2e ziehungsweise dort, wo es noch kein für die Bereiche Gebäude und Mobilität. solches Konzept gibt, dieses un- verzüglich zu erarbeiten; Klimaschutzziele in EKD • zu prüfen, ob die Verabschiedung und Gliedkirchen eines Klimaschutzgesetzes ein ge- Im Klimabericht wurde für die nächsten eigneter Weg sein kann, um der Jahre der folgende Fahrplan vorgeschla- Umsetzung der Klimaschutzkonzepte gen: Eine Reduzierung der CO2-Emissio- eine höhere Verbindlichkeit zu geben. nen um 60 % bis 2030, um 75 % bis 2040 und um 95 % bis 2050 im Vergleich zum Zur Koordinierung und Umsetzung von Basisjahr 2005. Somit wäre ein langfristi- Maßnahmen und zur Erreichung der Kli- ger Zielkorridor zur Treibhausgasneutra- maschutzziele sollten – auch nach dem lität bis 2050 in den Landeskirchen vorge- Auslaufen der Förderung durch das Pfarrvereinsblatt 4/2021 177
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz © EKD und nukleare Sicher- heit – dauerhafte Pro- jektstellen zum „Klima- schutzmanagement“ in allen Landeskirchen eingerichtet werden. Um die notwendigen fi- nanziellen Mittel über diese Projektstellen hinaus zur Verfügung zu stellen, sollten lan- deskirchliche Sonderfi- nanzierungsprogram- me wie Öko- oder Kli- maschutzfonds für ver- schiedene Maßnah- men zur Treibhausgas- reduzierung eingerich- tet werden. Hier ist zu prüfen, wie ein derarti- ger Fonds über länge- re Dauer und mit guter finanzieller Ausstat- tung gewährleistet werden kann. Weiter- hin sollte alle drei Jah- re der EKD-Synode ein Abbildung 3: Klimabericht vorgelegt Beschluss „Mehr Klimaschutz für eine resiliente Gesellschaft“ werden, aus dem die Umsetzung der beschlossenen Ziele er- Akteure – von der Gemeindeebene bis zur sehen werden kann. Auf Basis des Klim- obersten Leitung –, um diese Aufgaben aberichts hat die Synode zu erfüllen. Klima- den Beschluss „Mehr Kli- schutz sollte verstärkt maschutz für eine resi- als eine gemeinsame Klimaschutz sollte verstärkt liente Gesellschaft“ ge- Querschnittsaufgabe als eine gemeinsame fasst (Abb. 3). auf allen Ebenen an- Querschnittsaufgabe auf allen gesehen werden. Kli- Ebenen angesehen werden In kirchlichen Institutionen bedarf es der maschutzarbeit sieht sich immer mit einer Anstrengung zahlreicher Akteurinnen und Vielzahl anstehender Herausforderungen 178 Pfarrvereinsblatt 4/2021
in den Kirchengemeinden konfrontiert. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass bereits heute der globale Klimawan- del viele Lebens- und Wirtschaftsbereiche der Menschen in Deutschland beeinträch- tigt. Seine Folgen sind verstärkt auftreten- de Extremwetterereignisse wie Starkre- gen, Hochwasser und Sturmböen, aber auch extreme Hitzewellen mit Tempera- turrekorden und Dürreperioden im Som- mer stellen für Kirchengemeinden große Herausforderungen dar. ❚ Oliver Foltin und Benjamin Held, Heidelberg 1 Diefenbacher, Hans/oltin, Oliver/ Held, Benjamin/Roden- häuser, Dorothee/Schweizer, Rike/Vetter, Hannes (2020): Klimabericht für die Evangelische Kirche in Deutschland 2020. Hannover: Geschäftsstelle der Synode, URL: www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/07-TOP-VII-Klimabericht.pdf 2 Diefenbacher, Hans/Foltin, Oliver/Schweizer, Rike/Tei- chert, Volker (2014): Klimabericht für die Evangelische Kirche in Deutschland. Hannover: Geschäftsstelle der Synode. S.1. 3 Diefenbacher, Hans/Foltin, Oliver/Schweizer, Rike/Tei- chert, Volker (2017): Klimabericht für die Evangelische Kirche in Deutschland 2017. Hannover: Geschäftsstelle der Synode. S.3.. 4 Siehe Fußnote 1, S.1 5 Dabei werden bei den vom BUE erstellen THG-Bilanzen immer Werte für einen Zeitraum angeben. Für die Be- rechnungen wurden ohne weitere Anpassungen die Wer- te der Zeiträume 2003-2007 und 2013-2015 verwendet. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass die THG-Be- rechnungen durch das BUE inzwischen noch einmal ak- tualisiert wurden. Demnach liegt die Einsparung noch et- was höher. Die Ergebnisse können unter folgenden Link angesehen werden: https://www.ekiba.de/umwelt-ener- gie-bue/klimaschutzkonzept/klimabilanz/ 6 www.ekiba.de/html/content/CO2_minderungsprogramm_ 3_spalten_rechts_frei.html Pfarrvereinsblatt 4/2021 179
Thema Kann unsere Landeskirche Teil des gesellschaftlichen Wandels sein? 2021 wird es zeigen. ❚ Der Umweltbeauftragte unserer pflichtete sie sich erstmals– und auch als Landeskirche und Leiter des Büro für erste Landeskirche der EKD überhaupt – Umwelt und Energie (BUE) in der zu messbaren Einsparungen: 40 % weni- Abteilung Bau, Kunst und Umwelt im ger CO2-Emissionen bis 2020 im Ver- Evangelischen Oberkirchenrat gleich zum Jahr 2005 wurden beschlos- Dr. André Witthöft-Mühlmann führt deutlich sen. Dass Klimaschutz neben der Sanie- vor Augen, wo die Landeskirche in Sachen rung von Gebäuden auch die Mobilität Klimaschutz steht und wo noch nicht – und Beschaffung in den Blick nehmen S und vielleicht wo auch nie. muss, adressierte die Landessynode seit 2015 mit dem Projekt „Wir-kaufen-an- eit 2004 habe ich das Privileg mich ders“. Daraus erwuchs eine heute erfolg- in unserer Landeskirche hauptamt- reiche ökumenische Kooperation von ins- lich als Umweltbeauftragter um die Be- gesamt vier evangelischen Landeskir- wahrung der Schöpfung zu kümmern. Die chen und der Erzdiözese Freiburg. Das Grundlage dafür waren BUE wurde in dieser ges- die Ökologischen Leitli- amten Zeit von einer „Ein- nien, die die Landessy- Mann-Show“ zu einem Die EKIBA hat sukzessive node im Jahr 2003 be- Team von sechseinhalb ihr Engagement für die schloss. Der erste Leit- Vollzeitstellen. Als Ge- Bewahrung der Schöpfung satz war damals meine burtshelfer hierfür fungier- ausgebaut Motivation, mich bei der Kirche einzubrin- te 2010 die Stiftung Schönau (damals gen: „Wir verstehen Schöpfungsverant- noch Evangelische Stiftung Pflege Schö- wortung als eine Kernaufgabe der Kir- nau), die seitdem unbefristet zwei Stellen chen“. Der siebte Leitsatz lautet: „Wir för- davon finanziert. Alle anderen Personen dern ein kirchliches Umweltmanage- des Teams arbeiten hingegen auf befris- ment“. Aus diesem Grundverständnis ha- teten Projektstellen. ben sich seither rund 150 Grüne-Gockel- Die Einsicht in die Verschränkungen von Gemeinden entwickelt. Und dennoch: die globalen Handelssystemen, Klimawandel, Wahrscheinlichkeit, dass nicht viele in un- Armut und Frieden hat auch in unserer serer Landeskirche diese Leitlinien ken- Kirche den drängenden Ruf zur Transfor- nen, ist recht groß. Wer sie nachlesen will, mation lauter werden lassen. Eine meiner findet sie Sie auf den Webseiten des Bü- eindrücklichsten Erinnerungen ist die Re- ros für Umwelt und Energie (BUE). de unseres Landesbischofs vor 250 Tsd. In den 17 Jahren seither hat die EKIBA Menschen auf der TTIP-Demo in Berlin sukzessive ihr Engagement für die Be- 2016: „Wir wollen Globalisierung gerech- wahrung der Schöpfung ausgebaut. Mit ter gestalten! Sie muss eine bessere ge- dem Klimaschutzkonzept 2011–2021 ver- meinsame Zukunft für alle Menschen er- 180 Pfarrvereinsblatt 4/2021
möglichen und die Rechte der heutigen den harten Fakten und Lösungsansätzen wie auch kommender Generationen be- der Klimawissenschaften endlich zu fol- achten.“ Im Vorfeld war im Umweltbeirat gen. Wir alle wissen um das immer kleiner der Landeskirche (in der Ev. Akademie werdende Zeitfenster zur Umkehr. Uns Baden) auf die Brisanz dieser Handels- bleiben noch 10 Jahre. verträge hingewiesen worden, eine der Trotz der eingangs erzählten „kirchlichen EKD-weit ersten Stellungnahmen zu die- Erfolgsstory“ sind wir nach meiner Wahr- sen Themen wurde hier erarbeitet. nehmung als Landeskirche in der Praxis Den Aufruf des Ökumenischen Rats der längst nicht da angekommen, wo wir ge- Kirchen auf der Vollversammlung in Bu- mäß den eigenen Zielsetzungen der Öko- san 2013 zu einem „Pilgerweg der Ge- logischen Leitlinien und der drängenden rechtigkeit und des Friedens“ machte sich Situation sein müssten. die Landeskirche kurz darauf zu eigen. Ei- Bewahrung der Schöpfung als Kernauf- ne referatsübergreifende gabe zu bezeichnen, ist Fachgruppe im EOK in- nur dann glaubwürdig, itiiert eine Pilgerwegs- wenn sie mit ausreichend Das Wissen in der Kirche Community, die sich da- Ressourcen ausgestattet um die weltweite für einsetzt, engagierte wird. Nur mit befristeten Ungerechtigkeit und die Menschen in den Ge- Projekten zeugt sie nicht Klimakrise war noch nie meinden und aus ver- von gelebtem Selbstver- größer schiedenen Bereichen zusammenzufüh- ständnis, und setzt damit auch entspre- ren und beispielhaftes Handeln für einen chende Zeichen nach außen. Es braucht Wandel aufzuzeigen und zu vernetzen. hier klare kirchenpolitische Entscheidun- Aus einer ökumenischen Delegationsrei- gen in den leitenden Gremien. se Kirchenleitender der vier Kirchen BW Die EKD veröffentlicht in ihren Texten zum Pariser-UN-Klimagipfel 2015 ent- fachlich ausgezeichnete Analysen. Nach stand das „Ökumenische Bündnis für Kli- den Einsichten, die man aus ihnen gewin- magerechtigkeit“, das gemeinsame Posi- nen müsste (auch hierzu mehr im Beitrag tionen und Projekte entwickelt. von Pfr. Michael Starck), folgt bislang zu Bereits seit 2011 ist die EKiBa auch Mit- wenig Handeln, weil wir, so scheint es mir, glied der Klima-Allianz Deutschland, dem als Kirche letztlich unseren „Lebensstil“ größten gesamtgesellschaftlichen Bünd- und unsere Entscheidungs- und Hand- nis für Klimaschutz in Deutschland. lungslogiken nicht ändern wollen. Das Wissen in der Kirche um die weltweite Damit sind wir als Kirche genauso wenig Ungerechtigkeit und die Klimakrise war veränderungswillig wie die Gesellschaft noch nie größer. Den- insgesamt – und müssen noch – aus Klimawandel uns die Frage gefallen und Klimakrise sind mitt- lassen, ob wir unserem Nach den Einsichten folgt lerweile der Klimanot- Auftrag zur Bewahrung bislang zu wenig Handeln stand geworden. Durch „Fridays For Fu- der Schöpfung hier wirklich gerecht wer- ture“ wird der drängende Ruf weltweit laut, den. Wir stehen quasi paralysiert vor der Pfarrvereinsblatt 4/2021 181
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