DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - Deutsche Aidshilfe
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editorial DROGENKURIER Liebe Leserinnen und Leser, Förderinnen und Förderer IMPRESSUM des DROGENKURIER, liebe Freundinnen und Freunde Nr. 128, November 2021 Herausgeber des DROGENKURIER: des JES-Bundesverbands JES*-Bundesverband e. V. Nach 16 Jahren wird Deutschland höchstwahrscheinlich ohne eine christdemokra Wilhelmstraße 138 tische Regierungspartei auskommen müssen. Unser Mitleid hält sich in Grenzen, 10963 Berlin denn man muss diese Zeit im Hinblick auf eine Neuorientierung unserer Drogen Tel.: 030/69 00 87-56 politik als verloren bezeichnen. Nun also versuchen Rot, Grün und Magenta (früher Fax: 030/69 00 87-42 gelb) eine Regierung zu bilden. Der Klimawandel wird die Regierenden dazu Mail: vorstand@jes-bundesverband.de zwingen Politik neu zu denken. Ähnliches sollte auch für eine nunmehr hoffentlich www.jes-bundesverband.de liberale und entideologisierte Drogenpolitik gelten. DAH-Bestellnummer: 102128 Erste Diskussionen, die sich einzig auf eine Entkriminalisierung von Cannabis ISSN: 2512-4609 fokussieren, greifen unserer Ansicht nach zu kurz. Denn nur wenn Produktion und Auflage: 4.500 Exemplare Vertrieb von Cannabis in staatliche Hände kommen und gleichsam der Erwerb und Redaktion: JES-Bundesvorstand, Besitz von anderen bisher illegalen Substanzen wie Heroin, Kokain und Amphetamin Dirk Schäffer entkriminalisiert wird, wird man den Schwarzmarkt zurückdrängen und Millionen Mitarbeit: C. Schieren, S. Kottsieper, von Drogenkonsument*innen entkriminalisieren. Der Hauptbeitrag dieser Ausgabe T. Zelgert, A. Canal, B. Peterburs zeigt, wo es langgehen muss. Seite 3 Weiter bundesweit kein Substitol erhältlich Zum Zeitpunkt der redaktionel len Bearbeitung dieser Ausgabe gab es immer noch kein retardiertes Morphin (Substitol). Wenn das nicht schon schlimm genug wäre, zeigen sich hunderte substituierender Ärzt*innen einmal mehr von ihrer unflexiblen Seite. Sie sind nicht bereit die notwendige Dokumentation zu leisten um ihren Patient*innen Compresan zur Verfügung zu stellen. Stattdessen erfolgt eine Umstellung auf jene Substanzen, die einst der Grund waren auf retardiertes Morphin zu wech seln – einfach unglaublich. Patient*innenberichte In dieser Ausgabe stellen wir drei unterschiedliche Patient*innen vor, die sich für die Substitution entschieden haben. Sie beschreiben ihre individuellen Beweggründe und Probleme das passende Medikament für ihre jeweilige Situation zu erhalten – lesenswert. Seite 8, 16 und 20 Drogenselbsthilfefreundlich zu sein macht Sinn Zu unserer großen Freude, Titelfoto: monticellllo/stock.adobe.com interessieren sich immer mehr Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe für das Layout, Satz: Carmen Janiesch Zertifikat „Drogenselbsthilfefreundliche Einrichtung“. In dieser Ausgabe stellen wir Druck: onlineprinters.de die Verleihungen in Viersen, Hamburg, Münster und Dortmund vor. Seite 22 Der DROGENKURIER wird unterstützt durch: Drug Checking in Deutschland Das DROGERIE-Projekt in Erfurt hat die (Nennung in alphabetischer Reihenfolge) rechtlichen Hürden des BfArM und des Innenministeriums genommen und das Camurus, Deutsche Aidshilfe e. V., erste Drug Checking Projekt in Deutschland eingerichtet. In dieser Ausgabe stellen GL Pharma, Hexal, INDIVIOR, wir das Projekt und seine Protagonisten vor. Seite 10 Sanofi Aventis Diskriminierung im Gesundheitswesen … ist leider weiter ein großes Thema * Junkies, Ehemalige, Substituierte für Menschen mit Suchterkrankungen. In einer bisher zuvorkommenden Apotheke Die Nennung von Produktnamen bedeutet keine erlebte der Autor des Beitrags ein unglaubliches Maß an Diskriminierung, das nicht Werbung unwidersprochen hingenommen werden darf. Seite 14 Das Redaktionsteam 2
www.jes-bundesverband.de topthema Foto: railwayfx/stock.adobe.com Götterdämmerung in Sachen Drogenpolitik? Moderne Haltungen und Angstmache aus der Mottenkiste Manche hatten die Hoffnung bereits auf- als ich 1998 zu einem Gespräch mit dem Rot-Grün (noch ohne Magenta) gegeben, dass es ein Deutschland ohne damaligen Gesundheitsminister Horst zur Jahrtausendwende eine christdemokratische Führung gibt. Seehofer eingeladen wurde, um über das Wichtige Schritte vorwärts wurden erst Die Sorgen waren berechtigt, denn zwi- Thema Drogenkonsumräume zu spre- nach dem Regierungswechsel unter der schen 16 Jahren Helmut Kohl und 16 Jah- chen. Es war ernüchternd, aber ich lern- ersten Grünen Drogenbeauftragten Chris- ren Angela Merkel, gab es nur eine kurze te Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ta Nickels und ihrer Nachfolgerin Marion Episode einer rot-grünen Bundesregie- von der FDP als leidenschaftliche Kritike- Caspers-Merk (SPD) gegangen. So wurden rung. rin der damaligen Drogenpolitik kennen, Drogenkonsumräume 2001, gegen star- Diese sieben Jahre reichten allerdings die bereits damals unseren Argumenten ken Druck der Office for Drugs and Crime aus, um wichtige Schritte auf dem Weg gegenüber sehr aufgeschlossen war. (UNODC), auf rechtlich sichere Beine ge- zum Ausbau schadensminimierender Es gab bereits vereinzelt Drogenkon- stellt. Der vielleicht politisch wichtigs- Angebote zu gehen. Es war selbstver- sumräume, die aber auf Initiative der te Schritt war die Schaffung der 4. Säule ständlich nicht alles Gold was damals Landesregierungen und im rechtlichen bundesdeutscher Drogenpolitik. Neben glänzte. Graubereich umgesetzt wurden, da es den Säulen Prävention, Behandlung, Re- Ich selbst erinnere mich an meine ers- an einer einheitlichen Regelung auf der pression gesellte sich die Säule Schadens- ten beruflichen Schritte auf Bundesebene Bundesebene fehlte. minimierung gleichberechtigt hinzu. 3
topthema DROGENKURIER Vorfahrt für Cannabis? merkt sei hier, dass die von Herrn Prof. Es war erwartbar, dass die Koalitionä- Thomasius und der Polizeigewerkschaft re in Spe als traditionelle Redner*innen beschriebenen Phänomene unter den bei den Hanfparaden der letzten Jahre, Bedingungen der Prohibition und hoher das Thema Cannabis in den Blickpunkt Strafandrohung für den Erwerb und Be- rücken würden. Man muss konstatie- sitz illegaler Substanzen sowie einem im- ren, dass die heterogene Cannabislobby mensen Verfolgungsdruck erst entstan- bestehend aus einem Mix von Unter- den sind. nehmen die wirtschaftliche Interessen Allen Kritiker*innen einer Liberalisie- im Blick haben, Konsument*innen die rung ist gemein, dass sie mit den deut- endlich ohne Angst Cannabis erwer- lich erhöhten THC-Werten der illegalen ben und konsumieren möchten und Züchtungen argumentieren und meinen, My brain my choice Strafrechtler*innen, die auf die Bürger- dass durch eine Liberalisierung nun noch rechte fokussieren, einfach einen guten mehr Menschen gesundheitliche Schädi- Es folgte das Modellprojekt zur Dia- Job gemacht haben und jene Stärke be- gungen erleiden. morphinbehandlung und der konse- sitzen, die anderen Konsument*innen quente Ausbau niedrigschwelliger Ange- gruppen aus verschiedenen Gründen Denkfehler werden nur selten bote sowie der Substitutionsbehandlung. fehlt. punktgenau korrigiert Vielleicht war die Zeit damals nicht reif Es liegt mir fern dieses Vorgehen hier Hier liegt unserer Ansicht nach der größ- für den größeren Wurf in Richtung Ent- zu kritisieren, aber es muss erlaubt sein te Denkfehler der Kritiker*innen. Der kriminalisierung und Legalisierung. darüber nachzudenken, ob es ausreicht einzige Weg um Jugendliche und Er- Wenn man ehrlich ist, war das The- den Besitz von Cannabismengen zum Ei- wachsene vor illegal gezüchtetem Can- ma „Drogenpolitik“ bis auf ganz wenige genbedarf für Erwachsene zu entkrimi- nabis mit vielfach unbekanntem und Ausnahmen in den letzten 16 Jahren kein nalisieren und alles andere weitgehend sehr hohem THC-Gehalt sowie vielerlei zentrales Anliegen der Regierenden. Ich unbeachtet zu lassen. Streckstoffen zu schützen, ist die Über- will gerne eine Sternstunde sozialdemo- Lauscht man den aktuellen Debat- nahme von Produktion und Vertrieb kratischer Drogenpolitik erwähnen, in- ten, so muss einen die Angst befallen, durch den Staat. dem die SPD mit den Oppositionspar- dass die Diskussionen auch der Befür teien gegen ihren Koalitionspartner die worter*innen zu kurz greifen. Selbstver- Diamorphinvergabe als Kassenleistung ständlich ist nun wieder die Zeit von Prof. im Jahr 2009 durchsetzte. Thomasius, der weiterhin die Gefahr von „Nur durch staatlich Die Nutzung von Cannabis als Medi- Psychosen bei jugendlichen Kiffern pos- kontrollierte zin war dann tatsächlich die letzte Ver- tuliert und die Stimmen der Polizeige- Züchtungen kann der änderung, die hier erwähnenswert er- werkschaft, die keine dritte Volksdroge scheint. wollen und in einer Liberalisierung die THC-Gehalt reguliert Gefahr der Verharmlosung sehen. Ange- und reduziert werden.“ Nun also die Ampel? Alle die der Meinung sind, dass nach Quelle: YouTube vielen Jahrzehnten Prohibition ohne das Wird der Schwarzmarkt sich erwartete Entwicklungen erfüll- verschwinden? ten, gepaart mit Leid und der Verfolgung Um dies klar zu sagen, natürlich wird Drogen gebrauchender Menschen, die sich die organisierte Kriminalität gegen von Jahr zu Jahr immer neue Rekorde an Ampeln diesen Entzug von Kontrolle und Geld- in Strafverfahren für hunderttausende von ströme wehren und versuchen Can- Köln, Konsument*innen hervorbrachte, haben Aachen nabis illegal verbilligt anzubieten. Der nun die Hoffnung das ein neuer Weg ein- und Schwarzmarkt wird bleiben, solange an- geschlagen wird. Hamburg dere Substanzen weiterhin nur illegal zu Ein Weg, der die Lehren aus Drogen- erwerben sind, aber er wird in Bezug auf tod und Kriminalisierung zieht und der Cannabis deutlich reduziert und regu- den Sinn hoher Anteile von Drogen liert werden. Denn wenn man kontrol- konsument*innen in Haft in Frage stellt liert, gezüchtetes Cannabis ungestreckt und korrigiert. und legal erwerben kann, ohne Angst vor 4
Foto: seastock/istockphoto.com www.jes-bundesverband.de topthema Lizenzen zum Cannabisanbau in Deutschland sind möglich Strafverfolgung und Gewalt, wird die al- Einschätzung gelangen, dass dieses Phä- lergrößte Zahl der Konsument*innen sich nomen weite Teile der jugendlichen Kon „Verbote und Strafen diesem Angebot zuwenden. sument*innen betrifft. Das Einstiegsalter Wenn man Jugendliche und Erwach- bei Cannabiskonsument*innen hat sich haben den Jugendlichen sene vor gefährlichen synthetischen aber nicht dramatisch verändert und in der Klinik von Prof. Cannabinoiden schützen will und den liegt bei ca. 16 Jahren. Der Anteil junger Thomasius nicht Produzent*innen den Markt entziehen Menschen mit Psychosen und anderen will muss an Cannabis kontrolliert regu- gesundheitlichen Schäden aufgrund des geholfen“ lieren. frühen Konsums von illegalem Cannabis lässt sich kaum prozentual fassen. Die Sorge das der Mut für eine Bekommen wir eine dritte Ohne dieses Phänomen zu verharm- wirkliche Neuausrichtung fehlt Volksdroge? losen, müssen gerade die Kritiker*innen Dass der Fokus auf der Substanz Cannabis Wir sagen NEIN, denn wir HABEN BE- einer Liberalisierung diese unterstützen, als meistkonsumierte illegale Substanz REITS neben Alkohol und Tabak eine denn die jahrzehntelange, aufwendi- liegen wird, war klar. Die Sorge vieler dritte Volksdroge. Mindestens vier Millio- ge und kostenintensive Abschreckungs- besteht darin, dass sich die Politik mit nen erwachsene Menschen konsumieren und Verbotspolitik hat in allen Bereichen wichtigen, aber nicht grundlegewnden Cannabis. Die Annahme erscheint nicht versagt. Man muss sich nur fragen, war- Korrekturen begnügt. Deutschland ver- vermessen, dass die Dunkelziffer deutlich um sie einem anderen Weg nicht einfach zeichnete in den letzten Jahren einen ste- höher liegt. eine Chance einräumen. tigen Anstieg von Drogentodesfällen. Der Erfahrungen aus Ländern, die auf eine Kann man Jugendlichen den Zugang Bund ist rat- und tatenlos im Hinblick auf staatlich kontrollierte Abgabe setzen zei- zu legalem Cannabis ab 16 Jahre gewäh- die Schaffung von Angeboten für Koka- gen, dass die Zahl der Konsument*innen ren? Muss man vielleicht die Mengen in- und Amphetaminkonsument*innen. nicht steigt, sondern teilweise sinkt. begrenzen, die Jugendliche erwerben Drug Checking sollte daher zwingend in können? Eine Prognose erscheint nicht einem Paket von Maßnahmen enthalten Was passiert mit Jugendlichen? gewagt, dass ohne die Angst vor Strafver- sein. Selbstverständlich kann der Cannabis- folgung viele junge Menschen deutlich Hört man vielen Kritiker*innen der konsum für junge Jugendliche fatale eher den Wunsch nach Hilfe artikulieren jetzigen Drogenpolitik zu, so nimmt man Folgen haben. Hört man allerdings Prof. und dies ohne extrinsische „Motivation“ wahr, dass die Konsument*innen von ge- Thomasius zu, dann könnte man zu der durch Schule, Justiz oder Eltern. fährlichen Substanzen wie Opiaten und 5
topthema DROGENKURIER Die medikamentöse Behandlung der Opioidabhängigkeit muss moderni- siert werden. Hierzu gehört u. a. der Ausbau der Diamorphinbehandlung. Es gilt zudem Anreize für neue Appli- kationsformen jenseits von Injektio- nen zu schaffen. Einbeziehung von NGOs und Zivilge- sellschaft In der Vergangenheit arbeiteten die Drogenbeauftragten ohne eine sicht- bare externe Beratung durch Fachleu- te aller Disziplinen. Neben der Wis- senschaft, Praxis und Medizin sollte insbesondere die Sichtweise der Zivil- gesellschaft stärker als bisher einbezo- gen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die neuen poli- tisch Verantwortlichen die erwünschten und die tatsächlichen Effekte der bis- herigen Drogenpolitik vorbehaltlos an- Metamphetamin durch die Kriminalisie- Wie könnte die Zukunft aussehen? schauen und hiervon ausgehend eine rung von Erwerb und Besitz und den il- Die Produktion und der Vertrieb von Neuausrichtung vornehmen. legalen Markt in ganz besonderer Weise Cannabis zum hedonistischen Ge- Wenn man ehrlich ist, muss man sa- geschädigt werden. Infektionserkrankun- brauch für Erwachsene und Ju- gen, dass es außerhalb des Themas „il- gen, Schäden an Herz und Lunge, sowie gendliche ab 16 Jahre sollte in die legale psychoaktive Substanzen“ nicht ein Voralterungsprozess, der zwischen Verantwortung des Staates überge- möglich gewesen wäre, trotz sichtbarer 10 und 15 Jahren liegt, machen die Fol- hen. und auch unbestrittener Fehlentwick- gen der Prohibition deutlich. Dass die Ge- Ähnlich wie die Abgabe von Canna- lungen und der Nichterreichung aller fängnisse durch die Entkriminalisierung bis als Medizin könnten ausgewählte mit der Drogenpolitik verbundenen Zie- von Erwerb und Besitz von Mengen zum Fachgeschäfte auch die nichtmedizini- le, fortwährend immer mehr vom Glei- Eigenbedarf sichtbar geleert würden und sche Abgabe übernehmen. chen zu tun, anstatt sich auf Neues ein- die psychischen Belastungen, die immer Die Forschung für die medikamentöse zulassen. wiederkehrende jahrelange Inhaftierun- Behandlung von Kokain- und (Met)- Eine Neuausrichtung wird keine gen zum Ergebnis haben dramatisch re- Amphetamin-Konsument*innen soll- Wunder vollbringen können. Sie wird al- duziert würden, sei hier nur am Rande er- te intensiviert werden. Gleichsam lerdings dazu beitragen können die ge- wähnt. müssen praxisnahe Angebote der In- sellschaftliche Ausgrenzung von Dro formation, Prävention und Schadens- gen konsument*innen, und die Zahl minderung geschaffen werden. All drogenbedingter Todesfälle zu reduzie- dies lässt sich in Angebote des Drug ren. Checking vereinigen. Zudem ist dies die Chance, dass gera- Für Konsument*innen aller Substan- de jugendliche Konsument*innen deut- zen jenseits von Cannabis sollte der lich früher als bisher ihren Hilfebedarf Erwerb und Besitz von Mengen zum artikulieren. Schließlich kann die Über- Eigenbedarf entkriminalisiert werden. nahme staatlicher Verantwortung für Da es die Drogenbeauftragte Frau Lud- Anbau und Vertrieb dazu beitragen den wig in vier Jahren nicht geschafft hat Schwarzmarkt und hiermit immense Ge- sich vor Ort mit dem portugiesischen winnspannen für die organisierte Krimi- Modell zu beschäftigen, wäre dies ein nalität etwas Wirksames entgegenzuset- erster wichtiger Schritt für die neuen zen. n politisch Verantwortlichen. Dirk Schäffer 6
www.jes-bundesverband.de topthema Wege aus der Opioid-Abhängigkeit DE-NPR-1900019 / 201908 Opioid-Abhängigkeit ist eine Krankheit, die sich gut indi- Ausstiegs. Sowohl für Menschen mit Opioid-Abhängigkeit viduell behandeln lässt. Der erste Schritt auf dem Weg als auch für ihre begleitenden Angehörigen haben wir aus der Abhängigkeit sind Informationen über die Krank- die wichtigsten Themen übersichtlich und verständlich heit selbst und die verschiedenen Möglichkeiten eines aufbereitet. Machen Sie hier den ersten Schritt. www.opioideundmeinleben.de Diese Website wurde von der Camurus GmbH erstellt. 7
leben mit drogen DROGENKURIER Ich bin opioidabhängig – und will es bleiben (Teil 1) Einblicke in das Leben einer opioidabhängigen Akademikerin Mein Name ist Lilli* und ich bin opio- wurde niemals aktiv Leistungsdruck auf- Der nachfolgende Beitrag idabhängig (Tilidin). Was vermutlich die gebaut, aber ich hatte immer das Gefühl, beschreibt das Leben von Lilli*. meisten Menschen schockieren wird: Ich nicht mithalten zu können und dass man will es auch bleiben! nur interessant sein kann, wenn man Ein authentischer und emoti- Ich würde sogar gerne ein sehr viel Leistung bringt. onaler Einblick in das Leben stärkeres Medikament nehmen dürfen, Mit Beginn der Pubertät entwickel- einer integriert lebenden, opi- dass meiner psychischen Grunderkran- te ich dann eine schwere Anorexie und oidabhängigen Wissenschaft- kung mehr gerecht werden würde, aber musste zum ersten Mal in die Klinik. Ich das geht leider nicht, ohne mein sehr vor- fühlte mich verstoßen und wurde vom lerin. Sie ist auf der Suche bildlich geführtes, gesellschaftliches Le- braven Mäuschen zu einem System- nach einem Medikament, mit ben massiv zu gefährden. sprenger. Kurz nach dem neuneinhalb dem sie ihre psychische und Mein Beweggrund diesen Artikel zu Monate langen Aufenthalt in der Psych- körperliche Grunderkrankung schreiben, ist somit der Tatsache geschul- iatrie begann ich erste Erfahrungen mit det, dass ich mich nicht ausreichend me- Alkohol und Cannabis zu sammeln. Ich und die hieraus entstandene dizinisch versorgt fühle, weil mir die Hil- war sehr unglücklich, fing an mich selbst Opioidabhängigkeit erfolgreich fe (Diamorphin), die ich bräuchte, gemäß zu verletzen und versuchte mir schließ- behandeln kann. Dies ohne der Betäubungsmittel-Verschreibungs- lich mit 15 das Leben zu nehmen. Zum ihre berufliche Position mit verordnung – BtMVV nicht zusteht. Glück ging das schief. Allerdings landete Die Behandlung, die möglich wäre ich wieder in der Psychiatrie, diesmal in Leitungsfunktion aufgeben zu (Methadon, Subutex, o.ä), wäre nur eine einer geschlossenen Station.. Dort lernte müssen. Es ist auch die Suche reduzierte Variante der Behandlung und ich ein heroinabhängiges Mädchen ken- nach Wärme, Anerkennung würde mein Leben, wie ich es jetzt führe nen und sofort stand für mich fest, das und das Ende von Stigma und erschweren und Stress vermehren. Und will ich auch. wenn ich eines nicht gebrauchen kann, Vorverurteilungen. dann ist es noch mehr Stress. Aber fan- gen wir von vorne an: Aufgrund des Textumfangs „Heroin, das haben wir uns entschieden Meine Kindheit – vom braven Mädchen zum Systemsprenger schönste Gefühl den Beitrag in leicht gekürzter Form in zwei Teilen zu veröf- Ich wuchs mit lieben Eltern und einem was ich jemals einige Jahre älteren Bruder, in einem fentlichen. Den Gesamttext Akademikerhaushalt auf. hatte…“ stellen wir nach der Veröffent- Wir wurden von unseren Eltern um- sorgt und sehr geliebt und durften ohne lichung des zweiten Teils auf körperliche Gewalt aufwachsen. Jedoch Das Mädchen und ich hauten bei einem unserer Webseite zur Verfü- war die Situation durch die Probleme „Ausgang“ ab und ich nahm das erste gung. meiner Eltern sehr instabil. Zeitgleich Mal Heroin. Es war das schönste Gefühl, entwickelte sich bei mir ein bis heute das ich bis dahin jemals fühlen durfte. anhaltender Minderwertigkeitskomplex. Ich hatte das erste Mal das Gefühl wirk- *Name geändert Ich fühlte mich nie genug oder richtig. Es lich angenommen und geborgen zu sein. 8
www.jes-bundesverband.de leben mit drogen Nach meiner Entlassung nahm ich Leider war ein Leben ohne Betäubung dikamente nicht mit in den Urlaub neh- nun regelmäßig Heroin, schwänzte die nicht möglich und ich begann chemische men könnte, weil ein Amtsarzt es ab- Schule, verließ sie nach der 9. Klasse Drogen zu nehmen, um nach einem hal- lehnt. schließlich ganz und haute von zuhau- ben Jahr völlig selbstentfremdet und von Während des Studiums war diese Pro- se ab. Angst zerfressen dazustehen. blematik weniger schlimm, immerhin Das Hassgefühl war in Wirklichkeit bekam ich mein Subutex immer für eine die Überlagerung des schmerzenden Ge- Substituiert zu werden half mir … Woche mit, da man mir, zurecht vertrau- fühls nicht geliebt und gewollt zu sein. Es ging mir sehr schlecht und mit 18 griff te. Ich nahm seit Jahren gar keine Drogen Dieses Gefühl ist, wie ich heute weiß, ich wieder zum Heroin, machte aber pa- mehr, ich trank nicht einmal Alkohol und chronisch und schon da seit ich denken rallel mein Abitur. Kurz vor den Prü- das Rauchen hatte ich auch aufgegeben. kann. Denn es entspricht nicht der Reali- fungen ging ich nochmal in eine Klinik Dennoch wurde ich nach wie vor in ein Foto: meteoritka/stock.adobe.com tät, da mich meine Eltern sehr lieben. Le- schaffte es aber nicht vom Heroin loszu- System gepresst, dass mich stigmatisier- diglich ihre eigene emotionale Instabili- kommen. Um mein Abitur nicht zu ge- te, denn schließlich war ich ja mal hero- tät und Überforderung hat bei mir diese fährden, begab ich mich mit 20 in die inabhängig und Heroinabhängigen wird Spuren hinterlassen. Substitution: Die Erlösung, vorerst. Ich nicht vertraut und nichts zugetraut. Sie ließen mich nie fallen und als ich machte das beste Abitur der Schule und Aber zumindest konnte ich durch mein mit 16, heroinabhängig auf der Straße, begann danach ein naturwissenschaftli- Substitut, das Antidepressivum und das am echten Bahnhof Zoo in Berlin leb- ches Studium. wiedergewonnene Gewicht endlich mein te, machten sie sich Sorgen und ließen Die Substitution half sehr, ich nahm Studium abschließen. Ich wog zwar im- mich mit einer Vermisstenanzeige su- kein Heroin mehr, aber die Magersucht mer zu wenig, aber ich konnte mit der chen. Im Herbst 1996 gabelte mich die kam wieder. Es folgten sechs Jahre und Essstörung leben. Ich begann eine Dok- Polizei schließlich auf und brachte mich drei Klinikaufenthalte, aber die Anore- torarbeit im Rahmen eines multidiszip- nach Hause und auch wenn einige Thera- xie wollte nicht verschwinden. Erst als linären Stipendiums. Ich hatte mit inter- peuten meinen Eltern gesagt hatten, sie ich mit 26 und einem, mal wieder le- nationalen Forschern zu tun und es hätte müssten mich fallen lassen, damit ich am bensbedrohlich niedrigem Gewicht end- die Möglichkeit bestanden sechs Monate Boden liegend zur Besinnung käme, ta- lich bereit war mal ein Antidepressivum überall auf der Welt forschen zu können. ten sie es nicht und nahmen mich wie- und einen erneuten Klinikaufenthalt in Natürlich war das nicht möglich, denn der auf. einer alternativen Klinik auszuprobieren, mit einem Medikament, das mir gegen Ich machte eine Entgiftung und wollte ging es bergauf. meine psychischen Probleme half, aber gerne wieder zur Schule gehen. Meine El- Die Substitution begleitete mich un- einer geächteten und stark regulierten tern unterstützten mich, aber unsere Be- unterbrochen. Und mit ihr die Angst. Stoffgruppe (Opioide) angehört, war das ziehung blieb dennoch zerrüttet. Ständig diese Angst, dass ich meine Me- natürlich nicht möglich … Ende Teil 1 n 9
leben mit drogen DROGENKURIER Drug-Checking ist endlich auch in Deutschland legal möglich Die Lösung kommt aus Thüringen durch das Safer-Nightlife-Projekt Drogerie Ein Thüringer Projekt hat es in Foto: https://drogerie-projekt.de Kooperation mit der Landesre- gierung geschafft das erste lega- le Drug-Checking auf die Beine zu stellen. Die Zustimmung des Bundes und des Bundesinsti- tuts für Arzneimittel und Me- dizinprodukte, die bisher allen Antragsteller*innen verweigert wurde, wird hier nicht benötigt. Wir und viele andere fragen sich natürlich, wie das geht. Das Drogenrie Team in Erfurt Die Drogerie gibt’s seit dem Jahr 2000. Das Drug-Checking Pilotprojekt der sikevents fahren und es dann dort als Startpunkt war eine Untersuchung, ob SiT heißt SubCheck, es knüpft eng an die Info-Point und Chill-out-Area nutzen. und inwieweit Drogen in der Thürin- Arbeit der Drogerie an. SubCheck gibt es Ganz wichtig: Im Mobil gibt es keinen ger Musikszene eine Rolle spielen. Spoi- offiziell seit Mitte 2018 und besteht aus Konsum, das ist ein Safe Space. Innen und ler-Alarm: Ja, tun sie, sogar eine größere zwei Sozialarbeitern davor kann man in ruhiger Atmosphäre Rolle als vorher gedacht. Seit 2000 ar- Gespräche führen, sich entspannen oder beiten wir daher mit Jugendlichen und Mit dem Wohnmobil zu sich einfach mal zurückziehen. Und nicht jungen Erwachsenen im Umfeld der Musikevents zuletzt können die Mitarbeiter*innen Musik- und Partyszene, die mit Drogen Unser Markenzeichen ist sicher das zum Beispiel bei Überdosierungen in Kontakt kommen könnten oder schon Wohnmobil, mit dem die Peer-Mitar schnell und sicher reagieren. Erfahrungen haben. beiter*innen zu verschiedensten Mu- 10
www.jes-bundesverband.de leben mit drogen Seit 2017 etwa, da haben wir die ers- und arbeitet seitdem im Rahmen eines nicht angekündigt. Trotz Landesauf- ten Konzepte zur Finanzierung geschrie- Kooperationsvorhabens mit uns zusam- trag wollen wir nicht riskieren, dass ben und erste Anträge auf Landesmittel men. Partygänger*innen vielleicht mit Subs- gestellt. Im Koalitionsvertrag von 2014 tanzen auf Tasche kontrolliert werden. Es hatten die Parteien damals festgehal- Und warum kann das BfArM das Pro- geht uns allen darum, die Klient*innen ten, ein Drug-Checking-Angebot umzu- jekt nicht wieder blockieren? zu schützen und sie nicht noch zusätzli- setzen. Und 2018 gab’s dann tatsächlich Unser Konzept sieht keine „Teilnahme chen Gefahren auszusetzen. Geld vom Thüringer Gesundheitsminis- am Betäubungsmittelverkehr“ vor. Die terium für ein Pilotprojekt. reine Analyse von verdächtigen Subs- Okay, wenn ihr das Angebot nicht be- tanzen stellt keinen erlaubnispflichtigen werbt, wie erfahren die Leute davon? Gab es rechtliche Bedenken? Eine Brem- Tatbestand nach dem Betäubungsmit- Zum Beispiel, wenn Leute in einem Ge- se war die Frage, ob Mitarbeiter*innen, telgesetz dar. Die in der Extraktionsflüs- spräch sagen, sie wüsste gerne, was und die Substanzen zur Analyse entgegen- sigkeit gelöste Substanz wird chemisch wie viel davon tatsächlich in ihren Sub- nehmen, diese Substanzen „besitzen“ aufgespalten und so als Droge unbrauch- stanzen ist. Dann erwähnen wir unser – was nach Betäubungsmittelgesetz il- bar gemacht. Die aufgelöste Substanz Drug-Checking-Angebot. Und die Leute legal ist. ist also kein Betäubungsmittel. Die Vor- kommen wirklich oft auf das Thema zu Da hat uns das Gutachten des Straf- bereitung der Probe wird durch unsere sprechen, weil es sie beschäftigt. rechtsprofessors Cornelius Nestler Auf- Chemiker*innen angeleitet und durch trieb gegeben, wonach Drug-Checking, die Klient*innen eigenhändig durchge- Gut, jetzt kann es also zum eigentli- so wie es auch in Berlin geplant ist, legal führt. chen Testen kommen. Wie läuft das? wäre. Nestler sagte: Bei Drug-Checking- Dann wird das Wohnmobil zum Labor. Projekten fehlt der „Besitzwille“, weil die Wie läuft so ein Drug-Checking-Einsatz Die Person, die ihre Substanz testen las- Substanzen ja analysiert und dann ver- konkret ab? sen will, bekommt eine Schutzbrille, nichtet werden. Als Erstes reden wir mit den Veranstal einen Laborkittel und Laborhandschu- ter*innen von Musikevents. Nur wenn he. Dann wird das Vorgehen erklärt, die Und warum ging es dann nicht 2018 die einverstanden sind, kommen wir Person wiegt mit der Feinwaage die be- schon los, auch in Berlin? mit unserem Drogerie-Wohnmobil und nötigte Menge Substanz ab und gibt sie Ein Problem bleibt: Um die Instrumente bieten dann vor Ort unseren Safe Space schließlich selbst in die chemische Lö- fürs Drug-Checking zu eichen, braucht mit Beratung an. Das wird vorher aber sung. man Referenzsubstanzen, und um diese zu bekommen, braucht man wiederum eine Sondererlaubnis des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, zur „Teilnahme am Betäu- bungsmittelverkehr“. Diese Erlaubnis be- kommt man aber nicht, wenn man nicht gerade eine Forschungseinrichtung oder Ähnliches ist. Wie seid ihr dann zur Thüringer Lö- sung gekommen? Dr. Blei hat ein Verfahren zur Analyse von Psilocybin entwickelt, dem Inhaltsstoff bestimmter bewusstseinsverändern- der Pilze, und dann weitergemacht mit einer Forschungsarbeit zur Bestimmung des MDMA-Gehalts von Substanzen. Mit www.saferparty.ch einem EXIST-Gründerstipendium für sein Projekt „miraculix“ hat er schließlich im März 2021 mit seinen Kolleg*innen eine eigene Firma für die Entwicklung und den Vertrieb solcher Tests gegründet Drug Checking Zürich 11
leben mit drogen DROGENKURIER Das Feedback der Leute ist phänomenal, auch von den Veranstalter*innen. Hier Schwester von heroinabhängigem wird klar: Niemand will sich bewusst schädigen, die Leute haben allergröß- Gefangenen verurteilt tes Interesse daran, ihre Risiken so ge- ring wie möglich zu halten. Claudia Jaworski hatte ihrem heroinabhängigen Bruder ein Substitu Nun kann jemand vom Labor von Dr. tionsmittel ins Gefängnis gebracht, weil ihm die Behandlung in der Blei die Probe an sich nehmen und nach JVA Bernau in Bayern verweigert worden war. Am 15.6.2021 wurde allen Regeln der Kunst analysieren. Die sie vom Amtsgericht Rosenheim zu 60 Tagessätzen verurteilt. Die Labormitarbeiter*innen haben keinen Kontakt mit einer psychoaktiven Subs- Staatsanwaltschaft hatte 90 Tagessätze gefordert, die Verteidigung tanz, außerdem werden die Reste der Pro- hatte auf Freispruch plädiert. ben vernichtet. Wenn die Analysen fer- tig sind, teilen wir den Leuten mit, was Foto: Privat gefunden wurde – oder auch, dass nichts gefunden wurde. Hochdosiertes Ecstasy gefunden! Neulich hatten wir zum Beispiel eine sehr hoch dosierte Ecstasypille. Die Per- son hat dann gesagt, sie würde auf jeden Fall nur einen kleinen Teil der Pille konsu- mieren, falls überhaupt. In einer anderen Probe, die eigentlich harmloses Cannabi- diol enthalten sollte, haben wir syntheti- sche Cannabinoide entdeckt – hier hat der User lieber auf den Konsum verzichtet. Geplant ist, dass wir unsere Ergebnis- Claudia Jaworski se im Rahmen unserer „Pillenwarnun- gen“ veröffentlichen. Außerdem führen Missstände in bayerischen Gefängnissen wir eine Statistik, die Aufschlüsse über Laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks hatten Claudia Jaworski und ihr An- Konsumverhalten, häufig konsumier- walt Adam Ahmed die Verhandlung genutzt, um die strukturellen Missstände in te Substanzen und auch über Probleme bayerischen Gefängnissen im Hinblick auf die Substitutionsbehandlung und den Um- mit dem Konsum geben kann. gang mit Drogengebraucher*innen zum Thema zu machen. Von Menschenrechtsver- Aber unser vorrangiges Ziel ist es, letzungen und Folter sei die Rede gewesen. Brücken zum Hilfesystem zu bauen, um Jaworskis Bruder habe vor Gericht als Zeuge ausgesagt, dass der Anstaltsarzt ihm Freizeitdrogenkonsumierende niedrig- die Substitution verweigert und ihm gesagt hätte, er solle sich „das Zeug doch auf schwellig zu erreichen, sie professionell dem Schwarzmarkt im Hofgang besorgen“. Verteidiger Adam Ahmed habe die Staats- zu beraten und zu begleiten. So kommen anwaltschaft aufgefordert, diesem Vorwurf der Anstiftung zu einer Straftat straf- unsere Adressat*innen in die Lage, ihr rechtlich nachzugehen, heißt es im Bericht des Bayerischen Rundfunks weiter. Konsumverhalten zu reflektieren. Richterin zeigte sich entsetzt über Umgang mit heroinabhängigen Wie lange läuft euer Projekt und wie Gefangenen sind die Aussichten? In ihrer Urteilsbegründung habe sich die Richterin entsetzt über den Umgang der JVA Das Pilotprojekt ist bis Ende 2021 befris- mit dem Bruder gezeigt. Sie glaube, dass die Aussagen der Angeklagten der Wahrheit tet, aber bald laufen die Haushaltsver- entsprächen. Dennoch habe sich Claudia Jaworski schuldig gemacht. Claudia Jawor- handlungen für 2022, und ich hoffe sehr, ski und ihr Anwalt wollen nun Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen und den Weg dass wir das Projekt fortsetzen können. durch alle Instanzen gehen – bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der politische Diskurs ist da – und wir Ein Interview, das die Deutsche Aidshilfe im Vorfeld der Verhandlung mit Claudia sind bereit. n Jaworski geführt hatte, findet sich auf magazin.hiv. https://magazin.hiv/magazin/ Quelle: magazin.hiv, H. Sweers drogen-haft-substitution-claudia-jaworski/ (redaktionell bearbeitete Fassung) Quelle magazin.hiv CL 12
www.jes-bundesverband.de leben mit drogen DEINE THERAPIE IST EINSTELLUNGSSACHE Sprich mit deinem Arzt über deine Dosierung, bevor der Suchtdruck zu stark wird. Mit der richtigen Einstellung leben. 13
leben mit drogen DROGENKURIER NE U E S ERIE Mit dieser neuen Serie wollen wir Beispiele von diskriminierendem Verhalten im Gesundheitswesen vorstellen. Da wir diese Serie fortsetzen wollen, bitten wir um Beispiele der Diskriminierung im Gesundheitswesen bis zum 15. Februar 2022 per Mail an: Dirk.Schaeffer@dah.aidshilfe.de Foto: CaJa Immer wieder erleben Menschen mit Suchterkrankungen Diskri- minierungen im Gesundheitswe- „Methadon sen. Ausgrenzende Maßnahmen und Haltungen gibt es in vieler- machen wa hier nich“ lei Form und in verschiedenen Settings. Mal erhält man den letztmöglichen Termin in der Praxis. Dann werden Schmer- Diskriminierung im Gesundheitswesen zen z. B. in der Notaufnahme nicht wirklich ernst genommen, da das Personal der Meinung Es geschah in einer Apotheke Um dies gleich vorwegzusagen, es gibt in Berlin ist, es gehe eigentlich um den großartige Ärzt*innen, überaus empa- Der erste Beitrag dieser kleinen Serie be- Erhalt starker Schmerzmittel.. thische und sensible Apotheker*innen, schreibt eine Situation in einer Apotheke vorurteilsfreie Krankenpfleger*innen in Berlin Lichtenberg/Hohenschönhau- Auch Apotheken sind ein Ort und Kliniker*innen, die Menschen mit sen. wo Suchtpatient*innen Diskri- Suchterkrankungen so behandeln wie sie Ich, ein substituierter Mann, suchte minierung erfahren können, selbst behandelt werden möchten. die Apotheke auf, da ich bisher durch die Aber es gibt eben auch das Gegenteil. halbe Stadt fahren musste, um sein Re- wenn sie z. B. im Beisein anderer Insbesondere für Menschen, die auf- zept für eine Take Home-Rezeptierung Kund*innen ihr Medikament öf- grund ihrer Suchterkrankung bereits an einzulösen. Ich hatte die Hoffnung, die fentlich einnehmen müssen und sich selbst zweifeln oder weitgehend iso- nette Apotheke um die Ecke, in der ich liert leben, haben diese Diskriminierun- bereits hin und wieder Kopfschmerzmit- die Einnahme auch noch vor den gen im Gesundheitswesen dramatische tel erwarb oder andere Rezepte einlöste, Augen aller kontrolliert wird. Folgen für ihr Selbstwertgefühl. würde mein Problem lösen können. 14
www.jes-bundesverband.de leben mit drogen „Methadon machen wa hier nich“ hier nix anfangen da fehlt xy.“ Ich ver- Ich betrat die Apotheke und übergab „Ich darf und kann stand nicht genau was sie meinte und mein Rezept einer jungen Apothekerin. entgegnete, dass ich doch dieses Rezept Die erste Reaktion war, dass die junge also nicht Kunde ihrer in anderen Apotheken auch eingelöst be- Frau ihre Augenbrauen leicht hochzog Apotheke werden?“ käme. und ihre Chefin rief: „Frau XY schauen Sie Mittlerweile hatte die Chefin das Re- mal hier.“ Die sichtbar vielbeschäftigte ter: „außerdem bleiben wir dann auf den zept wieder in die Hände ihrer jungen Chefin rauschte heran und bereits im Ab- angebrochenen Packungen sitzen, wenn Kollegin übergeben, als sichtbares Sig- stand von ca. 1 Meter zu ihrer Kollegin rief Sie nicht kommen.“ Ich entgegnete, dass nal, dass das Thema für sie hiermit er- sie in meine Richtung „Methadon ma- ich versichern könne, auch die nächsten ledigt sei. Ich fragte etwas provokativ chen wa hier nich“. Ich versuchte zu ent- Monate und Jahre das Medikament zu „Ich darf also nicht Kunde ihrer Apothe- gegnen, dass es sich nicht um Methadon benötigen. Ihr gingen scheinbar die Ar- ke werden?“ handele, das vor Ort hergestellt werden gumente aus und so schlug sie eine an- Sie entgegnete: „Nein, Methadon ma- müsse, sondern um ein Fertigpräparat in dere Strategie zur Abwehr unliebsamer chen wa hier nich“. Tablettenform. Ich hatte den Satz kaum Kunden ein. „Warum gehen Sie eigent- Ich nahm mein Rezept wieder in Be- beendet, da rief sie erneut „Nein, Metha- lich nicht zu der Apotheke, wo Sie her- sitz und ging kopfschüttelnd Richtung don machen wa hier nich.“ Dies in einer kommen?“ Ich erläuterte, dass ich mir Ausgang. Ich überlegte kurz, ob ich die Lautstärke, dass ihre Kolleg*innen sich zu den Weg durch ganz Berlin ersparen wol- Chance nutzen sollte um die wohlgeord- ihr wandten und die Kundenbetreuung le und stattdessen gern Kunde ihrer Apo- neten Regale abzuräumen. Ich riss mich für einen Moment unterbrachen. Darauf- theke sein würde. zusammen, um die hier bestehende Hal- tung gegenüber Menschen mit Suchter- krankungen nicht zu bestätigen – auch Foto: M.Rode/Fotolia.com wenn es mir schwerfiel. Dass dieses Beispiel, das mir vor einigen Monaten passierte nicht ganz ohne Fol- gen blieb, sieht man allein daran, dass ich es hier beschreibe. Nun, ich stehe mitten im Leben und dieses diskriminie- rende Verhalten wird bei mir keine blei- benden Folgen hinterlassen. Es erscheint aber wenig spekulativ anzunehmen, dass solche Erlebnisse bei anderen Menschen mit Suchterkrankungen Selbstzweifel und Versagensängste verstärken können. Egal was hieraus resultiert, dieser hier hin wandten sich auch die Kund*innen Alle Augen waren auf mich geschilderte Umgang ist eine mensch- mir zu und schließlich waren – durch die gerichtet liche Katastrophe und wird nicht dazu Lautstärke der Angestellten – alle Blicke Ich sah aus dem Augenwinkel das weiter- beitragen, dass Menschen mit Suchter- auf mich gerichtet. hin der Betrieb in der Apotheke stillstand, krankungen sich in der Mitte der Ge- Ich entgegnete erneut, dass sie nichts da alle Kund*innen unserer Diskussion sellschaft sehen. weiter tun müsse als meine vorherige lauschten. Sie überlegten sicher was ich Apotheke: Das Medikament zu bestel- denn Schlimmes verlangte, dass die Apo- Ich habe lange überlegt, ob ich hier den len und in einen Blister zu verpacken. thekerin so barsch reagierte. Noch ließ Namen der Apotheke nennen soll, um Ich war außerordentlich freundlich, ob- ich mich nicht beirren und sagte, dass andere Menschen zu warnen und die- wohl ich bereits zu diesem Zeitpunkt ger- ich gerne dieses Rezept einlösen würde ses Verhalten öffentlich zu skandalisie- ne gegen die Plexiglasscheibe geschla- und gerne bereit sei morgen wiederzu- ren. Ich habe mich letztendlich dagegen gen hätte, um sie zur Ordnung zu rufen. kommen, wenn sie das Medikament be- entschieden. Warum? Ich weiß es nicht Sie entgegnete „nee nee, wir dürfen kei- stellen müsse. genau. n ne Tabletten aus den Packungen neh- Nun kam sie zu Teil 3 ihrer Abwim- T. W. men um sie zu Blistern.“ Die Dame wei- melstrategie „Mit dem Rezept kann ich 15
leben mit drogen DROGENKURIER Mit Methadon & Co zurück ins Leben Seit 20 Jahren ist Andreas Canal in der Substitution. Ohne Ersatzstoffe würde er heute wahrscheinlich nicht mehr leben. Sie lösten ihn vom Heroin und ermöglichen ihm inzwischen ein Engagement in der Selbsthilfe. Er könnte von seiner schweren Kind- Mengen getrunken und wollte das nicht heit erzählen und damit das Abrutschen mehr. Ich war schon lange neugierig, wie in die Drogen erklären. Andreas Canal Heroin wirkt, wie es sich „anfühlt“. „Ich schmunzelt bei diesem Gedanken. Er habe mir davon versprochen, dass es mir redet nicht lange um sein persönliches gelingt, durch den Konsum meine psy- Problem herum: „Ich war nicht Beson- chischen Problem in den Griff zu bekom- ders umgänglich, wenn ich getrunken men“, sagt Canal. habe. Der Gebrauch von Heroin war eine Möglichkeit für mich, mit meinen psychi- Tatsächlich gelang dies auch, aller- schen Problemen einigermaßen klarzu- dings nur kurzzeitig. Das Gefühl des ers- kommen Der ursächliche Grund für den ten Rauschs kann Canal noch heute, 25 Konsum war damals der Versuch einer Jahre später, schildern. „Das Erste Mal hat Eigentherapie und eine Art Selbstmedi- mich umgehauen. Mein Leben wechselte kation.“ von schwarzweiß zu bunt. Plötzlich be- Canal ist sich bewusst, dass er ohne hinderte mich die Angststörung nicht Ersatzstoffe wie Methadon mit hoher Si- mehr, stattdessen war ich glücklich.“ So cherheit erst vor dem Richter, dann im einfach glücklich sein: Das gelang ihm Gefängnis und später möglicherweise wenige Monate. Er konnte den Alkohol- auf dem Sterbebett gelandet wäre. Maß- konsum deutlich reduzieren, solange er loser Drogenkonsum hat seinem Leben Heroin nahm. eine Richtung gegeben, die man sich Erst nach ein paar Monaten realisier- nicht aussuchen würde. Andreas Canal te Canal, dass er – wie zuvor beim Alko- hol – in eine Abhängigkeit gerutscht war. Drogen begleiten Canal durch sein Leben. Die Intervalle wurden kürzer, die Men- Mit sieben Jahren fing er an zu rauchen, „Meine Erwartungen an gen größer. Fotos dieser Doppelseite: www.aeksh.de/aerzteblatt/2021/11 mit 13 zu trinken. Alkohol half dem Ju- Irgendwann benötigte er täglich He- gendlichen zunächst, mit dem Allein- die Substitution waren roin, dann mehrmals täglich. Sein Geld sein zu Recht zu kommen. Dass er unter sehr gering. Aber ich war aufgebraucht, er „beschaffte“ sich Angststörungen und Depressionen litt, hatte kein Geld mehr die notwendigen Mittel. Die mit diesem war niemandem bekannt oder es inter- Leben verbundenen Risiken waren ihm essiert nicht. für Heroin, wollte den bewusst, aber egal. „Meine Alternativen Mit immer größeren Mengen Alkohol Druck der Beschaffung wären Alkoholtod oder Suizid gewesen. verdrängte er, Anschluss in der Gesell- loswerden und vor allem So betrachtet hat mir Heroin zu diesem schaft aber wurde für den verschlosse- Zeitpunkt das Leben gerettet“, glaubt nen jungen Mann immer schwerer. nicht mehr entzügig Canal. Äußere Zwänge führten dann Eine Ausbildung brach er ab, eine sein.“ später zu einer Wende: Er hatte schlicht Ehe scheiterte. „Ich habe jeden Tag hohe kein Geld mehr, die Beschaffung wur- 16
www.jes-bundesverband.de leben mit drogen de immer problematischer für ihn: „Ich schwankt und war unzufrieden. Ich woll- war komplett pleite, hatte nichts mehr „Wir sind krank, nur te abbrechen, aber ich wusste, dass ich zu verkaufen und für den Überfall Auf mir die Schwarzmarktpreise nicht leisten eine Apotheke oder eine Bank fehlte mir mit einer anderen konnte. Ich wollte auch nicht mehr, dass schlicht der Mut.“ Canal kannte jeman- Problematik als andere sich mein Leben nur noch um die Frage den, der bei einem Kieler Arzt im Substi- Patienten“ drehte, woher ich das Geld für das nächs- tutionsprogramm war. te Gramm oder den nächsten Beutel neh- Ohne diesen Bezug hätte er sich kei- men sollte.“ nem Arzt geöffnet, die Hemmschwelle Auch seine psychischen Krisen kom- war riesig. „Ich hatte kein Vertrauen und Nach der ersten Einnahme von Me- men immer wieder. Er zieht sich dann keine guten Erfahrungen zu und mit Ärz- thadon ging es ihm sofort besser. „Das komplett von der Außenwelt zurück – ten. Meine Erwartungen an die Substi- trat sofort ein, bevor es überhaupt wir- eine regelmäßige Tätigkeit in einem tution waren sehr gering. Aber ich hat- ken konnte. Es war eine reine Kopfsache.“ Beruf ist für ihn damit trotz Substituti- te kein Geld mehr für Heroin, wollte den Später stellte sich dann der „Methadon- on unmöglich. Eine Teilhabe am gesell- Druck der Beschaffung loswerden und Rausch“ ein, den Canal aber als Enttäu- schaftlichen Leben, wie es für viele Men- vor allem nicht mehr entzügig sein.“ schung wahrnahm, weil er so ganz an- schen normal ist, bleibt schwierig. Als die Er war 31 Jahre alt, als er sich zur Sub- ders ausfiel als unter Heroin. Er blieb substituierende Allgemeinarztpraxis, in stitution entschied. Es Begann mit einer trotzdem dabei: „In erster Linie war ich der er anfangs betreut wurde, an eine Enttäuschung, er musste einen Behand- glücklich, weil es zumindest irgendein Nachfolgerin übergeben wurde, wechsel- lungsvertrag unterschreiben in einer Si- Rausch war. Und Ich war endlich nicht te Canal aus persönlichen Gründen zur tuation, die nach seiner Ansicht dafür mehr entzügig.“ Drogenambulanz in der Boninstraße. Er nicht geeignet war. „Ich war auf Entzug Er wurde zwar auf andere Ersatzstoffe ist zwar froh, dass es solche Anlaufstel- und die Aufklärung ging komplett an mir umgestellt, blieb aber in der Substitution. len gibt, hat aber kein Verständnis, dass vorbei. Ich war nicht aufnahmefähig und Später spielten dann langfristige Patienten zum großen Teil noch immer hätte alles getan und alles unterschrie- Überlegungen eine Rolle: „Ich habe mich nicht wie andere chronisch Erkrankte ben, um an Methadon zu kommen. In gefragt, ob ich langfristig damit klarkom- in Praxen versorgt werden. Ärzte außer- einer solchen Situation darf man einen me und was die Alternativen wären.“ halb der Fachambulanz sucht er gar nicht Menschen keinen Vertrag unterschrei- Dennoch befielen ihn im Laufe der Jahre mehr auf, weil er erwartet, stigmatisiert ben lassen“, findet er auch heute noch. immer wieder Zweifel. „Ich habe oft ge- zu werden. Getrennte Wartezimmer, wie es sie zum Teil bei substituierenden Ärz- ten gibt, empfindet er als diskriminie- rend. „Wir sind krank, nur mit einer an- deren Problematik als andere Patienten“, sagt er. Das Thema treibt ihn so um, dass sich Canal inzwischen in der Selbsthilfe enga- giert. Er ist Koordinator für Norddeutsch- land für den JES (Junkies – Ehemalige – Substituierte) Bundesverband. Das Netzwerk aus regionalen Selbst- hilfegruppen und Einzelkämpfern setzt sich für eine Regulierte Freigabe aller Substanzen und gegen Kriminalisierung und Stigmatisierung drogenbrauchender Menschen ein. Die Tätigkeit empfindet er als wichtig und erfüllend – vielleicht die erste in seinem Leben, die er so wahr- nimmt. 20 Jahre Substitution haben es möglich gemacht. n Quelle: Ärzteblatt Schleswig-Holstein, Andreas Canal wird substituiert und ist seit Jahren Stammgast in der Kieler Drogenambulanz in der Boninstraße. Dirk Schnack 17
medizin DROGENKURIER „Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Drogenberater*innen können viel dazu beitragen, dass ihre Klient*innen Zugang zur Hepatitis-C-Versorgung erhalten Drogengebraucher*innen Umdenken durch den Tod des erin bringen dann den Stein ins Rollen. Freundes „Sie hat mir damals von der Behandlung sind häufig an Hepatitis-C Peter G. (53), meint, dass Hepatitis-C erzählt, meine Vorbehalte ausgeräumt, erkrankt – oft ohne dies unter Drogengebraucher*innen so ver- mit mir einen Arzt ausgesucht und sie ist breitet ist, weil der Suchtdruck die Leute auch mit mir das erste Mal zu ihm hin- überhaupt zu wissen. Dabei unvorsichtig macht. Da heißt es dann: gegangen.“ Heute ist Peter froh, dass er ,Gib mir mal schnell Deine Pumpe‘. Man die Therapie gemacht hat und er merkt, kann die Virusinfektion der versucht zwar, die Spritze zu säubern, dass er wieder „mutiger, euphorischer Leber massive Auswirkun- aber es reicht halt nicht. Wo er sich an- und physisch wie psychisch belastbarer gesteckt hat, weiß Peter nicht mit Sicher- ist“. Sein Rat an Betreuer*innen: „Sprecht gen auf Gesundheit und heit. Er erfährt von seiner Hepatitis-C, als die Leute auf das Thema an und seid aus- Wohlbefinden haben. Zum er das erste Mal in die Entgiftung geht. dauernd.“ Einige Zeit später fällt ihm auf, dass er Glück sind seit einigen Jah- eigentlich immer müde ist. Und auch die Der berühmte Tritt in den Hintern Leber ist schon vergrößert, wie eine Un- Müdigkeit und Leistungsschwäche als ren Arzneimittel verfügbar, tersuchung zeigt. Aber erst als ein Freund Folge einer Hepatitis-C, das kennt auch die praktisch immer zu einer an Hepatitis-C stirbt, beginnt er sich zu Uwe K. (63). Und auch er weiß nicht, erkundigen. Eine Info in der Drogenbe- wie er sich infiziert hat. „Als ich die Di- Heilung führen. Was bedeu- ratungsstelle und seine damalige Betreu- agnose bekam, vor Jahrzehnten, habe tet das für die Betroffenen? Wir haben vier ehemalige Hepatitis-C-Patienten ge- fragt. Sie erzählen, wie sie die Erkrankung erlebt haben und was sich durch die Heilung für sie geän- Alle Fotos dieser Doppelseite: B. Kessler dert hat. Die Interviews sind in Zusammenarbeit mit der Gilead Sciences GmbH entstan- den. Hier gibt es die Langform der Interviews als Video: www.m-ove.info Peter G. Uwe K. 18
www.jes-bundesverband.de medizin ich gerade in Südamerika im Bergbau antriebslos. Das hat sich spürbar gebes- ren immer noch Ammenmärchen. Viele gearbeitet.“ Längst zurück in Deutsch- sert.“ Heute ist er sich sicher, dass die He- haben auch Angst und denken, wer land entschließt er sich zu einer Inter- patitis-C für ihn keine Bedrohung mehr weiß, was dann kommt. Diese Angst feron-Behandlung, der damals einzigen darstellt. Denn seine Betreuerin, die sollte man ihnen nehmen.“ Und an die Therapiemöglichkeit. Sie bleibt erfolg- ihm schon die Behandlung ans Herz ge- Drogengebraucher*innen selbst gerich- los. Nochmal ein Jahr später informiert legt hat, hat ihm auch Tipps mit auf den tet: „Lasst Euch nicht hängen und tut was ihn sein Arzt, dass es nun neue Arznei- Weg gegeben, wie er eine neue Infekti- für Euch. Wer nicht kämpft, hat schon mittel gibt, und Uwe lässt sich erneut on vermeidet. „Auf Hygiene achten, keine verloren.“ n behandeln. Dieses Mal mit Erfolg: „Ich Rauchröhrchen teilen usw., ich weiß ei- Günter Löffelmann habe überhaupt keine Nebenwirkungen gentlich, was zu tun ist. Und Spritzen bemerkt und schon nach wenigen Wo- kommt für mich ohnehin seit Jahren chen waren die Hepatitis-C-Viren aus nicht mehr infrage.“ Hepatitis-C dem Blut verschwunden.“ Seither geht es ihm besser, und er ist froh, dass er die Aufklärung statt Ammenmärchen auf einen Blick Therapie gemacht hat. Wie könnte man „Ich habe mich vermutlich auf einer • Hepatitis-C wird durch Blut-zu- andere Drogengebraucher*innen mit He- Party angesteckt“, sagt J. W. (52). „Dort Blut-Kontakt übertragen, zum patitis-C zur Therapie ermuntern? „Da- haben alle den gleichen Löffel genom- Beispiel bei der Verwendung durch, dass ehemalige Patienten wie ich men.“ Die Diagnose ist dann wie ein von kontaminiertem Konsum von ihrer Erfahrung berichten, und das Schock für J. „Ich habe nur gedacht: Hof- utensilien, beim Tätowieren Betreuer*innen informieren, aufklären, fentlich habe ich meine Partnerin nicht unter nicht sterilen Bedingungen und vielleicht auch mal den einen oder angesteckt. Gott sei Dank war das nicht oder bei verletzungsträchtigen anderen Tritt in den Hintern verteilen.“ der Fall.“ Nach einer Interferon-Therapie, Sexualpraktiken. die er erfolglos abbrechen muss, erfährt • Eine Hepatitis-C-Virusinfekti- Jobtauglich nach der Behandlung J. Jahre später von einem Freund, dass on wird in den meisten Fällen Eduard E. (57), macht sich keine großen der eine neue Therapie mit Tabletten ge- chronisch. Die Erkrankung geht Illusionen: „Wenn ich die Hepatitis-C macht hat, und dass es ihm seither viel in der Regel nur mit unspezifi- noch hätte, könnte ich meinen 2-Euro-Job besser geht – für J. Motivation genug, sich schen Symptomen einher, wie wahrscheinlich gar nicht machen.“ Denn ebenfalls behandeln zu lassen. „Hinter- Müdigkeit, Leistungsschwäche in der Technikwerkstatt, in der er arbei- her war ich viel leistungsfähiger“, freut und Oberbauchbeschwerden. tet, ist immer viel zu tun. „Das hätte ich er sich. „Das haben auch viele Leute be- Langfristig drohen jedoch Leber- vor der Behandlung alles gar nicht durch- merkt, die mich gut kennen.“ Auch J. zirrhose und Leberkrebs. gehalten. Denn ich war schon sehr nie- empfiehlt, Drogengebraucher*innen • Schnelltests, die auch in Dro- dergeschlagen, auch mal depressiv und bestmöglich aufzuklären. „Da kursie- genberatungsstellen durch- geführt werden, können eine Hepatitis-C ausschließen bezie- hungsweise Hinweise auf Anti körper geben. Ein positiver Schnelltest muss durch einen weiteren Labortest auf virales Erbmaterial bestätigt werden. • Die Behandlung mit Interferon ist heute obsolet. Stattdessen gibt es direkt antivirale Arznei- mittel, die sehr gut verträglich sind und in praktisch allen Fäl- len zu einer Heilung führen. Suchtmediziner*innen lehnen spezifische suchtmedizinische Voraussetzungen für eine Hepa- titis-C-Therapie ab (zum Beispiel clean sein). Eduard E. J. W. 19
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