EAWAG news dtsch. Ausg - Das Magazin des Wasserforschungs-Instituts des ETH-Bereichs - ETH Zürich
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ETH Library EAWAG news [dtsch. Ausg.] Das Magazin des Wasserforschungs-Instituts des ETH-Bereichs Journal Issue Publication date: 1999 Permanent link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000916380 Rights / license: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted Originally published in: EAWAG news [dtsch. Ausg.] This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection. For more information, please consult the Terms of use.
news EAWAG EAWAG 53d April 2002 Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, eine Forschungsanstalt des ETH-Bereiches • CH-8600 Dübendorf Risikofaktoren im Wasser Umgang mit Risikofaktoren 3 Klärschlamm: Dünger oder Abfall? 9 Arsen im Trinkwasser – neuer Brennpunkt Vietnam 12 Gefährdet der Benzinzusatz MTBE das Grundwasser? 18
EAWAG EAWAG news 53d • April 2002 Editorial Informationsbulletin der EAWAG Risikofaktoren im in niedrigen Konzentrationen vor, können aber trotzdem unerwünschte Effekte haben. Wasser Unsere Abwasserreinigungsanlagen sind Hans-Peter Kohler ist Leiter 2 Editoral der Arbeitsgruppe «Umwelt- nicht darauf ausgelegt, solche «Mikrover- Biochemie» in der Abteilung unreinigungen» zu eliminieren. Leitartikel «Umwelt-Mikrobiologie und Molekulare Ökotoxikologie». Risikoanalysen von Chemikalien beruhen 3 Umgang mit Risikofaktoren unter anderem auf einer Bewertung der Im Jahr 1962 prangerte die amerikanische negativen Effekte auf aquatische Organis- Forschungsberichte Biologin und Schriftstellerin Rachel Carson men. Es ist jedoch nicht praktikabel, alle 6 Die Strategie der OSPAR-Kommission gegen den Eintrag gefährlicher Stoffe die Verunreinigungen von «Oberflächenge- möglichen Effekte auf alle Organismen zu in die Meere wässern und unterirdischen Fluten» durch testen. Deshalb gilt es, vernünftige Priori- 9 Klärschlamm: Dünger oder Abfall? Schädlingsbekämpfungsmittel als nicht an- täten zu setzen. Ein weiteres Problem stellt 12 Arsen im Trinkwasser – neuer nehmbares Risiko an. Ihr Buch «Der stum- sich, wenn von 100 getesteten Organismen Brennpunkt Vietnam me Frühling» wirkte damals als wichtiger nur ein Organismus, z.B. eine Wasser- 15 Arsen im Trinkwasser – auch ein Anstoss für das wachsende Verlangen der schnecke, die Chemikalienbehandlung nicht Schweizer Problem? Öffentlichkeit nach sauberem Wasser, reiner überlebt. Wie soll dieser Sachverhalt ge- 18 Gefährdet der Benzinzusatz Luft und unverschmutztem Boden. Dieser wichtet und beurteilt werden? Bei einer Methyl-tert-butylether (MTBE) das Grundwasser? Druck führte unter anderem 1970 in den statistischen Analyse zum Beispiel geht die 21 Antibiotika: Kehrseite der Medaille USA zur Gründung der Amerikanischen Um- Schnecke im Fehlerbalken unter, denn 99% 24 Wie wirkt die Pille auf den Fisch? weltschutzbehörde (EPA). In der Schweiz der Organismen waren nicht beeinträchtigt. 26 Krankheitserreger im (Trink-)Wasser? wurde 1971 mit deutlichem Mehr ein Um- Wo aber legen wir die Grenze, wie gewich- weltschutzartikel in die Bundesverfassung ten wir die Schnecke? Die beiden Beispiele Forum aufgenommen. Grundlagen für eine um- zeigen, dass auf der Ebene der Risikoana- 29 Herausforderungen in der ökologischen fassende staatliche Umweltschutzgesetz- lyse grosser wissenschaftlicher und politi- Risikobeurteilung gebung waren geschaffen. Die Qualität der scher Handlungsbedarf besteht. Gewässer konnte seit dieser Zeit durch Der Schweizerische Nationalfonds hat die In Kürze technische Massnahmen, verschärfte Um- Situation erkannt und zwei nationale For- 30 Publikationen (2988 – 3021) weltschutzgesetzgebung und Publikums- schungsprogramme1 in die Wege geleitet: 31 Nachruf Hannes Wasmer verhalten stark verbessert werden. Viele der das NFP 49 «Antibiotikaresistenz» und das 32 Vermischte Meldungen damals vorherrschenden Umweltprobleme NFP 50 «Hormonaktive Stoffe: Bedeutung wurden weitgehend bewältigt. Trotzdem ist für Menschen, Tiere und Ökosysteme». In die Thematik «Risikofaktoren im Wasser» beiden Programmen werden Zusammen- auch noch 40 Jahre später hoch aktuell. hänge zwischen Mikroverunreinigungen in Heute treten jedoch Probleme auf, die der Umwelt und unerwünschten Effekten Herausgeberin Vertrieb und ©: schwerer fassbar sind, wie beispielsweise erforscht sowie geeignete Massnahmen für EAWAG, Postfach 611, CH-8600 Dübendorf Tel. +41-1-823 55 11 die Verweiblichung von männlichen Wasser- die Risikoverminderung erarbeitet. EAWAG- Fax +41-1-823 53 75 http://www.eawag.ch organismen, die Entwicklung von Antibio- Forschungsgruppen sind jeweils mit meh- Redaktion Martina Bauchrowitz, EAWAG tikaresistenzen und das Auftreten chroni- reren Projekten beteiligt. Copyright Abdruck, auch auszugsweise, ist mit scher Vergiftungen durch arsenbelastetes Quellenangabe und unter Einsendung von zwei Belegexemplaren an die Redaktion gestattet. Trinkwasser. Der EAWAG-Informationstag Erscheinungsweise dreimal jährlich in Deutsch, 2001 «Risikofaktoren im Wasser» zeigte Englisch, Französisch deutlich, dass die heutige Situation der Fotos Titelblatt Heinz Müller, Nguyen Viet Thanh, M. Frei, EAWAG Wasserverunreinigung sehr komplex und Konzept Inform, 8004 Zürich vielschichtig geworden ist. Unsere zivilisa- Satz, Bild und Layout Peter Nadler, 8700 Küsnacht torischen Tätigkeiten bewirken, dass viele Gedruckt auf rezykliertem Papier Abonnemente und Adressänderungen der von uns verwendeten Chemikalien in die NeuabonnentInnen willkommen! Gewässer gelangen. Dabei gewinnen vor Bitte Bestelltalon in der Heftmitte beachten. 1 Weitergehende Informationen unter: allem Verbindungen wie Medikamente und www.snf.ch/NFP/NFP49/Home_d.html ISSN 1420-3979 Hormone an Bedeutung. Sie liegen zwar nur www.snf.ch/NFP/NFP50/Home_d.html EAWAG news 53 2
Umgang mit Risikofaktoren Die moderne Gesellschaft hängt stark von den verschiedensten Priorisierung diejenigen auswählt, für die Chemikalien ab. Dass viele von ihnen schwere Umwelt- und Ge- sofortiger Verbots- oder Reduktionsbedarf sundheitsschäden verursachen, wurde jedoch erst in der zweiten besteht, und wie die Umweltschutzpolitik Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt. Erste Massnahmen bestanden die Chemikalienproblematik erfasst. darin, das Umweltrisiko für ausgewählte Chemikalien zu über- Kategorien von Risikofaktoren prüfen, und je nach Ergebnis wurden in verschiedenen Staaten Die moderne Zivilisation produziert ca. gesetzliche Regelungen eingeführt. Heute ist man sich einig, dass 100 000 Chemikalien in unterschiedlich prinzipiell alle verwendeten Chemikalien beurteilt werden müssen. grossen Mengen (siehe Kasten). Es ist un- Dies ist jedoch aufgrund der grossen Anzahl von Stoffen nicht vermeidlich, dass bei der Herstellung, beim möglich. Deshalb wählt man mittels geeigneter Priorisierungsver- Gebrauch und bei der Entsorgung der Zivili- fahren die besonders gefährlichen Chemikalien aus und unterzieht sationschemikalien auch Anteile in die Um- sie einer umfassenden Risikoanalyse. Seit einigen Jahren werden welt gelangen. Daneben gibt es aber auch vermehrt Anstrengungen unternommen, das Schadstoffproblem auf Risikofaktoren, die natürlicherweise in der internationaler Ebene zu lösen. Umwelt auftreten, wie zum Beispiel Trink- wasserverunreinigungen durch Arsen und Im Jahr 1775 berichtete der englische Arzt setzt wurden, die stratosphärische Ozon- verschiedenste krankheitsauslösende Mik- Sir Percival Pott in seinem Buch «Chirur- schicht schädigen könnten. Im Jahr 1985 roorganismen. gische Beobachtungen» über die Häufung wurde das so genannte «Ozonloch» in der Tabelle 1 teilt die heute bekannten Umwelt- von Hautkrebs bei Londoner Schornstein- Antarktis erstmals gemessen und bereits risikofaktoren in 15 Kategorien ein, wobei fegern. Er sprach von einer Berufskrankheit, zwei Jahre später kam es zum weltweiten einzelne Faktoren oft mehreren Kategorien die auf den häufigen Kontakt der Kamin- Verbot der Freone durch das Protokoll von zugeordnet werden können. Je nachdem, feger mit Russ zurückgeführt werden müs- Montreal. Seither ist der Montreal-Vertrag wo und wie die Chemikalien verwendet wer- se. Erst anderthalb Jahrhunderte später mehrmals um andere ozonabbauende den, aber auch aufgrund ihrer physikalisch- gelang es, den chemischen Risikofaktor im Stoffe erweitert worden. Crutzen, Molina chemischen Eigenschaften, sind die Ein- Russ als Benz(a)pyren zu identifizieren. und Rowland erhielten für ihre voraus- tragswege und das Verhalten in der Umwelt Benz(a)pyren gehört zu der Substanzklasse schauende Umweltrisikobeurteilung 1995 unterschiedlich. Die Auswirkungen von akut der polycyclischen aromatischen Kohlen- den Chemie-Nobelpreis. eingetragenen Stoffen infolge von Katastro- wasserstoffe. Benz(a)pyren und Freone sind Beispiele für phen oder Unfällen sind meist besonders In den frühen 70er Jahren des vergangenen Umweltrisikofaktoren, die frühzeitig erkannt verheerend und offensichtlich. Schwieriger Jahrhunderts warnten die Chemiker Crut- wurden (Tab. 1). Ziel dieses Artikels ist es, erkennbar sind Umweltschäden, die durch zen, Molina und Rowland vor der Verwen- einen Überblick zum gegenwärtigen Stand chronische Belastungen verursacht werden. dung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen. der Chemikalienpolitik zu geben. Es wird Sie wiesen darauf hin, dass diese auch als dargestellt, wie das Umweltrisiko einzelner Beurteilung der Umwelt- Freone bezeichneten Substanzen, die vor Chemikalien beurteilt wird, wie man aus verträglichkeit und Festlegung allem als Treibgase und Kühlmittel einge- der grossen Menge von Chemikalien durch von Grenzwerten Um das Umweltrisiko von Stoffen abzu- schätzen, muss einerseits bekannt sein, wie die Stoffe in die Umwelt gelangen und Technisch hergestellte chemische Stoffe wie sie sich dort verhalten. Andererseits 18 Mio. Stoffe sind in den «Chemical Abstracts» aufgeführt und beschrieben. müssen die Effekte auf die verschiedenen 400 Mio. Tonnen Chemikalien wurden weltweit im Jahr 2000 produziert. Vergleiche mit 1 Mio. Organismen beurteilt werden. Man stützt Tonne im Jahr 1930. 100 000 Stoffe waren 1981 in der EU gemeldet und werden als so genannte Altstoffe bezeichnet. sich dabei auf die Expositionsanalyse und 2700 Stoffe wurden in der EU seit 1981 neu gemeldet (Neustoffe). die Effektbeurteilung (Abb. 1). In der Expo- 30 000 Stoffe sind in Mengen von mehr als 1 Tonne auf dem Markt. sitionsanalyse werden sowohl Art und 5000 Stoffe werden in Mengen von mehr als 100 Tonnen produziert. 720 Stoffe wurden zwischen 1988 und 2000 im Rahmen der Schweizerischen Stoffverordnung Menge möglicher Einträge erfasst als auch neu gemeldet. das Umweltverhalten aufgrund chemodyna- 8700 verschiedene Nahrungsmittelzusätze sind bekannt. mischer Stoffeigenschaften abgeschätzt. 3300 Stoffe werden als Arzneimittel in der Humanmedizin eingesetzt. Wichtige in die Expositionsanalyse einflies- 3 EAWAG news 53
Kategorie Beispiele: Substanzen, Einträge nahmen zur Risikominderung in Betracht I. Früh erkannte Stoffe Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), gezogen werden. Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW, Freone) II. Akut eingetragene Stoffe Dioxine (Seveso, 1978), Radioaktivität (Tschernobyl, 1986), Agro- Die Politik der prioritären chemikalien (Schweizerhalle/Rhein, 1986), Erdöltankerunfälle (z.B. Schadstoffe Torrey Canyon, Amoco Cadiz) Prinzipiell müsste das Gefahrenpotenzial III. Stoffe mit erkennbaren verzweigtkettige Alkylbenzensulfonte, anionische Tenside in Effekten bei chronischem Waschmitteln ( Schaumberge), Waschmittelphosphate aller im Gebrauch befindlichen Chemikalien Eintrag (Gewässereutrophierung) bestimmt werden. Aufgrund der ausser- IV. Stoffe, die sich in biologischen DDT, polychlorierte Biphenyle (PCB), Persistent Organic Pollutants ordentlich grossen Zahl der potenziellen Systemen anreichern (POP), Schwermetalle (Blei, Cadmium, Quecksilber) Schadstoffe ist dies jedoch unmöglich. Des- V. Stoffe für spezifische Wasch- und Reinigungsmittel (Detergentien), Pestizide, Herbizide, halb verfolgt man mittelfristig die Strategie, Anwendungen Betonzusatzmittel, Antifoulings (zinnorganische Verbindungen) aus der Gesamtheit der Stoffe zunächst die VI. Ersatzstoffe Lineare Alkylbenzensulfonate (LAS), Nitrilotriacetat (NTA), Zeolith A, Organophosphor-Insektizide wichtigsten auszuwählen und diese gründ- VII. Zwischenprodukte des biolo- Methylquecksilber, Nitrosamine, Nonylphenol lich zu beurteilen. Beispielsweise wurde im gischen Abbaus (Metaboliten) Rahmen der OSPAR-Konvention zum VIII. Analytische Nebenresultate PCB, Perchlorethylen, Clofibrinsäure Schutz von Meeresökosystemen ein Aus- («Geisterpeaks») wahl- und Priorisierungsverfahren ent- IX. Produktverunreinigungen Polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane (Dioxine) wickelt (siehe Artikel von H.-J. Poremski X. Wassertechnologische Chlorphenole, Trihalomethane, Haloessigsäuren, Nitrosodimethyl- und S. Wiandt auf S. 6). Nebenprodukte amin (NDMA), Bromat Ein weiteres Priorisierungskonzept wurde XI. Spät erkannte Stoffe Arsen (siehe Artikel von M. Berg auf S. 12 und H.-R. Pfeifer und J.Zobrist auf S. 15) von der amerikanischen Wissenschafts- XII. Falsch beurteilte Stoffe Methyl-tert-butylether (MTBE, siehe Artikel von T. Schmidt auf akademie vorgeschlagen [1]. Darin geht S. 18), Atrazin es um die Identifizierung der wichtigsten XIII. Schwierig zu beurteilende Hormonaktive Stoffe (Bisphenol A, β-Estradiol, siehe Artikel von chemischen und biologischen Verunreini- Stoffe M. Suter auf S. 24), Arzneimittel gungen im Trinkwasser. In den USA ist die XIV. Neu auftauchende Ver- Antibiotika (siehe Artikel von C. McArdell auf S. 21), bromierte Umweltschutzbehörde vom Gesetz ver- unreinigungen («emerging Flammschutzmittel, fluorierte Sulfonat-Tenside contaminants») pflichtet, alle fünf Jahre eine neue Liste von XV. Immer wieder aktuelle Klärschlamm (siehe Artikel von P. Stadelmann auf S. 9), Krank- prioritären Trinkwasserverunreinigungen zu Risikofaktoren heitserreger im Trinkwasser (siehe Artikel von W. Köster auf S. 26) publizieren (Abb. 2). Im ersten Schritt wer- Tab. 1: Die 15 Kategorien von Umweltrisikofaktoren. den potenzielle Verunreinigungen vier ver- schiedenen Stofftypen zugeordnet (Abb. 3) und diejenigen Stoffe, die den Schnitt- sende Parameter sind die PEC-Werte («pre- liche Schadwirkungen einer Substanz in mengen I – IV angehören, werden in eine dicted environmental concentrations», vor- Abhängigkeit von der Schadstoffkonzent- provisorische Kandidatenliste aufgenom- ausgesagte Umweltkonzentrationen) und ration zu ermitteln («dose-response assess- men. In einem zweiten Schritt beurteilt man die MEC-Werte («measured environmental ment»). Daraus wird der sogenannte PNEC- die Gefährlichkeit der Stoffe und identifiziert concentrations», gemessene Umweltkon- Wert («predicted no effect concentration») schliesslich die Verunreinigungen, die in die zentrationen), die Informationen über zu abgeleitet, der als Wirkungsschwellenwert, endgültige Kandidatenliste aufgenommen erwartende oder tatsächliche Umweltkon- d.h. als niedrigste, noch einen Effekt aus- werden. Dabei stützt man sich sowohl auf zentrationen geben. MEC-Werte sind aller- lösende Konzentration definiert wird. Für die ein mathematisches Modell als auch auf dings oft nur schwer und unter grossem Gefahrenabschätzung werden schliesslich Beurteilungen durch Experten («expert Aufwand zu bestimmen und liegen deshalb PEC- und MEC-Werte mit den PNEC-Werten judgement»). nur für eine kleine Anzahl von Chemikalien verglichen. Sind die Umweltkonzentrationen vor. Ziel der Effektbeurteilung ist es, mög- höher als der PNEC-Wert, so müssen Mass- Konzertierte Aktionen auf internationalem Niveau In der Vergangenheit war es üblich, dass jedes Land eigene Risikobeurteilungen durchgeführt und eigene Massnahmen zur Regelung des Chemikaliengebrauchs erlas- Chemikalien PEC-Wert MEC-Wert sen hat. Beispiele sind die Schweizerische «predicted environmental «measured environmental Verordnung über umweltgefährdende Stoffe Expositionsanalyse concentration» concentration» und die von der amerikanischen Umwelt- Umweltverhalten schutzbehörde erstellte Liste der prioritären Chemodynamik Trinkwasserverunreinigungen. Umweltrisikobeurteilung Angesichts der riesigen Wissenslücken auf Effektbeurteilung dem Gebiet der Risikofaktoren und der Tat- Gefahrenabschätzung Risikominderung PNEC-Wert sache, dass Ursache und Auswirkungen «predicted no effect von Chemikalien zeitlich und örtlich weit Grenzwerte concentration» Qualitätsziele auseinander liegen können, sind indes Anstrengungen auf internationaler Ebene unerlässlich. Bereits seit mehr als vierzig Abb. 1: Umweltrisikobeurteilung von Chemikalien. Jahren engagiert sich die OECD im Bereich EAWAG news 53 4
Risikobeurteilung und Risikomanagement Zukünftige EU-Chemikalienpolitik nisationen. Neben den naturwissenschaft- von Chemikalien. Ein zentrales Anliegen der Mit dem Ziel, die menschliche Gesundheit lichen und technischen Aspekten müssen OECD ist die Ausarbeitung international und die Umwelt zu schützen, veröffentlichte bis zu einem gewissen Grad auch sozio- anerkannter Testmethoden. In der OSPAR- die EU im Februar 2001 das Weissbuch – ökonomische Gesichtspunkte berücksich- Kommission setzen sich die Anrainerstaa- Strategie für eine zukünftige Chemikalien- tigt werden wie beispielsweise die Verbrau- ten des Nordost-Atlantiks gemeinsam für politik in der Europäischen Gemeinschaft cherakzeptanz oder die Wirtschaftlichkeit den Schutz der Meere ein. Mit der Konven- [3]. Das Konzept basiert auf der Absicht, die von Ersatzstoffen. Aus Umweltschutzsicht tion von Sintra (1997) hat sich die OSPAR gefährlichsten Stoffe – krebserzeugende, im muss jedoch eine risikobasierte Beurteilung das wichtige Ziel gesetzt, den Eintrag von Körper und in der Umwelt akkumulierende höchste Priorität haben, und sozio-ökono- Schadstoffen in die Nord- und Ostsee inner- und die Fortpflanzung gefährdende Stoffe mische Aspekte dürfen nur eine sekundäre halb einer Generation zu stoppen. – vom Markt zu nehmen und zu ersetzen. Rolle spielen. Auch die Europäische Union ist in den 90er Als Handlungsgrundlage gilt das Vorsorge- Übergeordnetes Ziel der Chemikalienpolitik Jahren zunehmend aktiv geworden. Bei- prinzip. Es geht davon aus, Massnahmen ist eine nachhaltige Entwicklung, in der die spielsweise koordiniert das der EU unter- bereits dann zu treffen, wenn ein gewisses negativen Auswirkungen der Verwendung stehende Europäische Chemikalienbüro mit Risiko überschritten ist, auch wenn Ursa- von Chemikalien auf einem akzeptablen Sitz in Ispra, Italien, Datenbanken und Risi- chen und Wirkungen noch nicht eindeutig Mass gehalten werden, so dass auch zu- kobeurteilungen. Zu Beginn des neuen festgelegt werden können. Ein wesentliches künftige Generationen in einer intakten Um- Jahrtausends hat die EU ausserdem zwei Element der zukünftigen EU-Chemikalien- welt leben und gesunde Wasserressourcen Schlüsseldokumente vorgelegt: die Wasser- politik ist der Aufbau eines transparenten nutzen können. Die momentan laufenden Rahmenrichtlinie [2] und das Weissbuch – Bewertungssystems. Das so genannte Bemühungen müssen auf verschiedenen Strategie für eine zukünftige Chemikalien- REACH-System setzt sich aus drei Bestand- Ebenen noch verbessert werden, wobei der politik [3]. In der Wasser-Rahmenrichtlinie teilen zusammen: Registrierung («Registra- Früherkennung von Problemstoffen eine geht es um den länderübergreifenden tion»), Bewertung («Evaluation») und Ge- grosse Bedeutung zukommt. Für einen op- Schutz der Binnengewässer. Als Ergänzung nehmigungspflicht («Authorisation») von timalen Schutz muss deshalb das Vorsorge- der Wasser-Rahmenrichtlinie hat die EU im Chemikalien. prinzip zur Anwendung kommen. Fataler- Januar 2001 eine Liste von 32 prioritären Bei der Registrierung sollen grundlegende weise ist dieses Prinzip im Fall der eingangs Stoffen vorgelegt, von denen 12 gefährliche Informationen von rund 30 000 Alt- und Neu- erwähnten Freone nicht angewandt worden. Stoffe schrittweise aus dem Verkehr zu zie- stoffen, die in Mengen von mehr als 1 Tonne Der Mensch muss sich wohl der Tatsache hen sind. hergestellt werden, in einer zentralen Daten- stellen, dass es letztlich unmöglich ist, das bank erfasst werden. Schadstoffrisiko verlässlich und abschlies- Die Bewertung des Risikopotenzials wird send einzuschätzen. für alle Stoffe durchgeführt, die in Mengen von mehr als 100 Tonnen hergestellt werden Gesamtheit oder auch für Stoffe mit niedrigeren Pro- aller Stoffe Stufe I Auswahlkriterien duktionsmengen, wenn erhöhter Anlass zur Expertenbeurteilung Walter Giger, Chemiker und Besorgnis besteht. Titularprofessor für Umwelt- Die Genehmigungspflicht gilt für Krebs chemie an der ETH Zürich und Vorläufige der Universität Karlsruhe, Leiter Kandidatenliste erregende, Erbgut gefährdende und fort- der Abteilung «Chemische Prob- pflanzungsgefährliche Stoffe sowie für per- lemstoffe» an der EAWAG. Forschungsgebiet: Auftreten Stufe II sistente organische Schadstoffe. und Verhalten chemischer Prob- Klassifikations-Tool Expertenbeurteilung Endgültige Als weiteres sehr wichtiges Element fordert lemstoffe im Abwasser, Gewässer und Trinkwasser. Kandidatenliste die EU die Umkehr der Beweislast. Künftig soll die Industrie – und nicht die Behörden – Abb. 2: Priorisierungsverfahren für Trinkwasserverun- Informationen über herzustellende oder zu reinigungen in den USA [1]. importierende Stoffe und deren Unschäd- lichkeit liefern müssen. Aufgabe der Be- hörden wird es sein, die von der Industrie Verunreinigungen,... vorgelegten Daten und die dabei ange- wandten Prüfprogramme zu bewerten und ...die ...die sich über weitere Schritte zu entscheiden. nachweislich nachweislich In der Schweiz wurde Ende 2000 ein neues im Trinkwasser I ungünstig auf [1] National Research Council (2001): Classifying drinking vorkommen die Gesundheit Chemikaliengesetz beschlossen, das im water contaminants. National Academy Press, 113 pp. auswirken Jahre 2005 in Kraft gesetzt werden soll. Da- Bestelladresse: www.nap.edu bei wird eine starke Abstimmung mit den [2] Kommission der Europäischen Gemeinschaften II III (2000): Wasser-Rahmenrichtlinie. Dokument verfügbar Europäischen Gesetzen angestrebt [4]. unter: http://europa.eu.int/comm/environment/water/ ...die sich water-framework/index_en.html möglicherweise IV ...die ungünstig auf möglicherweise Ganzheitliches Konzept [3] Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): WEISSBUCH. Strategie für eine zukünftige die Gesundheit im Trinkwasser Eine ganzheitliche Erfassung und Bearbei- Chemikalienpolitik. Dokument verfügbar unter: http:// auswirken vorkommen tung der Schadstoffproblematik ist eine www.europa.eu.int/comm/environment/chemicals/ grosse Herausforderung für Wissenschaft, 0188_de.pdf [4] Schweizerisches Chemikaliengesetz (2001). Abb. 3: Stufe 1 aus dem Priorisierungsverfahren für Behörden und chemische Industrie sowie Dokument verfügbar unter: http://www.bag.admin.ch/ Trinkwasserverunreinigungen in den USA [1]. für Umweltschutz- und Verbraucherorga- chemikal/gesetz/d/index.htm 5 EAWAG news 53
Die Strategie der OSPAR-Kommission gegen den Eintrag gefährlicher Stoffe in die Meere Die Vertragsparteien der OSPAR-Konvention zum Schutz des die Erstellung einer Prioritätenliste für ge- Nordost-Atlantiks haben 1998 die Strategie gegen den Eintrag ge- fährliche Stoffe, fährlicher Stoffe in die Meere beschlossen. Sie hat zum Ziel, die die Entwicklung von Bewertungsmetho- Einträge gefährlicher Stoffe in die Meeresumwelt kontinuierlich den für gefährliche Stoffe im Meeresbereich, die Erarbeitung von Kriterien und Metho- zu reduzieren und binnen einer Generation ganz zu unterbinden. den zur Identifizierung und Entwicklung von Hierzu entwickelte die OSPAR-Arbeitsgruppe DYNAMEC, ein trans- weniger gefährlichen und umweltverträg- parentes und methodisch abgesichertes Verfahren zur Auswahl- lichen Stoffen bzw. Substituten, und Priorisierung von gefährlichen Stoffen. Auf dieser Grundlage die Entwicklung geeigneter Beschrän- beschloss die OSPAR-Kommission bis heute, den Eintrag von kungsmassnahmen für gefährliche Stoffe insgesamt 42 prioritär gefährlichen Stoffen in die Meere bis zum und eine Machbarkeitsbeurteilung, Jahr 2020 zu beenden. eine breite gesellschaftliche Beteiligung der involvierten Gruppen und Verbände, Meeresökosysteme sind Senken für Stoffe, Hintergrundwerte und für anthropogene, die Umsetzung von Massnahmen und die über die Atmosphäre und Flüsse heran- synthetische Stoffe Umweltkonzentrationen deren Berichterstattung. transportiert werden. Dazu gehören auch nahe Null erreicht werden. Als gefährliche zahlreiche gefährliche Stoffe. Sie werden auf Stoffe werden definiert [2]: Das Auswahl- und ihrem Transport nur sehr langsam abgebaut PBT-Stoffe, die sowohl persistent als auch Priorisierungsverfahren und sind heute in teilweise beträchtlichen bioakkumulierbar und toxisch sind; Das Verfahren zur Auswahl- und Priorisie- Mengen in der Meeresumwelt nachweisbar, Stoffe, die ein vergleichbares Gefähr- rung von gefährlichen Stoffen wurde von insbesondere, wenn sie sich in Organismen dungspotential aufweisen, jedoch nur über der OSPAR Arbeitsgruppe DYNAMEC ent- bzw. in der Nahrungskette anreichern. Als eine oder zwei der drei Eigenschaften der wickelt und umfasst im wesentlichen drei Gegenmassnahme vereinbarten die Regie- PBT-Stoffe verfügen; dazu gehören z.B. Schritte [3, 4]: rungen der Anrainerstaaten des Nordost- Schwermetalle und Stoffe, die in das Hor- eine Erstauswahl, Atlantiks deshalb 1998 in Sintra (Portugal) monsystem von Mensch und Tier eingreifen die Erstellung von Ranglisten für poten- im Rahmen der OSPAR-Konvention die Stra- können, d.h. endokrin wirksame Stoffe. ziell gefährliche Stoffe und tegie gegen den Eintrag gefährlicher Stoffe die Schlussauswahl der prioritär gefähr- in die Meere [1, 2]. Bis zum Jahr 2020, also OSPAR Strategie lichen Stoffe. binnen einer Generation (ca. 25 Jahre) sol- Die Strategie umfasst folgende Elemente: Das Fliessschema in Abbildung 1 charakte- len Einleitungen, Emissionen und Verluste die Entwicklung eines dynamischen Ver- risiert die wesentlichen Arbeitsschritte in von gefährlichen Stoffen soweit vermin- fahrens zur Auswahl- und Priorisierung von diesem Prozess. dert werden, dass für natürliche Stoffe die gefährlichen Stoffen, Erstauswahl gefährlicher Stoffe Als Ausgangspunkt für die Auswahl ge- Kategorie Angewandte Grenzwerte fährlicher Stoffe wurden alle verfügbaren Persistenz Bioakkumulation Toxizität Stoff-Datenbanken herangezogen. Dazu ge- Erstauswahl Halbwertszeit >50 Tage log KOW ≥ 4 oder Aquatische Organismen: hörten die Nordische Stoffdatenbank mit oder gemessene/ge- Biokonzentrations- Akute LC50 oder EC50 ≤1 mg/l, schätzte Biodegrada- faktor ≥ 500 NOEC ≤0,1 mg/l 18 000 registrierten Stoffen, die QSAR- tion Säugetiere: Kanzerogen, mutagen Datenbank der dänischen Umweltbehörde oder reproduktionstoxisch oder mit 166 000 Einträgen und die niederlän- chronisch toxisch dische BKH/Haskoning Datenbank mit Schlussauswahl nicht biologisch abbau- log KOW 5 oder Aquatische Organismen: 180 000 Datensätzen. Basierend auf den bar Biokonzentrations- akute LC50 oder EC50 ≤0,01 mg/l, faktor ≥ 5000 NOEC ≤0,01 mg/l PBT-Selektionskriterien (Tab. 1) konnte eine Säugetiere: gleiche Kriterien wie vorläufige Liste relevanter Stoffe aufgestellt unter Erstauswahl werden [4]. Parallel dazu wurden die Stoffe nach dem «Sicherheitsnetz-Verfahren» über- Tab. 1: Selektionskriterien der Erstauswahl und der Schlussauswahl. KOW = 1-Octanol/Wasser-Verteilungskoeffizient; LC = lethale Konzentration «lethal concentration», prüft, ob sie über gefährliche Eigenschaften EC = Effekt-Konzentration «effect concentration», Index 50 = 50% der untersuchten Organismen sind betroffen; verfügen, die nicht durch die PBT-Kriterien NOEC = Konzentration, bei der auch nach längerer Expositionszeit keine Effekte beobachtet werden «no observed effect concentration». abgedeckt sind. Auch die bei diesem Ver- EAWAG news 53 6
Priorisierung von Schadstoffen Rangergebnisses wird ein Algorithmus ein- aufgrund ihrer Gefährlichkeit gesetzt, der Gewichtungsfaktoren für Per- Ziel der Priorisierung ist es, das relative sistenz, Bioakkumulation und Ökotoxizität Risiko der 400 ausgewählten Stoffe zu be- berücksichtigt. stimmen und eine Rangfolge in Bezug auf Im Rahmen der OSPAR-Arbeiten wurde das das Gefährdungspotenzial festzulegen. Da- COMMPS-Verfahren so modifiziert, dass bei wurde das COMMPS-Verfahren («Com- spezifische marine Umweltbedingungen bei bined modelling and monitoring priority der Auswahl stoffbezogener Daten und Mo- setting») angewandt, das vom Fraunhofer- dellparameter stärker berücksichtigt wur- Institut Schmallenberg im Rahmen der Vor- den [8, 9]. Beispielsweise wurden bei der bereitungsarbeiten zur Wasser-Rahmen- Modellierung des Expositionsranges, die richtlinie (Water Famework Directive) der Eintragsmengen des Stoffes auf das marine Europäischen Union (EU) entwickelt wurde Gewässer (Wassersäule + Sediment) bezo- fahren positiv beurteilten Stoffe wurden in [5] und nun auf EU-Ebene als akzeptierte gen. Bei der Berechnung des Effektranges die vorläufige Liste aufgenommen [4]. Methodik eingesetzt wird. Dieses Verfahren wurden sowohl direkte (Toxizität) als auch In einem weiteren Auswertungsschritt prüf- umfasst sowohl einen «Modelling»-Ansatz, indirekte Effekte (Bioakkumulation) auf ma- ten Experten die Liste im einzelnen auf ihre der ursprünglich für die «European Union rine Organismen berücksichtigt. Verglichen Plausibilität und Validität hin und legten als Risk Ranking»-Methodik (EURAM) ent- mit limnischen Systemen werden dabei die Ergebnis eine vorläufige Auswahlliste von wickelt wurde [6, 7] als auch einen «Monito- indirekten Effekte stärker gewichtet, da die ca. 400 potenziell gefährlichen Stoffen vor ring»-Ansatz mit dem gemessene Daten Verweil- und Expositionszeit von gefähr- (Abb. 1). Zur Durchführung der anschlies- statistisch ausgewertet und relative Rang- lichen Stoffen in marinen Ökosystemen senden Priorisierung wurden Datenprofile ergebnisse für jeden einzelnen Stoff be- deutlich höher ist. Eingegangen in die Prio- für diese Stoffe erstellt. rechnet werden. Bei der Berechnung des risierung sind aber auch Effekte so ge- nannter CMR-Stoffe (kanzerogen, mutagen, reproduktionstoxisch) auf die menschliche Gesundheit. CMR-Stoffe können beispiels- Erstauswahl weise durch den Konsum kontaminierter Meeresfrüchte in den menschlichen Körper Gesamtheit aller natürlichen und synthetischen Stoffe gelangen. Weiterhin wurde die Gewichtung der Persistenz in der Berechnung der Ge- Auswahl basierend auf PBT-Kriterien Auswahl mit Sicherheitsnetz-Verfahren samtrangfolge erhöht und die Differenzie- rung des Bioabbaus in der Skalierung ge- Vorläufige Liste spreizt. Als Ergebnis dieser Berechnungen konnten Expertenbeurteilung vier Ranglisten erstellt werden: die Rangliste Wasser I basiert auf gemes- Liste mit 400 potenziell gefährlichen Stoffen senen Umweltkonzentrationen und Effekt- Priorisierung daten, die Rangliste Wasser II basiert auf model- lierten Daten und Effektdaten, Punkteverteilung Punkteverteilung aufgrund von Expositionsdaten: aufgrund von Effektdaten die Rangliste Sediment I basiert auf ge- z.B. Produktionsumfang, Gebrauchsmuster messenen Umweltkonzentrationen und Ef- fektdaten, die Rangliste Sediment II basiert auf 4 Ranglisten mit insgesamt 200 Stoffen modellierten Daten und Effektdaten. Rangliste Wasser I basiert auf gemessenen Umweltkonzentrationen und Effektdaten Von den insgesamt 400 Substanzen der ers- Rangliste Wasser II basiert auf modellierten Daten und Effektdaten Rangliste Sediment I basiert auf gemessenen Umweltkonzentrationen und Effektdaten ten Auswahlliste konnten jedoch nur ca. 200 Rangliste Sediment II basiert auf modellierten Daten und Effektdaten Stoffe in eine der vier Ranglisten aufge- nommen werden. Für die verbleibenden Schlussauswahl 200 Stoffe bestehen erhebliche Lücken bei Liste mit 80 Stoffen den Effektdaten, gemessenen Konzentra- Ranghohe Stoffe aus den 4 Ranglisten tionen und Eintragsmengen, sodass eine Stoffe, die die Kriterien der Schlussauswahl erfüllen (Tab. 1) Berechnung des relativen Risikos und der Endokrine Stoffe Rangfolge nicht möglich war. Sobald die Datenlücken geschlossen sind, werden Expertenbeurteilung diese Stoffe im Rahmen des DYNAMEC- OSPAR-Liste mit 42 prioritär gefährlichen Stoffen Verfahrens berücksichtigt. Schlussauswahl Sofortmassnahmen Massnahmen bis 2020 Im Sinne einer praktikablen Vorgehens- weise wurde eine weiter reduzierte Liste Abb. 1: Ablauf des von der Arbeitsgruppe DYNAMEC entwickelten OSPAR-Verfahrens zur Auswahl und Priorisie- rung gefährlicher Stoffe. von maximal 80 Stoffen erstellt. Sie umfasst 7 EAWAG news 53
Greenpeace/Greig Hintergrundwerte erreicht werden sollen, OSPAR-Vertragsparteien, aber auch der be- kann die Erarbeitung von Qualitätszielen in teiligten gesellschaftlichen Gruppen, Firmen diesen Fällen nur als Zwischenziel ver- und Verbände. Deshalb war es vorrangig standen werden. wichtig, ein hieb- und stichfestes Verfahren Die Umsetzung der Massnahmen kann bei zur Auswahl und Priorisierung der gefähr- Punktquellen über weit gehende Einlei- lichen Stoffe zu entwickeln. Hier hat die tungsbeschränkungen und bei diffusen Arbeitsgruppe DYNAMEC gute Arbeit ge- Quellen über Beschränkungsregelungen im leistet, denn sie konnte ein transparentes Rahmen der betreffenden Binnenmarkt- und methodisch abgesichertes Verfahren richtlinen erfolgen, wobei für beide Arten vorstellen. Dies hatte zur Folge, dass die OSPAR-Strategie: Einleitungsstopp für gefährliche Stoffe bis zum Jahr 2020. der Emissionsquellen zunächst die beste OSPAR-Liste der prioritär gefährlichen Stof- verfügbare Technik bzw. Praxis («best avail- fe von allen beteiligten Parteien akzeptiert able techniques» BAT, «best environmental wurde und nun die Umsetzung des OSPAR- Stoffe mit den höchsten Rangzahlen aus practice» BEP) als Minderungsmassnahme Ziels konzertiert erfolgen kann. den vier Listen sowie Stoffe, die die strin- angestrebt wird. Zusammenfassend ist fest- genten Selektionskriterien der Schluss- zustellen, dass die Wasser-Rahmenrichtlinie auswahl (Tab. 1) erfüllen, und endokrin wirk- ein Gesamtkonzept für die marinen Küs- same Stoffe. Durch eine weitere Experten- tengewässer und die limnischen Gewässer beurteilung wurde die Liste nochmals darstellt und damit auch die Meeresschutz- revidiert, sodass die OSPAR-Kommission anforderungen für wassergetragene gefähr- Heinz-Jochen Poremski, schliesslich eine Liste mit insgesamt 42 liche Stoffe aus landgestützten Quellen Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt Berlin mit prioritär gefährlichen Stoffen beschlossen berücksichtigt. Fachgebiet Meeresschutz. hat [10]. Für diese Stoffe werden zunächst Hintergrunddokumente durch federführen- Ausblick de OSPAR-Mitgliedstaaten erarbeitet, die Die OSPAR-Strategie gegen den Eintrag ge- u.a. die Risikobewertung [11], Stoff- und fährlicher Stoffe in die Meere verfolgt das Anwendungscharakteristika, Emissions- anspruchsvolle Ziel, die Einträge bis zum Suzanne Wiandt, Deputy Secre- quellen sowie Vorschläge für Minderungs- Jahr 2020 zu eliminieren [12]. Dies erfordert tary bei der OSPAR-Commission massnahmen und Möglichkeiten der Stoff- grosse Anstrengungen von Seiten der in London. substitution beinhalten. Rechtliche Umsetzung der [1] OSPAR Convention: Bundesgesetzblatt 1994, Teil II. S. 1355 ff. [2] OSPAR Commission (1998): OSPAR strategy with regard to hazardous substances. Sintra (Portugal), 22.– 23. July, Massnahmen Annex 34. Für die EU-Mitgliedsstaaten der OSPAR- [3] DYNAMEC (1998): Development of a dynamic selection and prioritisation mechanism for hazardous substances with Konvention findet die rechtlich verbindliche regard to the marine compartment. Presented by Germany, DYNAMEC 98/4/1, Berlin 14.–16. September. [4] DYNAMEC (1999): Report on the intersessional work on the initial selection presented by the Nordic countries Umsetzung der OSPAR-Massnahmen im DYNAMEC (2) 99/3/1, Stockholm, 7.–10. September. Rahmen der einschlägigen EU-Richtlinen [5] Fraunhofer-Institut (1999): Revised proposal for a list of priority substances in the context of the Water Framework statt. Eine wesentliche Basis ist die Wasser- Directive (COMMPS Procedure). Draft Final Report, Declaration ref.: 98/788/3040/DEB/E1. Fraunhofer-Institut, Umwelt- chemie und Ökotoxikologie, Schmallenberg. Rahmenrichtlinie der EU, die im Dezember [6] EU TGD (1996): Technical guidance documents, ECB, Ispra (Italy) 19. April. 2000 in Kraft trat und wie die OPSAR-Stra- [7] Hansen B.G., van Haelst A.G., van Leeuwen K., Van der Zandt P. (1999): Priority setting for existing chemicals. The tegie bis zum Jahr 2020 umgesetzt sein European Union risk ranking method. Environmental Toxicology & Chemistry 18, 772–779. [8] Lepper P. (2000): Draft version of 5 January 2000: Results of the risk-based ranking of substances on the DYNAMEC soll. Die Wasser-Rahmenrichtlinie listet 32 «draft initial list of possible concern». DYNAMEC 00/4/1, Oslo, 2.– 4. February. prioritäre Stoffe auf. Nach Artikel 16 der [9] Moltmann J.F., Küppers K., Knacker T., Klöppfer W., Schmidt E., Renner I. (1999): Development of a concept for the Wasser-Rahmenrichtlinie sollen für diese evaluation of hazardous substances in the marine environment within the framework of the OSPAR Convention. Research Report no. 297 25 525/01-02 on behalf of the Federal Environmental Agency. Stoffe Qualitätsziele entwickelt werden. [10] OSPAR-Commission: Summary record Copenhagen 2000 and summary record Valencia 2001, OSPAR Commission Einige dieser Stoffe finden sich auch auf London, website:www.ospar.org der OSPAR-Liste der «prioritär gefährlichen» [11] DYNAMEC (1999): Summary record DYNAMEC (2) 99, Annex 6: Draft framework for a common OSPAR/EC approach on risk assessment methodology for the marine environment. Stockholm, 7.–13. September. Stoffe. Da für die OSPAR-Stoffe bis zum [12] Poremski H-J., Wiandt, S. (2000): OSPAR programmes on hazardous substances – dynamic selection and prioritisation Jahr 2020 Konzentrationen nahe Null bzw. procedure. GDCh-Monographie, Band 17, p. 55 –70. EAWAG news 53 8
Klärschlamm: Dünger oder Abfall? Die Verwertung von Klärschlamm als Dünger in der Landwirtschaft ist umstritten. Wichtigster Nutzen der Klärschlammdüngung ist die Rückführung von wertvollen Pflanzennährstoffen vom Konsum- in den Agrarraum. Dagegen steht das Risiko, die im Klärschlamm enthaltenen Schadstoffe in die Umwelt einzutragen. Deshalb gilt es, Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Kurzfristig sind nur noch die qualitativ besten Klärschlämme einzusetzen. Lang- fristig sind Systeme und Techniken zu entwickeln, die es erlauben, das Nachhaltigkeitsprinzip (Nährstoffrezyklierung) und das Vorsorge- prinzip (Umweltschutz) unter einen Hut zu bringen. Klärschlamm fällt bei der Reinigung von Ab- Menschen verbunden ist und damit dem Dünger dienen der Pflanzenernährung. wässern in zentralen Abwasserreinigungs- Prinzip der Vorsorge widerspricht. Es gilt Man unterscheidet drei Gruppen von anlagen (ARA) an und gilt gemäss schweize- also, Nutzen und Risiken gegeneinander Düngern: rischer Stoffverordnung (StoV) und Dünger- abzuwägen. 1. Abfalldünger buchverordnung (DüBV) als Abfalldünger Klärschlamm: Produkt aus der Abwasserreinigung (siehe Kasten). Im Jahr 1999 wurden in den Nutzen der Klärschlamm- Kompost: verrottetes pflanzliches 979 ARA der Schweiz insgesamt 209 000 t verwertung und tierisches Material Trockensubstanz (TS) Klärschlamm produ- Nährstofflieferant mit Düngerwirkung: Klär- unverrottetes pflanzliches Material, z.B. Mostereiabfälle ziert, wovon rund 40% in die Landwirtschaft schlamm-Trockenmasse besteht durch- Erzeugnisse aus mineralischen oder gelangten (Tab. 1). Der Hauptanteil des schnittlich aus 45% organischer Substanz, tierischen Abfällen, z.B. Hornspäne Klärschlamms wird jedoch thermisch in in- 5,8% Calcium, 4,4% Stickstoff, 2,7% Phos- und Ledermehl dustriellen Schlammverbrennungsanlagen, phor, 0,5% Magnesium und 0,3% Kalium. 2. Hofdünger: z.B. Gülle, Mist, Mistwässer und Silosäfte Zementwerken und Kehrichtverbrennungs- Daneben sind auch Schwefel und Spuren- 3. Mineraldünger: meist chemisch herge- anlagen entsorgt. Bevor im Jahr 2000 das elemente wie Kobalt, Kupfer, Molybdän, stellte Erzeugnisse Deponieverbot für Klärschlamm in Kraft trat, Nickel und Zink enthalten. Verglichen mit wurde zudem ein kleiner Teil in Deponien den Nährstoffmengen aus Hof- und Mine- eingelagert. Die Verwertung bzw. Entsor- raldüngern (siehe Kasten) ist die Nährstoff- Nährstofffracht in 1000 t gung von Klärschlamm ist kantonal sehr fracht aus Klärschlamm klein (Tab. 2) und N P K verschieden: In den Kantonen JU, GL, FR, macht bezogen auf die gesamte ausge- Hofdünger 128 20,5 162 TG und UR gelangte 1999 fast der gesamte brachte Düngermenge lediglich 7,1% des Mineraldünger 53 7,4 27 dort produzierte Klärschlamm in die Land- Phosphor-, 2 % des Stickstoff- und 0,1% Klärschlamm 3,7 2,2 0,25 wirtschaft, wogegen man in den Kantonen des Kaliumanteils aus [1]. Betrachtet man Kompost 2,9 0,74 1,8 GE, BS und AI völlig auf eine Klärschlamm- jedoch den echten Nährstoff-Input in die Übrige Abfälle 1,5 0,57 1,5 düngung verzichtete. Landwirtschaft durch externe Quellen wie Total 189 31,4 192 Deposition, Mineraldünger und Futtermittel, Tab. 2: Vergleich der Hauptnährstofffrachten aus Klärschlamm enthält Nährstoffe lässt also den Hofdünger aus der Bilanz verschiedenen Düngern in der Schweiz für das Jahr und Schadstoffe heraus, können beachtliche 34% des pro- 1999. Obwohl Klärschlamm in allen europäischen Ländern zumindest teilweise als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt wird, ist diese 1974 1980 1984 1989 1994 1999 Verwendungsart umstritten. Einerseits ent- Anzahl kommunale ARA 430 710 855 930 977 979 spricht die Rezyklierung der im Klärschlamm Angeschlossene Wohnbevölkerung (%) 46 70 81 88 91 95 vorhandenen Nährstoffe dem Prinzip der Klärschlammproduktion total 90 170 176 213 211 209 Nachhaltigkeit. Andererseits enthält Klär- (1000 t Trockensubstanz) schlamm viele unerwünschte Stoffe, so dass Landwirtschaftlich verwendet (%) 80 65 50 50 55 40 die Nutzung des Klärschlamms als Dünger Tab. 1: Anzahl Abwasserreinigungsanlagen (ARA), angeschlossene Wohnbevölkerung, Produktion und prozentuale mit einem Risiko für die Umwelt und den Anteile der landwirtschaftlich verwendeten Klärschlamm-Menge in der Schweiz. 9 EAWAG news 53
duktiven Phosphor-Outputs und 9% des 510% 338% 1975 1980 1984 1989 1994 1999 150 Stickstoff-Outputs aus der Landwirtschaft (pflanzliche und tierische Nahrungsmittel) % des Grenzwertes StoV 1992 durch Klärschlamm gedeckt werden [2, 3]. Schonung der globalen Nährstoffreserven: 100 Bereits in etwa 80 Jahren sind die mit heu- tiger Technik abbaubaren Phosphatlager (rund 12 Milliarden t Erz) erschöpft. Weitere, etwa doppelt so gross geschätzte Phos- 50 phatreserven liegen im Meeresboden oder sind mit Schwermetallen belastet und daher nur begrenzt oder unter grossem finanziel- len Aufwand abbaubar. Bei den Stickstoff- 0 Mo Cd Co Ni Cr Cu Pb Zn Hg reserven ist die Situation weniger kritisch und auch die mit heutiger Technik abbau- Abb. 1: Mittlere Auslastung des geltenden Grenzwertes für Schwermetalle im Klärschlamm nach Stoffverordnung (StoV 1992) in der Schweiz (nach Külling 2001, zitiert in [1]). baren Kaliumreserven genügen noch für die nächsten 300 Jahre [1]. Verbesserung der Bodeneigenschaften: Dank der Zufuhr von organischer Substanz und Kalk trägt die Klärschlammdüngung zu Dünger- bzw. Nährstoffkosten von ca. 7 Mio. Schwermetallgehalte sukzessive zurück. einer Verbesserung der physikalischen, Franken eingespart werden. Hinzu kommt, Die Qualität der landwirtschaftlich genutzten chemischen und biologischen Bodeneigen- dass der Kostenvorteil der landwirtschaft- Klärschlämme war noch nie so gut wie schaften bei. Feldversuche ergaben eine lichen Klärschlammverwertung gegenüber heute, und die Grenzwerte nach StoV wer- Erhöhung des Humusgehaltes, des pH- der Verbrennung zur Zeit ca. 34 Mio. Fran- den deutlich unterschritten (Abb. 1). Dies Wertes, der bodenbiologischen Aktivität ken pro Jahr beträgt [1]. spiegelt sich auch in verbesserten Schwer- (Bodenatmung, Stickstoff-Mineralisierung, metall-Nährstoff-Werten (SMN) und Schwer- enzymatische Aktivität usw.) und der bak- Risiken der Klärschlamm- metall-Phosphat-Werten (SMP) wider (Tab. teriellen Biomasse. Diese Verbesserungen verwertung 3). Mit den SMN- und SMP-Werten ist ein der Bodeneigenschaften wurden in bis zu Generelle Risiken: Langjährige oder unsach- Qualitätsvergleich verschiedener Klär- 1 m tiefen Bodenschichten gefunden [4]. gemässe Klärschlammdüngung kann zu schlämme möglich [1]. Je tiefer die beiden Der pH-Wert hat zudem Auswirkungen auf einer Belastung der Oberflächengewässer Werte sind, desto besser ist die Klär- die Mengen an gebundenen und gelösten (durch Abschwemmung oder Erosion) so- schlammqualität. Schwermetallen im Boden: bei pH-Erhö- wie des Grund- und Quellwassers führen. Organische Schadstoffe: Klärschlamm kann hung reduziert sich nämlich der Gehalt der Daneben reichern sich Schadstoffe im eine Vielzahl von organischen Schad- und gelösten und damit pflanzenverfügbaren Boden an, so dass langfristig die Boden- Fremdstoffen enthalten, meist im µg/kg TS- Schwermetalle im Boden, so dass Pflanzen fruchtbarkeit (Reduktion der Diversität und Bereich (siehe Kasten) [1]. Die organischen auf klärschlammgedüngten Böden niedri- Aktivität der Bodenorganismen), die Pflan- Stoffe sind unterschiedlich persistent, lipo- gere Cadmium- und Nickel-Gehalte als auf zenqualität und der Pflanzenertrag be- phil, toxisch oder kanzerogen. Persistente ungedüngten oder mit Gülle gedüngten einträchtigt werden. Gleichzeitig können Stoffe wie z.B. PCBs können sich in Agrar- Böden aufweisen können (Stadelmann et al. Schadstoffe in die Nahrungskette gelangen ökosystemen und Nahrungsketten anrei- 1988, zitiert in [1]). und sich negativ auf die Gesundheit der chern (Abb. 2). Für Pflanzen sind die meis- Volkswirtschaftlicher Nutzen: Mit der Klär- Nutztiere und des Menschen auswirken [1]. ten organischen Schadstoffe nicht oder nur schlammdüngung (Stand 1999) können Schwermetalle: Mit der Klärschlammdün- schwach toxisch und werden von diesen gung werden Schwermetalle im Boden kaum aufgenommen und wenn, dann z.T. akkumuliert. Ein erhöhter löslicher Gehalt metabolisiert. Problematisch für Tier und an Schwermetallen (z.B. Cadmium, Zink, Mensch ist jedoch die Oberflächenkontami- Die wichtigsten organischen Schad- und Kupfer) zieht eine verminderte bodenbio- nation von Weiden, Wiesen und Boden- Fremdstoffe im Klärschlamm sind: logische Aktivität [5], Ertragseinbussen und oberflächen durch Klärschlammdüngung. chlorierte aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe Schwermetallanreicherungen in Pflanzen Frisst das Milchvieh oberflächlich kontami- Chlorphenole nach sich. Die Gefährdung der Nutztiere nierte Pflanzen oder Bodenpartikel, können polyzyklische aromatische Kohlen- und des Menschen durch Schwermetalle die Schadstoffe in die Milch und damit in die wasserstoffe (PAK) polychlorierte Biphenyle (PCB) wird heute aber im Allgemeinen als gering Nahrungskette gelangen. Aus diesen Grün- polychlorierte Dibenzodioxine und eingeschätzt [1]. Seit 1975 gehen die den wurde der Einsatz von Klärschlamm im Dibenzofurane (PCDD/F) Di(2-ethylhexylphthalat) (DEHP) organische Zinnverbindungen (TBT) Tenside und Tensidmetaboliten (LAS, NP) 1975 1980 1984 1989 1994 1999 LW99 Bisphenol A Chlorparaffine Summe der Schwermetalle 378 653 534 467 375 321 140 polybromierte Diphenylether (PBCE) SMN 6,39 4,43 1,99 1,44 1,15 0,96 0,85 polychlorierte Naphtaline (PCN) SMP 21,46 11,78 4,48 4,27 3,26 2,68 2,37 Organochlor-Pestizide Moschusverbindungen und Arzneimittel Tab. 3: Schwermetallfrachten im Klärschlamm (t/Jahr) sowie Schwermetall-Nährstoff- (SMN) und Schwermetall- (inkl. Antibiotika und Hormone) Phosphor-Werte (SMP) in der Schweiz [1]. LW99: Metallfracht, die im Jahr 1999 über den Klärschlamm in die Land- wirtschaft gelangte. EAWAG news 53 10
Sterilität im Falle eines Verbots (Futterbau vor Acker- bau). Wanderfalke Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft und Res- Eule sourcenschonung ist das langfristige Ziel, Falke Biota menschliche Nährstoffausscheidungen und Igel andere verwertbare Nährstoffe zu rezyklie- Regenwurm von C ren. Deshalb muss die Konzeption alterna- Regenwurm von B tiver (Kanalisations-)Systeme zur Trennung Regenwurm von A von häuslichem Abwasser, Industrie/Ge- C mit Kompost behandelt werbeabwasser und Meteorwasser sowie Boden B mit Klärschlamm behandelt die Entwicklung technischer Verfahren zur A unbehandelt Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser und 1 10 100 1000 10 000 100 000 Klärschlamm vorangetrieben werden. PCB-Konzentration (µg/kg) Die Natur produziert keinen Abfall, sondern Abb. 2: Akkumulation von PCBs in Agrarökosystemen in der Schweiz (nach Tarradellas et al. 1985 und Becker van wertvolle Nährstoffe, die es zu verwerten Slooten 2001, zitiert in [1]). Die PCB-Gehalte in den Bodenproben beziehen sich auf Trockensubstanz, in den Tier- proben dagegen auf Nassgewicht. gilt. Ausdrücke wie Abfall, Abwasser und Abwärme sind dabei fehl am Platz. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Vorsorge unter einen Futterbau in Deutschland, Schweden und durch Klärschlamm und 3 kg durch Kom- Hut zu bringen. Norwegen bereits verboten. post in den Landwirtschaftsboden einge- Krankheitserreger: Klärschlamm ist poten- tragen [1]. Bei einer groben Gesamtrisiko- ziell Träger einer Vielzahl von Krankheits- beurteilung mittels Multikriterienanalyse [1], erregern wie Bakterien (z.B. Salmonellen), bei der die Kriterien Nährstoffverknappung, Viren (z.B. Hepatitis B), Protozoen (z.B. Ent- Bodenstruktur, Schwermetalle, organische amöben) und Helminthen (z.B. Ascaris) [1]. Schadstoffe, Krankheitserreger, BSE, GVO, Franz X. Stadelmann, Natur- wissenschaftler, Mitglied der Durch Hygienisierung des Klärschlamms, Entsorgungskosten, Markt/Image gewichtet Geschäftsleitung und Leiter des z.B. mittels Hitzebehandlung, wird die Zahl wurden, schnitt Klärschlamm am schlech- Produkts Umweltressourcen/ landwirtschaftlicher Umwelt- der Krankheitserreger stark reduziert. Bei testen ab. Es folgten Holzasche, Abfälle aus schutz der Eidgenössischen Einsatz von hygienisiertem Klärschlamm als der Holzverarbeitung, Hofdünger, Kompost, Forschungsanstalt für Agrar- ökologie und Landbau (FAL) in Dünger in der Landwirtschaft ist das Risiko Abfälle aus der Nahrungsmittelindustrie und Zürich-Reckenholz. für die menschliche und tierische Gesund- Mineraldünger. Unumstritten ist jedoch, Koautoren: heit deshalb äusserst gering. dass jeglicher Düngereinsatz mit Risiken David Külling, Umweltnaturwissenschaftler, wissen- BSE und GVO: Bei guter Schlachttechnik, verbunden ist. schaftlicher Mitarbeiter der Abfallgruppe des Teil- produkts Stoffhaushalt/Gewässerschutz der FAL in tadelloser Hygiene, vollständigem Sammeln Zürich-Reckenholz. fester Bestandteile von Risikomaterial so- Wo liegt der Handlungsbedarf? Ulrich Herter, Agronom, bis Ende August 2001 Leiter der Abfallgruppe des Teilprodukts Stoffhaushalt/ wie bei Einsatz der Sieb- und Flotations- Generell sind Nutzen und Risiken einer Klär- Gewässerschutz der FAL in Zürich-Reckenholz. technik in Schlachtanlagen gelangt nur ein schlammdüngung nicht isoliert zu be- minimaler Anteil von infektiösem Material trachten. Einerseits ist es notwendig, die (BSE-Erreger) in das Abwasser, so dass das Schadstoffbelastung von Klärschlamm zu Kontaminationsrisiko für Klärschlamm ver- reduzieren, andererseits muss ein metho- nachlässigbar klein ist. Hingegen ist die disch verbessertes und leicht in der Praxis Ausbreitung von gentechnisch veränderten umsetzbares Risikomanagement erarbeitet Organismen (GVO) durch Klärschlamm prin- werden. [1] Herter U., Külling D. (Redaktoren) (2001): Risikoanalyse zipiell möglich und zwar insbesondere Kurz- und mittelfristig sind gezielte Mass- zur Abfalldüngerverwertung in der Landwirtschaft. Teil 1: Grobbeurteilung. Bericht der Eidg. Forschungs- durch unhygienisierten Klärschlamm [1]. nahmen zur Risikominiminierung und Nut- anstalt für Agrarökologie und Landbau FAL, Zürich- zenoptimierung nötig. Dazu gehören: Reckenholz, 271 S. Klärschlamm ist nur eine von die Feststoffabscheidung in Schlacht- Dokument als pdf-Datei erhältlich unter: www.blw.admin.ch/themen/hstoffe/pbm/d/texte.htm mehreren Risikoquellen höfen (BSE-Risiko), eine bessere Hygiene- [2] Spiess E. (1999): Nährstoffbilanz der schweizerischen Schadstoffe, Krankheitserreger und GVO kontrolle und die gezielte Auswahl von Klär- Landwirtschaft für die Jahre 1975 bis 1995. Eidg. gelangen nicht nur über Klärschlammdün- schlämmen mit tiefen SMN- und SMP- Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau, Zürich-Reckenholz, Schriftenreihe der FAL 28, 46 S. gung in die Umwelt. In der Schweiz werden Werten; [3] Stadelmann F.X. (2000): Landwirtschaftlicher Umwelt- lediglich 12% der Schwermetalle durch die Verhinderung/Verminderung der Klär- schutz – eine spannende Aufgabe: Erfahrungen und Klärschlamm in den Boden eingetragen; schlammaufnahme durch Nutztiere auf Wei- Überlegungen aus schweizerischer Sicht. Veröff. Bundesamt für Agrarbiologie Linz/Donau 22, 13 – 52. 38% gelangen durch Hofdünger, 25% den und anderen Futterflächen; [4] Stadelmann F.X., Furrer O.J. (1985): Long-term effects durch atmosphärische Deposition, 14% die zusätzliche Einführung von DüBV- of sewage sludge and pig slurry applications on durch Mineraldünger, 6% durch Fungizide, Grenzwerten für organische Schadstoffe micro-biological and chemical soil properties in field experiments. In: Williams J.H., Guidi G., L’Hermite P. 4% durch Kompost und 1% durch Holz- und die Überprüfung der heutigen Schwer- (eds.) Long-term effects of sewage sludge and farm asche in den Boden [1]. Dies gilt auch für metallgrenzwerte und Aufwandmengen slurries applications. Elsevier, London, 136 –145. organische Schadstoffe, beispielsweise nach StoV; [5] Stadelmann F.X., Gupta S.K., Rudaz A., Santschi- Fuhrimann E. (1984): Die Schwermetallbelastung des werden jährlich etwa 1000 kg PCBs durch der gestaffelte Ausstieg aus der Klär- Bodens als Gefahr für die Bodenmikroorganismen. Deposition, 70 kg durch Hofdünger, 8 kg schlammverwertung in der Landwirtschaft Schweiz. Landwirtschaftliche Forschung 23, 227– 239. 11 EAWAG news 53
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