Ruizhong - China - Im Dialog mit der Welt Verständigung zwischen Kulturen - ASEC SFVC
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
1 / 2016 Ruizhong Magazin der Gesellschaft Schweiz-China Bulletin d’Information de la Société Suisse-Chine China – Im Dialog mit der Welt Verständigung zwischen Kulturen
Ruizhong 瑞中 1/2016 Ruizhong 瑞中 1/2016 Inhaltsverzeichnis Editorial Claudia Wirz, Sinologin und Journalistin, Zürich, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweiz-China Claudia Wirz, sinologue et journaliste, Zurich, membre Editorial du Comité directeur Claudia Wirz 3 Gastronomische de la Société Suisse-Chine Was ist gute Kunst? Wang Chunchen 4 Chinoiserien Uli Sigg: «Ich muss mich alle paar Jahre neu erfinden» Claudia Wirz Margrit Manz 6 Kulturgüterschutz zwischen der Schweiz und China Niklaus Glatthard 11 26 China und die Welt La Chine et le monde Die Chefin eines Luzerner Hotels hatte die mor- La patronne d’un hôtel de Lucerne en avait Man muss den Westen nicht bekämpfen, man muss ihn aufkaufen. gendliche Schlacht am Buffet und die daraus re- par-dessus la tête de la bataille matinale autour Margrit Manz 12 sultierende Verschwendung von Lebensmitteln du buffet et du gaspillage de nourriture ainsi oc- satt. Deshalb erteilte sie ihren Gästen eine Lehr- casionné. En conséquence, elle gratifia ses clients «Ich mach mein Ding». Chinas neue Gründerinnen stunde in helvetischer Lebensmittelethik. So was d’une leçon d’éthique alimentaire helvétique. Ici, Wang Jingjing 16 gehöre sich hier nicht, hier esse man auf, was auf cela ne se fait pas de se comporter de la sorte ; on Le Sino-Swiss Women’s Forum den Teller komme – alles auf Englisch und: auf termine ce qui est dans son assiette – le tout en 19 Chinesisch. Garniert war das Ganze mit Fotos anglais et… en chinois, assorti de photographies von verhungernden Kindern. Mit an Bord der d’enfants affamés. Le « Blick » était de la par- Création d’un concours international de piano «Blick», der titelte: «Mit Schockbildern gegen tie et titrait : « Avec des images choc contre des Herrscherinnen Michel Runtz 29 gierige Chinesen». Chinois voraces ». So berechtigt der Kampf gegen die Lebensmittelver- Autant justifiée que soit la lutte contre le gaspillage ali- im chinesischen Gründung des Schweizerischen Fachverbandes Chinesisch Brigitte Koller/Claudia Berger 30 schwendung auch ist und so gut gemeint die Aktion auch ge- mentaire et aussi bien intentionnée cette action, autant cette Kulturraum Priester, Affenkönig und Schwein wesen sein mag, so fragwürdig ist sie. Fragwürdig, weil sie nicht dernière est-elle contestable. Contestable, car elle nourrit Guido Mühlemann gemeinsam gen Westen Margrit Manz 32 nur dumpfe Klischees nährt, sondern weil sie die Schweizer als non seulement des stéréotypes lancinants, mais glorifie les die moralisch Besseren glorifiziert, an denen man sich gefäl- Suisses comme moralement meilleurs, desquels on devrait 20 Buchrezensionen ligst ein Beispiel nehme. Dabei gehört die Schweiz gerade bei der Lebensmittelverschwendung zur internationalen Topliga. complaisamment s’inspirer. En matière de gaspillage alimen- taire, la Suisse joue pourtant au plan international en caté- Zum Beispiel werden hier 60 Prozent eines Rindes als Abfall gorie supérieure. Par exemple, 60 pour cent d’un bœuf sont Heute ist Montag, entsorgt, weil Innereien oder andere weniger edle Stücke dem détruits ici parce que les abats ou d’autres morceaux moins also muss es Zürich sein luxusgewöhnten Schweizer Gaumen nicht munden. Unvor- nobles ne conviennent pas à des palais suisses habitués au stellbar in China. Man merke: Wer selber Wein trinkt, sollte luxe. Inimaginable en Chine. C’est comme prêcher l’eau et Margrit Manz den anderen nicht Wasser predigen! boire du vin ! Faites ce que je dis, pas ce que je fais ! Chinesen sind in aller Welt mannigfaltigen Anfeindun- Les Chinois sont partout exposés à des attaques variées. 36 gen ausgesetzt. So wurde etwa der ehemalige Vorsitzende der deutschen FDP, der aus Vietnam stammende Philipp Rösler, als Ainsi, en est-il de l’ancien président du FDP allemand, Philipp Rösler, originaire du Vietnam, qui était régulièrement la cible «Chinese» wiederholt zum Ziel plumper Anwürfe. Die Such- d’invectives grossières en tant que « Chinois ». Google dévoile maschine Google offenbart mit ihren automatischen Vervoll- par sa fonction de complétion automatique de son moteur de ständigungen von Suchsätzen den landläufigen Rassismus recherche le racisme ordinaire contre les Chinois. L’enquête gegen Chinesen. Die Untersuchung eines amerikanischen For- d’un institut de recherche aux États-Unis montre que l’image schungsinstituts zeigt, dass das Image von China in der westli- de la Chine est dégradée dans le monde occidental. Seulement chen Welt angeschlagen ist. Nur 34 Prozent der Deutschen, 38 34% des Allemands, 38% des Américains et un maigre 9% Prozent der Amerikaner und mickrige 9 Prozent der Japaner des Japonais ont une image positive de ce pays. En revanche, haben ein positives Bild von China. Hingegen geniesst China la Chine bénéficie au Ghana, en Éthiopie, au Burkina Faso, China steht auf Fondue, Bratwurst und Rösti Ueli Merz 24 in Ghana, Äthiopien, Burkina Faso, Tansania, Russland und en Tanzanie, en Russie et dans d’autres pays de beaucoup de Der Sinomarxismus als Essenz der heutigen Politik Chinas Guido Mühlemann 37 weiteren Ländern viel Wohlwollen in der Bevölkerung. bienveillance au sein de leur population. Gewiss, internationaler Austausch ist so gut wie nie konflikt- Certes, les échanges internationaux ne sont presque ja- Die Sehnsucht nach einem normalen Leben Peggy Kames 38 frei. Man wird und man muss sich ja auch nicht immer einig mais exempts de conflits. On n’est pas d’accord et on ne doit sein. Aber ein Austausch auf Augenhöhe und im gegenseiti- pas toujours l’être. Mais un échange sur un pied d’égalité et Ein Leben als Superhirn Margrit Manz 39 gen Respekt ist immer konstruktiver als überhebliche Schul- dans le respect mutuel est toujours plus constructif que des meisterei. Und genau für einen solchen Austausch, der Wis- sermons arrogants. C’est justement pour de tels échanges qui Sinologische Kontroverse: Alter Streit neu übersetzt sen schafft und Vorurteile abbaut, steht unsere Gesellschaft créent de la connaissance et démonte les préjugés que s’en- Peggy Kames 40 mit all ihren Mitgliedern. gagent notre association et tous ses membres. Übrigens: Sie habe aus China viele positive Reaktionen auf Point d’orgue : l’hôtelière lucernoise susmentionnée a Titelfoto: Im Dragon Mart, weit ausserhalb von Dubai kann man viele Waren Ausstellung in Sissach: He Cilian 41 ihre Belehrung erhalten, diktierte die eingangs erwähnte Lu- reçu de Chine de nombreuses réactions positives à ses leçons, aus China kaufen. Von Textilien bis Elektronikartikel wird alles angeboten. In der Regel kann man über die ohnehin schon billigen Preise nochmals ver- Impressum/Sponsoren 41 zerner Hôtelière den Medien in den Notizblock. Diese Fähigkeit a-t-elle encore indiqué les médias dans les commentaires. handeln. Wirklich beeindruckend ist die Architektur des Dragon Mart, die einer kritischen Selbstreflektion ist wahrlich vorbildlich. Cette capacité d’une réflexion personnelle critique est vrai- mit einer Länge von 1,2 Kilometern an einen chinesischen Drachen erinnert. 1st Swiss-Chinese Career Day (SCCD) Der Mart mit vielen chinesischen Händlern existiert seit 2004 und natürlich Ruedi Schaffner/Christian Walsoe 42 ment exemplaire. auch viele chinesische Restaurants, denn wie ein Sprichwort richtig sagt: 民以 食为天«Dem Volk ist das Essen der Himmel». GV im Kunstmuseum Bern 44 Foto: © Daniel Krahl Claudia Wirz Claudia Wirz 2 3
Ruizhong 瑞中 1/2016 Was ist gute Kunst? Ruizhong 瑞中 1/2016 Trotzdem braucht unsere Gesellschaft etwas, was wir Verständnis für diese Menschen mangelt, dann gibt es keine Was ist gute Kunst? «Kunst» nennen. Momentan wird die Kunst in einen Kon- Basis, von der aus man über Kunst sprechen könnte. Die Kunst text gestellt, in dem sie getadelt, hinterfragt und negiert wird: in ihrer Vielfalt, Komplexität und ihren Moden folgt scheinbar Doch «Kunst» gehört zum aktiven Ausdruck der heutigen keinen Prinzipien. Angesichts der gemeinsamen Probleme, Gesellschaft. Eine Bedingung für ihre Existenz ist die Bedeu- denen sich die Menschheit gegenüber sieht, müssen wir erken- Eine Frage, die tung, eine Form ihrer Existenz ist das Allesdurchdringende nen, dass sogenannte gute Kunst eigentlich von jenen stammt, oder Beliebige. Vor allem wird Kunst als etwas angesehen, das die sich den Menschen auf der Welt verpflichtet fühlen und Grenzen sprengt. Dafür werden alle Medien und Methoden über die Fragen dieser Welt reflektieren. Sie erinnern eher an genutzt, auch die, die zuerst einmal mit «Kunst» nicht viel zu heimatlose Wanderer, die aber weder in einer Bequemlichkeit beim Menschen beginnt tun haben und irgendwie verdächtig anmuten. Das sind sicher die Gründe, warum Kunst heute als «ein Problemfall» gilt. Tatsächlich ist die derzeitige Situation gar nicht so kom- versinken, in der sie ihre Selbstachtung aufgeben, noch um des Geldes willen Vernunft und Ideale über Bord werfen. pliziert, es braucht einfach sogenannte Experten, die Kunst Wie kann man heute noch beurteilen, welche Formen von «Kunst» auch angemessen kritisieren können. Ausserdem muss die Ge- sellschaft wieder erkennen, dass Kunst eine gute Art ist, um «Die Welt als gesellschaftliches tatsächlich «gute Kunst» sind und eine echte Bedeutung haben? Der Kunstkritiker Ideen aus neuen Perspektiven heraus darzustellen. Erst wenn Gebilde muss neu geformt werden.» man sich dahingehend einig ist, kann man die Bedeutung von und Kurator Wang Chunchen meint: Die Menschen müssen sich auf «Kunst» beurteilen. Vorbedingung dieser Beurteilung ist, das eigentliche Wesen des Menschen und den Ursprung der Kunst besinnen. dass sie durch keinerlei Medium oder Methode eingeschränkt ist. Anders ausgedrückt: Die Kunst ist eine geistige Kraft, eine Die Kunstwelt sollte diese Menschen nicht in Vergessenheit Form der Äusserung. In der heutigen Zeit hat sie in erster Li- geraten lassen, sie hochhalten und schützen. Um es auf den nie mit dem existenziellen Wert des Menschen zu tun, mit den Punkt zu bringen: Diese Welt wäre ohne echte, bedeutungs- geistigen Intentionen eines Menschen, der eine künstlerische volle Kunst wohl um vieles dunkler. Kunst kann noch so ver- Aktivität verfolgt. schieden, chaotisch, grenzüberschreitend oder amateurhaft sein und hat trotzdem eine entlastende Funktion. Die Welt Warum? Weil wir in einer Zeit leben, in der die Menschheit der Kunst ist mit der Welt der Menschen aufs Engste verbun- durch den Prozess der Globalisierung gezwungen ist, für vie- den. Nur die Kunst macht eine Interpretation und symbol- le gesellschaftliche Themen und Probleme gemeinsame Ant- hafte Deutung der Bedeutung der Welt möglich. Sie hilft uns worten und Lösungen zu finden. Das heisst, die Welt als ge- einen Standpunkt bei der Kunstbetrachtung und Zuflucht für sellschaftliches Gebilde muss neu geformt werden. Dieser unser Gewissen zu finden. Tatsache kann niemand, egal wo er lebt, entrinnen. Hierbei kommt uns die Kunst zu Hilfe: Sie kann erzählen, erklären, ak- Eigentlich ist Kunst nicht kompliziert und wir brauchen uns zentuieren, Metaphern und Symbole finden, sie kann uns kon- nicht länger den Kopf zu zerbrechen über das, was reine Kunst frontieren und diese Welt mit all ihren Fragen sichtbar machen. oder keine Kunst ist. Heute gibt es viele vorgebliche «grosse Meister», die zwar alles andere als das sind, aber aus dem ho- hen Status, den sie landläufig geniessen, Profit schlagen und sich daher auch mit dem Heiligenschein der Kunst schmü- «Wir wissen schon viel cken. Die Kunst ist mit Sicherheit die Kunst des wahren Ich, die nur in der abgeschlossenen Welt des Inneren ihre Freiheit zu viel über Kunst.» und ihr Glück finden kann. Eine Beurteilung, eine sogenannte Bewertung von Kunst ist Wang Chunchen, Kunstkritiker und Kurator, Peking daher nur aus der zeitlichen Distanz möglich. Das Fairste auf Die Kunst dieser Zeit ist nicht eine Kunst, die sich der exis- dieser Welt ist nach wie vor die Zeit: Sie kennt kein prakti- tenziellen Bedeutung des Menschen entzieht; sie ist auch sches Gewinndenken, keine Zwietracht, sie fällt ihr Urteil in Von Wang Chunchen (王春辰) nicht eine Kunst, die nach zahlenmässig erfassbarem Markt- vollkommener Freiheit. Sie kann das Urteil zwar wieder um gewinn strebt, sondern sie ist eine Kunst, die sich der Verbin- stossen, aber nicht beschönigen und verschleiern, und auch D ie Frage «Was ist Kunst?» wurde bereits in der Vergan- genheit äusserst kontrovers diskutiert, und bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Definition dessen, was «Kunst» ist. Wenn wir also die Frage «Was ist gute Kunst?» beantworten wollen, so ist die Antwort zwangsweise umstrit- die widersprüchlichen, konfliktbeladenen Definitionen von Kunst ständig fortgeschrieben – es ist nicht so, dass wir nicht genug über Kunst wüssten: Wir wissen schon viel zu viel! Wir leben in einer Zeit, in der es keine Mässigung im Wis- dung zwischen ihrer selbst und der Welt annimmt. Sie mag voller Leiden und Zorn sein, sie mag Selbstgespräche führen und der Welt nur ihre eigene Geschichte erzählen. Aber, sie darf sich den Trends nicht anbiedern, sie darf sich nicht zur Schau stellen und auf Vorteil bedacht sein, und sie darf schon ihre Überzeugung nicht verraten. Die Menschen sollten beim Schaffen, Geniessen, Erforschen und Bewahren von Kunst von einem idealistischen Geist durchdrungen sein; als künstlerisch Tätige sollten sie den ten und anfechtbar. sen gibt, die uns keine Beschränkung des Wissens erlaubt. gar nicht den Geist der Freiheit verdunkeln. Sie kann die me- Prinzipien, die eine bedeutsame künstlerische Existenz aus- Vielleicht weil es so leicht geworden ist, Informationen zu taphysischen Sphären der Welt erforschen, aber sie darf nicht machen, treu bleiben und den echten Menschen der Kunst Andererseits jedoch tauchen überall auf der Welt Produkte, beschaffen, und die Transportmöglichkeiten so effizient ge- in den irdischen Niederungen auf Profit spekulieren. Kunst entdecken und wertschätzen. Verhaltensweisen und Aktivitäten auf, die «Kunst» genannt worden sind, tendiert Kunst auf globaler Ebene dazu, immer heisst deswegen Kunst, weil sie geistige Bedeutung hat; sie ist werden; ständig finden «Kunst»-Ausstellungen statt, und uniformer zu werden. Ist das der Beginn einer Epoche, in der das Reservat des letzten Idealismus, den das Unbewusste der – überall gibt es unzählige Museen und Sammler, die verschie- die Kunst universell wird? Betrachten wir Kunst als kulturel- Menschheit noch nicht aufgegeben hat. Wang Chunchen Forscher am Museum denste Dinge sammeln, die als «Kunst» eingestuft werden. len Ausdruck? Oder als eine Art Wirtschaftsaktivität? Wenn der Central Academy of Fine Arts (CAFA) Peking, Kunstkritiker, Kurator des China-Pavillons «Kunst» unterscheidet sich im Grunde nicht von einem Ge- wir letztere Interpretation undifferenziert anerkennen, dann Wenn wir daher heute über Kunst sprechen, müssen wir zuerst auf der 55. Kunst-Biennale 2013 in Venedig werbe oder einer Aktivität, die ständig Neuerungen und Ent- würde das bedeuten, dass «Kunst» vollkommen abgehoben die Menschen, die Kunst machen, respektieren; ihre Existenz wicklungen hervorbringen. Gleichzeitig werden aber auch ist und keine reale Bedeutung mehr besitzt. hat eine Bedeutung für diese Welt. Wenn es an Respekt und © Magazin Goethe-Institut China 4 5
Ruizhong 瑞中 2/2015 «Ich muss mich alle paar Jahre neu erfinden» Ruizhong 瑞中 1/2016 «Ich muss mich alle paar Jahre neu erfinden» Die einzigartige Geschichte einer Sammlung in China, Ausstellung in Bern und Schenkung nach Hongkong Von Margrit Manz An Gegenwartskunst war ich schon immer interessiert, aber Fotos: Monika Flückiger, Kunstmuseum Bern eher an westlicher. Als ich Ende der 70 Jahre nach China kam, wusste ich von Land und Leuten noch gar nichts. Um meine B evor bedeutende Teile der Kunstsammlung des Schweizers Uli Sigg als Schenkung nach Hongkong gehen, werden sie letztmalig unter dem Titel «Chine- se Whispers» im Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee in Bern einer interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Vom neue Umgebung besser kennenzulernen, begann ich mich um- zuschauen, auch in Hinsicht, was die Gegenwartskünstler so tun. Ich war damals bei einem Schindler Aufzüge AG-Projekt beschäftigt. Ich wollte einen anderen Zugang zum Land finden, als das offizielle China mir damals erlaubte. Unbeobachtet war 19.02. bis 19.06.2016 zeigt die Gemeinschaftsausstellung der ich nie, wurde immer begleitet. Von der Gegenwartskunst er- Berner Kunstinstitutionen rund 150 neuere Werke der Sigg hoffte ich mir eine andere Sicht auf China. Doch zunächst war und M+Sigg Collections. «Chinese Whispers» knüpft an die sie ein Derivat der Westkunst und für mich nicht besonders in- Ausstellung «Mahjong» an, die 2005 in Bern stattfand und teressant. Die chinesischen Künstler hatten sich eben erst aus weltweit grosse Beachtung fand. Die gegenwärtige Aus- der Auftragskunst, die im Rahmen des Sozialistischen Realis- stellung gibt einen repräsentativen Einblick in die Kunst- mus verordnet war, gelöst und begonnen eigenständig Kunst produktion der letzten 15 Jahre und in die beeindruckend zu machen. Mit diesem Bruch zur Vergangenheit musste ich produktive und fantasievolle Arbeit der Kunstschaffenden mich erst vertraut machen. Chinas. Uli Sigg, Wirtschaftsjournalist, Unternehmer und von 1995-98 Schweizer Botschafter in China, hatte während seines Aufenthaltes im Reich der Mitte begonnen, systema- tisch mehr als 2200 Werke von etwa 350 zeitgenössischen Bisher sammelte niemand Künstlern zusammenzutragen. Das M+ Museum für visuelle Kultur wurde vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de chinesische Gegenwartskunst Meuron als eines der weltweit grössten Museen entworfen und wird 2019 in Hongkong eröffnet werden. Im M+ wird die Schenkung von Uli Sigg eine ideale Stätte finden und kunst- begeisterte Besucher aus dem In- und Ausland anlocken. Hat Sie die persönliche Begegnung mit den Künstlern, ihren Biografien und der künstlerischen Auseinan dersetzung mit der gesellschaftlichen Realität zum Sammeln angeregt? Herr Sigg, Sie haben weltweit die grösste zeitgenössische Erst einmal war das Land China mein Studienobjekt. Über die Sammlung chinesischer Kunst. Sie sind in einer Zeit Kunst und die Begegnung mit den Künstlern erhoffte ich mir nach China gekommen, als das Land vom Westen noch mehr Informationen. Wäre ich nur in eine Galerie spaziert – skeptisch beäugt wurde, vielleicht sogar die Fähigkeit die es zu Beginn ohnehin nicht gab – und hätte dort ein Bild abgesprochen bekam, moderne Kunst zu erkennen gekauft, hätte ich nichts erfahren. Ganz sicher auch nicht von und zu produzieren. Was hat Sie an den Künstlern und den offiziellen Regierungskadern, mit denen ich beruflich zu deren Werken damals bewegt, dass Sie anfingen, sich tun hatte. Sehr viel später realisierte ich, dass bisher niemand dafür zu interessieren und sie zusammenzutragen? auf die Idee gekommen war, systematisch zeitgenössische Chi Lei, Aus der Serie: Red Star Motel, 2009 C-Print,12-teilig, 93 × 84 cm, M+ Sigg Collection, Hong Kong. By donation 6 © Chi Lei 7
Ruizhong 瑞中 1/2016 «Ich muss mich alle paar Jahre neu erfinden» Ruizhong 瑞中 1/2016 Chinesen gehören. Sie haben ihre eigene Gegenwartskunst bisher nur ganz eingeschränkt zu Gesicht bekommen. Stille Post – oder wie man aus einer Mücke einen Elefanten Eine Frage wäre ja auch, ob diese Kunst, wie interessant sie macht auch immer sein mag, in der Schweiz wirklich dauerhaft ein Chinese Whispers ist der englische Begriff für Stille Post. Wer grosses Publikum hätte, wenn auch meine Ausstellungen von uns kennt nicht das Spiel Stille Post oder Flüsterpost aus stets zu den bestbesuchten gehörten. Die Schweizer Museen den eigenen Kindheitstagen. Wir hatten uns im Kreis eng ne- haben zudem noch andere Aufgaben, sie könnten sich nicht beneinander gesetzt. Einer von uns dachte sich eine Nachricht ausschliesslich der chinesischen Kunst zuwenden. aus und gab sie flüsternd von Mund zu Ohr an seinen Nach- Die Sammlung hätte ich auch der Tate Gallery of Modern Art barn weiter. Der letzte Spieler musste dann die Nachricht laut in London oder dem MoMA, dem Museum of Modern Art in aussprechen, so wie sie bei ihm angekommen war. Meist war New York, geben können. Die waren sehr interessiert. Aber die ursprüngliche Nachricht kaum wiederzuerkennen, hatte dann gibt es vielleicht eine grossartige Ausstellung und da- ihren Wortlaut verloren. Das sorgte für lautes Gelächter! Heute nach verschwindet alles in den Lagern. So ist es leider. In Chi- funktioniert es ähnlich mit bestimmten Nachrichten, die nach na dagegen und gerade jetzt in Hongkong, wo ein grossartiges einigen gedrehten Runden nur noch Missverständnisse oder Museum entsteht, sind die allerbesten Voraussetzungen, dass Gerüchte sind. Doch gerade diese Mischung aus Wahrheit und dort wirklich der Fokus auf die Sammlung gelegt wird. Erfindung ist für die meisten Menschen höchst spannend und eine nie versiegende Geldquelle für Boulevardzeitungen. MM Wie wird der chinesische Kunstmarkt auf die Schenkung ans Hongkonger Museum reagieren? Viele Künstler und Arbeiten, die ich gesammelt habe, sind den Chinesen selber nicht bekannt. Sie sind nie in China ausgestellt O Zhang, Horizon, 2006 Lightjet-Print, 21-teilig 103 x 85 cm © the artist. worden. Die Ausstellung in Hongkong wird also erstmalig die M+ Sigg Collection, Hong Kong. By donation Tiefe und Breite der Kunst zeigen. Das bleibt nicht ohne Folgen nicht möglich. Jetzt kann ich mir wieder andere Arbeiten ins für den Markt. Es wird eine Veränderung der Wahrnehmung, Haus holen und mit ihnen leben. sowie eine andere Bewertung der Künstler und ihrer Kunst ge- ben, sowie eine grössere Klarheit in diese historisch eher kurze Zeitspanne bringen. Kunst zusammenzutragen. Da begann meine Sammlerleiden- die Gegenwartskunst nur eingeschränkt zeigen können, so wie Plötzlich tauchten Künstler schaft. Es ging mir nicht um den Besitz von Kunstwerken. Ich auch die Kunstkritik nicht völlig unabhängig agieren kann. An zahlreich aus dem Untergrund auf verfolgte eine andere langfristige Idee. Ich wollte die einma- Kunstgenres, bzw. Medien gibt es alles, was es im Westen auch lige zeitgenössische Sammlung mit der Absicht anlegen, sie gibt. Die Künstler sind in der Welt zu Hause. Sie reisen, sind im eines Tages wieder wegzugeben. Ich gebe zu, das ist nicht die Internet, haben Bücher, stellen auch im Westen aus. Der Grad klassische Beziehung vom Sammler zu seinem Kunstwerk. der Sophistizierung ist durchaus mit dem unseren vergleichbar. Ai Weiwei ist wohl der bekannteste chinesische Künstler bei uns im Westen. Was ist Ihr Eindruck? Wie Wie haben Sie die Künstler vor Ort gefunden? War es Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Sie wollen bekannt ist er und seine Kunst eigentlich in China? Zufall, eine Empfehlung, hat sie jemand mitgenommen? einen grossen Teil der Sammlung nach Hongkong Bis zum Jahr 2000 arbeiteten die chinesischen Künstler eher Die allererste Begegnung kam durch gemeinsame Freunde verschenken. Warum gerade jetzt? im Untergrund. Sie waren nur einem ganz kleinen Kreis be- zustande. Danach haben mich die Künstler zu den nächsten Ein Grund ist sicher mein biologisches Alter, das eine dauer- kannt, einer Art Teilöffentlichkeit, den Akademien, ein paar Künstlern mitgenommen. Es war neu für sie, dass da jemand hafte Lösung für meine Sammlung einfordert. Ihre Relevanz Kunstinteressierten, sowie wenigen Ausländern. Ihre Aus- war, der Geld für chinesische Gegenwartskunst ausgab und für China, ist eben auch meine Verantwortung. 2010 habe ich Interaktive Ausstellung Huanying/Willkommen (歡迎) stellungen dauerten jeweils nur ein paar Stunden oder ein bis Gespräche mit ihnen suchte. Über ihre Kunst zu reden, wa- ernsthaft begonnen, die Zukunft der Sammlung zu sichern. Der zwei Tage, nicht länger. Dann wurden sie in der Regel von der ren sie nicht gewohnt. Ich habe dann einen Kunstpreis ge- perfekte Zeitpunkt, den künftigen Standort für meine Samm- Zensur oder von wem auch immer geschlossen. schaffen, um möglichst viel Material über Kunst zusammen- lung zu bestimmen, ergab sich im Zusammenhang mit einigen Mit der vorsichtigen politischen Öffnung begann das offizielle zutragen. Damals gab es keine Nachschlagewerke und keine Projekten in Peking, Shanghai und Hongkong. Die grossen ge- Wie wird sich die Schenkung auf Ihre Sammlerleiden China seine Gegenwartskunst anders zu gewichten. Das Phä- Kataloge über die Gegenwartskunst, da sie überwiegend im planten und zum Teil schon realisierten Museumsbauten boten schaft auswirken? Werden Sie das Sammeln aufgeben? nomen Kunst, das lange bekämpft und dann ignoriert wurde, Untergrund hatte stattfinden müssen. Dieser Kunstpreis geradezu eine Entscheidung an. Peking und Shanghai liessen Mein Herz schlägt immer noch für die Gegenwartskunst, aber hatte ein Eigenleben entwickelt. Vor allem im Westen war ein verschaffte mir rasch einen höheren Bekanntheitsgrad. Jetzt auf sich warten. Da kam Hongkong als Standort ins Spiel. Wohl- ich muss das Sammeln nicht mehr in derselben Weise betrei- Interesse an der chinesischen Gegenwartskunst erwacht. Und suchten die Künstler die Begegnung mit mir. gemerkt, das ist keine Verlegenheitslösung, ganz im Gegenteil, ben. Es gibt jetzt weltweit viele Sammler und mittlerweile ha- wollte man sie nicht nur fremden Sonderlingen wie mir über- Hongkong machte mir eine hervorragende Offerte. ben auch Institutionen damit begonnen. Meine selbstaufer- lassen, musste sich China jetzt um seine Gegenwartskunst Ist der chinesische Kunstmarkt oder besser gesagt das legte Mission besteht also so nicht mehr. Doch andererseits, kümmern. Dazu gehörten auch die Künstler, die plötzlich und Betriebssystem Kunst mit dem unseren vergleichbar? bin ich noch mittendrin im Betrieb und kenne alle Protago- zahlreich aus dem Untergrund aufgetaucht waren. Fast über Zu einem gut funktionierenden Kunstmarkt gehören Künst- nisten. Daher würde es Sinn machen, fortzufahren. Aber eben Nacht schafften sie es in die Coffeetable Magazines, die um ler und Sammler, Auktionshäuser, aber auch Kunstinstitu- Die Gegenwartskunst muss nicht mehr in dieser Fülle. die Jahrhundertwende wie Pilze aus dem Boden wuchsen. tionen, z.B. die Museen. Es braucht die mediale Kunstkritik, den Chinesen gehören Und plötzlich wurden sie zu öffentlichen Figuren. den Umschlagplatz Markt, öffentliche und private Galerien Ich stelle mir das schwierig vor, sich von Kunstwerken Ai Weiwei gehörte zunächst noch nicht zu ihnen. Er hatte sich etc. Dieses System gab es Ende der 70er Jahre in China ausser zu trennen, mit denen man Wand an Wand gelebt hat. lange Zeit gar nicht als Künstler verstanden. Lediglich Finger- dem Künstler selbst eigentlich nicht. Das hat sich dann spä- Zu jedem Bild gibt es eine Geschichte. Haben Sie ein übungen gemacht, wie die Coca Cola-Vase. Erst durch sein ter, und ganz anders als in der westlichen Welt, entwickelt. Warum kein Schweizer Standort? Warum kein eigenes Gefühl von Verlust? politisches Engagement, vermittelt durch seinen Blog, er- Mittlerweile befinden sich in China ein florierender Kunst- Museum? Ja, das ist schon so. Diese Empfindungen für einzelne Arbei- langte er rasch einen enormen Bekanntheitsgrad. Durch seine markt, florierende Auktionshäuser, ein Drittel des Kunstau- Es beginnt schon damit, dass meine finanziellen Mittel nicht ten, die einem sehr lieb geworden sind, die gibt es. Mir fällt es Konflikte mit dem offiziellen China verschwand sein Name ktionsweltmarktes, sowie hunderte von Galerien. Die Struk- unendlich sind. Ich weiss, was es heisst ein Museum zu bauen leichter als meiner Frau, die ein paar Favoriten hat, von denen aus den Medien und sein Blog wurde geschlossen. Im Wes- tur des Systems hat sich dem unseren stark angenähert. Einen und zu betreiben. Ausserdem ist die Schweiz nicht der Ort für sie sich nur ungern trennt. Aber ich hatte ja auch nie die voll- ten war es genau umgekehrt, hier dürfte wohl der geläufigste grossen Unterschied gibt es nach wie vor bei den Institutionen, diese Sammlung. Ich denke, die Gegenwartskunst muss den ständige Sammlung um mich. Das wäre platztechnisch gar chinesische Name Ai Weiwei sein. Die chinesische Politik hat 8 9
Ruizhong 瑞中 1/2016 Verbesserter Kulturgüterschutz … Ruizhong 瑞中 1/2016 der Bildenden Kunst ab. Das hat auch mit der Soft Power-Dis- kussion zu tun, in der China immer noch seine Position sucht. Wir kennen zwar die chinesische Küche und Akupunktur, kön- nen aber im Westen mit chinesischer Soft Power wenig anfangen. Die Künstler der 80er und 90er Jahre hatten mit der traditi- onellen Kunst nichts am Hut. Ganz im Gegenteil, sie wollten den alten Zopf abschneiden. Sie beschäftigten sich mit der Verbesserter Kulturgüterschutz westlichen Konzeptkunst, von der sie heute eher enttäuscht zurücktreten. So fühlen sich jetzt einige Künstler wieder zu ihren eigenen Traditionen hingezogen. zwischen der Schweiz und China durch bilaterale Vereinbarung? Küche und Akupunktur, aber bitte Uli Sigg neben dem Gemälde «Moon Rabbit» von Shao Fan keine Soft Power Von Niklaus Glatthard © Sigg Collection Foto: Karl-Heinz Hug Die Ausstellung «Chinese Whispers» hat ihre Tore in Die Schweiz ist eine der wichtigsten weltweiten Drehschei- anwendbar. Die Liste besteht aus diversen Kategorien mit ihn sozusagen gegen ihren Willen zum bekanntesten Chine- Bern geöffnet. Was kann das Publikum über die moder ben für Kunst und Kulturgüter. Demgegenüber ist China mit dazugehörigem Entstehungszeitraum. Beispielweise werden sen gemacht, wofür er ihnen auch mehrfach gedankt hat. ne chinesische Gegenwartskunst erfahren? einer 4000-jährigen dokumentierten Geschichte eine be- nur rituelle Bronzeobjekte aus der Zeit 2100 v.Chr. – 1500 Die Ausstellung gibt gleichsam Aufschluss über die Gegenwart, deutende Quelle historischer Artefakte. Deshalb sind in der n.Chr. erfasst. Wie hat denn Peking auf diese Schenkung und Kultur, Politik und Wirtschaft Chinas. Sie enthält viele Infor- Schweiz immer wieder einmal unglaubliche Sammlungen das künftige Museum in Hongkong reagiert? Gab es mationen zu China, manchmal sind sie kodiert und man muss Chinesischer Kunst entstanden (z.B. Meiyintang Collection). Dies führt meist zu Auslegungsschwierigkeiten und erfordert Vorbehalte oder Freude? sie entziffern. Im einfachsten Fall ist die Ausstellung einfach Zwischen der Schweiz und China intensiviert sich politisch eine Einzelfallabklärung, ob ein Objekt effektiv betroffen ist. Es gab keine offizielle Reaktion, aber es gab informelle Mei- ein eindrückliches Kunsterlebnis. China ist in so vielen Bezie- neben den wirtschaftlichen Beziehungen auch der kulturelle Eingrenzend ist ferner zu bemerken, dass die Vereinbarung nungsäusserungen. Den Museumsdirektoren in China, die ei- hungen wichtig für uns, dass wir nie zu viel wissen können über Austausch stetig. offenbar nicht für den Kulturgütertransfer mit Hongkong gilt, nen gewissen Einblick in die Gegenwartskunst haben, ist klar, das Land. Unter dem Label Gegenwartskunst sind auch unter- einem der grössten Umschlagsplätze für Chinesische Kultur- was ihnen in Mainlandchina entgangen ist. Aber den oberen schiedliche Denkweisen, Ideologien und Realitäten vorhanden. güter. Kadern fällt es schwer einzuordnen, was diese Schenkung nach Hongkong bedeutet, was das für eine Substanz ist. Sie haben mal gesagt, dass Ihnen von Geburt an ein Es ist auch deshalb fraglich, ob die Vereinbarung ihrem Hang zur Faulheit mitgegeben wurde. Aber wenn man Zweck überhaupt gerecht wird. Ihr Erfolg ist jedoch noch Hongkong könnte auch ein Mekka für die Mainland Ihr Leben anschaut, ist eine unglaubliche Beweglichkeit wenig einschätzbar – bisher sind kaum Fälle bekannt und chinesen werden, die dann dorthin pilgern, um sich und Aktivität zu beobachten. Haben Sie Ihr Schicksal Betroffene dürften die Öffentlichkeit aus nachvollziehba- diese Kunstschätze anzusehen. überlistet? ren Gründen tendenziell meiden. Die neuen, zusätzlichen Ja, das ist auch meine Hoffnung. Es sind weit über 40 Millionen Ja, ich muss mich immer wieder dem Druck aussetzen, dem Durchsetzungsinstrumente in der Vereinbarung gebieten Festlandchinesen, die jedes Jahr nach Hongkong kommen. Das Druck einer totalen Veränderung. Es gibt keine andere Option, Transportleistungen sind häufig verbunden mit zusätzlichen Services zumindest erhöhte Sorgfalt. Für Sammler und Kunsthändler alleine wäre schon ein riesiges Publikum fürs Museum. um die eigene Trägheit zu überwinden. Die Versuchung ist na- wie Zollabwicklung oder Track and Trace. empfiehlt sich daher beim Import, Export und der Durchfuhr türlich da, sich mit dem Zustand zu arrangieren, in dem man sich von Chinesischen Kulturgütern jedenfalls der Beizug von Chinas Staatsführer Xi Jinping ruft in dem von ihm befindet. So gesehen, muss ich mich alle paar Jahre neu erfinden. Am 8. Januar 2014 ist vor diesem Hintergrund eine bilaterale Kunst- und Rechtsexperten. propagierten chinesischen Traum, das Volk zu einer Vereinbarung über die rechtswidrige Ein- und Ausfuhr sowie gemeinsamen Anstrengung auf, um China zu einer China ist zum ständigen Neuerfinden das perfekte Land. die Rückführung von Kulturgut in Kraft getreten. Die Verein- starken und wohlhabenden Nation zu entwickeln. Wel Genauso ist es. barung dient dem Schutz des Kulturgutes beider Staaten. Da che Rolle spielen dabei die chinesischen Künstlerinnen kaum Schweizer Kulturgüter nach China exportiert werden, und Künstler? Herzlichen Dank für das offene und überaus interessante Ge- ist die Vereinbarung primär für den Kulturgütertransfer aus Der chinesische Traum ist zu einer Art Slogan geworden. Die spräch, Herr Sigg. China in und durch die Schweiz relevant. chinesischen Künstler und Intellektuellen haben deutlich ge- macht, dass der chinesische Traum noch keine Botschaft für Beim Schweizer Grenzübertritt eines Chinesischen Kultur- das Individuum enthält, vielmehr einen Traum für die Nation guts muss am Zoll die Einhaltung der Chinesischen Export- darstellt. Vielleicht wird die Botschaft ja noch nachgereicht. regeln selbstdeklariert werden. Überdies sind Angaben zum Grundsätzlich besteht aber das Bedürfnis, das Wertevakuum, Objekttyp sowie zum Herstellungs- und Fundort erforderlich. das nach der Zerschlagung von allen Ideologien entstanden Auf Basis der Vereinbarung kann China zudem die Rückfüh- ist, wieder zu füllen. Das könnte durchaus der chinesische rung eines rechtswidrig in die Schweiz eingeführten Kultur- Traum sein, wenn man ihm mehr Inhalt verleihen würde. gutes einklagen. – Wenn man die zeitgenössische Kunst in China be Niklaus Glatthard arbeitet als trachtet, spürt man seit einiger Zeit eine Gegenbewe Margrit Manz im Interview mit Uli Sigg Chinesisches Kulturgut muss am Zoll Rechtsanwalt bei LALIVE in Zürich. Nach Studien an der Universität gung, sich wieder mehr auf die alten Traditionen, wie auf Schloss Mauensee Kalligrafie, Tuschebilder und Landschaftsmalerei zu selbstdeklariert werden Bern (Bachelor of Law), der Universität Zürich (Master of Law) und der University of Hong Kong (LL.M.) besinnen. Gehört das auch zum chinesischen Traum, an – Interessanterweise ist die Vereinbarung ausschliesslich auf spezialisiert er sich auf alte Werte anzuknüpfen? Margrit Manz, Journalistin, Mitglied Chinesische Kulturgüter, z.B. Bronzeobjekte oder Kalligrafie Gesellschafts-, Kunst- und Erbrecht, mit des Redaktionsteams Ruizhong, Zürich, Berlin besonderem Fokus auf Asien. Er ist Das ist zweifellos so. Diese Bewegung zeichnet sich nicht nur in und Schweizerische Kulturgüter, z.B. prähistorische Waffen Mitglied der Gesellschaft Schweiz-China. 10 11
Ruizhong 瑞中 1/2016 «Man muss den Westen nicht bekämpfen, man muss ihn aufkaufen» Ruizhong 瑞中 1/2016 «Man muss den Westen nicht bekämpfen, man muss ihn aufkaufen» Das Verhältnis Chinas zum Nahen Osten: Ziele und Perspektiven Margrit Manz im Interview mit dem Politikwissenschaftler Daniel Krahl Was ist für China an der arabischen Welt wichtig? Fotos: Daniel Krahl Das grosse wirklich wichtige Thema ist Öl und Gas. Das ist der Punkt, wo der Nahe Osten strategisch bedeutend ist für D as Efficiency-Chinaforum Basel und die Gesellschaft Schweiz-China hatten den renommierten Experten und Chinakenner Daniel Krahl im Januar 2016 zu ei- nem Vortrag über «Das Verhältnis Chinas zum Nahen Osten, seine Ziele und Perspektiven» nach Basel eingeladen. China. Inzwischen kommen mehr als die Hälfte der chine- sischen Importe aus dieser Region. Das chinesische Wirt- schaftswachstum ist abhängig von den Beziehungen zur ara- bischen Welt. Dessen ist sich China sehr bewusst. Trotz aller Diversifizierungsanstrengungen hat man es bisher nicht ge- Im Dragon Mart in Dubai kann man alle Produkte aus China kaufen Mit dieser Veranstaltung wurde die Themenreihe China in schafft, die Abhängigkeit vom Nahen Osten als Energieliefe- Beziehung zu unterschiedlichen Regionen der Welt, in der rant merklich zu verringern. bereits Chinas Beziehungen zu Russland, Indien und Eu- Der zweite strategische Aspekt ist der Suezkanal und die Ver- Land als auch in der Welt verpflichtet. Wie weit würde kann. Dadurch wird versucht, eine Gleichwertigkeit zwischen ropa erörtert wurden, abgeschlossen. Krahl vermittelte die bindung nach Europa. Europa ist der grösste Handelspartner China in den Beziehungen zur arabischen Welt gehen? China und Ägypten herzustellen. Doch die meisten Chine- Hintergründe, warum sich China stärker im Nahen Osten Chinas. Der schnellste Weg zum grössten Handelspartner ist Bzw. was käme z.B. nicht in Frage? sen, die im Nahen Osten aktiv sind, empfinden diesen Teil engagiert und gab Ausblick auf die geostrategischen Auswir- durch den Suezkanal. Man hat ein Interesse daran, dass der In der chinesischen Öffentlichkeit werden die Beziehungen der Welt nach eigenen Angaben eher als «unzivilisiert» und kungen, die dieses Engagement für die gesamte Welt haben Nahe Osten nicht vollkommen im Chaos versinkt und die zum Nahen Osten gar nicht wahrgenommen. Deswegen ist «barbarisch». Das ergibt sich nicht nur aus dem chinesischen wird. Transportwege unterbrochen werden. die Kontrollfunktion der öffentlichen Meinung gar nicht ge- Stolz auf die eigene Kultur, sondern auch aus der Dominanz Das dritte strategische Interesse ist, dass man eine mus- geben, wie man sie in Ostasien z. B. in den Beziehungen zu des Modernisierungsdiskurses im Chinesischen Wertekanon. limische Minderheit im eigenen Land hat und befürchtet, den USA oder Japan hat. Dadurch kann man relativ frei agie- Schliesslich kann China sicher als das erfolgreichste Entwick- dass diese negativ durch den Nahen Osten beeinflusst wird. ren. China als aussenpolitisches Modell spielt soweit eine lungsland seit dem Ende des Kalten Krieges gelten, während Herr Krahl, warum hört man in den Medien so viel von Gleichzeitig hofft man, dass durch die Handelsbeziehungen Rolle, als China z.B. den Iran zu überzeugen versucht hat, sich die arabischen Länder in den letzten drei Jahrzehnten welt- Chinas Beziehungen zu den USA, Afrika, den asia die ökonomische Situation der chinesischen Muslime ver- nicht konfrontativ dem Westen gegenüber zu verhalten, son- weit die wenigsten Fortschritte oder sogar Rückschritte ge- tischen Ländern oder Europa und so wenig über die bessert und damit auch das politische Problem entschärft dern eher durch eine Einbindung in das westliche System die macht haben. Chinesen verstehen den grossen Einfluss der arabische Welt? werden könnte. eigenen Fähigkeiten aufzubauen, um sich dann um so besser Religion auf das Leben der Araber oder Menschen im Mitt- Kurz gesagt: Weil China momentan noch keine offene politi- gegen die «Intervention» des Westens wehren zu können. leren Osten nicht wirklich. Sie betrachten eher sich als den sche Rolle spielt. Wir fragen uns ja immer, was könnte China Wie die Chinesen sagen würden: «Man muss den Westen fortschrittlicheren Teil. Da es bei ihnen, im Gegensatz zum beitragen, um die Probleme, die wir in der Region haben zu Öl oder kein Öl, sonst keine Fragen nicht bekämpfen, man muss ihn aufkaufen.» Westen, kein hundertprozentiges missionarisches Verhalten lösen oder aber was droht China zu tun, um unsere Politik im gibt, empfinden sie für die Staaten eher die Verantwortung Mittleren Osten zu gefährden. Die meisten westlichen Exper- Gibt es Unterschiede, warum sich China z.B. für das eine Ist die Rolle Chinas zur arabischen Welt mit der eines des grossen Bruders, der ihnen freundschaftlich hilft, auf den ten und Medienschaffenden glauben fälschlicherweise, dass arabische Land interessiert und für ein anderes gar nicht? grossen Bruders zu vergleichen, der sich schützend vor gleichen Erfolgsweg zu kommen wie sie. China im Nahen Osten zwar wichtig ist, aber für unsere Po- Der Unterschied heisst Öl oder kein Öl. Ägypten ist wahr- den kleinen Bruder stellt, aber dafür auch Gehorsam sition und Interessen noch keine grosse Relevanz hat. Darum scheinlich das einzige Land in der Region, das kein Öl hat und erwartet? Die arabischen Länder sind in der Welt wegen ihrer In ist das Thema weniger präsent als z.B. die chinesisch-afrika- trotzdem wichtig ist wegen dem Suezkanal. Als nicht arabi- Die chinesische Weltsicht ist generell sehr hierarchisch ori- nen- und Aussenpolitik nicht unumstritten. Ist China nischen Beziehungen. Der Westen hat Afrika jahrzehntelang sches Land in der Region ist Israel wegen seiner westlichen entiert, so dass es immer den grossen und den kleinen Bruder interessiert, das Image, bzw. die Länder durch offizielle vernachlässigt. Erst jetzt, wo die Chinesen dort ins Spiel kom- Technologie und militärischen Stärke für China ebenfalls von gibt. Die chinesische Regierung und die chinesische Nah- Beziehungen hoffähiger zu machen? men, fangen auch wir an, uns wieder ernsthaft mit Afrika zu strategischer Bedeutung. ostwissenschaft betonen, dass die Gemeinsamkeit zwischen Zuerst einmal muss man immer daran denken, dass für die beschäftigen. Im Nahen Osten dagegen sind wir schon lange dem Mittleren Osten und China ihre lange Geschichte ist. Aus Chinesen die Welt nicht der Westen ist. Als zweites liegt präsent und haben wenig Befürchtung, dass unsere Position China achtet auf sein Image und fühlt sich daher seinen ihrer Sicht haben China und Ägypten beide eine 5000jährige nach ihrer Ansicht die Schuld für die Probleme des Mittle- gefährdet werden könnte. eigenen propagierten Grundsätzen sowohl im eigenen Geschichte, während der Westen nur auf 2500 Jahre verweisen ren Ostens eindeutig beim Westen und nicht auf Seiten der 12 13
Ruizhong 瑞中 1/2016 «Man muss den Westen nicht bekämpfen, man muss ihn aufkaufen» Ruizhong 瑞中 1/2016 ditionelle konfuzianisch aufgebaute Tributsystem in Ostasien lässt sich nur bedingt auf die Welt projizieren. Chinas neue Rolle in der Nahost-Diplomatie Die Seidenstrasseninitiative ist der Versuch, diese Regionen China ist als Vermittler im Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien tätig. An- konzeptionell zu verbinden und eine chinesische «Weltpoli- fang 2016 war daher der Sondergesandte Zhang Ming zu Gast in beiden Staaten, um tik» zu entwickeln, die es so bisher nicht gab. Bisher gab es sie zur politischen Zurückhaltung aufzufordern. Saudi-Arabien und der Iran hatten zwei wichtige Beziehungen: Chinas Beziehungen zur ostasia- kurz vorher aufgrund der iranischen Proteste gegen die Hinrichtung eines hochran- tischen Region und Chinas Beziehungen zu den USA. Jetzt ist gigen schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien ihre diplomatischen Beziehungen man an dem Punkt angelangt, an dem man zum ersten Mal abgebrochen. eine Weltpolitik entwickeln muss. In der chinesischen Tra- Mit diesem Engagement möchte China diplomatisch eine Stabilität im Nahen Osten dition gibt es keine Erfahrung mit Weltpolitik. Mit der Sei- erreichen. Im selben Zeitraum waren hochrangige Vertreter der syrischen Regierung denstrasse wurde erstmalig ein Konzept entwickelt, das einen und Opposition nach Peking eingeladen worden. «China will im Syrienkonflikt ver- Grossteil der Welt, das sind ca. 80 % der Weltbevölkerung, also mitteln», betonte Aussenminister Wang Yi. von Indien über Afrika bis Osteuropa, in die Realisierung ein- Als Grund für das verstärkte Engagement wurde angeben, dass die chinesische Sei- binden könnte. Es ist der Versuch einer eigenständigen Poli- denstrasseninitiative durch den Terrorismus und Bürgerkrieg im Nahen Osten ge- tikform, wobei es eher eine Verbindung von Einzelpolitiken ist, fährdet sei. Da der Iran und Saudi-Arabien als gewichtige Akteure im Nahen Osten die noch keinen voll ausgereiften ideologische Überbau hat. gelten, sei ein Abbruch der Beziehungen beider Staaten den Friedensbemühungen «Auf dem Weg in eine helle Zukunft» bezeichnete 2012 der damalige in Syrien abträglich. Bei der Konfliktvermittlung, so hiess es in Peking, ginge es aus- Premier des Staatsrates der VR China Wen Jiabao die Aussichten Wird die neue Seidenstrasse Erfolg haben? serdem auch um diplomatische Lerneffekte, z.B. um die Ausbildung von Diplomaten der chinesisch-arabischen Zusammenarbeit in seiner Ansprache. Das hängt davon ab, wie die Chinesen den Erfolg ermessen für Krisensituationen. Daher wird Peking interessiert sein, zukünftig seine Rolle bei wollen. Wir wissen bisher nicht, was die Seidenstrasse sein der Konfliktvermittlung im Nahen Osten weiter ausbauen. MM soll. Bisher ist es ein schöner Name und eine Legitimation von China, in diesen Regionen aktiv zu sein. Das ist geschickt ge- arabischen Welt oder der islamischen Republik Iran. Diese wählt und vermittelt den Eindruck, dass China dort schon seit Konflikte werden vom Westen ausgelöst. Es geht China nicht Jahrhunderten aktiv war, und eigentlich im Rahmen der Neu- darum, diese Länder zu verändern, sondern ihnen taktisch zu en Seidenstrasse nur wieder zurückkommt. In diesem Sinne helfen. Peking ist überzeugt, dass eher der grosse Einfluss des ist das Projekt kein Störfaktor, sondern belebt bloss aufs Neue Westens umgestaltet werden müsste. das althergebrachte Weltsystem, das vom westlichen Imperi- alismus zerstört wurde. Wenn man es aber genau nimmt, war merkt, dass dieses Geschäftemachen einerseits, aber sich an- China kann zudem das Scheitern der Demokratiebewegung Schliesst sich China den internationalen Entscheidun China natürlich nie in Afrika oder Osteuropa aktiv. Was also dererseits politisch aus der Region rauszuhalten nicht mehr in Ägypten als schönes Beispiel anführen, dass seine Theorie gen z. B. den Wirtschaftssanktionen an oder unterläuft wirklich dahintersteckt und woran man den Erfolg bemes- funktionierte. Diese Lebenslüge der Nichtintervention hat funktioniert, die besagt, dass ein politisches System immer an es diese Beschlüsse? sen wird, ist schwer zu sagen. Sollte das Ziel sein, ein globaler im arabischen Frühling ihr abruptes Ende gefunden. Im Na- seine Kultur gebunden und die westliche politische Ordnung China hat die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, davor Akteur oder grosser Bruder dieser Regionen zu werden, dann hen Osten, wo man nicht neutral sein kann, wurde China auf nicht einfach auf andere Kulturen zu übertragen sei. Das hat auch das Ölembargo gegen den Irak, nolens volens mitgetragen. wird es interessant sein zu schauen, ob das klappt. einmal als antiarabisch wahrgenommen. Also war ein Um- Xi bei seinem Besuch in Kairo extra noch mal hervorgehoben Da schliesst man sich durchaus an. Wobei, wenn die Chinesen denken angebracht und eine neue Konzeption für die Region und gilt im Rückblick als eine der wichtigsten ideologischen sagen, sie schliessen sich der Weltgemeinschaft an, heisst das notwendig. Jetzt ist man dort symbolisch aktiv, wie z.B. mit Aussagen für die chinesische Aussenpolitik. nicht unbedingt dem Westen, sondern auch der Position der Friedensplänen in Syrien oder im Nahen Osten etc. Diese In- arabischen Liga und Russlands. Das war auch das Problem in itiativen sind jeweils so angelegt, das anschliessend keine po- Herr Krahl, vielen Dank für das informative und offene Ge- der Zeit des arabischen Frühlings, als man sich gerade im Falle litischen Aktionen erfolgen müssen. Der arabische Frühling, spräch. Syriens entscheiden sollte, ob man sich auf die Seite der arabi- bzw. Chinas Gefühl hierbei auf der richtigen Seite gewesen zu schen Liga oder auf Seiten Russlands stellen wollte. Man war sein, hat jetzt zu einer neuen Politik geführt. sehr schockiert, als man merkte, dass sich die traditionelle Po- sition der Chinesen, sich nie gegen die Mehrheit zu stellen, son- – dern immer auf Seiten der Mehrheit zu sein, sich so nicht mehr Im Nahen Osten kann man Margrit Manz, Journalistin, Mitglied durchhalten liess. Das war eine neue Erfahrung für China. des Redaktionsteams Ruizhong, Zürich, Berlin nicht neutral sein Es ist bezeichnend, dass zum ersten Mal nach sechs Jahren ein Tributsystem Ostasiens lässt sich nicht chinesischer Staatschef wieder in die Region gereist ist. Er ist auf die Welt projizieren auch der erste Staatschef, der den Iran nach der Aufhebung der Sanktionen besucht hat. China hatte sich sehr engagiert Das im chinesischen Traum propagierte Grossprojekt bei den Verhandlungen über das Atomabkommen. Für den der neuen Seidenstrasse schliesst auch die arabische Die Architektur des Dragon Mart in Dubai, die mit Aufbau engerer Beziehungen mit China hatte Xi drei Anker- Welt ein. Ist das ein taktischer Zug Chinas, die Stras einer Länge von 1,2 Kilometern an einen chinesischen Drachen erinnert, länder ausgewählt, den Iran und Saudi-Arabien, die beiden ist wirklich beeindruckend. senanrainer unter ihrer Führung an einen Tisch zu grossen Energielieferanten, und Ägypten als das wichtige holen? Transitland nach Europa. Man könnte auch sagen: den stra- China hat den Multilateralismus mit chinesischen Charak- tegischen Partner Iran, als das «antiwestliche» Land oder das Daniel Krahl ist freischaffender teristika eigentlich immer so verstanden: China und die antiimperialistische Land, wie China das formulieren wür- Analyst, spezialisiert auf chinesische Aussenpolitik, den Mittleren Osten zentralasiatischen Länder, China und die afrikanischen Län- Wie geht das zusammen: China und der arabische de. Des weiteren Saudi-Arabien, als die grosse sunnitische und Energiepolitik. Vorher war er als der, China und die osteuropäischen Länder, China und die Frühling? Macht, die sich immer weiter von den USA entfernt und nun Dozent an der Schule des chinesischen Aussenministeriums in Peking und arabischen Länder. Da war man immer das grosse China und Das waren ein grosser Schock und gleichzeitig ein Ansatz- neue Partner sucht. Ägypten war schon immer eine Säule der Gastwissenschaftler an der SWP Berlin die kleinen Länder, die davon profitieren konnten, sozusagen punkt für China, sich ein neues Konzept für die Region zu chinesischen Nahostpolitik und übrigens das erste arabische tätig. Er ist Vorstand im Fachausschuss Internationales der SPD-Berlin. in «Tributbeziehungen» zu China zu stehen. Doch dieses tra- überlegen. Während des arabischen Frühlings hatte man ge- Land, das Beziehungen zu China hatte. 14 15
Ruizhong 瑞中 1/2016 Ich mach mein Ding Ruizhong 瑞中 1/2016 Von Wang Jingjing (王晶晶) Fotos: GSC Archiv W ir leben zweifellos in einer Gründerzeit. Immer mehr Leute um uns herum ziehen gleichsam über Nacht ihr eigenes Business auf. Sei es in der Gas- tronomie oder dem Bildungswesen, angefangen von Produk- ten für Mutter und Kind über intelligente Hardware bis hin zur Selbstständigkeit zu experimentieren. Ich hatte noch nicht einmal meinen Abschluss. Wäre es schief gegangen, wäre es also halb so schlimm gewesen. Immerhin hatte ich im Ver- gleich zu den anderen zwei Jahre Vorsprung.» Es war dieser Glaube an den Bonus der Jugend, der ihr im Laufe der Ge- Taxi-App – in allen Branchen herrscht Goldgräberstimmung. schäftsgründung geistigen Halt gab. Mit schier unerschöpflicher Energie sucht man nach Lösun- gen für immer neue Herausforderungen und wächst dabei ständig über sich hinaus. Vor allem die Entrepreneurinnen befreien sich aus dem traditionellen Wertesystem und posi- «Über Nacht berühmt wird tionieren sich selbstbewusst gegen alle Widerstände. Immer mehr Unternehmerinnen rücken in das Heer der Selbständi- man nur, wenn man gen auf und tragen durch ihre neue Sicht der Dinge zur Vielfalt tagsüber gearbeitet hat.» des Waren- und Serviceangebots bei. (Volksweisheit) Li Hui, Gründerin von MikeCRM: Mein Bonus ist die Jugend 2013 ging MikeCRM im Internet offiziell an den Start. Das «Im Bereich der Unternehmensdienstleistungen findet man System ist ein einfach zu handhabendes Formulartool, mit Firmengründerinnen mit einem Anteil von etwa zehn Pro- dem Unternehmen Informationen sammeln und verwalten zent etwas seltener vertreten als in anderen Sparten. Frauen können. MikeCRM eröffnet den Unternehmerkunden und sind nicht gerade im Vorteil, denn die rationale Art, mit der ganzen Teams neue Methoden bei der Verwaltung von Kun- Die Jungunternehmerin Chen Anny hat heute ein Team von dreissig Mitarbeitern in Peking Männer die Dinge angehen, eignet sich wohl besser für den denkontakten und im Marketing. Neben Li Hui hat MikeCRM Business-Service», betont Li Hui (李卉), Mitbegründerin des noch zwei männliche Mitbegründer. Alle drei kennen sich Customer-Relationship-Management-Systems MikeCRM noch aus der Uni. Jeder hat seine eigenen Arbeitsbereiche. Ich mach (麦客). Schliesslich hat sie die Realität der Branche klar vor Auch aufgrund der geschlechtlichen Unterschiede ergänzen Augen. Allerdings gibt es auch weibliche Stärken: «Für die sich die drei Partner in idealer Weise. «Die Männer widmen Unternehmensführung, den Umgang mit den Mitarbeitern sich der technischen Seite. Einer ist für die Back-End-Tech- oder die Atmosphäre im Team haben Frauen ein besseres nologie verantwortlich und kennt sich mit der Systemstruktur Händchen.» aus, der andere für das Front-End. Er macht das integrierte mein Ding Design. Meine Schwächen sind gut kompensiert. Während sich die beiden mit dem Produkt und der Technologie be- schäftigen, liegen Unternehmensführung, Finanzen und Mar- keting in meiner Hand.» «Ich könnte an jedem Ort Chinas neue Gründerinnen ein neues Leben beginnen.» Li Huis Experimentierfreudigkeit zeigt sich nicht nur darin, dass sie neben dem Studium ein Unternehmen gegründet hat, sondern auch an ihren häufigen Ortswechseln: Seit der Gründung ist die Firma fast jedes Jahr umgezogen. Und das Wer sich dafür entscheidet, ein Unternehmen zu gründen, ist immer auf Initiative von Li Hui, die auch die Büros aussuchte. im Allgemeinen ein risikofreudiger Mensch. Von Neugier getrieben Li Hui präsentiert ihr Unternehmen MikeCRM «Das erste Jahr waren wir in Peking. Am Ende des nächsten Jahres ging es weiter nach Shanghai. Eigentlich wollten wir beschreitet man unbekannte, spannende Wege. Bei den uns dort auf Dauer niederlassen, aber dann zog es uns doch Unternehmerinnen ist das nicht anders. Dabei müssen sie eine hohe wieder zurück in die Hauptstadt. Im dritten Jahr wechselten Li Hui, 1989 in der Provinz Hunan geboren, stieg noch wäh- wir dann nach Chengdu. Dort erwischten wir leider Räume in Anpassungsfähigkeit und Durchsetzungskraft beweisen, rend ihres Masterstudiums im Fach Intelligente Informati- ungünstiger Lage und mussten wieder neue mieten. Um den um in einem männlich dominierten Dschungel ihren Platz zu finden. onsverarbeitung an der Beijing University of Posts and Tele- Weg zwischen Büro und Wohnung zu verkürzen, zogen wir communications (北京邮电大学) in die Geschäftswelt ein. dann noch einmal um.» Li Hui konnte das Gründungsteam «Schon im zweiten Jahr des Studiums begann ich mit der tatsächlich jedes Mal überzeugen, ihr quer durchs Land zu 16 17
Sie können auch lesen