Editorial - MVZ (Mittelschullehrpersonenverband Zürich)
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser Wie dieses Qi zeigt, haben unsere Autoren ob der turbu- lenten Zeiten in der Bildungspolitik ihren Humor nicht verloren. Es gelingt ihnen sachlich fundierte und für unsere Mitglieder wertvolle Informationen mit Witz und Scharfsinn darzubieten. Das Projekt der basalen fachlichen Studierkompetenzen steht kurz vor der Vernehmlassung in den Kollegien der Mit- telschulen (S. 2 ff.). Angesichts der zeitgleichen Umsetzung des Bildungsabbaus, mag es für uns Mittelschullehrpersonen bemühend sein, sich dafür zu engagieren und dennoch plä- dieren wir für diese Mithilfe. Auch wenn sich der MVZ bei der Ausarbeitung des Konzepts kritisch eingebracht hat, ist Mit- gestalten sicherlich zielführender, als sich solchen Entwick- lungen gänzlich zu verwehren. Aus unserer Sich ist jedoch klar, dass die zahlreichen Forderungen nach Förderungen nur dann erfolgreich umgesetzt werden können, wenn auch die entsprechenden zeitlichen bzw. finanziellen Ressourcen gestellt werden (S. 7/9 ff.). Ebenfalls mit den erfolgten Abbaumassnahmen wurde auch das Thema des Beschäftigungsgrads von Mittelschullehrper- sonen wieder aktuell. Trotz den seit Jahren bestehenden kla- ren Regeln, gibt es immer wieder Probleme, auf welche das MBA nun mit verstärkter Compliance reagiert (S. 13 ff.). Diese enge Kontrolle des Stundenkontokorrents schränkt bedauer- licherweise unsere Freiheit ein, sich ein «privates» Sabbatical anzusparen, andererseits erhofft sich der MVZ, dass die Für- sorgepflicht des Arbeitgebers ebenfalls besser unter die Lupe genommen wird (S. 22 ff.) Christoph Wittmer – Rektor Kantonsschule Enge und ehema- liger Präsident SLK – schildert im Interview seine Sicht zum Bil- dungsabbau, zu anstehenden Reformen und zur Attraktivität des Berufs als Schulleiter (S. 31 ff.). Letzteres Thema – insbe- sondere die mögliche Aufhebung der Amtszeitbeschränkung von Schulleitern – wurde von der Bildungsdirektorin Silvia Stei- ner in einem kürzlich erschienenen Zeitungsartikel hervorge- bracht. Die Delegierten des MVZ führen diesbezüglich nun eine interne Diskussion, über deren Ausgang im Oktober in- formiert wird. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Beat Mattle, Redaktor MVZ Qi 17/3 1
Basale fachliche Studier- Player der Mittelschulen und der Hochschulen an diesem er- sten Hearing vertreten, so auch der MVZ. kompetenzen Die zentralen Elemente des Grobkonzepts werden derzeit un- ter Berücksichtigung der Rückmeldungen aus dem Hearing Silvio Stucki, Präsident MVZ von der Projektgruppe zu einem ersten Entwurf des Rahmen- konzepts verfeinert. Nach den Herbstferien sind die Schul- Aktuell wird im Kanton Zürich das Rahmenkonzept zur Umset- leitungen eingeladen, die Konvente und damit alle Mittel- zung der Basalen fachlichen Studierkompetenzen in den Fä- schullehrpersonen einzubeziehen. Vor der Endfassung des chern Deutsch und Mathematik ausgearbeitet, was zu leich- Rahmenkonzepts findet ein zweites Hearing statt. Erst da- ter Verwirrung bei einzelnen Direktbetroffenen führte. Der nach verabschiedet der Bildungsrat im kommenden Frühling MVZ bringt die gewerkschaftliche Stimme in die laufenden das Rahmenkonzept. Es folgt darauf die Erarbeitung von Hil- Diskussionen ein und fordert eine Zusatzfinanzierung für kom- festellungen und erst dann gilt es in den Schulen, die basalen menden Zusatzaufgaben und Weiterbildungen. fachlichen Studierkompetenzen mit der dafür notwendigen Zeit konkret umzusetzen. Die allgemeine Studierfähigkeit bildet den Kern der gym- In einem Mail, welches kurz vor dem ersten Hearing zirkulierte, nasialen Maturität. Das MAR sowie der schweizerische Rah- wird von einzelnen Lehrpersonen kritisiert, dass das MBA mit menlehrplan für die Maturitätsschulen präzisieren diese nur grossen Schritten vorangeht und dass Fristen so kurz ange- ansatzweise. Seit geraumer Zeit liegen nun für die Fächer setzt seien, dass eine unter den Schulen koordinierte, fun- Deutsch und Mathematik Vorschläge zur Konkretisierung auf dierte Vernehmlassung nicht möglich sei. Es wird auch kriti- dem Tisch: Basale fachliche Studierfähigkeiten. Am 17. März siert, dass die Zeit nicht reiche, den Lehrpersonen eine starke 2016 entschied die EDK nicht zuletzt aufgrund des vom MVZ Stimme zu verleihen. Und es wurde zudem ein kurzes State- mitgestalteten und mitgetragenen Antrags des Kantons Zü- ment verfasst, in dem der «Grobvorschlag Basale Kompe- rich, dass die Kantone (und nicht der Bund) Rahmenvor- tenzen» des MBAs zurückgewiesen wird, ohne inhaltlich auf gaben für deren Umsetzung erlassen. Mit der Umsetzung in diesen einzutreten, bis in der Projektanlage der finanzielle den Kantonen soll sichergestellt werden, dass alle Gymnasi- Rahmen sowohl für die Projektphase als auch für die Umset- astinnen und Gymnasiasten die basalen fachlichen Studier- zung geklärt sei. kompetenzen während ihrer Schulzeit erwerben. Das Ziel für die aktuellen Diskussionen ist also definiert. In Anbetracht der Vorgehensweise des MBA mit Einbezug der wichtigsten Player an besagter Schnittstelle, darunter un- Erarbeitung mit Einbezug aller Akteure ter anderem SLK, LKM und MVZ, ist der Aufruf in besagtem Mail nicht nachvollziehbar. Vielmehr ist das Statement Aus- Derzeit arbeitet das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) druck eines politischen Schnellschusses. Denn einerseits geht an der Ausarbeitung des Rahmenkonzepts für den Kanton das MBA nicht in grossen Schritten voran, sondern involviert Zürich. Nachdem ein erstes Grobkonzept von der Bildungs- die Direktbetroffenen ganz bewusst von Beginn weg – Schritt direktorin zur Kenntnis genommen wurde, fand am 23. Juni für Schritt. So wie es im Jahresbericht 2016 des MBA auch 2017 ein Hearing zum weiteren Vorgehen statt. Das MBA ver- festgehalten ist: «Denn ohne Einbezug und Verankerung bis folgt damit das Ziel, von den Direktbetroffenen zu hören, ob zur Basis werden Eingriffe abgelehnt, Änderungen bekämpft die darin enthaltenen Elemente praktikabel sind und wo An- oder Vorgaben umgangen. Besonders gefährlich ist ein zu passungen gemacht werden sollten. Das Projektteam wollte forsches Tempo, viel mehr hilft das Sprichwort "Gut Ding will wissen, ob die Werthaltungen, die in den Leitgedanken zur Weile haben".» Umsetzung formuliert sind, mitgetragen werden und wo Er- gänzungen nötig sind. Entsprechend waren alle wichtigen 2 Qi 17/3 Qi 17/3 3
Sparen und gleichzeitig Innovation einfordern erklärung gleich. Als Folge diktiert uns die Politik, wie wir den beisst sich Hochschulzugang künftig zu sichern haben. Das liegt nicht in unserem Interesse. Deshalb ist das Mitgestalten weiterhin Und andererseits irren sich die Urheber des Statements in die sinnvollste Variante. Aber auch die Politik ist nun am Zug einem zweiten wesentlichen Punkt: Die Mittelschullehrer- und sollte zusätzliche Gelder sprechen. Deshalb verfolgt der schaft hat bereits eine starke Stimme! Der MVZ kann diese MVZ weiterhin mit Nachdruck das Ziel und damit die Forde- dank seinem während Jahren aufgebauten Knowhow und rung, solche zusätzlichen Erwartungen an die Mittelschullehr- der politischen Erfahrung zielführend in die politischen Dis- personen auch zusätzlich zu finanzieren. kussionen einbringen. So hat sich der MVZ bereits in vergan- genen Vernehmlassungen und Diskussionen in der Bildungs- Es ist allgemein unhaltbar, dass die Mittelschulen immer mehr rätlichen Kommission «Mittelschulen» mit Nachdruck dafür Zusatzaufgaben übernehmen sollten, ohne dass diese ange- ausgesprochen, dass die basalen fachlichen Studierkompe- messen finanziert sind. Bei MINT ist dies nach einer kleinsten tenzen nicht ohne zusätzliche Mittel umgesetzt werden kön- Anschubfinanzierung bereits so gelaufen, ebenso bei SOL. nen (z. B. Qi 16/1). Auch hat sich der MVZ zuletzt Mitte Mai Will man solch wichtige Projekte bei einer Verknappung der 2017 gegenüber dem MBA grundsätzlich kritisch geäussert, finanziellen Ressourcen langfristig aufrechterhalten, geht es dass die Daten für den Bericht der basalen fachlichen Stu- nur auf Kosten von anderen Aufgaben. Kommen neue Pro- dierkompetenzen bereits wieder veraltet seien, da inzwi- jekte hinzu, muss zwangsläufig anderes abgespeckt werden. schen z. B. die Bestehensnormen angepasst wurden. Auch Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang bei- darf das neue Rahmenkonzept unsere Lehrfreiheit und da- spielsweise auch VSGYM. Die Arbeiten in der Strategiegrup- mit das Vertrauen in unsere Lehrpersonen und die Autono- pe und den Fachgruppen werden aktuell vor allem von Pri- mie unserer Schulen nicht untergraben. Der MVZ begleitet vatpersonen, Verbänden und den Schulen getragen und aus diesen Gründen die Entwicklung des Rahmenkonzepts finanziert – auch vom MVZ. Mittelfristig kann diese Art von Fi- kritisch. nanzierung nicht die Lösung sein, brüstet sich doch die Po- Allerdings ist auch nachvollziehbar, dass insbesondere litik gerne mit ersten Erfolgen (z. B. zusätzliches Mathema- Deutschlehrpersonen im Hinblick auf die Pensenerhöhung tik-Lehrmittel). Die politischen Entscheidungsträger müssen nicht gerade darauf erpicht sind, die basalen fachlichen zwingend auch die nötigen finanziellen Ressourcen für die Studierkompetenzen voranzutreiben. Zumal die Grundla- Arbeit in solchen Projektgruppen, pädagogische Zusatzge- ge für dieses bildungspolitische Projekt abgesehen von des- fässe, Weiterbildungen der Lehrpersonen und allfällige Mate- sen Urhebern niemanden restlos überzeugen. Insofern ist rialkosten bereitstellen. Alles andere ist scheinheilig. Gleiches das erwähnte Statement nichts Anderes als die logische gilt übrigens auch für die in diesem Frühjahr geforderte indivi- Konsequenz einer verfehlten kantonalen Finanzpolitik: Zu- duelle Förderung von Schülerinnen und Schüler in der Probe- erst jemandem etwas wegnehmen und dann vom Glei- zeit, welche aufgrund neuster Erkenntnissen nötig sein wird. chen mehr einfordern, zeugt nicht gerade von einer durch- dachten Strategie. Die Stimme des MVZ muss stark bleiben Es lohnt sich nicht, die Faust im Sack zu machen. Es lohnt Zusatzfinanzierung zwingend nötig sich aber auch nicht, überschnell zu reagieren und damit im Auch wenn wir den ganzen Frust und Ärger über das finanz- schlimmsten Fall Geschirr zu zerschlagen. Viel wichtiger ist es politische Korsett an den Mittelschulen verstehen, ist für den dem MVZ, sich kontinuierlich für die Anliegen der Zürcher Mit- MVZ trotzdem klar, dass wir uns aktuellen bildungspolitischen telschullehrpersonen zu engagieren. Ganz nach dem Mot- Entwicklungen nicht vollständig verwehren dürfen. Ein to: Steter Tropfen höhlt den Stein. Der MVZ-Vorstand kann Übungsabbruch zum jetzigen Zeitpunkt käme einer Bankrott- jedoch nur so weit agieren, wie er die Kapazität dazu hat. Deshalb suchen wir stets Interessierte, die sich aktiv an un- 4 Qi 17/3 Qi 17/3 5
seren Diskussionen und Entscheidungsfindungsprozessen be- teiligen. Wer also grundsätzlich an Bildungs- und Finanzpolitik Basale Logik 1: Mehr Zeit an Mittelschulen, jetzt! interessiert ist, ist herzlich eingeladen, sich im MVZ zu enga- gieren. Angesichts der aktuellen politischen Konstellation ist jede Unterstützung, ob klein oder gross, von zentraler Bedeu- tung. • Silvio Stucki, Präsident MVZ Eine Glosse zur fortschreitenden Abbaupolitik Bist du interessiert an bildungs- und/oder finanzpolitischen Dis- Schon im Jahr 2006 wurde erkannt, dass der Übertritt un- kussionen? Möchtest du nicht nur die Faust im Sack machen, serer Maturandinnen und Maturanden an die Hochschulen sondern dich für die Mittelschulen engagieren? Wenn ja, bist nicht ohne Reibungsverlust verläuft. HSGYM institutionalisier- du die richtige Person. te mit grossem Aufwand den gegenseitigen Austausch zwi- Gesucht: Verstärkung für den MVZ- Vorstand schen den beiden Bildungsstufen. Der Gymnasiale Mittel- schulbericht 2014 hält dazu fest: «Ein häufig angesprochenes Wir sind ein aufgestelltes Team aus verschiedenen Schulen Problem an der Schnittstelle ist die fehlende Unterrichts- und und Fachschaften und freuen uns auf Dich. Lernzeit. Es sei unmöglich, den Ansprüchen nach fachlicher Du hast nicht so viel Zeit? Kein Problem, du kannst den Vor- Studierfähigkeit, Allgemeinbildung und überfachlichen Kom- stand so weit unterstützen, wie es deine persönlichen Ressour- petenzen mit den vorhandenen zeitlichen Ressourcen wäh- cen aktuell zulassen, jede Verstärkung im Vorstand stärkt den rend der Ausbildungszeit an der Mittelschule zu genügen.» MVZ. Spätestens ab GV 2018 suchen wir einen Ersatz für unseren 2013 beschloss der Bildungsrat, dass Naturwissenschaften langjährigen Aktuar Christoph Frei. Er tritt nach grossem Ein- und Technik an den Zürcher Mittelschulen gestärkt werden satz für den MVZ in seinen wohl verdienten Ruhestand. Bisher sollen. Stärkung bedeutet in der Regel mehr Zeit. Doch wo- hat der Aktuar Protokolle an Vorstandssitzungen, GV und DV her diese nehmen? Von den Fächern Deutsch oder Mathe- verfasst und beim Schreiben des Qis mit eigenen Beiträgen matik? Fehlalarm! Denn die basalen fachlichen Studierkom- und Lektorat tatkräftig mitgewirkt. Diese Rollenverteilung kann petenzen sollten auf Geheiss der EDK ebenfalls umgesetzt auf Wunsch im Vorstand auch neu verteilt werden. werden. Dieselbe EDK wünscht sich aktuell auch, dass dem Übrigens: Dein Engagement für den MVZ wird angemessen Grundlagenfach Informatik in naher Zukunft 4 Jahresstunden entschädigt. zugewiesen werden sollen. Auf Kosten der Naturwissenschaf- Interessiert dich das Amt des Aktuars oder eine andere Aufga- ten? Ist deren Förderung damit schon wieder passé? be im MVZ? Dann melde dich unverbindlich beim MVZ-Präsi- denten, Silvio Stucki: praesident@mvz.ch oder 078 812 12 40. In diesem Herbst werden die Resultate der neusten Schnittstel- Im persönlichen Gespräch finden wir bestimmt dein massge- lendiskussion VSGYM präsentiert. Auf Initiative der Verbände schneidertes Engagement! und Institutionen wurde der Übertritt von der Sekundarschule ans Gymnasium analysiert – ähnlich wie bei HSGYM. Der MVZ hat tatkräftig mitgearbeitet. Dass die Probleme beim Übertritt zugenommen haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die in diesem Frühjahr publizierte Studie zur Probezeit zeigt, dass der Druck auf die Schülerinnen und Schüler nicht abge- nommen hat, im Gegenteil. Das politische Mantra wurde so- fort gesprochen: Mehr individuelle Förderung an den Gym- nasien ist nötig, um die Dropout-Quote zu senken. 6 Qi 17/3 Qi 17/3 7
Doch woher sollen wir in Zukunft die Zeit (und das Geld) neh- Pflästerlipolitik und Symptombekämpfung hin zur Ursachentil- men für all diese wichtigen Projekte und ihre Konsequenzen? gung. Ob unsere Politik dafür tatsächlich den Mut aufbringt, Niemand bestreitet die Bedeutung von Deutsch, Naturwis- wird sich weisen. • senschaften, Informatik und Mathematik. Sollen wir diese Fächer auf Kosten aller anderen Unterrichtsfächer stärken? Wohl kaum. Denn das MAR fordert von den Gymnasien «eine breit gefächerte, ausgewogene und kohärente Bildung, Basale Logik 2: Fachliche Studierfähigkeit nicht aber eine fachspezifische oder berufliche Ausbildung.» Wollen wir die hierfür notwendige Zeit einfach marginalisie- ren? EVAMAR III wäre wohl die Folge, mit der abermaligen Forderung nach basalen Studierkompetenzen in den Fä- Rolf Bosshard, Vizepräsident MVZ chern Englisch oder Geografie. Irgendwie dreht sich die Bil- dungspolitik im Hamsterrad! «Les élèves ne savent pas ce que sont les Es ist offensichtlich, wo die Ursache für die oben geschilder- mathématiques» ten Symptome liegen: Es ist der Mangel an Zeit. Dass wir in Hinsichtlich dieser niederschmetternden Diagnose scheinen den letzten Jahren deutlich weniger Zeit für die Bildung un- sich die Universitätsprofessoren Frankreichs einig zu sein. Bei serer Schülerinnen und Schüler investieren konnten, ist von den «élèves» handelt es sich übrigens nicht um irgendwel- der Politik verursacht worden. 2002 wurde die gymnasiale che Studienanfängerinnen und -anfänger, sondern um sol- Schulzeit um ein halbes Jahr verkürzt. 2012 folgte eine wei- che mit «Bac S», was in etwa unserem mathematisch-natur- tere Kürzung um 5-6 Wochen (Vorverlegung der Maturprü- wissenschaftlichen Gymnasium entspricht. Sie wählten alle fungen). Der Mittelschulbericht 2014 hält denn auch zu den ein mathematisch-naturwissenschaftliches oder ein Ingeni- Problemen an der Schnittstelle zu den Hochschulen fest, dass eurstudium. Im ersten Semester zeigte sich, dass die fachliche diese «mit der Verkürzung der Schulzeit verstärkt wurden». Studierfähigkeit bei vielen zumindest zweifelhaft war. Ziel der Verkürzungen war der nahtlose Anschluss an die 2016 nahmen französische Gymnasiastinnen und Gymnasi- Hochschulen. Die Folgen? «Die Verkürzung der gymnasi- asten des S-Profils nach Jahren wieder einmal an der Timms- alen Mittelschule 2002 hat zu einer Verringerung der direkten Studie teil (Trends in International Mathematics and Science Übertrittsquote in die Hochschule geführt (von 48 Prozent im Study). Die Resultate waren mehr als ernüchternd: «En termi- Jahr 2001 auf 21 Prozent im Jahr 2003) und verharrt seither auf nale S, la dégringolade.» Im Vergleich zu 1995 verloren die diesem tiefen Niveau. Der Wert liegt deutlich unter dem ge- französischen «matheux» rund hundert Punkte: von 569 auf samtschweizerischen Mittel von rund 40 Prozent (BFS, 2012).» 463 Punkte in Mathematik, von 469 auf 373 Punkte in Physik. (Mittelschulbericht 2014) Auch wenn die «dégringolade» umgehend von offizieller Sei- Die Lösung ist offensichtlich: Will die Politik, dass wir unseren te relativiert wurde, sass der Schock natürlich tief. Schülerinnen und Schülern vermehrt Zeit widmen, mit Musse Für die Mathelehrpersonen und die Universitätsdozentinnen und Hingabe basale fachliche Studierkompetenzen nicht nur und - dozenten waren die schlechten Resultate keine Über- in Deutsch und Mathematik zu erreichen und sollen Natur- raschung. Die Suche nach Ursachen und Sündenböcken wissenschaften, Informatik und Technik nicht auf Kosten von setzte wie gewohnt sofort ein. Die Diskussionen verliefen ent- anderen Fächern gestärkt werden, braucht es mehr Zeit. Es sprechend kontrovers. braucht entsprechend mutige Schritte der Politik, um den Mittelschulen jene Zeit zurückzugeben, die ihnen einst gestri- Nur eine Ursache konnte a priori ausgeschlossen werden: chen wurde. Bayern wagt diesen Schritt aufs Schuljahr 18/19. weniger Mathestunden. Denn Frankreich ist noch immer In Zürich wäre es eine Abkehr von der nun grassierenden «championne des heures de maths», nämlich 222 obligato- 8 Qi 17/3 Qi 17/3 9
rische Stunden in den «terminales S», also im letzten Schuljahr. seit Jahren der Dialog an der Schnittstelle, um gemeinsam Daran sei erinnert, wenn wieder einmal mehr Mathestunden pragmatische Lösungen für komplexe Probleme zu finden. verlangt werden, um das Niveau zu heben. HSGYM ist eine Erfolgsgeschichte. Für unsere Kolleginnen und Kollegen an den französischen Mit Aufnahmeprüfungen drohen die Hochschulen schon lan- «Lycées» ist die Diagnose allerdings klar: die Mathemisere ist ge nicht mehr. Das überlassen sie der EDK, die offiziell das das Ergebnis der «Reformitis». Denn auch in Frankreich wollte Ziel verfolgt, den prüfungsfreien Hochschulzugang langfristig jeder neue «Ministre de l’Education» die Schule neu erfinden. zu sichern. Die EDK geht also von der Prämisse aus, der prü- Die Erziehungsminister wechselten oft. Die meisten waren mit fungsfreie Hochschulzugang sei gefährdet, obwohl dieser ihren Reformversuchen in kurzer Zeit gescheitert. Zeit für ei- bei genauerem Hinsehen weder kurz- noch langfristig ernst- nen neuen Anlauf. haft gefährdet ist. Interessant ist ferner noch, dass die TIMSS-Resultate auch für Wozu also diese Drohkulisse? Die Teilprojekte «Basale fach- die Primarschule eingebrochen sind, allerdings deutlich we- liche Studierkompetenzen» und «Gemeinsam Prüfen» ver- niger spektakulär. mögen bestenfalls bedingt zu überzeugen. Die Skepsis ist bei den Praktikern besonders ausgeprägt. Zu Recht, denn für Die Hochschulen reagieren auf diese Situation mit erstaun- diese Reformprojekte fehlen in den Kantonen die notwen- lichem Pragmatismus. Keinerlei Schuldzuweisung an die Mit- digen, zusätzlichen Ressourcen. Reformen ohne Ressourcen telschulen oder deren Lehrkräfte. Sie gelten als engagiert. sind jedoch erfahrungsgemäss zum Scheitern verurteilt. Auch Sie erreichen mit ihren Schülerinnen und Schülern, was sie un- das ist nichts anderes als basale Logik. ter den gegebenen Rahmenbedingungen realistischerweise erreichen können. Die geschrumpften Mathekompetenzen Die Chancen stehen also nicht allzu schlecht, dass sich auch der Studienanfänger werden entsprechend als Tatsache ak- in der Schweiz und insbesondere im Kanton Zürich die basale zeptiert. «C’est la vie!» Logik letztlich durchsetzen wird. Ausser vielleicht in der Politik, denn dort herrscht der Primat der Finanzpolitik. • Basale Logik: Was die Maturandinnen und Maturanden mit «Bac S» am Lycée nicht mehr lernen, müssen sie eben im er- sten Semester nachholen. Entsprechende Kurse und Assess- ments werden angeboten. Offenbar mit erheblichem Erfolg. «Baisse du niveau en maths: les grandes écoles s’adaptent», fasste «Le Monde» zusammen. Hinter diesem Pragmatismus stehen zwei basale Erkenntnisse: • Frankreich braucht auch in Zukunft eine grosse Zahl von Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. • «A la fin, les ponts qu’ils construiront, il faut qu’ils tiennent.» Auch wenn man von Vertretern der Schweizer Hochschulen noch gelegentlich hört, Studierberechtigung und Studierfä- higkeit klafften etwas gar stark auseinander, pflegen sie in der Regel dennoch einen vergleichbaren Pragmatismus. Un- freundliche Aktionen wie die Veröffentlichung eines unaus- gegorenen Mittelschulrankings durch die ETH gehören er- freulicherweise der Vergangenheit an. Im Vordergrund steht 10 Qi 17/3 Qi 17/3 11
MVZ auf Facebook die Frage, ob die Matur für alle möglich sein sollen (9.3.17), wurden handkehrum etwas mehr beachtet. Silvio Stucki, Präsident MVZ Wie auch immer: Verfolgen Sie unser Tun auf www.face- book.com/pg/MittelschullehrpersonenverbandZH. Teilen Sie Nachdem der MVZ vor zwei Jahren einen neuen Auftritt er- bei Interesse unsere Seite und tragen Sie zu unserer Publizi- halten hat, hat der Vorstand vor einigen Monaten den näch- tät bei. Oder kommentieren Sie kritisch ergänzend oder freu- sten Schritt betreffend Öffentlichkeitsarbeit realisiert: Der MVZ dig lobend Beiträge. Wir freuen uns auf Ihre interaktiven Ak- ist neu auf Facebook präsent. Ist das tatsächlich notwendig? tivitäten. • MVZ und Facebook? Kommt das gut? Diese Fragen sind berechtigt, wir haben uns diese auch ge- Beschäftigungsgrad stellt – mehrmals. Nun haben wir entschieden: Wir probie- ren es und sammeln Erfahrungen mit den sozialen Medien. Rolf Bosshard, Vizepräsident MVZ Denn Facebook bietet dem MVZ eine für uns neue Plattform, sich bei Mitgliedern, Medien und in der Politik Gehör zu ver- Beschäftigungsgrad, aber welcher? Es gibt den «garan- schaffen. Nur ein Beispiel: Am 29.5.2017 posteten wir einen tierten» bzw. zugesicherten, den ausbezahlten, den effektiv Artikel vom Tages Anzeiger zur Idee von RR Silvia Steiner, die erteilten und jetzt auch noch die Ist-Lektionenverpflichtung. Beschränkung der Amtszeit bei Schulleitern aufzuheben. Im Der folgende Artikel verfolgt das Ziel, soweit als möglich Klar- Kommentar liessen wir ansatzweise durchblicken, dass der heit bzgl. Beschäftigungsgrad zu schaffen. MVZ dies kritisch beobachtet. Und prompt hat sich das SRF Regionaljournal bei uns gemeldet und wollte eine Stellung- Stellenabbau und Abbau Stundenkonti nahme. Angesichts des Umfangs der Lü 16 war von Anfang an klar, Facebook bietet dem MVZ-Vorstand aber auch die Möglich- dass es zu einem Stellenabbau in der einen oder anderen keit, über Kommentare zu publizierten Beiträgen mit unserem Form kommen würde. Dies führte zu erheblicher Verunsiche- Umfeld und nicht zuletzt mit unseren Mitgliedern direkt zu in- rung insbesondere bei denjenigen Kolleginnen und Kollegen, teragieren. Auf den Artikel «Die Jungen haben wenig Ah- die in ihrer Anstellungsverfügung nur einen niedrigen, zugesi- nung von Biologie» (19.6.2017) wurde ein interessanter Vor- cherten Beschäftigungsgrad haben. Wie würde es weiterge- schlag formuliert: Braucht es BioMAR I und basale fachliche hen? Studierkompetenzen auch in den Naturwissenschaften? Wir lassen die Antwort auf diese Frage an dieser Stelle offen. Die neuen, präzis bezifferten Vorgaben zur Führung der Stun- Aber das Beispiel zeigt, dass mit solchen Kommentaren ei- denkonti verschärften die Verunsicherung weiter. Die Tole- nerseits sinnvolle Beiträge mit Vorschlägen gemacht werden ranz zwischen zugesichertem und ausbezahltem Pensum können oder andererseits seinem Ärger über aktuelle Ent- würde künftig bei 15 Stellenprozenten liegen. Die Diskrepanz wicklungen an den Mittelschulen oder im Bildungswesen Luft war bei vielen seit Jahren deutlich grösser. Würde das seit verschafft werden kann. Jahren effektiv erteilte Pensum nun automatisch als zugesi- cherter Beschäftigungsgrad anerkannt? Der zuletzt erwähnte Artikel ist übrigens bis dato der am häu- figsten gelesene. Beiträge über die BVK oder die Finanzlage War bei einer Pensenkürzung nun eine Teilkündigung erfor- des Kantons interessierten bisher deutlich weniger, obwohl derlich oder nicht? Ausgehend vom effektiv erteilten Pen- genau diese Themen unsere Alltagsdiskussionen und die Bil- sum? Oder mussten sie damit rechnen, dass sie ohne Teil- dungspolitik einschneidend prägen. Schülerproteste oder kündigung und Abfindung auf ihr minimales, zugesichertes Pensum zurückgeführt würden? 12 Qi 17/3 Qi 17/3 13
Diese Verwirrung ist eigentlich erstaunlich, wenn man be- Diese Regeln waren so einfach und klar, dass deren Anwen- denkt, dass die Richtlinien der Bildungsdirektion hinsichtlich dung in der Praxis nach menschlichem Ermessen keine nen- Führung der Stundenkonti und Handhabung der Pensen seit nenswerten Probleme aufwerfen würde. 2004 klar und geradezu simpel waren. Eine realistische Festlegung des Beschäftigungsgrades bei Und heute? Ist die Rechtslage klar? Kann mit der Einhaltung Anstellung, so dass zugesichertes, erteiltes und entlöhntes der Personalgesetzgebung gerechnet werden? Oder bleibt Pensum nur geringfügig voneinander abweichen. Die üb- den Betroffenen nur der Rechtsweg offen? lichen Pensenschwankungen werden über das Stundenkon- to aufgefangen, das Stundenkonto mittelfristig ausgeglichen. 2004: Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt Handelt es sich nicht um vorübergehende Pensenschwan- (MBA) schafft Klarheit kungen, wird das zugesicherte Pensum nach oben bzw. mit einer Änderungskündigung bei vollem Kündigungsschutz Mit San 04 schmiedete der Regierungsrat ein überdimensi- nach unten angepasst. oniertes Abbaupaket, durchaus vergleichbar mit der Lü 16. Ohne Stellenabbau würde es nicht gehen. Der Regierungsrat Allerdings fehlte der Wille, diese Richtlinien auch effektiv liess keine Zweifel aufkommen, dass er seiner Verantwortung durchzusetzen. Im Vertrauen, die Schulleitungen würden sich als kantonaler Arbeitgeber nachkommen würde. Es gab ei- schon ans Legalitätsprinzip halten, wurde weder ein ernst- nen Einstellungsstop zugunsten der betroffenen, kantonalen haftes Reporting, geschweige denn ein nennenswertes Con- Angestellten, Sozialpläne wurden erstellt. (RRB 770/2003) trolling ins Auge gefasst. Das war etwas gar blauäugig. Die Selbst für die Mittelschulen wurde ein Stellenstop ins Auge ge- Richtlinien verschwanden umgehend in der untersten Schub- fasst. lade. Die Aversion gegen lästige Kündigungen war einfach stärker. Lästige Kontrollen waren nicht zu befürchten. Der Bei dieser Gelegenheit schuf das MBA mit wenigen, ein- Wildwuchs konnte beginnen und während Jahren die selt- fachen Regeln Klarheit hinsichtlich «Zugesichertem Pensum» samsten Blüten treiben. und informierte die Schulleiterkonferenz wie auch den MVZ umfassend. 2017: Richtlinie Anwendung des Zugesichertes Pensum Stundenkontos Ziel: Am 4. Januar 2017 erliess das Mittelschul- und Berufsbildungs- amt eine «Richtlinie: Anwendung des Stundenkontos und • Bei Anstellung Festlegung des voraussichtlichen Beschäfti- Gewährung von Zusatzleistungen und Entlastungen für Lehr- gungsgrades einer Lehrperson personen der kantonalen Mittelschulen.» Interessierte finden • Zugesichertes, erteiltes und entlöhntes Pensum sollten nur sie auf der Homepage des MBA (www.mba.zh.ch) unter Per- geringfügig voneinander abweichen sonal/Anstellungsbedingungen. • Anpassung zugesichertes Pensum, wenn Beschäftigung Diese Richtlinie enthält eigentlich keine neuen Bestim- erfahrungsgemäss höher liegt mungen. Allerdings sind die Vorgaben verbindlicher, bezif- fert und in Grundsätzen zusammengefasst: • Änderungskündigung, wenn Zusicherung nicht aufrecht erhalten werden kann – vorübergehende Regelung über 4. Die Ist-Lektionenverpflichtung einer Lehrperson darf Stundenkonto nicht über 100 % liegen. Eine Überschreitung um höch- stens 10 % (absoluter Wert) wird während einem Seme- (Folie des Mittelschul- und Berufsbildungsamts zur Info-Veran- staltung San04) ster toleriert. 14 Qi 17/3 Qi 17/3 15
5. Die Abweichung des auszuzahlenden Beschäftigungs- sich in den nächsten Jahren entschärfen, da grössere Über- grades zum zugesicherten Beschäftigungsgrad darf schüsse nicht mehr akkumuliert werden können. höchstens 15 % (absoluter Wert) betragen. Eine Über- schreitung wird während höchstens sechs Semestern to- Reporting, Controlling und Compliance leriert. Neu ist vor allem der explizite, ja geradezu demonstrative Wil- 6. Die Ist-Lektionenverpflichtung darf, ausser zum Abbau le des MBA, die Grundsätze nicht nur zu proklamieren, son- des Stundenkontos, den zugesicherten Beschäftigungs- dern deren Einhaltung konsequent zu kontrollieren: grad nur mit Einverständnis der Lehrperson unterschrei- ten. Die Einhaltung der Anwendungsgrundsätze wird durch das (Richtlinie p. 5) MBA jährlich überprüft. Zu diesem Zweck melden die Schu- len pro Lehrperson die folgenden Angaben für das abge- Dass das Pensum einer MLP nicht über 100 % liegen darf, ist laufene Schuljahr bis zum 31. Oktober an die Personalab- aus Sicht des MVZ nichts als selbstverständlich. Angesichts der teilung des MBA: chronischen Überlastung der MLP dürfte dies auch gar nicht • Saldo des Stundenkontos möglich sein. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen arbeiten Teilzeit, weil ein Vollpensum auf die Länge eine zu grosse Be- • Saldo Dienstaltersgeschenk lastung darstellt. • Ist-Lektionenverpflichtung Bei vielen Mitgliedern des MVZ klaffen zugesicherter Beschäf- • Entlastungen für Zusatzleistungen intern tigungsgrad bzw. «garantiertes» Pensum und effektiv erteiltes Pensum oft seit vielen Jahren auseinander. Obwohl unbe- • Entlastungen für Zusatzleistungen extern fristet angestellt, mussten sie jederzeit damit rechnen, dass (Richtlinie p. 6) sie auf ihr «garantiertes» Pensum heruntergefahren würden, Der Wille des MBA, zukünftig mit einem systematischen Re- und zwar ohne Teilkündigung und Abfindung. War der «ga- porting und Controlling Wildwüchse zu verhindern, ist im Kon- rantierte» Beschäftigungsgrad niedrig, lag er allenfalls gar un- text zu seinem Bekenntnis zur Compliance zu sehen, die deut- ter 10 %, befanden sie sich in einer ähnlich unsicheren Positi- lich über dieses Controlling hinausgeht. Seit kurzem geniesst on wie die «unechten» Lehrbeauftragten. Die Richtlinie klärt die Compliance im MBA hohe Priorität. Wie ernst es dem MBA die Rechtslage: «garantiertes» Pensum und erteiltes Pensum damit ist, beweist nicht nur der Jahresbericht 2016, sondern müssen spätestens nach 3 Jahren nahe beieinander liegen, insbesondere die Einstellung von Sandra Nonella als neue indem das «garantierte» Pensum in Regel erhöht wird. Damit Stabschefin des MBA. Sie ist Juristin und hat grosse Erfahrung schafft sie ein Mehr an Rechts- und Jobsicherheit. in Sachen Compliance. Mehr Rechts- und Jobsicherheit schafft auch Grundsatz 6: «Vor dem Hintergrund der jüngsten Sparmassnahmen des bei der Pensenzuteilung darf das zugesicherte Pensum nicht Kantons Zürich im Rahmen der Leistungsüberprüfung 2016 unterschritten werden, zumindest nicht ohne die Zustimmung werden effiziente Prozesse sowie klare und verbindliche Re- der betroffenen Lehrperson. Dies zeigt aber auch, wie wich- geln noch wichtiger. Mit der verstärkten Fortführung der bis- tig es ist, dass das «garantierte» Pensum spätestens nach drei herigen Bemühungen des Mittelschul- und Berufsbildungs- Jahren dem effektiv erteilten angeglichen wird. amtes wurde die neue Stabschefin beauftragt. Zu deren Über das Stundenkonto kann die Schulleitung weiterhin ein- Aufgaben gehört die schrittweise Einführung eines effek- tiven Compliance-Management-Systems im Mittelschul- seitig verfügen, zum Beispiel bei Klassenzusammenlegungen. und Berufsbildungsamt, das auf die kantonale Konzepti- Vorübergehende Pensenkürzungen zwecks Abbau von Stun- on und Stossrichtung von Compliance abgestimmt sowie in denkontoüberschüssen tangieren den zugesicherten Be- den Leit- und Führungsgrundsätzen des Mittellschul- und Be- schäftigungsgrad grundsätzlich nicht. Dieses Problem wird rufsbildungsamtes verankert ist. Ein Compliance-Manage- 16 Qi 17/3 Qi 17/3 17
ment-System umfasst alle Massnahmen, die zur Einhaltung tung des Zürcher Personalrechts hinzunehmen und machte der Vorschriften und zur Vermeidung von Verstössen dage- die «unechten» Lehrbeauftragten zum Thema. Das MBA erin- gen ergriffen werden. In einer ersten Phase wird besonders nerte sich daran, dass es zur Exekutive gehört, und entschloss auf die Compliance in Bezug auf die Geldflüsse im Mittel- sich, das neue Personalrecht schliesslich doch noch durch- schul- und Berufsbildungsamt geachtet. Entsprechend wer- zusetzen. den den Themen Staatsbeitragsvergabe, Beschaffungswe- sen sowie der Einhaltung der Personalgesetzgebung an Das MBA erarbeitete einen klaren Terminplan für die Um- den Schulen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.» setzung, das Reporting und das Controlling aus. Bis Juli 2009 (MBA: Jahresbericht 2016 p. 9) mussten Schulleitungen die «unechten» Lehrbeauftragten, die alle Voraussetzungen für eine unbefristete Anstellung er- Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie wirksam eine ernsthafte füllten, unbefristet anstellen. Mehr als 200 Kolleginnen und Compliance hinsichtlich Einhaltung der Personalgesetzge- Kollegen erhielten dank der Compliance verdientermassen bung an den Schulen sein kann. eine unbefristete Anstellung mit ausgebautem Kündigungs- schutz. Echte und «unechte» Lehrbeauftragte Dies zeigt, wie effektiv die Compliance sein kann, wenn ein Unmissverständlich waren 2004 auch die Richtlinien des MBA entsprechender Wille vorhanden ist. hinsichtlich der Überführung der Lehrbeauftragten in eine unbefristete Anstellung nach Abschluss der pädagogischen Was bedeutet die Compliance für uns MLP? Ausbildung. Ich beginne mit der schlechten Nachricht: die Compliance hinsichtlich Führung der Stundenkonti schränkt die Spielräume Unzulässigkeit der befristeten Anstellung drastisch ein. Insbesondere wird es in Zukunft wohl schwierig Wenn die Ausbildungsanforderungen während der befristeten bis unmöglich sein, selbstfinanzierte Sabbaticals anzusparen Anstellung erfüllt werden und das Anstellungsverhältnis durch und mit Dienstaltersgeschenken zu kombinieren. Ich brauche die Schulleitung verlängert wird ... an dieser Stelle nicht besonders zu betonen, wie wichtig sol- ... hat das befristete Anstellungsverhältnis rechtlich die Wir- che selbstfinanzierten Sabbaticals für den langfristigen Erhalt kungen eines unbefristeten Anstellungsverhältnis (§ 13 unserer Gesundheit und Motivation waren. Wohl die beste PG). Burnout Prävention. Und sie kostete den Kanton nichts, ab- gesehen von ein paar unschönen Zahlen bei den Rückstel- ... muss das befristete Anstellungsverhältnis in ein unbefri- lungen für Mehrarbeit. stetes umgewandelt werden. Wie viel Spielraum es dafür in der Praxis tatsächlich noch ge- (Folie des Mittelschul- und Berufsbildungsamts zur Info-Veran- staltung San04) ben wird, klärt die «Richtlinie» nicht bis ins letzte Detail. Kate- gorisch ausgeschlossen wird lediglich das Ansparen von Gut- haben zur Auszahlung bzw. zur Frühpensionierung. Trotz klarer Rechtslage zählte das MBA zu Beginn Herbstseme- ster 2008/09 an den Zürcher Mittelschulen nebst 379 Lehrbe- «Das Stundenkonto gewährt Flexibilität bei schülerzahl- auftragten ohne abgeschlossene Ausbildung 245 «unechte» oder semesterbedingten Pensenschwankungen, für Per- sonalentwicklungsmassnahmen, für Personalerhaltungs- Lehrbeauftragte mit abgeschlossener Ausbildung. Rund 11 % massnahmen oder für ausfallende Unterrichtslektionen. der Anstellungsverhältnisse verstiessen klar gegen das gel- Längerfristiges Ansparen von Guthaben zur Auszahlung tende Personalrecht. oder zur Frühpensionierung ist nicht zulässig.» Der MVZ, überzeugt, dass an Zürcher Mittelschulen das Lega- (Richtlinie p. 5) litätsprinzip gilt, war nicht bereit, diese massenhafte Missach- 18 Qi 17/3 Qi 17/3 19
Erst die Praxis wird also hinsichtlich der Spielräume bei den durchsetzen kann, der entsprechende Wille natürlich voraus- Sabbaticals letzte Klarheit bringen. In den nächsten Jahren gesetzt, zeigt die Überführung in eine unbefristete Anstellung werden diese Spielräume wohl sehr eng sein. Die Bildungsdi- von mehr als 200 «unechten» Lehrbeauftragten. rektion hat sich gegenüber dem Kantonsrat unmissverständ- Bei unseren Gesprächen mit dem MBA wurde uns mehrfach lich verpflichtet, die aus Sicht des Kantonsrats exorbitanten versichert, dass sich betroffene Kolleginnen und Kollegen Rückstellungen in wenigen Jahren abzubauen. In ein paar auch direkt an das MBA wenden können, wenn die Schullei- Jahren ist eine etwas grössere Flexibilität durchaus vorstell- tung nicht bereit ist, den zugesicherten Beschäftigungsgrad bar, denn auch der Kanton profitiert von der Burnout-Präven- mit einer Änderungsverfügung auf den seit Jahren erteilten tion durch selbstfinanzierte Sabbaticals. effektiven bzw. ausbezahlten Beschäftigungsgrad anzuhe- Darauf sollten wir uns allerdings nicht allzu sehr verlassen. Da- ben. Dies ist zweifelsohne eine Option, die sorgfältig geprüft für sind die selbst finanzierten Sabbaticals zu wichtig. Es gilt, werden sollte, bevor der Rechtsweg beschritten wird bzw. allenfalls auch ganz neue Wege ins Auge zu fassen. So kennt bevor ein Diktat der Schulleitung akzeptiert wird. der Kanton ja durchaus Arbeitszeitmodelle, die selbst das An- sparen einer Frühpensionierung zulassen. Das könnte ein An- Umgehung des Kündigungsschutzes satzpunkt sein. Der MVZ bleibt am Ball. Regierungs- und Kantonsrat haben sich mit aller nur wünsch- baren Klarheit gegen eine zweijährige Probezeit für Mittel- Compliance als Chance schullehrpersonen ausgesprochen. Seither hören wir von Aus der Praxis der Rechtsunterstützung des MVZ wissen wir, zahlreichen Fällen, bei denen der Kündigungsschutz, zumin- dass unsere betroffenen Mitglieder den Rechtsweg gegen dest auf den ersten Blick, mit einem besonders raffinierten die eigene Schulleitung nur in ganz seltenen Ausnahmefäl- Trick umgangen wird. Bei der unbefristeten Anstellung als len überhaupt je in Betracht ziehen. Dies ist durchaus ver- MLP (obA) wird nur ein minimaler Beschäftigungsgrad zugesi- ständlich. Die Machtverhältnisse an den teilautonomen chert, in der Regel unter 10 %. Und das bei einem effektiven Zürcher Mittelschulen sind klar und ausgesprochen asym- Pensum von oftmals mehr als 66 %. Beim nächsten mbA-Ver- metrisch, wenn es um Anstellungsfragen geht. Wer will sich fahren kann den nicht erfolgreichen Kandidaten das Pensum bei der Schulleitung schon unbeliebt machen, wenn in den ohne Kündigung bzw. Teilkündigung auf die zugesicherten 2 kommenden Jahren doch so viel vom Goodwill ebendie- Lektionen gekürzt werden, wovon bekanntlich niemand le- ser Schulleitung abhängt: Individuelle Lohnerhöhungen, Be- ben kann. Eine unmissverständliche und nachdrückliche Ein- schäftigungsgrad, etc. Der Rechtsweg ist für die meisten un- ladung, die Schule «freiwillig» zu verlassen. serer Mitglieder einfach keine realistische Option. Die Rechtslage ist aufgrund der Rechtssprechung des Ver- Dennoch ist das Personalrecht letztlich der beste Schutz vor waltungsgerichts eigentlich klar: «Dieser besonders ausge- der Macht der Schulleitungen. Vorausgesetzt natürlich, die- staltete Arbeitnehmerschutz darf nicht unterlaufen werden.» ses wird von der Exekutive auch durchgesetzt, was in den (PB.2003.00006) Allerdings fühlen sich Schulleitungen durch letzten Jahren ja nur in Ausnahmefällen Priorität hatte. Wenn die «Grundsätze» des MBA in ihrer Auffassung bestärkt, die- den Ankündigungen nun tatsächlich Taten folgen und «der se neue Methode sei zulässig, darf doch der zugesicherte Be- Einhaltung der Personalgesetzgebung an den Schulen er- schäftigungsgrad während sechs Semestern mehr als 15 % höhte Aufmerksamkeit geschenkt wird», kann das die Rech- vom auszuzahlenden Beschäftigungsgrad abweichen. Dies te der Lehrpersonen nur stärken. Künftig wird nicht nur die läuft auf eine dreijährige Probezeit hinaus. Rechtslage klar sein, was bekanntlich mindestens seit 2004 2004 war die Position des MBA zu dieser Frage noch unmiss- der Fall ist, sondern auch, dass sich Schulleitungen an das verständlich. Auch bei einer unbefristeten Neuanstellung Personalrecht zu halten haben. Und dies soll erst noch regel- galt die Regel: Zugesichertes, erteiltes und entlöhntes Pen- mässig überprüft werden. Dass das MBA das Recht sehr wohl 20 Qi 17/3 Qi 17/3 21
sum sollten nur geringfügig voneinander abweichen. Doch Das Gegenstück zur Treuepflicht ist die Fürsorgepflicht des Ar- 2004 war diese Position letztlich irrelevant, denn die Schullei- beitgebers. Die Fürsorgepflicht ist grundsätzlich umfassend tungen setzten ganz auf «unechte» Lehrbeauftragte, deren und bedarf entsprechend der Konkretisierung. So ist oftmals Lehrauftrag man jederzeit ohne lästige Kündigung auslaufen von den vielfältigen Fürsorgepflichten die Rede. Im Zentrum lassen konnte. steht nebst dem Schutz der Persönlichkeit der Gesundheits- schutz. Der Arbeitgeber darf weder sexuelle Belästigungen Wir kennen die Haltung des MBA zu dieser speziellen Praxis noch Mobbing zulassen, sondern die Verantwortlichen müs- (noch) nicht. In der «Richtlinie» finden sich dazu keine Hinwei- sen Vorkehrungen zur Vermeidung treffen und gegebenen- se. Wir werden beim nächsten Treffen mit dem MBA diese falls sofort einschreiten. Besonders gravierend wäre natürlich Frage zu klären versuchen. Es wäre natürlich wünschenswert, die aktive Beteiligung von Verantwortlichen zum Bespiel am dass das MBA im Rahmen der Einhaltung der Personalgesetz- Mobbing gegen eine unbeliebte Kollegin bzw. Kollegen. gebung an den Schulen auch diesem Problem grössere Auf- merksamkeit gewährt. Der Kanton lässt denn auch keinen Zweifel daran aufkom- men, dass weder sexuelle Belästigung noch Mobbing in der Andernfalls wird das Verwaltungsgericht diese Frage früher Verwaltung oder in den Schulen geduldet wird. Letztlich ent- oder später klären müssen. • scheidend sind allerdings nicht die Grundsatzerklärungen, sondern das Verhalten von Vorgesetzten und Aufsichtsor- ganen in konkreten Situationen. Die Fürsorgepflicht des Ar- Leitfaden Mitarbeiterbeurteilung beitgebers Seit 2013 ist auf der Homepage des Mittelschul- und Berufs- bildungsamtes (MBA) ein «Leitfaden Mitarbeiterbeurteilung» Rolf Bosshard, Vizepräsident MVZ zu finden, ausgearbeitet vom MBA und der SLK, den ich auf- grund meiner Erfahrungen in der Rechtshilfe des MVZ als vor- Im Folgenden geht es darum, Erkenntnisse aus der Rechts- bildlich hinsichtlich konkreter Mobbingprävention an den Zür- unterstützungspraxis des MVZ hinsichtlich Mitarbeiterbeur- cher Mittelschulen bezeichnen würde. teilungen und Kündigungen zu thematisieren. In diesem Zu- sammenhang stellt sich immer wieder die Frage nach der Der Leitfaden ist getragen von der Absicht, die Schullei- Fürsorgepflicht des kantonalen Arbeitgebers in konkreten Si- tungen in deren Führungsarbeit zu stärken und ein gemein- sames Verständnis in Bezug auf eine wertschätzende, ent- tuationen. wicklungsorientierte Mitarbeiterbeurteilung (MAB) weiter zu fördern. An den Mittelschulen soll mit Freude und Engage- Treuepflicht und Fürsorgepflicht ment gelehrt und gearbeitet sowie hervorragende Leistun- gen erkannt und gewürdigt werden. (Leitfaden p. 2) Als Arbeitnehmerinnen und –nehmer haben wir gegenüber dem Arbeitgeber eine Treuepflicht. Diesbezüglich kann ein Um es gleich vorwegzunehmen: es geht nicht darum, be- kantonaler Arbeitgeber von seinen Angestellten deutlich rechtigte Kritik an schlechter Leistung bzw. an unakzep- mehr erwarten, als ein privatrechtlicher Arbeitgeber, näm- tablem Verhalten zu unterbinden. Im Gegenteil. Bereits eine lich eine grundsätzliche Loyalität gegenüber dem demo- oberflächliche Lektüre des Leitfadens lässt keinen Platz für kratischen Staatswesen. Es ist hier nicht der Ort, diese Loya- Missverständnisse. Andererseits verhindert der Leitfaden, so- litätsverpflichtung, insbesondere aber auch deren Grenzen, fern eingehalten, dass die Mitarbeiterbeurteilung (MAB) zu vertieft zu analysieren. einem «Mobbinginstrument» verkommt. 22 Qi 17/3 Qi 17/3 23
Gespräche zwischen Schulleitung und Lehrpersonen bzw. terstützung rechnen. Sie erhalten keine faire Chance, sich im Mitarbeitenden gehören zum Alltag an den kantonalen Sinne der Erwartungen der Schulleitung weiterzuentwickeln, Mittelschulen. Bei der Mitarbeiterbeurteilung (MAB) geht denn diese hat sich längst entschieden, sich von ihnen zu es um mehr als die Beurteilung der Leistungen in Unterricht trennen. und Kollegium. Im Zentrum stehen Wertschätzung und An- erkennung sowie der Austausch zu wichtigen Fragen rund Zumindest umgangssprachlich nennt man das «hinausmob- um die Entwicklung von Menschen und der Schule als Ge- ben». Das Phänomen ist sehr viel älter als die bundesgericht- samtes. liche Rechtsprechung, die Mobbing wie folgt definierte: Altersbedingt habe ich bereits zahlreiche Mitarbeiterbeur- Mobbing ist nach einer auch vom Bundesgericht verwen- teilungen erlebt. Ich werde mich noch lange an diejenigen deten Definition ein systematisches, feindliches, über ei- erinnern, wo bei aller berechtigten Kritik Wertschätzung und nen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, mit dem Anerkennung im Vordergrund standen. Es war jedes Mal ein eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll. (BGer., Motivationsschub. Die überwiegende Mehrheit unserer Mit- 22.4.2005, 2A.312/2004, E. 6.2) glieder dürfte ebenso motivierende Erfahrungen gemacht haben. Aber eben nicht alle. «Hinausmobben» zielt auf Entfernung vom Arbeitsplatz. Die- sem Ziel werden alle Massnahmen und Schritte untergeord- Besonders wertvoll ist der Leitfaden, «wenn die Leistung nicht net. Sie werden instrumentalisiert. Statt Unterstützung anzu- (mehr) stimmt ...» (Leitfaden p.10). «Kritikpunkte oder Ne- bieten, wird der Druck immer weiter erhöht. Dies verstösst in gativerlebnisse» sind «direkt und klar» anzusprechen, aber grober Weise gegen die Fürsorgepflicht und gegen sämt- «gleichwohl wertschätzend». Das ist bestimmt nicht immer liche Rechts- und Verfahrensgrundsätze. einfach, aber machbar. Das darf von einer Führungspersön- lichkeit an einer Mittelschule erwartet werden. Sonst lauert So kann auch eine MAB als Instrument des «Hinausmobbens» die Gefahr der Defizitorientierung: gute Leistungen in ande- missbraucht werden. Die problematische Doppelfunktion ei- ren Bereichen werden weder wahrgenommen, noch ge- ner MAB ist längst erkannt. Primär ist die MAB ein Instrument würdigt. Es geht vergessen, dass die Beobachtungen in den zur Wertschätzung guter Arbeit. Anderseits muss sie auch als wenigen, besuchten Lektionen nur mit grösster Vorsicht ge- Beweisinstrument zur Durchführung einer Kündigung herhal- neralisiert werden dürfen. ten. Entscheidend aus der Perspektive der Fürsorgepflicht ist al- Woran ist die Instrumentalisierung einer MAB zu erkennen? Er- lerdings, dass vorerst Förder- und Unterstützungsmassnahmen stes Indiz ist eine erhebliche Verschlechterung der Leistung in im Vordergrund stehen und nicht eine Kündigungsandro- kurzer Zeit. Plötzlich ein «ungenügend», allenfalls nach Jahren hung. Die Betroffenen müssen eine faire Chance erhalten, von «sehr gut», denn ein «ungenügend» erlaubt die Einleitung sich zu verändern und zu bewähren. Voraussetzung dafür ist bzw. Androhung einer «Kündigung». Weitere Indizien sind: Zu die Klärung der Erwartungen, ebenfalls ein wichtiges Ziel je- viel Gewicht für beobachtete Kleinigkeiten bzw. Gesamtwür- der MAB. Von den Lehrpersonen darf ernsthaftes Bemühen digung nach mathematischem Schema. erwartet werden, sich im Sinne der geklärten Erwartungen weiterzuentwickeln. Andererseits dürfen sie im Gegenzug Schutz der Gesundheit hat Vorrang auch die volle Unterstützung der Schulleitung und des Kolle- Nicht nur das «Herausmobben», sondern selbst eine sach- giums erwarten. lich gerechtfertigte Kündigung ist für die Betroffenen mit grossen Belastungen verbunden, welche deren Gesundheit «Hinausmobben» sehr wohl gefährden können. Gerade in so schwierigen Mo- Aufgrund meiner Erfahrungen bei der Rechtsunterstützung menten gilt die Fürsorgepflicht umso mehr. Die Gesundheit des MVZ können allerdings nicht alle mit wohlwollender Un- 24 Qi 17/3 Qi 17/3 25
hat Vorrang vor der erfolgreichen, termingerechten Auflö- Wir haben keinerlei Verständnis für die Eile einer Schulleitung, sung des Arbeitsverhältnisses. So sah es zumindest das Bun- ein Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die Fürsorgepflicht weist desgericht, das einen entsprechenden Entscheid des Zür- nämlich in eine grundlegend andere Richtung. Wie andere cher Verwaltungsgerichts stützte. kantonale Angestellte auch, darf eine Mittelschullehrperson erwarten, dass sie in schwierigen Momenten, wenn zum Bei- Aus den Akten ergibt sich, dass die behandelnde Psychia- terin im Bericht vom 13. Juni 2006 unmissverständlich darauf spiel die Leistung nicht (mehr) stimmt, von der Schulleitung hinwies, dass die Arbeitnehmerin als Folge der beruflichen wie von Kolleginnen und Kollegen ernstgemeinte Unterstüt- Belastung und insbesondere der Kündigungsandrohung un- zung erhält. Die mögliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses ter sehr starken psychophysischen Stresssymptomen leide. zu einem späteren Zeitpunkt darf nicht von Anfang an im Aus ärztlicher Sicht sei eine Schonung dringend angezeigt. Zentrum der Überlegungen stehen. Weitere Belastungen, wie namentlich die angekündigte er- Die Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts in der Causa neute Mitarbeiterbeurteilung im Herbst 2006 stelle eine Ge- Mörgeli spricht eine klare Sprache. Und sie kam die Universi- fährdung der Gesundheit der Patientin dar, weshalb davon tät Zürich teuer zu stehen. Statt einen langjährigen Mitarbei- Abstand genommen werden sollte. Weil die Beschwerde- ter mit Rat und Tat zu unterstützen, wollte die Universität die führerin trotz dieses fachärztlichen Rats den eingeschla- genen Weg in Richtung Entlassung weiter vorantrieb, er- erste Gelegenheit nutzen, einen unbequemen Mitarbeiter los weist sich die Deutung des kantonalen Gerichts, diese zu werden. Die Missbräuchlichkeit der Kündigung war offen- habe die ihr obliegende Fürsorgepflicht verletzt, als vertret- sichtlich. Aus dem Verhalten des Rektors und diverser Mitar- bar und die Annahme, die Kündigung sei missbräuchlich, beiter der Universität ergab sich ferner, dass Christoph Mör- als haltbar. (BGer., 8C_122/2009; betrifft eine Schulgemein- geli die Kündigung in keiner Weise allein verschuldet hatte. de im Kt. Zürich) Im Gegenteil. Als langjähriger Mitarbeiter hatte er deshalb nach Zürcher Personalrecht Anspruch auf eine substantielle Für ein allzu forsches, Gesundheit gefährdendes Vorantrei- Abfindung. Christoph Mörgeli erhielt insgesamt 17 Monatslöh- ben des eingeschlagenen Weges Richtung Entlassung, die ne, 5 wegen missbräuchlicher Kündigung, 12 als Abfindung. längst beschlossene Sache ist, gibt es aus Sicht der Fürsorge- pflicht keine Rechtfertigung. Rechtsschutz Dennoch lässt sich die «Rücksichtslosigkeit» bis zu einem ge- Dennoch ist der Rechtsschutz im Kanton Zürich letztlich wissen Grad erklären. Das öffentliche Arbeitsrecht stellt in- schwach ausgebaut. Auch Christoph Mörgeli musste von der folge des Willkürverbots hohe Ansprüche an die Auflösung Universität Zürich nicht wieder eingestellt werden. Eine Kündi- eines Arbeitsverhältnisses. Schulleiter sind keine CEOs von gung, und sei sie noch so missbräuchlich, gilt immer. Gestrit- privatwirtschaftlichen Unternehmungen mit praktisch un- ten wird nur noch über Entschädigungen und Abfindungen. eingeschränktem Kündigungsrecht. Das Verfahren ist ent- sprechend aufwendig und braucht Zeit: zwei MAB und eine Mitarbeiterbeurteilungen sind grundsätzlich nicht anfechtbar. Bewährungsfrist. Hinzu kommen angemessene Fristen für Stel- Sie dienen lediglich der Sachverhaltsfeststellung und zum Bei- lungnahmen und die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Es spiel als Begründung für eine Kündigung. Solche Entscheide entsteht Zeitdruck. Die Schulkommission, die über eine Entlas- können mit Rekurs angefochten werden und in diesem Zu- sung entscheiden muss, hat nur wenige Sitzungen im Seme- sammenhang auch eine Mitarbeiterbeurteilung. Allerdings, ster. Und dann reicht die Lehrperson plötzlich ein Arztzeugnis wie ausgeführt, kann eine Weiterbeschäftigung bzw. Wieder- ein, das ihr eine teilweise oder vollständige Arbeitsunfähig- einstellung auf dem Rechtsweg nicht erzwungen werden. keit attestiert. Sperrfristen werden wirksam. Die sechsmona- Bevor der Beurteilungsbericht und die daraus resultie- tige Kündigungsfrist auf Ende eines Semesters bleibt jedoch renden Massnahmen der anordnenden Behörde zum Erlass bestehen. beantragt werden, können die Lehrpersonen eine Bespre- 26 Qi 17/3 Qi 17/3 27
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