Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021

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Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
Hospizbrief
Ausgabe 1 I 2021

  Was ist gutes Sterben?

Aus dem Hospizhaus              Aus dem Hospizverein            Trostinsel

Fragebogen: Was ist für mich   Neuer E-Golf                    Kinder-Hospiztag: Wolfsburg
„gutes Sterben?“ 5 Seite 25   für das Hospiz    5 Seite 20   strahlt grün 	    5 Seite 38
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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Inhalt
Titelthema                                                   Neue Hospiz-Seelsorgerin: Heidrun Schäfer:
„Was ist gutes Sterben?“                                     Ansprechpartnerin für Gäste und Mitarbeiter                29
                                                             Spenden: Hospiz sagt: Danke!                               30
Themenjahr: Was ist gutes Sterben?
Einladung zum Mitdenken                               3       Trauer und Trostinsel
Forschungsprojekt der Uni München:
Gespräch mit dem Soziologen Armin Nassehi             4      Trostinsel trotzt Corona:
                                                             Die Hoffnung auf bessere Zeiten
Bericht einer Pflegekraft:                                   trägt das ganze Team                                       32
„Der Tod gehört zum Leben“                            6
                                                             Weggeben oder behalten – wie umgehen
Lucie Schirren: „Friedlich eingeschlafen“             7      mit den Sachen eines Verstorbenen?:
Kurzer historischer Blick aufs Sterben:                      Erinnerung an Oma                                          34
Gestorben wurde schon immer                           8      Trauerbrief von Wilfried Lehmann:
Kommentar:                                                   „Nutzen Sie die Kammer der Freude"                         36
„Gibt es auch ‚schlechtes‘ Sterben?“                  9      Letzte Hilfe-Kurs:
Sterben in anderen Kulturen:                                 Menschen in der letzten Lebensphase                        37
Der Umgang mit dem Tod hat viele Aspekte             10      Kinderhospiz-Tag:
Kunstprojekt & Ausstellung                                   Wolfsburg strahlt grün                                     38
Ein Koffer für die letzte Reise:
                                                              Aus dem Ehrenamt
Porträt Fritz Roth:
Ein Visionär der menschlichen Bestattung             12      Zwei Koffer gehen auf Reise                                39
                                                             Im Gespräch: Angelika Jahns
Aus dem Hospizhaus                                           (CDU-Sozialpolitikerin):
Tierische Visite:                                            Das Hospiz ist ein Segen                                   40
„Ich habe Überraschungsbesuch dabei“                 14      Wellness im Hospizhaus
Neu im Team: Anne Bormann / Daniel Bednarz 15                Wohlbefinden für Körper, Geist und Seele                   42
Hospiz-Palliative Care Team:                                 Stuttgarter Projekt „Das Chörle“:
„Wir sind Allrounder,                                        Im Tod sind alle gleich - oder?                            44
müssen alles im Blick haben“                         16      Initiative Braunschweig:
Vernetzungstreffen „Soziale Arbeit“:                         „Unbedacht bestattet, aber nicht anonym                    45
Es ist gut, mehr voneinander zu wissen               18      Kreativkreis im „Homeoffice“                               46
Aus dem Hospizverein                                          Und sonst noch …
Hospiz und Lockdown:                                         Buchbesprechung:                                           47
„Wir wollen wieder Leben im Hospiz“                  20
                                                             Friedhöfe dieser Welt: Seemannsfriedhof
Kita-Initiative im „Krummen Morgen“                          in Prerow (Darß): Grabsteine, die Lebens­
Hospiz bekommt kleine Nachbarn:                      22      geschichten erzählen                                       48
Leserbriefe                                          23      Berührende Abschiedslieder/Gedichte
„Wenn ein Fenster erzählen könnte…                           von Prominenten:
Die rührende Geschichte von Frank                            Purple Schulz „Der letzte Koffer“                          50
und Nadine (Teil 2)                                  24      Zu guter Letzt: Das Zeitliche segnen                       51
Machen Sie mit:                                              Impressum                                                  52
Fragebogen „Was ist für mich gutes Sterben?" 25

    Liebe Leserinnen, liebe Leser
    Auch dieser Hospizbrief ist unter Corona-Bedingungen produziert worden. Einige Inhalte können mittlerweile
    überholt sein.
    Über aktuelle Termine informieren wir per Mail. Ansonsten nutzen Sie bitte auch unsere Internet-Seite:
    , www.hospiz-wolfsburg.de                                                                      Die Redaktion

                                                                                                  Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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                                                                                                 Titelthema

Themenjahr „Was ist gutes Sterben?“:

Einladung zum Mitdenken
Menschen sterben. Das ist bis heute eine biologische Tatsache. Das gilt für jeden von uns.
Aber wie wollen wir sterben? Das ist eine offene Frage; eine Frage, die sich jedem Men-
schen und jeder Gesellschaft neu stellt. Der Hospiz- und PalliativVerband Niedersachsen
(HPVN), die Hospiz Stiftung Niedersachsen (HSN) und der Landesstützpunkt Hospizarbeit
und Palliativversorgung Niedersachsen (LSHPN) wollen mit der gemeinsamen Initiative
einen Diskurs über das Sterben beginnen. Mit unserem Titelthema „Was ist gutes Sterben“
laden wir Sie ein, sich an der Debatte zu beteiligen.

Sterben ist Teil des Lebens. Aber während wir
uns oft fragen, was ein gutes Leben ist und
wie das eigene Lebensprojekt gelingen kann,
bleibt ein Thema meist im Dunkeln: Was ist
gutes Sterben und wie möchte ICH sterben?
Gutes Sterben ist zugleich ein individuelles
und ein gesellschaftliches Thema. Individu-
elle Vorstellungen vom guten Tod sind durch
gesellschaftliche Normen geprägt – und
gleichzeitig sind es die Menschen, die im
Miteinander gemeinsame Ideale von gutem
Sterben entwickeln. Gutes Sterben ist nicht
objektiv definierbar, nicht naturgegeben.
Gutes Sterben ist ein stets vorläufiges Zwi-
schenergebnis individueller und gesellschaft-
licher Aushandlungsprozesse.
                                                Und wir möchten Sie ermutigen, sich an der
Mit ihrem Themenjahr wollen die nieder-         Diskussion zu beteiligen und einmal über
sächsischen Hospizvereine die Frage des         diese Frage näher nachzudenken - allein, mit
guten Sterbens neu diskutieren. Ziel ist es,    ihrer Familie, in Hospiztreffen oder indem Sie
das Spannungsfeld auszuleuchten, zwischen       sich an unserer Aktion beteiligen (siehe Sei-
kulturellen Idealen und begrenzten Ressour-     te 25-28). „Was ist gutes Sterben?“ ist eine
cen, zwischen individuellen Wünschen und        offene und gemeinsame Initiative. Deshalb
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.           würden wir uns freuen, wenn Sie unser Ange-
Gutes Sterben: Was ist das und was ist es       bot annehmen.
uns wert?
                                                Im Laufe des Jahres sind – wenn es Corona
Wir möchten uns mit diesem Hospizbrief dem      zulässt - eine Reihe von Diskussionen, Work-
Thema „Was ist gutes Sterben?“ aus unter-       shops, Fachtagungen, Treffen und Ausstellun-
schiedlichen Perspektiven nähern. Wir sehen     gen in dieser Themenreihe geplant.
auf die Wissenschaft, die an dieser Frage
forscht, lassen Pflegekräfte und Betroffene                                 Die Redaktion
zu Wort kommen, richten einen Blick in die
Geschichte und schauen, wie andere Kultu-
ren mit diesem Thema umgehen. Außerdem
stellen wir eine spannende Ausstellung vor.

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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Titelthema

Gespräch mit dem Soziologen Armin Nassehi (Ludwig-Maximillians-Universität
(LMU) München

Was ist „gutes“ Sterben?
An der Ludwig-Maximillians-Universität (LMU) in München beschäftigen sich mehrere
Wissenschaftler in einem Forschungsprojekt mit dem Thema „Gutes Sterben“. Dazu
Auszüge eines Gesprächs mit dem Soziologen Armin Nassehi, der in Zusammenarbeit
mit dem Lehrstuhl für Moraltheologie Vorstellungen über das Lebensende untersucht.
Das vollständige Interview aus dem Jahr 2018 können Sie auf der Homepage der LMU
nachlesen: www.uni-muenchen.de;

                  Sie haben mit der Katholischen Fakultät            Inwiefern lässt sich dieser ganzheitli-
                  ein Projekt zum Thema „Das gute Ster-              che Ansatz realisieren?
                  ben“ gestartet. Welche Vorstellungen               Die schöne Idee der Ganzheitlichkeit sagt
                  gibt es darüber?                                   ja: Am besten wäre es, wenn der Sterbende
                  Gemeinsam mit Christof Breitsameter und            eingebettet ist in ein Geschehen, in dem die
                  Irmhild Saake interessieren wir uns weniger        unterschiedlichen Perspektiven und Beteilig-
                  für das faktische gute Sterben als vielmehr        ten gewissermaßen harmonisiert werden. Der
                  für die Vorstellungen, die Redeweisen, die         Wille des Sterbenden, die Patientenautono-
                  normativen Bilder, die um das Feld Palliative      mie, steht im Vordergrund des Diskurses. Das
                  Care entstehen. Es gibt einen langen Diskurs       Ziel ist der sprechende sterbende Patient: Er
                  über die Frage, wie man „angemessen“ ster-         soll mitreden, seine Bedürfnisse formulieren,
                  ben sollte. Eine der wichtigsten Autoren der       möglichst am Ende sein Schicksal annehmen
                  letzten Jahrzehnte war Cicely Saunders, die        und in der Lage sein, eine Gesamtrechnung
                  vier Bereiche formuliert hat, die dabei berück-    seines Lebens zu machen, spirituell und sozial
                  sichtigt werden sollten: das Medizinische, Psy-    damit zurechtkommen. (…) Manche wollen
                  chische, Soziale und Spirituelle. Dahinter steht   aber nicht nur nicht sterben, sondern auch
                  also die Idee, dass Sterben eine ganzheitliche     nichts vom Sterben hören. Doch mit jeman-
Es gibt einen     Sache sein soll.                                   dem, der die Sterberolle nicht annimmt,
                                                                     gelingt es auch nicht, über das Sterben zu
langen Diskurs
                  „Gutes Sterben“ klingt nach „schönem“              reden.
über die Frage,
                  Sterben. Dabei ist der Sterbeprozess
wie man „ange-    oftmals mit Schmerzen verbunden, ein               Ist das ein Problem, nicht übers Sterben
messen“ sterben   unschöner Kampf – weckt der Begriff                sprechen zu können?
sollte.           da nicht eher falsche Vorstellungen?               Viele, die in diesem Bereich arbeiten, emp-
                  Tatsächlich ist Sterben etwas, was man nicht       finden es gewissermaßen als Scheitern,
                  will, was weh tut und – ja, es ist bisweilen ein   wenn die Sterbeverläufe nicht so sind, wie
                  Kampf. Doch daneben ist die Idee entstan-          es die Idee des „guten Sterbens“ nahelegt.
                  den, dass man das Wilde des Sterbens einfan-       Da entstehen zum Beispiel bei Pflegenden
                  gen kann. In der Medizin hat ein erstaunlicher     oder Sterbebegleitern Konflikte im Selbstbild.
                  Fortschritt stattgefunden im Hinblick auf die      Die meisten denken, dass etwas nicht richtig
                  Kontrolle von Schmerzen und Symptomen.             gelaufen ist, wenn diese normativen Muster
                  Und es ist ein Segen, dass es Palliativstatio-     nicht erfüllt sind. Es gibt ohnehin in unserer
                  nen und Hospize gibt. Dadurch ist Sterben          Kultur eine starke Vorstellung von Gleichheit.
                  heute etwas, das organisiert wird, fast immer      Am liebsten wäre uns der sterbende Pati-
                  haben Institutionen etwas damit zu tun. (…)        ent, der auf Augenhöhe mit den Beteiligten
                  Aber zu glauben, dass man mithilfe solcher         spricht. Dabei wird mitunter vergessen, dass
                  technologischen Mittel ein terminales Well-        Sterben eine andere Situation ist.
                  ness machen könnte, geht natürlich zu weit.

                                                                                                 Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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Normalerweise ist die Patientenrolle eine Sus-    normativen Erwartungen entzieht. Vielleicht
pendierung von Autonomie auf Zeit: Wenn           sollte man sogar manche dieser sehr starken
ich als Kranker weiß, dass ich ein paar Tage im   Vorstellungen überdenken und sie nicht als
Krankenhaus liege, werde ich passiv und lasse     den einzigen Königsweg darstellen. (…)
andere sich um mich kümmern – aber immer
mit der Erwartung, dass das wieder aufhört.       Ist es vielleicht auch Ausdruck des
Und dennoch ist der Patient krank und hat         Optimierungswahns in unserer Gesell-
Angst, während der Arzt professionell und         schaft, dass vom „guten“ Sterben die
gesund ist. Das sind zwei unterschiedliche        Rede ist so wie auch vom „erfolgrei-
Positionen und wenn man das vergisst, ist die     chen“ Altern? Es impliziert, dass „gutes
geforderte Augenhöhe ein manchmal unre-           Sterben“ scheinbar „machbar“ ist oder
alistisches Ideal. Manche dieser normativen       „gelingen“ kann, wie sogar Buchtitel
Vorstellungen sind schon in einer „normalen“      versprechen. Setzt eine solche Vorstel-
Patientenrolle schwierig zu erreichen. Als ter-   lung womöglich den Sterbenden unter
minaler Patient auf einer Palliativstation oder   Druck – man muss gut sterben?
gar im Hospiz ist das noch viel schwieriger.      Ja, es kann unter Druck setzen und dem
                                                  entziehen sich manche Menschen. Das sind
Es wäre also manchmal gut, weniger                ähnliche normative Vorstellungen, wie sie dar-
vom Sterbenden zu erwarten?                       über bestehen, wie ein Leben geführt werden
Es gibt so eine Grundidee, dass mehr Kommu-       muss. Man könnte etwas zynisch formulie-
nikation besser ist als weniger. Und das nicht    ren: Die Patientenautonomie soll hochgehal-
nur in diesem Fall, sondern es ist geradezu       ten werden, und jetzt geht das so weit mit
eine Art Hintergrundüberzeugung, der man          dem Patientenwillen, dass die Patienten nicht
kaum widersprechen kann. Aber das stimmt          das Richtige wollen. Autonomie wird meist
in vielen Fällen nicht und in diesem Fall auch    mit dem Hintergedanken übertragen, dass
nicht. Mehr Reflexion produziert manchmal         die Menschen möglichst das Richtige wollen
auch mehr Probleme, Belastung und Unzu-           sollen. Und was das ist, geben die aktuellen
friedenheit. Momentan zeigen die bisherigen       normativen Vorstellungen vor – im Sinne von:
Ergebnisse, dass es auch eine Option wäre,        Sterben, gerne – aber bitte richtig.
den Sterbenden in Frieden zu lassen. Das Ziel
des Projekts ist es ja, praxisrelevante Ergeb-                                   Armin Nassehi
nisse zu gewinnen. Dazu gehört, etwa bei              ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine
der Ausbildung von Hospizbegleitern, eine          Soziologie und Gesellschaftstheorie am Ins-
Offenheit darüber herzustellen, dass sich das     titut für Soziologie der Ludwig-Maximillians-
Leben und Sterben manchmal diesen klaren                            Universität (LMU), München

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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Titelthema

Mona Mettler (Pflegefachfrau und Dozentin):

„Der Tod gehört immer
                zu unserem Leben“
                   Was heißt für Sie persönlich „gutes
                   Sterben“?
                   Mona Mettler: Für mich bedeutet es, mich
                   und meine Nächsten auf den Abschied vorbe-
                   reiten zu können; ihnen noch einmal meine
                   Liebe versichern zu dürfen. Also geht es für
                   mich persönlich vor allem um die Bewusstheit
                   des Sterbeprozesses. Wie es dann abläuft, ist
„Ich wünsche       mir nicht so wichtig; darauf habe ich wahr-
mir liebe          scheinlich keinen großen Einfluss. Ich wün-
                   sche mir einfach liebe Menschen um mich
Menschen um
                   herum und keine Ärzte, die mir noch irgend-
mich herum         welche Therapien aufschwatzen.
und keine Ärzte,
                   Wie geht Ihr Team mit der Not am
die mir noch       Lebensende um? Wie können Sie
irgendwelche       die Endgültigkeit und die „Nicht-
                   Machbarkeit des Sterbens“ in Ihrem
Therapien auf-
                   Arbeitsalltag bewältigen?
schwatzen.“        Mona Mettler: Auch wenn Menschen am
                   Lebensende Not empfinden, ich als Beglei-
                   terin habe diese Not nicht. Allein schon, dass   ob wir jetzt nicht sehr viel aufgewühlt hät-
                   wir (als Beratungsteam) ruhig sind und zuver-    ten bei der Frau. Am nächsten Tag fragten
                   sichtlich, vermittelt den Sterbenden und sei-    wir nach und sie erzählte uns, dass sie seit
                   nen Nächsten, dass es seine Richtigkeit hat,     langem wieder einmal ruhig hätte schlafen
                   was jetzt hier geschieht. Möglicherweise         können; sie sei so froh gewesen, jemandem
                   helfen ihnen schon unser Verständnis und         ihren Kummer mitteilen zu können. Sie sei
                   unser Mitgefühl. Wir Pflegende und ÄrztIn-       jetzt beruhigt, weil sie wisse, dass ein Famili-
                   nen haben ein Repertoire an Möglichkeiten,       engespräch stattfinde, in dem wir zusammen
                   gewisse Zustände zu erleichtern. Sei es mit      über das Sterben sprechen würden. Sie hätte
                   gezielten pflegerischen Handlungen, mit          nicht gewusst, wie sie das alleine anstellen
                   Medikamenten, die wir einsetzen können,          könnte.
                   oder mit seelsorgerlicher Begleitung, die wir
                   hinzuziehen können. Wichtig ist zu fragen        Ich habe auch schon sehr schwere Sterbe-
                   oder zu merken, was denn genau die Not ist       prozesse begleitet. Die Menschen nicht allein
                   und was es jetzt braucht.                        zu lassen, war das, was ich ‚tun‘ konnte. Es
                                                                    macht uns auch bescheiden zu realisieren,
                   Können Sie ein Beispiel nennen?                  dass wir vieles nicht beeinflussen können.
                   Mona Mettler: Eine Patientin war in großer       Natürlich lassen wir nichts unversucht. Mög-
                   Not und sehr aufgewühlt. Als wir nachfrag-       lich ist, dass wir einen Rahmen der Ruhe und
                   ten, erzählte sie von ihrem Mann und der         Sicherheit schaffen, das Sterben selbst kön-
                   jüngeren Tochter - dabei weinte sie sehr. Wir    nen wir nur wenig beeinflussen. Wir können
                   hörten ihr mitfühlend zu und fragten, was ihr    erkennen, dass es jetzt ums Sterben geht, das
                   Wunsch wäre. Sie meinte, es müsse dringend       auch benennen und die Familie einbeziehen.
                   jemand mit der Familie sprechen, was wir         Der Sterbende selbst leistet da sehr viel und er
                   ihr zusicherten. Wir waren danach unsicher,      lernt. ‚es‘ einfach geschehen zu lassen.

                                                                                                 Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
7

                                                wichtig? Was zählt wirklich? Pflege ich den
                                                Kontakt zu meinen Kindern, meinen Freun-
                                                dinnen, meinem Partner?

                                                Die Spiritualität, die Suche nach dem Sinn
                                                bleibt zentral. Ich wage mehr, ich selbst zu
                                                sein, mich zu zeigen, mich zu freuen an so
                                                vielem, und bin in ständiger Entwicklung.
                                                Als meine Kinder noch klein waren, kam ich       „Vieles wird für
                                                nach einem strengen Nachtdienst nach Hau-        mich weniger
                                                se und spürte eine überschäumende Freude
                                                                                                 wichtig im stän-
                                                beim Kontakt mit meinen so lustigen und
                                                lebendigen Kindern, was ich vorher nicht so      digen Kontakt
                                                bewusst wahrgenommen hatte. Vieles wird          mit dem Tod;
                                                für mich weniger wichtig im ständigen Kon-
                                                takt mit dem Tod; dafür wird die Liebe immer     dafür wird die
                                                wichtiger.                                       Liebe immer
                                                                                                 wichtiger.“
                                                Zum Abschluss noch dieses Zitat, das eine
                                                Freundin mir letzthin mitgeteilt hat: ‚Der Tod
                                                ist mein ständiger Begleiter. Er gehört immer
Inwieweit beeinflusst Ihre Arbeit mit           und natürlich zu unserem Leben.“
Sterbenden Ihre persönliche Lebenshal-
tung? Haben Sie sich dadurch verän-                                           Mona Mettler,
dert?                                            Pflegefachfrau, Leitung Pflege des Palliativ-
Mona Mettler: Sicher hat es einen Einfluss        Konsiliardiensts Palliativzentrum, Kantons-    Entnommen: https://
auf meine Lebensführung. Ständig bin ich             spital St. Gallen (CH), Ausbildnerin und    www.hospiz-tirol.at/
mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert.      Dozentin in Palliative Care; Leitung Trauer-   tagebuch/tag/gutes-
Da frage ich mich oft, was ist jetzt für wen         begleitung am Kantonsspital St. Gallen      sterben/

 Friedlich eingeschlafen
 Bei dem Thema „Wie sterben wir?“       zu uns, die wir nebenan wohnten.        Tag im Krankenhaus. Eines Vormit-
 fallen mir zwei Erfahrungen ein, die   Und so geschah es, dass er eines        tags hatte ich plötzlich das Gefühl,
 ich beim Sterben zweier mir sehr       Tages bei uns zu Mittag aß, dann in     meine Tochter holen zu müssen, die
 nahestehenden Menschen gemacht         meiner Begleitung (er war körper-       damals Krankenschwester-Schülerin
 habe.                                  behindert) in seine Wohnung ging.       war. Als ich dann mit meiner Tochter
 Wir wünschen uns bzw. haben die        Und er fand meine Mutter „friedlich     in das Krankenzimmer zurückkam,
 Vorstellung, beim Sterben eines sehr   eingeschlafen“ vor.                     lag mein Mann, friedlich und ent-
 lieben Menschen dabei zu sein, ihm     Und die Erfahrung mit meinem            spannt aussehend, tot da.
 gewissermaßen die Hand zu halten.      Mann war folgende: Er war krebs-        Ich hatte wieder das Gefühl, wie bei
 Aber es kann eben auch anders sein.    krank und wurde viele Wochen bei        meiner Mutter, dass das für ihn der
 Als vor sehr vielen Jahren meine       uns zu Hause gepflegt. Nur die letz-    richtige Moment gewesen ist, hinü-
 Mutter schwer krank gewesen ist,       ten Tage musste er ins Krankenhaus,     berzugehen.
 war mein Vater Tag und Nacht bei       da er nicht mehr bei Bewusstsein                            Lucie Schirren
 ihr. Nur zum Mittagessen kam er        gewesen ist. Ich besuchte ihn jeden

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
8
Titelthema

Kurzer historischer Blick auf das Sterben

Gestorben wurde schon immer
Das Sterben, der Umgang mit Tod und Trauer hat sich im Laufe der Zeiten stetig gewan-
delt. Religiöse und psychologische Empfindungen spielen dabei eine ebenso große Rolle
wie die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Medizin oder die Veränderungen
in der Gesellschaft. Jennifer Moche hat in ihrer Diplomarbeit „Wie gelingt gutes Ster-
ben?“ für die Universität Wien in einem Kapitel die Geschichte des Sterbens anschaulich
dargestellt. Wir beziehen uns in diesem Beitrag mehrfach auf diese Ausarbeitung.

                           Im Mittelalter sind Krankheiten überwiegend       Ariès, der sich in seinem 1977 erschienenen
                           als Zeichen Gottes angesehen worden. Das          gleichnamigen Werk mit der Geschichte des
                           Leid gilt als Strafe oder Prüfung für den         Todes ausführlich auseinandergesetzt hat, gilt
                           Betroffenen. Mediziner und Angehörige             der Tod bis zum Einsetzen des ersten Weltkrie-
                           haben sich daher mehr um das seelische            ges als öffentliches Ereignis, welches feierlich
                           Wohl als um die Linderung der Krankheit           aufbereitet worden ist. Alle wichtigen Per-
                           gekümmert. Alle Mühe am Totenbett dient           sonen versammeln sich um den Sterbenden,
                           dazu, dass die Seele des Sterbenden „gerei-       Kerzen und Weihwasser sind als traditionelle
                           nigt“ zum Himmel aufsteigen kann. Diese           Utensilien im Zimmer platziert.
                           „Prozedur“ läuft im Anonymen ab, geschützt
                           vor den Blicken der Nachbarn.                     Mit dem Entstehen von immer mehr Kran-
                                                                             kenhäusern kommt es, so Jennifer Moche in
                           „Die Zuständigkeit der Ärzte weitet sich erst     ihrer Diplomarbeit, zu einer Auslagerung des
                           mit dem 18. Jahrhundert zunehmend auch auf        Sterbens aus dem eigenen Heim. Ariès zufol-
                           die Betreuung von Sterbenden aus“, schreibt       ge verschwindet der Tod im Alltagsgeschehen
                           Jennifer Moche. Die stetig voranschreitende       der modernen Gesellschaft. Die fortschreiten-
                           Entwicklung der biologischen und medizini-        de Medizin macht es möglich, dass in den
                           schen Erkenntnisse ermöglicht den Medizinern      Kliniken immer weitere Behandlungen und
                           neue Behandlungsmethoden. Sterbende Men-          Therapien zur Verlängerung des Lebens bei-
                           schen werden nun als Kranke angesehen und         tragen können. „Schleichend macht sich so
                           entsprechend versorgt. Der Sterbeprozess wird     eine neue Tradition breit, die den Sterbepro-
                           zunehmend in den häuslichen Alltag integriert.    zess ins Krankenzimmer verlagert“, bemerkt
                           Er wird zum familiären Ereignis.                  Jennifer Moche. Tiziano Terzani beschreibt
                                                                             es drastisch: „Der Tod verunsichert und soll
                           Man kennt die Bilder noch aus Erzählungen:        verborgen werden. Und so schickt man den
                           Der Sterbende liegt im Kreise der Familie. Ver-   Todkranken ins Krankenhaus, um dort hinter
      * Die Zitate von     wandte, Bekannte und Nachbarn kommen              einem Vorhang zu sterben, reglos ans Bett
 Tiziano Terziani sind     vorbei, um sich zu verabschieden. „Ich erin-      gefesselt durch all die Schläuche und Geräte,
   dem Text „Sterben       nere mich gut an den Sterbenden in einem          an die er angeschlossen ist.“*
   und Tod im gesell-      Bett, die flüsternde Verwandschaft im Wohn-
   schaftlichen Wan-       zimmer und dann die Totenwache um den             Erst die Hospiz-Bewegung mit ihrer palliati-
    del“ von Andreas       Verstorbenen herum. Da lag der Leichnahm,         ven Versorgungsidee bricht diese unwürdige
   Heller/Klaus Weg-       und alle betrachteten ihn mit Verwunderung        Praxis wieder auf. Dem „Sterben ein würdi-
   leitner (Institut für   und Einverständnis. Der Tod war präsent.“*        ges Zuhause geben“ ist der Leitspruch. Dieser
    Palliativ Care und     So erinnert sich der italieinische Schriftstel-   kann in einem stationären Hospiz oder einer
  OrganisationsEthik       ler und langjährige SPIEGEL-Journalist Tiziano    Palliativ-Station im Krankenhaus genauso so
       der Universität     Terzani in seinen Kindheitserinnerungen. Der      erfüllt werden wie in einer liebevollen Betreu-
      Klagenfurt) ent-     Tod schien ein Teil des Lebens zu sein. Für       ung zu Hause.
             nommen.       den französischen Medizinhistoriker Philippe                                         Willi Dörr

                                                                                                          Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
9

Zwischenruf:

Gibt es auch „schlechtes“ Sterben?
„Was ist gutes Sterben?“, fragen wir in unserer Titelgeschichte und beleuchten das
Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Gibt es „gutes“ Sterben, so stellt sich fast
zwangsläufig auch die Frage: Gibt es dann auch „schlechtes“ Sterben?

Eigentlich, so sollte man konstatieren, ist       Kann man das Leiden von einem „schlech-
Sterben immer schlecht, denn es endet mit         ten“ Sterben anschaulicher beschreiben?
dem Tod. Natürlich gibt es Menschen mit
starker religiöser Bindung, die das Sterben als   Ein Außenstehender kann folglich schnell
notwendige Voraussetzung für den Eingang          definieren, was „schlechtes“ Sterben ist.
ins Paradies ansehen. Und für den einen oder      Nie möchte man sterben, wie ein Corona-
anderen Sterbenden ist der Tod eine Erlösung      Erkrankter auf der Intensivstation, ein Ver-
von Schmerz, Einsamkeit und Verbitterung.         kehrstoter im demolierten Fahrzeug oder ein
Für sie ist das Sterben mit positivem Gefühl      Opfer von Gewalt und Terror.
verbunden - also ein „gutes“ Sterben?
                                                  Was aber denkt und fühlt ein Mensch in
Kommen wir zurück zu der Frage: Gibt              seinen letzten Minuten? Niemand weiß
es „schlechtes“ Sterben? Da fallen einem          das. Vielleicht hat auch der schwerstkran-
sofort die schrecklichen Bilder aus den Inten-    ke Koma-Patient, der sterbende Autofahrer
sivstationen der Krankenhäuser ein, in denen      oder der verwundete Soldat noch einen letz-
Corona-Patienten an Schläuchen der Beat-          ten guten Moment. Vielleicht verlässt er trotz
mungsgeräte angeschlossen sind und deren          seiner Schmerzen und Einsamkeit diese Welt
einzig verbliebene Abwechslung im regel-          mit einer schönen Erinnerung.
mäßigen Umbetten durch die Pflegekräfte
besteht. Die Wenigsten überleben diese            Auch in der Sterbebegleitung haben Patien-
tückische Krankheit. Ein Nicht-Betroffener        ten und Angehörige nicht selten unterschied-
wird dies sicherlich als „schlechtes“ Sterben     liche Auffassungen darüber, was für den
bezeichnen.                                       Sterbenden „gut“ oder „schlecht“ ist. Ist es
                                                  „gut“, wenn im Moment des Todes die liebs-
Oder der Autofahrer, der nach einem fürch-        ten Angehörigen am Sterbebett versammelt
terlichen Crash mit lebensgefährlichen Ver-       sind? Und ist es folglich „schlecht“, wenn der
letzungen in seinem Wagen eingeklemmt,            Patient seine letzten Minuten allein im Zim-
langsam unter Schmerzen sein Leben verliert.      mer verbringt? In einer Traueranzeige habe
Der ist doch sicherlich „schlecht“ gestorben.     ich folgende Passage gelesen: „Ganz still und
Mir kommen auch die grausigen Szenen aus          leise ohne ein Wort, gingst du von deinen
Kriegen und Terroranschlägen in den Sinn.         Liebsten fort.“ In diesem Spruch steckt für
Unschuldige Menschen werden zu Opfern             mich der leise Vorwurf, wie konntest du so
durch Gewalt - und sterben oft einsam und         ohne Abschied von uns gehen. Aber für den
ohne Abschied von Ihren Liebsten. Stellver-       Sterbenden ist es wahrscheinlich genau der
tretend hierzu möchte ich aus dem für mich        richtige Moment gewesen.
eindrucksvollsten Anti-Kriegslied „Es ist an
der Zeit“ von Hannes Wader zitieren: „Ich         Der Angehörige muss das aushalten und
hoffe, es traf dich ein sauberer Schuss / Oder    letztlich akzeptieren. Abschied nehmen, das
hat ein Geschoß dir die Glieder zerfetzt / Hast   geht auf ganz vielfältige, individuelle Wei-
du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt       se und nimmt oft ungewöhnliche Wege: Es
/ Bist du auf deinen Beinstümpfen weiterge-       zählt ja nicht nur der letzte Augenblick.
rannt / Und dein Grab, birgt es mehr als ein                                       Willi Dörr
Bein, eine Hand?“

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
Hospizbrief Was ist gutes Sterben? - Ausgabe 1 I 2021
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Titelthema

Sterben in anderen Kulturen:

Der Umgang mit dem Tod hat viele   
 Wir kennen es aus den Karl May-Büchern: Der alte Indianerhäuptling verlässt seinen
 Wigwam und sucht sich eine einsame Stelle in der Prärie zum Sterben. Er wartet da-
 rauf, dass der große Manitu ihn in die ewigen Jagdgründe holt. Wie die Indianer, so
 haben viele Kulturen eine unterschiedliche Vorstellung vom Sterben. In diesem Arti-
 kel können wir nur einen kurzen Überblick verschaffen. In den kommenden Ausga-
 ben des Hospizbriefes werden wir jeweils ausführlich eine Religion bzw. Ethnie mit
 ihren speziellen Sterbe-, Trauer- und Beerdigungsritualen vorstellen.

                  In unseren Breiten begegnen wir dem Tod oft-       Trotzdem sind die Vorstellungen darüber ziem-
                  mals mit Angst und Unbehagen. Menschen             lich unklar. Obwohl das Judentum besonders
Viele Kulturen    aus anderen Kulturkreisen haben vielfach           gut mit den Trauernden umgehen kann, es
haben eine        einen eigenen Ansatz, mit dem Verlust eines        unterstützt und tröstet, wird der Sterbende
                  Angehörigen umzugehen. Es wird anders              oft vernachlässigt und ihm wird wenig Trost
andere Vor­
                  bestattet und es gibt die unterschiedlichsten      zuteil. Das Festhalten am diesseitigen Leben
stellung von      Trauerrituale. Die folgenden Beispiele verdan-     erklärt dieses Verhalten.
Tod und Sterben   ken wir der Abschlussarbeit „Sterberituale
                  in anderen Kulturen“ des Krankenpflegers           Viele Chinesen betrachten hingegen den
- oft weniger     Roger Tusch: https://static.twoday.net/palli-      Tod als den Höhepunkt ihres religiösen
von Angst und     ativpflege/files/r-tusch_hoefa1_abschlussar-       Lebens. Daher ist es ihnen sehr wichtig, gut
Unbehagen         beit.pdf.                                          darauf vorbereitet zu sein, angemessen zu
                                                                     sterben und eine feierliche, prunkvolle Bei-
geprägt.          Das Judentum bejaht das jetzige, aktuelle          setzung zu erhalten. Der Glaube an eine Welt
                  Leben in der diesseitigen Welt. Ein langes und     und ein Leben nach dem Tode ist ein Schlüs-
                  möglichst sorgenfreies Leben gilt als sichtbarer   selgedanke aller chinesischen Religionen.
                  Ausdruck eines Gott wohlgefälligen Lebens-
                  wandels. Viele orthodoxe Juden glauben den-        Im Hinduismus bedeuten Tod und Sterben
                  noch an ein Leben nach dem Tode und sogar          den ewigen Kreislauf des Lebens. Der Tod
                  an eine körperliche Wiederauferstehung.            ist gleichzeitig ein Neubeginn. Aus diesem

                                                                                                 Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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  A spekte

  Grunde ist der Tod weniger mit Angst behaf-     hat, muss mit einem schlechteren „neuen“
  tet; man nimmt ihn eher als Gottes Wille hin.   Leben rechnen.
  Sterbende müssen befriedet, gespeist und
  geleitet werden. Ein Sterbender trinkt nach     Einem Moslem sagt man nicht, dass er
  Möglichkeit etwas Wasser aus dem Fluss - am     sterbenskrank ist. Es ist Gottes Wille, wenn
  besten aus dem heiligen Ganges. Zwischen        jemand stirbt. Folglich soll mit der Situation
  den Schlucken wiederholt er immer wieder        nicht gehadert werden. Da der Tod als Beginn
  den Namen Gottes. So erlangt seine Seele        einer neuen spirituellen Existenz und nicht als
  nach dem Glauben der Hindus Frieden.            Ende gilt, sieht ihm der „zum Sterben Ver-
                                                  urteilte“ zumeist eher gelassen entgegen.
  Der Buddhist sieht dem bevorstehenden Tod       Im Koran steht, dass diejenigen, die nicht
  relativ gelassen entgegen, er möchte sogar      an Allah und seinen Gesandten Muhammad
  möglichst früh darüber informiert werden.       glauben, am Tag des Gerichts schwere Strafen
  Auf den Tod folgt nach dieser Lehre unweiger-   in der Hölle zu erwarten haben. Die anderen
  lich eine Wiedergeburt. Der Buddhist spürt      werden mit einem Leben im Paradies belohnt.
  daher, dass er als Mensch keine Angst vor       Sofern der Tod nicht unvorhergesehen ein-
  dem Tod haben muss, da der endgültige Tod       tritt, beginnt das islamische Bestattungsritual
  zwangsläufig ins Nirwana führt. Der Wieder-     bereits mit dem Sterbeprozess. Es gehört zur
  geburtsgedanke lehnt sich eng an die indische   Tradition, mit dem Sterbenden das islamische
  Karma-Lehre an. Gute Taten werden durch         Glaubensbekenntnis zu sprechen.
  eine bessere, höhergestellte Wiedergeburt                                Claudia Brennecke
  belohnt; wer ein nicht so gutes Leben geführt

   Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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Titelthema

                                                                                                 Seit 2006 ist ein Teil der
                                                                                                 Gepäckstücke in der
                                                                                                 Wanderausstellung in
Fritz Roth - Initiator des Projektes „Der letzte Koffer“:                                        vielen Orten Deutschlands
                                                                                                 unterwegs

Ein Visionär der
           menschlichen Bestattung
Fritz Roth (1949 - 2012) ist ein deutscher Bestatter, Trauerbegleiter und Autor aus
Bergisch Gladbach. Er hat als Inhaber das Unternehmen Pütz-Roth geleitet und ist in die-
ser Funktion Gründer des ersten privaten Friedhofs in Deutschland. Fritz Roth hat seinen
Beruf als Trauerbegleiter mit vielen innovativen Ideen ausgeübt.

                    1983 übernimmt Fritz Roth das Bestattungs-         Skulpturen und Windspiele aufstellen. In sei-
Fritz Roth          haus Pütz in Bergisch Gladbach. Es folgt eine      ner „Trauerakademie“ lernt man nicht nur zu
ermutigt            Ausbildung zum Trauerpädagogen. Sein Enga-         weinen. Roth hat Musiker oder Kabarettisten
Hinterbliebene,     gement für einen anderen Umgang mit Tod            eingeladen, die sich dem Thema auf ihre Weise
                    und Trauer in der Gesellschaft macht ihn über      nähern, gerne auch mit Humor.
Särge und           das Bergische Land hinaus bekannt. 2006 ini-
Gräber selber zu    tiiert er das Kunstprojekt „Ein Koffer für die     Er richtet Sterbezimmer ein, in denen die Toten
                    letzte Reise“.                                     aufgebahrt werden, so, wie er es als Kind noch
gestalten und
                                                                       selber auf dem Bauernhof erlebt hat. Er ermu-
die Regie der       Schwerpunkt seiner Arbeit ist das „Haus der        tigt Hinterbliebene, Särge und Gräber selber
Trauerfeier zu      menschlichen Begleitung“ in Bergisch Glad-         zu gestalten und die Regie der Trauerfeier zu
                    bach gewesen. Das Ensemble auf einem licht         übernehmen, statt sie anderen zu überlassen.
übernehmen,         bewaldeten Hügel an der Stadtgrenze gilt           Im März 2012 wird bei Fritz Roth Leberkrebs
statt sie anderen   international als Modell. Eher einem Landhotel     diagnostiziert. Roth stirbt am 13. Dezember
zu überlassen.      als einem Bestattungsinstitut ähnelnd, integ-      2012 im Alter von 63 Jahren. Unter großer
                    riert es die Private Trauer-Akademie, die „Villa   Anteilnahme findet am 29. Dezember 2012
                    Trauerbunt“ für trauernde Kinder, die Gärten       eine ökumenische Trauerfeier im Altenberger
                    der Übergänge und Deutschlands ersten pri-         Dom statt, an der rund 2.500 Menschen teil-
                    vaten Friedhof. Auf diesem Friedhof dürfen         genommen haben.
                    die Hinterbliebenen anstelle von Grabsteinen

                                                                                                    Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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Kunstprojekt & Ausstellungen

Ein Koffer für die letzte Reise
Die Wanderausstellung „Ein Koffer für die letzte Reise“ ist in den vergangenen Jahren in
vielen Orten Deutschlands gezeigt, aber auch im Ausland wie in Moskau, Wien und Lu-
zern sind die Koffer präsentiert worden. 2016 und 2017 ist die Ausstellung sogar über das
vom Goethe-Institut organisierten Deutschlandjahr in Mexiko-City und in Hermosillo in
Mexiko zu sehen gewesen.

„Ein Koffer für die letzte Reise“ ist der Titel   Inhalte sind so vielfältig wie die Menschen
eines Kunstprojektes. Der Trauerbegleiter         und ihre Biografien, wie die Träume und
Fritz Roth (siehe Porträt) hat 100 Menschen       Weltanschauungen der Packenden. In der
einen Koffer zugeschickt mit der Bitte, die-      Gesamtschau ergeben sie ein berührendes,
                                                                                                  Die Inhalte der
sen für ihre letzte Reise zu packen. In diesem    faszinierendes Bild dessen, was uns wirklich    Koffer sind so
Rahmen fordert er auf, sich zu besinnen: Auf      nahe ist – oder dessen Nähe wir uns wirklich    vielfältig wie die
die Endlichkeit jeden Lebens, auf die Not-        wünschen.
wendigkeit der Identifikation des individuell                                                     Menschen und
Wesentlichen.                                     Jedem Koffer ist ein Steckbrief des Menschen,   ihre Biografien,
                                                  der ihn gepackt hat, beigelegt, der neben
                                                                                                  wie die Träume
Insgesamt 100 Bürger dieses Landes - Frauen       Alter und Beruf die persönlichen Notizen und
und Männer, Alte und Junge, Künstler und          Gedankengänge beim Kofferpacken festhält        und Welt­
Handwerker, Prominente und Nicht-Promi-           und Auskunft über den ausgewählten Koffe-       anschauungen
nente packen den Koffer, der sie auf der Reise    rinhalt gibt. Neben persönlichen Gegenstän-
aus diesem Leben begleiten könnte.                den wie etwa Familienphotos oder Tabakpfei-
                                                                                                  der Packenden.
                                                  fe, wählen viele Beteiligte symbolische Expo-
Die Initiatoren sind gespannt: Was würden         nate, wie die eigenen in Sand gegossenen
die zur Verfügung gestellten, identischen         Fußspuren oder ein Skelett mit Totenschädel.
Koffer letztlich enthalten? Würden es ähnli-
che oder völlig unterschiedliche Dinge sein?         Das Buch zum Projekt ist im Gütersloher
Sentimentales oder Praktisches? Erinnerung        Verlagshaus erschienen – siehe dazu unsere
oder Ausrüstung? Soviel sei verraten: ihre                    Buchbesprechung auf Seite 47

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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 Aus dem Hospizhaus

„Tierische Visite“ von Mathilda und Merlin:

„Ich habe
    Überraschungsbesuch dabei!“
Zwei Kätzchen haben einem Gast im Hospiz einen schönen Nachmittag beschert. Pflege-
kraft Michelle berichtet über ihren überraschenden Besuch mit Mathilda und Merlin bei
Frau W.

                                                                             die beiden einfach mal mit zu ihr zu bringen,
Mathilda legt sich auf                                                       natürlich als Überraschung.
Frau W.‘s Schoß. Sie
beginnt zu schnurren,                                                        Also packe ich die beiden Kätzchen an mei-
als sie von ihr gekrault
                                                                             nem freien Tag in ihre Transporttasche, die sie
wird.
                                                                             so lieben und fahre mit dem Auto nach Wolfs-
                                                                             burg. Die Autofahrt gefällt den beiden nicht
                                                                             allzu gut, aber als wir im Hospiz ankommen,
                                                                             ist die Neugier riesig. Zuerst lernen sie meine
                                                                             Kollegen kennen und alle sind „bezuckert“ -
                                                                             dann geht es schon ins Gastzimmer.

                                                                             Ich begrüße Frau W. mit den Worten: „Ich
                                                                             habe Überraschungsbesuch dabei!“. Im ers-
                                                                             ten Moment weiß sie gar nicht, was los ist,
                                                                             aber dann kommt Freude auf. Mathilda und
                                                                             Merlin dürfen das Zimmer erkunden, alles
                                                                             wird beschnuppert. Vor allem die Fenster-
                                                                             bank und der darauf liegende, täuschend
                                                                             echt aussehende Minihund von Frau W. sind
                           Ich bin seit Sommer „Katzenmama“ von              interessant.
                           Mathilda und Merlin, zwei kleinen britisch
                           Kurzhaar Mix Kitten.                              Nachdem sie das Zimmer ausgekundschaf-
                                                                             tet haben, wird das Bett ins Visier genom-
                           Als ich eines Tages zum Nachtdienst komme         men. Natürlich gibt es reichlich Leckerlies
                           und Frau W. begrüße, erkundigt sie sich, wie      zum Anlocken, da ist die Freude groß. Durch
                           es mir geht und wie meine freien Tage so          die halbstündige Fahrt und die vielen neuen
                           waren. Ich erzähle ihr von meinen zwei „Kat-      Eindrücke macht sich langsam etwas Müdig-
                           zenkindern“. Sofort ist sie interessiert und      keit breit und Mathilda legt sich als Erste auf
                           fragt, ob ich ihr ein paar Bilder zeigen könne.   Frau W.‘s Schoß. Sie beginnt zu schnurren,
                           Sie habe damals auch eine Katze gehabt, die       als sie von ihr gekrault wird. Da Merlin, was
                           sie leider nach der Geburt ihres Sohnes an        Streicheleinheiten betrifft, schnell eifersüchtig
                           Angehörige abgeben musste.                        wird, kommt er sofort dazu gesprungen und
                                                                             legt sich ebenfalls hin.
                           Von nun an sind Mathilda und Merlin fast
                           täglich während der pflegerischen Versor-         So entstehen dann auch die Fotos, auf denen
                           gung Thema. Es zaubert ihr immer wieder           man Frau W. total strahlen sieht. Die Drei
                           ein Lächeln ins Gesicht, wenn es neue Kat-        haben dann noch etwas geschmust, bevor
                           zenbilder gibt. Als sich die Katzen zuhause       wir den Heimweg angetreten sind.
                           eingelebt haben, ist mir die Idee gekommen,                              Michelle Chereck

                                                                                                           Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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Hallo, mein Name ist Daniel Bednarz
Ich bin 35 Jahre alt und wohne in Schöningen.   Leider musste ich mich bereits durch meinen
Durch meine Berufe als Einzelhandelskauf-       engen Familienkreis mit dem Thema „Ster-
mann, Friseur und Maskenbildner, hatte ich      ben und Tod“ auseinandersetzen und hatte
schon immer sehr viel Kontakt zu Menschen,      so auch intensive Begegnungen mit diesem
was mir schon immer Freude gemacht hat.         Thema.
Seit Mai 2019 unterstütze ich das Team der
Hauswirtschaft und im September 2020 habe       Umso mehr erfreut es mich, wenn ich unse-
ich die Leitung des Reinigungsteams übernom-    ren Gästen ein letztes Zuhause geben und
men. Bis dahin war ich selbstständig, was ich   ihre Wünsche erfüllen kann.
wegen der Pandemie aufgeben musste. Nun
habe ich einen neuen Berufszweig gefunden,      Ich bin stolz darauf, ein Teil des Hospiz-Teams
in dem ich sehr gerne beschäftigt bin.          sein zu dürfen.

Neu im Team: Anne Bormann
Meine Name ist Anne Bormann, bin 54 Jahre alt und verheiratet. Wir wohnen in Almke,
haben zwei wunderbare Töchter, einen Hund, zwei Katzen und in der Nachbarschaft
Hühner, für die ich zuständig bin. Seit 1989 arbeite ich als Krankenschwester, habe fast
20 Jahre im Krankenhaus, danach im Wolfsburger und Braunschweiger Hospiz gearbei-
tet. Seit 2013 bin ich ambulant psychiatrisch unterwegs.

Was treibt mich an? Es ist mir immer ein
großes Bedürfnis gewesen, die Würde eines
jeden Menschen zu bewahren, ihn mit Res-
pekt zu begegnen und – so gut es mir mög-
lich ist - auf seinen Weg zu begleiten und
seine Symptome zu lindern.

Was ist gutes Sterben?
Ich würde meinen, dass es die ähnlichen Vor-
raussetzungen wie für ein gutes Leben sein
sollten:
W Menschen an meiner Seite haben, die mir
   gut tun
W E inen respekt- und vertrauensvollen
   Umgang im Miteinander
W Schmerz- und angstfrei sein zu können
W Meinen Lebensort soweit wie möglich frei     der Augenblick zählt, das Hier und Jetzt. Ich     Anne Bormann arbeitet
   wählen zu können                             möchte meinen Teil dazu beitragen, dass           seit Januar 2020 im
                                                jeder Augenblick so gut wie möglich wird.         Palliativ-Netzwerk-
                                                                                                  Wolfsburg.
Für mich gehört auf jeden Fall noch Ehrlich-    So bin ich im Januar 2020 wieder im Hospiz-
keit, Fröhlichkeit, Empathie, Kreativität und   haus gelandet und sitze als Koordinatorin für
die Liebe zum Menschen dazu.                    das Palliativnetz im Dachgeschoss. Ich fühle
                                                mich hier sehr wohl, es ist ein bisschen wie „
In meiner ambulanten Arbeit ist mir noch-       NACH HAUSE KOMMEN“, was ja auch ein
mal bewusster geworden, dass egal, in wel-      Maßstab für ein „gutes Sterben“ sein könnte.
cher Situation sich der Mensch befindet,                                    Anne Bormann

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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 Aus dem Hospizhaus

 Palliative Care Team

 „Wir sind Allrounder, müssen alles im
„Es gibt keinen größeren Trost für einen Angehörigen, wenn der Patient ruhig und
friedlich verstorben ist“, sagt Deborah Leicht. Sie und ihre Kollegin Laura Isensee tun al-
les, damit der Sterbenskranke seine letzten Tage und Stunden ohne Schmerzen, Leiden
und Angst in seinem häuslichen Umfeld erleben kann. „Wenn wir es geschafft haben,
dass er gut sterben konnte, dann macht uns das zufrieden“, sagen Deborah und Laura.
Die beiden jungen Frauen bilden seit dem 1. Juli des vergangenen Jahres das Palliative
Care Team des Hospizvereins.
                      Sieben bis acht Patienten betreuen Deborah          Situation häufig hoffnungslos überfordert.
                      und Laura in der Regel. Sie haben alle eine         „Dann schicken wir den Ehemann schon
                      SAPV-Verordnung (eine spezialisierte ambu-          mal zum Rauchen vor die Tür, damit er
                      lante Palliativversorgungs-Verordnung) und          ein wenig ‚runter kommt‘“, sagt Deborah.
                      sind im Palliativnetz Wolfsburg eingebunden.        „Unsere Aufgabe ist es aber auch, Eltern,
                      „Je nach Bedarf besuchen wir die Betroffe-          Partner, Kinder und Verwandte auf die Ster-
                      nen täglich oder manchmal sogar mehrfach            bephase vorzubereiten, ihnen erklären, was
                      am Tag“, erzählt Laura. „Wir leisten aber kei-      passieren wird, sie stützen und ihnen Ängs-
                      ne pflegerische Arbeit im klassischen Sinne         te nehmen“, erläutern die Beiden. „Der
                      – also waschen, Essen reichen etc.“, ergänzt        Patient hat entschieden, zu Hause sterben
„Wenn es uns          Deborah. Diese Aufgaben übernimmt bei               zu wollen“, sagt Laura. „Das müssen alle
gelingt, dass der     Bedarf ein Pflegedienst.                            aushalten.“
Mensch friedvoll
                      Das Palliativ Care Team schaut, wie Patient und     Deborah und Laura verfügen über lange
gestorben ist,        Angehörige mit der Situation klar kommen: Lei-      pflegerische Erfahrung. Beide haben als
dann ist das für      det der Kranke Schmerzen, quälen ihn Übelkeit       Krankenschwester bzw. Gesundheits- und
                      oder Durchfall, reicht die Dosis der Medikation,    Krankenpflegerin im Krankenhaus begon-
uns ein befriedi-                                                         nen bevor sie zur Hospizarbeit gekommen
                      brauchen Partner oder Kinder Unterstützung?
gendes Gefühl.“       „Wir sind Allrounder, müssen alles im Blick         sind. Deborah gehört bereits seit 2005 zum
                      haben“, lächeln die Beiden. Sie fragen sich stets   Wolfsburger Hospiz-Team, Laura ist seit sie-
                      aufs Neue: Wo ist medizinische oder psycho-         ben Jahren dabei. Beide kennen die Hos-
                      soziale Unterstützung erforderlich? Hilft dem       pizarbeit durch die stationäre Pflege, sind
                      Kranken zusätzliche Physiotherapie? Kann die        ausgebildete Palliativ-Fachkräfte.
                      Trostinsel den Kindern Hilfe sein? Braucht es
                      zur Linderung der Symptome einer speziellen         Im Hospizverein wird seit längerer Zeit dar-
                      ärztlichen Behandlung?                              über nachgedacht, ein eigenes Palliative
                                                                          Care Team aufzubauen. Vor 1 1/2 Jahren
                      „Wir hatten einen Patienten, der zwar mor-          übernimmt Deborah die Leitung des Pro-
                      gens und abends seine Morphintablette               jektteams - zunächst allein. Ein Jahr später
                      bekommen hat, trotzdem tagsüber über                kommt Laura dazu. Die beiden Pflegekräfte
                      heftige Schmerzen klagte“, nennt Laura              reizt die neue Aufgabe, nach vielen Jahren
                      ein Beispiel. Dann nehmen sie Kontakt zum           im stationären Einsatz. „In der ambulan-
                      behandelnden Arzt auf und besprechen eine           ten Pflege sind wir viel mehr auf uns selbst
                      Anpassung der Medikation.                           gestellt, wir müssen eigenverantwortlich
                                                                          Entscheidungen treffen, können uns aber
                      Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit konzentriert        auch die Zeit individuell einteilen“, nennt
                      sich auf die Angehörigen. Diese sind mit der        Laura den Unterschied.

                                                                                                     Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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m Blick haben“

  „Am Ende all unserer Bemühungen steht          Der Tod hat im Leben von Deborah bereits       Deborah Leicht (links)
  in der Regel trotzdem der Tod des Patien-      früh eine Rolle eingenommen: „Mein Papa        und Laura Isensee bil-
  ten“, blicken sie nüchtern auf ihre Aufgabe.   war Pastor, da bin ich schon als Kind häu-     den seit dem 1. Juli des
                                                                                                vergangenen Jahres
  „Wenn es uns gelingt, dass der Mensch fried-   fig zu Beerdigungen mitgegangen“, berich-
                                                                                                das Palliativ Care Team
  voll gestorben ist, dann ist das für uns ein   tet sie. Im Krankenhaus hat sie dann erste     des Hospizvereins.
  befriedigendes Gefühl“, sagt Laura. Aber wie   Erfahrungen in der Onkologie gesammelt.
  verarbeiten die jungen Frauen den täglichen    Auch Laura hat in ihrer Praxis als Intensiv-
  Umgang mit dem Tod? „Mir hilft, dass es        Krankenschwester viele Menschen sterben
  sich bei dem Todkranken ja nicht um meinen     sehen: „Ich habe so viele Tote gesehen, dass
  Papa oder meine Mama handelt, ich also eine    ich mich eigentlich zur Hebamme umschulen
  gewisse Distanz habe“, schildert Deborah.      lassen wollte. Damit ich auch mal Menschen
  Trotzdem geht Deborah und Laura das Ster-      auf die Welt kommen sehe.“
  ben eines Patienten, den sie betreut haben,                                     Willi Dörr
  sehr nahe. „Die Selbstpflege ist dann sehr
  wichtig“, sagt Deborah. Deshalb nehmen sie
  bei Bedarf Supervision in Anspruch.

  Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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 Aus dem Hospizhaus

 Vernetzungstreffen „Perspektiven Sozialer Arbeit in Palliative Care“

 Es ist gut, mehr
            voneinander zu wissen
Am 22. Januar 2021 hat an der Fakultät V der Hochschule Hannover in Form eines On-
line-Fachtags das 1. Niedersächsische Vernetzungstreffen „Perspektiven Sozialer Arbeit
in Palliative Care“ mit 40 Praktiker*innen, 21 Studierenden und drei Lehrenden stattge-
funden. Brigitte Werner, die stellvertretende Geschäftsführerin der Hospizarbeit Region
Wolfsburg e.V. hat dieses Treffen mit vorbereitet.

                      Die Anfrage, ob ich nicht Lust hätte, an der    Der Gedanke an eine Vernetzung ist schon
                      Vernetzung von SozialarbeiterInnen aus dem      lange da. Nun wird die Idee umgesetzt - sogar
                      Hospiz- und Palliativbereich in Niedersachsen   unter Corona-Bedingungen. Es soll einen
                      mitzuwirken, erhalte ich in 2020 von mei-       Fachtag geben, aber alles online.
                      ner langjährigen Kollegin aus der Palliativ-
                      station der MHH (Medizinische Hochschule        „Mit diesem Fachtag sollen erstmalig
                      Hannover), Anke Meier. Uns verbinden seit       Sozialarbeiter*innen in den unterschied-
                      2006 immer wieder PatientInnen, die aus         lichsten Kontexten der Sterbe- und Trauer-
                      der MHH nach Wolfsburg in die ambulante         begleitung sowie Palliativversorgung inner-
                      Hospizbegleitung oder ins stationäre Hospiz     halb der Profession ins Gespräch kommen.
                      übergeleitet werden.

Regelmäßig
treffen sich
die sieben
Netzwerkerinnen
per Video, um
das Programm
zu gestalten.

                                                                                                 Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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Wir möchten in Niedersachsen einen Beitrag        Workshop 6: Soziale Arbeit in Palliative Care
zur Vernetzung von Sozialarbeiter*innen im        im Rahmen gesundheitlicher Vorausplanung
Gesundheitswesen leisten, die am Ende des         W Leitung: Susan Vogel, Verwaltungsprofes-
Lebens tätig sind. Die Problematiken in statio-      sur für Rechtliche Grundlagen der Sozialen
nären und ambulanten Kontexten, aber auch            Arbeit an der Fakultät V der Hochschule
Potenziale, Kompetenzen und Wirksamkeit              Hannover
der Sozialen Arbeit sollen abgebildet wer-
den“, so lautet der Ankündigungstext.             Der Fachtag wird ein voller Erfolg. Gerade
Die Vernetzung beginnt schon unter uns, dem       auch das Zusammentreffen von Studieren-
Vorbereitungsteam. Regelmäßig treffen wir         den und PraktikerInnen bringt Engagement
uns per Video und gestalten das Programm.         und Dynamik hinein. Hier Stimmen aus dem
So entsteht der folgende Ablauf:                  Feedback:
                                                  „…innovative und tolle Durchführung
Professorin Verena Begemann (Uni Hanno-           der Veranstaltung...“
ver) hält den Eröffnungsvortrag zum Thema:
„Haltungsbilder in der hospizlichen Sozialar-     „...ich bin sehr interessiert an weiterem
beit“.                                            Austausch...“

Anschließend teilen sich die ca. 60 Teilneh-      „...freue mich über die anvisierte Ver-
menden (Studierende und PraktikerInnen aus        netzung, dies habe ich bisher in meiner
ganz Niedersachsen) in Workshops auf:             Berufsgruppe vermisst…“

Workshop 1: Soziale Arbeit in Palliative Care     „…wir sind erfüllt von der Resonanz
im Krankenhaus                                    und freuen uns auf weitere Begegnun-
W Leitung: Anke Meier, Sozialdienst an der       gen…“
   Medizinischen Hochschule Hannover
                                                  Auch wenn es für mich eine große Herausfor-
                                                                                                   „Wir möchten in
Workshop 2: Soziale Arbeit in Palliative Care     derung gewesen ist, so freue ich mich sehr,
– ambulante Hospizarbeit                          an diesem ersten Fachtag teilgenommen zu         Niedersachsen
W Leitung: Petra Scholz-Marxen, Koordinato-      haben. In meinem Workshop ist deutlich           einen Beitrag
   rin und Geschäftsführerin der Hospizarbeit     geworden, dass KollegInnen aus stationä-
                                                                                                   zur Vernetzung
Braunschweig e.V.                                 ren Hospizen sich weiter vernetzen und aus-
                                                  tauschen wollen. Der Bedarf ist da, bisher       von Sozial­
Workshop 3: Soziale Arbeit in Palliative Care     gibt es noch viel zu wenig Untersuchungen        arbeiterinnen im
– stationäre Hospizarbeit                         in diesem Bereich, z.B. ob alle vorgesehen
W Leitung: Brigitte Werner, stellvertretende     Stellen für Soziale Arbeit wirklich auch mit     Gesundheitswesen
   Geschäftsführerin der Hospizarbeit Region      SozialarbeiterInnen besetzt sind oder welche     leisten, die am
   Wolfsburg e.V.                                 Schwerpunktaufgaben Soziale Arbeit in den
                                                                                                   Ende des Lebens
                                                  verschiedenen Hospizen übernimmt.
Workshop 4: Soziale Arbeit in Palliative Care                                                      tätig sind.“
aus berufspolitischer Sicht                       Es sollen weitere Fachtage folgen, der nächste
W Leitung: Sindy Herrmann, ehemalige Spre-       ist schon für den 4. Juni 2021 geplant.
   cherin der Sektion Soziale Arbeit der Deut-
   schen Gesellschaft für Palliativmedizin                                   Brigitte Werner

Workshop 5: Soziale Arbeit in Palliative Care
im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit
W Leitung: Rosemarie Fischer, Referentin in
   der Geschäftsstelle vom Landesstützpunkt
   Hospizarbeit und Palliativversorgung Nie-
   dersachsen e.V., Celle

Hospizbrief Ausgabe 1/2021
20
 Aus dem Hospizhaus

Hospiz und Lockdown:

„Wir wollen wieder Leben im Hospiz“
„Es ist uns gelungen, unseren Gästen und den Angehörigen auch in der schwierigen
Lockdown-Phase ein Zuhause zu bieten.“ Sichtlich stolz blicken Brigitte Werner und
Lucas Weiß auf die vergangenen Monate zurück. „Das ist eine tolle Gemeinschafts-
leistung des gesamten Teams gewesen“, loben die beiden Geschäftsführer des Hos-
pizvereins. Aber alle sehnen sich danach, ihr „altes“ Hospiz wieder zu bekommen.

                                                                           man, so der Geschäftsführer, in Absprache
                                                                           mit dem städtischen Gesundheitsamt sofort
                                                                           im Rahmen einer Teilschließung reagiert.

                                                                            „Das Ergebnis zeigt: Unsere Maßnahmen
                                                                            haben gewirkt“, findet Lucas Weiß. Mas-
                                                                            ken, Abstand, Desinfektion, Lüften, Testen,
                                                                            Impfung - alle Mitarbeiterinnen und Mitar-
                                                                            beiter hätten sehr diszipliniert mitgezogen.
                                                                            So konnte die stationäre Hospizarbeit stabil
                                                                            und sicher gehalten werden. „Wir wollten
                                                                            auch in dieser Zeit ein so offenes Haus wie
                                                                            möglich bleiben“, nennt Brigitte Werner die
                                                                            Herausforderung. „Ein Hospiz muss immer
                                                                            die Möglichkeit bieten, dass Gäste Besuch
Brigitte Werner und
                        160 Menschen hat das Hospiz im vergange-           bekommen können“, unterstreicht sie. Lucas
Lucas Weiß sind
nicht nur für das       nen Jahr im Haus in der Eichendorffstraße          Weiß betont, dass bei all der Belastung die
hauptamtliche Team      betreut. Das sind fast 70 Gäste mehr gewe-         Pflege und Hauswirtschaft liebevoll und voller
voll des Lobes, sie     sen als im Jahr zuvor. Diese Zahlen belegen        Empathie ihre Gäste umsorgt hat.
möchten ausdrücklich    zudem, dass der einzelne Sterbende viel kür-
die Ehrenamtlichen      zer im Hopsiz verweilt hat. „Während 2019          Die beiden Geschäftsführer sind nicht nur für
mit einbeziehen, die
                        die Gäste im Durchschnitt 32 Tage bei uns          das hauptamtliche Team voll des Lobes, sie
zu allen Zeiten frei-
willig und mit viel     verbracht haben, sind es 2020 lediglich 17         möchten ausdrücklich die Ehrenamtlichen mit
Engagement überall      Tage gewesen“, berichtet Lucas Weiß.               einbeziehen, die zu allen Zeiten freiwillig und
dort geholfen haben,                                                       mit viel Engagement überall dort geholfen
wo Unterstützung        So weit die nüchternen Zahlen. Aber dahinter       haben, wo Unterstützung gefragt gewesen
gefragt gewesen ist.    steckt eine enorme Belastung für alle Beschäf-     ist.
                        tigten der Pflege, der Hauswirtschaft, des Sozi-
                        albereichs und der Verwaltung. „Unsere Mit-        Aber die Geschäftsführer wissen, alle sehnen
                        arbeiter haben im Schnitt jeden zweiten Tag        sich danach, dass das „alte Leben“ wieder
                        einen Sterbefall“, verdeutlicht Brigitte Werner.   ins Hospiz kommt. Während der gesamten
                        An einem Wochenende seien gleich acht Men-         Corona-Zeit mussten alle Gemeinschafts-
                        schen verstorben, ergänzt Lucas Weiß.              aktivitäten vom Spiele-Nachmittag bis zum
                                                                           gemeinsamen Fußballschauen im Fernsehen
                        Und die Aufnahme neuer Gäste funktioniert          ebenso ausfallen wir Sommerfeste oder kul-
                        in Pandemie-Zeiten ebenfalls nicht so ein-         turelle Angebote. Insbesondere die zwischen-
                        fach. Schließlich dürfen die strengen Coro-        menschliche Nähe leidet unter der Pandemie.
                        na-Schutzmaßnahmen nicht vernachlässigt            Lucas Weiß: „Hospiz ohne soziale Kontakte,
                        werden. Einen einzigen positiven Corona-Fall       geht eigentlich gar nicht.“
                        habe es in all den Monaten gegeben. Da habe                                          Willi Dörr

                                                                                                        Hospizbrief Ausgabe 1/2021
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