Ein Jahr Gewässerforschung - Jahresforschungsbericht 2020 - IGB Berlin
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Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Ein Jahr Gewässerforschung Jahresforschungsbericht 2020 Ökosystem- leistungen Wie wir Gewässer besser schützen und nachhaltig bewirtschaften Biodiversität können Wie Arten überleben und was die aquatische Vielfalt fördert Globaler Wandel Wie Ökosysteme und Lebens- gemeinschaften widerstandsfähiger werden
Angelfischerei Aquakultur und Aquaponik Biodiversität Dialog und Transfer Gewässerökosysteme Forschen für die Zukunft Nutzung und Management unserer Gewässer Das IGB ist das größte deutsche und eines der international führenden Zentren für die Binnengewässerforschung. Unsere Vision ist es, aquatische Systeme in all ihrer Komplexität zu verstehen und mit diesem Forschungswissen den nach- Schadstoffe und Belastungen haltigen Umgang mit gewässerbasierten Ressourcen und Ökosystemen zu unterstützen. Wir denken: Wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf exzellenter Forschung beruhen, sind eine zentrale Grundlage für kluge Entscheidungen. Ein besseres Verständnis der Gewässer und all ihrer ökologischen Aspekte unterstützt Politik und Gesellschaft dabei, globalen Herausfor- Umweltwandel derungen zu begegnen und Gewässer zum Wohl von Mensch und Natur zu nutzen und zu erhalten. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen ausgewählte Forschungsergebnisse und Aktivitäten aus dem Jahr 2020 vor. Sie sind zehn Themenbereichen zugeordnet, in denen wir alles Verhaltensbiologie und Schwarmintelligenz bündeln, was für Sie rund um unsere Forschungsarbeit inte- ressant sein könnte. Zu den einzelnen Themen finden Sie auf unserer Website weitere Informationen, Materialien, Fachleute sowie Hintergründe und aktuelle Meldungen. Wasser- und Stoffkreisläufe Wir wünschen viel Freude beim Lesen und Entdecken!
Inhalt 9 Forschung 9 Ökosystemleistungen Mehr als eine Millionen Barrieren zerschneiden Europas Flüsse – nur ein Beispiel dafür, wie intensiv wasserbasierte Ressourcen und Ökosysteme vom Menschen genutzt 4 und beeinflusst werden. Forschende Vorwort am IGB wollen genau wissen, welche Ökosystemleistungen Seen, Flüsse und ihre Auen erbringen, wie sie auf IGB-Direktor Luc De Meester blickt auf verschiedene Nutzungsarten reagie- sein erstes Jahr am Institut zurück. Es ren und wie wir sie besser schützen waren in vielerlei Hinsicht besondere 12 können. Unsere Erkenntnisse Monate, in denen die globalen Heraus- sollen dazu beitragen, natürliche forderungen unserer Zeit noch deutlicher Ressourcen künftig nachhaltiger zu geworden sind. Trotz aller bekannten bewirtschaften – in Fischerei und Einschränkungen haben Forscher*innen Aquakultur, bei der Binnenschifffahrt am IGB auch 2020 Experimente durch und Energiegewinnung oder bei geführt, Daten gesammelt sowie aus Freizeitaktivitäten. gewertet, unzählige Videokonferenzen geführt und gemeinsam neues Wissen gewonnen – all das, um Umwelt veränderungen nachhaltig zu begegnen und Gewässer und ihre Lebensge 19 Biodiversität meinschaften besser zu schützen. Binnengewässer beherbergen eine einzigartige Vielfalt an Lebewesen, 6 die komplexe Gemeinschaften Nachrichten bilden. Doch sie sind bedroht: Gene, Populationen, ganze Arten und Lebensräume verschwinden im Gute Neuigkeiten aus unserer Forschung. Süßwasser deutlich schneller als an Land oder im Meer. Dieser Verlust gefährdet auch das menschliche Wohlergehen und bleibt dennoch zu häufig unbemerkt. Um die biologische Vielfalt zu schützen und zu erhalten, entschlüsseln IGB-Wissenschaftler*innen die Rätsel und Anpassungsstrategien unterschiedlichster Süßwasser organismen – vom aquatischen Bakterium Achromatium oxaliferum über den Stör bis hin zu ganzen Fischschwärmen. Sie erkunden, was deren Vielfalt ermöglicht oder gefährdet; wie es etwa invasiven Arten gelingt, sich zu etablieren oder wie sich die Corona-Pandemie auf die globalen Fischbestände auswirkt. 2 Jahresforschungsbericht 2020
Inhalt 36 Extra: Datenschatz Internet Um wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren, brau- chen Forscherinnen und Forscher Daten. Zwei neue F orschungszweige, Culturomics und iEcology, nutzen dafür das Internet. Das bietet viele Chancen, insbesondere auch für die Erforschung aquatischer Lebens räume. Fotos: Porträt De Meester u. Biodiversität © David Ausserhofer; Nachrichten © Solvin Zankl; Ökosystemleistungen © Francisco Kemeny/unsplash; Globaler Wandel © Lukas Kleine/IGB; Social Media © Dmytrenko Vlad/Shutterstock; Jahresrückblick/Aquacosm © Frederico Cheda 46 27 Globaler Wandel Über uns Gewässer reagieren sensibel auf Klima- und Umweltveränderungen, 46 2020 in Zahlen z.B. auf steigende Temperaturen 48 Köpfe und extreme Wetterereignisse, 52 Publikationen aber auch auf zu viele Nähr- und 53 Finanzen Schadstoffe, die in Flüsse und Seen gelangen. Manche Gewässer 54 Struktur trocknen temporär aus, schrumpfen 56 Impressum oder verschwinden dauerhaft. Einige 39 leiden unter Überdüngung und Jahresrückblick entwickeln intensive Algenblüten. Aus anderen entweichen Treibhaus- Zwölf Monate am IGB, prall gefüllt mit gase, die die globale Erwärmung gestarteten Projekten und Initiativen zusätzlich beschleunigen. Wir wollen sowie zumeist virtuellem Austausch. verstehen, was die Widerstandskraft von Ökosystemen und Lebens gemeinschaften fördert und wie die Anpassung an den Klimawandel gelingen kann. Forschende am IGB analysieren, wie sich z.B. das wenige Niederschlagswasser während Dürren verteilt oder was gegen die Eutrophierung von Seen und die Massenentwicklung von Cyano bakterien helfen könnte. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 3
Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s | Luc De Meester Liebe Leserin, lieber Leser, ich habe lange mit mir gerungen: sionalität und das Engagement aller Mit- ginnen und Kollegen – mehr als früher – Coronavirus oder kein Coronavirus in arbeitenden wider. Dennoch hätte ich mit Arbeit und Betreuungspflichten diesem Vorwort? Muss ich Ihnen wirklich mir zu Beginn meines ersten Jahres viel jonglieren. erzählen, dass 2020 das (erste) Jahr mit mehr Möglichkeiten für persönliche Be- dem Virus war, und dass auch das IGB be- sprechungen und engagierte Diskussio Die weltweite Pandemie hat vielen Men- troffen ist? Dass viele Abläufe und Rou- nen in größeren Gruppen gewünscht – schen bewusst gemacht, wie wichtig tinen plötzlich hinfällig waren? Dass ich Aspekte unserer Arbeit, die unter unserer verlässliche wissenschaftliche Erkennt- mir mein erstes Jahr am Institut etwas virtuellen Arbeitsweise gelitten haben. nisse und Empfehlungen sind. Zugleich anders vorgestellt hatte? Nun, ich bin zu Ich hatte nur wenige Gelegenheiten, sind zwei zentrale Herausforderungen, dem Schluss gekommen, dass ich nicht mich zum Mittagessen in einen der So- vor denen die Welt steht, vorübergehend drum herum komme, denn das Corona- zialräume des Instituts zu setzen, bevor etwas vom Radar verschwunden, obwohl virus hat und wird unsere Forschung und es auf den Fluren des IGB sehr leer und sie drohender denn je sind: der Klima- unser Denken über Krisen beeinflussen. still wurde. Und obwohl viele die Gele- wandel und die tiefe Biodiversitäts- und genheit nutzten, um sich in die Daten- Naturkrise. Für mich fühlten sich 2019 Foto: Porträt De Meester © David Ausserhofer Zwei Worte fassen für mich die Zeit der analyse und das Schreiben zu vertiefen, und 2020 wie zwei Jahre an, in denen Pandemie ganz gut zusammen: Hoff- hat COVID-19 unsere Forschung doch der Klimawandel mehr denn je außer nung und Verzweiflung. Hoffnung, weil massiv beeinflusst. Als ökologisches In- Kontrolle geriet – mit den immer größer sich die Arbeitsweise des IGB in Zeiten stitut sind wir stark auf Feldarbeit und werdenden Bränden in Kalifornien, Aus- des Coronavirus als sehr widerstands- Experimente angewiesen, auch auf groß tralien und dem Amazonas, den Hitze- fähig erwiesen hat – wir haben unsere angelegte Versuche mit internationa- wellen und anhaltenden Dürren, einem Arbeit flexibel reorganisiert, Protokolle len Gastwissenschaftler*innen. Und ge- Temperaturrekord nach dem anderen. Es für den Umgang mit der Pandemie ent- rade neue Doktorierende und Post war verheerend zu sehen, wie das Pan- wickelt, Kolleginnen und Kollegen unter- doktorand*innen, die empirische Daten tanal, das größte Feuchtgebiet der Welt stützt, die von zu Hause aus arbeiten, und sammeln mussten, haben sehr gelitten. und eines der artenreichsten Systeme alle wesentlichen Funktionen aufrechter- Das werden wir in den nächsten Jahren weltweit, brannte. Süßwassersysteme halten. Ich hoffe, das spiegelt die Profes- spüren. Und sicher mussten viele Kolle- gehören zu den am stärksten bedrohten 4 Jahresforschungsbericht 2020
Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s Lebensräumen der Erde. Daten belegen unter Druck? Was kann man tun, um und uns hilft, unser Forschungswissen in einen rasanten Rückgang der Artenviel- sie zu erhalten und nachhaltig zu be- die Praxis zu übertragen. falt im Süßwasser in den letzten Jahr- wirtschaften? Nur ein Beispiel: Europas zehnten. Kein schönes Bild! Diese Krisen Flüsse sind durch nicht weniger als eine Apropos Praxis: Es war eine Freude, mit dürften schädlicher als COVID-19 sein, Million Barrieren fragmentiert, was, wie so vielen engagierten Partnern und Sta- wirken sich aber weniger akut auf uns man sich vorstellen kann, enorme Aus- keholdern zusammenzuarbeiten, die un- Menschen aus und machen die Welt wirkungen auf ihre Struktur und Funk- sere Forschungs-, Lehr- und Transferakti- dennoch allmählich zu einem viel weni- tion hat und viele Arten in Gefahr bringt. vitäten unterstützt und inspiriert haben ger angenehmen Ort zum Leben. Dieser Unsere Erkenntnisse sind wichtig, um und die das von uns gewonnene Wissen schleichende Prozess dürfte es erschwe- den Zielkonflikt zwischen Binnenschiff- nutzen. Was mich zu einer weiteren Aner- ren, die zahlreichen gesellschaftlichen fahrt, Energieerzeugung und Nahrungs- kennung führt: Nur dank der finanziellen Reformen durchzusetzen, die notwendig mittelproduktion einerseits und dem und praktischen Unterstützung der Ber- sind, um zum Beispiel unsere Energiever- Schutz der Umwelt und der Erhaltung liner Senatskanzlei für Wissenschaft und sorgung neu zu organisieren, und den von Natur und Biodiversität andererseits Forschung und des Bundesministeriums Druck massiv zu reduzieren, den wir auf in Einklang zu bringen. für Bildung und Forschung (BMBF) kann die natürlichen Systeme ausüben. das IGB überhaupt arbeiten. Nach einem Auf p Seite 19 widmen wir uns den Jahr, meist vor dem Computerbildschirm, Aber es gibt Hoffnung. Erstens dürfte Treibern und Folgen der aquatischen bin ich noch recht neu im deutschen und die Pandemie zu einem gesteigerten Biodiversität. Forschende am IGB ent- Berliner Forschungssystem. Allerdings Bewusstsein dafür geführt haben, dass schlüsseln die Geheimnisse und Anpas- habe ich bereits die große Unterstützung die globalisierte Welt ein fragiler Ort ist, sungsstrategien ganz unterschiedlicher des Wissenschaftlichen Beirats des Insti- und sie hat gezeigt, dass es tatsächlich Süßwasserorganismen – von Riesen- tuts erfahren, mit dem wir schon einige möglich ist, Veränderungen umzusetzen, bakterien wie Achromatium oxaliferum sehr inspirierende Diskussionen geführt die man vorher für unmöglich gehalten bis hin zur aquatischen Megafauna wie haben. Ich habe auch den starken Mehr- hätte. Zweitens gibt es zumindest die Störe. Was fördert oder bedroht ihre Viel- wert der Verbünde und Netzwerke erlebt, Absicht, unsere Wirtschaft bei ihrem falt? Unsere Arbeit trägt dazu bei, eine in die wir eingebettet sind, vor allem die Neustart in Richtung Nachhaltigkeit wissenschaftliche Grundlage für die professionelle gemeinsame Verwaltung zu lenken. Es bleibt zu hoffen, dass dies stärkere Berücksichtigung der Süßwas- des Forschungsverbundes Berlin und die mehr als nur ein kleiner Anstoß ist, ein ser-Biodiversität in nationalen und inter- Leibniz-Gemeinschaft. echter Vorstoß für ein Gleichgewicht mit nationalen Regelwerken zu entwickeln. unseren globalen natürlichen Ressour- Wir am IGB sind stolz auf das, was wir cen und den Ökosystemen der Welt. Da- Der globale Wandel und dessen Auswir- tun. Gerade in diesem Jahr kann nicht bei wird es sehr wichtig sein, sich nicht kungen auf Ökosysteme und Lebensge- oft genug betont werden, dass alle am allein auf technische Lösungen zu ver- meinschaften ist ein weiterer wichtiger IGB einen hervorragenden Job gemacht lassen, sondern auch die regulierenden Forschungsschwerpunkt am IGB. Wo haben. Sie haben sich um ihre Kollegin- Ökosystemleistungen zu verbessern und bleibt das Wasser bei einer Dürre? Haben nen und Kollegen gekümmert, sie bei damit die Resilienz zu fördern. Süßge- wir die CO2-Emissionen aus trockenen Laune gehalten, mich in meinem ersten wässer spielen bei diesen regulierenden Binnengewässern unterschätzt? Können Jahr unterstützt, andere neue Mitglieder Ökosystemleistungen eine Schlüsselrol- Pilzparasiten helfen, Cyanobakterien bestmöglich willkommen geheißen und le. Das IGB ist gerne bereit, diesen Wan- in zunehmend wärmeren Seen einzu- „einfach“ ihren Job gemacht, obwohl wir del mit seiner Expertise zu unterstützen. dämmen? Und wie kann Phosphor in alle die täglichen sozialen Interaktionen Auf den folgenden Seiten skizzieren wir Gewässern zurückgehalten werden, um – vom Plaudern bis zum Brainstorming – einige unserer Ergebnisse, die die zent- Eutrophierung zu vermeiden? Unsere vermissen, die diesen Job so viel lohnen- ralen Themen unserer Mission auf den neuesten Erkenntnisse zu Themen wie der machen. Punkt bringen. Sie zeigen einige der diesen stellen wir ab p Seite 27 vor. wichtigsten wissenschaftlichen Erkennt- In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine nisse, die wir darüber gewonnen haben, Forschung am IGB beruht auf dem Ver- angenehme und inspirierende Lektüre wie natürliche Systeme funktionieren ständnis, dass die Ergebnisse wissen- dieses jährlichen Forschungsberichts, und wie sie auf Stressoren und Manage- schaftlicher Projekte grundsätzlich allen entweder als gedrucktes Exemplar oder mentmaßnahmen reagieren. Die Beiträ- Interessierten zur Verfügung stehen als elektronische Version. ge verdeutlichen auch, wie wichtig diese sollen. Dieser jährliche Forschungsbe- Erkenntnisse und Aktivitäten sind, um richt ist ein Versuch – neben vielen ande- Ihr die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. ren –, dies zu erreichen. Wir freuen uns, wenn er eine gewisse Resonanz in der Ab p Seite 9 konzentrieren wir uns auf wissenschaftlichen Gemeinschaft und die Ökosystemleistungen unserer Flüs- bei anderen gesellschaftlichen Akteuren se, Auen und gewässerbasierten Res- erzeugt. Und wir freuen uns noch mehr, Luc De Meester sourcen. Welche Phänomene setzen sie wenn er zu neuen Partnerschaften führt Direktor Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 5
Nachrichten Außeruniversitäre IUCN EICAT- Forschung in und für Berlin Standard eingeführt Invasive gebietsfremde Arten gelten weltweit Im Februar 2020 schlossen als eine der Hauptursachen für den sich fast alle außeruniver Verlust der biologischen Vielfalt. sitären Institute und Zentren Will man Managementmaßnahmen im Berliner Raum zur Initiati- zum Schutz der einheimischen Bio- ve BR50 (Berlin Research 50) diversität ergreifen, muss man diese zusammen. Sie soll vor Ort Auswirkungen zunächst besser ver- stehen. Sind zum Beispiel die Res- die Zusammenarbeit mit sourcen knapp, ist es sinnvoll, dem den Universitäten und den Management jener gebietsfremder Austausch mit Gesellschaft Arten Priorität einzuräumen, die die und Politik fördern und dar- schädlichsten Auswirkungen haben. über hinaus eine Dialogplatt- form für die beteiligten Instituti- Aus diesem Grund hat die Weltna- turschutzunion (IUCN) die Environ- onen bereitstellen. Das Interesse an mental Impact Classification for dieser Vernetzung ist groß – insbesondere Alien Taxa (EICAT) entwickelt. EICAT um bei übergeordneten Themen gemeinsam auftreten ist ein einfaches und objektives In- zu können. Von dieser Kooperation sollen aber nicht nur strument, das gebietsfremde Arten die Forschungseinrichtungen selbst profitieren, sondern nach Schwere und Art ihrer bekann- auch die Politik, die Hochschulen und die Öffentlichkeit. ten Umweltauswirkungen klassifi- ziert. Für die Entwicklung und Um- BR50 ist Ansprechpartner, Multiplikator und Katalysator Fotos: Berlin © Werner März/Pixabay; ZALF © suze/photocase; IUCN © IUCN YouTube Channel/Animation Riccardo Scalera; setzung des neuen Standards ist die für aktuelle wissenschaftliche und auch gesellschaftli- Grundstein © Glass Kramer Loebbert BDA Gesellschaft von architekten; Invasionsbiologie © Webseite hi-knowledge.org EICAT-Authority verantwortlich. Sie che Fragen. Als Mitgliedsinstitution mit von der Partie: besteht derzeit aus zehn interna- das IGB. tionalen Expert*innen für biologi- sche Invasionen, darunter die IGB- Mehr erfahren p www.br50.org Wissenschaftler Thomas Evans und Jonathan Jeschke. Prof. Dr. Luc De Meester, luc.demeester@igb-berlin.de In einem Video stellt die IUCN den neuen EICAT-Standard vor p https://youtu.be/7GAax3xakJs Dr. Thomas Evans, evans@igb-berlin.de Prof. Dr. Jonathan Jeschke, querFELDein jeschke@igb-berlin.de Die Online-Wissensthek querFELDein der Leibniz-Gemein- schaft bündelt Fakten, News und Ideen rund um die Land- wirtschaft der Zukunft. Wie sehen nachhaltige Anbausysteme aus? Was leistet die Digitalisierung auf dem Acker, was der Ökolandbau? Wie wird die Aquakultur der Zukunft aussehen? Welche Auswirkungen hat die Lichtverschmutzung auf die Landwirtschaft? Sie ahnen es: Das IGB ist ebenfalls mit Themen vertreten. Initiiert wurde das Projekt vom Leibniz- Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Wissen finden p https://quer-feld-ein.blog/ 6 Jahresforschungsbericht 2020
Nachrichten Grundstein für gemeinsames Gebäude von IGB und FU Im Dezember 2020 wur- de der Grundstein für das Gemeinsame Wissenschafts- gebäude Biodiversität auf dem Forschungscampus Berlin-Dahlem gelegt. Das Kooperationsprojekt von IGB und Freier Universität Berlin soll Forschung und Lehre zum Zukunftsthema Biodiversität vernetzen und stärken. Bislang sind es vor allem die gemeinsa- Navigationshilfe für den Hypothesendschungel Wie und warum werden manche gebietsfremde Arten invasiv, andere jedoch nicht? Zu dieser und anderen Fragen hat das Fachgebiet der Invasionsbiologie viele Hypothesen und Konzepte parat – einige davon überlappen sich, manche sind sogar wider sprüchlich. Ein internationales Team unter der Leitung von IGB und men Professuren, über die der der Freien Universität Berlin bietet Orientierungshilfe. spontane Fachaustausch vor Ort stattfindet. Das neue, fünf- Die Forschenden definierten 39 Invasionshypothesen und grup- eckige Gebäude soll diesem pierten sie in Cluster, die jeweils eine bestimmte Perspektive auf Austausch im Wortsinne mehr biologische Invasionen einnehmen. So vereint zum Beispiel der Raum geben und über 100 Trait cluster Hypothesen, die einen Schwerpunkt auf die biologi- Biodiversitätsforscher*innen schen Eigenschaften invasiver Arten legen, wohingegen der Propa und Studierende zusammen- gule cluster Hypothesen enthält, die sich auf den Faktor Mensch be- bringen. Wenn es 2023 fertig ziehen, insbesondere wie häufig und in welcher Anzahl Individuen ist, wird es nicht nur der Um- oder Populationen gebietsfremder Arten durch Menschen einge- weltforschung dienen, sondern führt werden. Daraus entstand eine interaktive Übersichtskarte für auch strengen Umweltstan- die Invasionsbiologie, die seit Juni 2020 online frei zur Verfügung dards folgen. Derweil geht steht. Nutzer*innen können in die wichtigsten Konzepte und Hy- die Biodiversitätsforschung pothesen hineinzoomen sowie Studien und Meta-Daten auffinden. an den bisherigen Standorten Im September 2021 startet das Team ein neues Projekt, aus dem das weiter. Wir freuen uns auf die Wissensportal enKORE (EvolviNg Knowledge REsource) entstehen gemeinsame, interdisziplinäre soll. EnKORE wird modernste Visualisierungstechniken, künstliche Zukunft. Intelligenz und neuartige Methoden zur Wissenssynthese anwen- den. Navigationshilfen für verwandte Disziplinen wie die Stadt- Prof. Dr. Luc De Meester, ökologie, die Renaturierungsökologie oder andere Teilbereiche der luc.demeester@igb-berlin.de Biodiversitätsforschung sind ebenfalls denkbar. Hi Knowledge 2.0 finden Sie online unter p www.hi-knowledge.org Prof. Dr. Jonathan Jeschke, jeschke@igb-berlin.de Enders, M., et al. (2020). A conceptual map of invasion biology: integrating hypotheses into a consensus network. Global Ecology and Biogeography, 29(6), 978-991. https://doi.org/10.1111/geb.13082 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 7
Nachrichten Citizen Science Projekt ausgezeichnet Das Projekt „Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung“ (AuBe) wurde im Oktober 2020 als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt aus- gezeichnet. „Lieber ein atemberaubender Sternenhimmel als artenberaubende Straßenleuchten“, das ist das Credo des AuBe-Teams, zu dem Forschen- de und Bürgerwissenschaftler*innen gleicher- maßen zählen. In den Kommunen Neuglob- sow und Gülpe (beide BB), Krakow am See (MV) und Fulda (HS) untersuchen sie, welche Insektenarten durch Straßenbeleuchtung be- einträchtigt werden und wie umweltgerechte Praxisleitfaden zum Streuabbau in Gewässern Beleuchtungslösungen aussehen könnten. Gemeinsam werden Fallen aufgestellt und geleert, Insekten bestimmt und die Nacht- himmelshelligkeit gemessen. In Interviews Nichts als welke Blätter? Der Abbau von Pflanzenstreu wird erhoben, wie die Anwohnerschaft und ist nach der Produktion von Biomasse durch Pflanzen Besuchende das Straßenbeleuchtungsdesign der bedeutendste Ökosystemprozess der Biosphäre. Mark Gess- empfinden. Die Forschenden gehen davon ner und Kolleg*innen aus Kanada und Portugal haben eine neue aus, dass weniger Licht dem Wohlbefinden Auflage ihres umfassenden Methodenbuchs zum Streuabbau in aller dient – dem der Insekten und dem der Gewässern herausgegeben. Der Praxisleitfaden Methods to Study Menschen. Litter Decomposition richtet sich an Studierende ebenso wie an Forscherinnen und Forscher, die ihren methodischen Werkzeugkas- Mehr Informationen unter ten erweitern wollen. Einen besonderen Schwerpunkt legt die stark p www.tatort-strassenbeleuchtung.de erweiterte und überarbeitete 2. Ausgabe auf die Fließgewässer. In Twitter p @AubeNews 63 Kapiteln auf 600 Seiten widmen sich die Autor*innen dem Um- Facebook p @AubeProjekt satz der Pflanzenstreu in Ökosystemen, chemischen und physika- Instagram p @aubenews lischen Streueigenschaften, der Bestimmung, Quantifizierung und Aktivität von Mikroorganismen (Pilze und Bakterien) und streukon- Dr. Sibylle Schroer, sumierender wirbelloser Tiere sowie der Datenanalyse. schroer@igb-berlin.de Prof. Dr. Mark Gessner, gessner@igb-berlin.de PD Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de Bärlocher, F., et al. (Eds.). (2020). Methods to study litter decomposition. A practical guide (2nd ed.). Springer International Publishing. Projekt: AuBe – Artenschutz durch umwelt- verträgliche Beleuchtung, Laufzeit: 06/2019- Fotos: AuBe © David Ausserhofer; Streuabbau © Solvin Zankl 05/2025, Gefördert durch: BfN und BMU Im Rahmen der Auftaktveranstaltung des Projekts nahm das Team die Auszeichnung in GEWÄSSER-NEWS Neuglobsow entgegen. Sie interessieren sich für Gewässerforschung und möchten wissen, welche neuen Aktivitäten es am IGB gibt? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter, der Ihnen alle zwei Monate Informationen rund ums IGB und unsere Themen ins Postfach liefert. Jetzt anmelden p www.igb-berlin.de/newsletter 8 Jahresforschungsbericht 2020
Zerschnittene Flüsse p Seite 10 Risiko Wasserkraft p Seite 14 Empfehlungen für die Ausbau Angelfischerei an der Oder p Seite 16 p Seite 16 Nachhaltige Therapien für die Aquakultur p Seite 17 Neues über Licht- verschmutzung p Seite 18 Ökosystemleistungen Gewässer schützen und nachhaltig nutzen Mehr als eine Millionen Barrieren zerschneiden Europas Flüsse. Das hat enorme Auswirkungen auf die natürlichen Lebensräume, aber auch auf die Funktionen der Gewässer. Und es ist nur ein Beispiel dafür, wie intensiv wasserbasierte Ressourcen und Ökosysteme vom Menschen genutzt und beeinflusst werden. Forschende am IGB wollen genau wissen, welche Ökosystemleistungen Seen, Flüsse und ihre Auen erbringen, wie sie auf verschiedene Nutzungsarten reagieren und wir wir sie besser schützen können. Unsere Erkenntnisse sollen dazu beitragen, natürliche Ressourcen nachhaltiger zu bewirtschaften – in Fischerei und Aquakultur, bei der Binnenschifffahrt oder Energiegewin- nung sowie bei Freizeitaktivitäten. Foto: Frank Masese Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 9
Fo r s c h u n g | Im Zeichen des Klimawandels Verstopfte Lebensadern: zu viele Barrieren in Europas Flüssen Im Fluss Lim (Bosnien und Herzegowina) verhindert ein Seil mit Kanistern, dass Müll in die Turbinen eines flussabwärts gelegenen Wasserkraftwerks gelangt. Das EU-Forschungsvorhaben AMBER deckte zahlreiche kleine selbstgebaute Barrieren, etwa einen 2020 auf, wie zerstückelt unsere Flüsse sind: Meter hoch, die einst errichtet wurden, um im Fluss 1,2 Millionen Querbauwerke zerschneiden Europas besser fischen oder schwimmen zu können. Niemand Fließgewässer, davon etwa 225.000 in Deutsch- wusste, dass diese Barrieren existieren. land. Helena Huđek und Martin Pusch überprüf- ten in 15 Ländern vor Ort, inwieweit behördliche Welche Auswirkungen haben Barrieren auf die Fließge- Angaben mit der tatsächlichen Zahl an Barrieren wässer? übereinstimmen. Die Doktorandin und der sie be- treuende Gewässerforscher berichten über den Helena Huđek: Sie zerschneiden den Fluss, das heißt, Fi- Zustand der Flüsse, und wie man sie wieder zum sche können die Barrieren nicht überwinden. Wandern- Fließen bringt. de Fischarten müssen zum Ablaichen stromaufwärts schwimmen, gelangen aber nicht mehr dorthin… Frau Huđek, Herr Pusch, Sie haben für AMBER Querbau- Martin Pusch: … und die vorhandenen Fischtreppen werke in Flussläufen in Deutschland und 14 weiteren funktionieren meist nicht. Sie führen oft zu wenig Fotos: Müllbarriere © Helena Huđek; Porträt Pusch © David Ausserhofer; Porträt Huđek © privat europäischen Ländern gezählt. Warum? Wasser, sind außerdem oft zu steil, und die Fische können ihren Eingang nur schlecht finden. Dämme und Martin Pusch: Das Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, Wehre haben außerdem zur Folge, dass der Sediment- einen europäischen Atlas bestehender Querbauwerke transport unterbrochen wird. Dadurch bilden sich keine in Flüssen zu erstellen. Aus den EU-Mitgliedsländern frischen Kiesbänke im Flussbett, die für eine erfolgreiche wurde hierzu eine offizielle Zahl von insgesamt 630.000 Fortpflanzung etwa von Forellen notwendig sind, und Barrieren gemeldet. Weil die Statistiken der Behörden außerdem für die natürliche Selbstreinigungsfunktion erfahrungsgemäß unvollständig sind, haben wir in 15 der Flüsse. Ländern durch Fahrten entlang der Flüsse erfasst, wie hoch die tatsächliche Zahl der Bauwerke ist. Daraus Warum wurden in Europas Flüssen so viele Barrieren wurde dann eine realistischere, aber immer noch kon- gebaut? servative Zahl errechnet: 1,2 Millionen Barrieren in Eu- ropas Flüssen, davon in Deutschland 225.000 Barrieren, Martin Pusch: Die ältesten Querbauwerke stammen von denen 179.000 den Behörden bekannt waren. aus dem Mittelalter und dienten dazu, Mühlen zu Helena Huđek: Ich habe die Barrieren in insgesamt 25 betreiben, die ab dem 20. Jahrhundert oft in kleine Flüssen in Deutschland, Tschechien und Ungarn sowie Wasserkraftwerke umgebaut wurden. Viele sechs Balkan-Ländern jeweils auf einer Länge von 20 andere Barrieren wurden gebaut, um die Kilometern dokumentiert. Wir haben alle Barrieren Auswirkungen von Flussbegradigungen erfasst, das heißt ihren Typ, ihre Nutzung, und ob in den zu kompensieren, die oft im Zuge Flüssen noch ausreichend Wasser fließt. landwirtschaftlicher Bodenverbes- serungsmaßnahmen durchgeführt Was haben Sie bei Ihren Erkundungen vorgefunden? wurden. Die Begradigung eines Baches oder Flusses führt ja wegen Helena Huđek: Wir haben viel mehr Barrieren entdeckt des erhöhten Gefälles unweigerlich zur als erwartet. Insbesondere in Tschechien fanden wir Tiefenerosion, das heißt, das Sediment 10 Jahresforschungsbericht 2020
Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g wird vom fließenden Wasser mitgeführt. Dadurch wird aufkaufen, das Gewässer verbreitern und in Kurven das Fließgewässer tiefer, und Ufer und Brückenfunda- legen. Das bedeutendste Beispiel in Deutschland für mente werden instabil. Um das zu vermeiden, verlegte eine solche Renaturierung ist die Lippe in Nordrhein- man viele Sohlschwellen, brachte also weitere Barrieren Westfalen, wo man mittlerweile auf langen Strecken in den Fluss. wieder einen schönen Fischbestand und eine sehr interessante dynamische Flussaue vorfindet. Welche aktuellen Entwicklungen sind besonders problematisch? Die Ergebnisse dieser Fluss-Bestandsaufnahme flossen direkt in die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 ein: Bis Helena Huđek: Auf dem Balkan gab es 2015 dahin sollen europaweit 25.000 Kilometer Flussläufe noch 590 Wehre für kleine Wasserkraft- von Querbauwerken befreit werden. Ist das realis- werke, inzwischen sind es über 1.300, die tisch? Zahl hat sich also binnen fünf Jahren mehr als verdoppelt. In den kommenden Jahren will man Martin Pusch: Das Ziel ist ambitioniert, weil viele weitere 3.000 Wasserkraftwerke bauen. Die geplanten Flüsse dazu ja auch renaturiert werden müssen, aber Wasserkraftwerke sind mit einer Kapazität bis zu zehn unserer Einschätzung nach machbar! Wir haben für Megawatt meist klein, sie erzeugen also wenig Strom. Europa bereits 27 Flüsse mit einer Gesamtlänge von Dennoch haben sie schlimme Auswirkungen, weil sie 5.500 Kilometern identifiziert, wo sich Querbauwer- oft das gesamte Bachwasser über lange Kanäle zu den ke mit eher geringem Aufwand abreißen lassen. Turbinen leiten, so dass weite Fließstrecken komplett trocken fallen, mit verheerenden Auswirkungen für Über welche Kosten sprechen wir dabei? das Leben darin. Der Bau kleiner Kraftwerke wird leider durch staatliche Subventionen gefördert, übrigens auch Martin Pusch: Die Renaturierung der genannten 27 in Deutschland. Flüsse wird etwa 315 Mio. € kosten, was umgerech- net auf die Einwohnerzahl der EU einen Betrag von Frau Huđek, wie würden Sie insgesamt das Bild beschrei- 70 Cent pro Bürger*in ergibt. Zum Vergleich: Die ben, das Sie vorgefunden haben? Landwirtschaft wird durch jede/n EU-Bürger*in mit etwa 100€ pro Jahr finanziell unterstützt. Dennoch Helena Huđek: Im Vergleich zu den Flüssen in Mitteleu- erscheinen die Kosten für Flussrenaturierungen ropa gibt es auf dem Balkan noch mehr naturbelassene zunächst einmal hoch. In einem neuen EU-Projekt- Flüsse, aber diese werden dort derzeit durch eine „Wel- antrag machen wir deswegen Vorschläge, wie man le“ von Wasserkraftwerken sehr schnell zerstört. Wir die Akzeptanz von Renaturierungsmaßnahmen bei haben gesehen, wie Flusswälder abgeholzt, natürliche der Bevölkerung erhöhen kann. Die Idee: den Leuten Flussbetten begradigt, neue Barrieren gebaut, Flüsse zu vermitteln, welche Vorteile sie davon haben, wenn kanalisiert wurden, wie Wasser verschmutzt und Müll in „ihr“ Fluss für viel Geld renaturiert wird. Diese so Flüssen abgelagert wurde, und standen vor ausgetrock- genannten Ökosystemleistungen sind beispielsweise neten Flussbetten. Diese Probleme verbreiten sich in der Rückhalt von Hochwasserwellen, die Stabilisie- der Balkanregion wie eine Krankheit, unberührte Flüsse rung des Grundwasserstands in Trockenperioden, verschwinden dort vor unseren Augen. bessere Selbstreinigung und ein größerer Erholungs- wert beim Spazierengehen, Angeln oder Baden. Sie und Ihre Kolleg*innen schlagen vor, möglichst viele Ein Positivbeispiel: ein renaturierter Abschnitt des vor allem kleinere Querbauwerke rückzubauen. Wo Flusses Ruhr in Arnsberg (NRW) hat sich zu einem lassen sich Barrieren am effektivsten entfernen? beliebten Fotohintergrund für frisch vermählte Paare entwickelt! Martin Pusch: Viele Querbauwerke werden tatsächlich nicht mehr genutzt, so dass man diese systematisch Das Gespräch führte Wiebke Peters. zurückbauen könnte. Auch viele der etwa 72.000 Verrohrungen hierzulande könnte man relativ einfach PD Dr. Martin Pusch, pusch@igb-berlin.de durch größere Unterführungsprofile ersetzen oder die Helena Huđek, hudek@igb-berlin.de Bäche wieder ans Tageslicht holen. Solche Verrohrun- gen finden sich überall, wo Straßen über Bäche geführt werden oder die Bäche bei anderen Nutzungen störten. Sie schrecken durch ihre glatte Oberfläche Fische, aber Belletti, B., et al. (2020). More than one million barriers auch andere Tiere wie den Fischotter ab. Wenn größere fragment Europe’s rivers. Nature, 588, 436–441. Querbauwerke abgerissen werden, ist es allerdings oft https://doi.org/10.1038/s41586-020-3005-2 auch notwendig, frühere Flussbegradigungen wieder rückgängig zu machen. Somit steht dann eine komplet- Projekt: Adaptive Management of Barriers in Euro- te Renaturierung an, damit der Bach oder Fluss wieder pean Rivers (AMBER), Laufzeit: 06/2016-09/2020, länger und flacher wird. Dafür muss man Ufergelände Gefördert durch: EU Horizon 2020 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 11
Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Weltweit werden Wildtiere durch Viehzucht verdrängt, so zum Beispiel Flusspferde durch Rinderherden in Kenia. | Foto: Frank Masese/ Clara Romero González-Quijano
Alles Mist? In Savannen gelangen über den Dung großer Weidegänger – wie zum Beispiel Flusspferde – terrestrische Nährstoffe und organischer Kohlen- stoff in Gewässer. Werden Flusspferde von großen Rinderherden verdrängt, verändert sich die Art und Menge dieses eingetragenen Dungs. Wie ein Team vom IGB und der Universitäten Innsbruck (Österreich) und Eldoret (Kenia) herausfand, hat das Konse- quenzen für die Ökosystemfunktionen in Flüssen. Zwar bringt ein einzelnes Rind we- niger Dung ins Gewässer als ein Flusspferd, viele Rinder erhöhen jedoch den Einfluss dieser Tiergruppe. Experimente am Mara-Fluss in Kenia zeigten außerdem: Mit dem Rinderdung gelangen mehr Nährstoffe ins Gewässer, was zu mehr Algenwachstum führt. Der Eintrag von Flusspferden dient eher dem Wachstum von Bakterien und för- dert Algen nur indirekt und zeitverzögert. Prof. Dr. Gabriel A. Singer, gabriel.singer@igb-berlin.de Clara Romero González-Quijano, romero@igb-berlin.de Masese, F. O., et al. (2020). Hippopotamus are distinct from domestic livestock in their resource subsidies to and effects on aquatic ecosystems. Proceedings of the Royal Society of London: Ser. B, Biological Sciences, 287(1926), Article 20193000. https://doi.org/10.1098/rspb.2019.3000
Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Erneuerbare Energien und Barrieren gefährden Fischvielfalt Wasserkraftanlagen, Staudämme und Wehre zerstückeln aquatische Lebensräume. Wie sich das auf die dort le- benden und wandernden Fische auswirkt, haben IGB-Forschende in mehreren Vorhaben untersucht. Die zent- ralen Ergebnisse: Insbesondere kleine Wasserkraftanlagen sind ökologisch problematisch und wären oft unrentabel, würden sie mit dem notwendigen Fischschutz ausgerüstet. Wehre und Staudämme tragen dazu bei, dass einheimi- sche Fischarten zurückgehen und invasive Fischarten sich leichter ausbreiten, wie eine Untersuchung im Ebro in Spa- nien zeigt. Forschende unter Leitung des IGB entwickelten ein Verfahren für die Bewertung der Fischsterblichkeit an Wasserkraftanlagen und den Europäischen Fischgefährdungsindex (European Fish Hazard Index, EFHI). Beides hilft, die Risiken von Wasserkraftwerken einzuordnen. Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare Energiequelle, aber nicht Das Tötungsrisiko an Wasserkraftanlagen kann gemäß der Studie unbedingt umweltfreundlich: Wasserkraftanlagen haben starke nur dann verringert werden, wenn ein effektiver Fischschutz ins- Auswirkungen auf die Fluss-Ökosysteme, in denen sie errichtet talliert ist. Dazu gehören beispielsweise mechanische Barrieren werden. Insbesondere der Turbinenbetrieb ist eine Gefahr für (z.B. Rechen) und Fischaufstiegs- und -abstiegshilfen, deren Funk- viele Fischarten. In Planungs- und Genehmigungsverfahren birgt tionalität zudem geprüft und laufend sichergestellt werden muss. diese Sterblichkeit Konfliktpotenzial, denn bislang gab es keine Das lohnt oft nicht bei kleinen Wasserkraftanlagen mit einer ins- standardisierten objektiven Verfahren, um Mortalitätsrisiken zu tallierten Leistung von weniger als einem Megawatt, von denen es bewerten. in Deutschland rund 7.000 gibt. Mit etwa 14 Prozent des Gesamt- stroms aus Wasserkraft, der etwa drei Prozent der gesamten Strom- Gefahr Turbine: Neuer Index bewertet Sterberisiko für Fische produktion ausmacht, ist ihr Beitrag zur Energiewende gering. Die von den Anlagen verursachten Schäden in Gewässerökosystemen Das Team von Christian Wolter hat im Auftrag des Bundesamts und an den Fischbeständen sind aber vergleichsweise hoch. für Naturschutz einen Bewertungsindex zum Sterberisiko von Fischen durch Wasserkraftanlagen entwickelt. Im ersten Schritt Im Rahmen eines internationalen, EU-geförderten Vorhabens definierten die Forschenden das allgemeine Sterberisiko für (FIThydro, Koordination TU München) wurde, ebenfalls unter Fe- alle im Süßwasser vorkommenden, einheimischen Fisch- und derführung des Teams von Christian Wolter, ein Index entwickelt, Neunaugenarten, im zweiten Schritt bewertete das Team, wie der dabei hilft, die Umweltauswirkungen einzelner Wasserkraftan- groß das Tötungsrisiko verschiedener Fischarten je nach Art der lagen objektiv zu prüfen. Eine solche Bewertungshilfe ist dringend Wasserkraftanlage ist. Bei der Turbinenpassage nimmt etwa die nötig: Bald muss ein beträchtlicher Teil aller Wasserkraftwerke Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Verletzung abwandernder weltweit umgerüstet oder modernisiert werden, denn etwa 65 Fischarten mit der Körpergröße zu. Mortalitätsraten sind aber Prozent der Kleinwasserkraftwerke in Westeuropa und 50 Prozent auch abhängig vom Turbinentyp oder der Fallhöhe. in Osteuropa sind über 40 Jahre alt. 14 Jahresforschungsbericht 2020
Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g sächlich können sich gebietsfremde Fische durch die veränderten Strömungs- und Lebensraumbedingungen, die sich durch das Auf- stauen von Flüssen ergeben, sogar leichter ansiedeln. Fischgemein- schaften in stark fragmentierten und vom Klimawandel betroffe- nen Flüssen sind besonders vom Artenverlust bedroht. Dr. Christian Wolter, wolter@igb-berlin.de Dr. Johannes Radinger, jradinger@igb-berlin.de Ruben van Treeck, van.treeck@igb-berlin.de Van Treeck, R., et al. (2021). The European Fish Hazard Index – An assessment tool for screening hazard of hydropower plants for fish. Sustainable Energy Technologies and Assessments, 43, Article 100903. https://doi.org/10.1016/j.seta.2020.100903 Van Treeck, R., et al. (2020). Fish species sensitivity classification for environmental impact assessment, conservation and restoration planning. Science of the Total Environment, 708, Article 135173. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2019.135173 Das BFN-Skript zum Bewertungsindex lesen Sie unter p www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/ Radinger, J., et al. (2020). The role of connectivity in the interplay Skript561.pdf between climate change and the spread of alien fish in a large Mediterranean river. Global Change Biology, 26(11), 6383-6398. Der Europäische Fischgefährdungsindex (European Fish Hazard https://doi.org/10.1111/gcb.15320 Index, EFHI) lässt sich für verschiedenste Anlagentypen anwen- den und macht es möglich, das Sterberisiko von 168 in europä- Projekt: FIThydro – Fischfreundliche innovative Technologien ischen Gewässern beheimateten Fischarten zu beurteilen. Der für Wasserkraft, Laufzeit: 11/2016-03/2021, Gefördert duch: EU EFHI unterstützt die Planung von Schutzmaßnahmen, indem er Horizon 2020 deren Auswirkungen in einem Gefährdungsscore abbildet. Da- bei berücksichtigt der Index vor Ort relevante Gewässer- oder Fischschutzziele und geltende europäische Regelwerke. Die For- Fallbeispiel: schenden hoffen, dass eine weitverbreitete Anwendung des EFHI Fische im Anden-Amazonas potenziell gravierende negative Auswirkungen der Wasserkraft systematisch aufdeckt und somit die Bemühungen, Europas Klimawandel und physische Barrieren wie Flüsse zu schützen, effektiv unterstützen kann. Dämme bedrohen auch Fische des in den An- Fotos: Staudamm Santa Ana (l.) © Manuel Portero; Damm Chile © FranciscoKemeny/Unsplash den liegenden Teils des Amazonasgebietes. Das zeigt Ohne Ausweg: Dämme verschärfen die Folgen des Klima- eine Studie, bei der IGB-Forschende Artverbreitungs- wandels modelle mit funktionalen Merkmalen von Fischen des Anden-Amazonas kombinierten und dies mit Stau- Ein weiteres Vorhaben unter IGB-Beteiligung beschäftigt sich dammstandorten und Klimaprojektionen koppelten. mit der Frage, welche Folgen Barrieren in Form von Staudäm- Das Team konnte zeigen, dass der Klimawandel für men und Wehren für Fische haben: Die daraus resultierende die meisten Fischarten des Anden-Amazonas zu einer Fragmentierung führt dazu, dass einheimische Fische entlang Verkleinerung des Verbreitungsgebiets führen wird. eines Flusses oft keine neuen Lebensräume besiedeln können, Dass Staudämme zukünftige Arealverschiebungen für auch wenn die Auswirkungen des Klimawandels wie Verände- die meisten Arten stark einschränken werden, sagte rungen der Wassertemperatur und -qualität sie dazu treiben. das Modell jedoch nicht aus. Einige dieser Barrieren Wie sich Lebensräume von einheimischen und gebietsfremden dürften jedoch für viele Arten die Ausbreitung fluss- Fischarten unter verschiedenen Klimaszenarien verändern und aufwärts verhindern. Langfristig führt die Fragmen- welche Rolle Staudämme dabei spielen, haben IGB-Forschende tierung der Flüsse zusammen mit dem Klimawandel gemeinsam mit einem Team der Universität Girona am Beispiel zu einer beträchtlichen Abnahme der Wahrscheinlich- des Flusses Ebro im Nordosten Spaniens untersucht. Dort sind keit, dass Arten dauerhaft überleben. die Fische besonders von den Auswirkungen des Klimawandels und der Invasion gebietsfremder Fischarten betroffen. Zudem ist Dr. Johannes Radinger, jradinger@igb-berlin.de der Ebro durch 300 große Staudämme und viele kleine Querbau- werke unterbrochen. Herrera-R, G. A., et al. (2020). The combined effects of climate change and river fragmentation on the distribution of Ande- Johannes Radinger, Hauptautor der Studie, und das Projektteam an Amazon fishes. Global Change Biology, 26(10), 5509-5523. fanden heraus, dass Staudämme oft nicht die Ausbreitung inva- https://doi.org/10.1111/gcb.15285 siver Arten wie Moskitofisch, Wels und Karpfen verhindern. Tat- Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 15
Fo r s c h u n g | Ökosystemleistungen Schont die Alten! Entnahmefenster schützen Fischbestände Maßnahmen gegen Überfischung schonen mit dem „Mindestmaß“ bislang die jungen Fische. Ein Forscherteam um Robert Arlinghaus Ausbaupläne an der Oder – empfiehlt jedoch, neben dem Nachwuchs auch die Gefahren für Natur und nachhaltige Nutzung besonders großen, älteren Exemplare am Leben zu lassen. Diese Art der Bewirtschaftung erzielt gute IGB Policy Brief Kompromisse zwischen den Ansprüchen von Be- rufs- und Angelfischerei und der natürlichen Ver- mehrungsfähigkeit der Fischbestände. Mit Fischereibiologen der Universitäten in Florida und Vancouver untersuchte Robert Arlinghaus die opti- malen Fangbestimmungen für eine große Bandbreite an Fischarten. Sie verglichen die Wirkung klassischer Mindestmaße mit einer selteneren Bewirtschaftungs- methode: dem Entnahmefenster, bei dem nur mittel- große Fische entnommen werden. Die Forschenden fanden heraus: Das Entnahmefenster stabilisiert die Bestandsdynamik ohne relevante Einbußen bei den Erträgen und steigert die Durchschnittsgröße im Fang. Entnahmefenster sind vor allem dann dem IGB Policy Brief: klassischen Mindestmaß überlegen, wenn intensiv genutzte Bestände von Berufs- und Angelfischerei ge- meinsam befischt werden. Ausbaupläne Große Laichfische sollten in einer Population nicht an der Oder fehlen, denn ein einzelnes besonders großes Weib- chen kann die Eizahl vieler kleiner Fische kompensie- ren. Außerdem vermehren sich verschieden große und alte Fische zu unterschiedlichen Zeiten und häufig Die Oder ist einer der letzten großen, relativ natur- auch an unterschiedlichen Orten. nahen Flüsse Europas. Noch, denn die Regierung Wenn Umweltereignisse die der Republik Polen plant den Ausbau des Flusses – und Brut vernichten, kann eine auch Deutschland hat sich in einem beidseitigen Abkom- altersgemischte Popu- men dazu verpflichtet. lation trotzdem eine Nachkommenschaft In einem Policy Brief machen die IGB-Experten Christi- sicherstellen und so an Wolter und Jörn Geßner darauf aufmerksam, dass die zu stabileren Popu- Maßnahmen wertvolle Lebensräume vieler seltener und lationen beitragen. vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten un- Zudem haben Alt und wiederbringlich zerstören werden. Die Planungen versto- Jung unterschiedliche ßen nach Meinung der Forscher in mehrfacher Hinsicht Standplätze, Zugrouten gegen geltendes EU-Recht und gefährden neben der Um- und Speisepläne, und jun- welt auch die Landwirtschaft beidseitig der Oder. ge Fische lernen von den erfah- Die vorgebrachten Argumente für den Ausbau seien in- renen Leittieren. Fotos: Oder © Harald Schulz; Hecht © Philipp Czapla haltlich nicht belastbar. Die Forscher plädieren daher dafür, Auen-Retentionsflächen an der Oder zu erhalten Prof. Dr. Robert Arlinghaus, arlinghaus@igb-berlin.de und auszuweiten. Und sie empfehlen dringend, politische Schritte gegen das Ausbauvorhaben und für den Erhalt Projekt: BODDENHECHT, Laufzeit 01/2019-06/2023, der Oder als ökologisches Vorranggebiet einzuleiten. Gefördert durch: EU und Land Mecklenburg-Vor- pommern Ahrens, R. N. M., et al. (2020). Saving large fish through harvest slots outperforms the classical minimum-length limit when the aim is to achieve multiple harvest and catch-related fisheries objecti- Den IGB Policy Brief können Sie kostenfrei herunterladen ves. Fish and Fisheries, 21(3), 483-510. p https://bit.ly/IGBPolicyBrief_Oder-Ausbau https://doi.org/10.1111/faf.12442 16 Jahresforschungsbericht 2020
Ökosystemleistungen | Fo r s c h u n g Aquakultur: Fischkrankheiten umweltfreundlich behandeln Sie ist gefürchtet: die Samtkrankheit. Die Infektion Warmwasserfische wie hier der Siamesische Kampffisch (Betta splendens) sind häufiger wird durch Dinoflagellaten der Gattungen bedroht, denn die Reproduktion der Krankheits Amyloodinium und Piscinoodinium verursacht erreger verläuft bei höheren Temperaturen schneller. und befällt Zier- und Speisefische im Süß- und Meerwasser. In Aquarien und Aquakultur sorgt sie immer wieder für erhebliche Ster- beraten und daher finanzielle Verluste. Tho- essigsäure. Sie haben sich als wirksam ra Lieke hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit gegen eine Vielzahl von aquatischen Risiken und Vorteile aktueller Behandlungs- Krankheitserregern erwiesen, auch bei möglichkeiten und neuer Ansätze kombi- der Behandlung der Samtkrankheit. Je- niert. Ihr Artikel wurde als „Top Downloaded doch können sie das Stressniveau der infi- Paper“ ausgezeichnet. zierten Fische zusätzlich erhöhen. In zahlrei- chen Studien wird daher der Einsatz natürlicher Hüllen sich Fische in Samt, ist das ein Alarmsignal. Dann han- Futterzusätze wie Vitamine, Pflanzenextrakte und delt es sich oft um die parasitäre Samtkrankheit. Sie ist hoch infek- Prä- und Probiotika untersucht. Diese aktivieren das Immunsys- tiös und endet, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird, tödlich. tem und steigern das Wohlbefinden der Tiere. Dadurch verringert Traditionell standen Therapeutika zur Verfügung, die Kupfer, Ma- sich deren Anfälligkeit gegenüber Krankheiten. Auch Huminstoffe lachitgrün oder Methylenblau enthalten. Deren Rückstände ge- sind als Immunstimulanzien bekannt und Gegenstand weltwei- langen aber in die Umwelt und sind für andere Organismen hoch ter Forschungen. Als natürlicher Teil aquatischer Ökosysteme kön- toxisch. Mehrere europäische Länder haben diese Chemikalien nen sie über die Kiemen aufgenommen werden, wie Thora Lieke deshalb für den Einsatz in der Aquakultur verboten; für die kom- und Kolleg*innen in einer weiteren Studie nachgewiesen haben. merzielle Zierfischhaltung werden ebenfalls Verbote erwartet. Thora Lieke, lieke@igb-berlin.de Deshalb wird intensiv nach alternativen Behandlungsmöglich- Dr. Thomas Meinelt, meinelt@igb-berlin.de keiten gesucht, auch gegen andere Erreger. In der Fachzeitschrift Reviews in Aquaculture geben Thora Lieke und Kolleg*innen einen Projekt: Entwicklung von Produkten auf Basis von Huminstof- Überblick zu althergebrachten und neuen Mitteln gegen verschie- fen zur Steigerung der Resistenz gegen Stress und Infektionen dene parasitäre Erkrankungen. Sie raten, sich bei der umwelt- in der Aquakultur, Laufzeit: 08/2017-01/2020, Gefördert durch: Fotos: Siamesischer Kampffisch © Bernard Ladenthin, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons; Cover Policy Brief © IGB freundlichen Behandlung von Fischkrankheiten auf zwei Aspekte AiF Projekt GmbH, BMWi zu konzentrieren: Parasiten mit rückstandsfreien oder natürlich vorkommenden Substanzen zu behandeln sowie das Immunsys- Lieke, T., et al. (2020). Sustainable aquaculture requires environ- tem der Fische zu stärken. Zu den rückstandsfreien, sogenannten mental-friendly treatment strategies for fish diseases. Reviews „alternativen“ Therapeutika gehören Wasserstoffperoxid und Per in Aquaculture, 12(2), 943-965. https://doi.org/10.1111/raq.12365 Lieke, T., et al. (2021). Phenol-rich fulvic acid as a water additi- IGB Policy Brief: ve enhances growth, reduces stress, and stimulates Hat die Nachhaltige Aquakultur in Deutschland eine Zukunft? the immune system of fish in aquaculture. Die Aquakultur gilt als der am schnellsten wachsen- mit nachhaltigen Verfahren deutlich zu de Zweig der Lebensmittelproduktion weltweit – in erhöhen. Im einem IGB Policy Brief zeigen Deutschland fristet sie ein Nischendasein. Unter 3 Prozent die Autoren das Potenzial landbasierter des Fischkonsums werden zurzeit durch heimische Aqua- (teil-) geschlossener Kreislaufanlagen kultur abgedeckt. Dabei könnte das Potenzial für eine (KLA) auf und regen eine gesellschaft- stärkere Eigenversorgung und für den Export von Fisch liche Diskussion an. Ohne eine höhere mit nachhaltigen Verfahren entwickelt werden, statt den Zahlungsbereitschaft von Handel und Nutzungsdruck auf aquatische Ökosysteme und mögliche Konsument*innen wird sich diese Umweltfolgen ins Ausland zu verlagern. Form der Aquakultur voraussichtlich nicht flächendeckend in Deutschland Verbraucher*innen kennen Fisch oftmals nur als verarbeite- durchsetzen können, denn nachhal- tes und verzehrfertiges Produkt im Warenregal, das in den tiger Fisch hat seinen Preis. meisten Fällen importiert wurde. Häufig findet die Aquakul- tur-Produktion im Ausland unter geringeren Sozial- oder Um- Der IGB Policy Brief steht kostenlos als weltstandards statt. Das ließe sich ändern, sagen die IGB-For- Download zur Verfügung scher Fabian Schäfer und Werner Kloas. Deutschland verfüge p https://bit.ly/IGBPolicyBriefNachhaltigeAquakultur bezüglich Wasser, Fläche, Technik, Know-how und Kaufkraft prinzipiell über genügend Ressourcen, um die eigene Produk- Dr. Fabian Schäfer, schaefer@igb-berlin.de tion von Speisefischarten für den Binnen- und Exportmarkt Prof. Dr. Werner Kloas, werner.kloas@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 17
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