Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...

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Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
AZB CH-3012 Bern
     bärner studizytig #20 Mai 2020

— Pop-Up-Sommer
— Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz
— Irme ige ide Ittume*
— Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale
— Quo vadis Berna?
— Bern – 23 places to see before you die (or finish your
  study time in Bern)
— Bern: Ctrl+C, Ctrl+V
— Safari durch Bern
— Im Gespräch mit Alec von Graffenried
— SUB-Seiten: Auf den Spuren studentischer Einsamkeit
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
Editorial                                                                                       ds portmonee

                                                                                                – Pop-Up-Sommer

                                                                                                dr kolumbus
                                                                                                                                4

                                                                                                                                9

#20
                                                                                                – Mitgehangen, mitgefangen:
                                                                                                   Bern im kolonialen Netz

                                                                                                kennet dir di gschicht        13

                                                                                                – Irme ige ide Ittume*

                                                                                                mir het dr dings verzellt     16

Liebe Freund*innen des                                                                          – Bären, Kraniche und

unkonventionellen Grillguts                                                                        kauzige Stadtoriginale

                                                                                                nei säget sölle mir           18
«Än Umwäg isch geng e Reis wärt, i mir schöne Heimatstadt», sangen einst Wurzel 5.
Dies nahmen wir uns zu Herzen, und beschlossen prompt die 20. Ausgabe der bsz                   – Quo vadis Berna?
(ja es ist tatsächlich soweit: Wir sind zumindest auf Papier dem Teenie- Flegelalter
entwachsen) Bern zu widmen, schliesslich verdanken wir ihr alles. Ohne die Stadt Bern           dene wos guet geit            22
gäbe es keine Universität Bern und ohne Universität Bern auch keine bärner studizytig –
ist doch logo! Unsere zweite Jubiläumsausgabe bringt euch deshalb für einmal nicht Orte,        – Bern – 23 places to see
Themen und Phänomene aus aller Welt näher, sondern das Vertraute. Wer jetzt meint,                 before you die (or finish
sie oder er wisse schon alles über Bern, sei gewarnt: Bern ist wie ein Familienmitglied,           your study time in Bern)
das du schon dein Leben lang kennst, das dich aber an jeder Familienzusammenkunft
überrascht. So fördern die Recherchen der bärner studizytig über die Verwicklung Berns          i han en uhr erfunde          28
in den kolonialen Handel eine dunkle Vergangenheit zutage, über die niemand am Tisch
sprechen möchte. Als ob das nicht reicht, zeigt sich, dass Bern auf der ganzen Welt ver­teilt   – Bern: Ctrl+C, Ctrl+V
Kinder hat, von denen du nichts wusstest. Sie heissen beispielsweise New Bern oder Berne
                                                                                                di strass won i dran wone     31
und wurden von Berner*innen auf der Flucht vor Schulden oder religiöser Verfolgung
gegründet. Spätestens wenn Bern im Korridor leise auf Itteme-Inglische ins Telefon              – Safari durch Bern
flüstert, verstehst du die Welt nicht mehr. Du warst dir doch sicher, dass du deine Familie
kennst! Also nimmt die dich bärner studizytig zur Seite und erklärt dir, dass Bern eben         är isch vom amt ufbote gsi    34
wildere Seiten hat als Hauskatzen und Hunde in Tragtaschengrösse. Während du nämlich
schläfst, feiert Pelz Party in der Bundesstadt, wie das tierische Instagram «StadtWildTiere»    – im Gespräch mit Alec
beweist. Die unbekannten Seiten Berns haben dafür auch ihren Reiz: 23 Porträts von tollen          von Graffenried
Orten helfen dir, deine Beziehung zu Bern neu zu erfinden und zur alten Vertrautheit mit
                                                                                                missverständnis38
ihr zurückzufinden. Wie es in allen Familien üblich ist, kommt es jedoch auch in Bern zu
Konflikten, was die Nutzung dieser Orte angeht. Unser Artikel «Pop-Up-Sommer» setzt sich
                                                                                                us emene lääre gygechaschte   39
deshalb mit der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums auseinander. Als hellsehen-
des Medium beschäftigt sich die bärner studizytig nicht nur mit Vergangenheit und
                                                                                                SUB-Seiten40
Gegenwart Berns, sondern fragt sich: Quo vadis Berna? Oder um es weniger bildungs­
bürgerlich und in den Worten Endo Anacondas auszudrücken: Wohärä geisch? Für                    – «Es hätte sich ein Dokto-
den roten Faden der Familiengeschichte und den familiären Zusammenhalt sorgen ein                  rat ergeben können.»
Zeitstrahl mit kuriosen und wissenswerten Fakten zu Bern sowie ein Interview mit dem            – Das Campus Festival meldet
höchsten Stadtberner. Letzterer stammt aus einer einflussreichen Patrizierfamilie und              sich aus dem Homeoffice
steht für die Beständigkeit aristokratischer Herrschaft – in etwa so, wie dieses Heft für       – Chancengerechtkeit
die Beständigkeit der bärner studizytig steht.                                                     nicht vergessen
                                                                                                – Auf den Spuren studen-
Darum: merci, proscht und tschou zämä!                                                             tischer Einsamkeit
                                                                                                – Eine alte Dame im Porträt
                                                                  Eure studizytig-Redaktion
                                                                                                Titelbild:
                                                                                                Hansueli Trachsel, «Der Bund»
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ds portmonee                                                                                                                                 ds portmonee

Pop-Up-Sommer
                                                                                                                                             Rechtsgrundsätze beachten, zum Beispiel
                                                                                                                                             die Rechtsgleichheit», sagt Lerch. «Wenn
                                                                                                                                             sie das tut, sehe ich kein Problem im feh-
                                                                                                                                             lenden Einspracheverfahren».
                                                                                                                                                         Nicht immer werden die Nut-
                                                                                                                                             zungsentscheidungen zu aller Zufrieden-
                                                                                                                                             heit getroffen. So wurde im Dalmazimät-
      Der öffentliche Raum wird zum Wohnzimmer                                                                                               teli auf Sommer 2020 ein neues Pop-Up-

      und damit zur Projektionsfläche für                                                                                                    Projekt bewilligt, das verschiedene gas-
                                                                                                                                             tronomische Angebote beinhalten soll.
      verschiedenste Visionen. Ein Rundumblick                                                                                               Der Park an der Aare wird jedoch schon

      durch die Pop-Up-Kultur in Bern.                                                                                                       von verschiedenen anderen Gruppen rege
                                                                                                                                             genutzt. Slacklining und Akrobatik gehö-
                                                                                                                                             ren genauso zum alltäglich sommerlichen
                                                                                                                                             Bild wie Schlauchboote, die in der Sonne
                                                                                                                                             trocknen, und Freund*innen, die sich
Wenn in den ersten warmen Frühlings-
                                                                                                                                             zum Picknick einfinden. Die verschiede-
tagen die Stadt wieder aus ihrem Winter-
                                                                                                                                             nen Anspruchsgruppen haben sich nun
schlaf erwacht und die Leute in die Gärten,
                                                                                                                                             zum Verein «Pro Dalmazi» zusammenge-
die Pärke und an die Aare strömen, ist es
                                                                                                                                             tan, um ihre Interessen besser vertreten
nicht mehr weit, bis auch die ersten Som-
                                                                                                                                             zu können und das Gespräch mit der Stadt
merbars und Openairkinos wieder aus
                                                                                                                                             zu suchen. Ihrer Meinung nach wird der
dem Boden schiessen. Der von allen gelieb-
                                                                                                                                             Park schon nicht-kommerziell beträcht-
te Berner Sommer entfaltet sich und mit
                                                                                                                                             lich genutzt und ein Gastroangebot wür-
ihm alle Möglichkeiten, die uns der öffent-
                                                                                                                                             de die bisherigen Aktivitäten stark ein-
liche Raum bietet. Ein Bier trinken, mit der
                                                                                                                                             schränken. Sie stellen die Frage: Braucht
Familie picknicken, im Park jonglieren,
                                                                                                                                             wirklich jeder noch so kleine Park und
einem Konzert beiwohnen oder sprayen
                                                                                                                                             jede Wiese ihre Bar?                            Quartierleist die Stadt in einem Brief um   müssen. Der kulturelle Begegnungsort
gehen – ganz nach der jeweiligen Laune.
                                                                                                                                                                                             die wiederholte Bewilligung für die Bar     auf der Einsteinterrasse bei der Grossen
Pop-Up-Kultur ist dabei als neues Trend-
                                                                                                                                                         Nicht immer die Antwort             bat. Soweit die Betreiber*innen wissen,     Schanze kombinierte in den letzten drei
wort in aller Munde. Darunter werden Bars
                                                                                                                                                         Nein,     finden      auch    die   tangieren sie keine nicht-kommerziellen     Sommersaisons ein gastronomisches
und Cafés, aber auch kulturelle Veranstal-
                                                                                                                                             Betreiber*innen der Trybhouz Bar, ein           Interessen. Sie sind sich jedoch bewusst,   Street Food Angebot mit frei zugängli-
tungsorte gezählt, die temporär einen öf-
                                                                                                                                             Pop-Up, das jeweils für drei Sommermona-        dass das andere unterschiedlich sehen,      chen, kulturellen Veranstaltungen wie
                                                                                                                                             te das Altenbergpärkli an der Aare nutzen       und versuchen in diesem Sinne den Platz     Openairkino-Vorstellungen und Konzer-
                                                                                                                                             darf. «Für uns ist klar, dass die Antwort auf   möglichst für alle attraktiv und zugäng-    ten. Dabei waren sie angewiesen auf die

Wem gehört eigent-                                                                                                                           das Bedürfnis nach Belebung nicht in je-        lich zu halten.                             gastronomischen Einnahmen, wollten
                                                                                                                                                                                                                                         gleichzeitig aber auch, dass es möglich ist,

lich der öffentliche                                                                                                                                                                                                                     sich mit dem eigenen Bier zum Film dazu
                                                                                                                                                                                                                                         zu setzen. Die Einnahmen finanzierten

Raum?                                                                                                                                        Eine kommerzielle und eine nicht-                                                           schlussendlich den nicht-kommerziellen
                                                                                                                                                                                                                                         Teil ihres Angebots – Konsum also, der
                                                                                                                                             kommerzielle Nutzung müssen                                                                 einen Nicht-Konsum erst ermöglichte.
                                                                                                                                                                                                                                         Trotz allem stellt sich auch hier die Frage,
fentlichen Raum bespielen können und                       Ein knappes Gut                   kommerzielle Pop-Ups ist dabei weder eine       sich nicht unbedingt ausschliessen.                                                         für wen «Peter Flamingo» nun wirklich ist:
ihn damit gleichzeitig aufwerten sollen.                   Das sind Fragen, denen sich die   Publikation der Projekte noch ein Einspra-                                                                                                  Die Einsteinterasse war zuvor bekannt für
Auch temporäre Möblierungen werden als         Stadt Bern stellen muss. Ihre Aufgabe ist     cheverfahren vorgesehen. Beschwerden ge-                                                                                                    Kleinkriminalität und randständige Grup-
Pop-Ups bezeichnet. Was auf den ersten         dabei keine einfache: Sie entscheidet über    gen schon bewilligte Projekte sind deshalb      dem Fall eine Pop-Up Bar sein darf», meint                  Symbiotisch?                    pen, die sich dort aufhielten. Gastronomi-
Blick äusserst verlockend klingt, wirft auf    das Sein oder Nichtsein von Pop-Ups qua-      auch eher ein politischer als ein rechtlicher   Julian von der Trybhouz Bar, «allerdings                    Die Kritiker*innen von Pop-     sche Pop-Ups sind in diesem Sinne auch
den zweiten aber wichtige und kritisch zu      si im Alleingang. «Der öffentliche Boden      Prozess, können aber in Extremfällen so-        haben wir das Gefühl, dass man von Fall         Ups befürchten eine durch Konsumzwang       eine Möglichkeit zu steuern, wer sich wo
beantwortende Fragen auf: Wem gehört           ist ein knappes Gut und die Stadt insoweit    gar zur Beendigung der Zwischennutzung          zu Fall und von Ort zu Ort unterscheiden        herbeigeführte Kommerzialisierung des       im öffentlichen Raum aufhalten soll.
eigentlich der öffentliche Raum? Und was       frei in ihrer Entscheidung über die vorü-     führen – so geschehen im Fall der Schüt-        sollte». Die unter Freunden entstandene         öffentlichen Raums. Dass es auch anders
wird unter «Belebung» verstanden? Wel-         bergehende Nutzung desselben», so Regie-      zenmatte. Je nach Standort müssten die          Idee für ein gemütliches Gastronomie-           geht, zeigen Projekte wie «Peter Flamin-               Viel, viel freiwilliges
chen Stellenwert sollen dabei kommerzi-        rungsstatthalter Christoph Lerch, der in      verschiedenen Anspruchsgruppen und Be-          angebot am Surferhotspot Altenbergsteg          go» von der Berner Pop-Up-Firma Mosaik                 Engagement
elle, welchen nicht-kommerzielle Projekte      diesem Amt die Einzelgenehmigungen für        dürfnisse der Bevölkerung abgewogen und         wurde auch vom Quartier und der Anwoh-          Events. Sie beweisen, dass sich eine kom-              Die grössten Herausforde-
einnehmen? Und wie kann Zugänglichkeit         gastgewerbliche Anträge erteilt, nachdem      ein optimaler Mix geschaffen werden. «Die       nerschaft höchst willkommen geheissen           merzielle und eine nicht-kommerzielle       rungen, vor denen nicht-kommerzielle
für alle garantiert werden?                    sie von der Stadt geprüft worden sind.Für     Stadt muss hierbei stets die allgemeinen        und die Resonanz war so positiv, dass der       Nutzung nicht unbedingt ausschliessen       Projekte stehen, sind finanzieller Natur.

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Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
ds portmonee                                                                                                                                 ds portmonee

                                                                                                                                                                                                    Etwas schaffen, zu dem sich alle
«Nicht-kommerzielle Räume werden in          Herkunft und verschiedenen Alters zu-           setzen können. Das ist auch der Wunsch
der Stadt Bern und in der Schweiz allge-     sammenfinden können. Als Ort, der per           der Organisator*innen des «Kino im Ko-                                                                       zugehörig fühlen können,
mein immer seltener, da die Opportuni-       Definition allen gehört. Das war einer der      cher». «Wir wollen tolle Gastgeber*innen
tätskosten von den Projektinitiant*innen     Gründe, weshalb die Heitere Fahne ihre          im öffentlichen Raum sein und die Leute                                                                       ohne etwas zu «müssen».
oftmals als zu hoch eingeschätzt werden»,    Rollschuh- und Rollstuhldisco in den öf-        auf der Wiese im Kocherpark zwanglos zu-
meint denn auch Mario vom Verein Warm-       fentlichen Raum Berns getragen hat. Sie         sammenbringen», erklärt Deana Gariup,
bächlibrache. Finanzierung von Infra-        will damit Menschen vernetzen, Bewe-
struktur, Kosten durch Wasser, Strom und     gung und Spiel verbinden, gemeinsames
Logistik können nur durch einen grossen      Lernen und Lehren ermöglichen und
Teil an freiwilligem Engagement wieder       schliesslich gerade jungen Leuten eine Al-      Ein Ort, der
wettgemacht werden. Das trifft sowohl        ternative zum Vorplatz der Reitschule oder
auf umfassende Zwischennutzungen wie         ähnlichen Orten bieten.                         per Definition
die Warmbächlibrache zu als auch auf                     Das war auch einer der Gründe,
sporadische Events wie zum Beispiel die      der am Anfang des Vereins Warmbächli-           allen gehört.
Rollschuh- und Rollstuhldisco, die von der   brache stand. Dieser ist aus dem Wunsch
Heiteren Fahne vier- bis fünfmal im Jahr     entstanden, einen freien und spontanen
an verschiedenen Orten in Bern durchge-      Begegnungsort mit kreativem Potenzial zu
führt wird, darunter bisher zweimal am       schaffen anstelle eines regulierten Veran-      Mitgründerin des jährlich im August statt-
Europaplatz. Projekte wie das Kino im Ko-    staltungsortes mit festen Öffnungszeiten        findenden Openairkinos. Ganz nach dem
cher wiederum sind vor allem auf Sponso-     und einem Sicherheitsdienst, der rund           Motto: «Jede und jeder ganz wie er und sie
ren angewiesen, um ihr Openairkino kos-      um die Brache patrouilliert. Diese Vision       will.» Die Besucher*innen können sowohl
tenlos anbieten zu können.                   wurde in den letzten Jahren umgesetzt und       eigene kreative Picknicks mitbringen als
                                                                                             auch vom kulinarischen Angebot vor Ort
                                                                                             profitieren. Ihr Ziel sei es, etwas zu schaf-
                                                                                             fen, dem sich alle zugehörig fühlen könn-
                                                                                             ten, ohne ein Gefühl des Müssens.

                                                                                                         KORA
                                                                                                         «Begegnung» scheint das Wort
                                                                                             der Stunde zu sein. Auch die Stadt Bern
                                                                                                                                             pongspiele und alltägliche Kaffeepausen.    ropaplatz verlegt hat: «Wir sagen aber auch    Hier muss ein Pop-up ein Betriebskonzept
                                                                                             möchte lokale Initiativen zur nicht-kom-
                                                                                                                                             Zugänglichkeit ist dabei ein klares Leit-   ‹Schönä bim Föhnä›, was dafür steht, dass      aufweisen, das die Interessen der Anwoh-
                                                                                             merziellen Gestaltung des öffentlichen
                                                                                                                                             prinzip, gibt Luder zu verstehen. «Exklu-   das Leben dann und wann Lärm macht             nerschaft berücksichtigt».
                                                                                             Raumes fördern. Dazu wurde das Kompe-
                                                                                                                                             sive, ausschliessende Projekte wären auf    und unkommerzielle Kultur Toleranz von
                                                                                             tenzzentrum öffentlicher Raum (KORA)
                                                                                                                                             dem öffentlichen Boden nicht gestattet»,    allen Seiten braucht, um eben diese Kul-                   Ein Neben- und Miteinander
                                                                                             gegründet. «Das Ziel ist es», so Claudia Lu-
                                                                                                                                             erklärt sie. Aber auch bei solchen nicht-   tur überleben zu lassen». Essentiell ist da-               So befindet sich Nutzung öf-
                                                                                             der, Geschäftsführerin von KORA, «tempo-
                                                                                                                                             kommerziellen Projekten findet mit einer                                                   fentlichen Raums immer in jenem Span-
                                                                                             räre Projekte im öffentlichen Raum rasch
                                                                                                                                             bewussten Möblierung immer auch ein                                                        nungsfeld zwischen Belebung und Ver-
                                                                                             realisierbar zu machen und Initiant*innen
                                                                                                                                             Steuerungsprozess statt, welche Gruppen                                                    drängung, zwischen Kommerzialisierung,
                                                                                             den Weg über schwerfällige Bewilligungs-
                                                                                             prozesse zu ersparen.» Dazu sind im KORA
                                                                                                                                             sich an welchen Orten aufhalten. Beson-     Ziel war es,                                   Zugänglichkeit und Berücksichtigung der
                                                                                                                                             ders im Hinblick auf soziale Randgruppen                                                   verschiedenen Interessensgruppen. Nicht
                                                                                             verschiedene Ämter vertreten, die diese
                                                                                             Projekte zusammen koordinieren und die
                                                                                                                                             kann es deshalb geschehen, dass eine Be-    einen Ort, der                                 jeder Platz und jedes Pärkchen muss kom-
                                                                                                                                             lebung des öffentlichen Raumes zu einem                                                    merziell genutzt werden. Eine kommerziel-
                                                                                             Initiant*innen unterstützen. In erster Li-
                                                                                             nie schafft KORA mithilfe von temporären
                                                                                                                                             politischen Instrument wird, um «Schön-     vermeintlich                                   le Nutzung kann aber auch durch das Quar-
                                                                                                                                             heitsfehler» desselben zu korrigieren.                                                     tier erwünscht sein und auf sehr positive
                                                                                             Infrastrukturangeboten neue Räume für
                                                                                             nicht-kommerzielle Interaktionen.
                                                                                                                                                                                         brachliegt, für                                Resonanz stossen. Und schliesslich müs-
                                                                                                                                                        Schönä bim Föhnä                                                                sen sich kommerzielle und nicht-kommer-
                                                                                                         Eines der bekanntesten Bei-
                                                                                             spiele ist der Sockel auf dem Waisenhaus-
                                                                                                                                                        Neben der Zugänglichkeit         alle nutzbar zu                                zielle Nutzungen auch nicht ausschliessen.
                                                                                                                                             müssen sowohl kommerzielle als auch                                                        Im Gegenteil, sie können sich ergänzen
             Schaffen von Begegnungsorten
             Trotz finanzieller und büro-
                                             der Platz von verschiedensten Zirkussen,
                                             Theater­kollektiven, Barbetrieben, aber
                                                                                             platz, der während der Sommermonate je-
                                                                                             weils als Bühne, Spielort und Begegnungs-
                                                                                                                                             nicht-kommerzielle Projekte insbeson-       machen.                                        und gegenseitig befruchten, sodass Pop-Up
                                                                                                                                             dere die Bedürfnisse der Anwohnerschaft                                                    mehr als nur eine invasive Ausbreitung von
kratischer Hürden werden immer wieder        auch von Kindern, Jugendlichen und Fa-          zone diente und auch spezifisch Menschen
                                                                                                                                             berücksichtigen. Projekte können für die-                                                  trendigen Konsummöglichkeiten, sondern
nicht-kommerzielle Projekte in Angriff       milien bespielt und mitgestaltet. Ziel sei es   eine Plattform bieten sollte, die kein eige-
                                                                                                                                             se eine Bereicherung sein, bedürfen aber                                                   eine Entfaltung verschiedener Gestaltungs-
genommen. Sie benötigen dafür den öf-        gewesen, so der Verein, einen Ort, der ver-     nes Projekt in der Innenstadt realisieren
                                                                                                                                             auch einer gewissen Toleranz von ihrer      für ein klarer und direkter Austausch, der     möglichkeiten sein kann. Ideen sind in
fentlichen Raum, nicht nur aus einer         meintlich brachliege, für alle nutzbar zu       könnten. Gastronomische Projekte wurden
                                                                                                                                             Seite. Wie es die Heitere Fahne treffend    eine schnelle Lösung von Problemen er-         der Hauptstadt auf jeden Fall zur Genüge
finan­ziellen Perspektive, sondern auch      machen. Alle sollen ihre eigenen Ideen und      bewusst nicht genehmigt. Stattdessen wur-
                                                                                                                                             zusammenfasst, nachdem sie die Disco        laubt. Das sieht auch Statthalter Lerch so:    vorhanden. text: janine schneider, jana
als Ort, an dem Menschen verschiedener       Gestaltungswünsche mitbringen und um-           de Raum geschaffen für Tanzkurse, Ping-
                                                                                                                                             zur Schonung ihrer Nachbarn an den Eu-      «Das Hauptproblem ist oft die Lärmfrage.       schmid; illustrationen: lisa linder

6                                                                                                                                                                                                                                                                                7
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
ds portmonee                                                                                                                              dr kolumbus

                                                                                                                                          Mitgehangen,
                                                                                                                                          mitgefangen:
Ursula Wyss			                                  Thomas Niffenegger + Barbara Steiner        Kirchliche Gassenarbeit Bern
Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün   Geschäftsleitung Restaurant Marzilibrücke

«Heute ist der öffentliche Raum unser «er-      «Aus Gastronomensicht sind Pop-Ups          «Der öffentliche Raum sollte für alle Men-
weitertes Wohnzimmer». Die Bevölkerung          grundsätzlich keine schlechte Sache. Aber   schen nutzbar sein und nicht nur für jene
zieht es nach draussen zum Essen, Le-           wenn wie jetzt im Dalmazipark ein mehr-     Menschen, die Konsumangebote nutzen

                                                                                                                                          Bern im
sen, Reden, Spielen oder für ein «Mittags-      monatiges Pop-Up direkt vor unserem         können oder wollen. Gezielt geplante Auf-
schläfchen» im Park. Das stellt völlig neue     Lokal entstehen soll, das uns die Sicht     wertung des öffentlichen Raumes in Form
Anforderungen an den öffentlichen Raum.         auf die Aare versperrt, dann spüren wir     von Pop-Ups verdrängt Menschen, welche
Ich habe mich als Direktorin «des öffentli-     natürlich einen Konkurrenzdruck. Dass       im Stadtbild nicht gerne gesehen sind.
chen Raums» dafür eingesetzt, dass durch        in einem solchen Fall weder vorgängige      Diese konsumorientierten Angebote rich-
vielfältige, temporäre Gestaltungen wie         Informationen durch die Stadt noch ein      ten sich an Menschen, die über genügend

                                                                                                                                          kolonialen Netz
Pop-up-Massnahmen (Parklets zum Auf-            Einspracheverfahren durchgeführt wer-       finanzielle Mittel verfügen. Es braucht
enthalt, Tischfussball oder Billiardtische)     den, ist nicht korrekt. Es kommt bei ei-    Möglichkeiten, dass Menschen sich den
die Bedürfnisse der Bevölkerung rasch, ein-     nem Pop-up extrem auf den Standort an:      öffentlichen Raum zum Verweilen aneig-
fach und unbürokratisch umgesetzt wer-          Ein Fabrikgelände ist nicht vergleichbar    nen können. Sämtliche Nutzer*innen soll-
den. Wir versuchen über einfache Pilotpro-      mit einem Standort, wo bereits Gastrono-    ten die Möglichkeit erhalten, bei Konflik-
jekte, innovative Lösungen zu testen. Be-       miebetriebe existieren. Hier benachteili-   ten und Umstrukturierungen partizipieren
währt sich eine Massnahme nicht, wird sie       gen das einfache Bewilligungsverfahren      zu können. Wir brauchen in der Stadt Bern
angepasst, temporäre Massnahmen lassen
sich einfach zurückbauen. Unterschiedli-
                                                und die günstigen Mietkonditionen für
                                                die Pop-Ups das umliegende Gastrono-
                                                                                            ein Umdenken: Weg von Kommerziali-
                                                                                            sierung des öffentlichen Raumes, welche
                                                                                                                                                           Die Schweiz besass keine eigenen Kolonien
che Interessen gibt es dabei immer wieder,      miegewerbe. In den letzten Jahren hat das   einzig die Aufwertung von Plätzen und                          und hat somit keine unmittelbare koloniale
der öffentliche Raum ist für alle da. Wichtig
erscheint mir der Dialog mit den Beteilig-
                                                Phänomen von Pop-Up-Bars tatsächlich
                                                ein wenig Überhand gewonnen.»
                                                                                            Verdrängung von unerwünschten Gästen
                                                                                            zum Ziel hat, und hin zu niederschwelli-
                                                                                                                                                           Vergangenheit. Nichtsdestotrotz war sie in
ten auf Augenhöhe und dass die Massnah-                                                     gen Angeboten und partizipativer Nutzung,                      das kolo­niale System verwickelt. Die studizytig
men zusammen mit den Menschen vor Ort
geplant und umgesetzt werden.»
                                                                                            die nicht zum Ziel hat, ein von aussen hüb-
                                                                                            sches Stadtbild zu vermitteln, sondern
                                                                                                                                                           hat nachgeforscht, wo die Spuren des Kolonia­
                                                                                            einlädt zum sozialen Austausch und eine                        lismus in Bern zu finden sind.
                                                                                            gerechtere Stadt ermöglicht.»

                                                                                                                                          Fällt das Stichwort Kolonialismus, tauchen   publik Bern selbst im transatlantischen      oder eben das Dreieck – schloss. So handel-
                                                                                                                                          vor dem inneren Auge meist Grossbritan-      Dreieckshandel. Dreieckshandel deshalb,      te beispielsweise Rudolf Emanuel von Hal-
Kommentar                                                                                                                                 nien, Frankreich oder Spanien auf, die       weil Sklaven aus Afrika in die «Neue Welt»   ler mit Kolonialwaren aus holländischen
                                                                                                                                          grossen imperialen Mächte mit ihren Ko-      verschifft wurden, dort Rohstoffe sam-       und französischen Kolonien und besass
Wer sind alle?                                                                                                                            lonien in Übersee, Afrika und Asien. Dass    melten, die dann nach Europa gebracht        Aktien der Westindien-Kompanie. Dane-
Stylische Feierabendbiere auf Europaletten und Paninis unter Lichterketten sind                                                           aber auch Schweizer Städte und Akteur*in-    und in den aufkommenden Industrien zu        ben war er auch am Aufbau der «Nouvelle
politischer, als mensch denken würde. Toll für Tourist*innen, Gourmets und                                                                nen bei dieser Geschichte der Ausbeutung
Kulturliebende, weniger toll für alle, die lieber einfach im Gras sitzen, turnen,                                                         mittaten, ist den wenigsten bewusst.
yogieren, sich ungestört Dosenbier oder ein Buch zu Gemüte führen, ist es wenn
in ihrem Lieblingspark plötzlich Pop-Up-Bars aus dem Boden schiessen. Dass öffent­                                                                    Am Anfang war das Kapital        In Bern konnte Geld nicht mehr ge-
licher Raum für alle da ist, scheint auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit,                                                                Man schreibt das 18. Jahrhun-
ist es auf den zweiten aber nicht. Indem die Stadt ohne öffentlichen Diskurs darüber                                                      dert, und in der Republik Bern standen die   winnbringend angelegt werden, wes-
entscheidet, wo Public Viewing betrieben, wo getanzt und wo Glühwein getrunken                                                            vermögenden Familien und das Gemein-
werden soll, kann sie relativ direkt Einfluss darauf nehmen, wer sich wo aufhalten                                                        wesen vor dem Problem, dass im eigenen       halb nach Investitionsmöglichkeiten
soll – auch ohne dass an jenen Orten Konsumzwang oder Verbote eingeführt werden.                                                          Staat ein sogenannter Kapitalüberhang
Es ist gut, kreativen Köpfen eine Möglichkeit zu bieten, sich im öffentlichen Raum                                                        entstanden war. Das bedeutete, dass in       im Ausland Ausschau gehalten wurde.
mit ihren Ideen auszutoben. Dass das Verfahren dazu unkompliziert ausgestaltet ist,                                                       Bern Geld nicht mehr gewinnbringend
ergibt in vieler Hinsicht Sinn. Dabei darf aber nicht vergessen werden, wie vielseitig                                                    angelegt werden konnte, weshalb nach
die Interessen an der Nutzung öffentlicher Plätze sind. Es lohnt sich darüber nachzu-                                                     Investitionsmöglichkeiten im Ausland         Endprodukten verarbeitet wurden, welche      Compagnie des Indes» beteiligt, die unter
denken, an wem es sein soll, Dosenbier, Yoga, Lichterketten und Ungestörtheit                                                             Ausschau gehalten wurde. Diese fanden        schliesslich (unter anderem) nach Afrika     anderem Sklaven in die französischen Ko-
gegeneinander abzuwägen. jas                                                                                                              einige Patrizierfamilien und auch die Re-    exportiert wurden, womit sich der Kreis –    lonien in Indien verschiffen sollte. Oder

8                                                                                                                                                                                                                                                                            9
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
dr kolumbus                                                                                                                                           dr kolumbus

                                                                                                                                                      Die Völkerschauen auf dem Waisen-
Gabriel von May, nach dessen Familie ein                                                                                                                                                                                                                      gerade während des Bürgerkriegs wurde
Weg in Bern benannt ist: Er handelte mit                                                                                                              hausplatz oder im Bierhübeli                                                                            häufig auf die Argumente von Haller zu-
Tabak in Brasilien und war in das dortige                                                                                                                                                                                                                     rückgegriffen, um die Sklaverei in jenen
Schweizer Söldnerwesen involviert. Mit                                                                                                                erfreuten sich grosser Beliebtheit.                                                                     Gebieten zu verteidigen.
der Zeit baute er sich gar ein Monopol auf,
wodurch er ein Vermögen erwirtschaftete.                                                                                                                                                                                                                                  Kolonialismus im Alltäglichen
Dieser Erfolg war aber nur möglich durch                                                                                                                                                                                                                                  Koloniales Gedankengut fand
die Beteiligung am transatlantischen Skla-                                                                                                            Welt der ETH Zürich. «Diese alten Samm-         weder auf den Webseiten des Naturhisto-                 sich aber nicht nur unter den Patrizierfa-
venhandel und der Kooperation mit Plan-                                                                                                               lungen sind von universitärer Seite bis jetzt   rischen oder Historischen Museums Bern                  milien und den Intellektuellen – auch die
tagen, die Sklaven beschäftigten.                                                                                                                     noch kaum untersucht worden, da gäbe es         noch bei Einträgen zu Theophil Studer                   ganz gewöhnliche Schweizer Bevölkerung
                                                                                                                                                      für die historische Forschung noch viel zu      wird auf diese Verbindungen hingewiesen.                war davon geprägt. Gemäss dem Selbst-
            Staatliche Anlagen in London                                                                                                              tun», fügt er an. Die tropische Natur übte                                                              verständnis der Europäer*innen nach,
            Die Republik Bern ihrerseits                                                                                                              mit ihrer Diversität eine grosse Faszi­nation               Ein ideologisches Fundament                 dem sich auch die Berner*innen zugetan-
legte Teile des Staatsschatzes in ausländi-                                                                                                           auf die Naturwissenschaftler*innen des                      Ein weiterer Berner Intellek­               fühlten, waren sie den anderen Völkern
schen Aktien an, wobei die grösste Investi-                                                                                                           18. und 19. Jahrhunderts aus, weshalb vie-      tueller beeinflusste den kolonialen Dis-                überlegen. Völkerschauen, an denen Men-
tion in London getätigt wurde. Bern wurde                                                                                                             le junge Forscher*innen in die Gebiete der      kurs beträchtlich: Karl-Ludwig von Haller.              schen aus Afrika oder anderen Kolonien
Grossaktionärin der «South Sea Company»,                                                                                                              Kolonien reisten – eine Zusammenarbeit          Der autodidaktische Jurist und Mitgestal-               vorgeführt wurden, waren keine Seltenheit.
deren Auftrag die Versorgung der spani-                                                                                                               mit den Kolonialmächten war dafür unaus-        ter der bernischen Staatsverfassung war                 In Bern wurden diese beispielsweise im
schen Kolonien mit Sklaven war. In der Ak-                                                                                                            weichlich. Eine der grössten Sammlungen         ein erbitterter Gegner der französischen                Bierhübeli oder auf dem Waisenhausplatz
tionärszeit der Republik Bern von 1719 bis                                                                                                            stammt vom Berner Naturzeichner Johann          Revolution und schrieb in seinen späteren               durchgeführt und erfreuten sich grosser
1734 wurden ungefähr 20’000 Sklaven von                                                                                                               Wäber oder John Webber, der auf der drit-       Jahren ein wichtiges Buch im Bereich des                Beliebtheit.
der «South Sea Company» ins heutige Mit-                                                                                                              ten Expeditionsreise von Captain Cook als
tel- und Südamerika verschifft. Allerdings                                                                                                            Maler mit an Bord war und die Natur so-
gründete die «South Sea Company» auf ei-                                                                                                              wie die angetroffenen Ureinwohner*innen
ner Spekulation, der «South Sea Bubble»,                                                                                                              zeichnerisch festhielt. Er überliess einen
die 1723 platzte und grossen wirtschaftli-                                                                                                            Grossteil seiner Zeichnungen und der mit-
chen Schaden anrichtete. Nichtsdestotrotz                                                                                                             gebrachten Gegenstände dem Historischen
blieb die Republik Bern die mit Abstand                                                                                                               Museum in Bern. Ähnlich gestaltet es sich
grösste Einzelinvestorin der South Sea                                                                                                                beim Naturhistorischen Museum, dessen
Company. Bei diesen Aktienkäufen spielte                                                                                                              ausgestopfte Tiere aus dem afrikanischen
auch der bereits damals starke Bankensek-                                                                                                             Raum von den Grossjäger-Abenteuern von
tor eine grosse Rolle, da die Geschäfte von   Ein mahiole-Federhelm und ein dazugehöriger Umhang, hier an einem Modell angebracht. Beide Objekte      Sohn und Tochter von Wattenwyl stammen.
                                              wurden von Johann Wäber aus Hawai’i mitgebracht, wo sie normalerweise von Herrschern getragen wurden.
Agenten der Berner Bank Malacrida und                                                                                                                 Einige Ausstellungsobjekte wurden auch
                                              © Bernisches Historisches Museum
Cie. abgewickelt wurden. Vergleichsweise                                                                                                              durch Tausch mit anderen europäischen
mit Zürich oder Neuenburg beteiligte sich                                                                                                             Museen erworben, wobei deren Herkunft
die Republik Bern jedoch später und weni-                 «Die Schweiz war keine Insel»            Geschichte an der Universität Bern, «viel-         damals nicht besonders hinterfragt wurde.
ger stark an diesem Handel und den Speku-                 Bereits vor jenen grossen In-            mehr war sie eingebunden in die sie umge-                      Gleichzeitig waren die Museen
lationsgeschäften, da ihre wirtschaftliche    vestitionen war das Bündnissystem der                benden Vorgänge in Europa und in das im            und die jeweiligen Kuratoren treibende
Hauptausrichtung der Landwirtschaft galt.     damaligen Eidgenossenschaft und damit                Entstehen begriffene globale Netzwerk.»            Kräfte in der Rassenforschung. Beispiels-       In der Ryff-Fabrik im Marzili wurde Baumwolle aus Plantagen, die Sklaven beschäftigten,
                                              auch Bern jedoch vom Handel mit kolo-                So waren beispielsweise Berner Söldner,            weise verfasste Theophil Studer, Kurator        zu Textilien verarbeitet.

                                              nialen Waren abhängig. Man denke nur                 angeführt von Offizieren der Patrizierfa-          des Naturhistorischen Museums Bern,
Man denke nur                                 an die Schokolade, die ohne Verbindung               milien, in den französischen und hollän-           Studien zu den sogenannten «primitiven          reaktionären und rechtsgerichteten Kon-                             Auch was die Investitionen
                                              zum Kolonialwarenhandel gar nicht pro-               dischen Heeren zu finden. Auch Intellek-           Völkern», indem er Schädel verschiedener        servatismus, mit dem Titel «Restauration                angeht, beteiligten sich nicht nur die
an die Schoko­                                duziert werden konnte. Auch für die Uh-              tuelle und öffentliche Einrichtungen wie           aussereuropäischer Stämme mit prähisto-         der Staatswissenschaft». Darin argumen-                 Patrizier*innen: Berner*innen, die ihr
                                              ren- und Schmuckherstellung, für welche              Museen pflegten den Austausch mit ihren            rischen Schädeln aus der Schweiz verglich.      tiert er im Gegensatz zur aufklärerischen               Geld der Bank anvertrauten, waren durch
lade, die ohne                                die Schweiz bereits im 17. Jahrhundert zu            europäischen Pendants.                             Andere Forschende beschrieben nicht-            Philosophie, dass die Europäer*innen                    die von der Bank getätigten Anlagen mehr
                                              einem Zentrum wurde, mussten die Roh-                                                                   europäische Menschen als Zwischenstufe          den anderen Völkern natürlicherwei-                     oder weniger wissentlich Teil kolonialer
Verbindung zum                                stoffe von weit her eingeführt werden. Zur                      Wissenschaft zwischen                   von Mensch und Schimpanse und daher             se überlegen seien und damit auch die                   Projekte und Handelsnetze.
                                              Herstellung von Textilien wiederum – zu-                        Tropenliebe und Rassentheorie           als weniger entwickelt. Diese Ansichten         Sklaverei in der Natur begründet ist. Ein-
Kolonial­waren­                               erst in Heimarbeit, dann beispielsweise                         Diese Vernetzung machte                 wurden durch Gesellschaften wie der             zige Bedingung von Hallers war, dass die                           Der Widerstand regt sich
                                              in der Ryff-Fabrik, die im Marzili stand             sich besonders im Bereich der Wissen-              geographischen Gesellschaft in Bern, der        Sklav*innen von den Besitzer*innen nicht                           Doch zwischen dieser passi-
handel gar                                    und die grösste industrielle Arbeitgeberin           schaft bemerkbar. «Die Sammlungen der              Theophil Studer vorstand, unter den Intel-      schlecht behandelt werden durften. In                   ven Befürwortung des Kolonialismus und
                                              Berns war – wurde Baumwolle importiert.              Museen bauen grösstenteils auf Objekten            lektuellen aus ganz Europa verteilt. Diese      diesem Falle wäre auch seiner Ansicht                   einigen aktiven Akteur*innen regten sich
nicht produziert                              «Die Schweiz war keine Insel, auch wenn              aus den damaligen Kolonien auf», erklärt           Geschichte der Verwicklung der Wissen-          nach die Sklaverei unrechtmässig. Seine                 auch einige kritische Stimmen. «Es ist
                                              sie das gerne so darstellt», betont André            Dr. Bernhard Schär, Oberassistent an der           schaft mit dem kolonialen Netzwerk ist          Ideen fanden grosse Verbreitung und Ver-                einerseits eine Geschichte der Involvie-
werden konnte.                                Holenstein, Professor für ältere Schweizer           Professur für Geschichte der modernen              bis jetzt noch kaum aufgearbeitet worden,       wendung in den Südstaaten der USA und                   rung, aber immer auch eine Geschichte

10                                                                                                                                                                                                                                                                                                    11
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
Kapiteltitel                                                                                                                                      kennet dir die gschicht

                                                                                                                                                  Irme ige ide
                                                                                                                                                  Ittume*
                                                                                                                                                                                                 Die Matte ist anders. Anders als Bern.
                                                                                                                                                                                                 Und über Jahrhunderte hinweg besass sie
                                                                                                                                                                                                 nicht nur einen eigenen Dialekt, sondern
                                                                                                                                                                                                 sogar eine Geheimsprache – das Matte-
                                                                                                                                                                                                 änglisch.

Der Name war Programm: Die heutige Bar Colonial war früher ein Kolonialwarenladen.
                                                                                                                                                  Dort, wo das Weisse ins Schwarze Quartier                 Von diesem einst emsigen Trei-     seinem warmen Berner Dialekt, der sich
                                                                                                                                                  übergeht, holt mich die Ruhe ein. Weit         ben ist heute allerdings nicht mehr viel zu   auch für mich Neubernerin wohlig nach
des Widerstands, gerade vonseiten der                 tantismus an der Rechtmässigkeit der          eine diskrete, wirtschaftliche Verwicklung    über mir strömen Bärenhungrige Berns be-       spüren. Die Gerberngasse, die mich tiefer     Heimat anhört, «dabei hat Matteänglisch
kolonialisierten Bevölkerung», wie Schär              Sklaverei, da aus religiöser Sicht alle Ge-   in das koloniale System, die die damalige     kanntester Sehenswürdigkeit zu. Das Rat-       in die Matte führt, ist auf beiden Seiten     mit England grad gar nichts zu tun.» Im
meint. Davon zeugen die Revolutionen                  schöpfe Gottes sind und deshalb nieman-       Eidgenossenschaft und Bern kennzeich-         tern der Busse auf dem Kopfsteinpflaster,      von niedrigen Lauben gesäumt. Gross-          deutschen Sprachraum, erklärt er mir,
und Unabhängigkeitsbewegungen, die im                 dem das Recht zusteht, andere schlecht        nete», merkt Holenstein an. Ohne diese        die aufgeregten Rufe der Touristen, wenn       städter müssen hier schon ein wenig den       habe man unverständliche Sprachen frü-
18. und 19. Jahrhundert auf dem amerika-              zu behandeln. Diese Positionen machten        wäre die Schweiz heute nicht so, wie sie      ein Bär sich wieder mal bequemt, den Leu-      Kopf einziehen. Die Häuser wurden säu-        her «welsch» genannt, was gleichzeitig
nischen Kontinent und später dann auch                sich besonders Mitte des 19. Jahrhunderts     ist. Eigentlich offensichtlich, wenn man      ten beim Starren zuzuschauen – aller Lärm      berlich saniert und blicken in schweizeri-    auch «Französisch» bedeutete. Im zwei-
in Afrika und Asien aufkamen. Einige der              bemerkbar, als der Berner Freisinn dem        etwas genauer darüber nachdenkt: Wir          verklingt, von mir ungehört. Hier unten an     scher Manier den wenigen Passanten nach       sprachigen Bern wurde Französisch aber
exilierten Anführer dieser Bewegungen                 stärker wirtschaftlich ausgerichteten Zür-    könnten weder Schokolade noch Uhren           der Aare, in der Mattenenge, verlangsamt       – einige Schulkinder, eine Radfahrerin,       sehr wohl verstanden, ein anderer Name
trafen sich in der Schweiz, die dadurch zu            cher Freisinn Begünstigung der Sklaverei      produzieren und hätten eine völlig an-        sich der Herzschlag im Rhythmus verein-        zwei Nonnen. Und doch – es gibt sie noch,     musste her – und Englisch war den Leuten
einer Drehscheibe für den international               und sogar Sklavenhaltung vorwarf.             dere Ernährungskultur, ohne Tomaten,          zelter Schritte und dem sanften Treiben        die Überbleibsel aus jener Zeit des Han-      damals wesentlich fremder. Matteänglisch
                                                                                                    Mais oder Bohnen. Nicht zuletzt wurde         des Flusses. Kein Bus fährt hier, Autos ist    dels. Eines davon sind die zwei Wörter in     ist denn auch keine Sprache mit eigenem
                                                                                                    auch der Reichtum der Schweiz zu gewis-       nur zu gewissen Zeiten die Durchfahrt er-      aareblauen Lettern über dem Eingang           Vokabular, sondern eine Geheimsprache,
«Es war eine diskrete, wirtschaftliche                                                              sen Teilen mithilfe des Kolonialismus         laubt. Das Schwarze Quartier, das seinen       zum Quartierladen: Ittume Idele.              die spezifischen Regeln folgt. Aber wo liegt
                                                                                                    aufgebaut. Zudem spüren Migrant*innen         Namen den schwarzen Strassenschildern                                                        ihr Ursprung?
Verwicklung in das koloniale System,                                                                die Auswirkungen des Kolonialismus            verdankt, deren Farbgebung noch aus den                                                                  Im Grossraum Hamburg. Dort
                                                                                                    am eigenen Leib, denn unbewusste Vor-         Zeiten Napoleons stammt, war schon seit                                                      werden die Regeln der Geheimsprache im
die die damalige Eidgenossenschaft                                                                  urteile, Stereotypen und racial profiling     jeher von der Stadt isoliert. Ein eigener      Schiffe fuhren von                            14. Jahrhundert zum ersten Mal beschrie-
                                                                                                    zeigen, dass gewisse Züge kolonialen          dörflicher Mikrokosmos aus Kleinhand-                                                        ben. Bis heute spricht man in Hamburg
und Bern kennzeichnete.»                                                                            Denkens noch nicht gänzlich aus der Ge-       werkern, Schiffern, Wäscherinnen und           hier bis Brienz im                            von der sogenannten «Kesselklopferspra-
                                                                                                    sellschaft verschwunden sind. Und doch        Schulkindern. Die Matte ist eben nicht                                                       che», die dem Matteänglischen ziemlich
                                                                                                    ist die Geschichte der Verwicklung Berns      Bern. Aber Bern gäbe es wahrscheinlich         Süden und Rotter-                             ähnlich ist. Höchstwahrscheinlich verbrei-
vernetzten Kampf gegen den Kolonialis-                            Aufarbeitung der eigenen          und der Schweiz in das koloniale System       nicht ohne die Matte. Die seit dem 12. Jahr-                                                 teten sich die Regeln dann auf dem Was-
mus wurde.                                                        unangenehmen Geschichte           kaum ein Thema, weder im akademi-             hundert von der Wasserkraft angetriebene       dam im Norden.                                serweg südwärts bis in die Matte. So wurde
            Unter der schweizerischen                             Das Netz des Kolonialismus er-    schen Bereich noch im Gespräch unter          Industrie im Quartier bescherte der Stadt                                                    hier aus der Schtibere (Stadt) die Iberesch-
und bernischen Bevölkerung waren zwar                 streckte sich ohne Ausnahme über die ge-      Freund*innen. Deshalb wird es höchste         Leder, Tuch, Gold und später sogar Scho-                                                     te und aus dem Matte-Lade eben der Ittu-
progressive Einstellungen wie der Aboli-              samte Welt, einschliesslich Bern. Die Fol-    Zeit, dass die Schweiz, Bern und wir selbst   kolade und ermöglichte es ihr, die Stadt zu                                                  me Idele.
tionismus nicht mehrheitsfähig – dafür                gen davon sind noch heute spürbar und         uns dieser Vergangenheit bewusst stellen,     werden, die wir heute kennen. Zudem war                   Kauderwelsch                                   Hafen, dem der Schalk bei je-
standen zu grosse finanzielle Interessen              ersichtlich, sei es in unserer Ernährung,     auch wenn die Debatte über historische        die Matte lange Zeit ein wichtiger Schiff-                Peter Hafen, Präsident des Mat-    dem Wort hinter den Ohren sitzt, treffe
auf dem Spiel – aber sie wurden doch                  in Bauwerken, Diskursen oder der Migra-       Schuld oft unangenehm ist und viele Ab-       fahrtsknotenpunkt mit einer eigenen            teänglisch Club Bern, muss lachen, als ich    ich beim Takeaway «Ligu Lehm» am Müh-
diskutiert. Ausserdem zweifelte auch der              tion – auch wenn Bern oder die Schweiz        wehrreaktionen auslöst. text und fotos:       Werft. Schiffe fuhren von hier bis Brienz im   ihm am Telefon vom Thema unserer Aus-         lenplatz. Nirgendwo sonst fühlt man sich
gerade in Bern stark vertretene Protes-               keine eigenen Kolonien besassen. «Es war      lucie jakob                                   Süden und Rotterdam im Norden.                 gabe erzähle. «Das ist lustig», meint er in   in der Matte mehr in einem Dorf als auf

12                                                                                                                                                                                                                                                                                       13
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
inägspienzlet                                                                                                                                    kennet dir die gschicht

                                                                                                 Kinder musste ein zweites Schulhaus her.
                                                                                                 Die Vorurteile über die Matte stammen                                                                                                                     Keep Calm and Learn Matte­änglisch
                                                                                                 wohl aus dieser Zeit – bis heute wird Mat-                                                                                                                Und so geht’s:
                                                                                                 teänglisch als «Gaunersprache» bezeich-
                                                                                                 net. Das war sie allerdings nie, stellt Hafen                                                                                                             1. Wort nach dem ersten Vokal
                                                                                                 klar. Und Gauner waren die Mätteler auch                                                                                                                  trennen und Teile vertauschen:
                                                                                                 nicht mehr als andere. «Vielleicht etwas ei-                                                                                                              Matte ----› Ma / tte ----› tte / ma
                                                                                                 genwillig», gibt er zu. So erzählt man sich,
                                                                                                 dass früher gerne Burschen aus der oberen                                                                                                                 2. Ein ‹I› vorne anhängen
                                                                                                 Stadt hinunter ins Inselibad kamen, um                                                                                                                    ----› I / tte / ma
                                                                                                 dort in der Gartenwirtschaft um Geld zu
                                                                                                 spielen und mit den Meitschi z tschääg-                                                                                                                   3. Den Schlussvokal zu einem ‹e›
                                                                                                 gerle, worauf sie jeweils kurzerhand von                                                                                                                  umwandeln
                                                                                                 den Mattegiele in die Aare geschmissen                                                                                                                    ----› I / tte / me
                                                                                                 wurden. Irgendwann hatten die Anwohner                                                                                                                    ----› Itteme
                                                                                                 genug davon, dass die Burschen immer
                                                                                                 pflitschnass durch das Quartier liefen und                                                                                                                Den fremden Klängen lauschen auf:
                                                                                                 bauten ihnen die Brücke zwischen Schiffs-                                                                                                                 digezz.ch/projekte/mattequartier/
                                                                                                 laube und Inseli - zur Abkürzung.

                                                                                                            Tschugger und Chempe
                                                                                                            Wie es heute mit dem Matte-
                                                                                                 änglisch aussehe, hake ich nach. Schlecht                                                                                                                           Adlerblick
                                                                                                 - die Antwort. Heute werde die Sprache                                                                                                                              Wen es trotzdem wieder nach
                                                                                                 nur noch zum Vergnügen in einigen we-                                                                                                                  oben zieht, dem empfehle ich das Senkel­
                                                                                                 nigen Familien benutzt. Am meisten                                                                                                                     tram. Der Lift, der direkt auf die Münster-
                                                                                                 Glück, einige Brocken Matteänglisch auf-                                                                                                               plattform fährt, bietet nicht nur ein hüb-
                                                                                                 zuschnappen, hat der Suchende vielleicht                                                                                                               sches Schwindelgefühl im Bauch, sondern
                                                                                                 noch am alle zwei Wochen stattfindenden                                                                                                                auch einen letzten Mundvoll Matteäng-
                                                                                                 Stammtisch des Matteänglisch Clubs im                                                                                                                  lisch– Inkede irfe ds Itme-ihrefe. Danke
                                                                                                 Restaurant Mühlirad.                                                                                                                                   fürs Mitfahren.
                                                                                                            Begonnen hat der schleichen-                                                                                                                             Auf der Münsterplattform be-
                                                                                                 de Niedergang des Matteänglisch mit                                                                                                                    schleunigt sich der Puls dann spätestens
Beim Hochwasser von 2005 Teil des Flusses geworden: die Gerberngasse.
                                                                                                 der Armut. Mit dem Zuzug neuer Famili-                                                                                                                 beim Blick in die Tiefe wieder – die hän-
                                                                                                 en und der zunehmenden Mobilität der                                                                                                                   genden Gärten, die sich zwischen Altstadt
                                                                                                 Bewohner*innen ging langsam auch das                                                                                                                   und Matte an den Hang schmiegen, warten
dem Mühlenplatz. Der Brunnen plätschert                         Gleich neben dem Mühlen-         Wissen um die Geheimsprache zurück.                                                                                                                    auf den nahenden Frühling, um in voller
friedlich vor sich hin, die 500-jährigen Häu-       platz stehen die zwei Schulhäuser der        Zuletzt, erzählt Hafen, sei die Sprache                                                                                                                Pracht zu erblühen und die Aare schäumt
ser schmiegen sich wohlig aneinander,               Matte. Als um 1850 die Wasserkraft von       von den Giele und Modi verwendet wor-                                                                                                                  in weisser Gischt über die Schwelle, lockt
die Fassaden hübsch zurechtgemacht, die             der Elektrizität abgelöst wurde, brach die   den, «wo veu no öppe em Tschugger Strei-                                                                                                               in türkisgrünen Tönen. Die goldene Bun-
Fenster leicht trunken einander zugeneigt.                                                                                                       «Söui mou richtig bös driiluege?», lacht Peter Hafen bei der Führung.                                  deshauskuppel thront in Sichtweite und
            Ob er selber in der Familie                                                                                                                                                                                                                 das Münster ragt imposant in den weich
Matteänglisch gesprochen habe?, frage                                                                                                                                                                                                                   gezeichneten Himmel. Aber unten in der
ich Hafen. Der schüttelt schmunzelnd den            Die Sprache wurde zuletzt von                                                                                                                                                                       Tiefe, zwischen Stadt und Fluss, stehen
Kopf. «Überhaupt wurde Matteänglisch nie                                                                                                         Diesen Dialekt spricht heute zwar auch                   Überhaupt gibt es nur noch wenige «Ori-       tüchtig die Häuser der Matte und werfen
wirklich gesprochen», fügt er an, «es wurde         den Giele und Modi verwendet,                                                                niemand mehr, es haben sich aber eini-                   ginale» hier unten, die Gentrifizierung hat   keinen einzigen Blick zu denen da oben.
nur benutzt, um kurze Anweisungen zu ge-                                                                                                         ge Wörter erhalten, die mir als Aarauerin                das Quartier fest im Griff. Wo früher Spin-   Die Matte ist eben die Matte.
ben oder Mitteilungen zu verfassen.» Über           «wo veu no öppe em Tschugger                                                                 mit Bahnhofs-Buffet-Olten-Dialekt min-                   nerei, Müllerei und Spezerei waren, haben                  *matteänglisch für das matten-
Jahrhunderte wurde es benutzt, wenn Drit-                                                                                                        destens so rätselhaft erscheinen wie das                 heute Tänzerinnen ihren Parkettboden          berndeutsche «mir gö id Matte» (wir gehen
te nicht mithören sollten. So zum Beispiel,         Streiche gspeut hei».                                                                        Matteänglisch. So wird hier die Flasche                  und Architekten ihren Coworking Space.        in die Matte)
wenn die Eltern vor den Kindern über de-                                                                                                         Flämnu genannt und die Steine Chempe.                    Viele kreative Köpfe sind hier zu finden,     text: janine schneider;
ren Weihnachtsgeschenke reden wollten.              Armut über die Matte herein. Die Industrie   che gspeut hei.» Der Tschugger, versteht        Mehrmals muss ich nachhaken bei Herr                     nur leider auch viele, die bloss zum Schla-   fotos: franca sidler
«Ich kenne einige Leute, die deshalb Mat-           zog weg und manch einstiger Handwerker       sich, ist der Polizist. Wie auch der Ligu       Hafen, der spricht, als wäre er ein Mätte-               fen hierherkommen. «Aber die packt’s          Erstmals erschienen in
teänglisch gelernt haben. Weil sie wissen           musste sich oben in der Stadt als Tagelöh-   Lehm eben ein Stück Brot ist. Aber weder        ler, dabei lebt er gar nicht hier, sondern               denn schono», meint Hafen. Und ich spü-       der Ausgabe «England»
wollten, was ihre Eltern da Seltsames von           ner verdingen. Dazu kam, dass viele Leute    Tschugger noch Ligu Lehm sind Matte-            im Altenberg, eben kein Original, son-                   re, was er meint. Dem eigenwilligen Zauber    des Schweizer Reisema-
sich gaben.»                                        vom Land hierherzogen. Für die vielen        änglisch, sondern Mattenberndeutsch.            dern einer von den «zuechegschläckte».                   der Matte entkommt man nicht so schnell.      gazins Transhelvetica.

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Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
Von Bären und
Kranichen                                                                                                           1798
                                                                                                                                                       1834
                                                                                                                                                                                   1870
                                                                                                                                                                                                                1919
                                                                                                                                                                                                           Auf Geheiss des
                                                                                                                                                                                                            Kantons wird
                                                                                                                                                                                                                                         1972
                                                                                                                                                                                                                                Mani Matter ist tot. Der
                                                                                                                                                                                                                              bekannteste Vertreter der
                                                                                                                                                                                                                                                                       1982
                                                                                                                                                                                                                                                                       Ein Punk stiehlt im Drogenrausch einen
                                                                                                                                                                                                                                                                       Kranich aus dem Tierpark Dählhölzli
                                                                                                                                                                                                                                                                       und brät ihn vor der Reitschule. In
                                                                                                                                                                                                                                                                       der Folge wird das Gelände polizei-
                                                                                                                                                                                                                                                                       lich geräumt, es kommt zu Strassen-
Humorlose Politikhochburg und Hort der                                                                       Der Legende nach
                                                                                                             haben Napoleons
                                                                                                                                       Die neuen Herrscher
                                                                                                                                                                        Catharina Gontscharoff
                                                                                                                                                                          studiert als erste Frau
                                                                                                                                                                                                          das verschuldete
                                                                                                                                                                                                                              Berner Troubadours stirbt
                                                                                                                                                                                                                               bei einem Autounfall im
                                                                                                                                                                                                                                                                       schlachten. Die Reitschule wird zur
                                                                                                                                                                                                                                                                       Sperrzone und ein Jahr lang rund um
Langsamkeit? Bern hat weit mehr zu bieten.                                                                Soldaten gewisse Ori-
                                                                                                                                           beschliessen die
                                                                                                                                            Gründung einer
                                                                                                                                                                       während zwei Gastsemes-
                                                                                                                                                                                                         Bümpliz in die Stadt
                                                                                                                                                                                                         Bern eingemeindet.
                                                                                                                                                                                                                              Alter von 36 Jahren. Matter              die Uhr durch die Polizei bewacht.
Wichtiges, Überraschendes und Kurioses aus                                                                 entierungsschwierig-
                                                                                                         keiten. Der Einfachheit
                                                                                                                                          Hochschule nach
                                                                                                                                                                         tern an der Universität
                                                                                                                                                                         Bern. Zwei Jahre später
                                                                                                                                                                                                                                hat Lieder wie «I han es
                                                                                                                                                                                                                               Zundhölzli azündt» oder
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        2020

über 800 Jahren Stadtgeschichte.                                                                         halber wird die Berner
                                                                                                                                       deutschem Vorbild –
                                                                                                                                       die Universität Bern.
                                                                                                                                                                           folgte mit Anna Gal-                                «Hemmige» geschrieben.
                                                                                                                                                                                                                                                                                   1993
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             In der Stadt Bern leben
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            rund 143’000 Menschen.
                                                                                                         Altstadt deshalb in fünf                                      vis-Hotz die erste reguläre
                                                                                                                                                                                                                             1968                                          Die Universität be-                 Sie ist damit hinter
                                                                                                         «farbige» Quartiere ein-    1831                                Studentin. Sie schliesst
                                                                                                                                                                                                                     Die Stimmberech-                                      zieht das Gebäude                 Zürich, Genf, Basel und
                 1208                                                                                    geteilt. Jedem Quartier     Eine liberale Welle                  ihr Studium 1877 ab.
                                                                                                                                                                                                                       tigten der Stadt                                      der ehemaligen                 Lausanne die fünftgröss-
         Bern wird erstmals in                                                         1654                 ist dabei eine Farbe     erfasst Europa.                                                                                                         1981
                                                                                                                                                                                     1890                            Bern beschliessen                                      Schokoladenfab-                   te Stadt der Schweiz.
     einer Urkunde erwähnt. Die                                               Der Student Theobald        (schwarz, weiss, grün,     In Bern dankt die                                                                                         In den Stallungen                                    2015
                                                                                                                                                                                     Bern eröffnet seine erste       die Einführung des                                     rik Tobler. Später
       Herkunft des Namens ist                     1405                    Weinzäpfli stürzt mit seinem   rot und gelb) zugeord-     adelige Patrizier-        1859                                                                              der ehemaligen                                     Die bärner studizy-
                                                                                                                                                                                     Tramlinie. Sie führt vom       Frauenstimmrechts                                     entstehen auch auf
     umstritten. Die bekannteste          Ein Grossbrand in der              Pferd über die Mauer der     net. Bis heute sind die    regierung ab und          Die neue Eisen-                                                                  Reitschule findet                                   tig (bsz) erscheint
                                                                                                                                                                                     Bärengraben via Bahnhof        auf Gemeindeebene.                                       den Arealen des
       Legende besagt, dass die         Altstadt zerstört über 600         Münsterplattform. Er überlebt Strassenschilder dieser     macht den Weg             bahnlinie Bern-                                                                das Eröffnungsfest                                    zum ersten Mal. Sie
                                                                                                                                                                                     zum Bremgartenfriedhof.          Zwei Jahre später                                   alten Frauenspitals
       Stadt nach dem ersten in         Häuser und fordert mehr              den über 20 Meter hohen       Quartiere in den ent-     frei für Wahlen           Münsingen-Thun                                                                    des Autonomen                                      ersetzt die darben-
                                                                                                                                                                                     Frost in den Leitungen der      wird die erste Frau                                      (UniS) und der
      den umliegenden Wäldern              als hundert Opfer. Es             Fall. Heute erinnert eine    sprechenden Farben.        im Kanton. Klarer         setzt der bishe-                                                                 Jugendzentrums                                      de Studierenden-
                                                                                                                                                                                     Drucklufttram führt zu          in die kommunale                                       Maschinenfabrik
        erlegten Tier benannt            ist bis heute der grösste          Gedenktafel auf der «Pläfe»   Im Rest der Stadt sind     Gewinner sind             rigen Aareschiff­                                                                      (AJZ) statt.                                  zeitschrift Unikum.
                                                                                                                                                                                     saisonalen Unterbrüchen.        Regierung gewählt.                                   von Roll Uni-Räum-
         wurde - einem Bären.           Brand in der Stadt Bern.           an den spektakulären Unfall.      die Schilder blau.      die Liberalen.            fahrt ein Ende.
                                                                                                                                                                                                                                                                                lichkeiten.
                                            1400

                                                                                                                                                                                                                                                                                            2000
           1200

                                                                                  1600

                                                                                                                                                                                           1900

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      2020
                                                                                                                1800
                                                             1500
1100

                          1300

                                                                                              1700

                                                                                                                                                                                                                                                                                 1992
                                                                                                                                                                                                                                                                            Die Universi-              2012
            1191                                                                                                                                                                                                                                                           tät Bern zählt      Bei der zweiten Aus-
                                         1353                  Um 1500                                                                                         1848                                   1908                                          1977
           Herzog                                                                                                                                                                                                                                                            erstmals in       gabe des «Tanz dich
                                   Der Stadtstaat            Die Aare beim                                                                                     Der lockere Staatenbund           Albert Einstein, der Begrün-          Mit 20'000 Besucher*innen
        Berchtold V.                                                                                                                                                                                                                                                           ihrer Ge-       frei» demonstrieren
                                      Bern wird             Eichholz bildet                                                                                    ist passé. Bern wird Sitz der     der der Relativitätstheorie,         findet auf dem «Güsche» das
       von Zähringen                                                                                                                                                                                                                                                       schichte mehr        und feiern 10'000
                                    achter Ort im           den kirchlichen                                                                                    Bundesbehörden in der neuen          lehrt für drei Semester            1. Internationale Folkfesti-
        gründet die                                                                                                                                                                                                                                                           als 10’000       junge Menschen in
                                   Bündnissystem           Röstigraben der                                                                                     Schweizerischen Eidgenossen-       lang theoretische Physik             val statt – der Vorläufer des
         Stadt Bern.                                                                                                                                                                                                                                                        Studierende.        der Stadt für mehr
                                    der Schweize-          Schweiz: Wabern                                                                                     schaft. Erste Teile des Regie-      an der Universität Bern.             heutigen Gurtenfestivals.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Freiraum. Nach
                                   rischen Eidge-           gehört zum Erz-                                                                                    rungsgebäudes entstehen in                                               Vor lauter Aufregung ging
                                                                                                                                                                                                                                                                                                wüsten Ausschrei-
                                    nossenschaft.         bistum Lausanne,                                                                                     den Folgejahrzenten, der Bau                                              allerdings die Bühnen-
                                                                                                                                                                                                                                                                                              tungen und harscher
                                                           Muri zum Erzbis-                                                                                    des Bundeshauses wird aber                                                 belichtung vergessen.
                                                                                                                                                                                                                                   1931                                                       Polizeigewalt bei der
                                                            tum Mainz. Der                                                                                     erst 1902 abgeschlossen.
                                                                                                                                                                                                                        Das Berner Stadtoriginal                       1980                    dritten Ausgabe ein
                                                          Jahresbeginn wird
                                                                                                                                                                                           1861                        Dällenbach Kari stürzt sich          Louise Elisabeth de Meu-           Jahr später wird das
                                                           um drei Monate
                                                                                                                                                                          Der norwegische Kavalleriehauptmann           von einer Brücke über die         ron-von Tscharner stirbt im          Projekt eingestellt.
                                                         zeitversetzt gefeiert.
                                                                                                                                                                      Lorenz Göttig Lorck stürzt – alkoholisiert und Aare in den Tod. Der kauzi-        Alter von fast 98 Jahren. Die als
                                                                                                                                                                      zuvor übermütig auf dem Geländer balancie-        ge Coiffeurmeister war in         letzte Aristokratin bekannte
                                                                                                                                                       1802           rend – in den Bärengraben. Mit einem Regen-        Bern bei vielen als Anek-      Dame galt mit ihrem anachro-
                                                                                                                                    Im «Stäcklichrieg» wird             schirm verteidigt sich der 31-jährige gegen    doten- und Witzeerzähler,         nistischen Verhalten als Stad-
                                                                             1798                                                      die Stadt zum ersten            die Bären. Ohne Erfolg. Als die herbeigerufe-     Possenreisser und trink-       toriginal. So fuhr sie etwa stets
                                                                 Bei Grauholz unterliegt Berns                                          und einzigen Mal in           nen Landjäger eintreffen, ist Lorck bereits tot. freudiger Geselle bekannt.       ohne Billet Tram. Ihre Begrün-
                                                                  Streitmacht den Franzosen.                                          ihrer Geschichte zum                                                                                              dung: «I bi vorem Tram da gsi».
                                                                 Napoleons Truppen besetzen                                          Ziel einer Kanonenku-
                                                                                                                                                                                                                                                                                       2018
                                                                daraufhin die Stadt und entwen-                                     gel. Das Einschussloch
                                                                                                                                                                                                                                                                Die Young Boys gewinnen
text: mathias streit, bettina wyler, noah pilloud;              den nebst der Staatskasse auch                                            ist noch heute am
                                                                                                                                                                                                                                                                2:1 gegen Luzern und sind
bilder: staatsarchiv kanton bern                                die Bären aus dem Bärengraben                                          Läuferplatz sichtbar.
                                                                                                                                                                                                                                                                    erstmals seit 32 Jahren
                                                                  und bringen sie nach Paris.
                                                                                                                                                                                                                                                                    wieder Schweizer Fuss-
                                                                                                                                                                                                                                                                 ballmeister. Bern ist über
                                                                                                                                                                                                                                                                    Wochen gelb-schwarz.
16                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           17
Pop-Up-Sommer - Mitgehangen, mitgefangen: Bern im kolonialen Netz - Irme ige ide Ittume* - Bären, Kraniche und kauzige Stadtoriginale - Quo ...
nei säget sölle mir                                                                                                                                            nei säget sölle mir

Quo vadis Berna?
                                          Wie sieht die Bundesstadt im Jahr 2050 aus? Bereits
                                          heute entstehen Projekte, die das Stadtbild nachhaltig
                                          prägen werden. Visionäre Stadtplaner erträumen
                                          sich derweil Jahrhundertbauwerke. Eine Auswahl von                                                                                                                                               Bilder des Projekts Trio in der Wankdorf City 2; Quelle: trio-wankdorfcity.ch

                                          Berns Zukunftsmöglichkeiten.                                                                                          «Die Ausgangs­
                                                                                                                                                                                                                ben dem Institut für Sportwissenschaften          und ein neuer Quartierplatz entstehen.
                                                                                                                                                               lage in Berns                                    der Universität. Die neue Halle hat mehr          Dieser wäre zugleich Ausgangspunkt für
Mit dem Bus in fünf Minuten von der Uni                 Boa hat berechnet, dass die Hochbrücke                 ist deshalb klar, dass der neue Stadtteil nur                                                    Kapazität als die drei bestehenden Stadt-         die von Städtebauer Boa angedachte Vier-
in der Länggasse in die WG im hippen                    mindestens 16 Meter breit sein müsste.                 integral zusammen mit der neuen Aareque-        ­Norden ist                                      Hallenbäder zusammen. Geplant ist ein             erfeldbrücke. Auch beim ehemaligen Zieg-
«Breitsch»? Eine neue 350 Meter lange                   «Damit es später auch genügend Platz für               rung nachhaltig entwickelt werden könne.                                                         Becken mit zehn 50-Meter-Bahnen, die              lerspital, auf der Warmbächlibrache in
Brücke inmitten von Bern könnte das bald                eine Tramlinie hat.» Verbinden soll die Brü-           «Deshalb dürfen die beiden Projekte nicht        stadtplanerisch                                 sich in doppelt so viele 25-Meter-Bahnen          Holligen oder auf dem Gaswerk-Areal di-
schon möglich machen. Auch Velos sollen                 cke den Quartierplatz im Wyler mit einem               unabhängig voneinander geplant werden»,                                                          teilen lassen. Sobald die Schwimmhalle            rekt an der Aare sollen bald grosse Wohn-
über die Brücke fahren. Der Umweg über                  Boulevard im Viererfeld. Dort will die Stadt           ermahnt Arpad Boa.                               eine Jahrhundert­                               steht, werden die in die Jahre gekomme-           bauprojekte realisiert werden. Und im
den Hauptbahnhof? Geschenkt! Das Brü-                   ein neues Quartier aus dem Boden stamp-                            Doch genau das hat die Stadt-                                                        nen Hallenbäder erneuert. Auch Freibäder          Weyermannshaus, direkt neben der Badi,
ckenprojekt ist eines der Vorhaben, das                 fen. 2016 hat die Berner Stimmbevölkerung              regierung vor. Das Siegerprojekt für die         chance.»                                        wie das Weyerli oder die Ka-We-De werden          entsteht eine Überbauung mit rund 900
das Gesicht der Stadt Bern in den nächsten              entschieden, die heute landwirtschaftlich              Viererfeld-Überbauung ist als in sich ge-                                                        bald totalsaniert.                                neuen Wohnungen.
Jahrzehnten verändern könnte, aber lange                genutzte Fläche zu überbauen. Geplant                  schlossene Wohnüberbauung angelegt.             radial, also strahlenförmig, von einem
nicht das einzige. Das zeigt ein Blick in die           sind im Viererfeld 1’100 Wohnungen für                 Die Stadt sieht im Viererfeld ein «Wohnen       Mittelpunkt ausgehend, angelegt gewe-
Zukunft der Stadt Bern.                                 rund 3’000 Personen.                                   im Grünen» und will das Land möglichst          sen. Bern hat(te) zwei solcher Zentren: den      Bald schon könnte das Münster
                                                                                                               schnell stückweise an Investoren verkau-        Zytglogge und den Bahnhofplatz. «Heute
                                                                                                               fen. Wo Boa einen neuen, vielfältigen und       sollte alles viel dichter vernetzt sein», sagt   nicht mehr das grösste Gebäude
                                                                                                               durchmischten Stadtteil mit vernetzten          Boa. Das ergebe automatisch kürzere Wege
                                                                                                               Grünräumen sieht, der durch eine voll-          sowie weniger und langsameren Verkehr.           in Bern sein.
                                                                                                               wertige Brücke ins Zentrum einer neuen          Dazu sei es wichtig, die Quartiere noch
                                                                                                               städtischen Ost-West-Passage nördlich des       stärker untereinander zu vernetzen und
                                                                                                               Bahnhofs rückt, plant Bern bisher nur eine      somit den Weg über das Zentrum obsolet                       Eine der imposantesten Neu-                       Wolkenkratzer am Europaplatz
                                                                                                               schmale Velobrücke. Autos oder Busse hät-       zu machen. In der Viererfeldbrücke sieht         bauten entsteht auf dem Areal der Insel.                      Nicht ausgeschlossen, dass
                                                                                                               ten darauf keinen Platz. Das Projekt hatte      er deshalb die Chance, eine schnelle und         Das Universitätsspital baut bis 2023 ein          dort auch ein paar Fachhochschulstu-
                                                                                                               von Beginn weg mit Widerstand zu kämp-          direkte Ost-West-Querung der Stadt zu er-        neues Hauptgebäude. Anschliessend soll            dis eine Bleibe finden. Gleich ennet dem
                                                                                                               fen. «Unnötig» und «zu wenig durchdacht»        möglichen. «Die Brücke würde mit einem           das alte, weit hinaus sichtbare Betten-           Weyerli-Bad wird nämlich der Campus der
                                                                                                               lauten die Hauptvorwürfe. Das sieht auch        Schlag die rund 50’000 Menschen in der           hochhaus abgerissen werden. Auch die              Berner Fachhochschule (BFH) gebaut. Ab
                                                                                                               Boa so: «Weshalb eine Brücke bauen, die         Länggasse und im Breitenrain miteinan-           medizinische Fakultät plant Neubauten             2026 sollen dort über 6’000 Studierende
                                                                                                               nur einem bestimmten Verkehrsmittel zu-         der verbinden.» Gemeinsam mit einem              auf dem Areal, unter anderem sollen sie-          und Dozierende Platz finden. Auch Teile
                                                                                                               gänglich ist?», fragt er. Die Kritik von ihm    dichten Strassennetz im Viererfeld ermög-        ben heute in der Stadt verteilte Institute        der Hochschule der Künste Bern (HKB)
                                                                                                               und anderen Experten hat erste Spuren hin-      liche das ein lebendiges, urbanes Quartier       unter einem Dach vereint werden. Für ihre         werden im Neubau in Berns Westen ein-
                                                                                                               terlassen: Zurzeit überprüft die Stadt mögli-   vom Engeried bis zum Wankdorf. Und               Pläne will die Universität bis 2034 über          quartiert. Baubeginn ist 2022.
Die Vision von Arpad Boa: Eine Brücke, die den «Breitsch» (unten) mit dem neu bebauten Viererfeld verbindet.   che Alternativen zur reinen Velobrücke.         bis wann soll das der Fall sein? «Wenn es        eine Milliarde Franken investieren.
Bild: zvg
                                                                                                                           Doch weshalb wehrt sich Boa         schnell geht, ist eine fertig gebaute Vierer-                In Bern werden zudem meh-                         Ebenfalls in der Nähe des Eu-
                                                                                                               gegen eine solche? «Eine Brücke, die auch       feldbrücke bis 2050 nicht unrealistisch.»        rere grössere Wohnbauprojekte vorange-            ropaplatzes planen Energie Wasser Bern
            «Die Viererfeldbrücke bietet                            Eine Brücke nur für Velos?                 für Autos – oder noch besser E-Autos – zu-                                                       trieben. Die Stadt will nämlich wachsen.          (EWB) und die BLS gleich vier markante
Platz für eine normale Fahrspur, Velostrei-                         Diese Ausgangslage bezeichnet              gänglich ist, bringt verkehrstechnisch                      Uni investiert 1 Milliarde           Bis 2050 sollen rund 160’000 Personen in          Hochhäuser. Der «Nordturm» könnte da-
fen und Trottoirs», erklärt Arpad Boa seine             Boa als eine «Jahrhundertchance» für Bern.             einen grossen Mehrwert», sagt der Städ-                     Deutlich früher werden ande-         Bern wohnen, 17’000 mehr als heute. Platz         bei bis zu 110 Meter in die Höhe ragen. Er
Vision. Als selbstständiger Bauforscher,                Aus städtebaulicher Sicht sei das wie ein              tebauer. Er sehe seine Zukunftsvision für       re wegweisende Berner Zukunftsprojekte           finden werden diese unter anderem auf             wäre damit das höchste Gebäude in der
Städtebauer und Architekt bringt er sich                Sechser im Lotto: «Wo sonst kann man auf               Bern denn auch als städtebauliche Antwort       fertig sein: Bereits 2023 soll im Neufeld        dem Areal der ehemaligen Zeitungsdruck-           Bundesstadt und fast so hoch wie Zürichs
immer wieder aktiv ein, wenn es um die                  flachem, unbebautem Land an so zentraler               auf den Klimawandel und die Energie-            eine neue 50-Meter-Schwimmhalle stehen.          maschinenfabrik Wifag im Wyler. Ab 2023           Prime Tower. Bis anhin galt in Bern die un-
Zukunftsgestaltung in der Stadt Bern geht.              Lage ein ganzes Quartier planen?» Für ihn              wende. Früher seien die Strassen in Bern        Sie befindet sich damit unmittelbar ne-          sollen dort mehrere Dutzend Wohnungen             geschriebene Regel, dass kein Bau das 100

18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   19
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