Wunder - Alexa trifft Ursula Kostbar oder kurios Flucht nach vorn Camera obscura - MWK Zimmermann & Hähnel ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DA S M AG A Z I N N 3 2 019 Alexa trifft Ursula Kostbar oder kurios Flucht nach vorn Camera obscura Wunder Kultur lebt in Köln. 1
DA S M AG A Z I N N 3 2 0 1 9 Editorial A U K T I O N E N I N KÖ L N U N D B R Ü S S E L Alte Kunst, Schmuck, Kunstgewerbe: Nov., Moderne und Zeitgenössische Kunst, Photographie: Nov./Dez. Asiatische Kunst: Dez., Afrikanische und Ozeanische Kunst: Jan. Einlieferungen sind stets willkommen Henriette Reker Oberbürgermeisterin der Stadt Köln Liebe Leserinnen und Leser, die Kultur ist die Seele der Stadt. Mit Vitalität und Tradition prägen die Museen, die Theater, die Oper, die Konzerthäuser und Orchester, die Bibliotheken, die Volkshochschule, aber auch die unzähligen Künstlerinnen und Künstler aus allen Sparten das Zusammenleben und die Außen- wirkung unserer Stadt – national und international. Deshalb finden wir: »Kultur lebt in Köln.« Und das seit mehr als zwei Jahrtausenden. In hunderten Kulturorten. In tausenden Veran- staltungen. In Millionen Köpfen – und Herzen. Das Motto »Kultur lebt in Köln« steht von nun an für das reichhaltige kulturelle Angebot unserer Stadt und beschreibt zugleich eine Vision und eine Aufgabe, die es einzulösen gilt. Daran arbeiten wir – jeden Tag. Für alle Kölnerinnen und Kölner und alle Besucherinnen und Besucher der Stadt ist es eine herzliche Einladung dazu, am kulturellen Reichtum Kölns teilzuhaben. Zum großen Kölner Kulturangebot gehört auch die vielfältige Museumslandschaft, deren Sammlungen ein lebendiges Zeug- nis der Kölner Kultur sind. Ein Beispiel dafür ist das Reliquiar aus dem Museum Schnütgen, das Sie auf dem Titelbild sehen. Ein mittelalterliches Objekt mit unveränderter Signalwirkung: Innehalten, Nachdenken, Staunen und Bewundern – all das kann Kultur auslösen. Pablo Picasso. Portrait de jeune fille, d‘après Cranach le Jeune. II, 1958. Linolschnitt. Auktion 29. Nov. 2019 die in den Sammlungen der museenkoeln aufleben. . Ich wünsche Ihnen spannende Einblicke in die Geschichten, Neumarkt 3 50667 Köln T 0221-92 57 290 Bruxelles T +32 2 514 05 86 info@lempertz.com www.lempertz.com 3
I N H A LT 6 Wunder Wunderbares aus den Sammlungen der Kölner Museen – die »Anbetung der Hirten« von Gerrit van Honthorst gehört dazu. 28 3 Editorial Henriette Reker 28 Neues aus den Museen 32 Nachgefragt 56 Das Wunder von Weiden Eine Grabkammer im Nichts? Die Matrone am 4 Inhalt bei Moritz Woelk, Direktor 62 Neumarkt, ein 17 Meter langes des Museum Schnütgen 58 Wunder des Überlebens: Kunstwerk und 6 Ein Wunder kommt Bienenvölker selten allein 33 Ihr Kompass 58 »Lieber eine Kugel auf auf dem Dach: Flucht nach vorn: Neues aus den Erstaunliches aus den für die Kölner der Flucht als den Tod Jabbar Abdullah, Kölner Museen. Kölner Museen Museumslandschaft durch die Schlinge« als Archäologe am Römisch- Askold Kurow entkam Germanischen 16 Interview 41 Museumsshopping der Gestapo Museum beschäftigt, Susanne Laugwitz-Aulbach Sich wundern stammt aus Syrien. und Matthias Hamann mit allen Sinnen 62 »Es geht nur um die Freiheit« 18 1 von 30 42 Der größte Schatz der Ein Gespräch über Angst, Vorgestellt: »sancta Colonia« Hoffnung und das Wunder das Schokoladenmuseum Wie die mittelalterlichen des Überlebens Kölner*innen ihre Heiligen 20 Jedes Bild ein verehrten und Reliquien 69 Impressum kleines Wunder wundersam vermehrten Warum das Medium 70 Zu guter Letzt 20 Fotografie bis heute fasziniert 26 1 von 30 50 Woher weiß das Wunder vom Wunsch? Von Glücksbringern, Ikonen Kommt ein Auto geflogen – wie der Gullwing ins MAKK kam Aus der Wunderwelt der Vorgestellt: das und Visionärinnen analogen Fotografie: ein Photoautomat am Rautenstrauch-Joest-Museum – Kölner Ebertplatz. Kulturen der Welt 54 1 von 30 50 Vorgestellt: die Domschatzkammer »Siri – wer ist Carola Rackete?« Von neuen Heiligen und warum wir auch heute noch auf W under hoffen. 4 5
Geheimrat von Goethe stehen die Haare Descartes (1596 –1650) – »ein Zuviel an zu Berge, als er im Juli 1815 die viel zu Verwunderung negativ sein könne, da es Texte: Rüdiger Müller kleine, vollgestopfte Wohnung in der Alten den Gebrauch des Verstandes verhindere«. Dompropstei betritt. Hier also hütet der über Kölner Stadtgrenzen hinaus bekannte Herzkammer der Kölner Museen Universalgelehrte und Sammler Ferdinand Dem spielerischen Sammeltrieb kommt Franz Wallraf (1748 – 1824) sein enormes mehr und mehr eine wissenschaftliche Arsenal, vom Stundenbuch eines Malte- Bedeutung zu. Auch Ferdinand Franz serritters bis zum versteinerten Vogelnest. Wallraf, Professor und bis 1797 Rektor Der Dichterfürst ist außer sich: »Wie ein der Universität zu Köln, sieht den Sinn Drache bewahrt er diese Schätze, ohne zu seiner Sammlung vornehmlich in der fühlen, dass Tag für Tag etwas Treffliches Lehre, anhand seiner Objekte will er und Würdiges durch Staub und Moder, seinen Studenten die Welt in all ihren durch Schieben, Reiben und Stoßen einen Facetten erklären, den Geschmack und großen Theil seines Wertes verliert.« das Urteilsvermögen schulen. Folgerich- tig macht Wallraf, der Lokalpatriot, die Die große Welt im Kleinen Stadt Köln im Jahr 1818 testamentarisch Das vermeintliche Chaos hat Tradition: zur Alleinerbin seiner an die 40 000 Ob- Schon im 16. Jahrhundert sind es Fürsten jekte starken Sammlung, die »zu ewigen und betuchte Bürger, die in sogenannten Tagen« und »zum Nutzen der Kunst Wunderkammern neben Kunst und anti- und Wissenschaft« hier und nirgend- ken Skulpturen alles Erdenkliche horten. wo anders verbleiben soll. Bereits Goe- Darin haben in der Renaissance, auch the hatte dringendst ein »hinreichendes »Zeitalter des Staunens« genannt, Gold- Local« empfohlen, um Wallrafs Schätze schmiedearbeiten denselben Stellenwert »zu ordnen, genießbar und nutzbar« wie Tierpräparate, Erd- und Himmelsglo- zu machen. Im Jahr 1861 eröffnet das ben faszinieren ebenso wie chirurgisches Wallraf-Richartz-Museum auf dem Ge- Gerät, Korallen, Kirschkerne mit Miniatur- lände des ehemaligen Minoritenklosters. schnitzereien oder ostasiatisches Porzellan. Aber auch andere Kölner Einrichtungen Im Nebeneinander der Dinge, im Mitei- profitieren von Wallrafs ungebremster nander von Natur und Kunst, Geschichte Sammelleidenschaft. So gilt er bis heute und Wissenschaft erhofft sich der uner- als Urvater der Kölner Museen. 100 Jahre müdliche Sammler neben Prestige und ge- später ist es der Kölner Domkapitular lehrter Anerkennung auch eine schlüssige und Kunstkenner Alexander Schnütgen Antwort auf die Frage nach dem, was alles (1843 – 1918), den schon als jungen Theo- in allem zusammenhält. Und nicht zu- logen der Sammeleifer packt. Aus ver- letzt spielt bei manchem die schelmische staubten Sakristeien rettet er vergessene, Freude mit, sich als allmächtiger Schöpfer vor allem mittelalterliche Kirchenschätze einer eigenen Welt im Kleinen zu füh- vor dem Verfall und für die Nachwelt. len. Neben Rarem und Kuriosem hält vor Schnütgen vermacht seine Sammlung im allem im 18. Jahrhundert der technische Jahr 1906 der Stadt, nachdem ihr das Erz- Fortschritt Einzug in die europäischen bistum keinen eigenen Museumsbau gön- Sammelsurien: Maschinen und Automa- nen mochte. Ihre Heimat haben die von tenfiguren, Nachbildungen von Menschen ihm zusammengetragenen Skulpturen, und Tieren, die sich lebensecht bewegen Tafelbilder und Gemälde, Elfenbeinschnit- können. Ende des 18. Jahrhunderts werden zereien, Kirchenmöbel, sogar komplet- die Kammern von aufgeklärten und ratio- te Chorgestühle im heutigen Museum nal denkenden Zeitgenoss*innen zuneh- Schnütgen gefunden. mend kritisch als suspekte Überbleibsel Rüdiger Müller studierte Germanistik und Politologie. vergangener Zeiten beäugt, da – so bereits Heute arbeitet er als freier Autor und Gestalter. Er ist der Philosoph und Mathematiker René Chefredakteur von museenkoeln – Das Magazin. 6 7
Verner Panton (1926 – 1998), Erstaunliches für alle, denen Abenteuerliche Odyssee 3 der dänische Designer, der 4 zur Gattung der Vögel erst 5 eines Kunstwerks: Otto Erstaunliches aus Pop-Art mit Möbeldesign kombinierte. Er entwarf Anfang der einmal das Twitter-Logo in den Sinn kommt: Vögel zwitschern, Freundlichs Mosaik »Die Geburt des Menschen« war für die Vil- den Kölner Museen 1960er-Jahre eine transparente, mit Luft befüllte Sitzgelegenheit: den können fliegen und – um darin zu nisten – vollkommene Bauwerke kons- la des Tabakhändlers Josef Feinhals in Köln-Marienburg gedacht. Dort Inflatable Stool. Schon länger experi- truieren. Eines davon hat dank einer allerdings wird es nie installiert. So mentierte er mit Vinylfolie, die Vorteile widerstandsfähigen Kruste aus Kalk trotzt das filigrane Werk – welch Wun- Auch in Zeiten, in denen scheinbar einander der glücklichen Eltern und Ein musikalisches Wunderkind aufblasbarer Möbel lagen für ihn auf die Jahrhunderte überdauert. Mit der – dem Bombenhagel des Zweiten alles eine schlüssige Erklärung hat, staunenden Hirten. Das »Wunder der 2 erblickt in Köln am 20. Juni der Hand: geradlinig im Design, leicht höchster Wahrscheinlichkeit stammt Weltkrieges im Schuppen einer Kölner können uns noch Dinge in Erstau- Weihnacht«, so nahbar hat es wohl 1819 das Licht der Welt: Ja- zu lagern, zu transportieren und auf- das Nest aus dem Naturalien- und Mosaikwerkstatt. Bei den Nazis ist nen versetzen. Wir haben uns in den niemand sonst auf die Leinwand kob »Jacques« Offenbach beherrscht geblasen ein Wunder des Sitzkomforts. Mineralienkabinett des Kölner Samm- Freundlich als Avantgardist, Jude und Sammlungen der Kölner Museen um- gebannt. Doch das Gemälde birgt bereits in frühen Jahren die Violine in Nur in Sachen Serienproduktion ging lers Ferdinand Franz Wallraf. Objekte Kommunist verhasst. Seine Skulptur gesehen und sind auf Wunderbares noch mehr Geheimnisse – ein Team Perfektion. Mit neun wird ihm die Geige dem Wundermöbel wegen technischer wie diese nutzte er als Gymnasialleh- »Großer Kopf« wird als Titelmotiv gestoßen, auf Wunderliches und auf museumseigener Kuratorinnen und langweilig, und – selbst ist das Kind – er Probleme beim Verschweißen die Luft rer und Professor, um seinen Schülern des Ausstellungsführers zum Sinnbild Objekte, die unglaubliche Geschich- Restauratorinnen macht bei seiner bringt sich das Cellospielen bei. Vater aus, Pantons Entwurf geriet in Ver- die Wunder der Natur zu erklären. »Entarteter Kunst« (1937), Freundlich ten erzählen. Folgen Sie uns in das Arbeit erstaunliche Entdeckungen: Isaac Offenbach lässt den talentierten gessenheit. Bis zur Wiedergeburt im Das kuriose Stück findet sich im 1943 verhaftet und ermordet. 1954 Kabinett der Wunder … Honthorst selbst hatte die Krippenszene Sprössling bei den besten Cellisten der Sommer 2018: hundertfach als coole Fossilien-Verzeichnis seiner Samm- bringt die Stadt Köln das Mosaik in nachträglich erweitert, der damalige Stadt unterrichten. Mit 13 Jahren packt Kulisse für Modenschauen von Pra- lung unter den »Incrustaten« aus dem einem Seitenflügel des neu errichte- Nicht nur zur Weihnachtszeit Kurator des Wallraf-Richartz-Museums Jakob Instrument und Koffer und zieht da und zu erwerben im stilbewussten Pflanzenreich. → GeoMuseum der ten Opernhauses an, wo es aber trotz 1 zählt Gerrit van Honthorsts »Anbetung der Hirten« zu aber entschied, den ergänzten Teil des Gemäldes nach hinten umzuschlagen. nach Paris, wo er als »Liszt des Violon- cellos« und schließlich als Weltstar der Prada-Koffer inklusive Elektropumpe. → MAKK – Museum für Angewandte Universität zu Köln seiner Größe (über 2 × 3 Meter) ein Schattendasein fristet. Seit Beginn den Publikumsmagneten im Wall- Vermutlich, weil es so besser in einen Operette gefeiert wird. Noch kurz vor Kunst Köln Nr. 4 der Sanierungsarbeiten am Offen- raf-Richartz-Museum: Im Jahr 1622 vorhandenen Rahmen passte. Heute ist seiner Abreise in Frankreichs Metropole Versteinertes Vogelnest aus der bachplatz ist Freundlichs Hommage Sammlung Wallraf, GeoMuseum bringt der holländische Meister das es wieder in voller Größe zu bewundern. gibt Jakob Offenbach seine erste Kom- Nr. 3 der Universität zu Köln, an Mensch und Kosmos in der Dauer- Christkind zum Strahlen – als zentrale → Wallraf-Richartz-Museum & position in Druck, das »Divertimento Verner Panton, Inflatable Stool, Foto: Ralf Hollerbach ausstellung des Museum Ludwig zu Lichtquelle im fast schon intimen Mit- Fondation Corboud über Schweizerlieder«. Prada, 2018 (exklusiv produziert sehen. → Museum Ludwig von VERPAN), MAKK – M useum → Historisches Archiv der Stadt Köln für A ngewandte Kunst Köln, Foto: DetlefSchumacher.com Nr. 1 Nr. 2 Nr. 5 Gerrit van Honthorst, Die Jacques Offenbachs erste Otto Freundlich, Anbetung der Hirten, 1622, veröffentlichte Komposition Die Geburt des Menschen, Wallraf-Richartz-Museum & »Divertimento über 1919, Museum Ludwig, Fondation Corboud, Gemäl- Schweizerlieder«, 1839, Foto: Rheinisches desammlung, Inv.-Nr. WRM HAStK Best. 1136, A 1079 Bildarchiv Köln, 2122, Foto: Rheinisches Bild- B. Schlier, rba_d045266 archiv Köln, Sabrina Walz, rba_d046633 8 9
Verwundert reibt man sich Kein Scherz. Am 1. April 1960 Deutschland glaubt wieder bis weit nach vorn und reicht spontan 33 Holzpüppchen. Und jedes Als Rosa Maria Cuéllar vor 6 die Augen: eine farbenfrohe 7 kommt bei Ausgrabungen in 8 an Wunder, das Wunder von das Foto durchs geöffnete Zugfens- 9 trägt einen weiblichen Vor- 10 Jahren wie Millionen Gläu- Szene, Menschen im Biergar- Köln-Braunsfeld ein wahres Bern. Neun Jahre nach Ende ter ins Abteil der umjubelten Kicker. namen. Was dahintersteckt? bige zum Gnadenbild der ten. Das soll ein Bild von Käthe Kollwitz Wunderwerk ans Tageslicht: Auf dem des Zweiten Weltkrieges sind wir wieder Auf der Rückseite verewigen sich Die wunderbare Erfolgsgeschichte der Jungfrau von Guadalupe in Mexi- sein? Gemalt von jener Künstlerin, der Gelände eines ehemaligen römischen wer – Fußballweltmeister! Beim Zwi- neben Trainerlegende Sepp Herberger Hiller-Girls. Das legendäre Tanz- und ko-Stadt pilgert, scheint die Gottes- bekanntermaßen die ernsten, düsteren Gutshofes und der späteren Sidol-Putz- schenstopp des Sonderzuges mit der auch Fritz Walter und Helmut Rahn, Revueensemble, 1928 von Opernsänger mutter ihre allerletzte Hoffnung: Ein Themen der Menschheit am Herzen la- mittelwerke entdecken Archäolog*in- siegreichen Nationalelf ist am 5. Juli Ex-FC-Köln-Spieler und Schütze des Rudolf Hiller in Berlin gegründet, wurde paar Tage ist Rosa Marias Tochter gen: Armut und Krieg, Tod und Trauer. nen mit dem Diatret-Becher ein er- 1954 halb Friedrichshafen in Aufruhr. entscheidenden Tores gegen Ungarn. in Windeseile populär – sein moderner, auf der Welt, doch deren Überlebens- Tatsächlich entdeckt Kollwitz auf staunliches Stück römischer Glaskunst. Die Massen strömen zum Bahnhof. Das Familienbild mit Vergangenheit ist perfekt synchroner Tanzstil, die selbst- chancen sind gering. Die Ärzte sagen, der Münchener Künstlerinnenschule – Das dreifarbige Gefäß mit filigranem, Auch Rosemarie Holze, die gerade eben eine Schenkung der Tochter Christel bewusst zur Schau gestellten weib- nur eine riskante Operation könne ihr Vater und Förderer träumt von einer durchbrochenem Glasnetz und der beim Fotografen ein Familienporträt (auf der Fotografie vier Jahre alt). lichen Reize machten die Formation helfen – vielleicht. Die verzweifelte Frau Karriere der Tochter als bewunderter Ermunterung: »Trinke, lebe schön abgeholt hat, wird vom Freudentaumel → Deutsches Sport & Olympia zu Lieblingen des Publikums. Selbst fleht und gelobt, von nun an jedes Jahr Historienmalerin – ein gewisses Faible immerdar« gibt manches Rätsel auf. gepackt. Sie schafft es am Bahnsteig Museum Nazideutschland lag ihnen zu Füßen – Hunderte Becher Kaffee und Brote an für die impressionistische Freilicht- Bis heute ist man sich uneins, wie ein 1936 tanzten die Hiller-Girls bei der die Pilgerscharen vor der Basilika zu malerei im Stil von Max Liebermann. solches Glas, datiert auf das 4. Jahr- Eröffnungsfeier der Olympiade. Nach verteilen. Heute ist die Tochter ge- Aber hatte Kollwitz tatsächlich das hundert nach Christus, überhaupt Kriegsende gehörten sie zum Inventar sund – auch ohne den gefährlichen Zeug zur bedeutenden Impressionistin? hergestellt werden konnte. Diatrete aus Nr. 8 der großen Revuefilme der 1950er-Jah- Eingriff. Mutter und Tochter reisen Die Antwort gibt die Künstlerin selbst, dem Römischen Reich gibt es einige, Familienfoto mit re oder der Fernsehshows mit Peter noch immer alljährlich zur Jungfrau, 1941 erinnert sie sich, dass sie »mit der aber nur sehr wenige sind so exzellent Autogrammen Frankenfeld. Und was ist nun mit den um die Gläubigen zu versorgen. »Ich der Helden von Farbe nicht weiterkommt«, und be- erhalten wie dieses. Der Wert eines sol- Bern, WM 1954, Puppen? Die nutzte die verantwortliche bin sehr zufrieden, und wir geben mit merkt: »Ich bin ja gar keine Malerin.« chen Einzelstücks ist nicht zu beziffern. Deutsches Sport & künstlerische Leiterin Gertrude Hiller, ganzem Herzen«, sagt Rosa Maria. Das Sie findet ihre Bestimmung schließ- → Römisch-Germanisches Museum Olympiamuseum um ihren Girls die neusten Choreogra- Armband mit dem Bild der Jungfrau lich in der Druckgrafik, ihre Ölstudien fien zu erklären. → Deutsches Tanz- erinnert sie an schwere Zeiten. Und das bleiben eine Rarität. → Käthe Kollwitz archiv Köln Wunder von Guadalupe. → Rauten- Museum Köln strauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt Nr. 9 Bestand 080, Archiv Nr. 10 Rolf und Gertrude Nr. 6 Wunder-Armband einer Hiller, Archiv der Hil- Käthe Kollwitz, Biergarten II, Nr. 7 mexikanischen Pilgerin, ler-Girls, Deutsches frühe 1890er-Jahre?, Diatret-Becher, Foto: Rautenstrauch-Joest- Tanzarchiv Köln, Foto: Kölner Kollwitz-Sammlung, Römisch-Germanisches Museum, Museum – Kulturen der Welt, Deutsches Tanzarchiv Foto: Käthe Kollwitz Museum Köln Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln Camilla Heldt Köln, Janet Sinica 10 11
Wo ist innen? Was ist außen? Ein lebensgroßes Pferd nen Rechenmeister Nicasius Hackeney, Nach 632 Jahren Bauzeit ner Ingenieur im Dienst der Deutz AG Da steht er, die Ruhe selbst: 11 Bei der »Garden Gallery« des 12 aus Lindenholz. Seit 1958 stammt es wohl aus der Zeit um 1500 13 ist es Mitte Oktober 1880 so revolutioniert seit 1876 mit seinem 14 der Bodhisattva (der nach Star-Architekten Sou Fuji- schmückte es über Jahrzehnte – und ist damit eines der ältesten erhal- weit: Arbeiter setzen den letz- Viertaktmotor (später: Ottomotor) den der höchsten Erkenntnis stre- moto ist man sich da gar nicht mehr als imposanter Mittelpunkt einer Ritter- tenen Rüstkammerpferde europaweit. ten Stein in die Spitze des Südturmes – Planeten. Künftig bewegt er Maschinen, bende) Jizô. Glatt rasiert der Schädel, so sicher, denn die räumlichen Emp- gruppe – die Dauerausstellung des Köl- Im repräsentativen Entrée des Hauses in Anwesenheit des Kaiserpaares feiert Automobile, Menschen – und lässt die in der rechten Hand ein Wunschjuwel in findungen gehen beim Betrachten auf nischen Stadtmuseums im Zeughaus. trug die Skulptur nicht nur einen Ross- Köln die Vollendung seines Domes. Mit Kathedrale erstrahlen. Schon zum Fest Tropfenform. Gilt er den Japaner*innen wundersame Weise ineinander über. Die Herkunft des wunderlichen Rosses harnisch als Schutz des Vierbeiners für seinen 157 Meter hohen Türmen lange der Fertigstellung liefern Ottomotoren doch als Schutzgott der Kinder, Frauen Im Hof der offen gestalteten Archi- jedoch lag lange Zeit im Dunkeln. Ver- Kampf und Turniere, sondern auch die Zeit das höchste Bauwerk der Welt. Ein den notwendigen Strom für die Bogen- und Reisenden. Aber auch als Fürst der tektur ohne Dach und zusätzlichen mutlich stand es im Treppenhaus des Rüstung des stolzen Ritters und Rei- Juwel der Gotik, das auch im Dunkeln lampen, die Türme und Fassade ins Unterwelt – mit der Macht, Verstorbene Boden sorgt eine Gleditschie, auch Hackeney’schen Hofes am Neumarkt, ters selbst – in einer Art Geheimfach leuchten soll. Da kommt die zünden- rechte, feierliche Licht setzen. Das tech- aus dem Höllenfeuer zu befreien. Die Lederhülsenbaum genannt, für zusätz- der Kölner Residenz Maximilians I. Ge- unterhalb der abnehmbaren oberen de Idee von Nicolaus August Otto nische Wunder trifft auf ein Wunder der aus Zedernholz geschnitzte Skulptur liche Verblüffung. Verbunden mit dem dacht als Präsent des Kaisers an seinen Körperhälfte des Tieres. → Kölnisches (1832 – 1891) gerade recht, der Köl- Architektur. → Odysseum gibt Rätsel auf: 1911 von Adolf Fischer, Grün des Parks drumherum, betont 1498 frisch in den Ritterstand erhobe- Stadtmuseum dem Gründer des Museum für Ostasia- das Gewächs – wie auch die beiden tische Kunst, im japanischen Nara ge- Skulpturen von Hubert Kiecol und Per Nr. 12 kauft, bleibt nicht nur die Entstehungs- Lebensgroßes Holzpferd aus Kirkeby –, dass man sich an einem Ort dem Hackeney’schen Hof, um zeit des Kultbildes lange schleierhaft, befindet, der nicht eindeutig als Innen- 1500, Kölnisches Stadtmu- sondern bis 1983 auch sein größtes Ge- oder Außenraum definiert werden seum, Rheinisches Bildarchiv heimnis verborgen: Bei Restaurierungs- Köln, rba_d014802 kann. Die »Garden Gallery«, seit 2011 arbeiten stößt man auf die »Seele des im Skulpturenpark Köln zu bestaunen, Nr. 13 Jizô«: Im Innern der Figur finden sich ist übrigens Fujimotos erste Architektur Liegender Einzylinder, als Weihegaben Tausende Votivdrucke, um 1880, Foto: Odysseum außerhalb seiner japanischen Heimat. religiöse Schriftrollen, kleine Holz- und → Skulpturenpark Köln Bronzefiguren und eine Buddha-Reli- quie, in Seide gehüllt. Zudem eine Stif- tungsurkunde – datiert auf den elften Nr. 11 Monat des Jahres 1249. → MOK – Sou Fujimoto, Garden Gallery, 2011, © Stiftung Museum für Ostasiatische Kunst Skulpturenpark Köln, Köln 2019, Foto: Axel Schnei- der, Frankfurt a. M. Nr. 14 Bodhisattva Jizô Kôen (1207 – nach 1275), Japan, Kamakura-Zeit, datiert 1249, Museum für Ostasiatische Kunst Köln, B 11,37, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_c004107 12 13
Wer glaubt, wird selig: So Wenn die Dunkelkammer zur 1968. In Berlin revoltieren die Motiv: shutterstock/mszucs 15 sind für Christenmenschen 16 Wunderkammer wird: An die 17 Student*innen, in Köln geht die Reliquien von Heiligen, will 10 700 Negative des legen- es (noch) beschaulich zu: sagen ihre körperlichen Überbleibsel, dären August Sander (1876 – 1964) sind »Märchen und Wunder unserer Zeit« ist unschätzbar bedeutsam. Aufbewahrt in der Photographischen Sammlung das Motto der Session, und am Rosen- in prachtvollen Behältnissen, soge- archiviert. Von vielen existieren keine montag fliegen traditionell Kamelle. nannten Reliquiaren, sind sie oft die Originalabzüge mehr. Umso wunderba- Keine Pflastersteine. Die Revolution im direkteste Verbindung zur höchsten rer, dass im hauseigenen Labor anhand Kölner Karneval lässt noch ein wenig Instanz, zu Gott. Die Heiligen werden zu von Sanders originalen Glasnegativen auf sich warten: Barfuß, mit schrägen Ihr Aboservice Verschenken Ansprechpartnern und Vermittlern in Neuabzüge, gern auch Modern Prints Klamotten und einer Haarpracht im in Köln der Hoffnung auf ein irdisches Wunder. genannt, erstellt werden können. So Hippie-Look entert wenig später eine Mit dem geheimnisvollen Armreli- schafft es noch heute manch nie ge- junge kölsche Beatband die Bühnen quiar, von Alexander Schnütgen in den zeigtes Motiv aus Sanders epochalem der Festsäle: Die Bläck Fööss um 1870/1880er-Jahren im norddeutschen Kulturwerk in Lichtbildern »Menschen Frontmann Tommy Engel sorgen mit Kunsthandel erworben, konnte – sozu- des 20. Jahrhunderts« in internationa- Outfit und ihren Songs mit oft kriti- Sie van Gogh, sagen stellvertretend für die Heiligen – le Ausstellungen. So wie dieses, das schen Texten bei Würdenträgern und im Rahmen einer feierlichen Aus- Porträt der Familie Weinbrenner, einer Publikum für Stirnrunzeln. Da grenzt setzung der Segen erteilt werden. Das, Unternehmerfamilie aus Neunkirchen, es an ein Wunder, dass die Fööss worauf es ankommt, die eigentliche nahe Sanders Geburtsort Herdorf, ent- sich nicht haben beirren lassen. 2020 Reliquie, befindet sich im Handteller standen kurz vor dem Ersten Weltkrieg. feiert die Band »mit Stammbaum« ihr Beethoven und des eigentümlichen Behälters – hinter → Die Photographische Sammlung/ 50. Bühnenjubiläum, auch »bei uns im einem wertvollen Bergkristall. SK Stiftung Kultur Veedel«. → Kölner Karnevalsmuseum → Museum Schnütgen – Kunst des Mittelalters Frankenstein ! Nr. 16 August Sander, Die Familie Weinbrenner, aus der Mappe Der Kleinstädter, in: Menschen des 20. Jahrhunderts (hier während des Entwicklungsprozesses), Foto: Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Janet Sinica Nr. 17 Die Stowaways (später: Bläck Fööss) bei einem Beatfestival im September 1968, Foto: Jens Hagen / HAStK Angebote Bestand 1753: Hagen, Jens Nr. 15 Armreliquiar, in über 30 Spielstätten vermutlich Hildesheim, 2. Hälfte 12. Jahrhundert, Museum Schnütgen, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, der Stadt rba_c006142 Tel. 0221 - 952 99 10 www.volksbuehne.de 14
Interview Theatergemeinde KÖLN Ihr Weg zur Kultur! In der Natur, in der Kunst oder – wenn man die Augen offen hält – gleich um die Ecke: Das Leben steckt voller großer und auch kleiner Wunder. Nicht zuletzt sind die Sammlungen der Kölner Museen voll davon. Im Gespräch mit Matthias Hamann erklärt die Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach, warum man in Museen auch einfach einmal nur staunen sollte. Susanne Matthias Hamann Laugwitz-Aulbach Direktor des Museumsdienstes Beigeordnete für Kunst und Kultur Köln und Herausgeber der Stadt Köln museenkoeln – Das Magazin Frau Laugwitz-Aulbach, haben Und wie kommt man im Museum Neugier, Lust und Leidenschaft. wir das Staunen verlernt? den Wundern auf die Spur? Ohne diese Eigenschaften wären Man sucht ja ständig nach Schub- Indem man sich Zeit nimmt, einfach die Kölner Museen doch im Grun- laden, um die Welt und die Dinge, vor den Objekten und Kunstwerken de undenkbar?! möglichst wissenschaftlich fundiert, verharrt, seinen Blick schärft, sich Das stimmt. Es gab in Köln zu allen i e Ihre r! S ou einzuordnen. Da gibt es für jedes überraschen lässt von der Kunst- Zeiten Menschen, die Schönes, Rares, t a rten ungst S k dec vermeintliche Wunder eine schlüs- fertigkeit, von der Komposition der Wunderbares und auch Wunder- Ent sige Erklärung, jedes Phänomen Farben. Man kann sich einnehmen liches zusammengetragen haben. wird gleich entzaubert. Vielleicht lassen von den verblüffenden Ideen, Anderswo waren es die Kunst- und ist uns da wirklich ein Stück weit von den oft erstaunlichen Geschich- Wunderkammern des Adels, in Köln 65 Bühnen, die Fähigkeit abhandengekommen, ten, die hinter einzelnen Werken die Sammlungen und Schenkungen neugierig und unvoreingenommen oder den Objekten einer Ausstel- engagierter und kunstinteressierter durchs Leben zu gehen. Oder durch lung stehen. Denn nicht nur in den Bürger*innen, aus denen letztendlich 1880 Veranstaltungen, die Museen unserer Stadt. Meiner Kunstsammlungen, auch beispiels- unsere heutigen Museen erwach- Meinung nach sind sie die idealen weise in den historischen Museen sen sind. Ohne einen Wallraf, ohne Orte, den Alltag zwischendurch ein- der Stadt gibt es in dieser Hinsicht Schnütgen, Boisseré oder Joest, ohne eine Stadt, ein Partner! mal weniger rational anzugehen. vieles zu entdecken. Peter und Irene Ludwig wäre unsere Museumslandschaft nicht so glanz- voll und international bekannt. www.theatergemeinde-koeln.de 16 Kölns größter Abo-Partner 17 in Sachen Kultur!
1von 30 30 Museen und kulturelle Einrichtungen in Köln SCHOKOLADENMUSEUM Liebling Hans Imhoff hatte einen Traum. vor der Müllabfuhr: historische Ma- Standort für sein Vorhaben. Und Schokolade zu trinken – das galt im 18. Jahrhundert noch als Luxus für Privi- Darin sah der Kölner Schokoladen- schinen, alte Akten und Verpackun- genau dort wird das Schokoladen- legierte. Entsprechend wurden die Genussmomente zelebriert. Meist im privaten fabrikant (1922 – 2007) sein eigenes gen. Sie sollen den Grundstock für museum 1993 nach gerade einmal Rahmen, in adliger Familienrunde oder unter seinesgleichen beim Nachmittags- prächtiges Schokoladenmuseum. sein Museum legen. Über die Jahre 13-monatiger Bauzeit eröffnet – kakao. Gern wurde die erste Tasse heiße Schokolade schon am Morgen genom- Und mittendrin einen Brunnen, aus sammelt Imhoff weiter, erforscht samt dem ewig sprudelnden Scho- men, vom Dienstmädchen ans Bett gereicht, nicht selten in schmuckem Porzellan dem wie durch ein Wunder unauf- die Kultur- und Industriegeschichte kobrunnen. Das Haus mit seiner wie diesem: in der Trembleuse, einer durch einen Standring auf dem Unterteller hörlich Schokolade sprudelt. Als er der kakaohaltigen Köstlichkeit. Nach 4 000 Quadratmeter großen Ausstel- fixierten Tasse. Diese sollte verhindern, dass die braune Köstlichkeit beim Servie- 1971 die Stollwerck-Fabrik in der langer Suche findet das Ehepaar lung wird zu einer Erfolgsgeschich- ren oder gar beim Genuss verschüttet und die kostbare Kleidung ruiniert wurde. Kölner Südstadt übernimmt, ent- Imhoff mit dem Gebäude des ehe- te. Inzwischen gehört es – neben Zudem griff man zu Wasser und Brot, um die Geschmacksnerven zu neutralisie- deckt Imhoff durch Zufall einen maligen Hauptzollamtes im Kölner dem Kölner Dom – zu Kölns meist- ren und den nächsten Schluck noch intensiver genießen zu können. wunderbaren Schatz – und rettet ihn Rheinauhafen endlich den idealen besuchten Sehenswürdigkeiten. Schokoladenbecher mit Untertasse (Trembleuse), ca. 1735, Manufaktur du Paqier, Wien Wunderbaum und Speise der Götter »Mit mehr als 550.000 Gästen Mit dem Kakaobaum (Theobroma nate dauert es, bis die Kakaofrüchte in einer Frucht – für eine 100-g-Tafel jährlich sind wir cacao) ist das so eine Sache, denn die schließlich reif sind und ganzjährig Schokolade braucht es je nach Rezep- davon überzeugt, Speise der Götter, so die Übersetzung seines griechischen Namens, ist eine mit an Stangen befestigten Sicheln geerntet werden. Aus dem weißen, tur zwischen 20 und 100 Bohnen. Im begehbaren Tropenwald des Scho- dass das Schoko- Diva im Blütenkleid, ein höchst an- klebrig-süßen Fruchtfleisch, auch für koladenmuseums lässt sich erahnen, ladenmuseum spruchsvolles und pflegebedürftiges die dort heimischen Affen und Eich- unter welchen klimatischen Bedin- Gewächs: Es gedeiht nicht auf jedem hörnchen ein Genuss, löst man die gungen die wichtigste Zutat der süßen der richtige Ort Boden, liebt Temperaturen zwischen Kakaobohnen heraus, um sie zunächst Versuchung Schokolade reift. Neben ist, um Menschen 25 und 28 °C, verlässlichen Nieder- in Bottichen oder auf Bananenblättern Kakaobäumen sind hier rund 100 wei- Wissen und Werte schlag und eine Luftfeuchtigkeit bis zu 90 Prozent. Da ist es nicht verwunder- zu fermentieren und dann, auf Mat- ten ausgebreitet, trocknen zu lassen. tere tropische Pflanzen zu bewundern: Avocados, Bananen, Ananas, ein Man- für eine nachhal- lich, dass sich der Kakaobaum allein im 20 bis 60 Kakaobohnen befinden sich gobaum, Chili, Zuckerrohr und Palmen. tige Entwicklung Museum mit Mission tropischen Gürtel südlich und nördlich des Äquators wirklich heimisch fühlt. Verkostung einer zu vermitteln und NEU In einer Welt mit sieben Milliarden Menschen Vorzugsweise in Brasilien, Indonesien, frischen Kakaofrucht, Foto: Schokoladen- sie zu ermutigen, und begrenzten Ressourcen zählt das Thema Nachhaltigkeit zu den größten Herausforderun- Ghana und an der Elfenbeinküste. museum Köln Bis zu 20 Meter reckt der Baum seine zu einer nach- gen. Um das dafür notwendige Bewusstsein zu Bitter-süße Wahrheiten schaffen, engagiert sich das Schokoladenmuse- Kakaofrüchte Krone in schwindelnde Höhen, wird im Tropenhaus, haltigen Welt »Bittere Bohne – süßes Vergnügen?« Die Sonder- ausstellung nimmt die Besucher*innen mit auf um in Stiftungen und Initiativen, unter anderem als Mitglied des Forums Nachhaltiger Kakao, aber meist auf vier bis sechs Meter Foto: Schokoladen- beizutragen.« eine Reise durch die Welt des Kakaos, zeigt mit dem zentralen Ziel der Verbesserung der gestutzt, um die Ernte zu erleichtern museum Köln die Lebens- und Arbeitsbedingungen westafri- Lebensumstände und wirtschaftlichen Situation und den Ertrag zu steigern. Denn da- kanischer Kakaobauern und thematisiert den der Kakaobäuer*innen und ihrer Familien. Zu- Dr. Christian Unterberg-Imhoff, Zusammenhang zwischen unserem Schokoladen- dem ist das Museum Teil der Initiative Eine-Welt rauf kommt es an beim immergrünen Geschäftsführer des Schokola- konsum, dem Klimawandel und der Vernichtung Stadt Köln und unterstützt die erfolgreiche Wunderbaum: Bis zu 70 000 winzig tropischer Regenwälder. Auf die Kakaomärkte Bewerbung der Stadt Köln zur Hauptstadt des kleine Blüten trägt er das ganze Jahr denmuseums Köln können Europas Genussmenschen Einfluss neh- fairen Handels. Kooperiert wird auch mit der men: indem sie fair und nachhaltig produzierte Tropenwaldstiftung OroVerde in Bonn, die im über am Stamm und an den unteren Schokolade kaufen. Aber mal ehrlich, wie erkennt Museum vom Schokoladenverkauf aus histo- dicken Ästen. Dort schimmern sie man die? Antworten gibt noch bis zum 6. Januar rischen Automaten profitiert. Zudem mit dem weiß und rosa, in stetiger Erwartung 2020 die Ausstellung des Bundesministeriums für Verein Plant-for-the-Planet, der es sich zum Ziel wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gesetzt hat, die Klimakrise durch das Pflanzen bestäubender Insekten. Im Notfall Kakaoernte, Foto: Schokoladenmuseum Köln (BMZ) im Schokoladenmuseum. von Bäumen zu bekämpfen. Seit 2019 ist der Be- helfen die Bauern auch mit Pinsel und trieb des Schokoladenmuseums klimaneutral. Pinzette nach. Vier bis sieben Mo- 18 19
Warum das Medium Fotografie bis heute fasziniert Jedes Bild ein kleines Wunder Text: Damian Zimmermann Die Fotografie feierte jüngst ihren 180. Geburtstag. Am Mit der Fotografie macht man eigentlich nichts anderes: 19. August 1839 wurde sie von Louis Daguerre und der Diese Camera obscura, wie die ersten Lochkameras ge- Französischen Akademie der Wissenschaften in Paris der nannt wurden, ermöglicht das gleichberechtigte, demo- Öffentlichkeit vorgestellt. Und obwohl die Fotografie kratische Darstellen der unterschiedlichsten Ereignisse seitdem zahlreiche Veränderungen und Weiterentwick- und Gegenstände – die Kindergeburtstagsparty genauso lungen erlebt hat, obwohl sie längst zum Massenphäno- wie ferne Galaxien, Werbung genauso wie Kunst, Leben men herangewachsen ist und eine Bilderflut ausgelöst wie Tod, Krieg neben Liebe. Fotografie macht Unsicht- hat: Von ihrer Faszination hat sie nichts eingebüßt. Ganz bares erst sichtbar. Und Sichtbares macht sie uns erst im Gegenteil – für viele grenzt die Fotografie bis heute an bewusst. Mit der Fotografie kann etwas bewiesen oder ein Wunder. Denn sie ermöglicht uns, Dinge, Menschen widerlegt, aber auch genauso gut manipuliert werden. und Situationen festzuhalten und sie Die Fotografie ist so bunt und viel- örtlich wie zeitlich miteinander zu seitig, wie es damals die Wunder- teilen – über Jahrzehnte genauso hin- Die Fotografie kammern waren, und zeigt Banales weg wie über Kontinente. Jede Foto- grafie ist eine winzige Zeitkapsel – bringt uns bis neben Besonderem. Vor allem aber: Die Fotografie bringt uns bis heute und direkt nach der Belichtung schon heute zum Stau- zum Staunen, sie weckt unsere Er- Vergangenheit. Sie ist konservierte Ge- schichte und erinnert uns zugleich an nen, sie weckt innerungen, und sie weckt unsere Sehnsüchte. die eigene Vergänglichkeit. unsere Erinne- Natürlich hat der tagtägli- Jede Anhäufung von Fotogra- fien, egal ob analog oder digital und rungen, und sie che Gebrauch der Digitalfotografie seine Spuren hinterlassen, und auch egal ob im alten Fotoalbum oder als weckt unsere wenn das einzelne Foto vielleicht an Stream auf Instagram, in der Tages- zeitung oder in alten Archiven, ähnelt Sehnsüchte. Wert verloren hat – die Fotografie an sich ist in ihrer Bedeutung noch dabei kleinen Wunderkammern, wie einmal massiv aufgewertet worden: Vergrößerung/Belichtung des Negativs 711 731 man sie aus der Zeit der Spätrenais- von K. H. Schmölz, Foto: Rheinisches Bildarchiv Heute werden in jeder Minute mehr sance und aus dem Barock kennt. Es Köln, Anna C. Wagner, rba_d029727_07 Fotos geschossen als im gesamten waren Sammlungen aus der Früh- 19. Jahrhundert, und es gibt kaum phase der Museumsgeschichte im 17. Jahrhundert, und eine technische oder gesellschaftliche Entwicklung, die in ihnen wurden Objekte gemeinsam präsentiert, die sie nicht beeinflusst. überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Egal ob Was durch die Digitalisierung allerdings ebenfalls Naturalien oder Artefakte, Kunst oder Handwerk, alles stattgefunden hat, ist eine Art Entfremdung: Kaum ein stand gleichberechtigt nebeneinander: Tierpräparate Mensch begreift heute noch, wie ein Foto eigentlich neben Goldschmiedearbeiten, Muscheln neben Elfen- entsteht – ein Großteil der nachwachsenden Generation beinschnitzereien, Spielautomaten neben Gemälden. Es weiß noch nicht einmal mehr, was ein analoges Foto war das »Zeitalter des Staunens«, und die Wunder der eigentlich ist. Und den ganz Kleinen, die das Wischen Welt versammelten sich in einem Raum. und Zoomen auf den Smartphone-Displays mit der 20 21
»Für viele ist die DIE PHOTOGRAPHISCHE SAMMLUNG Fotografie noch immer ein Wunder. BORIS BECKER —— Und Wunder können HOCHBUNKER Photographien von Architekturen und Artefakten Begeisterung und 6.9.2019––9.2.2020 Interesse auslösen.« Photo: Boris Becker: Leverkusen, Karlstraße, 1987 © Boris Becker, VG Bild-Kunst, Bonn, 2019 senschaftler*innen sensibilisieren, so Gummlich. »Fast jedes Archiv hat auch Fotografien, oft neben Schriftstücken, in Fotoalben, Ausweisen und in unterschiedlichen Formaten, beispielsweise als DIE PHOTOGRAPHISCHE SAMMLUNG / SK STIFTUNG KULTUR Negative oder Abzüge. Oft ist unklar, wie damit Im Mediapark 7, Köln sinnvoll umgegangen werden sollte.« Täglich außer Mi 14–19 Uhr erster Mo im Monat freier Eintritt Gerade in der jüngeren Generation ist das www.photographie-sk-kultur.de Interesse am Analogen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Der Schallplattenspieler ge- Fotoapparat, 1890, Foto: Rheinisches Fachkamera, Bildarchiv Köln, rba_mf138265 Foto: Damian Zimmermann hört längst zur Standardausrüstung bei Musikfans RZ AZ KMM_2.indd 1 02.07.19 17:19 und Hipstern zugleich, und Walkmans werden wieder genutzt, aber eben auch alte Kameras und Fototechniken erleben eine Renaissance: Die Spie- Muttermilch aufgesogen haben, ist es häufig noch nicht ersten Mal in einer Dunkelkammer eigenständig ein gelreflex aus den 1970er-Jahren ist der Anfang, einmal begreiflich zu machen, dass es überhaupt jemals Foto entwickeln, beginnen ihre Augen zu funkeln. Diese oft folgt darauf der Schritt in die Dunkelkammer; eine andere Fotografie als die digitale gegeben hat. Und Erfahrung hat jüngst Johanna Gummlich gemacht. Die und wer davon nicht genug hat, stellt seine Che- auch heute noch gibt. Leiterin des Rheinischen Bildarchivs Köln mit rund mikalien und Kollodium-Nassplatten selbst her, So habe ich erst kürzlich mit meiner alten, analo- 5,4 Millionen Fotografien bot während des Photosze- um wie im Jahr 1870 zu fotografieren. gen Nikon meinen sechsjährigen Neffen fotografiert. Ich ne-Festivals Schüler*innenworkshops mit vier Stationen Entscheidend ist in meinen Augen dabei spulte den Kleinbildfilm zurück und holte ihn aus der an – u. a. im Positivarchiv und in der Dunkelkammer vor allem, dass die Generation Z, also die zwi- Kamera heraus. Als mein Neffe die Fotos sehen wollte, des Hauses, wo die 16- und 17-Jährigen ihre ersten eige- schen 1997 und 2012 Geborenen, sich für die drückte ich ihm die Filmpatrone in die Hand und sagte: nen Abzüge von Negativen machen konnten. Die Begeis- analoge Fotografie begeistert, obwohl sie gar »Die sind da noch drin. Ich muss den Film erst ent- terung der Jugendlichen war dermaßen groß, dass sie nicht mit ihr aufgewachsen ist. wickeln, dann kannst du sie sehen.« Er hielt sich die kaum zu bremsen waren. »Diese Erfahrung hat ein ganz Ende der 1990er-Jahre begann der Sieges- Spulenöffnung skeptisch vor sein Auge, schaute ange- neues Bewusstsein bei uns ausgelöst«, sagt Gummlich, zug der Digitalfotografie. Somit wurden ihre strengt hinein, stellte nach wenigen Sekunden überzeugt und ihr war klar, dass sie ihr Angebot im Bereich der Einschulungsfotos bereits mit schlechten 4-Mega- fest: »Da sind gar keine Fotos drin« – und verlor das Archivpädagogik komplett neu denken und vor allem pixel-Kameras aufgenommen und die Abiturfeier Interesse. ausbauen muss. »Für viele ist die Fotografie noch immer mit der neuesten spiegellosen Systemkamera – Vielleicht lag es am Alter meines Neffen, dass ein Wunder. Und Wunder können Begeisterung und oder vielleicht sogar nur noch mit dem Smart- er nicht sofort in Begeisterung ausbrach oder zumin- Interesse auslösen.« Ein neues Führungs- und Work- phone. Eventuell haben sie auf einer Familienfeier dest neugierig wurde. Vielleicht aber auch an meiner shop-Angebot soll aber nicht nur Kinder und Jugend- schon einmal eine Polaroid- oder eine Einweg- mangelhaften Erklärung, denn wenn Jugendliche zum liche, sondern auch angehende Archivar*innen und Wis- kamera in die Hand gedrückt bekommen – ohne 22
Fritz Kempe, Porträt Lucia Moholy, 1980, Museum Ludwig, © Erika Kempe, Ham- Info burg, Repro: Rheini- Aktuelle Fotoausstellungen zum Wundern und Staunen sches Bildarchiv Köln Aktuell gibt es gleich mehrere Fotografieausstellungen in den Kölner Museen zu sehen. So zeigt das Museum Schnütgen bis zum 16. 2. 2020 die Ausstellung »Skulp- tur im Blick der Kamera« mit Fotografien von Alfred Tritschler. Anlässlich des Bauhaus-Jubiläums präsentiert das Museum Ludwig unter dem Titel »Fotogeschichte schreiben« bis zum 2. 2. 2020 Arbeiten von Lucia Moholy. Ebenfalls im Museum Ludwig ist bis zum 1. 3. 2020 die Ausstellung »Wade Guyton: Zwei Dekaden MCMXCIX– MMXIX« zu sehen, in der sich der Amerikaner mit digitalem Bildmaterial auseinandersetzt. Das MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln zeigt mit »The Look of Sound« noch bis zum 8. 3. 2020 Porträtfotografien von Norman Seeff aus der Musik- und Film-Szene der 1960er- bis 1980er-Jahre. Engelskopf aus dem Chor des Kölner Domes, Köln, um 1300, fotografiert von Alfred Tritschler, 1948, Museum Schnütgen, © Dr. Paul Wolff & Tritschler, Historisches Bildarchiv, Offenburg Norman Seeff, Ray Charles, 1985, © Norman Seeff zu wissen, was das eigentlich ist. Im Grunde ist für automaten, wie einer jüngst auf dem Ebertplatz errichtet die 15- bis 25-Jährigen die analoge Fotografie genauso wurde: Für drei Euro bekommt man einen echten Foto- eine Entdeckung wie für die Pioniere des 19. Jahrhun- streifen mit vier Bildern – in Schwarzweiß und ohne derts – und sie übt exakt den gleichen Reiz auf sie aus Instagram-Filter, dafür als Unikat mit hohem emotiona- wie damals. lem Wert. Und wahrscheinlich ist es genau das, was die Und genau deshalb ist es auch mehr als bloß Begeisterung ausmacht: die Authentizität des unverän- eine temporäre Reaktion der Jugend auf unser digitales derten und ungeschönten Augenblicks, gepaart mit der und virtuelles Zeitalter, um sich von der Elterngene- Sentimentalität für das Vergängliche und der Faszination ration abzugrenzen. Der Wunsch nach Authentizität, für die schlichte Technik. Denn natürlich ist die Foto- wie sie speziell der analogen Fotografie anhaftet, ist grafie chemisch und physikalisch schnell erklärt – und Gesundheit in der Domstadt generationenübergreifend. Das sieht man am Revival dennoch bleibt sie immer auch ein kleines Wunder. Dem Netzwerk Kölner Fachärzte gehören 54 Spezialisten der Sofortbildkamera, die aktuell die höchste Zuwachs- aus diversen Kölner Stadtteilen und Frechen an. Damian Zimmermann, Jahrgang 1976, ist freier Journalist, Kunstkritiker, rate auf dem deutschen Fotografiemarkt überhaupt Fotograf, Blogger, Kurator und Teil der Internationalen Photoszene Köln, die Alle wichtigen Fachrichtungen sind in dem freien Verbund hat, und an der zunehmenden Beliebtheit alter Foto- Deutschlands ältestes Fotografiefestival veranstaltet. vertreten. Die Kölner Fachärzte arbeiten interdisziplinär und mit gemeinsamem Interesse zum Wohle des Patienten. 24
1von 30 RAUTENSTRAUCH-JOEST-MUSEUM – 30 Museen und kulturelle Einrichtungen in Köln KULTUREN DER WELT Im Grunde sind es dieselben Fragen, ren auf ihrer Reise durch die Konti- die sich die Menschen überall auf diesem Planeten stellen – nur die Antworten fallen unterschiedlich nente mehr über Unterschiede und erstaunliche Gemeinsamkeiten, über den europäischen Blick auf andere Die Scheibe und das Wunder aus: Das Rautenstrauch-Joest-Mu- Kulturen, der sich in Reiseberichten, Der Tepeyac-Hügel in Mexiko-Stadt – seum – Kulturen der Welt (RJM), in der Kunst oder in den Museen wo die heilige Jungfrau von Guadalupe das einzige seiner Art in Nord- widerspiegelt. Spezielle Themen- Wunder wirkte und am 12. Dezember rhein-Westfalen, zeigt, wie vielfältig komplexe wie »Die Welt erfassen« 1531 auf dem Umhang eines Azteken sich die Kulturen der Welt mit den und »Die Welt gestalten« zeigen die erschien. Das Marienbildnis ist alljähr- zentralen Themen des Lebens ausei- Lebensentwürfe aus verschiedenen »2020 wird für das nandersetzen. Auf 3 600 Quadratme- Zeiten, Regionen und Kulturkreisen. lich im Dezember Ziel von bis zu acht Millionen Pilger*innen, die für Dank und RJM ein Jahr des tern Ausstellungsfläche im »Kultur- Dabei schöpft das RJM aus einer Bitte den Hügel erobern. Wegen des zentrum am Neumarkt« weckt das Sammlung von mehr als 60 000 Wandels und des RJM Neugier und Entdeckergeist Originalexponaten aus Afrika, Asien, Andrangs werden die Gläubigen auf Laufbändern am Gnadenbild vorbei- zehnjährigen Jubi- Raúl González mit der seiner Besucher*innen: Diese erfah- Amerika, Ozeanien und Europa. von ihm selbst gestalteten geleitet. Das gemeinsame Singen des läums im Neubau. Geburtstagsständchens für die Natio- Pilgerscheibe vor der Basílica de Guadalupe, Unser Museum soll nalheilige am 11. Dezember um Mitter- Fotos: RJM, Anne Slenczka ein lebendiger Ort NEU nacht ist nicht nur vor Ort, sondern landesweit ein Gänsehautmoment – Dorfes am »rauchenden Berg«, dem lez freundlich, aber bestimmt ab – da- sein, ein Ort zum Abermillionen verfolgen es live im Fern- Popocatepetl. Von dort brauchte er zu für bedeute sie ihm zu viel, er schlägt sehen. Auch die mexikanische Gemein- Fuß zweieinhalb Tage über den Pass aber vor, ein Duplikat anzufertigen. Ei- Diskutieren, Be- Vielfalt verpflichtet: Aurora Rodonò (rechts) de in Köln begeht aus diesem Anlass Richtung Mexiko-Stadt. Stets bei sich – nige Tage später klingelt Anne Slencz gegnen und Mit- und Carla de Andrade Hurst (links) sind eine feierliche Guadalupe-Messe. die farbenfroh bemalte Pilgerscheibe kas Handy – González habe sich mit gestalten! Unsere die neuen Diversity- Managerinnen. Vor der Basílica de Guadalupe haben Tausende ihr Lager aufgeschlagen. Im aus Vulkangestein mit einer Darstel- lung der Jungfrau. González hatte sie der Gattin beraten und entschieden, die Pilgerscheibe dem RJM zu überlas- Ausstellungen wer- Fotos: RJM, privat Getümmel trifft Anne Slenczka, Ameri- nach seiner Hochzeit gestaltet, um für sen. In seinem Heimatdorf nimmt die den partizipativer, ka-Kuratorin des RJM – in Vorbereitung sein Glück zu danken und Schutz für Kuratorin das Erinnerungsstück bewegt der großen Pilgerausstellung im Jahr die Zukunft zu erbitten: »Segne meinen in Empfang. Raúl González hofft, »dass multiperspektiver Miteinander reden Füreinander da sein 2015 –, auf viele der oft von weit her Weg« steht darauf zu lesen. man sich an dem Ort, wo die Jungfrau und inklusiver. Wir In den ethnologischen Museen Europas finden »360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtge- angereisten Pilger*innen. Auch auf Raúl Die vorsichtige Nachfrage des Kölner aufbewahrt werden wird, immer an wollen politischer, sich zahlreiche Kulturgüter aus der Kolonialzeit. Die Frage, inwiefern diese an ihre Ursprungs- sellschaft«: Im Rahmen des Projektes, ins Leben gerufen von der Kulturstiftung des Bundes, zählt González, Kunsthandwerker und Ka- tastrophenschutzbeauftragter seines Gastes, ihm die Pilgerscheibe für die Ausstellung abzukaufen, lehnt Gonzá- Mexiko erinnern möge und auch an ihn selbst und an seine Frau«. engagierter, vielfäl- länder zurückgegeben oder abgegolten werden müssen, wird auch aktuell wieder leidenschaftlich neben der Stadtbibliothek nun auch das Rauten- strauch-Joest-Museum zu den in Köln geförder- tiger und transpa- Widerstand gefragt! und kontrovers diskutiert. Ein Recherche- und ten Einrichtungen. Mit Aurora Rodonò und Carla Ausstellungsprojekt unter dem Titel »Invisible de Andrade Hurst sind hier zwei Diversity-Ma- renter werden und Inventories«, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, will die europäische Debatte und die af- nagerinnen damit beschäftigt, Konzepte für eine zeitgemäße Museumsarbeit im Sinne der mit neuen Forma- rikanische Sichtweise zusammenbringen. Im Rah- men einer auf zwei Jahre angelegten Kooperation gesellschaftlichen Vielfalt zu entwickeln: um soziale Diskriminierung zu stoppen, Sichtweisen Im Oktober 2020 feiert das Rauten- Geschichten von stillem oder auch ten experimentie- zwischen dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Mu- seum und dem kenianischen Nationalmuseum in unterschiedlichster Communitys der Stadtgesell- schaft einzubeziehen, deren Teilhabe zu ermög- strauch-Joest-Museum sein zehnjäh- lautem Widerstand zu erzählen. Ge- ren. Wir freuen uns Nairobi werden nicht nur kenianische Kulturgüter lichen und gemeinsam »den achtsamen und riges Bestehen im Neubau am Neu- markt. Das soll mit allen Kölner*innen sammelt werden die Beiträge und Ideen im Rahmen des neuen Diskus- auf Sie!« in Museen und Institutionen weltweit inventari- kreativen Umgang mit unser aller Geschichte, siert, sondern auch die Kolonialgeschichte an sich Gegenwart und Zukunft« zu unterstützen. Dazu gefeiert und vorbereitet werden: sionsforums »Die Baustelle« (ab 7. 12. kritisch beleuchtet. Die Ergebnisse des Dialogs – arbeiten beide nicht nur eng mit der Museums- Für die geplante Sonderausstellung 2019), wo das RJM mit Besucher*in- auf wissenschaftlicher wie künstlerischer Ebene – leitung, sondern auch mit den Kurator*innen und Nanette Jacomijn Snoep, werden 2021 im Rahmen von Ausstellungen in den für Veranstaltungs- und Bildungsangebote »Resist! Die Kunst des Widerstands« nen, Künstler*innen, Vereinen und Ini- Direktorin des Rautenstrauch- Nairobi und Köln präsentiert. zuständigen Kolleg*innen zusammen. (Eröffnung: 23. 10. 2020) sind alle tiativen diskutieren und ins Gespräch Joest-Museums aufgerufen, ihre ganz persönlichen kommen möchte. 26 27
Neues Kunst im Treppenhaus aus Avery Singer denkt groß. Ihre Arbeiten in mitunter imposanten den Formaten haben dabei eine ganz spezielle Entstehungsgeschichte: Was daherkommt wie klassische Malerei, Museen bedient sich moderner Computer- technik. Die junge US-amerikani- Matrone, 2. Jh. n. Chr., Köln, St. Gereon, Foto: sche Künstlerin generiert Formen RGM/RBA, A. Wegner aus einem digitalen Grafikprogramm für Architekturmodelle in 3-D und Robert Indiana, Kunst- überträgt die entstandenen Bildräu- Cologne- markt Köln, 1967, arto- me mithilfe von Airbrush, Acrylfarbe thek/Schenkung Klaus und Klebebändern auf Leinwand. Zukunftsweisende Themen Benden, © Morgan Art Indiana- Foundation / ARS, New Für die zweite Ausgabe der Reihe York / VG Bild-Kunst, »Schultze Projects« gestaltete Avery Connection Bonn 2019, Foto: Rhei- Singer speziell für das Treppenhaus nisches Bildarchiv Köln, Marion Mennicken des Museum Ludwig eine über 17 Meter lange und dreieinhalb Me- Als der Kunstmarkt Köln am ter hohe Arbeit. Die neue Projektrei- Avery in her studio, Voraus- Foto: Kate Enman 12. September 1967 im Gürzenich he erinnert an das seit 1968 in Köln seine Pforten öffnet, ahnt noch nie- lebende Künstlerpaar Ursula und schauend mand, was sich daraus entwickeln Bernard Schultze. Der Pionier der MAKKfuture – das Logo der neuen Ver- wird: Die weltweit erste Verkaufs- Kunstrichtung Informel zählte mit anstaltungsreihe messe für moderne Kunst wird seiner Frau zu den festen Größen im zum Erfolgsmodell (fortgeführt kulturellen Leben der Stadt und war Im MAKK – Museum für Angewand- durch die heutige Art Cologne) eng mit dem Museum Ludwig ver- te Kunst Köln wirft die Zukunft ihre Texte: Rüdiger Müller und festigt Kölns internationalen bunden, das nun einen Großteil des Schatten voraus: Mit MAKKfuture Ruf als Kunststadt. Das Plakat zur künstlerischen Nachlasses verwaltet. startet eine Veranstaltungsreihe, die Kunstmarkt-Premiere gestaltet der sich in Form von Vorträgen, Sympo- Alte Funde im neuen Licht New Yorker Pop-Art-Künstler Ro- bert Indiana. Dieses ikonische Stück sien und Workshops mit den wich- tigen und brisanten Themen von Kölner Kunstgeschichte kann man heute für morgen auseinandersetzt. Mit dem frisch sanierten Belgischen maske, die erst 2008 bei Bauarbeiten sich jetzt – zumindest eine Zeit Den Anfang machen Führungen Haus hat das Römisch-Germanische am Chlodwigplatz ausgegraben wur- lang – nach Hause holen: Das Plakat durch die neu gestaltete Daueraus- Museum (RGM) gerade ein repräsen- de. Direktor Marcus Trier verspricht zählt zu einer Schenkung von über stellung »Kunst + Design im Dialog« tatives Übergangsquartier bezogen. den Besucher*innen einen »Lernort 70 Kunstwerken aus der Sammlung im Hinblick auf Fragen zu Nach- Für den Zeitraum der Generalsa- ohne erhobenen Zeigefinger«, der Klaus Benden, die jetzt das Angebot haltigkeit und Ökobilanz. Erfreulich: nierung am Roncalliplatz zeigt das anhand von Geschichten und histori- der artothek – Raum für junge Kunst Mit MAKKfuture etabliert sich neben RGM in Neumarkt-Nähe auf 1000 schen Zusammenhängen die Objekte erweitert. Dieses Werk wie auch cineMAKK – Filmvorführungen an Quadratmetern eine komplett neu der Sammlung lebendig macht. alle anderen Neuzugänge, darunter jedem 1. Donnerstag im Monat – konzipierte Dauerausstellung: eine Zudem wird im Festsaal wieder der Werke von Claes Oldenburg, Wolf- und MAKKfocus – mit begleitenden kleine, aber feine Auswahl – rund deutsch-belgische Kulturaustausch gang Tillmans, Rainer Fetting, Tomi Angeboten zu den aktuellen Sonder- 600 Objekte von der Altsteinzeit bis gepflegt – Veranstaltungen in Zu- Ungerer und Felix Droese, können ausstellungen – bereits die dritte ins Frühmittelalter. Darunter »alte sammenarbeit mit dem Verein der mit Leihausweis (5 Euro pro Jahr) regelmäßige Veranstaltungsreihe im Bekannte«, aber auch selten gezeigte Freunde des Belgischen Hauses sind für nur 6 Euro zehn Wochen lang Museumsbau an der Rechtschule. wie eine steinerne Theater- bereits geplant. ausgeliehen werden. Mehr Infos dazu auf makk.de 28 29
Sie können auch lesen