Ernährungswende in München - Standpunkte 6./7.2021 - Münchner Forum
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Georg Kronawitter Mister Maxvorstadt zum Achtzigsten 40 Klaus Bäumler Die Institution des Naturschutzbeirats in seiner 10. Amtsperiode 41 Klaus Bäumler Stärkung der Mitwirkung der Naturschutzbeiräte in umweltbezogenen Entscheidungsverfahren 43 Klaus Bäumler Uhrmacherhäusl in Giesing: Etappensieg 44 Buchvorstellung: Corona und die Städte 45 Abbildungen Cover links: urbane Gärten München sind vielfältig © Caroline Klotz Arbeitskreise im Juli rechts oben: Wochenmarkt Magaretenplatz © Friedrich Grössing Forum aktuell auf LORA 92,4 rechts unten: Erdbeerfeld bei München © Usien, Wikimedia Impressum
Standpunkte Online-Magazin 6./7.2021 Ernährungswende in München Michael Böhm Stadt braucht Land: Woher kommen Lebensmittel für 1,5 Mio. Menschen? 4 Foto © Urfin7, Wikimedia Bauchplan ).( Die Saat geht auf 7 Astrid Engel, Kristin Mayr, Silke Brugger Münchens Rolle bei der Ernährungsversorgung 10 Liebe Leserin, lieber Leser, Alfons Bauschmid, der Klimawandel wird, auch wenn ein Virus das Aufmerksam- Veronika Felber-Jansen keitsfenster derzeit verstellt, die wichtigste zivilisatorische Die Stadtgüter München 12 Herausforderung dieser Zeit und der nächsten Generationen sein. Dass die Münchner Stadtpolitik die Klimaneutralität als Silvia Gonzalez Ziel benennt und mit Datum versieht, ist ehrenvoll, bleibt aber Essbares München 15 proklamatorisch, wenn nicht wirklich alle Lebensbereiche Wolfgang Heidenreich unter die Lupe genommen werden, welche klimaschützenden Aufs Dach steigen – aber natürlich! 17 und klimaschonenden Beiträge sie leisten können: Bauen und Nikolaus Teixeira, Ella von der Haide, Wohnen, Arbeiten und Leben, Ernähren und Versorgen und die Florentine Schiemenz alles verbindende Mobilität. Allein die Ernährungsweise einer Die Ernährungswende geht durch Münchens Bauch 20 1,5 Millionen-Metropole hinterlässt einen besonders großen ökologischen Fußabdruck; die Nahrungsmittelherstellung, die Infokasten: Urban Gardening, FoodHub, Kartoffel Kombinat 24 Transportwege und die Distributionsbedingungen sind Prüffel- Daniela Schmid der für eine „Ernährungswende“, die – wenn sie gelingen soll Ein Plan für die Ernährungswende 25 – eng verzahnt sein muss mit ihren gesellschaftlichen Voraus- setzungen und nachgelagerten Bereichen. Unser Themenheft Interview mit Siggi, dem Waldgärtner zur „Ernährungswende in München“ stellt eine Reihe von Wir brauchen ganz andere Konzepte – und Ansatzpunkten und Bausteine vor, die zeigen, wie bereits an der wir brauchen Flächen! 27 Ernährungswende erfolgreich gearbeitet wird, versucht aber zu- gleich auch eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie schwierig Interview mit Dierk Brandt und es ist, auf diesem Gebiet einen Systemwandel einzuleiten, wenn Gabriele Heller dies auf starre ökonomische Strukturen und soziale Gewohnhei- „Über den Standort Paketpost-Areal neu nachdenken!“ 28 ten trifft – und wie diese Hürden überwunden werden können. Helmut Steyrer Wir befassen uns ferner in mehreren Beiträgen mit dem Paket- Mir reicht’s mit den Büschl-Türmen! 32 post-Areal und der damit verknüpften Hochhausdebatte, greifen Martin Fürstenberg, Ulla Ammermann das Bahn-Thema nochmal auf (s. Standpunkte 4./5.2021) Münchner Forum begleitet Bürgergutachten und widmen dem Thema ‚Natur(schutz) in der Stadt‘ zwei zum Paketpost-Areal 33 Beiträge: Die Flächenkategorie „Naturerfahrungsraum“ soll ins BauBG aufgenommen werden, und Umweltbeiräte (wie Antrag: Fraktion Die Linke – „Kommunale Bauordnung“ 34 etwa die Naturschutzbeiräte) sollen nach Vorschlag der Verwal- tungsrichter-Vereinigung einen deutlich größeren Stellenwert Leserbrief 35 in Planungs- und Gerichtsverfahren erhalten. Ferner wird auf Wolfgang Hesse die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in Deutschlandtakt – eine gute Bahn-Initiative auf Abwegen 35 Sachen Uhrmacherhäusl hingewiesen. Dieser hat die Berufung der LH-München gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hans-Joachim Schemel München wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit dieser Naturerfahrungsraum: Mehr Natur für Münchner Kinder 37 Entscheidung zugelassen – ein Etappensieg für den Denkmal- schutz. weiter siehe Seite 2 Detlev Sträter, 1.Vorsitzender des Programmausschusses
Ernährungswende in München Stadt braucht Land: Woher kommen Lebensmittel für 1,5 Mio. Menschen? Michael Böhm Immer mehr Kommunen und Städte stellen sich die Frage, ob die im Umland erzeugten Nahrungs- mittel für die Versorgung der städtischen Bevölkerung ausreichen und vor allem, wie man diese möglichst effizient zu den Konsumierenden bringt. Insbesondere Großstädte wie München stehen hier vor großen Herausforderungen. Nur die wenigsten haben jedoch bisher ernsthafte Anstren- gungen unternommen, einen ersten wichtigen Schritt zu tun: das Angebotspotential des Umlands zu charakterisieren. Im Gegensatz zu anderen Städten ist die Landeshauptstadt München in dieser Hinsicht leider kein Vorreiter: Hamburg, Köln, Berlin, Freiburg, Leutkirch und viele andere Städte geben Studien in Auftrag, um herauszufinden, welche Produkte in welchen Qualitäten und Mengen erzeugt werden und wie diese auf den Tellern landen. D ie Bewegung der Ernährungsräte trägt hier bundesweit wesentlich zur Sensibilisierung der Stadtpolitik und der Verwaltung bei. Dabei rückt bisher noch nicht Bestandteil des Münchner Klima- schutzplanes ist (Integriertes Handlungsprogramm Klimaschutz in München/ IHKM [2]). nicht zuletzt seit der FridaysForFuture-Bewegung Hierfür gibt es zwei Erklärungen. Erstens gehört ein Argument zusehends ins Zentrum dieser Sen- die Bereitstellung von (möglichst gesunden) Nah- sibilisierungsarbeit: die Sektoren „Ernährung und rungsmitteln nicht zu den Aufgaben der öffentli- Landwirtschaft“ werden für mindestens ein Viertel chen Daseinsvorsorge, wie dies beim wichtigsten des bundesweiten Ausstoßes an Treibhausgasen [1] Nahrungsmittel, unserem Wasser, der Fall ist (siehe verantwortlich gemacht. Angesichts dieses hohen Abbildung 1 SWM). So bleibt meist nur der Ansatz- Anteils ist es verwunderlich, dass dieser Sektor punkt über die Vergabe von Verpflegungsleistungen NAHRUNG Wie sie aus der Region zu uns nach München kommt Quelle © SWM Bio-Lebensmittel Nahversorgung: Teil der Akteure der Versorgung Ernährungswende in München Abb. 1: Wird so die Ausgabe 2/2027 der Stadtwerke München aussehen (links)? Basis für dieses vom Autor veränderte Titelbild ist die Ausgabe 2/2017 (rechts), in der Münchens Vorreiterrolle in Sachen Trinkwasserschutz thematisiert wird. Juni / Juli 2021 - 4
Der Münchner “Foodprint” Rein rechnerisch beansprucht die Bevölkerung Münchens die kompletten Landwirtschaftsflächen in 10 umliegenden Landkreisen (farbig, auf Basis aktueller Konsumgewohnheiten, ohne Berücksichtigung von Ernte- oder Verarbeitungsverlusten) „Selbstversorgungsgrad“ dieser Region:
ansprucht Flächen außerhalb Bayerns – allen voran Zum Weiterlesen: für tierische Produkte inklusive Futtermittel. Und [1] Je nach Berechnungsart und Verlauf der „System- auch die bayerischen Landwirtschaftsflächen dienen grenzen“ bis zu 30 % des Gesamtausstoßes der THG in zum überwiegenden Teil zur Herstellung von Eiern, Deutschland, Quelle: UBA 2021 Fleisch und Milchprodukten oder von Energie [5]. [2] Integriertes Handlungsprogramm Klimaschutz in Vor diesem Hintergrund: Wie kann die Versorgung München; https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwal- einer Metropole wie München mit regionalen, gesun- tung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Klimaschutz_ den (Bio-)Lebensmitteln sichergestellt werden? Wie und_Energie/Klimaschutzstrategie/IHKM.html groß ist der aktuelle Foo“d“print Münchens tatsäch- [3] Unter der Annahme, dass sich diese 4.500 ha zum lich und wie wirkt sich das (zukünftige) Ernährungs- Anbau von Kartoffeln eignen. Berechnet auf Basis des verhalten auf diesen Flächenabdruck aus – Stichwort durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Deutschland Fleischkonsum? Und was passiert, wenn weitere (58,1 kg) und einem ha-Ertrag zwischen 25 und 50 t/ Flächen auf Biolandbau umgestellt werden? Lässt ha, abzüglich Sortier-, Reinigungs-, Transport-, Lager- und sich der dann höhere Flächenbedarf (aufgrund leicht Schälverluste. niedrigerer Erträge [6]) durch eingesparte Flächen [4] Neben Verkehr und Gewerbe ist ein weiterer Verursa- aufgrund des veränderten Ernährungsverhaltens cher der durch die Null-Zins-Politik ausgelöste Bauboom (drastische Reduzierung flächenintensiver tierischer und generell die „Flucht in Sachwerte“. Mit entsprechen- Lebensmittel) auffangen? Diese Fragen sollten dem Druck auf die Boden- und Pachtpreise: An der Spit- möglichst bald angegangen werden, um endlich ze liegt nach wie vor Bayern mit durchschnittlich 60.000 eine Agrar- und mit ihr die zwangsläufig einherzu- Euro pro Hektar in 2019. Innerhalb Bayerns wiederum gehende Ernährungswende einzuläuten. Außer wir lagen die Preise für landwirtschaftliche Nutzflächen in Ober- und Niederbayern sogar bei über 100.000 Euro entscheiden uns, Nahrungsmittel in Zukunft verstärkt pro Hektar! (KAB 2021, Seite 143) „bodenunabhängig“ zu erzeugen und uns nicht nur vegan, sondern cegan zu ernähren. Dann wäre „clean [5] Eigene Schätzungen gehen davon aus, dass weniger als 20% der bayerischen Landwirtschaftsflächen zum Anbau meat & Co“ der Schlüssel zur Ernährungswende und von pflanzlichen Lebensmitteln dienen (17% Energie- und entzöge somit der Agrarwende sprichwörtlich den Faserpflanzen, >25% Futtermittel sowie 33% Grünland, Boden. wobei dieser Anteil in Oberbayern sicher noch höher ist). Michael Böhm ist Gründungsmitglied im Münchner Ernäh- [6] Die in Fachkreisen kursierenden Zahlen zu den rungsrat und war dort zwei Jahre ehrenamtlicher Vorstand. Be- Mindererträgen in der Biolandwirtschaft im Vergleich zur ruflich ist er Projektleiter bei der Firma Ecozept www.ecozept. „konventionellen“ Produktionsmethode müssen immer de (Freising & Montpellier) und beschäftigt sich hauptsäch- vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass Ökoland- lich mit der Stärkung regionaler (Bio-) Wertschöpfungsketten. bau – immer noch – häufig auf Grenzstandorten betrie- ben wird, auf denen eine geringere Bodenfruchtbarkeit herrscht. Auch müssen die Vorteile einer extensiveren Wirtschaftsweise in Bezug auf Trinkwasserschutz und Artenvielfalt berücksichtigt werden. Foto © Friedrich Grössing Abb.: Acker vor der Siemensallee Juni / Juli 2021 - 6
Die Saat geht auf Früchte und Ableger einer Wiederentdeckung des Erntens im städtischen Alltag Bauchplan ).( Der interdisziplinäre Beitrag „Agropolis München – die Wiederentdeckung des Erntens im städti- schen Alltag“ formulierte im Jahr 2009 eine umfassende Vision im Rahmen des open scale-Wettbe- werbs, Pilotprojekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik der Landeshauptstadt München, des damaligen Bundesministeriums für Verkehr und Bau (Bauen ressortiert heute im Bundesministeri- um des Innern, für Bau und Heimat) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Das Ansinnen, Nahrungsproduktion und Ernährung als einen Gegenstand der Stadtplanung zu verstehen, stieß damals bei vielen Stellen auf Verwunderung und Unverständnis. Urban gardening war für die meisten Planenden noch ein Fremdwort und Urban Farming oder gar Urban Mining im Entstehungsjahr der Berliner Prinzessinnengärten, ein Stadtgartenkollektiv am Moritzplatz im Berliner Stadtteil Kreuzberg, weitgehend unbekannt. In den vergangenen 12 Jahren ist nicht nur in München viel passiert. V or dem Hintergrund des Scheiterns der Klima- konferenz in Kopenhagen und damit einherge- hend dem Scheitern internationaler oder nationaler der Industrialisierung zunehmend globalisiert. Eine nachhaltige Entwicklung von Stadt ist klarerweise nur dann möglich, wenn die angesprochenen Stoff- Bemühungen erklärte der damalige Oberbürgermeis- kreisläufe wieder stärker regional geschlossen wer- ter Ude bei der Eröffnung der Ausstellung „Zukunft den. Dazu gehören nicht nur, aber eben auch in nicht findet Stadt“, auf der in der Rathausgalerie Agropolis unerheblichem Maße die Versorgung mit Nahrungs- einem breiten Publikum vorgestellt wurde, den Kli- mitteln, gerade in einer Metropole, die geprägt ist maschutz zur kommunalen Aufgabe. von einer Genußkultur und dem gemeinsamen Essen Dass Nahrung, ihre Produktion und ihr Transport und Trinken, sei es am Viktualienmarkt, im Biergar- für einen guten Teil des CO2-Fußabdrucks verant- ten oder beim Sternekoch. Ganz nebenbei gibt Nah- wortlich sind, weiß heute jedes Kind, und folglich rung dem sonst oft sehr abstrakten Thema Nachhal- hat sich auch herumgesprochen, dass Stadt nicht tigkeit eine haptische Dimension und macht deutlich, nur ein System ist, in dem Menschen sich bewegen. dass es um die Veränderung von alltäglichen Hand- Ganz maßgeblich ist Stadt auch ein System aus lungsmustern geht und nicht um ein Delegieren der stofflichen Strömen. Diese für den Bestand eines Probleme an technische Standards wie Dämmstär- Gemeinwesens konstituierende Verflechtung und ken, Photovoltaik-Anlagen und Elektroautos. Abhängigkeit einer Stadt von ihrem Umland ist Die Agropolis-Vision versuchte 2009 eine Be- historisch selbstverständlich und hat sich im Zuge standsaufnahme und fand in den Münchner Wochen- märkten, in den Stadtgütern und in Ansätzen wie den Krautgärten zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine regionale Versorgung. Vorschläge, wie die Nutzung urbaner Infrastrukturen zur Stärkung dieser Stadt-Umland Beziehungen als Viktualien- Tram, ein Staffel-Anbauplan für die Produktion von Nahrung Quelle © Team Agropolis, 2009 in der Stadt oder ein Agrikul- turpark als Zwischennutzung auf der Fläche des – damals den Münchner*innen noch weitgehend unbekannten – neu Abb. 1: Vision einer Wiederentdeckung des Erntens im städtischen Alltag als metropoli- entstehenden Stadtteils Freiham tane Nahrungsstrategie für München versuchten, diese Prinzipien zu Juni / Juli 2021 - 7
intensivieren. Im Auftrag des Referat für Stadtpla- eine Quartiersgenossenschaft, die mit einem neuen nung und Bauordnung konnte bauchplan ).( einzelne solidarischen Wirtschaften eine gemeinsame Grund- Bausteine aus der umfassenden Strategie konkreti- versorgung für ihre Mitglieder und die Nachbar- sieren und umsetzen. 2015 entstand ein Freiluftsu- schaft bieten wird. Die Lage am Stadtrand wird zum permarkt in Freiham, der den Münchner*innen den idealen Ausgangspunkt, um Stoffkreisläufe regional Standort des entstehenden Quartiers näherbrachte, wieder zu schließen und zeitgleich einen ökologi- aber vor allem auch für den benachbarten Stadtteil schen und sozialen Mehrwert im neuen Quartier zu Neuaubing eine positive Verknüpfung mit dem Ent- etablieren. Das Kartoffelkombinat produziert als stehenden schuf. solidarische Landwirtschaft regionale, saisonale und Als Stadtentwicklungswerkzeug bekam die re- biologische Produkte, die in einer Quartiersküche gionale Versorgung mit frisch geernteter Nahrung verarbeitet und in einem Quartiersladen verkauft einen kleinen Ableger, die Freiluftbox. Sie bespielte werden. Laden und Küche beleben den neuen Stadt- im Auftrag der kom- munalen Münchner Gesellschaft für Stadt- erneuerung (MGS) eine Brachfläche am Westkreuz und sorgte zweimal wöchentlich für Obst und Gemüse von Produzenten aus der Region und für einen willkommenen Treffpunkt im Quartier. Kleinere und größere Feste brachten Men- schen aus dem Quar- Quelle © cloudjumper, 2016 tieren mit interessier- ten Münchner*innen zusammen und setzten Impulse für eine Re- flexion über regionale Nahrungsversorgung. Abb. 2: Freiluftsupermarkt als Stadtentwicklungswerkzeug in Freiham, bauchplan ).( Beide Projekte wur- den von der Regierung von Oberbayern mit Bund- teil und schaffen ein lokales Angebot in der Wachs- Länder-Mitteln gefördert und waren als Zwischen- tumsphase Freihams. Hier denken echte Pioniere die nutzungen angelegt. Folglich sind sie heute beendet, Ansätze von Agropolis weiter und lassen aus Visio- aber die gesäten Ideen tragen Früchte! Die Agropo- nen Lebenswirklichkeit werden. lis-Vision vom Samenflug der Ideen, die in München Ermutigt von diesem „kleinen Märchen“ sind die fruchtbaren Boden finden, scheint einzutreten. Autor*innen derzeit wieder dabei, das Verhältnis von Der Standort des Freiluftsupermarkts Freiham Stadt und Land zu vermessen und neu zu definieren. ist heute das Baufeld WA12 Süd. Es wurde an die Auf der ehemaligen verkehrlichen Freihaltetrasse Wohnbaugenossenschaft München-West vergeben, planen sie im Auftrag des Planungsreferats im die neben bezahlbarem Wohnraum auch Möglich- Modellprojekt der übergeordneten Grünraumkonzep- keiten für Anbau und Ernte durch ihre Genoss*innen tion „München 2030“ die Parkmeile Feldmoching. anbieten wird. Es entstehen Mietergärten im Hof, Sie soll schrittweise von der historisch bedingten, Gemeinschaftsgärten auf dem Dach und Obstanbau vorwiegend landwirtschaftlichen Nutzung in einen in den Vorgärten. urbanen Landschaftspark transformiert werden. Der Die Freiluftbox hat eine neue Heimat auf dem Prozess verlangt ein übergeordnetes Leitbild und Baufeld WA10 gefunden und schlägt so die Brücke flexibel-reaktive Umsetzungsstrategien. Es sollen zurück vom Westkreuz in den neu entstehenden bestehende Agrarnutzungen eingebunden und mit Stadtteil Freiham. Die Genoss*innen der Wagnis eG Grundeigentümer*innen und lokalen Akteur*innen und München West eG gehen hier noch einen Schritt ausgehandelt werden, wie zeitgemäße Freiraumnut- weiter. Neben eigenen Anbaumöglichkeiten für die zungen und Kreislaufwirtschaft vereinbar werden. Bewohnenden gründen sie die „Wertschöpferei“, Boden, Wasserhaushalt, Klima und Bewirtschaf- Juni / Juli 2021 - 8
tum befinden, kommt den Landwirten eine Schlüssel- rolle zu. Im Dialog mit den Landwirt*innen und mit Unterstützung des Agrar- wissenschaftlers Dr. Thors- ten Haase wurden Bewirt- schaftungsformen definiert. So kann ein urbanes Realla- bor einer ökologischen Ag- rarwende mit zukunftsge- richteter Prägung entstehen. Quelle © bauchplan ).( 2018 Sie steht im Spannungsfeld von rationaler Weiterent- wicklung der landwirt- schaftlichen Produktions- methoden und emotionaler Abb. 3: Freiluftbox als regionaler „food hub“ in der Stadtsanierung Neuaubing-Westkreuz wie stofflicher Einbindung der Stadtbewohner*innen tungsweise sind ausschlaggebende Faktoren für die in die Produktion regionaler vegetative wie räumliche Prägung der Feldmochin- Nahrungsmittel. Der Park entsteht zwischen den Fel- ger Kulturlandschaft. dern als Netzwerk aus Orten und Wegen und als neue Doch auch außerhalb Münchens werden Ansätze Lesart der Stadtlandschaft. Er baut auf den vorhan- neuer agro-urbanen Kulturlandschaften erprobt. Im denen Strukturen der Gemarkung auf und qualifiziert Rahmen der Internationalen Bau-Ausstellung (IBA) für Erholung und Landwirtschaft eine synergetische Heidelberg soll unter dem Motto „Wissen schafft Park-Infrastruktur. Stadt“ ein Landwirtschaftspark Heidelberg als ‚co- In unserer Erfahrung zeigt sich, dass Planung Im- produzierter Freiraum neuen Typs’ die Ansprüche pulse setzen und regionale Kreislaufprozesse sowie einer produktiven und zukunftsgerichtet nachhal- nachhaltige Lebensstile ermöglichen kann. Die Um- tigen Landwirtschaft mit Freizeit- und Erholungs- setzung hängt letztlich an den jeweiligen Akteuren, nutzungen für die ihn umgebenden Stadtquartiere seien sie Bewohnende, Kunden oder Bewirtschaften- verbinden. Er soll dabei experimentell städtische und de. Im Idealfall legt ein partizipativer Planungspro- landwirtschaftliche Stoffkreisläufe verknüpfen. Da zess die Basis für ein langfristiges Engagement. sich die Flächen überwiegend in privatem Eigen- bauchplan ).( entwickelt Identitä- ten. Seit beinahe 20 Jahren kul- tivieren wir offene Gestaltungs- prozesse im transdisziplinären Kollektiv in unseren Studios in München und Wien. Ziel unserer Arbeit ist die Entwicklung und Umsetzung vielschichtig angerei- cherter Möglichkeitsräume. www. bauchplan.de Quelle © bauchplan ).( 2019 Abb. 4: Genossenschaftliche Inbesitznahme des WA10 Freiham durch wagnis und München- West eG und und Inkubator für Wertschöpferei im Quartier Juni / Juli 2021 - 9
Münchens Rolle bei der Ernährungsversor- gung – Vorreiter der kommunalen Ernährungswende Astrid Engel, Kristin Mayr, Silke Brugger Weltweit leben immer mehr Menschen in Städten. 2018 waren es bereits 4,2 Milliarden – 55 Prozent der Menschheit. Bis 2030 soll nach Schätzungen der UN die Zahl um eine weitere Milliarde steigen – auch deswegen wird die Frage nach einer zukunftsfähigen Lebensmittelversorgung im urbanen Kontext immer wichtiger. Gleichzeitig wird das gesamte Ernährungssystem seit vielen Jahren immer stärker globalisiert. Was und wie heute in den Städten gegessen wird, hat globale Aus- wirkungen in den verschiedensten Bereichen.Viele Umweltprobleme verursacht heute maßgeblich die konventionelle, industrialisierte Landwirtschaft mit – sei es der Klimawandel, der Verlust an biologischer Vielfalt oder die zunehmende Belastung von Böden und Grundwasser. Die Frage einer kommunalen Ernährungswende muss also global gesehen werden. Biostädte – Akteurinnen für die Ernährungs- Außer-Haus-Verpflegung , kurz AHV, (in den wende städtischen Verpflegungseinrichtungen und bei Einige Städte und Gemeinden greifen das The- städtischen Veranstaltungen) und damit Steigerung ma nachhaltige Ernährung bereits auf – Tendenz der Nachfrage nach Bio-Produkten; steigend. Dabei denken sie Umwelt-, Wirtschafts-, • Stärkung der Stadt-Land-Beziehungen und regio- Sozial- und Gesundheitsverträglichkeit sowie Er- naler Wertschöpfungsketten durch Aufbau von nährungs- und Esskultur zusammen. Die Biostädte Marktbeziehungen zwischen regionalen Bio- entwickeln auf kommunaler Ebene vielfältige Akti- Anbieter*innen und städtischen Einrichtungen; vitäten, um eine Versorgung mit regional erzeugten, • Förderung der Ernährungskompetenz und Stär- möglichst unbelasteten Lebensmitteln voranzubrin- kung des Bewusstseins für eine nachhaltige Le- gen. Im deutschen Biostädte-Netzwerk haben sich bensmittelproduktion innerhalb Stadtverwaltung bundesweit mittlerweile 23 Kommunen zusammen- und -gesellschaft; geschlossen, die sich genau dieser Aufgabe verstärkt • Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die in widmen wollen. Für Biostädte ist die ökologische diesem Bereich aktiv sind. Landwirtschaft ein zentraler Hebel für eine Ernäh- rungswende, da sie für alle zentralen Probleme, die Was setzt die Biostadt München für die lokale durch die konventionelle Intensivlandwirtschaft Ernährungswende um? verursacht sind, einen Lösungsansatz darstellt – und Die Landeshauptstadt München ist bereits seit 2006 zwar sowohl lokal als auch regional und global. Biostadt und war Gründungsmitglied des deutschen Die Kommune in den Fokus rücken und als wich- Netzwerks. Angesiedelt ist die Biostadt im Referat tige Akteurin für eine Neuausrichtung der Lebensmittelproduktion und -versorgung, bei der ökologische und soziale Aspekte berück- sichtigt werden, sicht- bar werden zu lassen – auch das ist Ziel des Netzwerks. In diesen Punkten engagieren sich die Biostädte: • Förderung der öko- Quelle © Rainer Roehl logischen Land- wirtschaft durch Umsteuerung des Verpflegungsange- bots für Gäste der Abb. 1: In den drei Kantinen der Landeshauptstadt liegt der Bio-Anteil bereits bei 20 Prozent. Juni / Juli 2021 - 10
für Klima- und Umweltschutz (RKU). Mit zahlrei- Lebensmitteln – 37 Prozent Bio-Anteil sind es hier chen Aktivitäten und Projekten arbeitet sie daran, insgesamt. In den drei städtischen Kantinen steht Bio eine Ernährungswende in München voranzubringen. regelmäßig auf dem Speiseplan, und beim Cate- Sehr erfolgreich ist die Landeshauptstadt München ring für städtische Veranstaltungen ist ein gewisser bereits beim Einsatz von ökologisch erzeugten Bio-Anteil inzwischen Pflicht. Ermöglicht wird Lebensmitteln in den 430 städtischen Kindereinrich- diese sukzessive Transformation durch regelmäßige tungen. Schulungen und Beratungen aller Verpflegungs- verantwortlichen – seien es die Küchen- oder Ein- richtungsleitungen oder die Kolleg*innen aus den einzelnen Referaten. Weitere wichtige Baustei- ne der Biostadt München sind Gastronomieprojekte wie „ZUTISCH – besser iss das“ oder Kooperationspro- jekte wie „Bio für Kinder“ mit Tollwood (Gesellschaft für Kulturveranstaltungen Quelle © Margit Maschek und Umweltaktivitäten mbH). Auch die finanzi- elle Unterstützung von Initiativen im Umwelt- und Ernährungsbereich gehört Abb. 2: Auf dem Streetlife-Festival rückt das Projekt „München schmeckt Bio!“ den Wert des dazu. So konnte insgesamt Ökolandbaus und den Genuss von Bio-Lebensmitteln in den Fokus. ein stadtweites Netzwerk aufgebaut und auch ein Bei den täglich ca. 34.000 ausgegebenen Essen regelmäßiges Angebot an ernährungspädagogischen liegt der Bio-Anteil bei mindestens 50 Prozent. Da- Projekten etabliert werden. Denn viele dieser Orga- rüber hinaus initiierte die Biostadt einen stadtweiten nisationen führen Maßnahmen zur Förderung der Er- Prozess, in den sie alle Referate und städtischen Ge- nährungskompetenz von Kindern und Jugendlichen sellschaften miteinbezog. Das Ziel: bei allen Verpfle- bis hin zu Senior*innen durch. Mit dem Münchner gungsanlässen in der Zuständigkeit der Stadt die Ver- Ernährungsrat hat die Biostadt nun einen starken wendung von ökologisch erzeugten Lebensmitteln Partner aus der Zivilgesellschaft. sukzessive steigern. Dies umfasst neben den Kin- dertageseinrichtungen und Schulen beispielsweise Wie geht es weiter? – Vision der Biostadt auch Kinderheime, Kantinen, Seniorenheime sowie Zusätzlich zum bereits Erreichten geht die Biostadt Kultureinrichtungen und Veranstaltungscatering. In München noch weitere Schritte in Richtung Ernäh- den vergangenen drei Jahren konnten einige größere rungswende. ‚Bio – regional – fair‘ war von Anfang städtische Gesellschaften durch professionelle Bera- an ihr Leitbild. Bio-Lebensmittel für München sollen tung ihren Bio-Einsatz ausweiten: das MÜNCHEN- künftig verstärkt aus der Region kommen. Dafür STIFT mit ca. 3.000 verpflegten Personen pro Tag, ist der Aufbau eines funktionierenden Bio-Regio- die München Klinik mit 2.500 Patient*innen und Managements nötig, wie es in den so genannten zusätzlich 1.200 Mittagessen für Mitarbeiter*innen Ökomodell-Regionen bereits etabliert ist. Die Aufga- sowie die Stadtwerke München mit 1.700 Hauptge- ben einer solchen Koordinationsstelle sind vielfältig: richten täglich an zwei Standorten. sämtliche Betriebe entlang der Wertschöpfungskette Die Kantinen der Stadtwerke setzten ein Pilotpro- analysieren, Bio-Erzeuger*innen mit nachfragenden jekt zur Einführung von Biofleisch erfolgreich um, Akteur*innen in der Stadt vernetzen und – zusam- das MÜNCHENSTIFT erreicht – trotz des sehr be- mengefasst – bio-regionale Marktstrukturen aufbau- grenzten Budgets – inzwischen einen Bio-Anteil von en und fördern. über 20 Prozent und die Cafeterien dort schenken Die Konzeptentwicklung für ein „Ernährungshaus“ bio-fairen Kaffee und Tee aus. Das Tagungszentrum ist ein weiteres wichtiges Projekt. Hier wird die Bio- der Münchner Volkshochschule, Haus Buchenried, stadt künftig eigene Beratungsleistungen aufbauen verwendet inzwischen eine breite Palette von Bio- für „mehr Bio in München“. Beispiele wie das Juni / Juli 2021 - 11
Umstellung auf Bio-Lebensmittel zu beraten und den Prozess zu begleiten. Die Biostadt München könnte sich ein solches „Ernäh- rungshaus“ als eine Art Branchentreff vor- stellen, als einen Ort, an dem die vorhande- nen Kompetenzen für eine Ernährungswende in München gebündelt werden. Das Beispiel „Kantine Zukunft“ zeigt, wie hoch das Interesse und die Nachfrage sein können. Visionär gedacht könnte ein „Ernährungs- haus“ zur Drehscheibe für den gewünschten Wissensaustausch und der attraktive Ernäh- rungscampus für die allgemeine Öffentlich- keit werden – somit ein Angebot für alle Münchner*innen sein. Astrid Engel, Agraringenieurin, seit mehr als 10 Jahren Mitarbeiterin bei der Landeshauptstadt München für den Aufgabenbereich Biostadt mit dem Aufgabenschwerpunkt Bio in den städtischen Refera- ten und Einrichtungen. Davor war sie lange Jahre in der ländlichen Erwachsenenbildung und freiberuflich Quelle © Angelika Lintzmeyer in mehreren Forschungsprojekten und im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung tätig. Kristin Mayr, Ökotrophologin, war 14 Jahre beim Frei- staat Bayern angestellt, bevor sie 2020 zur Biostadt kam (u. a. Leitung der Vernetzungsstelle Schulverpfle- gung und Projektmanagerin Ernährungsbildung). Silke Brugger ist die dritte im Bunde und ebenfalls Abb. 3: Bio-Lebensmittel für München sollen künftig verstärkt aus der Region kommen. seit 2020 mit dabei. Sie war 15 Jahre Redakteurin bei Hubert-Burda-Media sowie PR-Fachfrau für Food- Themen. „Madhus“ in Kopenhagen oder die „Kantine Zu- Sie bilden das Biostadt-Team des Referats für Klima- und kunft“ in Berlin zeigen, wie wichtig solche Anlauf- Umweltschutz: stellen für sämtliche Verpflegungseinrichtungen der Weitere Informationen finden Sie unter www.muenchen.de/ AHV (Außer-Haus-Verpflegung) sind, um bei der biostadt Die Stadtgüter München – Vorreiter einer multifunktionalen, urbanen Landwirtschaft Alfons Bauschmid, Veronika Felber-Jansen Die Stadtgüter München (SgM) sind ein Eigenbetrieb der Landeshauptstadt München, der vor über 120 Jahren zur Verwaltung und landwirtschaftlichen Nutzung des städtischen Grundstücksvorrats gegründet wurde. Aktuell verwalten die SgM etwa 2.800 ha landwirtschaftliche Flächen im Stadtge- biet und im Umland, die teils eigenbewirtschaftet werden, teils an umliegende Bauern verpachtet werden. D ie Betriebsstrategie der SgM ist nach den Zielen einer multifunktionalen Landwirtschaft ausgerichtet: Neben der Produktion hochwertiger sowie Orte der Naherholung und des Naturerlebnis- ses schaffen. Weitere Schwerpunkte der Betriebe sind die Erzeugung erneuerbarer Energien, die Herstel- Lebensmittel sollen die Betriebe die Kulturlandschaft lung und Pflege von ökologischen Ausgleichsflächen und vielfältige Lebensräume gestalten und erhalten, sowie Angebote im Bereich der Umweltpädagogik. Juni / Juli 2021 - 12
Einige erfolgreich eingeführte Projekte zeigen, wie haben einen erlebnisorientierten Ansatz, der über die eine praktische Umsetzung gelingen kann. Es wur- Projektgestaltung zusätzlich Umweltbildungsaspekte den zahlreiche Blühflächen, Ackerbrachen und ande- vermittelt. re Landschaftselemente angelegt, um die Biodiver- Das Konzept einer Ernährungswende sieht zur sität im Münchner Grüngürtel zu verbessern. Zudem Reduktion der ernährungsbedingten Effekte auf engagieren wir uns in der Herstellung und Pflege von Klima und Biodiversität den Ausbau der ökologi- ökologischen Ausgleichsflächen. Durch die Anlage schen Landwirtschaft sowie eine verstärkt regionale, saisonale und vorwiegend pflanzliche Versorgung der Bevölkerung vor. Insbesondere die Verbraucher aus dem Umfeld urbaner Räume erwar- ten heute eine naturnahe, ökologi- sche Nahrungsmittelproduktion. Die SgM bewirtschaften bereits etwa 60 Prozent ihrer Flächen ökologisch. Im Stadtgebiet sind es annähernd 100 Prozent. Bei der Verpachtung von Flächen an private Landwirt_innen werden Öko-Betriebe bevorzugt. Quelle © Stadtgüter München Konventionell wirtschaftende Päch- ter_innen verpflichten sich zu einem Verzicht auf die besonders proble- matischen Pestizide Glyphosat und Neonicotinoide. Abb. 1: Ökologische Ausgleichsfläche Neue Fröttmaninger Heide Der Ausbau der ökologischen Land- wirtschaft in München hängt in erster Linie von der Umstellungsbereitschaft extensiver, artenreicher Feucht- und Trockenwiesen privater Landwirt_innen ab. Aktuell ist diese jedoch wird die Artenvielfalt gefördert und die Kulturland- verhalten, was unter anderem an einer ganz prakti- schaft für Naherholungssuchende aufgewertet. Die schen, betrieblichen Gegebenheit liegt: In der Stadt Erzeugung erneuerbarer Energien erfolgt durch Photovoltaikanlagen auf vielen Wirtschaftsgebäuden und durch eine Biogasanlage, die aus Gülle und Mist aus der Ochsenmast und aus Energiepflanzen (Mais, Grünland...) Strom und Wärme pro- duziert. Zudem bieten die SgM auf mittler- weile acht Standorten Krautgarten- Parzellen an, die von Bürgern für die Saison zwischen Mai und November Quelle © Stadtgüter München zur Pflege und Ernte gepachtet wer- den können. Jedes Jahr zur Kartof- felernte organisiert das Gut Riem mehrere Selbsternte-Termine, an denen die Münchner ihre Bio-Kartof- feln selbst vom Feld klauben können. Analog zu den Krautgärten können Abb. 2: Münchner Krautgarten beim Pilotprojekt „Kistengarteln“ bepflanzte Hochbeete wohnortnah gemietet und über gibt es kaum noch Landwirte mit Tierhaltung, so die Saison gepflegt und beerntet werden. Am Gut dass den Höfen im Ackerbau der Nährstoffrücklauf Riem bieten wir Projekttage für Schulklassen und ein fehlt. Denn die ökologische Landwirtschaft funk- großes Ökohoffest mit Informationen zum Ökoland- tioniert nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. bau und über gesunde Ernährung. All diese Projekte Dabei werden dem Boden durch Ackerbau und Grün- Juni / Juli 2021 - 13
landnutzung Nährstoffe entzogen, die ihm durch das Klima- und Biodiversitätsmanagement nötig, von der anschließende Aufbringen von Mist und Gülle aus sowohl die Bauernhöfe als auch die Stadt profitieren. der Tierhaltung wieder zurückgeführt werden. Da die Die Extensivierung der Bewirtschaftungsweisen und Tierhaltung jedoch flächenintensiv und immissions- die strukturelle Aufwertung der Agrarlebensräume schutzrechtlich kaum mit der Enge der Stadt ver- müssen dabei als Leistung für das Allgemeinwohl einbar ist, gibt es nur noch wenige Höfe, die diesen von einem angepassten kommunalen Fördermodell Kreislauf aufrechterhalten können. flankiert werden. Darüber hinaus fehlt es vielen Landwirt_innen an Doch nicht nur die extensive Landwirtschaft Planungssicherheit aufgrund der Flächenkonkurrenz mit einem Schwerpunkt auf Maßnahmen für Bio- in der Stadt. Mit zunehmender Schärfe konkurrieren diversität und Klimaschutz kann im Sinne einer unterschiedliche Interessen um das Gut „Boden“: multifunktionalen Landwirtschaft der Weg für eine Landwirtschaft, Naherholung, Biodiversitäts- und Weiterentwicklung der Münchner Betriebe sein. Wei- Klimaschutz sowie umfassende Planungen für tere konkrete Möglichkeiten vor allem in Ballungs- Wohnen, Gewerbe und Infrastruktur und die damit räumen wie in München bieten erlebnisorientierte verbundenen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen Angebote mit hoher Wertschöpfung, wie Selbsternte- – alle fordern ihren Anteil an den verbliebenen Frei- plantagen, Krautgärten und Hofläden, der Einstieg in flächen Münchens. Dabei unterliegt das Interesse der Bauern und Bäuer- innen am Erhalt der landwirtschaft- lichen Flächen in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen. Unabhängig da- Quelle © Stadtgüter München von ist es fraglich, ob die Landwirt- schaft in der Stadt eine bedeutende Rolle in der Nah- rungsmittelproduk- tion für eine Ernäh- Abb. 3: Landwirtschaft in München rungswende spielen kann, da der Selbstversorgungsgrad Münchens die Produktion erneuerbarer Energien oder Umwelt- sowohl mit Produkten aus Acker- und Gemüseanbau bildungsangebote. als auch die Produktion von tierischen Lebensmitteln Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Flächen- viel zu gering ist. Eine Erhöhung der innerstädti- konkurrenz, Ernährungswende – Kommune wie schen Nahrungsmittelproduktion hätte eine steigende Landwirtschaft stehen in München heute vor der Intensivierung der Anbaumethoden zur Folge, die im Aufgabe, neue Antworten und Wege für die Heraus- Widerspruch zur ökologischen Landwirtschaft steht. forderungen der kommenden Jahre zu finden. Die München braucht jedoch zukunftsfähige, multi- SgM zeigen mit ihren vielfältigen Projekten, welche funktionale Betriebe, um die Ziele ihrer Biodiver- Weiterentwicklungsmöglichkeiten das Konzept einer sitätsstrategie und des Klimaschutzkonzepts er- multifunktionalen Landwirtschaft Betrieben im ur- reichen zu können und kommenden Generationen banen Raum bietet. München muss einen politischen eine lebenswerte Stadt zu hinterlassen. Denn eine und finanziellen Rahmen schaffen, der die Betriebe vielfältige Agrarlandschaft ist der Entstehungsort auf diesem Weg begleitet und ein wegweisendes und der Schlüssellebensraum großer Teile unse- Partnerschaftsmodell für Arten- und Klimaschutz in rer heimischen Biodiversität. Zudem speichern der Stadt und im Umland ermöglicht. landwirtschaftliche Flächen CO2 im Boden und in dauerhaften Anpflanzungen (Hecken und Bäume). Dr. Alfons Bauschmid,Werkleiter der Stadtgüter München Sie sind Entstehungsort von Kaltluft und halten Veronika Felber-Jansen, Stadtgüter München Frischluftschneisen frei. Dafür ist eine starke part- nerschaftliche Zusammenarbeit im kommunalen Juni / Juli 2021 - 14
Essbares München Silvia Gonzalez In unserer Stadt gärtnern über 11.000 Pächter*innen in Kleingärten (Schrebergärten), über 1.600 in Krautgärten (auf den Feldern im Münchner Grüngürtel) und weitere Tausende Münchner*innen in Gemeinschaftsgärten (gemeinschaftlich organisiert, meist öffentlich zugänglich). Kann München also behaupten, eine „Essbare Stadt“ zu sein? I n Andernach bei Koblenz lässt die Stadt seit 2010 öffentliche Grünflächen und Beete mit Gemüse- sorten anbauen, die dann von allen Bürgern verkos- in Pflanzkübeln von Fußgängerzonen üblich, reduzie- ren sich zudem die Kosten pro Quadratmeter Pflege. Anbau und Pflege der Gemüseflächen erfolgen durch tet werden können. Es werden somit Elemente der eine Beschäftigung- und Qualifizierungsgesellschaft, urbanen Landwirtschaft in den städtischen Grünraum die den örtlichen Langzeitarbeitslosen eine gärtneri- integriert. Das urbane Grün gewinnt dadurch eine sche Ausbildung anbietet. Anlässlich einer Anfrage der ehema- ligen Stadträtin Sabine Krieger prüfte der Münchner Stadtrat 2014, ob ein vergleichbares Projekt auch in München umsetzbar sein könnte, und beauftragte das Baureferat Abteilung Gartenbau, eine geeignete Fläche für eine Pilotie- rung auszuweisen. In der Baumschule Bischweiler neben dem Rosengarten in Untergiesing wurde 2014 eine 300 m² große Fläche gefunden. Das Projekt hat Foto © Frank Vincentz sich eher zu einem Gemeinschaftsgarten entwickelt, bei dem ausschließlich die ca. 200 beteiligten Gärtner*innen das Gemüse ernteten. Als erster Gemein- Abb. 1: Kohl, Salat und Bohnen am Stadtgraben in Andernach schaftsgarten in einer öffentlichen Grün- anlage ist dies einmalig für München und ein wichtiger Schritt in Richtung „Essbare Stadt“. In München gibt es über 25 Gemein- schaftsgärten, 100 Kleingartenanlagen und 27 Krautgartenanlagen, zahlreiche Schulgärten, Hochschulgärten, Firmen- gärten, Bewohnergärten etc. In einer Essbaren Stadt geht es aber um ein flächendeckendes Konzept, bei dem Nutzpflanzen nicht nur in Gärten ange- Foto © Sebastian Henkes baut werden. Genauso wie in Andernach könnten in München Nutzpflanzen an Grünstreifen, Seitenstreifen, Parkanlagen, an der Nymphenburger Schlossmauer Abb. 2: Gemeinschaftsgarten „Essbare Stadt“ in München oder in den Kübeln der Altstadt angebaut werden. Es geht nicht nur um Gemüse. Auch Kräuter, Beeren- und Holun- zusätzliche Funktion als Lebensmittelerzeuger und dersträucher und Obstbäume könnten vermehrt in nicht selten an optischer Aufwertung. In Andernach Restflächen überall in der Stadt angebaut werden. spielt die Artenvielfalt zudem eine große Rolle. Im Schon über 450 Spots mit Bärlauch, Kräutern, Ho- sogenannten Tomatenjahr wurden über 100 verschie- lundersträuchern, Beeren und Obstbäumen sind für dene Tomatensorten angebaut und beschildert. München auf der Plattform mundraub.org gekenn- Durch den Wegfall der Wechselbepflanzungen, wie zeichnet. Juni / Juli 2021 - 15
Trotz Flächenknappheit in München hat die Stadt • Eine Sensibilisierung für eine zukunftsfähige große Potentiale, Flächen für den Anbau von Nutz- Landwirtschaft und für hochwertige Lebensmittel pflanzen bzw. für Gemeinschaftsgärten zu finden: findet statt. • Auf den sog. „Eh-da-Flächen“: Das sind kleine • Umweltschonende Freizeitangebote im Wohnvier- Restflächen, die schon da sind und die keine be- tel werden geschaffen. sondere Nutzung haben, zum Beispiel entlang von • Gemeinschaftsgärten sind Orte der kulturellen, Bahntrassen. Dort könnte man vermehrt Beeren- sozialen und generationenübergreifenden Vielfalt und Holundersträucher pflanzen, geschützt durch und des nachbarschaftlichen Miteinanders. eine freiwachsende Hecke mit Insektennährgehölzen. • Auf Dächern von Schulen, Firmen und Wohngebäuden. • Durch die geschickte tem- poräre Nutzung von Bra- chen und Abstandsflächen: Den Grünspitz-Garten gibt es schon im 7. Jahr. Durch den Anbau auf Hochbeeten können solche Projekte relativ unkompliziert umgesiedelt Foto © Edward Beierle MGS werden. • Auf versiegelten verlassenen Flächen, wie hier am Beispiel einer ehemaligen Tramwende- schleife am Goldschmiedplatz im Hasenbergl. Abb. 3: Gemeinschaftsgarten auf dem Grünspitz in Obergiesing Diese Vorteile hat eine „Ess- bare Stadt“: • Die Stadt als Allmende, die Gemeingüter und Teilhabe anbietet. • Die Stadt wird von ihren Bürger*innen aktiv mitgestal- tet. • Die Stadt wird zum Raum der Naturerfahrung und der Biodiversität. • Die teilweise Selbstversor- Foto © Paul Günther gung der Stadt München wird gefördert. • Eine bessere CO2-Bilanz in der Lebensmittelproduktion wird erreicht: Transportwege Abb. 4: Gemeinschaftsgarten am Goldschmiedplatz im Hasenbergl und Stromkosten in der Lage- rung werden gespart. • Die Stadt wird zum Ort des gemeinsamen Ler- Silvia Gonzalez ist Leiterin des Bereichs Urbanes Grün bei nens: Stadtmenschen verfolgen das Pflanzen- Green City e.V. wachstum und werden mit unterschiedlichen Gemüsesorten aus nächster Nähe vertraut, sie Möchten Sie sich zusammen mit Green City e.V. für mehr erfahren die Bedeutung von Wasser in der Stadt, Urbanes Gärtnern in München einsetzen? www.greencity.de/ besonders wenn es eine auch nur kleine Tro- verein . Das Netzwerk der urbanen Gärten in München: www.urbane-gaerten-muenchen.de . Das Netzwerk der ckenperiode gibt. In Gemeinschaftsgärten lernen urbanen Gärten deutschlandweit: www.urbane-gaerten.de zudem die Bürger*innen den Anbau ökologischer, lokaler und saisonaler Lebensmittel kennen. Juni / Juli 2021 - 16
Aufs Dach steigen – aber natürlich! Wolfgang Heidenreich Aber nicht nur für Wartungs- oder Pflegearbeiten, um zum Beispiel keimende Gehölze aus der mit Kies bedeckten Flachdachfläche zu entfernen, sondern zum Erholen und Freizeit-Verbringen. Gärt- nern, Grillen, Feiern, Lesen, Diskutieren, Entspannen, Insekten-und-Vögel-Beobachten und Zuhören … also aufs Dach steigen, um das zu tun, was in Parks, an der Isar oder an den Seen getan wird. Ein hohes Ziel Flachdaches sind leicht einzuplanen, genauso wie Im wahrsten Sinne des Wortes. Wie gelangen Perso- eine höhere Attika, um einen höheren Aufbau für die nen dort hin? Natürlich über das Treppenhaus oder Dachbegrünung zu ermöglichen. noch besser über den Aufzug, wegen der Barriere- freiheit. Was so banal klingt, ist entscheidend dafür, Großes Gewicht ob ein Flachdach zum Beispiel für Bewohner*innen, hat bei der Planung logischerweise die Statik. Die Besucher*innen, Schüler*innen oder Patient*innen größeren Lasten müssen vom Bauwerk getragen zur Verfügung stehen kann. Wer möchte schon über werden können. Um die Kosten im Rahmen zu eine Leiter durch ein Oberlicht aufs Dach steigen? halten, ist eine integrative Planung aller Beteiligten Wenn Personen auf dem Flachdach angelangt sind, dringend angeraten. Höhere Dachaufbauten oder müssen sie sich sicher bewegen können. Überall, Hochbeete zum Gärtnern können über tragende Wän- wo Absturzgefahr besteht, ob am Dachrand oder de eingeplant werden. Deckendurchbrüche für die bei einem Oberlicht, muss eine Absturzsicherung Gebäudeentlüftung können reduziert werden durch vorhanden sein. Das sind wichtige Voraussetzungen Zusammenfassen von Entlüftungsrohren. Dies trägt für den Aufenthalt auf einem Dach, aber bei weitem zu einer geringeren Schwächung der Tragkraft der betroffenen Decken bei, die sonst ausgeglichen werden müsste. Gleichzeitig können die Entlüftungsrohre ge- schickt in die Gestaltung des Daches integriert werden und viel höher als üblich nach oben gezogen werden, um keine Geruchsbelästi- gungen für die das Flach- dach nutzenden Personen zu erzeugen. Architektur, Freiraumplanung, Statik und Haustechnik müssen im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der bestmöglichen Nut- zung der Freifläche auf dem Foto © Heidenreich Dach von Anfang an zusam- menwirken. Und wenn die künftigen Nutzer*innen des Gebäudes beteiligt werden, Abb. 1: wagnis4 – Dach mit Gewächshaus umso besser. Im Wohnungs- bau ist dies allerdings nur nicht die einzigen. Klar wird aber schon, dass eine möglich, wenn die künftig Wohnenden, wie bei den Umgestaltung und Umnutzung eines vorhandenen Wohnungsbaugenossenschaften und Baugruppen, Flachdaches zur Freizeit- und Erholungsnutzung schon bei der Planung bekannt sind. kaum möglich ist. Anders ist die Situation beim Neubau. Bei der Planung eines Gebäudes muss die Es geht auch leichter Nutzung des Flachdaches von Anfang an mitgedacht Eine Extensivbegrünung hat eine nur wenige Zen- werden. Treppenhaus und Aufzug zum Erreichen des timeter dicke Schicht eines Dachgartensubstrats, Juni / Juli 2021 - 17
weniger Wasserspeicherung, niedrigere Pflanzen Beachtenswert und ist deswegen wesentlich leichter als eine Inten- sind noch eine ganze Reihe anderer Punkte, die für sivbegrünung, wie zum Beispiel für Urban Garde- eine erfolgreiche Dachbegrünung wichtig bezie- ning. Allerdings ist auch die Artenzahl von Pflanzen hungsweise gefordert sind. Einige werden hier in wesentlich geringer. Etwa fünf bis zehn Arten sind Stichpunkten aufgeführt: Dachabdichtung, Wurzel- die Regel. Warum eine extensiv begrünte Flachdach- schutz, Anschlusshöhen, Verkehrslasten, Dachent- fläche trotzdem, auch für die Nahrungsmittelproduk- wässerung, Dachneigung, Windsoglast, Schichtauf- tion beim Urban Gardening, so wertvoll ist, dass sie bau, Substrate, Saatgut und Pflanzen, Brandschutz. durch ein Förderprogramm vom Baureferat Garten- Die Zugänglichkeit und die Absturzsicherung sind bau bezuschusst wird, wird weiter unten erläutert. eingangs schon genannt worden. Komplett zusammengefasst sind die Anforderun- Es gibt was aufs Dach gen in der „Richtlinie für die Planung, Ausführung und zwar unabhängig davon, ob das Flachdach und Pflege von Dachbegrünungen – Dachbegrü- extensiv oder intensiv begrünt wird, von Personen nungsrichtlinie“ der Forschungsgesellschaft Land- regelmäßig zur Pflege oder für Freizeit und Erholung schaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. betreten wird. Wenn das Flachdach für die Begrü- nung fertiggestellt ist, also Wärmedämmung und Warum Dachbegrünungen? wurzelfeste Dachabdichtung verlegt sind, kommt als Ist doch Luxus für Besserverdienende, nice to have, nächstes ein Trenn- und Schutzvlies zum Schutz der aber nicht notwendig, außerdem wird das Dach nur Dachabdichtung zum Einsatz. Darauf wird die Drain- undicht, Bauschäden sind vorprogrammiert! Leider die gängige Meinung. Bei einer kürzlich durchgeführ- ten Machbarkeitsstudie des Bundesverbands Gebäude- Grün (BuGG) wurde noch zusätzlich genannt, dass Tiere ins Haus geholt werden und dass die Pflege kostenintensiv ist. Das allgemein schlechte Image der Dachbegrünung (und auch der Fassadenbegrü- nung) resultiert aus fehlen- dem Wissen. In München ist man da schon weiter. Seit Foto © Heidenreich 1996 gibt es die Freiflä- chengestaltungssatzung der Stadt, die besagt, dass unter anderem alle Flachdächer mit Abb. 2: Sargfabrik Wien: Alpinum im Vordergrund, extensive Dachbegrünung im Hintergrund mehr als 100 Quadratmetern Fläche mindestens extensiv und Speicherschicht aufgebracht, die von einem begrünt werden sollen. Viele Vorteile der Dachbegrü- Filtervlies abgedeckt wird, damit das anschließend nung können wirken: darauf verteilte Dachgartensubstrat nicht in der Drai- Feinstaubbindung, Lärmreduktion, Wärmedämm- nage verschwindet. Je nach Planung können zuletzt wirkung im Winter, Kühlung im Sommer (Klimaan- die Grünflächen eingesät und bepflanzt werden: passung), Wasserrückhaltung zur Kanal- und Klär- • Extensivbegrünung – Aufbauhöhen von 8 bis 15 anlagenentlastung, Gebäudeschutz durch konstante cm mit dem an den extremen Standort angepassten Temperaturen auf der Abdichtung und Förderung der Pflanzen wie Moose, Sedum und Kräutern, Biodiversität in der Stadt. • Einfache Intensivbegrünung – Aufbauhöhe 15 bis 25 cm mit einem schon etwas höheren artenrei- Was hat eine Extensivbegrünung mit Urban cheren Pflanzenspektrum wie Stauden, Gräser und Gardening zu tun? kleinen Gehölzen, Die Artenvielfalt insgesamt kann trotz der meist nur • Intensivbegrünung – Aufbauhöhe 25 bis 100 cm fünf bis zehn Pflanzenarten gesteigert werden, indem (und mehr) mit allen Pflanzen, die in ebenerdigen Tiere angelockt werden durch Nahrungsquellen und Gärten verwendet werden. Nistmöglichkeiten auf dem Dach. Eine Sandfläche Juni / Juli 2021 - 18
für bodennistende Insekten wie Wildbienen oder ein alter Baumstamm, der sich langsam zersetzen darf, sind für viele Lebewesen interessant und die wiede- rum für Vögel. Ein kleines Stück Teichfolie, auf dem eine Pfütze stehen bleiben darf, ist eine Zeit lang eine Tränke für Insekten und Vö- gel. Eine Substratanhäufung für etwas größere Pflanzen, wird das Dach nicht gleich Foto © Heidenreich zusammenbrechen lassen, zumal wenn dies über einer tragenden Wand geschieht, aber für Schmetterlinge Abb. 3: Sargfabrik Wien: Aufenthaltsbereich eine willkommene Futter- quelle sein. Diese Insekten bestäuben Pflanzen, die Früchte ausbilden sollen. Zum Weiterlesen: Besonders hervortun sich da die Wildbienen, die viel mehr Blüten anfliegen als Honigbienen. Für „Richtlinie für die Planung, Ausführung und Pflege von eine üppige Ernte ist es von Vorteil, wenn es viele Dachbegrünungen - Dachbegrünungsrichtlinie“ der For- schungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschafts- begrünte Dächer gibt, auf denen sich ein ungestörter bau e.V.: Lebensraum für Bestäuber entwickeln kann. Zumal https://shop.fll.de/de/bauwerksbegruenung.html die Wildbienen bei weitem nicht so große Strecken zur Nahrungssuche zurücklegen wie Honigbienen. Bundesverband GebäudeGrün (BuGG): Dass das Potenzial für mögliche extensive Dachbe- https://www.gebaeudegruen.info/ grünungen aufgrund von Bestandsflachdächern mit Kiesbedeckung enorm sein könnte, zeigt ein Blick Förderprogramm für private Begrünungsmaßnahmen in auf Luftbilder. Mit Kies bedeckte Dächer eignen sich München: in der Regel für eine extensive Dachbegrünung, weil https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/bau- der Austausch gewichtsneutral erfolgen kann. Diese referat/foerderprogramm-priv-gruen.html Extensivbegrünungen speichern und verdunsten Das Begrünungsbüro informiert gerne weiter: Niederschlagswasser, kühlen damit die Stadt. Lokal https://www.greencity.de/begruenungsbuero/ verdunstetes Wasser trägt zu lokalen Niederschlägen - Praxisratgeber Gebäudebegrünung: bei. Die Aktiven wissen diese leichten Landregen zu https://www.greencity.de/wp-content/uploads/begrue- schätzen, für ihre Urban Gardening-Flächen. nungsb20161027.pdf - Vorteile der Gebäudebegrünung: Zum Schluss https://www.greencity.de/wp-content/uploads/begrue- noch die bekannte Situation in München: immer nungsb20161027.pdf stärkerer Zuzug, immer mehr Versiegelung, immer intensivere Nutzung der Freianlagen durch immer mehr Personen. Dies alles macht es erforderlich, die Flachdächer zur Freizeit und Erholung nutzbar zu ge- stalten. Es gibt kaum ruhigere Rückzugsorte in einer Millionenstadt. Dass Bauende in dieser Stadt mit diesen enormen Grundstückspreisen ihr Grundstück nicht voll ausnutzen und in der Regel die Dachflä- chen nur dazu nutzen, um Sedumsprossen auszu- streuen, ist schon absurd. Wolfgang Heidenreich, Landschaftsarchitekt bdla, Bereich Urbanes Grün, Projekt Begrünungsbüro, bei Green City e.V. Juni / Juli 2021 - 19
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