Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...

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Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Rheinland-pfälzische Schule
                                                      10/2019
                                              Zeitschrift des
                            Verbandes Bildung und Erziehung
                                            Rheinland-Pfalz
                                    10.10.2019 / 70. Jahrgang

Mehr Gerechtigkeit wa(a)gen.
Damit Lehrer nicht sitzen bleiben.

Eine für alle – 100 Jahre Grundschule

> Einfach medienkompetent: Fakefinder for School
> Wie Sie Ihre Kinder fürs Lesen begeistern
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
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                        Inhalt                                                             Editorial
                    Leitartikel                                                    3
                                                                                                       Eine für alle –
                    Magazin
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                    In memoriam                                                    7     Mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wurde die „für
                                                                                         alle gemeinsame Grundschule“ beschlossen, was für dama-
                    Thema                                                          8     lige Zeiten eine gesellschaftliche und bildungspolitische Re-
                    Interview                                                      14    volution bedeutete. Vor 100 Jahren erhielten Kinder aus
                                                                                         wohlhabenden Familien üblicherweise Hausunterricht und
                    Junger VBE                                                     16    Kinder aus armen Verhältnissen gingen in überfüllte Volks-
                    Personalräte & Co.                                             17    schulen. Die Trennung nach Geschlechtern und Konfessio-
                                                                                         nen war üblich.
                    Gratulation                                                    18
                                                                                         Mit der neuen Verfassung kam die allgemeine Schulpflicht.
                    Recht                                                          19
                                                                                         In der jungen Weimarer Republik sollten mit der für alle ver-
                    Infos & Technik                                                21    pflichtenden Grundschule Standesunterschiede überbrückt
                                                                                         und Gesellschaftsschichten zusammengeführt werden. Dies
                    VBE Bund                                                       23
                                                                                         gelang jedoch nur in Teilen: Privatschulen waren weiterhin
                    Aus den Kreisverbänden                                         24    erlaubt, alte Privilegien und Religionsvorbehalte blieben par-
                                                                                         tiell bestehen. Kinder mit körperlichen oder geistigen Ein-
                    Termine                                                        26
                                                                                         schränkungen waren von den Gesetzen ausgenommen.
                    Literatur für Lehrer                                           28
                                                                                         Dass die Schulbildung eine Angelegenheit von Staat und Öf-
                    Zum Schluss ...                                                30
                                                                                         fentlichkeit wurde, war das wahre Verdienst der Reform und
                    IMPRESSUM                                                            nicht im Sinne aller! Die Kirche verlor große Anteile ihrer
                                                                                         Macht im Bildungswesen an den Staat.
                    10. Oktober 2019, 70. Jahrgang

                    Herausgeber Verband Bildung und Erziehung (VBE), Landes-             Die Grundschulreform in den 1960er-Jahren gab der Grund-
                    verband Rheinland-Pfalz, Adam-Karrillon-Str. 62, 55118 Mainz,        schule dann ihre eigentliche Identität. Bis dahin war sie ein
                    Telefon: 0 61 31-61 64 22, Telefax: 61 64 25, info@vbe-rp.de
                                                                                         Teil der Volksschule ohne eigene Schulverwaltung und Lehr-
                    Redaktion:                                                           kräfte.
                    Elisa Engert ele (Chefin vom Dienst), e.engert@vbe-rp.de, Dr.
                    Markus Bachen mb (Veranstaltungen/Regionales),
                    m.bachen@vbe-rp.de, Frank Handstein fh (Reportage/Recht),            Auch nach 100 Jahren gilt die Grundschule als Ort grundle-
                    f.handstein@vbe-rp.de, Marlies Kulpe mkl (Bildungspolitik/           gender Bildung (noch) als Erfolgsmodell. Sie ist Stätte ge-
                    Rubriken), m.kulpe@vbe-rp.de, Johannes Müller jm (Personal-
                    räte/Recht), j.mueller@vbe-rp.de, Klaus Schmidt kfs (Repor-          meinsamen Lernens und gleichzeitig Lebenswelt für Schüle-
                    tage/Berufspolitik/Zum Schluss), k.schmidt@vbe-rp.de                 rinnen und Schüler mit unterschiedlichen biografischen und
                    Verlag: VBE Bildungs-Service GmbH, Adam-Karrillon-Str. 62,           kulturellen Erfahrungen. In der Grundschule als erster ge-
                    55118 Mainz                                                          meinsamer Schule für alle Kinder spiegelt sich die Vielfalt
                                                                                         unserer Gesellschaft wider. Hier werden Chancen eröffnet,
                    Fotos/Grafik:
                    Fotostudio Jan Roeder: Titel, S. 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10, 13, 20, 27,   Begabungen, Fähigkeiten und Talente entwickelt und Teilha-
                    Klickwinkel.de: 6, Thomas Jauk: 14, Elisa Engert: 15, SWR/           be sowie Mitwirkung gewährleistet. Die Grundschule gestal-
                    Oliver Turecek: 23, Gerda Herbst: 24, Hermann Schäfer: 25,
                    wikipedia: 27, Random House: 28, Stiftung Lesen: 29, Wolters         tet das Leben und Lernen so, dass Diskriminierung und Be-
                    Kluwer: Rückseite                                                    nachteiligung von Schülerinnen und Schülern z. B. aufgrund
                    Die RpS erscheint zehnmal im Jahr. Für VBE-Mitglieder ist der Be-
                                                                                         von Behinderung, Sprache, Leistung, Abstammung, Ge-
                    zugspreis durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Nichtmitglieder     schlecht, kultureller Herkunft, Heimat und Glauben vermie-
                    bestellen beim Verlag zum Preis von 4,80 Euro vierteljährlich ein-   den werden. Insbesondere in der Demokratieerziehung
                    schließlich Vermittlungsgebühren.
                                                                                         kommt der Grundschule eine Schlüsselrolle zu.
                    Redaktionsschluss 21.10.2019 für Heft 11/2019

                    Den Inhalt namentlich gezeich­neter Artikel verantworten deren       Primarstufenunterricht ist demnach – von allen als solche an-
                    Verfasser. Nachdruck ist nur mit Zustimmung der Redaktion            erkannt – eine Herkulesaufgabe, die nur von motivierten, gut
                    und Quellenangabe zulässig. Für unverlangt eingesandte Ma-           qualifizierten und zufriedenen Lehrkräften zu stemmen ist.
                    nuskripte besteht keine Gewähr.
                                                                                         Um dies auch künftig gewährleisten zu können, muss in Zei-
                    Gesamtherstellung, Anzeigenverwaltung Wilke Mediengruppe             ten bundesweiten Lehrkräftemangels auch in Rhein-
                    GmbH, Oberallener Weg 1, 59069 Hamm, E-Mail: info@wilke-
                    mediengruppe.de                                                      land-Pfalz endlich die einzig logische politische Konsequenz
                                                                                         folgen:
                    ISSN: 1869 3717                                                       A 13 / E 13 für Grundschullehrkräfte – jetzt!
                    Die nächste RpS ­erscheint am 7. November 2019.                                                               Ihre RpS-Redaktion

     2                                                                                                     Rheinland-pfälzische Schule 10/2019
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Keine/-r ohne

                                                                                                                               Leitartikel
Abschluss?!
                                    Nur mit mehr                                           Zeit!
Mit einer erschreckenden Nachricht hat der Caritas-Ver-      und Mathematikkenntnissen verlassen,
band im August Schlagzeilen gemacht: „Mehr als 52.000        weil ihnen die notwendige individuelle
Jugendliche haben 2017 bundesweit die Schule ohne            Hilfe im Unterricht fehlt. Sie haben kaum
Hauptschulabschluss verlassen. Das sind 5.000 mehr als       eine Chance auf einen erfolgreichen
noch vor zwei Jahren.“ Rheinland-Pfalz liegt nach einer      Schulabschluss, wenn sie diese Unter-
Datenerhebung im Juli 2019 laut der Caritas-Studie mit 6     stützung nicht kontinuierlich erhalten.
bis 8 Prozent der Jugendlichen, die keinen Hauptschulab-
schluss bzw. Berufsreifeabschluss erreichen, im bundes-      Mehr Schulsozialarbeit kann einen bes-
weiten Mittelfeld. Der Fachkräftemangel und die nicht sel-   seren Beitrag beim Übergang von Schule
ten vergebliche Suche mancher Betriebe nach Auszubil-        in Beruf leisten. Denn gerade die Ju-
denden zeigten uns aber, dass wir es uns nicht leisten       gendlichen, die wenig bis keine Unter-
können, auch nur einen der Jugendlichen durchs Netz fal-     stützung in der Familie erfahren, und Ju-
len zu lassen.                                               gendliche, die mit all ihren Fluchterfah-
                                                             rungen alleingelassen sind, brauchen
Die Autoren der Studie sehen unter anderem die gestie-       intensive Hilfen.
gene Zahl der zugewanderten Jugendlichen als eine Ursa-
che, da für eine Vielzahl der Schülerinnen und Schüler       Sprachfördermaßnahmen und Förder-                  Barbara Mich
das Erlernen der neuen Sprache in kürzester Zeit ein gro-    unterricht dürfen nicht auf Kosten von Ver-
ßes Hindernis ist. Die Situation in unseren Schulen muss     tretungssituationen aufgelöst und vorzeitig
dem dringend gerecht werden, denn die Ursachen sind          beendet werden. Deshalb muss jeder Schule eine ausrei-
nicht nur in der Zuwanderung zu finden!                      chende Vertretungsreserve zur Verfügung gestellt wer-
                                                             den. Fördermaßnahmen dürfen nicht einfach aufgescho-
Werden wir in dem aktuellen Schulsystem noch allen jun-      ben oder aufgehoben werden. Schule ist kein Amt, in dem
gen Menschen gerecht? Hat sich Schule in den letzten         die „Bearbeitung der Akten auf nächste Woche verscho-
Jahrzehnten an die gesellschaftliche Entwicklung ange-       ben“ werden kann.
passt? Und warum wird berufliche Bildung der universitä-
ren immer noch nicht gleichgesetzt? Müssten wir nicht        Trotz der Vielzahl auch an zusätzlichen außerschulischen
dringend die Strukturen in unseren Schulen überdenken?       Angeboten verzeichnet Rheinland-Pfalz jedes Jahr eine
                                                             große Zahl an Schulabgängern ohne Abschluss.
Unser Ziel muss es sein, dass wir alle jungen Menschen       Schule muss die jungen Menschen zur Berufsreife ausbil-
zur Berufsreife ausbilden, dass alle Schülerinnen und        den und das kann nur gelingen, wenn die Rahmenbedin-
Schüler die Schule mit einem erfolgreichen Abschluss         gungen in den Schulen den veränderten gesellschaftli-
verlassen. Förderung, Integration und Berufsvorbereitung     chen Entwicklungen angepasst werden.
können aber nur dann gelingen, wenn die Lehrkräfte
mehr Zeit haben – mehr Zeit für jede und jeden Einzelnen.    Der VBE wird weiterhin für kleinere Klassen, Doppelbe-
Dazu brauchen wir kleinere Klassen. Es ist unerträglich,     setzungen, Ausbau der Schulsozialarbeit und Aufsto-
dass wir in manchen Berufsreifeklassen der Realschulen       ckung von Fördermaßnahmen kämpfen – und das mit
plus mit mehr als 20 Schülerinnen und Schülern – manch-      BISS!
mal gar 28 und mehr – arbeiten. So kann individuelle Be-
rufsvorbereitung kaum gelingen.                                                                          Barbara Mich
                                                                                             stellv. Landesvorsitzende
Doppelbesetzungen sind in allen Stufen notwendig, um
im Unterricht jedem individuelle Hilfestellungen geben zu
können. Wir haben immer mehr Schülerinnen und Schü-
ler, die die Grundschule mit unzureichenden Deutsch-

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                               3
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Studie: 2025 fehlen noch mehr Grundschullehrer als gedacht
Magazin

          Die Zahl der nicht besetzten Lehrerstellen an den Grund-     „Dass der Bedarf an Grundschullehrern größer ist als zu-
          schulen in den kommenden Jahren wird nach einer Prog-        nächst angenommen, zeigen auch unsere aktuellen Zah-
          nose der Bertelsmann-Stiftung noch höher sein als bis-       len, dies ist also nichts Neues. Die Bertelsmann-Zahlen
          lang berechnet. Bis zum Jahr 2025 werden demnach min-        sind nun ein Jahr frischer als die KMK-Zahlen, aber die
          destens 26 300 Lehrer für diese Schulform fehlen. Damit      Statistik-Kommission der KMK wird nächste Woche aktu-
          sei die Lage noch dramatischer als von der Kultusminis-      elle Zahlen in ähnlicher Größenordnung beraten“, sagte
          terkonferenz (KMK) erwartet, teilte die Stiftung im Sep-     der KMK-Präsident und hessische Kultusminister, R. Al-
          tember in Gütersloh mit. Die KMK hatte im vergangenen        exander Lorz, der Deutschen Presse-Agentur. Grund für
          Oktober einen Mangel von 15 300 Grundschullehrern im         den größeren Bedarf an Grundschullehrern sei neben
          Jahr 2025 errechnet. Bundesbildungsministerin Anja Kar-      steigenden Geburtenzahlen vor allem die Zuwanderung
          liczek (CDU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengrup-       nach Deutschland. „Es muss auch berücksichtigt werden,
          pe, die Anstrengungen müssten verstärkt werden, mehr         dass die Ausbildung zum Lehrer fünf bis sieben Jahre dau-
          junge Leute für den Lehrerberuf zu gewinnen. „Sicherlich     ert. Wenn es also heute einen Mangel an Mathematikleh-
          müssen wir überlegen, wie wir unsere Prognoseinstru-         rern gibt, dauert es bis zu sieben Jahre, bis zusätzliche
          mente weiterentwickeln, um rechtzeitig gegensteuern zu       neue Lehrer nachkommen“, so Lorz.
                                             können.“ Es brauche
                                             auch mehr Ausbil-         Oliver Pick, stellvertretender Landesvorsitzender und Lei-
                                             dungskapazitäten an       ter einer Grundschule, plädiert für eine adäquate Qualifi-
                                             den Hochschulen.          zierung des zur Verfügung stehenden Personals: „Wir
                                             „Wir benötigen aber       kommen nicht umhin, Personal einzustellen, das nicht
                                             auch eine moderne         primär für die Arbeit an Grundschulen ausgebildet wurde.
                                             Lehrerbildung in all      Seiten- und Quereinsteiger sind allerdings die Ultima Ra-
                                             ihren Phasen und          tio, um die Unterrichtsversorgung gewährleisten zu kön-
                                             eine Steigerung des       nen. Aber genau dieses Personal muss im Bereich der
                                             gesellschaftlichen        Grundschulpädagogik ausgebildet werden, bevor es vor
                                             Ansehens dieses           den Schülerinnen und Schülern steht. Dafür braucht es
                                             wichtigen Berufes.“       eine weitsichtige Einstellungspolitik, damit bereits vor
                                                                       Schuljahresbeginn – respektive Arbeitsbeginn der Vertre-
          Die Studie der Stiftung bezieht sich auf die Bevölkerungs-   tungskräfte – mit der Qualifizierung begonnen werden
          prognose des Statistischen Bundesamts aus dem vergan-        kann.
          genen Juni. Sie geht für das Jahr 2025 von 3,254 Millionen
          bis 3,323 Millionen Kindern zwischen 6 und 10 Jahren         Langfristig lassen sich aus Sicht des VBE Rheinland-Pfalz
          aus. Die Experten der Studie orientierten sich nach eige-    nur dadurch genügend Lehrkräfte im Grundschulbereich
          nen Angaben an der fast niedrigsten Variante – und ka-       gewinnen, dass die Rahmenbedingungen stimmen: Wir
          men dabei bereits auf ein Plus von 168 000 Kindern zur       fordern A 13 / E 13 für alle Lehrerinnen und Lehrer sowie
          Zahlenbasis der Kultusministerkonferenz. Die Folge: Für      die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams an al-
          2025 müssten noch mal 11 000 Lehrer mehr eingestellt         len Schulen!“
          werden als von der KMK ermittelt. So komme man auf die
          Zahl von 26 300 fehlenden Grundschullehrern.                                                                 dpa/RED

             Steinmeier: Ziel der Grundschule muss Chancengleichheit sein

          Gemeinsames Lernen in der Grundschule ist für Bundes-        geblieben sind.“ Grundschulen seien „ein Ort, an dem
          präsident Frank-Walter Steinmeier unerlässlich für den       das Miteinander ganz verschiedener Menschen Tag für
          Zusammenhalt der Gesellschaft. „Hier werden die Wei-         Tag gelingt“, sagte Steinmeier. Auch hundert Jahre nach
          chen gestellt für die Zukunft unserer Demokratie“, sagte     der Gründung der Grundschule gehe es in Deutschland
          Steinmeier am 13. September beim Festakt in der Frank-       „noch immer darum, mehr Chancengerechtigkeit zu ver-
          furter Paulskirche. Anlass war ein Doppeljubiläum: Seit      wirklichen“. Das könne nur gelingen, „wenn wir schon
          100 Jahren gibt es Grundschulen in Deutschland, seit 50      früh ausgleichen, was in manchen Elternhäusern nicht
          Jahren den dazugehörigen Fachverband. Die Grundschule        vermittelt wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass schon in
          zähle „zu den großen demokratischen Errungenschaften         den Vor- und Grundschuljahren Klassenunterschiede ent-
          des Jahres 1919“, sagte Steinmeier. „Demokratie lernen,      stehen oder sich verfestigen.“
          das waren damals die großen Ziele, die bis heute aktuell

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Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
„Schule muss ein Ort sein, an dem Kinder demokrati-         viel bewegen zu können. Ein Elternvertreter sprach von
sches Miteinander erleben und demokratisch handeln ler-      einem „erheblichen Demokratieproblem“: Eltern, die sich
nen“, sagte Maresi Lassek – in einer „Dialogrunde“ mit       in der Schule engagierten, bildeten nicht die gesamte Ge-

                                                                                                                             Magazin
                                                                                                                              Rubrik
Kindern, Lehrern und Eltern wurde klar, dass das nicht im-   sellschaft ab. Es müssten dafür auch Menschen gewon-
mer gelingt. Eine Abiturientin und Mitorganisatorin von      nen werden, „die nicht mir der Schule per Du sind“.
„Fridays for Future“ nannte die Arbeit in der Schülerver-
tretung „extrem frustrierend“, sie habe nicht das Gefühl,                                                       dpa/RED

   Lob und Kritik für Deutschlands Bildungssystem

Das deutsche Bildungssystem bekommt im internationa-         Investitionen in Deutschland vergleichsweise niedrig,
len Vergleich gute Noten für Vorschule, Kita und höhere      heißt es. Und Defizite gibt es auch bei der Geschlechterge-
Abschlüsse. Nachholbedarf gibt es dagegen bei der            rechtigkeit. Zwar erreichen inzwischen ungefähr gleich
Grundschulfinanzierung und bei der Gleichbehandlung          viele Männer und Frauen höhere Abschlüsse, aber beim
von Männern und Frauen. Das geht aus dem jährlichen          Gehalt haben Frauen dann trotzdem das Nachsehen. „Das
Ländervergleich der Organisation für wirtschaftliche Zu-     Verdienstgefälle ist in Deutschland auf höheren Bildungs-
sammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am           stufen größer als im Durchschnitt der OECD-Länder, insbe-
Dienstag in Berlin vorgelegt wurde. In dem mehr als 500      sondere unter den 35- bis 44-Jährigen“, heißt es.
Seiten starken Bericht werden die Bildungssysteme und
Bildungsausgaben der 36 OECD-Länder und zehn weiterer        Beim Dauerthema
Länder miteinander verglichen. Deutschland investiere        Lehrermangel gibt es
mehr in frühkindliche Bildung pro Kind als der Durch-        interessante Befunde
schnitt der OECD-Länder, heißt es in der Studie. „Das fi-    der OECD-Bildungsfor-
nanzielle Engagement in diesem Bereich ist klar zu begrü-    scher. Am Geld allein
ßen“, sagte der stellvertretende OECD-Generalsekretär        kann es demnach
Ludger Schuknecht. Fast alle Drei- bis Fünfjährigen besu-    nicht liegen: Deutsch-
chen in Deutschland inzwischen eine Kita oder eine ande-     land sei in Sachen Ver-
re Betreuungseinrichtung. Die Quote sei zwischen 2005        dienst eines der bes-
und 2017 von 88 auf 95 Prozent gestiegen. Lob gibt es        ten Länder für Lehrer.
auch für den Betreuungsschlüssel in der Vorschule. Auf       Zum Berufseinstieg
eine Lehrkraft kommen demnach in Deutschland neun Kin-       verdienen sie in Deutschland zum Teil doppelt so viel wie
der. Im Durchschnitt der OECD-Länder sind es 16 Kinder.      im OECD-Durchschnitt. OECD-Bildungsdirektor Andreas
                                                             Schleicher sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es reicht
Bei den Gesamtausgaben für Bildung liegt Deutschland         nicht, den Lehrerberuf finanziell attraktiv zu machen.“
mit 4,2 Prozent der Wirtschaftsleistung leicht unter dem     Man müsse ihn intellektuell deutlich attraktiver machen,
OECD-Schnitt. Es gebe hierzulande allerdings auch weni-      mit spannenden Karrieren, vielfältigeren Aufgabenberei-
ger Kinder und eine ältere Bevölkerung, sagte Schu-          chen und mehr Freiräumen in den Schulen. „Das ist immer
knecht. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU)        noch ein sehr industrielles Arbeitsmodell, das es da bei
wies darauf hin, dass sich die deutschen Bildungsausga-      uns gibt. Da sind viele Länder weiter“.
ben von 2008 bis 2018 mehr als verdoppelt hätten.
                                                             Umfrage:
Weiterhin gilt in allen OECD-Ländern: Je höher der Ab-       Eltern zufrieden mit Schulen ihrer Kinder
schluss, desto besser die Berufs- und Verdienstaussich-
ten. Immer mehr junge Menschen streben höhere Ab-            Über das Bildungssystem wird gerne geschimpft – aber
schlüsse an. 2018 hatte jeder dritte junge Erwachsene in     die meisten Eltern geben der Schule ihres Kindes gute No-
Deutschland einen Hochschul- oder vergleichbaren Ab-         ten. Das hat eine repräsentative Umfrage der Robert
schluss in der Tasche, zehn Jahre zuvor war es nur jeder     Bosch Stiftung in Kooperation mit der „Zeit“ vom Mitt-
Vierte. Dass die Zahl der Studenten in Deutschland trotz-    woch ergeben. 77 Prozent der Eltern würden die Schule
dem im Ländervergleich immer noch vergleichsweise nied-      ihres Kindes weiterempfehlen. 72 Prozent sind außerdem
rig ist, begründen die OECD-Experten damit, dass die du-     der Meinung, die Lehrerinnen und Lehrer seien engagiert,
ale Berufsausbildung mit Praxis und Berufsschule einen       besonders Grundschullehrer werden in dem Punkt gut be-
so hohen Stellenwert habe.                                   wertet (81 Prozent). Drei Viertel aller Eltern halten die Be-
                                                             urteilung ihrer Kinder für nachvollziehbar. Wo Licht ist, ist
Trotzdem ist nicht alles gut im deutschen Bildungssystem.    aber auch Schatten: Weniger als die Hälfte der Befragten
Der OECD-Bericht sieht zum Beispiel Probleme bei der Fi-     glaubt, dass die Schule ihren Nachwuchs ausreichend auf
nanzierung der Grundschulen: Dort, wo am ehesten Bil-        das Leben nach der Schule vorbereitet (45 Prozent).
dungsnachteile ausgeglichen werden könnten, seien die                                                            dpa/RED

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                            5
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Klickwinkel
                         Videowettbewerb 2019
Aktuell

          Die Bewerbungsphase für den Videowettbewerb der Initi-                   Die von der Vodafone Stiftung Deutschland ins Leben ge-
          ative „Klickwinkel – weite deinen digitalen Blick“ ist ge-               rufene Klickwinkel-Initiative wendet sich mit dem Video-
          startet und läuft noch bis zum 30. November 2019. Aus-                   wettbewerb gegen Desinformation und Hasskommentare
          gezeichnet werden die besten selbst produzierten und                     und setzt sich für die Förderung einer offenen und vielfäl-
          recherchierten Videobeiträge junger Menschen von 14 bis                  tigen Meinungsbildung im Internet ein. Die Schirmherr-
          19 Jahren. Dazu können jetzt unter www.klickwinkel.de                    schaft hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
          Schülerteams ihre Bewerbungen einreichen. Zu gewinnen                    übernommen. Kooperationspartner sind zudem die HAW
          gibt es ein Preisgeld von 1.000 € pro Team. Die 100 Teil-                Hamburg, Teach First Deutschland und ZEIT für die Schu-
          nehmenden mit den besten Einsendungen werden zudem                       le.
          zum Klickwinkel-Makeathon für digitale Medien und De-
          mokratie nach Berlin eingeladen.                                         Social Media
                                                                                   Facebook: @klickwinkel.digitalerblick,
          Die Teilnehmenden sollen ihre Alltagswelt verlassen und                  Instagram: @klickwinkel_, Twitter: @klickwinkel_
          Themen entdecken, die Menschen in ihrer Umgebung be-
          wegen. In einem selbst produzierten Video sollen unter-                  Kontakt:
          schiedliche Perspektiven aufgezeigt, Fakten und Hinter-                  Laura Schubert
          gründe recherchiert und konstruktiv nach Lösungsansät-                   Projektbüro Klickwinkel
          zen für die dargestellten Probleme gesucht werden. Im                    bei der Vodafone Stiftung Deutschland
          vergangenen Jahr drehten die Schülerinnen und Schüler                    Behrenstraße 18
          Videos über so unterschiedliche Themen wie Wohnungs-                     10117 Berlin
          not, Plastikmüll, Handynutzung im Unterricht oder Gewalt                 Telefon +49 30 2061 7619
          in der Schule oder beim Fußball. Die Preisverleihung fin-                Mail presse@klickwinkel.de
          det am 23. März in Berlin statt, wo die Teams ihre Beiträ-
          ge der Öffentlichkeit vorstellen werden.                                                           klickwinkel.de

          „Jugend forscht“-Sieger
                                                                                                                                    PRESSEKONTAKT
                                                                                                                                    LAURA SCHUBERT
                          PRESSEMITTEILUNG                                                                                          Projektbüro Klickwinkel
                                                                                                                                    bei der Vodafone Stiftung Deutschla
                                                                                                                                    Behrenstraße 18

          			                               reisen zum                                                                              10117 Berlin
                                                                                                                                    TELEFON

          „Tag der Talente 2019“
                                                                                                                                    +49 30 2061 7619
                                                                                                                                    MAIL
                                                                                                                                    presse@klickwinkel.de

                          Weite Deinen digitalen Blick: Initiative für vielfältige
          Ende September trafen sich in Berlin mehr als 300 aktuelle lente junger Menschen aufmerksam und würdigt die au-
                         digitale
          Preisträgerinnen               Meinungsbildung
                             und Preisträger     von Schüler- und Jugend-  unterßergewöhnlichen
                                                                                        Schirmherrschaft     Leistungen desder jungen Forscher, Erfinder,
          wettbewerbenBundespräsidenten
                          aus ganz Deutschland zum „Tag        gestartet
                                                                   der  Talente       Denker     und  Kreativen.    Mit in Berlin dabei sind auch 15 Sie-
          2019“. Die Veranstaltung vom 21. bis 23. September bietet gerinnen und Sieger des 54. Bundeswettbewerbs von „Ju-
                         Diedie
          den Jugendlichen    Vodafone
                                  exklusive Stiftung    Deutschland
                                              Möglichkeit     zum Austauschruft dengend Klickwinkel
                                                                                             forscht“, Videowettbewerb
                                                                                                         der im Mai in Chemnitz stattfand.
          untereinanderinssowieLeben,     der Jugendliche
                                   mit Expertinnen                  ermutigen
                                                        und Experten.      Bun- soll, digitale Medien aktiv zu
                         gestalten
          desbildungsministerin        und
                                    Anja    zu einer
                                          Karliczek   ludstarken
                                                           in diesem Demokratie
                                                                       Jahr un- beizutragen.
                                                                                      „Der Tag der Talente ist eine großartige Gelegenheit für un-
          ter dem Motto „KI – wie schlau ist das denn“ nach Berlin sere Siegerinnen und Sieger, um einen Blick über den Tel-
                         Berlin,
          ein. „KI, das sind  erst25.06.2018.      Der Buchstaben.
                                     einmal nur zwei      Papst unterstütztDoch DonaldlerrandTrump,    Luxuswohnungen
                                                                                                 zu werfen    und sich mit für anderen Nachwuchstalen-
                         Flüchtlinge,
          hinter ihnen verbirgt          DrakeFülle
                                  sich eine      ist an
                                                      totChancen
                                                            – was unddieseMög-
                                                                             Meldungenten aus gemeinsam      haben: Sie
                                                                                                 unterschiedlichen           sind
                                                                                                                        Disziplinen   auszutauschen und
          lichkeiten für erwiesenermaßen       „Fake News“. Trotzdem haben sie
                         uns alle“, so die Bundesbildungsministerin                   zu sich   viral im Netz
                                                                                          vernetzen“,     sagt verbreitet    und
                                                                                                                Dr. Sven Baszio,      geschäftsführender
          im Vorfeld derEinfluss   auf öffentliche
                          Veranstaltung.      „Um Debatten
                                                     künstliche  genommen.
                                                                    IntelligenzDas aktuelle
                                                                                      Vorstand  Eurobarometer
                                                                                                   der Stiftung zeigt,
                                                                                                                   Jugenddass  84 e. V. „Die Preisträge-
                                                                                                                            forscht
          zum Wohle des  Prozent  der Deutschen
                             Menschen               glauben,braucht
                                           einzusetzen,        Desinformation
                                                                         es zu-sei ein    Problem
                                                                                      rinnen    undfür  die Demokratie.
                                                                                                     Preisträger    beweisen, dass bundesweite Schü-
          kunftsweisende    Lösungen
                         Doch  wie kann–manunddieMenschen,      dieund
                                                     Gesellschaft    sie erden-
                                                                         insbesondere lerwettbewerbe       ein wirkungsvolles
                                                                                           Jugendliche stark   machen gegen Instrument sind, talen-
          ken. Menschen,    die sich mit Kreativität,
                         Desinformation                   Weitsicht, Neugier
                                            und Hasskommentare?           Wie fördern tiertewirund  engagierte
                                                                                                 eine  offene und Jugendliche
                                                                                                                      vielfältigezu finden und sie gezielt
          und innovativenMeinungsbildung
                            Ideen auf den im      Internet? Eine Antwort
                                              unterschiedlichsten             daraufzu
                                                                         Gebie-         bietet  die Initiative Klickwinkel, die
                                                                                          fördern.“
          ten einbringenheute
                           und unter    anderemaktiv
                                die Zukunft        mit einem   Videowettbewerb
                                                        mitgestalten.“      Das startet. Bundespräsident Frank-Walter
          jährlich vom Steinmeier,     der die Schirmherrschaft
                         Bundesministerium           für Bildung für  unddiese
                                                                            For-Initiative übernommen hat, sagt:                      Jugend forscht/RED
          schung ausgerichtete
                         „Oft fällt Treffen machtschwer,
                                    es uns heute     auf dieim vielfältigen
                                                                  täglichen Ta-
                                                                             Strom der Informationen den Überblick zu
                          behalten. Woher kommt eigentlich die Nachricht, die da auf meinem Smartphone
                          aufblinkt? Ist sie relevant für mich oder die Allgemeinheit – oder doch nur lästige
  6                       Ablenkung oder sogar eine Beleidigung?
                                                                                               Rheinland-pfälzische Schule 10/2019
                          Diese Fragen gehen uns alle an. Unsere Demokratie lebt von Diskussion und Kompromiss.
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Investitionsrückstand

                                                                                                                           Aktuell
durch         mehr Fördermittel senken –
			                         aber bitte              mit Verstand
„Der Rückgang um rund 5 Milliarden Euro ist kein Grund       werden. Es ist wichtig, dass ein pädagogisches Grund-
zur Erleichterung. Nach wie vor geben die kommunal Ver-      konzept erarbeitet wird, alle Beteiligten eingebunden
antwortlichen an, dass der Investitionsrückstand im          werden und eine hohe gestalterische und räumliche Qua-
Schulbereich 42,8 Milliarden Euro beträgt. Da darf die Po-   lität umgesetzt wird. Dafür ist es essenziell, dass Innova-
litik nicht länger einfach wegsehen, sondern muss han-       tion gefordert und gefördert wird und die Schule im Quar-
deln und bedarfsgerecht unterstützen“, fordert Udo Beck-     tier gedacht wird. Wir wollen keine betonierten Lernhin-
mann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und           dernisse mehr.“
Erziehung (VBE) angesichts der von der KfW veröffentlich-
ten Publikation „Kommunaler Investitionsrückstand bei
Schulen“.

Für den Investitionsrückstand machen finanzschwache
Kommunen vor allem die Politik, finanzielle Engpässe bei
eigenen und den Fördermitteln verantwortlich. Finanz-
starke Kommunen hingegen bekommen den Fachkräfte-
mangel zu spüren: Sie geben an, dass Kapazitäten im Bau
und Personal allgemein fehlen. 60 Prozent der Befragten
geben an, dass es mehr bzw. einfacher zu erhaltene För-
dermittel geben sollte. Dies war auch eines der Ergebnis-
se des Schulbausymposiums vom Bund Deutscher Archi-
tekten (BDA), von der Montag Stiftung Jugend und Gesell-
schaft und dem VBE im Sommer 2017. Die Teilnehmenden
aus Praxis und Theorie, Schule, Architektur und Wissen-
schaft setzten sich für eine einfache Förderkulisse ein.
Die drei Partner, die auch die Schulbau-Leitlinien heraus-
geben, verständigten sich darauf, für ein neues Förder-
verständnis für den Schulbau (September 2017) einzuste-      Beckmann stellt sein Verständnis guter Schule heute
hen. Außerdem forderten sie im Kontext der Veröffentli-      auch bei der „Schulbau – internationaler Salon und Mes-
chung des Koalitionsvertrags im April 2018 einen „Pakt       se für den Bildungsbau“ vor.
für einen zukunftsweisenden Schulbau“. Hier wird her-
ausgestellt, so Beckmann: „Fördermittel sind richtig und                                                     VBE Bund
wichtig, aber sie sollten nicht um jeden Preis vergeben

       In memoriam

    Erich Holeschovsky, Lehrer a. D.      Erika Ulbrich, Rektorin a. D.
    Pommernstr. 7, 76829 Landau           Flurstr. 10, 55776 Rückweiler
    geb. 16.03.22, † 28.09.19             geb. 17.12.42, † 26.08.19

    Wir werden unseren verstorbenen Mitgliedern
    ein ehrendes Andenken bewahren.

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                          7
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Thema

        			 Eine für alle –
         100 Jahre
        Grundschule

 8
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Thema
Die gesellschaftspolitische Bedeutung

Die Grundschule hat sich in ihrer hundertjährigen Ge-
schichte von der Unterstufe der Volksschule zu einer sehr
eigenständigen Schulart mit Reformfreudigkeit und Ad-
aptionsfähigkeit an neue Erfordernisse entwickelt. Sie er-
hielt ihre Rechtsgrundlage in der Weimarer Verfassung
vom 11.8.1919. Dort heißt es in Art. 146: „Das öffentliche
Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für

                                                                                                                          Eine für alle – 100 Jahre Grundschule
alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere
und höhere Schulwesen auf.“ Sie kann also in diesem
Jahr das hundertjährige Bestehen feiern. Die Bedeutung
der Einrichtung einer vierjährigen (Grund-)Schule für alle
Kinder des Volkes – es war ein politischer Kompromiss –
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Während
bis dahin die große Masse der Kinder die Volksschule be-
suchen musste, gingen die Kinder wohlhabenderer und
privilegierter Eltern zur dreijährigen Vorschule, von der
sie dann zum Gymnasium wechselten. Von 1919 an gab es
die erste demokratische Schule, die die Kinder des Vol-
kes unsortiert aufnahm, sie unterrichtete und zu künfti-
gen Bürgern eines demokratischen Staates erzog. Der
Anfang von Chancengerechtigkeit war damit getan, um
das Herkommen nicht mehr allein zum Selektionskriteri-
um zu machen. Die Bedeutung der Grundschule als inte-
grierte Gesamtschule für die ersten vier Schuljahre und
als Vorreiter von Integration und Inklusion kann auch
nicht geschmälert werden durch eine zu beobachtende
Tendenz, nach der wohlhabendere Eltern – mitunter ge-
sellschaftliche Eliten genannt – fortstreben zu privaten
Schulen, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten ständig
gestiegen ist.

Qualitätsstandards der Grundschule
heute – eine schulpädagogische
Ausmessung

>> D
    ie Grundschule hat sich in den 100 Jahren von einer
   Unterrichtsanstalt zu einem Lebens- und Erfahrungs-        >> D ie Grundschule hat neben der Gesamtschule das
   raum für die Kinder entwickelt mit einer häufig beein-         Thema „Veränderte Leistungsfeststellung und -beur-
   druckenden Topologie von Lerngelegenheiten (Lern-              teilung“ am weitesten vorangetrieben.
    ecken, Lernwerkstätten, Computerstationen, Flur-          >> Mit den Erweiterungs- bzw. Veränderungskonzepten
    und Pausenhofgestaltung, Freigelände u. a. m.).               „Verlässliche Grundschule“, „Volle Halbtagsgrund-
>> Damit einher geht die Entwicklung einer differenzier-         schule“, „Veränderte Schuleingangsstufe“, „Ganz-
    ten Lernkultur. Die Subkonzepte offenen Unterrichts           tagsgrundschule“ hat die Grundschule eine große Ad-
    (Wochenplanarbeit, freie Arbeit, wahldifferenzierter          aptionsfähigkeit an veränderte gesellschaftliche Be-
    Unterricht, Projektarbeit, Stationenlernen) sind in un-       darfslagen entwickelt.
    terschiedlicher Intensität Bestandteil des Unter-         >> Binnenstrukturell gehören dazu Reaktionen auf ver-
    richtsalltags geworden.                                       änderte Kinder. Eine Pädagogik der Stille wie komple-
>> Die Revitalisierung reformpädagogischer Ansätze               mentär dazu eine differenzierte Bewegungserziehung
    (Montessori-Pädagogik, Freinet-Pädagogik, Jena-               können als Beispiele gelten.
    plan-Pädagogik) ist immer wieder besonders in der         >> Frühes Fremdsprachenlernen, interkulturelles Lernen,
    Grundschule zu beobachten.                                    alternative Schreib-Lese-Lernkonzepte wie eine ver-
>> Das soziale Lernen hat einen hohen Stellenwert. Die           änderte Rhythmisierung der Unterrichtszeit können
    Kinder haben vor allem in der Grundschule die Mög-            als curriculare und lernpsychologisch wichtige Anrei-
    lichkeit, Kommunikation und Kooperation zu lernen             cherungen verstanden werden.
    und zu praktizieren.
>> Die Integration von Kindern mit Handicaps – also die      Das ist in Summe sehr viel und zeugt von Kreativität und
    Inklusion – ist in der Grundschule am konsequentes-       Innovationsfreude.
    ten verfolgt worden.

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                                       9
Eine für alle - 100 Jahre Grundschule - des VBE Rheinland ...
Thema

        Die     Grundschule
        Wege zum Ich, Begegnung mit anderen, Tor zur Welt
        Mit den drei Metaphern der Kapitelüberschrift lässt sich     Herkömmlicherweise stehen die curricularen Strukturen
        die Grundschulstruktur ganz gut überschreiben. Wenn          – gegeben über Rahmenrichtlinien, Kerncurricula oder
        man von der Lebensaufgabe der Kinder ausgeht, nach           schuleigene Lehrpläne – im Vordergrund. Wenn man be-
        der sie sich Zug um Zug ihre Lebenswelt erobern müssen,      denkt, dass die Aufschlüsselung der Lebenswirklichkeit
        Selbstvergewisserung erlangen müssen – das bin ich mit       und die Zugriffe auf die sogenannte geistig-kulturelle
        meinen Stärken und Schwächen –, Lebenssinn zu gewin-         Welt unerhört viele Facetten haben, stellen sich die darin
        nen, um das Leben zu bejahen und schließlich Hand-           liegenden Aufgaben als sehr komplex dar. Zunehmend
        lungspläne zu entwerfen, um das Leben selbst in die          bedeutsam geworden sind die Interaktionsstrukturen
        Hand zu nehmen, dann ergibt sich eine gewaltige Aufga-       (das Curriculum des sozialen Lernens), da Erziehungsauf-
        be der Lebenshilfe, die die Grundschule leisten muss.        gaben im eigentlichen Sinne nicht mehr allein von den
                                                                     Familien getragen werden (können) und damit individu-
        Die Komplikation der Aufgabe wird größer, wenn man an        elle wie soziale Werthaltungen, Umgangs- und Arbeits-
        die häufig gegebene Brüchigkeit der tatsächlich gegebe-      formen sowie gemeinnütziges Verhalten und Integrati-
        nen Lebenswelt denkt. Ihre Ganzheitlichkeit ist oft verlo-   onsfähigkeit der Entwicklung bedürfen. Dann ist das so-
        ren gegangen und das Wort von den Verinselungen              genannte dritte Curriculum (das Lernen des Lernens)
        drückt ganz gut aus, worin Brüchigkeiten bestehen kön-       dazugekommen, ausgelegt auf Möglichkeiten zuneh-
        nen. In der Übersicht sind sie aufgeführt.                   mend selbstständigen und selbstverantworteten Lernens
                                                                     (Subkonzepte offenen Unterrichts) und auf ein vielfälti-
        Die große Herausforderung ist für die Grundschule, ob        ges Repertoire kognitiver Zugriffe auf die Welt und ihrer
        sie eine Klammer zwischen den Kindern und ihrer              Objektivationen.
        Patchwork-Existenz sein kann oder ob sie insgesamt
        doch nicht mehr als eine neuerliche Insel ist. Dies hängt
        wesentlich vom Selbstverständnis der Grundschule ab.

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Die Lebensaufgabe                                                                 Die Lebenswelt
 der Kinder                                                                        der Kinder

                                                                                                                                   Thema
 >> Lebenswelt konstituieren                                                       Die Brüchigkeit zeigt sich in
 >> Phänomene interpretieren                                                       >> ökologischen Verinselungen
 >> Selbstvergewisserung                                                              (Partialisierung der Lebens-
     erlangen                                                                          räume)
 >> Lebenssinn gewinnen                         Die Grundschule                    >> sozialen Verinselungen

                                                                                                                        Eine für alle – 100 Jahre Grundschule
 >> Handlungspläne entwerfen                    als Klammer oder                       (Familie, Schule Freizeit,
                                                neuerliche Insel?                      Arbeit)
                                                                                   >> mentalen Verinselungen
                                                                                       (Pluralismus und Individuali-
                                                                                       sierung)
                                                                                   >> ideologischen Verinselungen
                                                                                       (Partialkontexte, Subkulturen)

           Lernstrukturen               Die Chancen der Grundschule                         Interaktionsstrukturen

                                                                               Die Welt des Ich und der anderen

   Zugänge, Zugriffe                       Die Lebenswirklichkeit                      Verhalten

   >>   Sinn erfassen                      >>   Die Wohnung                            >> Soziales Handeln
   >>   Vergleichen und unterschieden      >>   Der Heimatort                          >> Umgangsformen
   >>   Interpretieren                     >>   Natur
   >>   Klassifizieren                     >>   Technik, Werken                        Soziale Arbeitsformen
   >>   Systematisieren                    >>   Medien
   >>   Beobachten                         >>   Spiel                                  >> Kooperationsfähigkeit
   >>   Experimentieren                    >>   Kleidung                               >> Konfliktfähigkeit
   >>   Messen, schätzen                   >>   Ernährung
   >>   Theoretisieren                     >>   Bücher                                 Gemeinnützige Aktionen
                                           >>   Krankheit
   Organisation des Lernens                >>   Trennung, Tod                          >> Engagement
                                           >>   Bewegung                               >> Verantwortung
   >>   Vermittlung rezipieren
   >>   Reproduzieren                      Die geistig-kulturelle Welt                 Integrationsfähigkeit
   >>   Darstellen
   >>   Lernen selbst organisieren         >>   Sprache, Fremdsprache                  >> Lernen mit Behinderten
   >>   Wochenplanarbeit                   >>   Kulturelle Unterschiede
   >>   Freie Arbeit                       >>   Historisches                           Soziale Werterhaltung
   >>   Projektarbeit                      >>   Musisches (Kunst, Literatur, Musik,
   >>   Stationenlernen                          Textiles Gestalten)                   >>   Freundlichkeit
                                           >>    Mathematik                            >>   Hilfsbereitschaft
                                           >>    Naturwissenschaften                   >>   Fairness
                                           >>    Sozialwissenschaften                  >>   Toleranz
                                           >>    Recht und Politik                     >>   Gerechtigkeit
                                           >>    Religion
                                           >>    Sport                                 Individuelle Werterhaltung

                                                                                       >>   Selbstvertrauen
                                                                                       >>   Innere Ruhe
                                                                                       >>   Bindungen
                                                                                       >>   Gesundheit
                                                                                       >>   Kreativität

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                                   11
Reichweiten der Gestaltung:

                   Die        Grundschule
Thema

                   Ort sozialen Lernens, handlungsorientiert, vernetzt
                   Neben der dargestellten pädagogischen Kernaufgabe hat                     kleinen Möglichkeiten (offener Anfang, Pausenkultur, Wo-
                   die Grundschule ihre innere Gestaltung immer wieder                       chenschlusskreis) über die Rhythmisierung des Schuljah-
                   weiterentwickelt Die folgende Übersicht (nächste Seite)                   res durch das Ensemble von Festen, Feiern, Ausflügen,
                   zeigt die Richtungen auf. Das Gestaltungsrepertoire ist                   Wanderungen, Schullandheimaufenthalten, Spieltagen,
                   wiederum umfassend und imposant.                                          Projekttagen bis zu strukturellen Veränderungen, die
                                                                                             etwa mit einer veränderten Schuleingangsstufe und dem
                   Der unaufgebbare Zentralbereich:                                          Lernen in altersgemischten Gruppen reichen können.
                   Veränderte Lehr- und Lernstrukturen
                   und das Schulleben                                                        Die Grundschule in ihrer kommunalen
                                                                                             Bedeutung und institutionellen
                   Konsens besteht heute darüber, dass einfallsreiche und                    Vernetzung
                   vielfältige Lehr- und Lernstrukturen das Angebot der
                   Grundschule bestimmen sollten. Neben dem wichtig blei-                    Die Stadtteilschule/Dorfschule in ihrer kultursoziologi-
                   benden Vermittlungsunterricht (lehrerorientierter Unter-                  schen Bedeutung als kultureller Treff bzw. in ihrer Wech-
                   richt) ist immer die Frage zu prüfen, in welchem Umfang                   selwirkung mit außerschulischen Lernorten und Experten
                   und mit welcher Infrastruktur offene Unterrichtsformen                    ist in vielen Kommunen ein ganz aktuelles Problem. Die
                   hinzukommen, um sinnbestimmtes, handlungsorientier-                       Vernetzung mit anderen Institutionen ist in Bezug auf die
                   tes, kooperatives und mitbestimmtes/selbstverantworte-                    Kooperation z. B. mit Kindergärten und Horten vielleicht
                   tes Lernen zu ermöglichen. Die Zeitmarge kann eng ge-                     selbstverständlich. In Bezug auf die Kooperation mit Kir-
                   setzt werden und sie kann 30, 40 oder gar 50 % der Un-                    chen und Sportvereinen ergeben sich Notwendigkeiten,
                   terrichtszeit umfassen.                                                   wenn es um ganztägige Betreuungsangebote geht. Dass
                                                                                             die Grundschule als Vernetzungselement für das soziale
                   Das Schulleben im Wochen-, Monats- und Jahresrhyth-                       und kulturelle Leben im Stadtteil / im Dorf gilt, ist wahr-
                   mus wird seine Dimensionen von den in der Übersicht ge-                   scheinlich seltener.
                   nannten Stichworten bekommen. Sie reichen von den

        Veränderte Lehr-/
                                                           Zeitliche                                              Stadtteilschule/         Vernetzung mit
        Lernstrukturen            Schulleben                                           Schulsozialarbeit
                                                           Ausweitung                                             Dorfschule               anderen Institutionen
        offener Unterricht

        >> Wochenplanarbeit       >> Offener Anfang        >> Verlässliche            Auffangaktivitäten        >> Öffnung für Eltern-/ >> Kooperation mit
        >> Freie Arbeit           >> Pausenkultur              Grundschule             >> Schularbeitenhilfe       Bürgervorhaben           Kindergarten/Hort
        >> Wahldifferenzierter   >> Feste                 >> Volle Halbtags-         >> Spielzentrum           >> Außerschulische   >> Börse für Angebote
          Unterricht              >> Feiern                    grundschule             >> Offene Angebote         Lernorte (Erkundun- >> Vernetzung mit
        >> Projektarbeit          >> Wochenschlusskreise       (integriert, additiv)       (Werkstätten,             gen u. a. m.)            Kirchen, Sportverei-
        >> Stationenlernen        >> Ausflüge              >> Ganztagsschule               Turnhalle, Pausen-    >> Experten                  nen
                                  >> Wanderungen           >> Nachmittagsange-            hof, Spielplatz usw.) >> Die Schulen als      >> Das Gemeinwesen
                                  >> Schullandheimauf-        bote                                                  kultureller Treff        als Lebens- und
        Grundintentionen            enthalte               >> 6-jähr. Grundschule      Neue Elternarbeit             nachmittags und          Lernort
        >> Mitbestimmtes/        >> Spieltage                                         >> Elternschule              abends
            selbstverantworte-    >> Projekttage           Grundintentionen            >> Wochenendseminare
            tes Lernen            >> Veränderte           >> Lebens- und
        >> Kooperatives Lernen     Schuleingangsstufen      Erfahrungsraum            Arbeit im Umfeld                 Kommunikations-/Handlungs-/
        >> Sinnbestimmtes      >> Altersgemischte        >> Verlässliche            >> Hausbesuche                      Gestaltungs-/Lernfelder
            Lernen                  Gruppen                  Aufenthaltszeiten         >> Kinder- und
        >> Handlungsorientier-                            >> Mehr Förderelemente        Jugendarbeit
            tes Lernen
                                Grundintentionen
                                >> Integration von
                                    Leben und Lernen                     Lebens- und Lernhilfe

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Thema
                                                                                                                          Eine für alle – 100 Jahre Grundschule
Kurze Bilanz                                                Kleine Literaturauswahl
                                                            >> M . Bönsch: Starke Schüler durch starke Pädagogik,
Die Grundschule ist die demokratische Basisinstanz für          Braunschweig, 2017.
die Erziehung und Bildung der Kinder. Diesem Grundauf-      >> M. Bönsch: Grundlegungen sozialen Lernens heute,
trag folgend, hat sie sich ständig weiterentwickelt. Das        Baden-Baden, 2018.
Aufgabentableau sowie das Gestaltungsrepertoire zeigen      >> W. Einsiedler: Konzeptionen des Grundschulunter-
die pädagogisch-didaktische Leistung der Grundschule            richts, Bad Heilbrunn, 1979.
auf. Sie hat aber auch das Glück gehabt, dass herausra-     >> W. Einsiedler u.a.: Handbuch Grundschulpädagogik
gende Pädagoginnen und Pädagogen sie immer begleitet            und Grundschuldidaktik, Bad Heilbrunn, 2005.
haben, Zwischenbilanzen gezogen und Weiterentwicklun-       >> G. Faust-Siehl u. a.: Die Zukunft beginnt in der Grund-
gen angemahnt haben. Neben den Namen im Literatur-              schule, Frankfurt/M. 1996.
verzeichnis sei der Nestor der Grundschulpädagogik Prof.    >> T. Knauf: Einführung in die Grundschuldidaktik, Stutt-
Erwin Schwartz stellvertretend besonders genannt. Er hat        gart, 2001.
mit seinem Buch die Historie, die gesellschaftspolitische   >> E. Neuhaus: Reform des Primarbereichs, Düsseldorf,
und pädagogische Bedeutung der Grundschule so be-               1974.
schrieben, dass es auch heute noch lesenswert ist. Das      >> I. Lichtenstein-Rother: Schulanfang, Frankfurt/M.,
hundertjährige Jubiläum ist wahrhaftig ein Grund zum            1954.
Feiern! Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Status     >> G. Schorch: Studienbuch Grundschulpädagogik, Bad
und Besoldung der Grundschullehrer und -lehrerinnen             Heilbrunn, 2007.
befinden sich angesichts der großen Belastungen (Migra-     >> E. Schwartz: Die Grundschule, Funktion und Form,
tionspädagogik und Inklusion) immer noch in einem defi-         Braunschweig, 1969.
zitären Zustand.                                            >> H. Zitzlsperger: Ganzheitliches Lernen. Welterschlie-
                                                                ßung über alle Sinne, Weinheim und Basel, 1995.
                                        Manfred Bönsch

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                                     13
100 Jahre Grundschule – eine Würdigung
         Interview

                            Eine für alle –
                                alle in einer
                                                                                         bessere sozioökonomische Bedingungen bereitstellen
                                                                                         können: Sie alle lernen hier zusammen. Die verbinden-
                                                                                         den Elemente der Kinder sind vor allem die Neugier und
                                                                                         Begeisterungsfähigkeit für Neues. Grundschullehrkräfte
                                                                                         können täglich erleben, wie es ist, ganz neue Welten
                                                                                         aufzuzeigen, grundlegendes Verständnis für Zahlen und
                                                                                         Buchstaben zu erzeugen und die Kinder im Aufbau ihrer
                                                                                         Sozialkompetenz zu unterstützen. So wird in der Grund-
                                                                                         schule die Basis gelegt für den weiteren Bildungsweg.
                                                                                         Ohne das Erlernen des Alphabets, des Lesens und des
                                                                                         Schreibens können später Texte weder verstanden noch
                                                                                         wiedergegeben werden, fallen eigentlich einfache Auf-
                                                                                         gaben unendlich schwer. Ohne das Rechnen im Zahlen-
                                                                                         raum bis 10, bis 50, bis 100 gibt es später auch keine
                                                                                         Lehre für Automechanik oder das Studium der Betriebs-
                                                                                         wirtschaftslehre.

                                                                                         Was ist die zentrale Herausforderung von Grundschule?

                                                                                         Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs werden in
                                                                                         der Grundschule alle gemeinsam unterrichtet. Doch
Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann im Gespräch
                                                                                         trotz des gleichen Alters können die Bildungsstände, Er-
                                                                                         ziehungserfahrungen und physischen und psychischen
                            Im Sommer 2019 feiert die Grundschule als eigenständi-       Voraussetzungen für den Schulbesuch sehr unter-
                            ge Schulform in Deutschland ihren 100. Geburtstag. Mit       schiedlich sein. Das ist die große Herausforderung für
                            der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung am          die Grundschule: die Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit
                            31. Juli 1919 wurde sie von Klasse 1 bis 4 als obligatori-   anzunehmen, sodass sie ganz individuell auf ihrem Weg
                            sche Schule für alle Kinder erstmals festgeschrieben.        begleitet werden können. Die Beobachtung der Kinder
                            Mit dem Ziel, das ständische Schulsystem zu beenden          hilft, ihre Talente und Stärken, aber auch ihre Potenziale
                            und Schule für einen demokratisch verfassten Staat und       und Schwächen zu entdecken. So kann ein Kind ent-
                            eine sich demokratisch entwickelnde Gesellschaft zu          sprechend seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten geför-
                            sein. Wir haben dies zum Anlass genommen, um mit             dert und gefordert werden, um die Grundschulzeit opti-
                            dem Bundesvorsitzenden des VBE, Udo Beckmann, über           mal zu nutzen. Denn das muss das Ziel sein: Am Ende
                            die Institution Grundschule zu sprechen.                     dieser vier Jahre (oder wie in Brandenburg und Berlin
                                                                                         sechs Jahre) sollen die Schülerinnen und Schüler mit
                            Herr Beckmann, 1919 – 2019, was ist, damals wie heute,       dem Rüstzeug ausgestattet sein, auf den weiterführen-
                            die besondere Errungenschaft, die sich mit Grundschu-        den Schulen ihren Weg gehen zu können.
                            le verbindet?

                            Klare Maxime der Grundschule war damals wie heute,           Wo steht die Grundschule heute, im Jahr 2019?
                            die eine Schule für alle zu sein. Keine andere Schule ver-
                            wirklicht den Anspruch auf ein inklusives Bildungssys-       Diese Leistung, Schülerinnen und Schüler auf ihren
                            tem so wie die Grundschule. Kinder mit und ohne Beein-       künftigen Lebensweg vorzubereiten, darf nicht unter-
                            trächtigungen, mit und ohne Migrations- oder Fluchthin-      schätzt werden und es darf vor allem nicht erwartet wer-
                            tergrund, mit Elternhäusern, die ihnen schlechtere oder      den, dass sie zum Nulltarif zu bekommen ist. Bildung

          14                                                                                                Rheinland-pfälzische Schule 10/2019
kostet, denn sie ist etwas wert. Die Entwicklung war jah-   nach einer intensiveren Betreuung. Dies muss Lehrkräf-
relang, Schulen zu schließen und den Lehrkräftebedarf       ten entsprechend „angerechnet“ werden. Sie müssen auf
entsprechend komplett veralteten Statistiken zu berech-     Unterstützungssysteme zugreifen können. Das können

                                                                                                                         Interview
nen. Tatsächlich steigt die Geburtenrate, und der hohe      sowohl die Arbeit mit und in multiprofessionellen Teams
Zuzug von Kindern mit Fluchthintergrund, insbesondere       als auch der administrative Support durch ein stets be-
im Jahr 2015, führt nun dazu, dass die Lerngruppen im-      setztes Schulsekretariat und eine Person sein, die sich
mer größer werden. Bundesweit fehlen Lehrkräfte und         um die IT-Technik kümmert. Nicht zuletzt fordern wir auch
Lernorte. Diese Entwicklung ist indiskutabel. Wenn an die   für Grundschullehrkräfte die grundsätzliche Einstufung in
Grundschule der Anspruch gestellt wird, die Kinder indi-    die Besoldungsgruppe A 13. Es gibt keine tragfähige Be-
viduell zu fördern, müssen hierfür auch die entsprechen-    gründung, warum sie schlechter bezahlt werden als Leh-
den Bedingungen geschaffen werden.                          rerinnen und Lehrer anderer Schulformen. Und natürlich
                                                            müssen die Schulgebäude in einen Zustand versetzt wer-
Was muss sich konkret verändern? Welche Forderungen         den, der Lehren und Lernen erst ermöglicht. Das kostet,
stellen Sie?                                                aber es lohnt sich auch: für eine Schulform, die alle ver-
                                                            eint, in der alle Kinder gemeinsam lernen und in der das
Die Grundschule ist im internationalen Vergleich unterfi-   Fundament für ihr weiteres Leben gelegt wird.
nanziert – und das in einem so reichen Land wie Deutsch-
land, in dem die Steuerquellen sprudeln. Das muss sich      Herr Beckmann, vielen Dank für das Gespräch.
ändern! Mit ausreichend Investitionen müssen die drän-
genden Herausforderungen der Grundschule angegangen                              Das Interview führte Lars von Hugo,
werden: Die Lerngruppengrößen müssen möglichst klein                                    Pressereferent des VBE Bund
gehalten werden. Kinder mit Förderbedarfen verlangen

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019                                                                                       15
Junger VBE

                                                                     Unterichtest du schon oder
                                                                     dekorierst du noch?
                                                                     Konkurrenzkampf um das schönste Klassenzimmer
                                                                     Die Sommerferien liegen nun einige Zeit hinter uns und           ternen Bereich, der kostenpflichtig ist. Um alle Materialien
Facebook “f ” Logo                CMYK / .eps   Facebook “f ” Logo

                                                                     schnell hat sich in den einzelnen Kollegien gezeigt: Es gibt
                                                                         CMYK / .eps

                                                                                                                                      nutzen zu können, ist ein einmaliger Unkostenbeitrag fäl-
                                                                     einige unter uns, deren Klassenzimmer und Material aus-          lig. www.zaubereinmaleins.de
                                                                     sieht wie aus dem Bilderbuch. Dabei sind schnöde Ge-
                                                                     burtstagskalender und einfache Fensterbilder eher etwas          Die „Lehrmittel Perlen“ – aus Freude am
   @jungervberlp                                                     für die Amateure. Wer in seiner Schule in den Deko-Olymp         Beruf
                                                                     aufsteigen möchte, hat einiges zu tun. Oder ist es viel-         Bei „Lehrmittel Perlen“ handelt es sich um einen weiteren
                                                                     leicht doch einfacher als gedacht, Klassenzimmer und Ma-         Blog, der für einen einmaligen Unkostenbeitrag Lehrmittel
                                                                     terial (kosten-)günstig und zeitsparend aufzuhübschen?           und Unterlagen für die 1. bis 6. Klasse zur Verfügung stellt.
                                                                     Denn natürlich lernt es sich in einem schönen Klassenzim-        Im Perlen-Blog findet man Ideen, Informationen, Interes-
@junger_vbe_rlp                                                      mer gleich viel angenehmer und ein Arbeitsblatt darf ja          santes für den Schulalltag und eine Community-Plattform
                                                                     auch gerne optisch ansprechend sein. Und selbstredend            zum Austausch. www.lehrmittelperlen.net
                                                                     möchte man mit dem einzigen undekorierten Klassenzim-
                                                                     mer auf dem Flur nicht unangenehm auffallen. Undenkbar,          Materialwiese
                                                                     wenn sich Eltern beim Elternabend enttäuscht über das            „Materialwiese“ ist ein kostenloser Grundschul-Blog. Hier
                                                                     nüchterne Klassenzimmer beschweren, wo es doch bei               erhält man unter anderem einfach einsetzbare Ideen für
                                                                     Kollegin X in der Parallelklasse so schön bunt ist. Mittler-     den Unterricht. Der Blog gibt Hinweise zu kostenlosem
                                                                     weile ist es glücklicherweise nicht mehr nötig, alles selbst     Material für die Grundschule und Kaufempfehlungen für
                                                                     herzustellen. Und somit ist es auch für weniger bastelaffi-      die Unterrichtsvorbereitung und das Klassenzimmer. Es
                                                                     ne Menschen möglich, ein Klassenzimmer schön zu ge-              lohnt sich auf jeden Fall auf dieser Seite vorbeizuschauen.
                                                                     stalten. Das Internet stellt eine Fülle von Seiten bereit, die   materialwiese.de
                                                                     Ideen und Anregungen für den Unterricht und die Gestal-
                                                                     tung des Klassenzimmers bieten. Besonders hilfreich ist          Ideenreise
                                                                     – gerade was die Ideensuche angeht – die App Pinterest.          Hier finden sich eine Menge Unterrichtsmaterial zum frei-
                                                                     Allein was sich dort unter dem Suchbegriff „Türdeko              en Download und Ideen rum ums Thema Schule.
                                                                     Grundschule“ alles finden lässt, ist erstaunlich. Mit weni-      ideenreise-blog.de
                                                                     gen Handgriffen lässt sich die Tür zum Klassenzimmer in
                                                                     ein kleines Kunstwerk verwandeln. Da kann sich auch der          Klassenkunst
                                                                     kritischste Elternteil nicht mehr beschweren.                    Die Internetseite „Klassenkunst“ bietet viele tolle Ideen
                                                                                                                                      und Anregungen zur Gestaltung des Klassenraums. Das
                                                                     Weitere tolle Anregungen lassen sich auf den zahlreichen         Unterrichtsmaterial steht auch hier zum freien Download
                                                                     Lehrer-Blogs finden. Ein besonderes Augenmerk möchte             zur Verfügung. Alle Materialien sind mit Liebe zum Detail
                                                                     ich auf die Blogs mit Grundschulschwerpunkt richten. Zum         aufbereitet. www.klassenkunst.com
                                                                     einen da ich selbst an einer Grundschule unterrichte, zum
                                                                     anderen weil dort erfahrungsgemäß noch exzessiver ge-            Buntes Klassenzimmer
                                                                     bastelt wird als an weiterführenden Schulen. Man denke           Ein Lehrerblog für die Grundschule mit Anregungen, Tipps
                                                                     nur an all die Witze über die laminierende Grundschulleh-        und Erfahrungen direkt aus der Praxis. Anders als bei den
                                                                     rerin.                                                           vorherigen Blogs ist „Buntes Klassenzimmer“ kein Mate-
                                                                                                                                      rial-Blog. Diese Seite gibt Tipps und Tricks zu Ritualen, Un-
                                                                     Zaubereinmaleins                                                 terrichtsinhalten, Methoden, Ideen und vielem mehr. bun-
                                                                     „Zaubereinmaleins“ ist wohl einer der bekanntesten, aber         tesklassenzimmer.de
                                                                     auch einer der umfangreichsten Grundschul-Blogs. Gera-
                                                                     de für den Bereich Classroom-Management bietet der               In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ran an
                                                                     Blog viele Ideen und Materialien. „Zaubereinmaleins“ ist         die Bastelscheren!
                                                                     unterteilt in einen öffentlichen Blog, in dem kostenlose                                               Marie-Louise Roth
                                                                     Materialien zur Verfügung gestellt werden, und einen in-

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Personalräte & Co
   Kleiner Leitfaden für neu gewählte Personalratsmitglieder

„Aller          Anfang                                              ist
            (nicht) schwer!“ (Teil 25)
Nach den Personalratswahlen gibt es – vor allem für neu ge-       zur Folge. Den Kolleg(inn)en dürfen keine wirtschaftlichen
wählte Personalräte – viele Fragen. Hier werden in loser Rei-     Nachteile entstehen. Führt das Versäumnis dazu, dass die
henfolge wichtige Begriffe aus dem Landespersonalvertre-          restliche dienstplanmäßige Arbeitszeit nicht erfüllt werden
tungsgesetz (LPersVG) erläutert.                                  kann, so gilt sie als erfüllt.

Vierteljahresgespräch: Falls noch kein Gespräch mit der           Allgemeine Aufgaben des ÖPR (§ 69 Abs. 1, LPersVG):
Schulleitung in diesem Schuljahr stattgefunden hat, wird es       Der Personalrat hat folgende u. a. allgemeine Aufgaben:
für den ÖPR Zeit, das nächste Gespräch mit der Schulleitung       >> Maßnahmen, die der Schule und ihren Beschäftigten
zu führen. Mögliche Tagesordnungspunkte wären u. a. end-              dienen, zu beantragen,
gültiger Gliederungsplan, personelle und räumliche Verän-         >> darüber zu wachen, dass zugunsten der Beschäftigten
derungen, Probleme bei Umsetzung der Inklusion, Belastun-             geltende Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvor-
gen des Kollegiums. „Schulleitung und Personalrat haben               schriften, Tarifverträge, Dienstvereinbarungen, Verwal-
über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu          tungsanordnungen und sonstige Arbeitsschutzvorschrif-
verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungs-             ten durchgeführt werden,
verschiedenheiten zu machen.“ Beide Seiten haben alles zu         >> Anregungen und Beschwerden von Beschäftigten entge-
unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden in          genzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen,
der Schule zu unterlassen. Kolleg(inn)en werden durch ihre            durch Verhandlungen mit der Schulleitung auf ihre Erle-
Mitgliedschaft im Örtlichen Personalrat in ihrer Meinungs-            digung hinzuwirken; die Personalvertretung hat die be-
freiheit nicht beschränkt.                                            troffenen Beteiligten über das Ergebnis der Verhandlun-
                                                                      gen zu unterrichten,
Näheres ist im § 67 des Landespersonalvertretungsgeset-           >> Maßnahmen zu beantragen, die der Gleichbehandlung
zes (LPersVG) zu finden.                                              von Frau und Mann dienen,
                                                                  >> Maßnahmen zur beruflichen Förderung schwerbehinder-
Wechselprüfung II: Zurzeit finden an Realschulen plus und             ter Menschen zu beantragen,
Integrativen Gesamtschulen noch Wechselprüfungen statt,           >> Maßnahmen zur Förderung familienfreundlicher Arbeits-
die von den Studienseminaren im Bereich der Realschule                bedingungen der Beschäftigten durch die Schule zu för-
plus durchgeführt werden. Der HPR vertritt hier die Perso-            dern.
nalräte.
                                                                  Informationsrecht des ÖPR: „Zur Durchführung seiner Auf-
Stellung des ÖPR (§ 39 Abs. 1): Die Mitglieder des ÖPR füh-       gaben ist der ÖPR rechtzeitig, fortlaufend, umfassend und
ren ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Wichtig ist dabei,        anhand der Unterlagen von der Schulleitung zu unterrich-
dass Personalräte in ihrer Tätigkeit an Weisungen der             ten“ (§ 69 Abs. 2 LPersVG). „Die Unterrichtung, so heißt es,
Schulleitung nicht gebunden sind. Sie verhandeln auf Au-          hat sich auf sämtliche Auswirkungen der von der Schullei-
genhöhe mit der Schulleitung. Die Tätigkeit im Personalrat        tung erwogenen Maßnahme auf die Beschäftigten zu er-
darf nicht zur Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs        strecken, insbesondere auf die Folgen für Arbeitsplätze, Ar-
führen.                                                           beitsbedingungen, Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation und
                                                                  Qualifikationsanforderungen.“ Der ÖPR hat das Recht, die
Im Absatz 2 heißt es, dass die Mitglieder des Personalrates       geplanten Maßnahmen mit der Schulleitung zu besprechen.
von ihrer beruflichen Tätigkeit befreit sind, soweit sie es für
die ordnungsgemäße Durchführung ihrer Aufgaben oder die           Dienstliche Gespräche: Die Personalräte sollten wissen,
ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Befugnisse als erfor-            dass bei dienstlichen Gesprächen der Schulleitung mit Kol-
derlich ansehen durften. Mitglieder des Personalrates ha-         leg(inn)en die Betroffenen über das beabsichtigte Gespräch
ben ihre Vorgesetzten zu unterrichten, bevor sie den Ar-          (Termin, Tagesordnung) rechtzeitig vorher zu unterrichten
beitsplatz zur Ausübung der Personalratstätigkeit verlas-         sind. Die betroffenen Kolleg(inn)en haben das Recht, dass
sen, außer wenn sie nach $ 40 LPersVG freigestellt sind.          ein Mitglied des PR (ÖPR, BPR oder HPR) an dem Gespräch
                                                                  teilnehmen kann (§ 69 Abs. 7, 8 LPersVG).
Nach Abs. 3 hat das Versäumnis der Arbeitszeit nach dem
Abs. 2 keine Minderung der Dienstbezüge oder des Entgelts                            Zusammengestellt von Johannes Müller

Rheinland-pfälzische Schule 10/2019
                            09/2019                                                                                                17
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