Einkaufsstraßen neu denken - Bausteine für neue Perspektiven Rolf Junker, Holger Pump-Uhlmann - StadtBauKultur NRW
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Einkaufsstraßen
neu denken
Bausteine für neue
Perspektiven
Rolf Junker,
Holger Pump-Uhlmann
Einkaufsstraßen neu denken Bausteine für neue Perspektiven
Inhalt
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
Vorwort — Hartwig Schultheiß, Hanna Hinrichs 07
1 Einführung — Ausgangslage, Problemstellung, Adressat 08
2 Entwicklung und Situation des Einzelhandels in Innenstädten 13
3. Risiko- und Potenzialfaktoren für die Entwicklung von Geschäftsstraßen 18
3.1 Risikofaktoren für Geschäftsstraßen 20
3.2 Perspektivfaktoren für Geschäftsstraßen 22
4. Szenarien für eine funktionale Umnutzung 28
5. Praxisanleitungen für den Umbau bei einer funktionalen Neuausrichtung 41
5.1. Dienstleistungen 42
5.1.1. Handlungsebene: öffentlicher Freiraum 42
5.1.2. Handlungsebene: Gebäude (Objekt) 42
5.2. Innerstädtisches Wohnen in gemischt genutzten Quartieren 43
5.2.1. Handlungsebene: öffentlicher Freiraum 43
5.2.2. Handlungsebene: halbprivater bzw. privater Freiraum 47
5.2.3. Handlungsebene: Gebäude (Objekt) 48
5.3. Urbane Produktion — Handwerk und Gewerbe im innerstädtischen Kontext 64
5.3.1. Handlungsebene: Erschließung 66
5.3.2. Handlungsebene: privater Freiraum 67
5.2.3. Handlungsebene: Gebäude (Objekt) 68
6. Steuerungs-/Förderungsinstrumente und Akteursmotivation 69
04.04.2019
–
7. Ausblick: Handlungsrahmen für Kommunen 74
8. Literatur 76
SBK #16
Autoren 79
Impressum 80
05
Vorwort auf eine gestalterische Aufwertung, die dafür
sorgen sollen, die Wunden in der Stadt zu heilen.
Insbesondere kleinen und mittleren
Städten fällt es schwer, diese Hoffnung einzulösen.
Hier eine Schuld bei den verantwortlichen
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
DR. HANNA HINRICHS, Akteuren zu suchen, greift zu kurz: Alle Zahlen zur
GF STADTBAUKULTUR NRW E. V. Entwicklung des Einzelhandels, zum Wachstum
des Onlinehandels und zu den Konzentrations
HARTWIG SCHULTHEISS, prozessen im Einzelhandel deuten darauf hin,
VORSTANDSVORSITZENDER dass man in vielen Lagen, anstelle der früheren
STADTBAUKULTUR NRW E. V. prägenden Präsenz des Einzelhandels, alternative
Konzepte entwickeln und koordinieren muss.
Diese Erkenntnis ist vor allem auch deshalb
so schmerzlich, weil es an positiven Zukunftsbil-
dern und Alternativen fehlt, denn unser Bild einer
attraktiven, florierenden „Einkaufsstraße“ ist
Aktuelle Studien zeigen, dass in den kommenden eben vom Einzelhandel geprägt. Umwidmung in
Jahren eine erhebliche Zunahme von Leerständen Wohnraum und eine stärkere Nutzungsmischung
in unseren Innenstädten zu erwarten ist. Demnach liegen als Antwort auf der Hand, Planungs- und
sind unsere Klein- und Mittelstädte ganz besonders Baurecht sind diesbezüglich zu modifizieren.
im Fokus. Was ist zu tun, wenn die Leerstände Gleichzeitig ist klar: Vorhandene Gebäude
auch die Hauptgeschäftsstraßen einer Stadt und Strukturen können nicht alle abgerissen und
betreffen? Wenn im Zentrum der Stadt, in der neu gebaut werden – der Umbau und die Anpassung
PUBLIKATION
Fußgängerzone leere Schaufenster gähnen? Das der vorhandenen Strukturen werden neben den
Wort des „Gesundschrumpfens“ geht um. strategischen Überlegungen zu einer Hauptaufgabe.
Der Einzelhandel bildet seit jeher die wirt- Hier liefert die vorliegende Publikation Bei-
schaftliche Grundlage für die Entstehung und spiele und Hinweise zu Handlungsoptionen. Neben
Fortentwicklung unserer Städte, er hat stadtbild- konkreten Ansätzen für den Umbau vorhandener
prägende Architekturen und Stadträume über Baustrukturen bietet sie auch einen Leitfaden, der
Jahrhunderte geformt. Der öffentliche Raum unserer bei der Einschätzung von Zukunftsperspektiven der
Innenstädte wurde und wird signifikant durch den eigenen Geschäftsstraße hilft. Die Autoren liefern
angrenzenden Handel geprägt: Er sorgte für Leben ganz konkrete Hinweise darauf, wie sich bestehende
auf den Straßen, für eine abwechslungsreiche Gebäudestrukturen nutzen lassen, um eine stärker
Gestaltung, für soziale Interaktionen, Aufenthalts- nutzungsgemischte Innenstadt zu verwirklichen.
qualität und wirtschaftliches Wohlergehen. Trotz Damit rückt ein wesentlicher Schlüsselaspekt
einschneidender Veränderungsprozesse hat sich an in den Blickpunkt: die Willensbildung in der Stadt
dem symbiotischen Verhältnis zwischen Stadt und gesellschaft. Bürgerinnen und Bürger, Immobilien
Handel nichts geändert: Er bestimmt noch immer eigentümer, Lokalpolitiker und die Mitarbeitenden
zu einem erheblichen Teil die Qualität unserer in der Verwaltung müssen ihre Aktivitäten neu
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Städte. Im Umkehrschluss beschleunigen leere ausrichten und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Schaufenster die Abwärtsspirale zusätzlich, Dazu gehört auch, Veränderungen als realisierbar
–
zahlreiche Standorte werden den Markt verlassen. und erfolgversprechend zu denken.
SBK #16
Deshalb verwundert es nicht, wenn Rufe Die Landesinitiative StadtBauKultur NRW
nach einer Wiederbelebung laut werden. Die Hoff- 2020 richtet sich mit dieser Publikation an
nungen richten sich auf ein kompetentes Steuern die Akteure in unseren Städten und möchte dazu
durch Politik und Kommunen, auf eine Verdichtung, beitragen, sich der anspruchsvollen Aufgabe
auf ein verbessertes Innenstadtmanagement, auf zu stellen.
eine Kooperation der innerstädtischen Akteure und
06 07
1. Einführung anteile als wichtige Ursachen benannt. Eine
weitere naheliegende Ursache liegt aber auch
im Flächenangebot: Nach vielen Jahrzehnten
der Flächenexpansion ist vielerorts die Sättigungs-
grenze an Einzelhandelsflächen bereits deutlich
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
AUSGANGSLAGE, PROBLEMSTELLUNG, ADRESSAT überschritten. Innenstadtentwicklung bedeutete
nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem Einzelhan-
delsentwicklung. Zunächst sorgten insbesondere
die Warenhäuser und dann seit den 1990er
Jahren innerstädtische Einkaufscenter für einen
regelrechten Flächenboom1.
Die Funktion von Geschäftsstraßen und Fußgänger
zonen neu zu denken, ist überfällig. Entstanden Die Ausweitung von Flächen im Einzelhandel hatte
sind beide auf den Handel ausgerichtete Straßentypen vor allem folgende Triebfedern:
vor allem, um einen störungsfreien Einkauf zu
ermöglichen und so den Einzelhandel zu stärken. §§ Wachsender Wohlstand, eine steigende
Gerade das Prinzip der Fußgängerzonen erwies Konsumfreudigkeit und der Wunsch nach
sich als Erfolgsmodell und wurde fast in jeder Einkaufserlebnissen führten zu einer
Stadt Deutschlands umgesetzt. Seit gut einem stetigen Ausweitung der Verkaufsflächen
Jahrzehnt wandelt sich jedoch das einstige Er- in Innenstädten.
folgsmodell vielerorts in ein Auslaufmodell: Leer §§ Diese guten Geschäftsperspektiven sorgten
stehende Ladenlokale und wenig attraktive auf der Betreiberseite für immer neue
Umnutzungen in Geschäftsstraßen nehmen zu, Betriebseröffnungen, -formen und -kon-
PUBLIKATION
beeinträchtigen die Ausstrahlungskraft von zepte, die zum einen den vorhandenen
Geschäftszentren und letztlich die Aufenthalts- Angeboten wirtschaftlich überlegen waren
qualität der gesamten Innenstadt. Das Vordringen und die zum anderen – schon angesichts
des Internethandels hat die Situation in den letzten des interkommunalen Wettbewerbs – von
Jahren weiter verschärft. Trotzdem halten die den Verantwortlichen in den Städten
meisten Immobilieneigentümer am scheinbar gerne aufgenommen wurden.
bewährten Funktionsmuster fest. Und auch die
Aktivitäten der Städte weisen oft in dieselbe Diese Entwicklung zu mehr und neuen
Richtung: Häufig wurde und wird versucht, dem Flächen war vielen von Nutzen, produzierte aber
zunehmenden Leerstand entgegenzusteuern und auch Verlierer in der Stadt: Dies betraf und
beispielsweise über ein Laden- oder Leer- betrifft vor allem Geschäftskonzepte, die dem
standsmanagement Einfluss zu nehmen. Dabei Wettbewerb nicht standhalten konnten, aber
blieb es meist bei überschaubaren, eher punktu auch Lagen (etwas) abseits. Die Flächenproduktivität
ellen Erfolgen, die den Markttrend nicht stoppen und die Einzelhandelsumsätze vieler Geschäfte
konnten. In vielen Innenstädten und Stadtteilzentren gingen zurück, etliche Geschäfte mussten schließen,
ist die ehemalige „Leitfunktion“ Einzelhandel der Berufsstand des klassischen (Fach-)Einzel-
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zur „Leidfunktion“ geworden. Daraus erwächst die händlers ist fast verschwunden. Die oft verfolgte
Notwendigkeit, den Funktionsmix der Innenstadt Strategie „Mehr Einzelhandel hilft dem Einzelhandel“
–
neu zu denken. hat ausgedient.
SBK #16
Ein Blick in die Innenstädte zeigt, dass in
vielen Geschäftsstraßen nicht mehr alle Läden Diese Entwicklung zu mehr und neuen
durch attraktive Einzelhandelsnutzungen gefüllt Flächen war vielen von Nutzen, produzierte aber
werden können. Oft werden der rasant wachsen- auch Verlierer in der Stadt: Dies betraf und
de Onlinehandel der vergangenen Jahre und die betrifft vor allem Geschäftskonzepte, die dem
damit einhergehende Verlagerung der Umsatz Wettbewerb nicht standhalten konnten, aber
Von Leerstand im Einzelhandel sind fast alle Städte betroffen.
08 09
auch Lagen (etwas) abseits. Die Flächenproduktivität einer niedergehenden Hauptgeschäftsstraße
und die Einzelhandelsumsätze vieler Geschäfte Zentrumseigenschaften suggerieren, real jedoch
gingen zurück, etliche Geschäfte mussten schlie- das Aufgegebene beherrschend wird. Zudem
ßen, der Berufsstand des klassischen (Fach-) behindert „das Abarbeiten“ an der Wiederbelebung
Einzelhändlers ist fast verschwunden. Die oft des Einzelhandels neue Aktivitäten. Die Leere
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
verfolgte Strategie „Mehr Einzelhandel hilft dem wird unerträglich und verhindert, dass neue positive
Einzelhandel“ hat ausgedient. Impulse entstehen können.
Erscheinungsformen und Auswirkungen In dieser Situation stellt sich die Frage:
von leer stehenden Einzelhandelsflächen können Wie gehen Städte mit Handelslagen um, die nur
sehr unterschiedlich sein. So ist beispielsweise noch begrenzt nachgefragt sind, sodass häufig
zwischen Leerstand in einzelnen Lagen oder ganzen Trading-down-Tendenzen und in deren Gefolge
Zentren zu unterscheiden. Geschäftsstraßen Leerstände auftreten? Ein übliches Handlungs-
und Fußgängerzonen können gleichermaßen be- muster ist, die Angelegenheit dem Markt zu
troffen sein – die Handlungsoptionen unterscheiden überlassen, nicht zuletzt, weil es sich ja zum
sich jedoch. Auch die Geschwindigkeit, in der überwiegenden Teil um Privatgebäude bzw. -be-
Leerstände entstehen, kann unterschiedlich sein: triebe handelt. In anderen Fällen wird über
Bei kleineren Geschäften gibt es als Vorstufe verschiedene Ansätze versucht, den Einzelhandel
des Leerstands üblicherweise oft lang anhaltende zu stützen. Hierzu gehören zum Beispiel ein
Trading-down-Prozesse, die die jeweilige Straße aktives Ladenmanagement, die Einrichtung von
oder das Quartier negativ beeinflussen. Demge- Zwischennutzungen, die Installation von Aus
genüber schließen große bauliche Einheiten, wie stellungen, die Errichtung von sogenannten Pop-
zum Beispiel Kauf- oder Warenhäuser, von heute up-Stores oder Ähnliches. Dabei handelt es sich
auf morgen. Auch dies löst meistens negative um wichtige Ansätze, doch haben die Erfahrungen
PUBLIKATION
Effekte im Umfeld aus, und die Installation einer der letzten Jahre gezeigt, dass mit deren Hilfe
neuen Nutzung dauert in der Regel einige Jahre. nur äußerst selten eine Trendwende eingeleitet
Die Leerstandsquote ist in den Städten sehr werden kann. Es bleibt bei Ausnahmeerscheinun-
unterschiedlich. Sie steigt im Extremfall auf bis gen, die, bei äußerst begrenztem Erfolg, viel
zu 100 Prozent, aber bereits Quoten von mehr als Zeit benötigen und Kosten verursachen. Eine
10 Prozent werden als störend wahrgenommen, Flächenwirkung, die zu einem Wiederaufblühen
auch weil in diesen Straßen für Einzelhandelskunden des Einzelhandels oder anderer innenstadtrelevanter
wenig attraktive Umnutzungen und Trading-down- Nutzungen beitragen könnte, ist für Straßen,
Effekte hinzukommen. Die schwächeren, weniger die keine günstigen Rahmenbedingungen für eine
attraktiven Zentren geraten oft in einen Abwärts- Wiederbelebung des Einzelhandels (s. hierzu
strudel. Besonders betroffen sind ausführlich Kapitel 3) aufweisen, durch solche
Strategien nur selten zu erreichen. Daher ist
§§ Städte in ausgeprägter Wettbewerbs im überwiegenden Teil der Fälle ein Neudenken
Auch in Klein- und Mittelstädten lässt sich eine Zunahme des Leerstandes beobachten. Quelle: eigene Darstellung
situation (häufig Klein- und Mittelstädte), zur Ausdehnung, Funktion und Gestaltung von
§§ Innenstädte und Stadtteilzentren mit Geschäftsstraßen unerlässlich! Ein Festhalten an
ausgedehnten Geschäftsbereichen, problematischen Einzelhandelslagen schadet Handlungsperspektiven für notleidende Straßen stationären Einzelhandel wird sich weiter
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§§ Randlagen von Innenstädten und Stadt der gesamten Innenstadt. auf, sowohl bezogen auf die Funktion als auch die verschärfen; sie verlangt einen entschlossenen
teilzentren sowie Diese Situation verlangt von den handelnden städtebauliche und bauliche Situation. Ergebnis Stadtumbau.
–
§§ Stadtteilzentren mit einer schwachen Personen in den Städten eine nüchterne Problem ist unter anderem – das darf an dieser Stelle schon
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Angebotsbreite und -tiefe. analyse, die in vielen Fällen eine Neuausrichtung vorweggenommen werden –, dass zum einen
der ehemaligen Geschäftsstraße erforderlich der Rückzug des Einzelhandels ganz neue Chancen
Dieser funktionale Niedergang hat naturgemäß machen wird. Diese Studie will hierzu einige Denk- für die ehemaligen Geschäftsstraßen und die
auch räumliche Auswirkungen. Die Situation sticht anstöße geben: Sie stellt die Rahmenbedingungen Stadt eröffnet und dass zum anderen dieser Wan-
vor allem deshalb so dramatisch ins Auge, weil vor, geht auf die städtebauliche Entwicklung del vonseiten der Stadt aktiv gesteuert werden
1
die städtebauliche Anmutung und Ausstattung der letzten Jahrzehnte ein und zeigt konkrete muss. Denn: Die Krise vor allem beim kleinteiligen, Gleiches ereignete sich auch an nicht integrierten Standorten.
10 11
2. Entwicklung und
Situation des Einzelhandels
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
in Innenstädten
Der Einzelhandel gilt seit Langem als die bestimmen sich meist auf das Erd- bzw. 1. Obergeschoss.
de, als Leitfunktion der Innenstadt; Marktplätze Weitere Nutzungen wie Dienstleistungen (im
trugen maßgeblich zur Gründung von Städten bei. weitesten Sinne) oder Wohnungen (seltener,
Markthallen und Passagen waren die ersten größeren, und wenn vorhanden, dann meist in den höher
erfolgreichen baulichen Betriebsformen. Seit dem gelegenen Obergeschossen) ergänzen die
PUBLIKATION
Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden zunächst prägende Leitfunktion des Einzelhandels. Diese
in den Großstädten Waren- bzw. Kaufhäuser1 meist Nutzungsverteilungen haben durchaus unter-
an prominenten Standorten in der Innenstadt schiedliche Facetten. So sorgt ein vollständiger
errichtet.2 Besatz mit Einzelhandel im Erdgeschoss einer
Diese großflächigen Anbieter stellten auch seits für hohe Mieten, andererseits aber auch
in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg3 den für eine gewisse Monotonie; zudem stehen zumin-
zentralen Anker zum Einkaufen in der Innenstadt dest in Großstädten die Obergeschosse oft leer
dar. „Im Schatten“ dieser großen Häuser konnten bzw. sind untergenutzt. Die die Innenstädte einst
sich längs der Straßen weitere Ladenlokale ansie prägende Funktionsmischung ist verloren gegangen.
deln. Dabei entstanden je nach Stadtgrundriss Demgegenüber fehlt es in gemischt genutz-
häufig Bandstrukturen, teilweise auch Kreuz- oder ten Straßenzügen häufig an einer vom Einzelhandel
Netzstrukturen von Geschäftslagen. Straßen mit erwünschten geschlossenen Einzelhandelslauf
Geschäften können sowohl für den Kraftfahrzeug- lage, und es hängt von der Qualität der ergänzen-
verkehr geöffnet als auch geschlossen sein (Fuß- den Nutzungen ab, inwieweit sich ein attraktives
gängerzonen4). Heute findet sich der Einzelhandel Funktionsgemisch ergibt. Die Entwicklung des
in Zentren vor allem in Branchen- bzw. Nutzungsmix ist jedoch fast immer
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den Marktkräften vorbehalten.
§§ Fußgängerzonen, In Deutschland ist der überwiegende Teil
–
§§ verkehrsberuhigten Straßen sowie in der Haupteinkaufsstraßen als Fußgängerstraßen
SBK #16
§§ Hauptgeschäftsstraßen, in denen auch ausgewiesen oder in verkehrsberuhigten Straßen
motorisierter Verkehr einen größeren lokalisiert. Sie sollen ein störungsfreies Einkaufen
Raum einnimmt. mit hoher Aufenthaltsqualität ermöglichen. Dane-
ben finden sich häufig Ladenlokale an klassischen
In diesen Straßentypen prägt der Einzel- Ausfallstraßen. Nur in großen Großstädten liegen
handel das Bild der gesamten Straße und verteilt in Deutschland auch an Hauptverkehrsstraßen
Große Warenhäuser waren einst die Ikonen des florierenden Einzelhandels.
12 13
bedeutende Einzelhandelslagen, wie zum Beispiel einige Klein- und Mittelstädte bewusst gegen EINZELNER PLATZ ODER STRASSENABSCHNITT
an der Achse Kurfürstendamm–Tauentzien in Berlin. die Einrichtung einer Fußgängerzone entschieden
Das Phänomen Fußgängerzone, das sich (vor allem, um mit diesem Alleinstellungsmerk
nach dem Zweiten Weltkrieg als Erschließungs- mal bei den Kunden zu punkten – vgl. oben), teils MEHRERE KURZE STRASSENABSCHNITTE
modell für die Haupteinkaufsstraßen durchsetzt, weil die Verkehrsfunktion nicht aufgegeben
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
ist unmittelbar mit dem Leitbild der autogerechten werden konnte (zum Beispiel bei Bundes- oder
Stadt und den Jahren des „Wirtschaftswunders“ Landstraßen). FUSSGÄNGERBEREICH AUS MEHREREN
verbunden. Die Zunahme der Kfz-Zulassungen und Die Geschäftsstraßen haben sich im Laufe ISOLIERTEN TEILSTÜCKEN
der Anstieg des allgemeinen Konsums legten in der Jahrzehnte, in Abhängigkeit von verschiedenen
den Geschäftsbereichen der Innenstädte relativ ökonomischen und städtebaulichen Bedingungen
bald die funktionalistische Trennung von Fuß- (vgl. unten), sehr unterschiedlich entwickelt. Die STRASSENBAND
und Fahrverkehr nahe: Die Fußgängerzone war Extreme lassen sich wie folgt kennzeichnen:
geboren.
Monheim stellt in einer umfassenden §§ In den attraktiven Zentren dominieren starke STRASSENBAND MIT QUERERWEITERUNGEN
Arbeit aus dem Jahr 1975 rückblickend und vor Einzelhandelsbetriebe das Bild, weil sie SIND LÄNGER ALS HAUPTACHSE
ausschauend dar, wie sich in dieser Zeit die in der Lage sind – und teilweise auch waren –,
Fußgängerzonen entwickelt haben5. Bestimmend hohe Mieten zu zahlen. In diesen Haupt
für ihre Einrichtung war in der Regel der unmit lagen, die sich durch eine starke Passanten STRASSENKREUZ
telbare Bezug zum Einzelhandel. Sie sollten einen frequenz auszeichnen, entwickelt sich
angenehmen und störungsfreien Einkauf garan- dann regelmäßig ein eher uniformes, stark
tieren. Nachdem die Bedenken des Einzelhandels durch Filialisten geprägtes Einzelhandels ACHSIAL AUSGERICHTETES
nach und nach verflogen und in Wohlwollen angebot. Die ehemals hier ansässigen NETZ AUS PARALLELEN
umgeschlagen waren (solange die Erreichbarkeit Geschäfte sind nach und nach verdrängt
PUBLIKATION
FUSSGÄNGERSTRASSEN
und die Parkmöglichkeiten gesichert waren), worden.
entstand ab den 1960er Jahren bis in die 1990er §§ Demgegenüber müssen in den Städten
Jahre eine Vielzahl von verkehrsarmen Straßen mit schwacher Anziehungskraft des STRASSENNETZ
und Zonen (vgl. Abb. 1). Die Zahl der ausgewiesenen Einzelhandels und in Randlagen von Zentren (GRUNDACHSEN DOMINIEREN)
Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigten Be- mehr und mehr Geschäfte aufgeben.
reiche stieg stetig. Inzwischen gibt es kaum eine Dadurch geraten allmählich ehemals funk
Mittel- oder Großstadt, die nicht über eine tionierende Geschäftsstraßen in Schwie FLÄCHENDECKENDES
Fußgängerzone verfügt (vgl. Abb. 5). Dabei sind rigkeiten. Die Einzelhandelsnutzung hat sich STRASSENNETZ (VON
bisher – obwohl oft diskutiert – relativ wenige in diesen Städten bezogen auf die heutige FAHRSTRASSEN ZERSCHNITTEN)
Fußgängerzonen wieder aufgegeben und in für Nachfrage zu exzessiv entwickelt.
den Kfz-Verkehr ganztägig nutzbare Straßen
umgewandelt worden6. Angesichts der zunehmenden Probleme, die FLÄCHENDECKENDES
Neuausweisungen sind in den letzten die Geschäftsstraßen säumenden Ladenlokale STRASSENNETZ (NICHT VON
Jahren dagegen selten geworden; sie werden ihrem ursprünglich zugedachten Zweck ent- FAHRSTRASSEN ZERSCHNITTEN)
offensichtlich nur noch in Großstädten diskutiert. sprechend nutzen zu können, ist die planerische
So soll der Boulevard Anspach in Brüssel um Auseinandersetzung mit dieser Situation zu einer
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gestaltet werden, um den motorisierten Individual vordringlichen Aufgabe geworden. Hierzu gehört FLÄCHENDECKENDES
verkehr bewusst zurückzudrängen und so mehr sicherlich (wieder einmal) die Beschäftigung mit STRASSENNETZ MIT
–
Aufenthaltsqualität für Fußgänger in der Innenstadt dem öffentlichen Raum hinsichtlich seiner Gestal- FUSSGÄNGERACHSEN IN
SBK #16
zu schaffen. Ähnliches wird auch in Düsseldorf tung und seiner verkehrlichen Nutzung. Deutlich INNENSTADTRANDGEBIETEN
für die Königsallee, in Berlin für die Allee Unter den wichtiger ist es jedoch, wie in den folgenden Kapi-
Linden oder in Madrid für die Gran Vía diskutiert. teln gezeigt wird, die an die Straße angrenzenden
Allerdings gibt es natürlich eine ganze Gebäude stärker in den Blick zu nehmen und hier
Reihe von Geschäftsstraßen, die nicht als Veränderungsoptionen aufzuzeigen. Dabei geht
Abb. 1: Fußgängerzonen lassen sich nach ihrer räumlichen Ausprägung in unterschiedliche Typen einordnen.
Fußgängerzone ausgewiesen sind, teils weil sich es vor allem um die Nutzungen in den einzelnen Quelle: Monheim, Rolf: Fußgängerbereiche. Bestand und Entwicklung. Köln 1975, S.55
14 15
300
250
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200
150
100
50
0
1960 1970 1980 1987
und früher
Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels e.V.
neu erstellt nach: Bernhard Neuhoff: Die Fußgängerzone. Ihre Entstehung und ihr Einfluß auf die Stadtentwicklung.
Dissertation. Gesamthochschule Kassel, 1991
PUBLIKATION
1
Geschossen (insbesondere im Erdgeschoss), um Ein Warenhaus ist ein Einzelhandelsgroßbetrieb in zentraler
den gestalterischen Zusammenhang zwischen Lage mit breitem Sortiment, vor allem der Bereiche Be
Erd- und Obergeschossen bzw. den räumlichen kleidung, Textilien, Haushaltswaren und Lebensmittel
Zusammenhang zwischen Erdgeschoss und einschließlich Gastronomie. Der Begriff Kaufhaus betont die
Außenraum sowie um die Gestaltung der Innenhöfe. Orientierung auf die Branche (EHI Retail Institute o. J.: S. 382).
2
Hier ist ein offenes Neudenken verschiedener Vertiefende Informationen in: Junker/Pöppelmann/Pump-
(passender) Optionen notwendig. In den Kapiteln 4 Uhlmann 2015
3
und 5 dieser Studie werden hierzu Überlegungen Neben den Stammhäusern, meist Anfang des 20. Jahr-
angestellt und konkrete bauliche Antworten hunderts entstanden, errichteten vor allem die Konzerne
aufgezeigt. Dabei wird deutlich, dass dadurch Hertie, Horten, Karstadt und Kaufhof gerade in den
mehr Chancen als Gefahren für die Innenstädte 1950er und 1960er Jahren viele Warenhäuser.
4
entstehen.
Eine Fußgängerzone ist eine Verkehrsfläche, auf der Fußgänger
Vorrang vor anderen Verkehrsteilnehmern haben. Meist
haben andere Verkehrsteilnehmer nur zu bestimmten Zeiten
(zum Beispiel zur Anlieferung von Waren oder als Anwohner)
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ein Zuwegerecht. Die Fußgängerzone kann aus mehreren
Fußgängerstraßen bestehen und liegt meistens im Innen-
–
bereich einer Stadt oder Siedlung. (Quelle: Wikipedia)
SBK #16
5
Monheim, Rolf: Fußgängerbereiche. Bestand und
Entwicklung. Köln 1975, S. 88 ff. (Reihe E. DST-Beiträge zur
Stadtentwicklung, Heft 4)
6
Wie die Studie zeigen wird, greift ein alleiniger Eingriff
in die verkehrliche Funktion auch zu kurz, um die Situation
in notleidenden Straßen tatsächlich zu verbessern.
16 17
3. Risiko- und Potenzial
faktoren für die Entwicklung
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
von Geschäftsstraßen
in Innenstädten
Die Entwicklung von Zukunftsperspektiven für plakativen Lösungen gerufen wird, ist es hilfreich,
unter Druck geratene Geschäftsstraßen hat zwei sich ein möglichst objektives Bild von der Zu-
bestimmende Dimensionen: Zum einen geht es kunftsperspektive einer Straße zu machen – auch,
darum, auf der Basis einer genauen Analyse den um eine solide Gesprächsgrundlage zu haben.
Ist-Zustand, aber auch Risiken und Potenziale Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie
PUBLIKATION
einer bestimmten Lage zu beschreiben und zu die individuelle Situation einer solchen Straße
bewerten. Zum anderen geht es aber auch um hinreichend genau erfasst und charakterisiert
einen Prozess der Willensbildung: Sowohl für werden kann. Hierzu werden zunächst die maß- In vielen Städten stecken die Wirtschaftsförderung, das Innenstadtmanagement oder eine Interessen- und Standortgemeinschaft
die Eigentümer der betroffenen Immobilien als geblichen Einflussfaktoren herangezogen und viel Energie in die Wiederbelebung des Einzelhandels.
auch für die Entscheidungsträger in Lokalpolitik beschrieben. Diese werden zu einem Prüfschema
und Verwaltung ist das Überdenken der gewohn- zusammengefasst, das die Risiko- und Potenzial
ten Nutzungserwartung oft nicht positiv besetzt. faktoren für die Entwicklung einer Straße über- Diagnose dar, die in der Stadtgesellschaft,
Diese Einordnung hat vor allem folgende Gründe: sichtlich darstellt. Aus diesen lässt sich dann Politik und Verwaltung zu diskutieren ist, da die
ableiten, welche Entwicklungsrichtung für die jeweilige Situation nicht absolut, sondern jeweils
§§ Die Einzelhandelsnutzung ist seit Jahren Straße angezeigt ist, um sie wirtschaftlich, neu in den gesamtstädtischen Kontext zu stellen
eingeführt und verspricht – so zumindest städtebaulich und soziologisch in eine zukunfts- ist. Im zweiten Schritt geht es dann darum,
die Hoffnung – möglicherweise auch in fähige Position zu bringen. mögliche Perspektiven für die einzelnen Straßen
Zukunft eine gute Einnahmesituation. Eine Das zweistufige Prüfschema besteht zum sauber herauszuarbeiten; also zu prüfen,
zukünftig in vielen Fällen immer weniger einen aus einer Risikoanalyse, die aufzeigt, in welche Punkte für einen Erhalt der Geschäfts-
zutreffende Annahme. welchem Maß eine Geschäftsstraße gefährdet ist, straßenfunktion oder für eine Neuorientierung
§§ Eine Umnutzung ist mit baulichem und ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr oder nur sprechen. Auch die Ausrichtung der funktionalen
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finanziellem Aufwand verbunden und unzureichend erfüllen zu können. Hier werden die Neuaufstellung kann hieraus abgleitet werden.
verlangt idealerweise ein „Mitziehen“ Negativfaktoren ggf. auch in Relation zu anderen
–
der Nachbarn, um eine solide Basis Straßen herausgearbeitet. Dabei versteht sich von
SBK #16
für eine Neuaufstellung zu schaffen. selbst, dass eine solche wichtige Einordnung von-
§§ Für viele ist schwer vorstellbar, dass eine seiten der Stadt zwar vorzunehmen ist, aber nicht
bisher als Geschäftsstraße genutzte einfach und „mal eben“ verordnet und umgesetzt
Straße bzw. ein Gebäude durchaus auch werden kann. Das Grundeigentum und (potenzielle)
für andere Funktionen geeignet ist. Nutzer sind in die Überlegungen miteinzube
In dieser Situation, in der oft schnell nach ziehen. Die Analyse stellt für alle Beteiligten eine
Abb. 5: Gesundheitshaus Dortmund, Fotograf: Willi Schwarz
18 19Punkt, der auf die Wahrnehmung des Erscheinungs November 2010 März 2016
bilds der Straße zielt. Festzuhalten sind Verwahr-
3.1. Risikofaktoren für losungstendenzen, Sauberkeitsprobleme und/oder 740 620
eine mangelnde Pflege der Bausubstanz.
Geschäftsstraßen
760 500
Insgesamt kann durch eine solche, relativ 270 430 140 390
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
einfache Analyse der Grad der Gefährdung
270 1730 820 170 1650 760
einer Straße mit Blick auf eine adäquate Einzel- 1480 1070
handelszukunft herausgearbeitet werden. Wie 70 2430 160 1970
oben bereits betont, ist es wichtig, eine Zeitreihe 260 460
oder zumindest zwei Zeitpunkte und den Ver 730 2720 580 2150
gleich zu anderen Geschäftsstraßen in der Innen-
1610 1340
stadt einzubeziehen. 230 160
1300 1000
Neben dieser Beschreibung von Ist-Zustand, 1200 1140
Entwicklungstendenzen und möglichen Konkur- 740 720
renzen sind auch potenzielle Ursachen der aktuellen
Situation ein wichtiger Baustein für die Erarbei- 610 570
tung neuer Perspektiven in einem weiteren Schritt
Um die Situation einer Geschäftsstraße einordnen (vgl. nächstes Kapitel). Bei manchen Lagen lassen Die Veränderung der Passantenfrequenz gibt Hinweise auf die Zukunftsperspektive einer Einzelhandelslage.
Quelle: Stadt Halle/Saale, Passantenfrequenz, Erhebung Junker + Kruse
zu können, sind die Nutzungssituation und die sich Ursachen sehr leicht ausmachen (zum Bei-
daraus resultierende Passantenfrequenz wichtige spiel Standortkonkurrenzen), in anderen Straßen
Kriterien. Dabei stellen die zu ermittelnden Mess- können die Gründe kleinteiliger sein.
Ergebnisse keinen absoluten Wert dar, sondern Wenn sich nach fachlicher Meinung die
werden erst in ihrer zeitlichen Entwicklung und vermutete Gefährdung belegen lässt, sollten
PUBLIKATION
in Relation zu den anderen Geschäftsbereichen die Ursachen- bzw. besser die Perspektivfaktoren
in der Innenstadt wirklich aussagekräftig. Folgende ermittelt werden (s. Kapitel 3.2).
Fragen bzw. Kriterien sind bei einer Betrachtung
DARSTELLUNG DER FAKTEN BEWERTUNG
zu stellen und heranzuziehen:
KRITERIUM (VOR 5 JAHREN/HEUTE) (ORDIAL)
(IN INTERNER RELATION)
Wie sieht das Angebot aus?
Aufzunehmen sind die Anzahl und der flächenmäßige
Umfang von leer stehenden Geschäftslokalen in
ANZAHL LEER STEHENDER GESCHÄFTSLOKALE absolut / %
absoluten und prozentualen Werten.
Wie hat sich die Straße in den vergangenen Jahren
FLÄCHE LEER STEHENDER GESCHÄFTSLOKALE absolut / %
entwickelt?
Darstellung von Trading-down-Erscheinungen
(Qualität und Struktur des Einzelhandelsangebots). TRADING-DOWN-ERSCHEINUNG deskriptiv
Wie viele potenzielle Kunden sind unterwegs?
04.04.2019
Zu erheben ist die Passantenfrequenz1. Sie ist eine VERWAHRLOSUNGSTENDENZEN deskriptiv
harte, gut nachvollziehbare Messgröße, die unmittel
–
bar darstellt, wie stark eine Straße von möglichen
SBK #16
Kunden genutzt wird. Sie ist zu verschiedenen RESÜMEE deskriptiv
1
Tages- und Wochenzeiten zu messen und in der Geschäftsbetreiber erheben zudem häufig auch noch die
Relation zu anderen Einkaufslagen zu sehen. Besucher- und Kundenfrequenz im Geschäft, um die
Zahl der tatsächlichen Interessenten nachweisen zu können, Quantitative und qualitative Eigenschaften einer Lage können mit positiv, neutral oder negativ bewertet werden und geben so
einen Hinweis auf das Potential der Lage.
Ist es ein Vergnügen, sich auf der Straße aufzuhalten? doch ist dies für die öffentliche Hand nicht leistbar und
Eine subjektiver, aber doch elementar wichtiger zudem nicht von vordringlichem Interesse.
20 21Natürlicher Einzugsbereich ohne attraktive Endpunkte und unübersichtliche Geschäftsbereichs. Dabei muss der aktuelle bzw.
Das natürliche Einzugsgebiet bildet den Raum ab, Strukturen als problematisch einzuordnen. der angestrebte Modal Split berücksichtigt
3.2. Perspektivfaktoren den der Geschäftsbereich der Stadt unter normalen werden. Viele Städte streben an, den Radverkehr
Bedingungen erreicht. Wichtig sind in diesem Dimensionierung des Geschäftsbereichs stärker in den Fokus zu rücken; hier ist die
für Geschäftsstraßen Zusammenhang nicht nur die Wettbewerbsbezie- Die Dimensionierung des Geschäftsbereichs kann notwendige Infrastruktur bereitzustellen.
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
hungen in der Region, sondern auch die innerhalb zum einen an der Länge der Wege und zum anderen
der Stadt. an der Verkaufsflächenzahl festgemacht werden. Stellplatzangebot
Sie ist Ergebnis der Entwicklungsprozesse in der Ver- Mit Blick auf den Kfz-Verkehr ist ein ausreichendes
Zentralität (in zentrenrelevanten Sortimenten) gangenheit. Grundsätzlich wünschen die Passanten und gut lokalisiertes Stellplatzangebot nach wie
Die Zentralität stellt das Verhältnis von Umsatz in Geschäftsstraßen weitgehend attraktive Rand- vor wichtig für den Erfolg eines Geschäftsbereichs.
zur Kaufkraft dar. Der Wert zeigt an, inwieweit es nutzungen, damit der Weg durch die Straße sowohl Dabei zeigt sich, dass Kunden in größeren und
dem Einzelhandel der Stadt heute gelingt, das der Versorgung dienen als auch zum Erlebnis werden attraktiveren Städten eher bereit sind, weitere Wege
Umland anzusprechen. kann. Die Passantenfrequenz zeigt, in welcher zurückzulegen und höhere Gebühren zu entrich-
Stärke die Straße genutzt wird und ob es potenziell ten, als bei schwächeren Geschäftszentren. Be-
Sondereinflüsse zu Kundenkontakten kommen kann; sie stellt also zogen auf einen angemessenen Versorgungsgrad
Erfahrungen zeigen, dass Sondereinflüsse, wie zum eine zentrale Maßeinheit dar, um die Bedeutung der sind die Anziehungskraft des Geschäftsbereichs
Beispiel Touristen, häufig stattfindende anziehungs- Einkaufsstraße abzubilden. Die Frequenz in unter- sowie der heutige und der angestrebte Modal Split
Um prüfen zu können, welche Perspektiven eine kräftige Feste oder ein starker Käuferstrom aus dem schiedlichen Straßenabschnitten gibt Hinweise auf die maßgeblichen Stellgrößen.
„in Not geratene“ Geschäftsstraße hat, Ausland, das „natürliche“ Käuferpotenzial deutlich deren Bedeutung. Die gezahlten Mieten für Ge-
werden im zweiten Schritt die maßgeblichen Ent erhöhen und so die Situation eines Geschäftszen schäftslokale, die oft bekannt sind oder recherchiert � VERKEHRLICHE SITUATION BEI HAUPTSTRASSEN
wicklungsparameter nüchtern analysiert. Dabei trums wesentlich verbessern können. Dabei ist werden können, liefern in der Regel ein Abbild dieser
geht es zum einen um die ökonomische Situation allerdings anzumerken, dass sich diese Faktoren Situation. Zur Einordnung all dieser Zahlen sind Ver- Neben den oben genannten Aspekten sind in
in Stadt und Region und zum anderen um städte bereits in der Zentralität der Stadt widerspiegeln. gleichswerte aus Städten ähnlicher Größe sinnvoll. Straßen, die nicht nur Fußgängern vorbehalten
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bauliche und verkehrliche Bedingungsfaktoren. sind, folgende weitere Punkte relevant:
Die maßgeblichen Parameter werden im � RÄUMLICHE SITUATION DES Struktur der Gebäude
Folgenden vorgestellt1: GESCHÄFTSBEREICHS Für die Vermietung von Ladenlokalen ist eine Breite der Fußwege
passende Verkaufsflächengröße ein wichtiges Sie erleichtern ein angenehmes, gefahrloses Bum-
� WIRTSCHAFTLICHE UND Struktur des Geschäftsbereichs Kriterium. Generell gilt, dass die Verkaufsfläche meln und schaffen so eine entspannte Stimmung.
DEMOGRAFISCHE SITUATION DER STADT Wie oben dargestellt (vgl. Kapitel 2), bestehen je Ladeneinheit in der Vergangenheit stetig größer
bei Geschäftsbereichen oder -straßen unter- geworden ist. Gründe dafür sind, dass ein immer Überquerbarkeit der Straße
In diesem Kriterienfeld sind die für die Ent schiedliche Grundmuster. Grundsätzlich können größeres Warensortiment angeboten werden muss, Sie entscheidet maßgeblich darüber, ob beide Stra-
wicklung eines Einzelhandelsstandorts wichtigen drei Typen unterschieden werden: die Band-, aber auch eine räumlich großzügige Präsentation ßenseiten gleichermaßen zum Einkaufen genutzt
Rahmenbedingungen zu untersuchen. Sie die Kreuz- und die Netzstruktur. eine zunehmende Rolle spielt2. Baulich-räumlich werden. Die zu bewältigende Verkehrsmenge einer
sind durch die Stadt kaum oder nur langfristig wird zudem ein barrierefreier Zugang in den Straße und die Querungsmöglichkeiten für Fußgänger
zu beeinflussen, haben aber gleichwohl eine Laden immer wichtiger. Die Filialbetriebe haben sind hier die entscheidenden Parameter.
maßgebliche Bedeutung. diese Ansprüche besonders vorangetrieben.
Knochenstruktur Rundlauf Vielfältig vernetzte Struktur Diese Anforderungen sind mit den oftmals � GESTALTUNG DER STRASSE/ZONE
Einwohnerzahl gegebenen kleinstrukturierten Bedingungen nicht
Quelle: eigene Darstellung
Die Einwohnerzahl ist ein besonders wichtiger kompatibel und nicht erfüllbar. Manchmal sind um- Die Gestaltung der Geschäftsstraße oder -zone
04.04.2019
Faktor für das Funktionieren eines Geschäfts fangreiche Baumaßnahmen bzw. Zusammenlegungen schafft maßgeblich Aufenthaltsqualität
bereichs. Sie bestimmt das grundsätzlich Zwischen diesen gibt es natürliche Modi von Ladenlokalen erforderlich – Eingriffe, vor denen und sorgt in Zeiten, in denen der Erlebniseinkauf
–
„ansprechbare“ Bevölkerungspotenzial. Zu unter- fikationen. Für die anstehende Fragestellung der private Grundbesitz häufig zurückschreckt. immer wichtiger wird, für eine angenehme
SBK #16
scheiden ist zwischen der Einwohnerzahl der gilt grundsätzlich, dass klare Wegebeziehungen Atmosphäre. Im Folgenden die maßgeblichen
Stadt und der des Umlandes. Mit zunehmender mit starken Endpunkten positiv wirken und � VERKEHRLICHE SITUATION Kriterien zur qualitativen Einordnung:
Einwohnerzahl erhöhen sich tendenziell die gleichmäßig starke Frequenzen fördern. Die aus
Erfolgschancen des Einkaufsbereichs. „einem Guss“ gebauten innerstädtischen Ein Erreichbarkeit §§ Straßenquerschnitt (Raumwirkung),
kaufscenter liefern – zumindest hierfür – gute Die gute Erreichbarkeit für alle Verkehrsarten ist §§ Gestaltqualität des öffentlichen Raums,
Beispiele. Demgegenüber sind Geschäftsstraßen eine Grundvoraussetzung für den Erfolg eines §§ Gestaltqualität der Gebäude.
22 23EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
4m
17 19
7m
29
7m
Verschiedene Gebäudetypen bieten die Chance für unterschiedliche Nutzungen.
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Bei diesem Parameter ist herauszuarbeiten, wie fläche dargestellt. Wichtig ist zudem die Dichte
sich die Gestaltqualität aktuell darstellt und ob des Angebots, die in Frontlänge mit Betriebsbesatz
Nachholbedarf besteht. Schließlich muss aber bzw. dem Anteil der Einzelhandelsnutzungen
auch abgeschätzt werden, ob gestalterische im Erdgeschoss angegeben wird.
Maßnahmen eine Trendwende einleiten können.
15
0m
Magnetbetriebe
� ANGEBOTSSTRUKTUR Die Anzahl und die Lokalisation vorhandener
Magnetbetriebe vertiefen die Aussagen zum Ver-
Die Angebotsstruktur eines Geschäftsbereichs kaufsflächenangebot. Hierzu zählen in Innenstädten
entscheidet maßgeblich darüber, wie er nachgefragt vor allem Kauf- und Warenhäuser, Elektronik-
ist. Sie ist angesichts der Dynamik im Einzelhandel und Lebensmittelmärkte sowie Einkaufscenter.
schnellen Veränderungen unterworfen. Zudem
18
2m
bestehen zwischen den oben dargestellten wirt- Branchenstruktur
schaftlichen, städtebaulichen und verkehrlichen Ein ausgewogener, innenstadtrelevanter Einzel
Bedingungen natürlich enge Wechselbeziehungen. handelsmix stärkt die Anziehungskraft des
04.04.2019
Zur Einordnung der jeweiligen Situation sind auch Geschäftsbereichs. Der in den Einkaufscentern
bei diesem Aspekt Vergleichswerte aus anderen angesiedelte Branchenmix kann als Anhaltspunkt
–
Städten hilfreich. Folgende Kriterien sollten be- für eine innenstadttypische Mischung dienen,
SBK #16
trachtet werden: da bei ihnen gezielt einen Ausgleich zwischen
Angebot und Nachfrage geschaffen werden kann.
Verkaufsflächenangebot
Das Verkaufsflächenangebot stellt das zentrale Qualität des Einzelhandelsangebots
Angebotsmerkmal eines Geschäftsbereichs dar. Die Qualität des Einzelhandelsangebots gibt
Kulturelle, gastronomische und soziale Nutzungen ergänzen die Angebote des Einzelhandels.
Quelle: Junker + Kruse Es wird üblicherweise in Quadratmetern Verkaufs Hinweise auf die Zielgruppen, die Anziehungskraft
Soziale und kulturelle Einrichtungen, aber auch
Verkehrsknotenpunkte bedeuten Chancen für
24
die Neuausrichtung einer Innenstadtlage. 25bzw. den Einzugsbereich des Standorts. Üblicher- bestimmten Sparte gibt, kann er für die Zukunft HAUPTGRUPPE KRITERIUM DARSTELLUNG/EINORDNUNG BEWERTUNG (ORDINAL)
weise passt sich langfristig die Angebotsstruktur einer ehemaligen reinen Geschäftsstraße mitge-
der Nachfragestruktur an. dacht werden. WIRTSCHAFTLICHE UND
EINWOHNERZAHL
In einer Gesamtschau ist einzuordnen, DEMOGRAFISCHE SITUATION
wie das Potenzial einer Geschäftsstraße für eine Öffentliche Einrichtungen
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
Zukunft als Einkaufslage einzuschätzen ist. Im Öffentliche Einrichtungen werden – je nach Spar- NATÜRLICHER
Kern geht es um die Klärung der Frage, ob unter te – von vielen Menschen genutzt. Sofern sie in EINZUGSBEREICH
den gegebenen Marktbedingungen die Chance städtischem Betrieb sind, hat die Stadtverwaltung
auf eine Weiterführung der Einzelhandelsfunktion eine verhältnismäßig große Steuerungsmöglich- ZENTRALITÄT
besteht und was dafür zu tun ist oder ob eine keit. Welche Institutionen gibt es bereits vor Ort?
funktionale Neuausrichtung angeraten erscheint. Welche Institutionen müssen/sollen sich in SONDEREINFLÜSSE
An dieser Stelle Grenzwerte zu erhoffen, die eine Zukunft räumlich verändern? Welche Einrichtungen
eindeutige Vorhersage für die Entwicklungen der profitieren von einer zentralen Lage? RÄUMLICHE SITUATION STRUKTUR
Zukunft ermöglichen, ist verständlich. Die vielen
DIMENSIONIERUNG
qualitativen Faktoren und die große Abhängigkeit Thematische Cluster anderer Nutzungen (Medizin,
der Aussagekraft der erhobenen Werte von lokalen Bildung, Kultur usw.)
GEBÄUDESTRUKTUR
und regionalen Vergleichszahlen machen eine Bestimmte Nutzungen auch jenseits des Einzel-
eindeutige Antwort jedoch unmöglich. Ihr beson- handels profitieren von einer räumlichen VERKEHRLICHE SITUATION
ERREICHBARKEIT
deres Potenzial entfaltet die Analyse aber dann, wenn Nähe zueinander. Gibt es bestimmte thematische BEI FUSSGÄNGERZONEN
sie als Instrument zur Meinungsbildung genutzt Schwerpunkte, die sich mit einem gezielten
wird. Indem sich die Akteure selbst auch mit unan- Besatz weiterentwickeln lassen? Wie ergänzen STELLPLATZANGEBOT
genehmen Wahrheiten konfrontieren, eröffnet sich unterschiedliche Nutzungen? Lassen sich
sich die Chance, den eigenen Standort neu zu sehen. Adressen schaffen, die durch ein klares Profil VERKEHRLICHE SITUATION
PUBLIKATION
BREITE DER FUSSWEGE
Fällt die Bewertung der Analyseergebnisse überzeugen? BEI HAUPTSTRASSEN
gegen eine Chance auf Wiederbelebung der
Geschäftsstraße aus, gilt es weiterzudenken. Dann ÜBERQUERBARKEIT
ist zu prüfen, für welche Nutzungen bezogen
GESTALTUNG DER
auf die örtliche Situation und die allgemeine Nach STRASSENQUERSCHNITT
STRASSE/ZONE
frage Marktchancen bestehen. Dabei geht es
nicht in erster Linie um eine Entscheidung für eine QUALITÄT
andere Nutzung, die eine ebenso prägende ÖFFENTLICHER RAUM
Dominanz wie vorher der Einzelhandel hat. Genauso
gut kann über intelligente Mischkonzepte nach QUALITÄT GEBÄUDE
gedacht werden. Hier sollten weitere Fragen in
die Überlegungen einbezogen werden: ANGEBOTSSTRUKTUR VERKAUFSFLÄCHE
Wohnungsmarkt MAGNETBETRIEBE
Wird bereits in der Geschäftsstraße gewohnt oder
1 BRANCHENSTRUKTUR
nicht? Wer wohnt dort? Wie sind die Mietpreise? Die dargestellten Kriterien stimmen im Wesentlichen mit
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Wie ist der gesamtstädtische Wohnungsmarkt auf- den Einschätzungen zweier (älterer) Studien zur Situation
QUALITÄT
gestellt? An welchen Wohnformen gibt es Bedarf von Fußgängerzonen für Bayern und den Raum Hannover
EINZELHANDELSANGEBOT
–
vor Ort/in der Gesamtstadt? Welche weiteren überein; vgl. hierzu folgende Quellen: Landesverband des
SBK #16
Nutzungen fehlen, um den Standort zum attraktiven Bayerischen Einzelhandels 2004; Industrie- und Handels-
RESÜMEE
Wohnstandort zu machen? kammer Hannover 2009
2
Raumbedarf anderer Nutzungsarten Seit jüngerer Zeit ist in manchen Branchen auch wieder ein
Die Gesamtschau macht deutlich, wo die besonderen Zukunftspotenziale, aber auch die Herausforderungen einer Straße liegen.
Ob Dienstleister, urbane Produktion, soziale oder leicht gegenläufiger Trend zu beobachten – meist allerdings
kulturelle Anbieter: Wenn es Raumbedarf in einer auf hohem Niveau.
Abb. 20: Lyoner 19, Quelle: Magdalena Gruber
26 274. Szenarien für eine Ein genereller Aspekt gilt für alle Formen einer funktionalen Umnut-
zung: Gut gestaltete öffentliche Räume bilden das Lebenselixier der
funktionale Umnutzung
Innenstädte
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
Um eine Stadt lebensfähig zu gestalten, ist es notwendig, in das
öffentliche Leben zu investieren, das heißt, die Rahmenbedingungen
müssen geschaffen werden, damit es die Menschen in die Stadt
zieht, sie am öffentlichen Leben teilnehmen und die öffentlichen
Räume als Treffpunkte nutzen. Die Essenz des städtischen
Lebens sind Menschen, die sich im Raum bewegen und interagieren,
Geschichten und Ideen teilen, Handel oder Handwerk treiben,
Eine funktionale Neuausrichtung einer bislang von Im Folgenden werden die grundsätzlich kreativ und innovativ sein können. Kurz gesagt, geht es darum, ein
Einzelhandel dominierten, aber mittlerweile not- geeigneten Umnutzungsoptionen vorgestellt. soziales und wirtschaftliches Netzwerk zu schaffen, das sich auf
leidenden Geschäftsstraße ist keine Kapitulation Diese treten in der Praxis natürlich nicht in Rein- Straßen und öffentlichen Plätzen abspielt. Die multifunktionale Neu-
oder gar ein Schuldeingeständnis für die bisherige form auf. Dabei ist stets zu beachten, was der
ausrichtung der Stadtzentren kann diese Vorstellungen urbanen
Stadtentwicklung, sondern eine realistische Aner- Nachfrage entspricht, was baulich machbar und
kennung der realen Gegebenheiten. Eine funktionale was wirtschaftlich darstellbar ist. Auch wenn Lebens unterstützen und verbessern. Der Kontext des öffentlichen
Neuausrichtung eröffnet neue Chancen, stärkt die der Fokus der Betrachtung auf ehemaligen, heute Raums hat sich im Laufe der Jahrhunderte erheblich verändert.
Funktionsmischung und kann dann eine positive nicht mehr funktionierenden Geschäftsstraßen Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der öffentliche Raum noch
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Stärkung für Stadtzentren zur Folge haben, wenn liegt, berühren die nachfolgenden Aussagen und
weitgehend zum vielfältigen Nutzen der Öffentlichkeit definiert.
bei der Neuausrichtung bestimmte Aspekte beach- Empfehlungen nicht nur die Straße, sondern
tet werden. Die potenziellen Chancen, die sich aus das die Geschäftsstraße umgebende Quartier als Entsprechende Aktivitäten füllten ihn notwendigerweise. In der
solch einer Umstrukturierung ergeben, sollten dem Ganzes. Dabei wird unterschieden zwischen zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde er immer mehr zu einem
Charakter und dem Bedarf bzw. der Nachfrage einer großmaßstäblichen Umdefinition – also dem Verkehrsraum. Waren und Verkehrsträger bewegten sich in diesen
der jeweiligen Innenstädte Rechnung tragen. Dann Ersatz der Leitfunktion „Einzelhandel“ durch
Räumen oder über diese Räume. In den letzten Jahrzehnten ent
werden sie positive Veränderungen bewirken und eine andere Leitfunktion – und der partiellen Um-
die oft zu beobachtende Stagnation und Resignation nutzung kleinerer Bereiche und Gebäude. wickelte sich der öffentliche Raum zunehmend zu einem Ort für
aufheben. Mit Blick auf die geschichtliche Entwick- Freizeitaktivitäten.
lung der (Innen-)Städte ist es wahrscheinlich auch
nur eine Rückkehr zur Normalität: Historisch gese-
hen waren Städte zunächst meist Wohnstädte mit
Handelsplätzen, in denen sich erst im späten 19. Es gibt Räume, die erkennbar so gestaltet sind, um Orte sozialer
und 20. Jahrhundert monofunktionale Citybereiche Interaktion zu sein, wie zum Beispiel Stadtplätze. Viel zu häufig
entwickelten. Daher haben wir möglicherweise in
aber gibt es fragmentierte Bereiche des öffentlichen Raums, die
den vergangenen 50 Jahren einen Ausnahmefall der
04.04.2019 gestalterisch als zurückgeblieben oder verwahrlost einzuordnen
innerstädtischen Entwicklung erlebt.
sind. Ihnen ist ebenfalls Beachtung zu schenken. Um das Potenzial
–
Zentrale Fragen zu Beginn einer jeden funktiona- aller öffentlichen Räume zu maximieren, sollten sie sozial ausge
SBK #16
len Umnutzung:
richtete Bereiche unserer demokratischen Gesellschaftsform sein.
§§ Was ist bei einer funktionalen Umnutzung Und sie sollten Teil eines breiteren Fußgänger- und Radwegenetzes
funktional und stadträumlich angemessen? sein, weniger die Resträume einer auf den motorisierten Individual-
§§ Was geben die Baustrukturen, Erschließungen verkehr ausgelegten Mobilität.
und Gebäude her?
28 29� Hauptansätze:
Option 1: §§ Einfacher Nutzungsaustausch mit mini-
malem Kostenaufwand: Einzelhandel wird
Dienstleistungen durch Dienstleister ersetzt.
EINKAUFSSTRASSEN NEU DENKEN
§§ Meist: Schaffung von Parkplätzen vor der
Tür erforderlich.
Die einfachste Lösung einer funktionalen Umnut-
zung ist die Konzentration von Dienstleistern in
ehemals vom Einzelhandel dominierten Straßen.
Dieser Nutzungsaustausch – von Handel zu Dienst-
leistung – innerhalb bestehender Ladenlokale
funktioniert in aller Regel dann gut, wenn sich der
Einzelhandel dort bislang ausschließlich auf die
Erdgeschosszone erstreckt hat und Parkraum vor
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der Tür oder in der Nähe vorhanden ist. Ein solches
Szenario bietet sich tendenziell weniger für Fuß-
gängerzonen an als für vom motorisierten Verkehr
befahrene Hauptgeschäftsstraßen.
Bei dieser Option werden die Ober-
geschosse der Häuser bereits häufig durch
Wohnungen oder andere Dienstleister (Büros)
genutzt; dies würde auch weiterhin der Fall
sein. Damit handelt es sich quasi schon um ein
mischgenutztes Quartier, das lediglich seine
Nutzungskomponente im Erdgeschoss neu
ausrichtet.
Ein innovatives Modell für diese einfache
Nutzungstransformation könnte auch die
Mischung von Dienstleistern, auch aus dem
Gesundheitsbereich, mit gastronomischen
04.04.2019
Einrichtungen darstellen.
Diese Umnutzungsvariante ist bereits
–
gängige Praxis und vielerorts auch ohne öffentli-
SBK #16
chen Eingriff marktgängig. Verbunden ist mit
ihr jedoch die Gefahr, dass Trading-down-Prozesse
ausgelöst werden und wenig aktive Erdgeschoss-
zonen entstehen.
Dienstleistungen fügen sich oft sehr unkompliziert in ehemalige Einzelhandelsimmobilien ein.
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