Energiezufuhr für die Baubranche

 
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Energiezufuhr für die Baubranche
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         Gestern, 13:30
         Energiesparhäuser

         Energiezufuhr für die Baubranche
         Equity    Gestern, 13:30

                  Die Hochhäuser Sihlweid in Zürich
         wurden mit Solarfassaden verkleidet. (Bild: NZZ /
         Adrian Baer)

         Die ersten Energiesparhäuser wurden vor 30
         Jahren noch belächelt. Inzwischen werden ganze
         Stadtquartiere mit Energielabel aus dem Boden
         gestampft. Für die Baubranche ist das ein
         Millionengeschäft.
         Paul Knüsel

         In den Bündner Bergen spielen die Häuser manchmal Mimikry: Einzelne Chalets
         entpuppen sich beim genauen Hin sehen als bemalte Militärbunker. In
         abgelegenen Ställen machen sich immer öfter Feriengäste breit. Und es gibt noch
         die Kategorie von Gebäuden, die zwar bewohnbar sind, sich aber Sonnenfänger
         nennen. Seit 20 Jahren steht ein solches Wohnhaus in Trin, hinter dessen leicht
         ergrauten Holzfassaden sich ein revolutionäres Baukonzept versteckt. Drei Seiten
         sind massiv eingepackt, und nach Süden bilden grosse Fenster eine einheitliche
         Front. Wann immer die Sonne scheint, wärmt sich der Baukörper selber auf:
         Obwohl auf 900 Meter über Meer gelegen, wird das zweistöckige Haus nur an
         einzelnen Wintertagen beheizt. 1993 hat der Churer Architekt Andreas Rüedi eines
         der ersten Passivhäuser Europas mit Blick über die vordere Rheinschlucht erstellt.

         Was damals als Spätfolge des Erdölschocks von 1973 begann, hat inzwischen eine
         eigene Messlatte für den Immobilienmarkt gesetzt. Energiesparhäuser sind nicht
         länger exotisch, sondern alltagstauglich geworden. Wohn- und Geschäftshäuser
         mit grün leuchtendem Anstrich gehören zum guten Ton. Auch potente Investoren
         sind hellhörig geworden. Den jüngsten Beweis liefert die Credit Suisse, die im
Aargauer Reusstal die grösste Ökosiedlung der Schweiz erstellt. Die Kräne drehen,
am Fundament wird gegossen. Und bis in rund einem Jahr wird das rund 3
Hektaren grosse Neugrüen-Quartier für 200 Familien, Paare und Singles aus dem
Boden gestampft sein. Das Vorhaben, wofür die CS-Anlagestiftung Green Property
etwa 70 Mio. Fr. investiert, hat energetisch höchsten Ansprüchen zu genügen,
möglichst viele Ressourcen zu schonen und trotzdem marktübliche Renditen
abzuwerfen.

Zwar genügt die Kraft der Sonne nicht; dennoch ist die Neubausiedlung an der
Reuss ebenso wenig auf die externe Energiezufuhr angewiesen wie die
Sonnenfänger von Trin. Im Vergleich zu damals ist bautechnisch allerdings einiges
passiert: Erdsonden leiten die Wärme aus dem Boden in den Heizungskreislauf.
Und Solaranlagen erzeugen den Strom auf dem eigenen Dach. Als Belohnung
winkt sogar das Minergie-A-Eco -Zertifikat, weil die Wohnüberbauung selber mehr
Energie produziert als konsumiert und ihre Hauptbestandteile fast vollständig
wiederverwertbar sind. Wände und Decken werden mit dem nachwachsenden
Baustoff Holz erstellt, was die graue Energie reduziert und das spätere Recycling
erleichtert. Im modernen Wohnungsbau wird dieses Prinzip immer häufiger
befolgt. Mehrgeschossige Holzbauten sind auch in grossen Städten keine
Seltenheit mehr. Tatsächlich haben sich unsere Marktanteile in wenigen Jahren
um 10 % erhöht , freut sich Christoph Starck, Direktor des Holzbau-Dachverbands
Lignum. Die starke Nachfrage nach grünen Immobilien kurbelt so die inländische
Wertschöpfungskette an: Forstbetriebe und Holzhandel besorgen die rohe Ware,
Sägereien und Zimmereibetriebe fabrizieren neuartige Gebäudeelemente, und
Handwerker vor Ort bauen diese mit wenigen Handgriffen ein. Dem Wachstum auf
dem Absatzmarkt ist der Ausbau der Produktionskapazitäten bereits gefolgt: Nicht
nur Fensterbauer und Elementbaulieferanten haben viele Millionen Franken für
neue Werkhallen investiert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Die
Holzbaubranche ist dadurch laut Starck in den vergangenen drei bis vier Jahren
um 4000 Stellen gewachsen und hat ihren jährlichen Gesamtumsatz um mehrere
hundert Millionen Franken steigern können.

Chancen im Export
Minergie-Geschäftsführer Franz Beyeler jongliert mit noch grösseren Zahlen, um
die wirtschaftlichen Effekte des energieeffizienten Bauens auszuweisen: Zwei
Milliarden Franken sind in den vergangenen 10 Jahren zusätzlich investiert
worden, weil sich die Bauherrschaften für ein Minergiehaus entschieden haben. In
14 Jahren ist die Zahl der ausgestellten Zertifikate von null auf 25000
Wohnhäuser, Schulbauten, Sport- und Industriehallen sowie Bürokomplexe
geschnellt. Mittlerweile ist eine Nutzfläche von 25 Mio. Quadratmetern
energiesparend gebaut und nicht länger fossil beheizt. Der Gebäudepark Schweiz
spart dadurch über 1,5 Mrd. Kilowattstunden Wärmeenergie.
Hinter dem Minergieprinzip steckt aber nicht nur ein ökologisches Motiv, sondern
auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell: Anstatt immer mehr Geld für
Brennstoffimporte auszugeben, sind private, professionelle und institutionelle
Bauherrschaften dazu übergegangen, dickere Dämmstoffe, dreifach verglaste
Fenster, Lüftungsanlagen und Sonnenkollektoren zu beschaffen. Dank den
zusätzlichen Investitionen ist das energieeffiziente Bauen zu einer der
zukunftsträchtigen Cleantech-Sparten zu zählen: Das inländische Baugewerbe, die
Gebäudetechnikbranche sowie die Baustoffindustrie profitieren unmittelbar. Rund
80 Mrd. Fr. beträgt der Anlagewert aller Gebäude, die nach den Regeln von
Minergie erstellt worden sind. Das Gebäudelabel ist für die Bauwirtschaft relevant
geworden , ist Ruedi Kriesi, Vizepräsident des Trägervereins, daher überzeugt.
Energieeffizienz made in Switzerland ist aber auch im Ausland begehrt: Erste
Wohnhäuser wurden in Deutschland, Frankreich und Italien sowie in Japan und
den USA zertifiziert und vorgängig mit Know-how und Fachkräften aus Schweizer
Provenienz erstellt.

Dass sich die energiesparende Schweizer Qualität grenzüberschreitend verkaufen
lässt, haben ebenfalls die Bauzulieferfirmen erkannt. Holzbauunternehmen liefern
ganze Schulhäuser nach England, wo die vorgefertigten Einzelteile nur noch
montiert werden. Und neben Baustoffproduzenten sind vor allem inländische
Solarsystemanbieter daran, eigene Produkte erfolgreich zu exportieren. Der
internationale Baumarkt ist vor allem im Highend-Segment an Schweizer
Errungenschaften interessiert , so Lignum-Direktor Starck. Allerdings schmälert
der hohe Frankenkurs die Erfolgsaussichten im Exportgeschäft. Auch auf
inländischen Baustellen geraten die Preise deswegen unter Druck. Immer mehr
inländische Holzbauer beschaffen ihren Rohstoff aus den Wäldern Skandinaviens
oder Osteuropas. Auch andere Bauteile werden mittlerweile von weither
herangekarrt.

Eine Sanierungswelle steht bevor
Franz Kainz, Verkaufsleiter des Dämmstoffherstellers Flumroc, kennt jedoch die
wichtigste Grösse überhaupt, die den Geschäftsgang inländischer Bauzulieferer
prägt: Steigen die Heizöl- und Erdgaspreise, nimmt die Nachfrage bei uns sofort
zu. Vor fünf Jahren war das Rekordniveau erreicht, und die Auftragsbücher vieler
Dämmstoffhersteller waren prall gefüllt. Inzwischen ist Erdöl wieder billiger;
dennoch bewegt sich der Absatz immer noch auf zufriedenstellendem Niveau. Weil
Energie sparen ein wichtiger Motor bleibe, erwartet Verkaufsleiter Kainz steigende
Absatzzahlen. Flumroc ist ein mittelständischer Betrieb mit 300 Mitarbeitern, die
rohes Gesteinsmaterial im Werk bei Flums zu Steinwolleplatten verarbeiten. Und
ebenso ist die Konkurrenz, die Dämmstoffe unter anderem aus Recyclingglas,
Kunststoff oder Zellulose herstellt, zu wesentlichen Anteilen mit der ganzen
Wertschöpfung in der Schweiz präsent.

Für den inländischen Werkplatz sehen die Aussichten mittel- und langfristig weiter
rosig aus. Denn es kündigt sich eine Sanierungswelle an, um die Altbauten
energetisch wieder fit zu machen. Drei Viertel aller Gebäude sind älter als 40 Jahre
und müssen endlich besser eingepackt werden. Schätzungen gehen von
zusätzlichen Bauinvestitionen in Milliarden höhe aus. Vom Baustoffhersteller bis
zum Handwerksbetrieb hoffen daher viele Firmen, einen Teil dieses Kuchens zu
ergattern und zusätzliche Aufträge zu akquirieren. Bund und Kantone versuchen
zwar seit Jahren, Hauseigentümer und Investoren mit finanziellen Anreizen und
Förderprogrammen zum Umbau locken. Aber weil die Budgets der öffentlichen
Hand meistens beschränkt sind, ist der Erfolg bisher bescheiden geblieben.

Plattenbauten in neuem Glanz
Die Bautechnik wäre für den nächsten Schritt allerdings bereit: Nach den
Solarhäusern und den Ökosiedlungen dürfen die ersten energetisch umfassend
sanierten Gebäude den Pionierstatus für sich beanspruchen. Wiederum sind
private Unternehmen und Lieferanten beteiligt und tragen derzeit viel zu den
technologischen Neuentwicklungen bei. Ein wortwörtlich überragender Vertreter
für solche Sonderanfertigungen steht am südlichen Stadtrand von Zürich in der
Sihlweid: zwei 50 Meter hohe Wohnblocks aus den siebziger Jahren, die bisher als
schmucklose Plattenbauten wahrgenommen wurden. Die Besitzerin, eine Zürcher
Baugenossenschaft, lässt sie erstmals renovieren. Demnächst erstrahlen die fast
40-jährigen Wohnbauten im neuen Glanz: Rundum in Solarfassaden eingepackt,
erzeugen die Zwillingstürme sogar einen Drittel des selber konsumierten Stroms.
Die Bauherrschaft hatte die Ambition gehegt, die Energieschleudern in eine
sparsame 2000-Watt-Adresse zu verwandeln. Möglich war das aber nur, weil die
Fassadenbaufirma ihren Service umfassend verstanden hat: Der Solarmantel ist
kein Produkt ab Stange und trotzdem günstiger geworden als eine konventionelle
Wandverkleidung.

Die Herausforderung für viele Bauzulieferer ist, das energieeffiziente Bauen zu
vereinfachen und rationelle Bausysteme bereitzustellen , davon ist Hans Ruedi
Schweizer, Unternehmensleiter und Verwaltungsratspräsident der Ernst Schweizer
AG überzeugt. Seit über 30 Jahren stellt der Metallbaubetrieb Briefkästen und
Sonnenkollektoren her. Inzwischen liefert die Firma energieeffiziente und
minergietaugliche Bauprodukte und Sonnenenergiesysteme. Besonders das
Solargeschäft ist gewachsen und zum wichtigsten Standbein für die Zürcher Firma
mit 650 Mitarbeitern und einem Umsatz von 155 Mio Fr. geworden. Im Angebot
stehen ebenfalls hochwertige Fassaden und Wärmeschutzfenster, weshalb sich die
starke Nachfrage nach Minergiebauten auch bei uns äusserst positiv bemerkbar
gemacht hat , so Schweizer.

Der Heimmarkt ist für die Ernst Schweizer AG und andere Zulieferer, die mit dem
energieeffizienten Bauen gross geworden sind, ebenfalls zu klein geworden. Der
Export ist aber ein hartes Pflaster: Während im Inland vor allem
Komplettlösungen abgesetzt werden, hat der Preiskampf in Europa eine
Beschränkung auf einzelne Komponenten zur Folge. Und die Märkte in
Deutschland, Frankreich oder Italien sind eigenen Risiken unterworfen, wozu
derzeit die fehlende Konstanz bei politischen Förderkampagnen und der hohe
Frankenkurs zählen: Zwar sprechen alle von der Energiewende, doch Taten folgen
kaum. Die Nachbarstaaten sind bei der Förderung der erneuerbaren Energie
zurückhaltender geworden. Und auch in der Schweiz geht vieles nur schleppend
voran , gibt Hans Ruedi Schweizer zu bedenken. Trotzdem ist für ihn und die ZKB-
Analytiker klar: Energie und Umwelt werden das Wachstum im Immobilienmarkt
weiter antreiben. Es sind trotzdem zusätzliche Anstrengungen erforderlich, damit
die Branche den Ökotest beim Bauen auch in Zukunft bestehen wird.

Wie das hohe Wertschöpfungspotenzial auch namhaftere Baubereiche
risikofreudig macht, haben zuletzt die Kies- und Betonwerke bewiesen. Als
Geschäftssegment mit Zuwachsraten wird vor allem das Wiederverwerten von
Abbruchmaterial erkannt. Einzelne Unternehmen investieren viel Geld in
neuartige Wasch- und Sortieranlagen und realisieren solche Pilot- und
Demonstrationsvorhaben auf eigene Kosten. Erst 5% des verbauten Betons
stammen aus rezykliertem Material; Baustoffexperte Stefan Rubli erwartet aber,
dass der Anteil vervielfacht werden könne.

Auch hier soll das Minergie-Label die Baustofflieferanten aus dem
Dornröschenschlaf wecken: Wer für die Stadt Zürich ein neues Schulhaus bauen
will, darf nur Recyclingbeton verwenden. Seit rund 10 Jahren verlangt eine der
grössten öffentlichen Bauträgerschaften den Eco-Standard sowie das Einhalten
weiterer ökologischer Bauauflagen. Die Stoffkreisläufe beim Bauen zu schliessen,
ist auch ökonomisch interessant: Weil immer mehr Altbauten abgebrochen
werden, kann das Deponieren der Abfälle teuer werden. Stattdessen wird das
Abbruchmaterial ein ebenso begehrter Rohstoff wie frischer Kies. Gemäss Stefan
Rubli ist der Recyclingbeton sogar eine ausgewiesene Schweizer Spezialität . Es sei
daher zu erwarten, dass Baustoffhersteller demnächst auch Absatzmärkte in
Europa und Asien ins Auge fassen.

Minergie-Label als Starthilfe
Was vor rund 30 Jahren vorerst am Südhang mit dem Bau der ersten
Sonnenhäuser begann, hat inzwischen auf fast allen Baustellen in der Schweiz
Fahrt aufgenommen: Das ökologische Bauen hat im Zeitraffer mehrere
technologische Quantensprünge miterlebt und ist in den vergangenen Jahrzehnten
markttauglich geworden. Eine ganze Reihe von Herstellern, Zulieferern und das
Handwerk verstehen, beim Bauen auf höhere Energieeffizienz, mehr erneuerbare
Energie und die Reduktion der grauen Energie zu achten, und ist durch die
steigende Nachfrage nach hochwertigen Baustoffen und Gebäudetechniksystemen
gross geworden. Die Entwicklung begann sogar, bevor das Energiesparen politisch
opportun geworden ist. Mittlerweile werden die gesetzlichen Anforderungen im
Gebäude bereich regelmässig dem Stand der Technik angepasst, was der
Bauwirtschaft einen dynamischen Markt beschert hat. Laut Ruedi Kriesi hat die
Marke Minergie wesentlich zum wirtschaftlichen Durchbruch für das
energieeffiziente Bauen beigetragen. Insofern steckt hinter Ökohäusern oft mehr,
als von aussen erkennbar ist: Der geringe energetische Fussabdruck wird nicht
entgegen, sondern mit der ökonomischen Logik erreicht.

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